Das Wiehern der Pferde - Saskia Halapatsch - E-Book

Das Wiehern der Pferde E-Book

Saskia Halapatsch

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Beschreibung

Auch wenn wir alles haben, was wir brauchen, ist tief in uns doch meist der Wunsch, dass alles besser, schöner und perfekter sein könnte, dass irgendetwas fehlt. Was würdest du tun, wenn es deine heile Welt auf einmal nicht mehr gäbe und du anfängst zu begreifen, wie gut doch alles war... ...so ergeht es der jungen Romy Rosenthal, als ihre Welt rund um sie, ihre Familie, ihr Pferdegut und um ihr geliebtes Pferd Captain Chaos zusammenbricht und sie sich in einer Welt voller menschlicher Bosheit und Missgunst, aber auch Güte und Liebe wiederfindet und beides so nah beieinander liegt. Kann es etwa mit Mord beginnen und mit Liebe enden?

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Seitenzahl: 190

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Heute

Prolog

Gut Rosenthal heute

Ich schlucke nochmal und atme tief durch, als es an der Haustür klopft.

Das Klopfen des Messingtürklopfers ist unverkennbar.

Nie hat jemand in all den Jahren daran gedacht, den Türklopfer in Pferdekopfform durch eine moderne Klingel zu ersetzen.

Auch wenn man das Klopfen zumeist nicht hört, wenn man sich in den oberen Stockwerken des Hauses aufhält.

Aber Vater meinte, dass es zu dem Charme eines so alten Herrenhauses passen würde, einen Türklopfer aus Messing in Pferdekopfform an der Haustür zu haben.

Außerdem wäre es eine gute Ausrede, nicht jeden Gast herein lassen zu müssen.

Bei dem Gedanken an seine Worte musste ich schmunzeln.

Aber diesmal musste und vor allem wollte ich die Tür öffnen.

Ich war bereit, es zu erzählen.

Die Geschichte. Meine Geschichte. Sie musste erzählt werden.

Die Öffentlichkeit sollte endlich wissen, was sich damals zugetragen hatte.

Die immer noch regelmäßigen wilden Spekulationen und Zeitungsenten sollen nun für alle Zeit im Keim erstickt werden.

Zielstrebig und ruhig, aber mit großen Schritten, laufe ich auf die alte Eingangstür zu, um diese energisch zu öffnen.

So schnell, dass ich nicht mehr zögern kann und den Geschehnissen ihren Lauf lassen muss.

„Guten Tag Frau Rosenthal, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich nehmen. Mein Name ist Franka Braun, aber das wissen Sie ja bereits.“

Die Reporterin lächelt mich freundlich an und streckt mir zur Begrüßung ihre Hand entgegen.

„Romy Rosenthal“, erwidere ich und wir schütteln uns zur Begrüßung die Hände. Ich schäme mich ein wenig, da meine Handflächen vor Aufregung etwas feucht sind.

Franka Braun lässt sich davon nichts anmerken.

Wahrscheinlich ist sie das von ihren Klienten gewohnt.

Als Reporterin für eine große namhafte Zeitung schüttelt sie wohl öfter aufgeregten Menschen die Hand.

Auch sonst macht die Reporterin einen sehr netten und kompetenten Eindruck und ich versuche mich etwas zu entspannen. Mit ihrer viel zu großen Brille erinnert sie mich ein bisschen an meine Freundin Jule, was mein Vorhaben, meine Geschichte zu erzählen, leichter macht.

Nur der kurze Rock und die High Heels würden nicht zu Jule passen, denke ich beiläufig.

Außerdem trägt sie eine lila Bluse, die für meinen Geschmack etwas zu viel Dekolleté zeigt.

Ihre Haare sind zu einem pfiffigen Kurzhaarschnitt frisiert und strahlen in einem feurigen Rot. Über einer Schulter hängt lässig eine bunte Tasche, die schwer und voll bepackt zu sein scheint.

„Gehen wir doch ins Arbeitszimmer“, füge ich hinzu.

Ich geleite die rothaarige Reporterin in Mutters altes Arbeitszimmer.

Ich habe dort nichts verändert. Der Raum ist genauso geblieben, wie er immer war.

Dieses Zimmer beherbergt eine beeindruckende Sammlung von Büchern. Zumeist Sachbücher über Pferde und nur ganz vereinzelt hat sich in den Jahren ein Roman oder Krimi dazu gesellt.

Die Bücherregale reichen bis unter die Decke und sind fast an jeder Wand des Raumes zu finden.

In der Mitte des Zimmers steht ein riesiger Mahagonischreibtisch, darauf eine prunkvolle Pferdeskulptur aus Silber.

Dahinter ein großer grüner Ohrenbackensessel, der meiner Mutter immer als Schreibtischstuhl gedient hat und ich es auch nicht verändern wollte.

Die Wände, die nicht durch Regale verdeckt sind, wurden vor Jahren in einem dunklen Blau tapeziert, weswegen wir diesen Raum auch öfters den Blauen Salon nennen. Von der stuckbesetzten Decke hängt ein funkelnder großer runder Kronleuchter. Zwar nicht so ein beeindruckender wie im Esszimmer und in der Eingangshalle, aber auch dieser kann sich sehen lassen.

Die Dame schaut sich interessiert um, bis ich auf einen Stuhl deute, der gegenüber vom großen Schreibtisch steht und sie einlade sich zu setzten.

„Ja, sehr gerne!“, sagt sie mit freundlicher Stimme und stellt dabei ihre bunte Tasche auf dem glänzenden Parkettboden ab.

„Möchten Sie etwas trinken?“, frage ich, weil es heute doch sehr heiß ist und ich weiß, dass der Termin länger dauern wird.

Als hätte sie es gehört und nur drauf gewartet, steht auch schon Ruth in der Tür. Meine gute alte Ruth. Wie immer trägt sie ein Kopftuch und eine geblümte Kittelschürze. Ihr faltiges Gesicht – wie meist lächelnd.

In der Hand ein Tablett, darauf stehend zwei Gläser und ein Krug mit selbstgemachter Limonade und ein Teller mit frisch gebackenen Plätzchen.

„Guten Tag Frau Reporterin. Ich bin Ruth und nehmen Sie die kleine Sissi nicht zu hart ran, sie hat Schlimmes durchgemacht.“ Ich merke, wie ich rot werde. Ich weiß ja, dass Ruth nur mein Bestes will, aber ein bisschen unangenehm ist mir Ruths direkte Art in diesem Moment dann doch.

Die Reporterin lacht laut auf. „Keine Angst, Frau Rosenthal soll einfach so erzählen wie sie will und kann.

Wenn nicht, machen wir einfach zwischendurch Pausen oder machen ein anderes Mal weiter.“

Sichtbar erleichtert verlässt Ruth den Raum. Frau Braun kramt ein kleines Diktiergerät aus ihrer Tasche und zusätzlich einen Schreibblock mit Stift hervor.

„Stört es Sie, wenn ich mein Diktiergerät mitlaufen lasse?

Ich kann mir zwar viel merken und auch mitschreiben, aber bei Ihrer Story möchte ich nichts verpassen und Ihnen lieber zuhören.“

Sie schaut mich erwartungsvoll an.

„Das ist kein Problem. Ich habe mich entschieden Ihnen alles zu erzählen. Dann können Sie es auch gerne aufnehmen.“

Erleichtert lehnt sie sich zurück und schiebt den Schreibblock samt Stift zur Seite.

„Warum wollten Sie ausgerechnet mich? Es gibt doch tausende Journalisten, denen Sie die Story teuer verkaufen könnten.“

Diesmal schaut Sie mich über den dicken Rand ihrer großen Brille an.

„Ich habe einige Artikel von Ihnen gelesen, bevor ich mich für Sie entschieden habe. Diese haben mir doch sehr zugesagt. Sehr authentisch und liebevoll geschrieben. So möchte ich es auch. Ich mag Ihren Schreibstil.“

Geschmeichelt stellt sie ihr Diktiergerät auf den großen Schreibtisch neben die Pferdeskulptur.

„Dann legen sie los und lassen Sie nichts aus. Ich werde Ihre Geschichte so authentisch und liebevoll schreiben, dass Sie nicht bereuen werden, mich engagiert zu haben.“

Sie lächelt mir euphorisch zu, schaltet das Diktiergerät an dem großen roten Knopf ein und schaut mich erwartungsvoll an.

Ich habe mir es auf dem großen alten Monster von Sessel bequem gemacht, hole noch einmal tief Luft und fange an zu erzählen...

Gut Rosenthal vor 3 Jahren...

- Kapitel I -

Wir lachten laut, so wie wir es immer taten, als wir durch diesen herrlichen Sommertag ritten. Vorbei an blühenden Feldern, an grünen Wäldern und den ewig weiten Koppeln unseres Gestütes, auf denen seit Generationen unsere Pferde grasten. Vorbei an dem kleinen Bach, an dem wir schon als kleine Mädchen spielten, Staudämme bauten und an dem wir heute noch gerne mit einer guten Flasche Wein saßen und Problemen, die man nur mit einer guten Freundin besprechen konnte.

Gute Freundinnen waren wir und dass schon eine Ewigkeit. Aber es kam mir vor wie gestern, als ich an den Tag dachte, an dem meine beste Freundin Jule das erste Mal vor mir stand.

Wir waren damals beide sieben Jahre alt und ihre Mutter hielt sie an der Hand als sie unsere Reithalle betraten, in der mein Vater mir gerade Reitstunde auf meinem Pony gab. Etwas verlegen kamen beide auf ihn zu. Leise konnte ich hören, dass sie meinen Vater bat, ihrer Tochter Reitunterricht zu geben, aber, dass sie leider sehr wenig Geld hätten. Ihre Tochter wünschte es sich aber so sehr und würde auch im Stall mithelfen und ihr Taschengeld opfern, um nur einmal in der Woche oder auch nur alle zwei Wochen, wenigstens kurz, aufs Pferd zu kommen.

Mir tat das damals sehr leid und ich konnte das Mädchen gut verstehen, wie es da so stand, mit der viel zu großen Hornbrille und dem kurzen braunen Bobschnitt. Denn ein Leben ohne Pferde konnte ich mir auch nicht vorstellen.

Meine Mutter, von jeher eine sehr strenge Frau, konnte das natürlich überhaupt nicht verstehen, als mein Vater ihr davon beim Abendessen erzählte.

„Wenn man kein Geld für Reitunterricht hat, sind die Eltern nicht sehr zielstrebig und das muss man für dieses Hobby sein. Dann denke ich, dass das Kind es auch nicht ist. Da lohnt es sich nicht ihr auch nur eine Reitstunde zu geben. Verschwende nicht deine Zeit!“, sagte sie sehr abwertend. „Wo kommen wir denn da hin, wenn wir jedem dahergelaufenem Kind umsonst Reitstunden geben.“

„Ich leihe ihr auch mein Pony für die Reitstunde“, sagte ich in der Hoffnung, meine Mutter würde eher zustimmen, wenn keines unserer Schulpferde für diese Reitstunde genommen werden musste. Ich weiß nicht warum, aber dieses kleine schüchterne Mädchen war mir sofort sympathisch. Vielleicht weil sie anders war als die anderen Mädchen, die bei uns Reitunterricht bekamen.

Bescheidener und nicht so vorlaut und eingebildet. Mein Vater schaute mich an, zwinkerte mir zu und die Sache war geritzt.

Seitdem waren Jule und ich die besten Freundinnen. Sie wohnte mehr bei mir als zu Hause, wir ritten gemeinsam um die Wette, sie begleitete mich auf jedes Turnier und wir feierten später gemeinsam auf den wildesten Reiterpartys.

Jetzt, 20 Jahre später, hatte sich an unserer Freundschaft nichts geändert. Außer, dass Jule nur noch am Wochenende zu uns aufs Gut kam, weil sie 40 Kilometer weit weg wohnte, um dort als Lehrerin an einem Gymnasium zu unterrichten, während ich als Reitlehrerin in unserem eigenen Betrieb arbeitete und auch lebte.

Außerdem hatte ich viel damit zu tun, meine eigenen Pferde zu trainieren, während Jule lieber mit ihrem Pferd durchs Gelände bummelte, ritt ich schon immer lieber auf Turnieren. Springreiten war meine große Leidenschaft. Ich mochte es mich mit anderen zu messen und den einen oder anderen Sieg abzustauben – wahrscheinlich, weil es mir im Blut lag. Mein Vater war bereits ein sehr erfolgreicher Springreiter. Auch seine Lehrgänge, die er auf unserem Gut gab, waren immer sehr gut besucht und nach kurzer Zeit ausgebucht. So war es naheliegend, dass ich in seine Fußstapfen trat. Ich saß schon auf dem Pferd, bevor ich laufen konnte.

Lachend rief Jule „Los! Romy! Rennen bis zur Einfahrt!“, und da war sie auch schon im vollen Galopp an mir vorbeigeritten.

Ich galoppierte ebenfalls an und schoss den Feldweg lang, der zur Einfahrt, einer langen Kiesallee, umfasst von hohen alten Kastanien, auf unser Gut führte.

Natürlich gewann Jule mit dem Abstand locker. Die Pferde pumpten unter uns von dem schnellen Ritt und der weiße Kies knirschte unter ihren Hufen als wir wieder laut schwatzend und lachend den schattigen Weg nach Hause passierten. Es war jedes Mal ein wunderschöner Anblick, der mich immer und immer wieder mit Stolz erfüllte, wenn ich Gut Rosenthal vor mir sah. Das alte Haupthaus mit seinen zwei Türmchen, den alten grünen Fensterläden, der Backsteinfassade, an denen sich Rosenranken bis fast unter das Dach hinaufhangelten. Es waren große rote Rosen, die jetzt wie verrückt blühten und einen herrlichen Duft auf dem ganzen Hof verbreiteten. Die Treppe, die zur großen majestätischen Haustür führte, zierte ein Messingtürklopfer in Pferdekopfform.

Oben war ein Balkon im ersten Stock, der wie eine Empore über der Haustür hervorragte.

Auch der Balkon war über und über bewachsen mit Rosen.

Das alte Haus erinnerte an das Schloss von Dornröschen.

Als Kinder spielten Jule und ich das auch oft. Immer abwechselnd durfte immer Eine mal Prinzessin und Prinz sein. Natürlich freuten wir uns immer mehr Prinz zu sein, der durfte nämlich auf dem Pferd angeritten kommen. Tja, bei Pferdemädchen ist alles etwas anders. Vor dem großen alten Haus auf dem Hof war ein Springbrunnen mit zwei tanzenden Pferden, der beruhigend vor sich hinplätscherte.

Schräg daneben die riesigen Stallungen. Zwei prunkvolle Reithallen und ein Reitplatz mit einem weißen Holzzaun umrandet, schmiegten sich harmonisch in das Gesamtbild des Gutes ein.

Es herrschte immer ein reges Treiben auf dem Gelände.

Unsere Einsteller führten ihre Pferde zum Reiten in die Halle, unser Stallbursche Lukas fuhr mit dem Traktor eine Ladung Heu in den Stall und auf dem Reitplatz war gerade eine Kinderreitstunde in vollem Gange. Ich liebte das alles sehr, obwohl seit dem Tod meines Vaters vor acht Jahren immer etwas fehlte.

Es war schrecklich und er hinterließ ein großes Loch in meinem Herzen und bei allen, die ihn kannten. Mein Vater und ich waren ein Herz und eine Seele. Nicht nur, dass er mir alles über Pferde und das Springreiten beibrachte, er war auch immer für mich da. Er war lustig und herzlich, aber manchmal auch ein bisschen verrückt. Mein Name Romy war nicht etwa nach einer berühmten Schauspielerin, sondern nach seiner erfolgreichen Springstute ausgesucht, was damals zur allgemeinen Erheiterung beitrug. Mir selbst hat das nie etwas ausgemacht, sondern ich fühlte mich eher geehrt. Ja, mein Vater und ich waren eben auf derselben Wellenlänge.

Meine Mutter eher nicht! Schon als kleines Kind verstand ich nicht die Verbindung meiner Eltern. Meine Mutter war zwar ebenfalls eine erfolgreiche Reiterin, aber in der Dressur. Sie lernten sich auf einem Turnier kennen und es habe sofort gefunkt, erzählte mein Vater immer. Das obwohl sie eine eingebildete Dressurreiterin mit einer seltsamen Hochsteckfrisur war, warf er dann immer noch blinzelnd ein. Sie heirateten schon nach einem Jahr und meine Mutter zog auf das Gut der Familie meines Vaters.

Kurz danach wurde sie mit mir schwanger und das zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Ich denke, deswegen auch nicht, dass ich gewollt oder gar geplant war - jedenfalls noch nicht! Das hat nie jemand gesagt, aber allein die Geschichte meiner Mutter reichte mir: „Ich hatte mich gerade für die Olympischen Spiele qualifiziert, als mich die frohe Kunde überkam. Tja, da war die Teilnahme für mich gestorben. Dabei war, mein Pferd, Sky Dancer in Bestform.“

Meine Mutter und ich liebten uns schon, auch wenn wir nach dem Tod meines Vaters noch mehr stritten als vorher. Immer wieder stritten wir vor allem über die Führung des Gutes. Ich wollte frischen Wind rein bekommen und ein paar Dinge neu strukturieren sowie unsere Pferdezucht wieder aufnehmen, die mit meinem Vater gestorben war.

Meine Mutter aber, als Alleinerbin des Gutes, weil keiner aus der Familie noch lebte, und damit auch Verwalterin, wollte davon nichts wissen. Es lief auch nicht schlecht, wir hatten viele Einsteller, der Schulbetrieb lief exzellent und wir hatten viele Neuanmeldungen und die Nachfrage war hoch, weil meine Mutter einen sehr guten Namen als Dressurreiterin hatte und wirklich guten Reitunterricht gab. Wir besaßen top ausgebildete Pferde, die ziemlich viel Geld wert waren. Allein ein Dressurpferd meiner Mutter hatte den Wert eines Kleinwagens. Ja, wir hatten Geld, viel Geld. Die Zucht meines Vaters war so erfolgreich vor seinem Tod gewesen, dass wir davon hervorragend leben konnten. Einige Nachkommen unserer besten Deckhengste liefen im ganz großen Sport auf der ganzen Welt. Das Gut selbst mit seinen tausenden von Hektar Land war so viel Wert, dass ich es gar nicht schätzen konnte. Aber mein eigener teuerster Besitz war neben meinen schon drei top Springpferden mein neuester Kauf. Mein fünfjähriger Hannoveraner Nachwuchshengst Captain Chaos. Captain überzeugte mich schon beim ersten Kennenlernen und das nicht wegen seines Aussehens. Sein für diese Rasse untypischer Ramskopf und sein stumpfes braunes Fell bestachen nämlich nicht besonders. Aber er buckelte vom aller feinsten. Er machte aus jeder Mücke einen Elefanten und raste bei jeder Kleinigkeit mit seinen 1,78m laut schnaubend durch die Reithalle. Er war einfach total überdreht und immer leicht nervös und unter Spannung. Mein Vater sagte immer, dass man verrückte Pferde für hohe und schwierige Springen braucht. Nur verrückte Pferde nahmen es mit jedem noch so hohen Sprung auf, ohne darüber nachzudenken.

Springen konnte er schon mit drei wie´s Gewitter und genau nach so einem Pferd war ich auf der Suche. Also kauften wir ihn, obwohl Mutter nicht wirklich begeistert war.

Da ich aber eine gute und geübte Reiterin war, machte ich mir keine Sorgen Herr über diesen großrahmigen braunen Hengst zu werden. Auch nach Wochen der Eingewöhnung auf dem Gut machte Captain Chaos seinem Namen noch alle Ehre und warf mit seinen Beinen oft um sich, ob mit oder ohne Reiter. Aber sein Talent fürs Springen wurde noch besser, je mehr Training er bekam.

Angekommen am Putzplatz banden Jule und ich unsere Pferde an, um ihnen Sattel und Zaumzeug abzunehmen.

Meine ältere Stute Lilu, die ich zum Ausritt mitgenommen hatte, durchsuchte dabei sanft meine Taschen nach Leckerchen. Ich gab ihr eins und tätschelte ihr den Hals.

Lilu hatte ich bereits in Rente geschickt, sie war ein gutes und treues Springpferd gewesen. Aber mit dem Kauf von Captain war es an der Zeit sie aus dem Sport zu nehmen und ihr neben dem Koppelalltag öfters nur einen Ausritt in den Wald und über die Felder zu gönnen.

„Nimmst du bei unserem nächsten Ausritt Captain mit?

Das wird lustig“, sagte Jule heiter. „Also ich gehe Ausreiten, um mich zu entspannen und nicht um buckelnd im nächsten Baum hängen zu bleiben. Captain kann sich auf der Koppel austoben und in der Springstunde!“, gab ich etwas schnippisch zurück.

Jule, immer noch amüsiert, störte sich nicht daran und gab verschmitzt lächelnd zurück: „Schade, hab dich schon so lange nicht mehr fallen gesehen.“

„Ha-ha! Dann schubs doch einen deiner Elite-Gymnasiasten! Ist bestimmt auch lustig, wenn der fällt“, gab ich jetzt auch lachend zurück.

Schon traf mich ein nasser Schwamm am Kopf, gefolgt von Gelächter, als mir das Wasser an den blonden Haaren die Wange runter lief. „Na warte!“, schrie ich und rannte Jule mit dem Schwamm über den ganzen Hof hinterher.

Unsere lustige Verfolgungsjagd wurde unterbrochen, als wir immer lauter werdende knatternde Motorradgeräusche auf uns zukommen hörten.

Jule und ich hielten an, schauten uns an und verdrehten die Augen. „Och ne, hoffentlich kommt der jetzt nicht und labert uns wieder voll“, sagte ich.

Bei den Motorradgeräuschen handelte es sich nämlich um das Motorrad meines sogenannten Stiefvaters, Werner. Ein äußerst unangenehmer Mensch, wie ich fand. Er kreuzte im Sommer vor vier Jahren einfach aus dem Nichts auf.

Damals fragte ich mich schon was er hier wollte, denn er hatte weder Ahnung von Pferden noch Interesse an ihnen.

Dafür aber umso mehr an meiner Mutter. Er mietete sich damals für einige Zeit in eins unsere Gästezimmer am Hof ein. „Er müsste den Kopf frei bekommen. Als Oberkommissar bei der Polizei in der knapp 30 Kilometer entfernt gelegenen größeren Stadt wimmelte es nur so von Straftätern. Da wäre eine Auszeit gerade sehr gut“.

Er schaute mich damals schon so seltsam an, mit seinem durch Akne vernarbten Gesicht. Überhaupt war er sehr unattraktiv, wie ich fand. Mit seinem Igel-Haarschnitt und dem Schnäuzer sah er überhaupt nicht aus wie ein Polizist.

Ich wusste zwar nicht, wie ein typischer Polizist auszusehen hatte und ob es dafür überhaupt typische Menschen gab, aber Werner sah für mich aus wie ein typischer Metzger. Seine Cordhose und sein kariertes Hemd machten das Erscheinungsbild nicht gerade besser.

Auf jeden Fall umwarb er meine Mutter so, dass mir fast schlecht wurde. Ständig ging er mit ihr Essen, kaufte ihr Blumen und sagte ihr vor mir und allen Angestellten ständig, wie schön und anmutig sie doch sei.

Sie blühte richtig auf, war nicht mehr so hart, sondern alles an ihr wurde weicher. Ich verstand es einfach nicht und Jule auch nicht. Dieser Typ war so unsympathisch und arrogant. Ständig erzählte er uns von seinen neuesten Fällen. „Eigentlich darf ich euch das gar nicht erzählen Mädels, weil ihr dann Angst bekommt. Weil es so gefährliche Leute auf der Welt gibt. Aber keine Angst ich bin ja bei euch. Ich beschütze euch.“

Wir nickten beide dann immer und mussten uns Mühe geben, nicht in lautes Lachen auszubrechen.

„Der Metzger-Kommissar ist ja voll der Beschützer“, scherzten wir danach rum, wenn wir allein waren. „Der hat doch nichts drauf. Vielleicht fängt der mal einen kleinen Jungen, der einen Kaugummi gestohlen hat. Zu mehr ist der doch nicht im Stande“, sagte Jule. „Außerdem ist er so was von unzufrieden mit seinem Job und bei uns tut er so, als ob er Superman wäre. Dann noch jeden Abend die unzähligen Flaschen Bier und die Spielsucht!“,

sagte ich zu Jule in einem verschwörerischen Ton.

„Spielsucht? Wie bitte?“ Jule schaute mich erstaunt an.

„Ja, ja, ich hab ein Gespräch ganz zufällig von meiner Mutter und ihm mitbekommen. Er war spielsüchtig und hat damals schon zu tief ins Glas geschaut. Er hätte fast seinen Job verloren. Meine Mutter redete ihm gut zu, dass jetzt alles besser sei, weil sie ja sich hatten und sie ihm helfen würde und sie es gemeinsam schaffen würden.

Aber er gab nur ein verächtliches Schnauben zurück. Wer weiß, wie bankrott der alte Metzger tatsächlich ist und meine Mutter füttert diesen Widerling auch noch durch.

Sie finanziert ihm ein schönes Leben von Vaters Erbe. Da darf ich überhaupt nicht drüber nachdenken“, sagte ich, schon wieder rot vor Wut. „Was ist, wenn du noch mal mit deiner Mutter drüber redest?“, gab Jule in einem aufmunternden Ton zurück und legte tröstend ihren Arm um meine Schulter. „Nein, das habe ich schon vor der Hochzeit versucht. Sie hat immer noch die rosarote Brille auf. Für sie ist er der Ritter, der sie aus ihrer Einsamkeit rettet. Ihr kommt das auch nicht alles so seltsam vor wie uns! Solange sie glücklich ist, muss ich es wohl hinnehmen. Der Zustand nach Vaters Tod war ja auch nicht mehr länger tragbar. Jetzt hat sie wenigstens jemanden, auch wenn dieser Jemand total widerlich ist und ich es kein Stück nachvollziehen kann, muss ich mich wohl zurückhalten und sie glücklich sein lassen.“ Jule verzog ihr Gesicht zu einer Grimmasse und sagte: „Wie gut, dass du mich noch hast.“ Traurig und nicht auf ihren Aufmunterungsversuch eingehend sah ich in die Ferne auf eine Koppel, auf der zwei Pferde friedlich grasten. „Ja, aber dich habe ich nur am Wochenende.“

„Nächstes Wochenende kommst du mich auf jeden Fall besuchen, lässt die Pferde Pferde sein, den Metzger Werner verdrängst du dann auch mal aus deinem Kopf und wir gehen richtig schön ausgiebig feiern. Vielleicht finden wir dort auch endlich einen Mann für dich.“ Ich verdrehte die Augen. Jule wollte mich ständig verkuppeln, weil sie fand, dass ich ohne sie hier einsam wäre und ein Freund da Abhilfe schaffen würde.

Ich hatte aber keine Zeit und keinen Nerv dafür.

Natürlich wäre es ganz nett, jemanden an seiner Seite zu haben, der abends neben einem einschläft, dem man seine Probleme erzählen kann und der immer für einen da wäre.

Aber wenn man so oft auf Turnieren unterwegs ist und man ständig trainiert und dafür viel unterwegs ist, immer nach Pferd und Stall riecht und das auch nicht ändern möchte und ja, einfach nicht kann, dann ist es schwer jemanden zu finden, der das mitmacht. Na klar, gab es hier und da mal jemanden. Mit 27 wäre es auch sehr bedenklich, wenn nicht. Mein Ex-Freund Jörn war wie ich passionierter Turnierreiter. Wir waren knapp zwei Jahre zusammen, aber die Teilnahme an unterschiedlichen Turnieren machte es kaum möglich, uns oft zu sehen. Es sprach zwar keiner aus, aber der Konkurrenzkampf zwischen uns war auch immer da. Wer gewann welches Springen, wer hatte die besseren und teureren Pferde.