Das Werk der Artamonows - Maxim Gorky - E-Book

Das Werk der Artamonows E-Book

MAXIM GORKY

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Beschreibung

Das Werk der Artamonows Maxim Gorky - In "Das Werk der Artamonows" schildert Gorki den Aufstieg und Niedergang einer russischen Bourgeois-Familie in der Zeit nach der Aufhebung der Leibeigenschaft bis zur Oktoberrevolution. Drei Familien-Generationen sind in die Handlung des Romans verstrickt.

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Maxim Gorky
Das Werk der Artamonows

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Teil 1

Etwa zwei Jahre nach der Aufhebung der Leibeigenschaft, am Tage der Verklärung Christi, fiel den Pfarrkindern der Kirche zum heiligen Nikolaus »auf den Pfählen« während der Messe ein Fremder auf. Er drängte sich durch die Menschenmenge, stieß alle unhöflich an und stellte vor den in der Stadt Driomow am meisten geachteten Heiligenbildern kostbare Kerzen auf. Er war ein kraftstrotzender Mann mit einem großen, geringelten, stark angegrauten Bart, mit einer dichten Kappe dunkler, auf Zigeunerart krauser Haare; die Nase war groß; unter den höckerigen, dichten Brauen blickten verwegen graue, bläulich schimmernde Augen, und man sah, daß die breiten Handflächen bis an die Knie reichten, wenn er die Arme herabhängen ließ. Er trat in der Reihe der angesehenen Stadtbürger zum Kreuz. Das mißfiel den Leuten vor allem, und als die Messe vorüber war, blieben die Honoratioren von Driomow am Kircheneingang stehen, um ihre Gedanken über den Fremden auszutauschen. Die einen meinten, er wäre ein Händler, die andern – ein Dorfvogt, der Stadtälteste, Jewsej Bajmakow, ein friedlicher Mensch von schwacher Gesundheit, aber mit einem guten Herzen, sagte indessen, leicht hüstelnd: »Vermutlich gehört er zum Hofgesinde und ist Leibjäger oder irgend was anderes auf dem Gebiet herrschaftlichen Zeitvertreibs.«

Der Tuchhändler Pomialow, mit dem Spitznamen »die verwitwete Küchenschabe«, ein geschäftiger Lüstling und Liebhaber böser Worte, ein häßlicher, pockennarbiger Mensch, sagte übelwollend: »Habt ihr gesehen, was für lange Tatzen er hat? Und wie er daherschreitet, als ob man seinetwegen auf allen Glockentürmen läutete.«

Der breitschultrige, großnasige Mensch ging mit festen Schritten über die Straße, wie über seinen eigenen Grund und Boden. Er trug ein blaues Wams aus haltbarem Tuch und gute Schaftstiefel aus Juchtenleder, hielt die Hände in den Taschen und preßte die Ellbogen fest gegen die Seiten. Die Bürger beauftragten die Hostienbäckerin Jerdanskaja, herauszubringen, wer dieser Mensch sei, und begaben sich dann beim Glockengeläute in Pomialows Himbeergarten, wohin sie zu Abendtee und Pirogen geladen waren.

Am Nachmittag sahen andere Einwohner von Driomow den Unbekannten jenseits des Flusses auf der »Kuhzunge«, einer Landzunge aus dem Besitz der Fürsten Ratski. Der Mann ging durch das Weidengebüsch, durchmaß die sandige Landzunge mit gleichmäßigen, großen Schritten, blickte unter der vorgehaltenen Handfläche nach der Stadt, auf die Oka und auf deren knotig verschlungenen Nebenfluß, die sumpfige Watarakscha. In Driomow leben vorsichtige Leute, und niemand entschloß sich, ihn anzurufen und zu fragen, wer er sei und was er tue? Man schickte aber doch den Wächter Maschka Stupa, einen Saufbold und Stadtnarren, zu ihm; der zog schamlos, vor allen Leuten und ohne sich vor den Frauen zu genieren, seine Diensthosen aus, behielt aber den zerdrückten Tschako auf dem Kopf. Er durchwatete die schlammige Watarakscha, blies seinen großen Trinkerbauch auf, trat in komischem Gänseschritt auf den Fremden zu und fragte, um sich Mut zu machen, absichtlich laut:

»Wer bist du?«

Man hörte die Antwort des Fremden nicht, Stupa kehrte aber sogleich zu den Seinigen zurück und erzählte:

»Er hat mich gefragt: Warum bist du bloß so scheußlich? Er hat große, böse Augen und sieht wie ein Räuber aus«.

Des Abends berichtete in Pomialows Himbeergarten die Hostienbäckerin Jerdanskaja, eine bekannte Wahrsagerin und »weise Frau« mit einem Kropf, den Honoratioren, indem sie ihre furchtbaren Augen rollte:

»Er heißt Ilja, sein Familiennamen ist Artamonow; er sagte, er wolle wegen seiner Geschäfte ganz bei uns bleiben; ich konnte aber nicht herausbringen, was es für Geschäfte sind. Er ist auf dem Wege über Worgorod gekommen und ist auf demselben Wege nach drei Uhr wieder abgereist.«

Man erfuhr also nichts Besonderes von diesem Menschen, und das war unangenehm, – als hätte jemand des Nachts ans Fenster geklopft und wäre verschwunden, nachdem er wortlos ein kommendes Unheil angekündigt hatte.

Es waren etwa drei Wochen vergangen, und die Narbe im Gedächtnis der Bürger war beinahe verheilt, als plötzlich dieser Artamonow mit drei Begleitern direkt bei Bajmakow erschien und zu ihm sprach, als schlage er mit der Axt drein:

»Da hast du ein paar neue Einwohner, Jewsej Mitritsch. Nimm sie in deine kluge Hand. Bitte, hilf mir, an deiner Seite in einem guten Leben Fuß zu fassen«.

Er erzählte sachlich und kurz, er hätte zu dem Gesinde der Fürsten Ratski auf deren Erbgut im Gouvernement Kursk an dem Flusse Rat gehört; er war der Verwalter des Fürsten Georgi gewesen, kam nach Aufhebung der Leibeigenschaft frei, wurde reich beschenkt und beschloß nun sein eigenes Werk aufzubauen: eine Leinenweberei. Er sei Witwer, seine Söhne hießen: der älteste Pjotr, der Bucklige Nikita; der dritte, Alexej, war sein Neffe, den er aber adoptiert hatte.

»Unsere Bauern bauen wenig Flachs an«, bemerkte Bajmakow nachdenklich.

»Wir werden sie dazu bringen, mehr anzubauen.«

Artamonows Stimme war tief und rauh; wenn er sprach, klang es, als schlage er auf eine große Trommel, während Bajmakow sein Leben lang vorsichtig auf der Erde einherging und leise sprach, als fürchte er jemand Schrecklichen zu wecken. Er betrachtete, mit seinen freundlichen, traurigen, fliederfarbenen Augen blinzelnd, die wie versteinert an der Tür stehenden Kinder Artamonows. Sie waren alle sehr verschieden: der Älteste sah dem Vater ähnlich, er war breitschultrig, hatte zusammengewachsene Brauen und kleine Bärenaugen; Nikita hatte Mädchenaugen, die groß und blau wie sein Hemd waren. Der lockige, rotwangige, schöne Alexej hatte eine klare weiße Haut und blickte gerade und fröhlich drein.

»Kommt einer davon zum Militär?« fragte Bajmakow.

»Nein, ich brauche die Kinder selber; ich habe für sie ein Dokument.«

Und Artamonow winkte den Kindern mit der Hand und befahl:

»Geht hinaus!«

Und als sie, unter Einhaltung der Altersreihenfolge, leise im Gänsemarsch hinausgegangen waren, sagte er, seine schwere Hand auf Bajmakows Knie legend:

»Jewsej Mitritsch, ich komme zugleich als Brautwerber zu dir. Gib deine Tochter meinem Ältesten zur Frau!«

Bajmakow erschrak geradezu, er sprang von der Bank auf und wehrte mit den Händen ab.

»Was fällt dir ein, Gott sei mit dir! Ich sehe dich zum erstenmal, ich weiß nicht, wer du bist und du kommst gleich mit so etwas! Ich habe nur die eine Tochter; es ist für sie noch zu früh zum Heiraten. Du hast sie ja auch nicht gesehen und weißt nicht, wie sie ist … Was fällt dir ein?«

Aber Artamonow sprach, in seinen krausen Bart hinein lächelnd:

»Frage den Isprawnik nach mir! Er ist meinem Fürsten sehr verpflichtet, und der Fürst hat ihm geschrieben, er soll mir in allen Dingen beistehen. Du wirst nichts Schlechtes hören, ich rufe die Heiligenbilder als Zeugen an. Ich kenne deine Tochter, ich weiß hier, in deiner Stadt, alles; ich war unbemerkt viermal da und habe mich nach allem erkundigt. Auch mein Ältester war wiederholt hier und hat deine Tochter gesehen. Also sei unbesorgt!«

Bajmakow hatte ein Gefühl, als wäre ein Bär über ihn hergefallen. Er bat den Gast:

»Warte doch … «

»Eine Weile kann ich warten … aber nicht lange. Meine Jahre sind nicht danach«, sprach der hartnäckige Mann und rief durch das Fenster in den Hof hinaus:

»Kommt, verbeugt euch vor dem Hausherrn.«

Als sie sich verabschiedet hatten und gegangen waren, bekreuzte sich Bajmakow dreimal mit einem erschrockenen Blick auf die Heiligenbilder und flüsterte:

»Der Herr erbarme sich! Was sind das für Menschen? Er bewahre mich vor einem Unglück.«

Er schleppte sich, mit dem Stock klopfend, in den Garten, wo seine Frau und Tochter unter einer Linde Beeren einkochten. Die hübsche, stattliche Frau fragte: »Was waren das für Burschen auf dem Hof, Mitritsch?«

»Ich weiß nicht. Wo ist Natalia?«

»Sie ist in die Speisekammer gegangen, – Zucker holen.«

»Zucker holen?« wiederholte Bajmakow düster und ließ sich auf die Rasenbank nieder. »Zucker! Nein es ist schon wahr, – diese Freiheit wird den Menschen große Unruhe bringen.«

Die Frau betrachtete ihn forschend und fragte besorgt:

»Was hast du? Ist dir wieder nicht wohl?«

»Ich habe schwere Sorge im Herzen. Ich glaube, dieser Mann ist gekommen, um mich auf Erden abzulösen.«

Die Frau suchte ihn zu beruhigen.

»Was fällt dir denn ein! Kommen jetzt etwa wenig Leute aus dem Dorf in die Stadt?«

»Das ist es ja gerade, daß solche Leute kommen! Ich will dir vorläufig noch nichts sagen, laß mich erst überlegen … «

»Nach fünf Tagen legte sich Bajmakow ins Bett. Nach weiteren zwölf Tagen starb er, und sein Tod hüllte Artamonow und dessen Söhne in noch tieferen Schatten. Während der Krankheit des Stadtältesten kam Artamonow zweimal zu ihm, und sie unterhielten sich lange, unter vier Augen; beim zweitenmal rief Bajmakow seine Frau herein und sagte mit müde auf der Brust gefalteten Händen:

»Da, sprich mit ihr, ich glaub', ich hab' an irdischen Dingen schon keinen Anteil mehr. Laßt mich ausruhen.«

»Komm' mit, Uljana Iwanowna«, befahl Artamonow und verließ das Zimmer, ohne sich umzusehen, ob die Hausfrau ihm folge.

»Geh', Uljana; es ist wohl vom Schicksal so bestimmt«, riet der Älteste leise der Frau, da er sah, daß sie zögerte, dem Gast zu folgen. Sie war eine kluge, charaktervolle Frau und tat nichts ohne Überlegung; jetzt kam es aber so, daß sie nach einer Stunde zu ihrem Manne zurückkehrte, mit einer Bewegung der schönen, langen Wimpern die Tränen wegschüttelte und sagte:

»Nun, Mitritsch, es scheint wirklich unser Schicksal zu sein, – gib unserer Tochter deinen Segen.«

Am Abend führte sie die prunkvoll gekleidete Tochter zum Bette ihres Mannes; Artamonow schob seinen Sohn zu ihr hin, der Bursche und das Mädchen faßten sich, ohne einander anzusehen, bei den Händen, knieten mit gesenkten Köpfen nieder, und Bajmakow bedeckte sie, schwer atmend, mit einem uralten, perlenübersäten, vom Vater stammenden Heiligenbild:

»Im Namen des Vaters und des Sohnes … Herr, versage deine Gnade nicht meinem einzigen Kinde!«

Und er sprach streng zu Artamonow:

»Merke dir, – du trägst vor Gott die Verantwortung für meine Tochter!«

Dieser verneigte sich vor ihm, indem er mit der Hand die Erde berührte.

»Das weiß ich.«

Und ohne seiner künftigen Schwiegertochter ein freundliches Wort zu sagen, sie und den Sohn kaum anblickend, wies er mit dem Kopf nach der Tür:

»Geht.«

Als das Paar nach dem Segen draußen war, setzte er sich zu dem Kranken aufs Bett und sagte mit Bestimmtheit:

»Sei ruhig, es wird alles geschehen, wie es sich gehört. Ich habe siebenunddreißig Jahre lang, ohne je bestraft zu werden, meinen Fürsten gedient. Der Mensch ist aber nicht Gott, der Mensch ist nicht gütig, es ist schwer, ihn zufriedenzustellen. Und auch dir, Gevatterin Uljana, soll es gut gehen, du wirst bei meinen Söhnen Mutterstelle übernehmen, und ich werde ihnen anbefehlen, dich zu achten.«

Bajmakow blickte schweigend in die Ecke auf die Heiligenbilder und weinte. Auch Uljana schluchzte, Artamonow sprach aber ärgerlich:

»Ach, Jewsej Mitritsch, du verläßt uns zu früh. Du hast dich nicht genug geschont. Und ich hätte dich noch so nötig, so dringend nötig!«

Er fuhr sich mit der Hand quer durch den Bart und seufzte geräuschvoll.

»Mir ist dein Wandel bekannt: du bist so klug und ehrlich, du solltest wenigstens noch fünf Jahre mit mir leben. Was wir alles unternehmen würden! Nun, es ist wohl Gottes Wille!«

Uljana schrie klagend:

»Warum krächzst du wie ein Rabe, warum erschreckst du uns? Vielleicht wird es noch … «

Artamonow erhob sich jedoch, verneigte sich vor Bajmakow tief, wie vor einem Toten:

»Ich danke für das Vertrauen. Lebt wohl, ich muß zur Oka hinunter, – eine Barke mit Wirtschaftssachen ist angekommen.«

Als er fort war, heulte die Bajmakowa gekränkt auf:

»Nicht ein einziges freundliches Wort hat der ungehobelte Bauer für die seinem Sohne angelobte Braut gehabt!«

Ihr Mann unterbrach sie:

»Gräme dich nicht, störe meine Ruhe nicht!« Und er fügte nach kurzem Überlegen hinzu:

»Halte dich an ihn: dieser Mensch ist sicherlich besser als die hiesigen.«

Bajmakow wurde von der ganzen Stadt ehrenvoll zu Grabe getragen. Die Geistlichkeit aller fünf Kirchen war vertreten. Die Artamonows folgten gleich hinter der Frau und der Tochter des Verstorbenen dem Sarge. Das mißfiel den Städtern; der bucklige Nikita, der hinter seinen Angehörigen ging, hörte, wie man in der Menge brummte:

»Man weiß gar nicht, wer er ist, und doch drängt er sich gleich an die erste Stelle.«

Pomialow rollte seine runden, eichelfarbenen Augen und flüsterte:

»Der verstorbene Jewsej und auch Uljana sind vorsichtige Menschen, sie haben nie etwas ohne Grund getan, folglich ist hier ein Geheimnis: dieser Geier hat sie durch irgend etwas verführt. Würden sie ihn sonst so in die Familie nehmen?«

»Ja–a, es ist eine dunkle Sache.«

»Ich sage ja auch – eine dunkle Sache. Sicher handelt es sich um falsches Geld. Und was für ein heiliges Leben schien Bajmakow doch zu führen, nicht?«

Nikita hörte mit gesenktem Kopf und vorgestrecktem Buckel zu, als erwartete er Schläge. Es war ein stürmischer Tag, der Wind blies hinter der Menge her, der von Hunderten von Füßen aufgewirbelte Staub schwebte wie eine Rauchwolke hinter den Leuten und setzte sich dicht in die fettigen Haare der entblößten Köpfe. Jemand sagte:

»Sieh doch, wie Artamonow von unserem Staub eingepfeffert ist! Der Zigeuner ist ganz grau geworden … «

Am zehnten Tage nach der Beerdigung ihres Mannes übergab Uljana Bajmakowa Artamonow ihr Haus und fuhr mit ihrer Tochter ins Kloster. Sowohl er, als seine Söhne schienen von einem Wirbelwind erfaßt zu sein; sie tauchten von früh bis spät vor aller Augen auf, schritten eilig durch die Straßen und bekreuzten sich hastig vor den Kirchen; der Vater war laut und ungestüm, der älteste Sohn düster, schweigsam und sichtlich ängstlich oder schüchtern, der schöne Alexej war herausfordernd gegen die Burschen und zwinkerte frech den Mädchen zu, Nikita schleppte seinen spitzen Buckel bei Sonnenaufgang nach dem andern Ufer hinüber zur »Kuhzunge«, wo Schreiner und Maurer wie Krähen zusammenkamen und eine langgestreckte Backsteinkaserne aufführten; abseits, an der Oka, wurde ein großes, zweistöckiges Haus aus zwölf Zoll dicken Balken gebaut; dieses Haus erinnerte an ein Gefängnis. Des Abends versammelten sich die Einwohner von Driomow am Ufer der Watarakscha, knabberten Kürbis- und Sonnenblumenkerne, lauschten dem Schnarchen und Kreischen der Sägen, dem Scharren der Hobel, den tief eindringenden Schlägen der scharfen Äxte und gedachten spöttisch der Fruchtlosigkeit des Turmbaues von Babel, während Pomialow den Fremden trostreich allerhand Unheil prophezeite.

»Im Frühjahr wird das Wasser diese scheußlichen Gebäude unterwaschen. Es kann auch Feuer ausbrechen: die Schreiner rauchen Tabak, und überall hegen Holzspäne herum.«

Der schwindsüchtige Pope Wasili stimmte ihm zu:

»Sie bauen auf Sand.«

»Sie werden Fabrikarbeiter hertreiben, und dann fängt Saufen, Stehlen und Huren an.«

Der kolossale, vor Fett überquellende, nach allen Seiten aufgedunsene Müller und Schankwirt Luka Barski tröstete mit seiner heiseren Baßstimme:

»Wenn mehr Menschen da sind, findet man leichter sein Auskommen. Das macht nichts, die Leute sollen nur arbeiten.«

Nikita Artamonow belustigte die Stadtbewohner sehr; er rodete und hackte auf einem großen Viereck das Weidengesträuch aus, schöpfte tagelang den fetten Schlamm der Watarakscha, stach im Sumpfe Torf, den er, seinen Buckel himmelwärts hebend, in einem Karren wegbrachte und auf dem Sand in schwarzen Haufen ausbreitete.

»Er legt wohl einen Gemüsegarten an«, rieten die Bürger. »So ein Dummkopf! Kann man denn Sand düngen?«

Bei Sonnenuntergang, wenn die Artamonows im Gänsemarsch, der Vater voran, den Fluß durchwateten und ihren Schatten auf das grünliche Wasser warfen, zeigte Pomialow hin:

»Schaut, schaut, was für einen Schatten der Bucklige hat!«

Und alle sahen, daß der Schatten von Nikita, der als Dritter ging, seltsam schwankte und gewichtiger als der seiner Brüder zu sein schien. Einmal, nach einem reichlichen Regenfall, stieg das Wasser im Fluß, und der Bucklige, der über Algen gestolpert oder in eine Vertiefung geraten war, verschwand im Wasser. Alle Zuschauer auf dem Ufer lachten belustigt, nur Olguschka Orlowa, die dreizehnjährige Tochter des stets betrunkenen Uhrmachers, schrie kläglich:

»Oh, oh, er ertrinkt!«

Sie erhielt einen Stoß in den Nacken:

»Schrei' nicht ohne Grund.«

Alexej, der als Letzter marschierte, tauchte unter, packte Nikita, stellte ihn auf die Füße, und als sie beide naß und mit Schlamm beschmutzt auf das Ufer stiegen, ging Alexej geradeaus auf die Bürger los, so daß sie ihm Platz machten. Jemand sagte ängstlich:

»Sieh' nur einer das wilde Tier an … «

»Man liebt uns nicht«, bemerkte Pjotr. Der Vater blickte ihm im Gehen ins Gesicht:

»Laß ihnen Zeit – sie werden uns schon liebgewinnen.«

Und er beschimpfte Nikita:

»Du Vogelscheuche! Paß auf deine Füße auf, und mache dich vor den Leuten nicht lächerlich! Wir sind nicht zur Belustigung da, du Plumpsack!«

Die Artamonows lebten, ohne mit jemand Bekanntschaft zu schließen. Die Wirtschaft besorgte ihnen eine dicke, schwarz gekleidete Alte. Sie band sich ihr Kopftuch so zusammen, daß dessen Enden wie Hörner in die Höhe standen und sprach mit schwerer Zunge so wenig und unverständlich, als wäre sie keine Russin; von ihr konnte man über die Artamonows gar nichts erfahren.

»Sie tun so, als ob sie Mönche wären, diese Räuber … «

Man stellte fest, daß der Vater und der älteste Sohn oft in der Umgegend herumfuhren und den Bauern zuredeten, Flachs zu säen. Bei einer dieser Fahrten wurde Ilja Artamonow von flüchtigen Soldaten angefallen; er tötete einen davon mit einer Wurfkugel – einem an einen gegerbten Riemen gebundenen Zweipfundgewicht – und schlug dem zweiten den Schädel ein, der dritte entfloh. Der Isprawnik lobte Artamonow deswegen, während der junge Geistliche der armen Pfarre von Iljinskoje ihm für den Mord eine Buße auferlegte: er mußte vierzig Nächte im Gebet in der Kirche stehend verbringen.

An den Herbstabenden las Nikita dem Vater und den Brüdern aus den Heiligenlegenden und den Belehrungen der Kirchenväter vor, doch unterbrach der Vater ihn häufig:

»Diese Weisheit ist so erhaben, daß unser Verstand sie doch nicht erfassen kann. Wir sind einfache Arbeiter, es ist nicht unsere Sache, darüber nachzudenken, wir sind für ein einfaches Leben geboren. Der verstorbene Fürst Juri hat siebentausend Bücher gelesen und hat sich so in allerlei Gedanken vertieft, daß er auch den Glauben an Gott verloren hat. Er hat alle Länder bereist, wurde von allen Königen empfangen, ein berühmter Mann war er! Als er aber eine Tuchfabrik baute, ging die Sache nicht. Und was er auch anfangen mochte, er brachte es zu nichts. So war er sein ganzes Leben auf das Brot der Bauern angewiesen.«

Er sprach bei dieser Unterhaltung mit Nachdruck und belehrte von neuem seine Kinder:

»Ihr werdet es im Leben schwer haben, ihr seid euch selbst Gesetz und Schutz. Ich habe aber nicht frei gelebt, sondern wie mir befohlen wurde, und ich sah oft: es sollte so manches anders sein, ich konnte aber nichts dagegen tun; es war nicht meine Sache, sondern die der Herrschaft. Ich fürchtete mich nicht nur, etwas auf meine Art zu machen, sondern ich wagte nicht einmal daran zu denken, um meinen Verstand nicht mit dem der Herrschaft durcheinander zu bringen. Hörst du, Pjotr?«

»Jawohl.«

»Na also. Verstehe es recht. Man lebt also, und doch ist es so, als wäre man gar nicht da. Natürlich hat man dabei auch weniger Verantwortung zu tragen, – du gehst ja nicht selbst, sondern man lenkt dich. Es ist leichter, ohne Verantwortung zu leben, doch es kommt dabei wenig Rechtes heraus.«

Manchmal sprach er eine Stunde lang oder zwei und fragte dabei immerzu, ob die Kinder zuhörten. Er sitzt mit herabbaumelnden Beinen auf dem Ofen, gleitet mit den Fingern durch die Bartlöckchen und schmiedet bedächtig ein Glied seiner Wortkette nach dem anderen. In der großen, sauberen Küche herrscht warmes Dunkel, hinter dem Fenster pfeift der Sturm und streichelt mit seidigem Griff die Scheiben. Oder der Frost knistert in dem eisigen Blau. Pjotr sitzt vor einem Talglicht am Tisch, raschelt mit Papieren und klappert leise mit den Kügelchen des Rechenbretts, Alexej hilft ihm, und Nikita flicht kunstvolle Körbe aus Ruten.

»Jetzt hat uns der Zar und Herr die Freiheit gegeben. Das will verstanden sein: wie wurde die Freiheit eingeschätzt? Ohne Berechnung wird nicht einmal ein Schaf aus dem Stall herausgelassen, und hier hat man das ganze Volk, viele Tausende, freigelassen. Das bedeutet: Der Kaiser hat begriffen, daß bei den Herrschaften nicht viel zu holen ist, sie verleben alles selbst. Fürst Georgi ist noch vor der Freiheit selbst draufgekommen und hat zu mir gesagt: unfreiwillige Arbeit ist unvorteilhaft. Und nun vertraut man uns die freie Arbeit an. Jetzt wird auch der Soldat nicht mehr fünfundzwanzig Jahre lang das Gewehr herumschleppen, sondern da heißt es, geh' arbeiten! Jetzt muß jeder zeigen, wofür er taugt. Dem Adel steht das Ende bevor, jetzt seid ihr selber Edelleute, – hört ihr's?«

Uljana Bajmakowa hatte fast drei Monate im Kloster verbracht, und als sie nach Hause zurückkehrte, fragte Artamonow sie gleich am nächsten Tage:

»Werden wir bald Hochzeit feiern?«

Sie war empört und funkelte zornig mit den Augen. »Was fällt dir ein, besinne dich! Seit dem Tode des Vaters ist noch kein halbes Jahr vergangen, und du … Weißt du nicht, was Sünde ist?«

Artamonow unterbrach sie aber streng:

»Ich sehe darin keine Sünde, Gevatterin. Die Herrschaften treiben noch ganz andere Dinge, und Gott erträgt es. Ich bin in Verlegenheit; Pjotr benötigt eine Hausfrau.«

Darauf. fragte er, wieviel Geld sie besitze. Sie antwortete:

»Mehr als fünfhundert gebe ich meiner Tochter nicht mit!«

»Du wirst schon mehr geben«, sprach der großgewachsene Bauer sicher und gleichgültig, indem er sie unverwandt ansah. Sie saßen einander gegenüber am Tisch. Artamonow stützte sich auf die Ellbogen und versenkte die Finger beider Hände in das dichte Vlies des Bartes, während die Frau sich mit gerunzelten Brauen mißtrauisch aufrichtete. Sie war weit über dreißig, erschien aber bedeutend jünger, und in ihrem satten, rotwangigen Gesicht leuchteten streng die klugen, grau schimmernden Augen. Artamonow erhob sich und stand in gerader Haltung da.

»Du bist schön, Uljana Iwanowna.«

»Und was sagst du mir noch?« fragte sie zornig und spöttisch.

»Weiter nichts!«

Er ging unwillig, mit schwer stampfenden Schritten fort. Die Bajmakowa sah ihm nach und streifte bei der Gelegenheit mit den Augen die Spiegelfläche, indem sie ärgerlich flüsterte:

»Bärtiger Teufel! Was mengt er sich so ein … «

Da sie sich vor diesem Menschen in Gefahr fühlte, ging sie zu ihrer Tochter hinauf, traf aber Natalia nicht an, und als sie durchs Fenster blickte, sah sie die Tochter auf dem Hof am Tor. Neben ihr stand Pjotr. Die Bajmakowa lief die Treppe hinunter und rief, am Hauseingang stehenbleibend:

»Natalia – komm nach Hause!«

Pjotr grüßte.

»Es gehört sich nicht, mein guter Junge, daß man sich mit einem Mädchen unterhält, wenn die Mutter nicht dabei ist! Das darf in Zukunft nicht mehr vorkommen.«

»Sie ist mit mir verlobt«, erinnerte Pjotr.

»Das bleibt sich gleich, – wir haben unsere eigenen Sitten«, sagte die Bajmakowa, fragte sich aber selbst dabei:

»Weswegen bin ich zornig? Sollen die jungen Leute sich denn nicht herzen? Das ist nicht recht. Es ist, als ob ich meine eigene Tochter beneidete.«

In der Stube riß sie dennoch die Tochter schmerzhaft am Zopf und verbot ihr, mit dem Bräutigam unter vier Augen zu sprechen. »Wenn er dir auch angelobt ist, aber – es kommt Regen, es kommt Schnee, es gibt oder es gibt keine Eh'«, sagte sie streng.

Eine unbestimmte Unruhe trübte ihre Gedanken; nach einigen Tagen ging sie zur Jerdanskaja, um sich wahrsagen zu lassen. Zu der dicken, an eine Kirchenglocke erinnernden Wahrsagerin mit dem Kropf trugen alle Frauen der Stadt ihre Sünden, Ängste und Kränkungen. »Da gibt es nichts weiter zu prophezeien«, sagte die Jerdanskaja. »Ich will dir gerade heraus sagen, mein Herz: halte dich an diesen Mann. Meine Augen steigen mir nicht umsonst bis in die Stirn – ich kenne die Menschen, ich durchschaue sie wie mein Spiel Karten. Sieh doch, wie ihm alles gelingt, alle Geschäfte rollen bei ihm wie eine Kugel, unsere Leute lassen vor Zorn und Neid nur ihren Speichel rinnen. Nein, mein Herz, fürchte dich nicht vor ihm, er lebt nicht wie ein Fuchs, sondern wie ein Bär.«

»Ja, das ist es eben, – wie ein Bär«, stimmte die Witwe bei und erzählte seufzend der Wahrsagerin: »Ich fürchte mich, ich bin gleich beim erstenmal, als er um meine Tochter freite, so erschrocken. Er ist plötzlich, von niemandem gekannt, wie aus einer Wolke heruntergefallen und wollte sich in die Familie eindrängen. Macht man es denn so? Ich weiß noch, – wie er sprach und ich ihm in die frechen Augen sah, mußte ich zu allen seinen Worten ja sagen und mit allem einverstanden sein, als hätte er mich an der Kehle gepackt.«

»Das bedeutet, daß er an seine Kraft glaubt«, erklärte die weise Hostienbäckerin.

Das alles beruhigte jedoch die Bajmakowa nicht, obwohl die Wahrsagerin, die sie aus ihrem dunklen, vom schwülen Heilkräutergeruch gesättigten Zimmer hinausbegleitete, ihr zum Abschied sagte:

»Merke dir: die Dummen haben nur im Märchen Glück … «

Sie lobte Artamonow verdächtig laut, so laut und oft, daß sie bestochen zu sein schien. Dagegen sprach die große, dunkle, und wie ein gesalzener Zander aussehende Matriona ganz anders: »Die ganze Stadt seufzt und stöhnt deinetwegen, Uljana. Wieso fürchtest du dich vor den Fremden nicht? Oh, sei auf der Hut! Nicht umsonst ist der eine Bursche bucklig, – die Eltern haben wohl nicht wenig gesündigt, daß er als Krüppel geboren wurde … «

Die Witwe Bajmakowa hatte es schwer, und sie schlug ihre Tochter immer öfter, obwohl sie selbst fühlte, daß sie ihr grundlos zürnte. Sie bemühte sich, ihre Mieter möglichst selten zu sehen. Diese Menschen standen ihr immer häufiger im Wege und verdüsterten durch Unruhe ihr Leben.

Unmerklich war der Winter herangeschlichen und überfiel die Stadt mit dröhnenden Schneestürmen und heftigen Frösten; er verschüttete Straßen und Häuser mit zuckrigen Schneehügeln, setzte den Starhäusern und Kirchturmspitzen Mützen aus Watte auf und schmiedete die Flüsse und das rostige Sumpfwasser in weißes Eisen. Auf dem Eise der Oka wurden Faustkämpfe der Bürger mit den Bauern der umliegenden Dörfer abgehalten. Alexej beteiligte sich an jedem Feiertag an den Kämpfen und kehrte immer zornig und verprügelt nach Hause zurück.

»Wie steht's, Alexej?« fragte Artamonow. »Die Kämpfer hier sind wohl geschickter als die unsrigen?«

Alexej rieb sich die blutunterlaufenen Stellen mit einer Kupfermünze oder mit Eisstücken und schwieg düster, mit den Habichtsaugen funkelnd. Pjotr aber sagte einmal:

»Alexej kämpft geschickt; er wird aber von den eigenen Leuten, den Städtern, geschlagen.«

Ilja Artamonow legte die Faust auf den Tisch und fragte:

»Weswegen?«

»Man liebt uns nicht.«

»Wen? Den Jakow?«

»Uns allesamt liebt man nicht.«

Der Vater schlug mit der Faust auf den Tisch, daß das Licht aus dem Leuchter sprang und erlosch. Im Dunkel schrie er:

»Was sprichst du mir wie ein Mädel immer von Liebe? Ich will solche Worte nicht mehr hören!«

Nikita zündete das Licht wieder an und sagte leise:

»Alexej sollte lieber nicht zu diesen Kämpfen gehen.«

»Damit die Leute spotten: Artamonow hat Angst gekriegt! Schweig, du Mesner! Rotzjunge!«

Nachdem Ilja alle ausgeschimpft hatte, sagte er nach einigen Tagen beim Abendbrot mit freundlichem Brummen:

»Kinder, ihr solltet Bären jagen gehen, das ist ein schöner Zeitvertreib! Ich bin immer mit dem Fürsten Georgi in die Riasaner Wälder gegangen, – da haben wir dem Bärenvolk mit dem Baumspieß den Garaus gemacht. Das war interessant!«

Er kam in Stimmung und erzählte einige Fälle von glücklichen Jagdabenteuern. Nach einer Woche begab er sich mit Pjotr und Alexej in den Wald und tötete einen stämmigen alten Bären. Darauf gingen die Brüder allein hin und jagten die Bärin auf, sie zerriß Alexej die Pelzjoppe und zerkratzte ihm die Hüfte, die Brüder überwältigten sie aber und brachten ein paar Bärenjunge mit heim, das getötete Tier aber ließen sie den Wölfen zur Mahlzeit …

»Nun, wie leben deine Artamonows?« fragten die Städter die Bajmakowa.

»Es geht, ganz gut.«

»Ja, ja, – im Winter ist das Schwein ruhig«, bemerkte Pomialow.

Die Witwe wollte es nicht glauben, fühlte aber doch, daß das feindselige Verhalten gegen die Artamonows sie seit einiger Zeit kränkte, und daß dieses Übelwollen auch sie selbst frostig anwehte. Sie sah, daß die Artamonows sich nicht betranken und einig lebten, hartnäckig ihren Geschäften nachgingen und daß man ihnen nichts Schlechtes nachsagen konnte. Sie überwachte scharf ihre Tochter und Pjotr und überzeugte sich, daß der schweigsame, stämmige Bursche sich über sein Alter hinaus ernst benahm. Er bemühte sich nicht, Natalia in einer dunklen Ecke an sich zu pressen, sie zu kitzeln und ihr unanständige Worte ins Ohr zu flüstern, wie es alle Verlobten in der Stadt machten. Das ihr unverständliche zurückhaltende, aber besorgte und anscheinend sogar eifersüchtige Verhalten Pjotrs ihrer Tochter gegenüber beunruhigte sie aber etwas.

»Er wird kein zärtlicher Mann werden.«

Einmal, als sie die Treppe herunterkam, hörte sie unten im Flur die Stimme der Tochter:

»Geht ihr wieder auf Bärenjagd?«

»Wir haben die Absicht. Warum?«

»Es ist so gefährlich. Ein Bär hat doch mal Alexej verwundet!«

»Das ist seine eigene Schuld! Man darf eben nicht hitzig werden. – Sie denken also an mich?«

»Ich habe von Ihnen gar nichts gesagt.«

»So eine Schelmin!« dachte die Mutter, lachend und seufzend. »Und er ist ein Einfaltspinsel.«

Ilja Artamonow sagte ihr immer beharrlicher: »Beeile dich mit der Hochzeit, sonst beeilen sie sich selbst.«

Sie sah, daß Eile not tat. Das Mädchen schlief des Nachts schlecht und konnte ihr körperliches Sehnen nicht mehr verbergen. Zu Ostern brachte sie sie wieder ins Kloster, und als sie einen Monat später heimkehrte, sah sie, daß ihr bis dahin vernachlässigter Garten schön gepflegt war: die Wege waren gejätet, die Baumflechten entfernt, die Beerensträucher beschnitten und festgebunden, und alles war von einer erfahrenen Hand ausgeführt. Als sie den Weg zum Fluß hinunterging, bemerkte sie, daß Nikita, der Bucklige, den vom Frühlingshochwasser unterwaschenen Zaun ausbesserte. Unter dem langen, bis an die Knie reichenden Leinenhemd ragte kläglich der knochige Buckel in die Höhe, der den großen Kopf mit den schlichten hellen Haaren fast verbarg; Nikita hatte sie mit einem Birkenzweig festgebunden, damit sie ihm nicht ins Gesicht fielen. Er erschien inmitten des saftigen Grüns grau und erinnerte an einen alten Einsiedler, der sich bis zur Selbstvergessenheit von der Arbeit hinreißen läßt; er schwang die in der Sonne silbern schimmernde Axt, hieb geschickt einen Pfahl zurecht und sang leise, mit der dünnen Stimme eines Mädchens etwas Kirchliches. Hinter dem Zaun schimmerte grünlich das seidige Wasser, auf dem goldene Sonnenreflexe wie Karauschen spielten.

»Gott zum Gruß!« sagte Uljana mit einer ihr selbst unerwarteten Rührung. Nikita strahlte sie mit dem sanften Leuchten seiner blauen Augen an und erwiderte freundlich:

»Gott zur Hilfe!«

»Hast du den Garten so hergerichtet?«

»Ja.«

»Das hast du aber schön gemacht. Liebst du Gärten?«

Er erzählte kniend in kurzen Worten, sein Herr habe ihn mit neun Jahren zum Gärtner in die Lehre gegeben, und jetzt sei er neunzehn.

»Er ist bucklig, scheint aber nicht böse zu sein«, dachte Uljana.

Als sie am Abend mit ihrer Tochter oben Tee trank, erschien Nikita mit einem Blumenstrauß in der Hand und mit einem Lächeln auf seinem gelblichen, häßlichen, unfrohen Gesicht.

»Belieben Sie diesen Strauß anzunehmen!«

»Wozu das?« staunte die Bajmakowa und betrachtete mißtrauisch die hübsch zusammengestellten Blumen und Gräser. Nikita erklärte ihr, er hätte bei seiner Herrschaft jeden Morgen der Fürstin Blumen bringen müssen.

»So?« sagte die Bajmakowa und hob, leicht errötend, stolz den Kopf.

»Sehe ich denn aus wie eine Fürstin? Sie war wohl sehr schön?«

»Sie sind es ja auch!«

Die Bajmakowa dachte, noch heftiger errötend:

»Am Ende hat der Vater es ihm beigebracht?« –»Nun, also ich danke für die Ehre«, sagte sie, lud Nikita aber nicht zum Tee ein, und als er fort war, dachte sie laut:

»Er hat schöne Augen, – die sind nicht vom Vater, sondern wohl von der Mutter.«

Und sie seufzte:

»Es scheint unser Schicksal zu sein, mit ihnen zu leben.«

Sie redete Artamonow nicht allzusehr zu, mit der Hochzeit bis zum Herbst zu warten, damit das Jahr seit dem Sterbetag ihres Mannes um wäre, sondern erklärte mit Entschiedenheit dem Gevatter:

»Laß du aber dabei deine Hand aus dem Spiel, Ilja Wasiljewitsch! Ich will alles nach unserer schönen, alten Sitte machen. Das ist auch für dich gut: du kommst dadurch mit einemmal unter unsere angesehensten Leute und wirst von allen beachtet werden.«

»Nun,« brummte Artamonow stolz, »man sieht mich auch ohnehin von weitem.«

Sein Hochmut verletzte sie, und sie sprach:

»Man liebt dich hier nicht.«

»Nun, dann wird man mich eben fürchten!«

Und er fügte lächelnd, mit Achselzucken, hinzu:

»Auch Pjotr kommt mir immer mit dieser – Liebe. Ihr seid wunderliche Leute … «

»Ich werde auch schon merklich von dieser Abneigung berührt.«

»Beunruhige dich nicht, Gevatterin!«

Artamonow hob seine lange Pranke und preßte die Finger so fest zur Faust zusammen, daß sie rot wurden.

»Ich verstehe es, die Menschen klein zu kriegen! Man wird nicht lange um mich herumspringen, – ich komme auch ohne Liebe aus … «

Sie schwieg und dachte mit banger Unruhe:

»Was ist er für ein wildes Tier.«

Nun war ihr gemütliches Haus von den Freundinnen der Tochter, Mädchen aus den besten Familien der Stadt, bevölkert; sie trugen alle altertümliche Brokatsarafane, mit weißen, blasenförmigen Ärmeln aus Mull und dünnem Leinen, mit Einsätzen und mordwinischer Seidenstickerei, und mit Spitzen an den Handgelenken. Sie hatten ziegenlederne oder Saffianschuhe an und hatten sich Bänder in die langen Mädchenzöpfe geflochten. Die Braut erstickte schier in dem schweren Sarafan aus Silberbrokat mit vergoldeten, durchbrochenen Knöpfen vom Kragen bis zum unteren Saum und in dem Umhang aus Goldbrokat, mit weißen und blauen Bändern um die Schultern. Wie zu Eis erstarrt sitzt sie in der vorderen Ecke der Stube, wischt sich mit dem Spitzentuch das schweißige Gesicht und führt laut den Chor an:

»Über die Wiesen, die grü–ünen, Über die Blumen, die blauen, Strömt das Frühlingsgewässer, Die kühle, ach, die trübe Flut … «

Die Freundinnen fallen klangvoll und einig in das ersterbende Stöhnen der Mädchenklage ein:

»Mich, Jungfrau, schickt man Wasser zu holen, Barfuß und unbeschuht, Ach, nackend und ohne Kleid … «

Alexej lacht und schreit, unsichtbar in dem Haufen der Mädchen:

»Das ist ein komisches Lied! Man hat das Mädchen in Brokat gesteckt wie eine Pute in einen Blecheimer, und ihr schreit: nackend und ohne Kleid!«

Nikita sitzt in der Nähe der Braut; sein neues, blaues Wams ist ihm häßlich, lächerlich vom Buckel in den Nacken gerutscht, seine blauen Augen sind weit geöffnet und blicken Natalia so seltsam an, als fürchtete er, das Mädchen würde sich gleich in nichts auflösen und verschwinden. In der Tür steht, den Rahmen ganz ausfüllend, Matriona Barskaja, rollt die Augen und läßt ihren tiefen Baß ertönen:

»Ihr jammert zu wenig beim Singen, Mädchen!«

Sie macht einen weiten Pferdeschritt und schärft streng ein, wie man nach altem Herkommen zu singen hat, und wie man mit Zittern und Zagen sich zur Trauung vorbereitet.

»Es heißt; ›beim Manne sitzest du wie hinter einer steinernen Mauer‹. Merkt es euch aber: die Mauer ist stark, man kann sie nicht durchhauen, sie ist hoch, man kann nicht hinüberspringen!«

Doch die Mädchen hören ihr nicht recht zu; im Zimmer ist es eng und heiß, sie stoßen die Alte weg und laufen auf den Hof hinaus in den Garten. In ihrer Mitte erscheint, wie eine Biene unter Blumen, Alexej in einem goldfarbenen Seidenhemd und in Pluderhosen aus Plüsch; er ist lustig und lärmt wie ein Betrunkener.

Die Barskaja wirft gekränkt die dicken Lippen auf, glotzt ringsum und begibt sich, den Saum ihres Damastrockes vorn hochhebend, nach oben zu Uljana, der sie prophezeit:

»Deine Tochter ist fröhlich, das ist gegen Vorschrift und Sitte. Fröhlicher Anfang bedeutet ein böses Ende.«

Die Bajmakowa stöbert besorgt im großen, eisenbeschlagenen Koffer herum, vor dem sie kniet; neben ihr, auf der Erde und auf dem Bett ist, wie in einer Jahrmarktsbude, ein Durcheinander von Damast- und Taffetstücken, von Moskauer Kattun, Kaschmirschals, Bändern und gestickten Handtüchern, ein breiter Sonnenstrahl fällt auf die grellen Stoffe, und sie leuchten in bunten Farben wie eine Wolke im Abendrot.

»Es gehört sich für den Bräutigam nicht, vor der Trauung im Hause der Braut zu wohnen. Die Artamonows sollten ausziehen … «

»Das hättest du vorher sagen sollen, jetzt ist es zu spät«, brummt Uljana, über den Koffer geneigt, um ihr gekränktes Gesicht zu verbergen, und sie hört die Baßstimme:

»Es hieß von dir, du wärest klug, darum schwieg ich. Ich dachte, du kämst von selbst darauf. Was macht es mir? Für mich handelt es sich nur darum, die Wahrheit zu sagen; wenn die Menschen sie auch nicht annehmen wollen, rechnet der Herrgott es mir doch an.«

Die Barskaja steht wie ein Monument da, ohne den Kopf zu bewegen, als wäre er eine bis an den Rand mit Weisheit gefüllte Schale. Da sie keine Antwort erhält, schiebt sie sich zur Tür hinaus, während Uljana in dem farbigen Feuer der Gewebe kniet und sehnsüchtig und ängstlich flüstert:

»Herr – hilf! Nimm mir nicht den Verstand.«

Wieder ein Rascheln an der Tür, sie steckt eilig den Kopf in den Koffer, um die Tränen zu verbergen. Nikita erscheint:

»Natalia Jewsewna schickt mich, um nachzufragen, ob Sie nicht irgendwelche Hilfe benötigen.«

»Ich danke, mein Lieber … «

»Olgunka Orlowa hat sich in der Küche mit Sirup begossen.«

»So, was du nicht sagst? Ein kluges Mädelchen, –das wäre eine Braut für dich … «.

»Wer würde mich denn nehmen ? … «

Und im Garten unter der Linde sitzen am runden Tisch beim Bier Ilja Artamonow, Gawrila Barski, der Taufpate der Braut, Pomialow, der Lederhändler Shitejkin, ein Mensch mit leeren Augen, und der Stellmacher Woroponow. An den Stamm der Linde gelehnt, steht Pjotr, seine dunklen Haare sind reichlich eingefettet, und der Kopf erscheint wie aus Eisen, – er lauscht ehrerbietig der Unterhaltung der Älteren.

»Ihr habt andere Sitten«, sagt der Vater nachdenklich, und Pomialow prahlt:

»Wir sind ja hier das erbeingesessene Volk, wir sind Großrussen!«

»Auch wir sind nicht von heute.«

»Wir haben uralte Gebräuche … «

»Es sind viele Mordwinen und Tschuwaschen da … «

Kreischend, lachend und sich drängend liefen die Mädchen in den Garten, umringten den Tisch als ein bunter Kranz von Sarafans und begannen das Preislied:

»Heil, Ilja Wasiljewitsch, Verehrter Gevatter, Auf der ersten Stufe brichst du dir ein Bein, Auf der zweiten Stufe brichst du dir das zweite, Aber auf der dritten brichst du dir den Kopf.«

»Das soll ein Preislied sein!« rief Artamonow erstaunt, sich an seinen Sohn wendend. Pjotr lächelte vorsichtig, betrachtete die Mädchen und zupfte sich am Ohr.

»Hör' nur zu!« rief Barski lachend.

»Noch zu wenig ist's für ihn, Für den Mädchenräuber … «

»Noch zu wenig?« rief Artamonow erregt und sichtlich verlegen und klopfte mit den Fingern auf den Tisch.

Und die Mädchen singen erregt:

»Man schleife dich mit der scharfen Egg' Man stürze dich vom Berg auf Gestein, Auf daß du uns nicht betrügst, Und nicht lobst, nicht preist, Die fernen, fremden Länder, Die menschenleeren Dörfer, – Sie sind mit Kummer besät Und mit Tränen begossen … «

»Das ist es also!« rief Artamonow beleidigt. »Nun, Mädchen, seid nicht böse, ich werde aber doch mein Land preisen: wir haben sanftere Sitten, und unser Volk ist freundlicher. Wir haben sogar einen Spruch: ›Die Swapa und Usosha fließen in den Sejm, Gott sei gepriesen, aber nicht in die Oka!‹«

»Na warte nur, du kennst uns noch nicht«, sagte Barski halb prahlend, halb drohend. »Nun, beschenke die Mädchen!«

»Wieviel soll ich ihnen geben?«

»Soviel du ihnen im Herzen gönnst.«

Als Artamonow den Mädchen aber zwei Silberrubel gab, sagte Pomialow zornig:

»Du hast eine lockere Hand, du Protz!«

»Es ist schwer, es euch recht zu machen!« schrie Ilja auch zornig, und Barski brach in ein dröhnendes Gelächter aus, während Shitejkins Lachen kurz und scharf die Luft durchdrang.

Der Polterabend endete beim Morgengrauen. Die Gäste waren gegangen, fast alle im Hause schliefen. Artamonow saß mit Pjotr und Nikita im Garten, glättete sich den Bart und sprach leise, während seine Augen durch den Garten schweiften und über die rosigen Wolken glitten:

»Ein herbes Volk! Ein unfreundliches Volk! Petrucha, du mußt alles tun, was deine Schwiegermutter will; wenn es auch Weiberdummheiten sein sollten, es muß trotzdem geschehen! Begleitet Alexej die Mädchen? Den Mädchen ist er angenehm, den Burschen aber nicht. Barskis Söhnchen wirft ihm böse Blicke zu … jawohl! Du mußt freundlicher sein, Nikita, du verstehst das. Du mußt deinem Vater als Kitt dienen; wenn durch mich irgendwo ein Sprung entsteht, mußt du ihn verschmieren.«

Er blickte mit einem Auge in die große Holzkanne und fuhr mürrisch fort:

»Sie haben alles ausgesoffen; sie trinken wie Pferde. Was meinst du, Pjotr?«

Der Sohn ließ den seidnen Gürtel, ein Geschenk der Braut, durch die Hände gleiten und sagte leise:

»Im Dorf ist es einfacher und ruhiger zu leben.«

»Ja … es ist am einfachsten, wenn man den Tag durchschläft … «

»Sie ziehen die Hochzeit so hinaus … «

»Gedulde dich.«

Endlich brach der große und schwere Tag für Pjotr an. Pjotr sitzt in der Vorderecke der Stube und weiß, daß seine Stirne finster zusammengezogen und gerunzelt ist, er fühlt, daß ihn das in den Augen der Braut nicht verschönt; er kann aber die Brauen nicht voneinander trennen, als wären sie mit einem festen Faden zusammengenäht. Er blickt die Gäste unfreundlich an und schüttelt das Haar; Hopfen wird auf den Tisch und auf Natalias Brautschleier gestreut, auch sie läßt den Kopf hängen und schließt müde die Augen; sie ist sehr bleich, ängstlich wie ein Kind und zittert vor Scham.

»Bitter!« brüllen zum zwanzigsten Male die roten, haarigen, grinsenden Fratzen.

Pjotr wendet sich mit steifem Hals wie ein Wolf um, hebt den Schleier und stößt die trockenen Lippen und die Nase gegen ihre Wange, wobei er die Atlaskühle ihrer Haut und das ängstliche Zittern der Schulter fühlt; Natalia tut ihm leid, und auch er schämt sich, während der dichte Ring der angeheiterten Menschen brüllt:

»Der Bursche versteht es nicht!«

»Richtig auf die Lippen!«

»Ach, ich würde schon richtig küssen … «

Eine betrunkene Frauenstimme kreischt:

»Ich werde dich das Küssen schon lehren!«

»Bitter!« brüllt Barski. Pjotr beißt die Zähne zusammen und berührt die feuchten, zitternden Lippen des Mädchens. Sie ist ganz weiß und scheint wie eine Wolke in der Sonne hinzuschmelzen. Sie sind beide hungrig, man hat ihnen seit gestern nichts zu essen gegeben. Von der Aufregung, von dem scharfen Alkoholgeruch und von zwei Gläsern Donschaumwein fühlt Pjotr sich trunken und fürchtet, seine junge Frau könnte es merken. Alles ringsum wogt und verschwimmt zu einem bunten Haufen, um dann nach allen Seiten zurückzufluten und sich in die roten Blasen unangenehmer Fratzen zu verwandeln. Der Sohn betrachtet zornig und flehend den Vater, Ilja Artamonow ist zerzaust und feuerrot und schreit, in das rosige Gesicht der Bajmakowa blickend:

»Gevatterin, wir wollen mit Met anstoßen! Dein Met ist so süß wie die Hausfrau selbst … «

Sie streckt den vollen weißen Arm aus, das goldene Armband mit den bunten Steinen funkelt in der Sonne, und auf der hohen Brust schillern wie Wassertropfen die Perlen. Auch sie hat getrunken, in ihren grauen Augen spielt ein schmachtendes Lächeln, und die halbgeöffneten Lippen bewegen sich verführerisch. Nach dem Anstoßen trinkt sie und verneigt sich vor dem Gevatter, der entzückt den zottigen Kopf schüttelt und brüllt:

»Was du für eine Art hast, Gevatterin! Ein fürstliches Gehaben, Gott strafe mich!«

Pjotr begreift dunkel, daß der Vater sich ungehörig benimmt; er fängt wachsam im betrunkenen Brüllen der Gäste Pomialows höhnische Rufe, die vorwurfsvolle Baßstimme der Barskaja und Shitejkins dünnes Lachen auf. »Das ist keine Hochzeit, sondern ein Gericht«, denkt er und hört:

»Schaut, wie dieser Teufel die Uljana betrachtet, ach, ach!«

»Es kommt noch zu einer Hochzeit, aber ohne Popen … «

Diese Worte dringen ihm für einen Augenblick ins Ohr, er vergißt sie aber sogleich, wenn Natalia ihn mit dem Knie oder dem Ellbogen berührt und in seinem ganzen Körper ein unruhiges Sehnen hervorruft. Er bemüht sich, sie nicht anzublicken und hält den Kopf unbeweglich; er kann aber mit seinen Augen nicht fertig werden, die hartnäckig zu ihr hinüberschielen.

»Wird das bald ein Ende haben?« flüstert er. Natalia antwortet ebenso:

»Ich weiß nicht.«

»Man muß sich ja schämen … «

»Ja«, hört er und freut sich, daß seine junge Frau ebenso wie er fühlt.

Alexej ist bei den Mädchen, sie schmausen im Garten; Nikita sitzt neben dem langen Popen, der einen nassen Bart, und kupferfarbige Augen im pockennarbigen Gesicht hat. Vom Hof und von der Straße schauen die Stadtbewohner zu den offenen Fenstern herein, Dutzende von Köpfen bewegen sich in der blauen Luft und lösen einander jeden Augenblick ab; die geöffneten Mäuler flüstern, zischen, schreien; die Fenster scheinen Säcke zu sein, aus welchen diese lärmenden Köpfe sofort wie Melonen ins Zimmer rollen werden. Nikita fällt besonders der Kopf des Erdarbeiters Tichon Wialow auf; dessen Gesicht hatte breite Backenknochen, rote Flecken und war mit rötlichem, dichten Haar bewachsen. Die auf den ersten Blick farblos erscheinenden Augen flimmerten seltsam und zwinkerten, es bewegten sich aber nur die Pupillen, während die Wimpern regungslos blieben. Auch die dünnen, eigensinnig aufeinander gepreßten Lippen des nicht zu großen, vom krausen Schnurrbart nur leicht verhüllten Mundes waren regungslos. Die Ohren lagen aber häßlich an dem Schädel an. Dieser Mensch stützte sich mit der Brust auf das Fensterbrett und lärmte und schimpfte nicht, wenn man ihn wegzustoßen versuchte, sondern er schob die andern mit einer leisen Bewegung der Achseln und Ellenbogen weg. Seine Schultern waren hoch gewölbt, der Hals verschwand in ihnen und der Kopf wuchs gleichsam aus der Brust heraus, so daß auch er bucklig erschien, und Nikita glaubte in seinem Gesicht etwas Einnehmendes und Gütiges zu sehen.

Ein krummbeiniger Bursche schlug unerwartet und laut ins Tamburin und strich mit dem Finger fest über das Leder; das Tamburin weinte und dröhnte, jemand pfiff und breitete eine zweireihige Harmonika auf den Knien aus, und sogleich drehte sich und stampfte mitten im Zimmer der kleine, rundliche und lockige Brautführer Stepascha Barski und schrie im Takt der Musik:

»He, ihr Mädchen, meine Gegnerinnen, Schelminnen und Reigentänzerinnen! Hört ihr meiner Münzen helles Klingen, Tretet vor und stellt euch vor mich hin!«

Sein Vater richtete sich in seiner ganzen riesigen Größe auf und brüllte:

»Stepascha! Blamiere nicht die Stadt, zeig' es jenen Hühnchen!«

Da sprang Ilja Artamonow auf, schüttelte den wie einen Besen zerzausten Kopf, das Blut strömte ihm ins Gesicht, die Nase war rot wie eine Kohle, und er brüllte Barski ins Gesicht:

»Wir sind keine Hühnchen, wir stammen aus Kursk! Wir wollen noch sehen, wer beim Tanzen den kürzeren zieht! Aljoscha!«

Alexej strahlte, als wäre er lackiert, betrachtete lächelnd den Driomower Tänzer und ging, auf einmal erbleichend, unfaßbar schnell und auf Mädchenart kreischend los.

»Er kennt keine Reime!« schrien die Driomower, und sofort ertönte Artamonows verzweifeltes Brüllen:

»Aljoscha, ich bringe dich um!«

Ohne stehenzubleiben und im Herumwirbeln innezuhalten, steckte Alexej zwei Finger in den Mund, pfiff gellend und sprach klangvoll: »Bei dem Herren, bei Mokejen Waren fünferlei Lakaien, Aber jetzt ist Herr Mokej Selber auch nur ein Lakai!«

»Da habt ihr's!«, brüllte Artamonow triumphierend.

»Oho!« rief der Pope vielsagend und schüttelte mit erhobenem Finger den Kopf.

»Alexej wird euren Burschen in Grund und Boden tanzen«, sagte Pjotr zu Natalia. Sie antwortete schüchtern:

»Er ist so leichtfüßig.«

Die Väter hetzten die Söhne wie Kampfhähne aufeinander, sie standen halb betrunken Schulter an Schulter beieinander, der eine war groß und plump wie ein Mehlsack, und aus seinen schmalen, roten Ritzen unter den Brauen flossen reichlich die Tränen trunkenen Entzückens. Der andere hatte sich gestrafft, als wäre er im Begriff loszuspringen, bewegte die langen Arme, streichelte sich die Hüften und seine Augen blickten wie wahnsinnig. Pjotr sah, daß sich der Bart des Vaters auf den Backenknochen bewegte und sagte sich:

»Er knirscht mit den Zähnen. Gleich haut er auf jemanden los… «

»Der Artamonowsche tanzt häßlich!«, ertönte die Trompetenstimme der Matriona Barskaja. »Er tanzt kläglich! Ohne Figuren!«

Ilja Artamonow lacht ihr ins dunkle, wie eine Pfanne runde Gesicht und in die breite Nase hinein, – Alexej hat gesiegt, Barskis Sohn wankt zur Tür, während Ilja die Bajmakowa grob bei der Hand packt und befiehlt:

»Nun, Gevatterin, komm heraus!«

Sie wehrt bleich mit der freien Hand ab und versucht zornig und bestürzt sich loszureißen:

»Was hast du! Ziemt es sich denn für mich ? Was fällt dir ein?«

Die Gäste verstummten schmunzelnd, Pomialow wechselte mit der Barskaja einen Blick, und seine Worte zischten schmalzig:

»Nun, das macht nichts! Erfreue uns, Uljana, tanze! Gott wird verzeihen… «

»Ich nehme die Sünde auf mich!« schrie Artamonow. Er schien nüchtern zu werden, zog die Stirne kraus, als hätte er einen Kampf zu bestehen, und bewegte sich gleichsam gegen seinen Willen. Die Bajmakowa wurde ihm entgegengeschoben, die angeheiterte Frau wankte, stolperte, richtete sich dann auf, warf den Kopf zurück und drehte sich im Kreise.

Pjotr hörte erstauntes Geflüster:

»Ach, du mein Gott! Der Mann hegt noch nicht einmal ein Jahr unter der Erde, sie hat aber schon die Tochter verheiratet und tanzt selber!«

Er sah seine Frau nicht an, fühlte aber, daß sie sich für die Mutter schämte und murmelte:

»Der Vater sollte nicht tanzen.«

»Auch die Mutter sollte das nicht tun«, erwiderte sie leise und traurig. Sie war auf die Bank gestiegen und blickte über die Köpfe der einen dichten Kreis bildenden Menschen hinweg, sie verlor das Gleichgewicht und hielt sich mit der Hand an Pjotrs Schulter fest.

»Vorsicht«, sagte er freundlich, ihren Ellbogen stützend.

Durch die offenen Fenster schwebte über den Häuptern der Zuschauer der Widerschein der Abendröte herein, und in diesem rötlichen Licht drehten sich der Mann und die Frau wie Blinde. Im Garten, im Hof und auf der Straße hörte man lachen und schreien, im schwülen Zimmer wurde es aber immer stiller. Das straff gespannte Leder des Tamburins erklang in seltsam dumpfen Tönen, die Harmonika dröhnte, und die beiden flogen noch immer, wie von Flammen erfaßt, krampfhaft im engen Kreise der Burschen und Mädchen herum. Diese sahen dem Tanze schweigend und ernst zu, als handelte es sich um eine außerordentlich wichtige Angelegenheit, die gesetzten Leute waren teilweise in den Hof gegangen, und es blieben nur die Benebelten und die vor Trunkenheit gänzlich Unbeweglichen zurück.

Artamonow stampfte noch einmal auf und hielt inne:

»Nun, du hast mich ganz atemlos gemacht, Uljana Iwanowna!«

Die Frau zuckte zusammen, blieb auch plötzlich wie vor einer Mauer stehen und sagte, sich vor allen im Kreise verneigend:

»Nehmt es mir nicht übel.«

Sie fächelte sich mit dem Taschentuch und verließ sogleich das Zimmer, in das sich statt ihrer die Barskaja hineinschob:

»Das Paar muß jetzt getrennt werden! Nun, Pjotr, komm zu mir; Bräutigamsführer, faßt ihn bei den Händen!«

Der Vater stieß die Führer weg und umschlang die Schultern seines Sohnes mit den langen, schweren Armen:

»Nun geh', Gott gebe dir Glück! Wir wollen einander umarmen!«

Er schob ihn fort, die Führer faßten ihn unter den Armen, die Barskaja ging voran und murmelte, nach allen Seiten ausspuckend:

»Pfu, pfu! Keine Krankheit, kein Kummer, kein Neid, keine Unehre, pfu! Feuer, Wasser Zur rechten Zeit, nicht zum Unheil, zum Glück!«

Als Pjotr ihr in Natalias Zimmer folgte, in dem ein prunkvolles Bett vorbereitet war, ließ sich die Alte schwer auf einen Stuhl mitten im Zimmer sinken.

»Höre und vergiß es nicht!« sprach sie feierlich. »Da hast du zwei halbe Rubel, leg sie unter die Fersen, in die Stiefel; wenn Natalia kommt und dir die Stiefel ausziehen will, laß es sie nicht tun … «

»Wozu ist das ?« fragte Pjotr finster.

»Das ist nicht deine Sache. Dreimal weigerst du dich, beim viertenmal erlaubst du es ihr; sie wird dich dreimal küssen, dann gib ihr die Münzen und sprich: 'ich schenke es dir, meine Sklavin, mein Schicksal!' Vergiß es nicht! Zieh dich dann aus und leg dich mit dem Rücken zu ihr hin, sie wird dich aber bitten: 'laß mich zu Bett gehen!' Dann mußt du schweigen und ihr erst beim drittenmal die Hand hinstrecken. Hast du verstanden ? Nun, und dann… «

Pjotr blickte erstaunt in das breite, dunkle Gesicht seiner Lehrmeisterin. Sie leckte sich, mit geblähten Nüstern, die Lippen, wischte sich mit dem Tuch das fette Kinn und den Hals und sprach deutlich rohe, schamlose Worte, indem sie zum Abschied wiederholte: »Glaube ihrem Schreien und Weinen nicht«, dann wankte sie aus dem Zimmer und ließ einen Schnapsgeruch zurück, Pjotr bekam aber einen Zornanfall, – er riß sich die Stiefel von den Füßen, schleuderte sie unter das Bett, entkleidete sich rasch und sprang auf das Lager wie auf ein Pferd. Er biß die Zähne zusammen und fürchtete, infolge der allzu großen Kränkung, die an ihm würgte, in Tränen auszubrechen.

»Diese Teufel!«

Auf den Daunenbetten war es heiß; er sprang auf die Erde, trat ans Fenster und riß es auf, aus dem Garten klang ihm betrunkenes Schreien, Lachen und Mädchengekreisch entgegen; im bläulichen Dunkel, zwischen den Bäumen irrten schwarze menschliche Gestalten herum. Die dünne Spitze des Nikolausturmes stach wie ein Finger aus Messing in den Himmel; es war kein Kreuz darauf, man hatte es zum Vergolden abgenommen. Hinter den Häuserdächern schimmerte traurig die Oka, über der ein Stück des Mondes dahinschmolz – und in der Ferne lagen die schwarzen Massen endloser Wälder. Ihm fiel ein anderes Land ein, – die weite Erde goldener Äcker; er seufzte, auf der Treppe wurde gestampft und gekichert; er sprang wieder ins Bett, die Tür ging auf, es raschelten seidene Bänder, Schuhe knarrten, jemand weinte unter Aufschluchzen; es klappte der vorgelegte Türhaken. Pjotr hob behutsam den Kopf, im Dunkel stand eine weiße Gestalt an der Tür, bewegte gemessen die Hand und verneigte sich fast bis zur Erde.

»Sie betet. Und ich habe nicht gebetet.«

Er hatte aber nicht den Wunsch zu beten.

»Natalia Jewsejewna,« begann er leise, »fürchte dich nicht. Ich habe selbst Angst. Ich bin ganz matt.«

Er strich sich mit beiden Händen die Haare glatt, zupfte sich am Ohr und murmelte:

»Das ist alles nicht nötig, das Stiefelausziehen und all das. Das ist Unsinn. Mir tut das Herz weh, und sie kommt mit diesen Possen. Weine nicht!«

Sie schritt vorsichtig seitwärts zum Fenster hin und sagte leise:

»Sie feiern immer noch … «

»Ja.«

Sie fürchteten sich vor etwas, wagten nicht einander nahezukommen, waren beide müde und wechselten lange überflüssige Worte. Beim Morgengrauen knarrte die Treppe, jemand tastete mit der Hand die Wand entlang, Natalia ging zur Tür.

»Laß die Barskaja nicht herein«, flüsterte Pjotr.

»Das ist die Mutter«, sagte Natalia, die Tür öffnend.

Pjotr setzte sich auf dem Bett auf und ließ die Beine herabhängen. Er war mit sich unzufrieden und dachte voll Bangigkeit:

»Ich bin nichts wert, ich habe es nicht gewagt, ich werde noch erleben daß sie mich auslacht … «

Die Tür ging auf, Natalia sagte leise:

»Die Mutter ruft dich.«

Sie lehnte sieh an den Ofen und war von den weißen Kacheln kaum zu unterscheiden. Pjotr ging zur Tür hinaus, ihn empfing im Dunkel das gekränkte, erschrockene und leidenschaftliche Flüstern der Bajmakowa:

»Was fällt dir denn ein Pjotr Iljitsch? Was treibst du, willst du mich und meine Tochter dem Spott preisgeben? Es tagt ja schon, man wird euch bald wecken kommen, man muß den Leuten das jungfräuliche Hemd zeigen, damit sie sehen, daß meine Tochter ehrbar ist!«

Sie hielt im Sprechen Pjotr mit der einen Hand an der Schulter fest und stieß ihn mit der andern weg, indem sie entrüstet fragte:

»Was bedeutet das denn? Hast du keine Kraft oder keine Lust ? Ängstige mich nicht, schweige nicht … «

Pjotr sprach mit dumpfer Stimme:

»Sie tut mir so leid. Ich fürchte mich.«

Er sah das Gesicht der Schwiegermutter nicht, es kam ihm aber so vor, als hörte er die Frau kurz auflachen.

»Nein, geh nur, geh und erfülle deine Pflicht als Mann! Bete zum Märtyrer Christophor. Komm, ich will dir einen Kuß geben … «

Sie umschlang fest seinen Hals und küßte ihn mit süßen, klebrigen Lippen, wobei ihm warmer Weingeruch entgegenwehte. Er kam nicht dazu, ihren Kuß zu erwidern, – sein lautes Schnalzen traf nur noch die Luft. Als er in die Kammer zurückkehrte, schloß er hinter sich die Tür und streckte entschlossen die Hände aus. Das Mädchen trat vor und geriet in den Ring seiner Arme, wobei sie mit zitternder Stimme sagte:

»Sie ist ein wenig angeheitert.«

Pjotr hatte andere Worte erwartet. Er murmelte, indem er sich rückwärts dem Bette näherte:

»Fürchte dich nicht. Ich bin nicht schön, aber gut… «

Sie schmiegte sich immer fester an ihn und flüsterte:

»Die Füße wollen mich nicht mehr tragen … «

… Man feierte in Driomow gern Feste. Die Hochzeit dauerte fünf Tage; man trieb sich vom Morgen bis zur Mitternacht herum, ging in Haufen über die Straßen und von einem Haus ins andere, vom Wirbel der Weindünste erfaßt. Ein besonders reichlicher und protziger Schmaus fand bei Barskis statt, aber Alexej prügelte ihren Sohn dafür durch, daß er den Backfisch Olga Orlowa irgendwie beleidigt hatte. Als Vater und Mutter Barski sich bei Artamonow über Alexej beklagten, staunte dieser:

»Kommt es denn nicht überall vor, daß die Burschen miteinander raufen?«

Er beschenkte die Mädchen freigebig mit Bändern und Naschwerk und die Burschen mit Geld, bewirtete Väter und Mütter bis zur Bewußtlosigkeit mit Getränken und umarmte und zerrte alle herum:

»Ach, ihr Leute! Leben wir oder nicht?«

Er randalierte und trank viel, als löschte er ein innerliches Feuer, wurde aber vom Trinken nicht berauscht und magerte in diesen Tagen sichtlich ab. Er hielt sich abseits von Uljana Bajmakowa, seine Kinder bemerkten jedoch, daß er sie von Zeit zu Zeit zornig und herausfordernd betrachtete. Er prahlte sehr mit seiner Kraft: erzog mit den Garnisonsoldaten um die Wette an einem Stock, überwand beim Ringen einen Feuerwehrmann und drei Maurer, worauf der Erdarbeiter Tichon Wialow zu ihm kam und nicht bat, sondern verlangte:

»Jetzt komme ich dran.«

Artamonow wunderte sich über seine Art und musterte den stämmigen Körper des Erdarbeiters.

»Was ist mit dir: bist du stark oder bist du nur ein Prahlhans?«

»Ich weiß nicht«, erwiderte jener ernst.

Sie packten einander beim Gürtel und stampften lange auf einem Fleck herum. Ilja blickte über Wialows Schulter auf die Frauen und blinzelte ihnen schamlos zu. Er war größer, aber schmäler als der Erdarbeiter und etwas besser gebaut. Wialow stemmte die Schulter gegen des andern Brust und bemühte sich, den Gegner aufzuheben und über sich hinüberzuwerfen. Ilja erriet das und rief ihm zu:

»Du bist nicht schlau, Bruder, du bist nicht schlau!« Und auf einmal schrie er auf und schleuderte Tichon mit solcher Gewalt über seinen Kopf hinüber, daß er sich beim Sturz auf die Erde beide Beine verletzte. Der Erdarbeiter sagte beschämt, als er im Grase saß und sich den Schweiß vom Gesicht wischte:

»Er ist stark.«

»Das sehen wir«, wurde ihm spöttisch erwidert.

»Er hat Kraft«, wiederholte Wialow.

Ilja streckte ihm die Hand hin:

»Steh auf!«

Der Erdarbeiter versuchte aufzustehen, ohne die Hand zu nehmen, er konnte es aber nicht und streckte wieder die Beine aus, indem er der Menge mit seltsamen, gleichsam hinschmelzenden Augen nachblickte. Nikita kam auf ihn zu und fragte teilnahmsvoll:

»Tut es weh? Soll ich helfen?«

Der Arbeiter lächelte:

»Die Knochen schmerzen. Ich bin ja stärker als dein Vater, aber nicht so geschickt. Nun, wollen wir ihnen folgen, Nikita Iljitsch, du bist ein schlichter Mensch!«

Er faßte den Buckligen freundschaftlich unter den Arm und schloß sich der Menge an, wobei er mit den Füßen aufstampfte und so den Schmerz zu beschwichtigen hoffte.

… Die durch schlaflose Nächte ermatteten Neuvermählten schoben sich willenlos, den Menschen zur Schau, inmitten der bunten, lärmenden, betrunkenen Menge durch die Straßen; sie aßen und tranken, gerieten bei den schamlosen Scherzen in Verlegenheit, bemühten sich krampfhaft, einander nicht anzusehen und schwiegen, als wären sie sich fremd, während sie Arm in Arm herumgingen oder, wie immer, nebeneinander saßen. Das gefiel Matriona Barskaja sehr, die Ilja und Uljana prahlerisch befragte:

»Ist dein Sohn nicht gut abgerichtet? Das will ich meinen! Sieh nur, Uljana, wie ich deine Tochter erzogen habe! Und dein Schwiegersohn ? Er stolziert wie ein Pfau einher, als ginge ihn das ganze gar nichts an!«

Wenn Pjotr und Natalia aber heimgingen schlafen, warfen sie zugleich mit den Kleidern alles ab, was man ihnen aufgezwungen hatte und was sie demütig auf sich genommen hatten, und besprachen den verflossenen Tag:

»Wie bei euch aber getrunken wird!« staunte Pjotr.

»Trinkt man denn bei euch weniger?« fragte die junge Frau.

»Dürfen die Bauern denn so trinken ?«

»Ihr seht gar nicht wie Bauern aus.«