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Bist du bereit für dein erstes Abenteuer mit dem Zeitmobil? Sengende Hitze, endlose Wüste und ausgehungerte Raubsaurier. Eine Welt, die kein Mensch je zu Gesicht bekommen hat … Bis jetzt. Denn genau hier sind sie gestrandet – Tom, Kata und Lea. Aber wer hätte gedacht, dass ausgerechnet ihr Nachbar eine Zeitmaschine erfunden hat? Und dass sie per Knopfdruck mitten in der Urzeit vor 215 Millionen Jahren landen würden? Ein gefährliches Abenteuer beginnt – ein Abenteuer, in dem die drei nicht nur ihr eigenes Leben retten müssen … Ein Zeitreise-Abenteuer, das die Vergangenheit lebendig werden lässt! Nervenkitzel und Abenteuer: Begleite Tom, Kata und Lea auf ihrer fesselnden Reise durch die Zeit. Spannendes Wissen: Tauche ein, in eine längst vergangene Welt. Entdecke ganz nebenbei spannende Fakten über das Erdzeitalter der Trias und seine Bewohner. Freundschaft und Teamgeist: Generationenübergreifende Freundschaft, Zusammenhalt und Teamgeist sind der Schlüssel zum Erfolg – egal in welcher Zeit man sich befindet. Lesemotivation: Kurze Kapitel und ein Quiz zum Buch bei Antolin fördern die Lust am Lesen – auch bei Wenig-Lesern. Lebendige Illustrationen: Mit detailreichen Illustrationen von Lukas Oleschinski, die diese fremde Welt und unsere Helden zusätzlich zum Leben erwecken. Leserstimmen „[…] tolles Sachwissen und allerhand Infos, die dem Buch einen ganz besonderen Charme verpassen. […] Der Schreibstil ist klasse und die Geschichte ist total fesselnd. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen.“ (buecher.fux / Instagram) „Es ist spannend, lustig, interessant und rundum gelungen. Ich mag die Schreibweise, die vielen Infos, die immer gut eingebaut sind und niemals trocken rüberkommen.“ (Streiflicht / Lovelybooks) „Ein tolles und kurzweiliges Abenteuer mit Spaß und Spannung. Alles war leicht zu verstehen, nichts war zu kompliziert […]. Das macht das Ganze auch so gut und leicht für Kids mit noch nicht so viel Leseerfahrung.“ (jowis_welt / Instagram) Band 1 der Zeitmobil-Reihe „Das Zeitmobil – Gefangen in der Urzeit“ ist erst der Beginn einer aufregenden Reihe, die nicht nur junge Leserinnen und Leser auf spannende Zeitreisen mitnimmt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
Inhaltsverzeichnis
Prolog
Ein Hundehaufen und die Folgen
Unerwarteter Besuch
Durch den Dschungel
In der Erfinderwerkstatt
Der Dekontaminationsapparat
Der rote Knopf
Wo sind wir?
Gestrandet
Durch die Wüste
Unheimliche Begegnung
Wo sind die Vögel hin?
Durst
Autoreifen auf Kies
Augen im Dunkeln
Fußspuren
Und weiter?
Verfolgungsjagd
Abgehängt
Schöne Aussichten
Abwärts
Norden oder Süden?
Und jetzt?
Keine Zeit
Dürfen wir ihn Alfi nennen?
Zu Hause
Chillen
Donnerwetter!
Abendspaziergang mit Alfi
Merkwürdige Ereignisse
Leseprobe Band 2: Wie konnte das passieren?
Anhang: Gab es den Eifelosaurus wirklich?
Danke
Impressum
In dem Moment, als Tom den Knopf drückte, wurde es um ihn herum abwechselnd hell und dunkel. Die Welt flackerte in allen möglichen Farben und er hatte das Gefühl, dass sich der Stuhl, auf dem er saß, und alles um ihn herum bewegte und gleichzeitig nicht bewegte. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, verbunden mit einem starken Ziehen, tief in seiner Magengegend, gefolgt von stechenden Ohrenschmerzen aufgrund der schrillen Schreie, die Lea neben ihm ausstieß.
Tom hielt sich mit einer Hand am Cockpit fest und griff mit der anderen Hand nach Leas Hand, die sich tief in die Armlehne des Sessels krallte. Er schloss die Augen und hoffte, dass das, was hier passierte – was auch immer es war –, ganz schnell vorbei war.
Nach einer gefühlten Ewigkeit verstummten die Schreie neben ihm und Tom spürte einen leichten Luftzug in seinem Gesicht. Er wartete noch ein paar Sekunden ab und öffnete dann vorsichtig seine Augen. Nur, um sie sofort wieder zu schließen und erneut zu öffnen – denn er konnte nicht glauben, was er sah …
Ein paar Stunden zuvor
„Hinter dir, ein T-Rex!“ Tom zückte seine Laserpistole. Lea schrie und duckte sich. Im letzten Moment konnte Tom sie retten. Der Tyrannosaurus Rex fiel schwer verwundet, mit einem lauten Brüllen, zu Boden. Tom ging zu Lea, immer den Dinosaurier im Blick. Er half seiner kleinen Schwester auf die Beine. In diesem Moment öffnete sich das Fenster des Arbeitszimmers.
„Nicht so laut“, rief Mama. „Ich bin in einer Telefonkonferenz.“ Rums, schloss sie das Fenster.
‚Na toll‘, dachte Tom, ‚die Ferien fangen ja gut an.‘ Sogar im Garten mussten sie leise sein.
„Spielen wir Frisbee?“
Lea holte ihre pinkfarbene Frisbeescheibe mit Einhorn-Motiv aus dem Tomatenbeet und hielt sie Tom unter die Nase. Das Einhorn starrte Tom mit riesigen Glitzeraugen an. Tom runzelte die Stirn. Am liebsten wollte er sich gar nicht mehr bewegen, das Spiel eben hatte ihm schon gereicht.
Es waren heute über dreißig Grad und laut Wetterbericht sollte das erst der Anfang einer mehrtägigen Hitzewelle sein. Wie schön es wäre, jetzt einfach auf der Terrasse im Schatten zu liegen und etwas Kaltes zu trinken.
Lea sah Tom flehend an und setzte dabei ihr niedlichstes Lächeln auf: „Bitteeee …“
Es funktionierte.
„Na gut“, sagte Tom, „du zuerst.“
Lea lief zum anderen Ende des Gartens und warf das Frisbee in hohem Bogen in Toms Richtung. Die Richtung stimmte zwar, aber das Frisbee flog viel zu hoch. Toms Blick folgte der Frisbeescheibe, bis sie mit einem Rascheln hoch oben im Kirschbaum landete. Dort hing nun das pinkfarbene Einhorn zwischen grünen Blättern und roten Kirschen und starrte mit seinem Glitzerblick zu Tom und Lea hinab.
Lea schien kurz zu überlegen, ob sie losheulen sollte, da fiel ihr Blick auf die Leiter, die am Kirschbaum lehnte. Sie rannte zur Leiter. Tom lief ihr hinterher.
„Nein, du darfst nicht auf den Baum!“ Tom hielt Lea am Arm fest.
„Ich will aber mein Einhorn!“ Lea riss sich los und griff nach der Leiter.
Tom wurde energischer.
„Lass das! Du darfst nicht auf die Leiter, das weißt du genau!“ Er griff nach der Leiter. „Ich mach’ das.“ Lea gab nach und ließ die Leiter los, damit Tom hochsteigen konnte.
Im selben Moment, als Tom es gesagt hatte, bereute er es. Er wollte nicht auf den Baum klettern. Er wollte auf überhaupt nichts klettern, was mehr als eine Stuhlhöhe über dem Boden lag. Aber wenn er die Frisbeescheibe nicht holte, würde Lea auf den Baum steigen. Und Mama und Papa würden IHN dafür verantwortlich machen, dass Lea nicht hörte. Mal wieder. Ihm blieb keine Wahl.
Tom begann, langsam die Leiter hochzusteigen. Schon nach wenigen Sprossen wurde ihm mulmig. Er konzentrierte sich auf den Stamm vor seinem Gesicht und schaute stur geradeaus. Nach den Sommerferien würden sie mit der Klasse in den Kletterpark gehen. Er schaffte nicht mal wenige Sprossen auf einer Leiter und sollte im Kletterpark in zwanzig Meter hohen Bäumen herumturnen?
Schweiß stand ihm auf der Stirn und er war sich sicher, dass das nicht nur an der Sommerhitze lag. Er trat gerade auf die nächste Sprosse, als er ein Gartentor quietschen hörte. Dem Geräusch nach konnte das nur das verrostete Gartentor von Herrn Sauerbier sein, ihrem Nachbarn aus Hausnummer 5.
„Da kommt Herr Sauerbier“, rief Lea und bestätigte Toms Vermutung. Lea rannte zum Zaun.
Tom nutzte die Gelegenheit und stieg vorsichtig die Leiter hinab. Vielleicht war Lea abgelenkt genug und würde das Frisbee vergessen. Sie war so sprunghaft, dass Toms Chancen nicht schlecht standen.
Tom hatte jetzt wieder sicheren Boden unter den Füßen und folgte Lea zum Gartenzaun.
Inzwischen schlurfte Herr Sauerbier auf dem zugewachsenen Weg durch seinen Garten in Richtung Haustür. Er trug nur einen Schuh am Fuß, den zweiten Schuh hielt er mit weit gestrecktem Arm von sich. In der anderen Hand hielt er eine Aktentasche.
„Hallo Herr Sauerbier!“, rief Lea extra laut. Sie wusste, dass ihr Nachbar manchmal schlecht hörte. Zerstreut schaute Herr Sauerbier in Leas Richtung.
„Schrei doch nicht so, ich bin doch nicht taub!“ Tom zeigte auf Herrn Sauerbiers ausgestreckten Arm mit dem Schuh.
„Was ist damit?“, fragte er.
Lea stieg auf die unterste Latte vom Gartenzaun und klammerte sich an der obersten Zaunlatte fest, um besser sehen zu können. Tom war mit seinen zwölf Jahren einen ganzen Kopf größer als sie, er konnte sich über den Zaun lehnen, ohne hochzuklettern.
Herr Sauerbier stellte die Aktentasche ab, schaute erst Lea und Tom und dann den Schuh in seiner Hand an.
„Den muss ich dekontaminieren.“
„Dekonwas?“, fragten Lea und Tom gleichzeitig.
„DE-KON-TA-MI-NIE-REN“, wiederholte Herr Sauerbier, als wären sie schwer von Begriff. „Saubermachen. Reinigen von schädlichen Stoffen.“
„Was für schädliche Stoffe sind denn an dem Schuh?“, fragte Lea.
„Hundekot“, antwortete Herr Sauerbier. „Auf dem Heimweg bin ich doch tatsächlich in einen Hundehaufen getreten.“
„Und was machen Sie jetzt?“, fragte Tom.
„Jetzt mache ich ein Nickerchen“, antwortete Herr Sauerbier und drehte sich schon halb in Richtung Haus.
„Nein …“, Tom deutete auf den Schuh in seiner Hand, „was machen Sie jetzt mit dem Schuh?“ Herr Sauerbier schaute irritiert.
„Ich verstehe die Frage nicht“, antwortete er und fuhr sich mit der freien Hand durch sein lichtes graues Haar. „Einen Schuh-Dekontaminationsapparat erfinden natürlich. Das versteht sich doch von selbst.“ Er schüttelte den Kopf über so viel Dummheit, nahm seine Aktentasche und schlurfte in einem Schuh und einer rot-weiß gestreiften Socke weiter in Richtung Haus.
„Dürfen wir dir helfen?“, rief Lea ihm hinterher. Herr Sauerbier drehte sich noch mal um, schaute die beiden an und musterte sie mit einem kritischen Blick. Dann antwortete er: „15:00 Uhr. Vorher muss ich mein Nickerchen machen.“
Er drehte sich um, stellte seine Schuhe vor der Haustür ab und verschwand im Haus. Mit einem lauten „Rums“ fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
Toms Plan war aufgegangen, Lea hatte die Frisbeescheibe vorübergehend vergessen. Aber die Stunden bis 15:00 Uhr zogen sich endlos hin. Lea und Tom konnten es kaum erwarten, etwas Interessantes zu machen.
Mama und Papa hatten in diesem Sommer keinen Urlaub und deshalb blieb die ganze Familie zu Hause.
„Kein normaler Mensch hat im Jahr so viel Urlaub, wie ihr Ferien habt“, sagte Papa immer. „Seid froh. So viel Freizeit bekommt ihr nie wieder im Leben.“ Immer wenn Papa das sagte, verdrehte Tom die Augen. Das traf vielleicht auf Lea zu, die erst nach den Sommerferien eingeschult werden würde, aber bei Tom sah das anders aus: Weil er in diesem Schuljahr in Geschichte überhaupt nicht gut gewesen war, hatte Mama ihn zum Lernen verdonnert. Jeden Tag musste er das Geschichtsbuch wälzen. Alles wiederholen, von den Römern bis zum Mittelalter.
„Wenn das nicht hilft“, hatte Mama angedroht,
„werde ich dir einen Nachhilfelehrer suchen.“
Und Nachhilfe in den Sommerferien? Davor graute es Tom richtig. Schließlich hatte er sich die Ferien hart verdient! Schule war nämlich ein Vollzeit-Job. Aber Erwachsene glaubten immer, ihre Arbeit sei die anstrengendste. Den ganzen Tag am Computer sitzen, telefonieren und Kekse essen. ‚Was soll daran bitte schön anstrengend sein?‘, fragte sich Tom.
Außerdem mussten Lea und er im Haushalt helfen. Denn Mama und Papa waren in diesem Sommer abwechselnd im Homeoffice, sodass zwar immer einer von beiden zu Hause war, was aber wenig brachte, da sie den ganzen Tag arbeiten mussten.
Jetzt standen Tom und Lea in der Küche und räumten die Spülmaschine aus. Tom trocknete gerade einen Topf ab, da hielt Lea ihm einen Löffel unter die Nase, an dem noch etwas angetrockneter Spinat hing.
„Vielleicht kann ich den mit dem Deko-Dings saubermachen?“, überlegte sie.
„Oder du nimmst den Schwamm.“ Tom zeigte in Richtung Spüle.
„Neeee, lieber mit dem Deko-Dings-Apparat“, sagte Lea und steckte den Löffel in ihre Hosentasche.
Tom grinste.
Plötzlich klingelte es an der Tür. Lea warf ihr Geschirrtuch in den oberen Korb der offenen Spülmaschine und rannte zur Haustür. Tom folgte ihr.
*
„Du wolltest doch erst morgen kommen.“ Mit diesen Worten begrüßte Tom seine fast gleichaltrige Cousine, die mit Reisetasche und Schlafsack vor der Tür stand.
„Kata!“ Lea umarmte sie stürmisch.
Kata, mit vollem Vornamen Katalina Solea, erwiderte die Umarmung und wuschelte Lea durch die halblangen, blonden Haare. Toms Tante Sonja hatte eine Vorliebe für ausgefallene Namen. Kata selbst teilte diese Vorliebe nicht und vermied ihren Doppelnamen, wann immer es ging.
„Mama muss heute schon nach München. Sie hat euch aber eine Nachricht dazu geschrieben.“
„Kann sein.“ Tom zuckte mit den Schultern. „Mama ist schon den ganzen Tag in Besprechungen. Hat bestimmt nicht auf ihr Handy geschaut.“
Sein eigenes Smartphone war gerade in der Reparatur, nachdem es neulich auf den Fliesenboden in der Küche gefallen war.
„Ist dein Smartphone immer noch kaputt?“, bohrte Kata in Toms Wunde. Tom ignorierte ihre Frage.
Die drei gingen die Treppe nach oben, wo sich Leas und Toms Zimmer, das Elternschlafzimmer und das Bad befanden.
„Kannst du mir die Haare auch so machen?“ Lea zeigte auf Katas Frisur. Kata hatte einen Teil ihrer langen dunklen Haare lässig mit einer Haarspange am Hinterkopf zusammengesteckt, die darunterliegenden Haare trug sie offen.
„Klar“, sagte Kata. „Hol mal ’ne Haarbürste und eine Spange.“
Lea flitzte ins Bad.
Tom verdrehte die Augen. „Echt jetzt? Ihr wollt Friseur spielen? Dann werde ich ja wohl nicht mehr gebraucht.“
Kata grinste. „So schnell beleidigt? Ich kann dir auch die Haare schön machen.“ Dabei wuschelte sie mit der Hand durch Toms kurze, dunkle Haare. Er hasste das.
„Witzig.“ Tom wollte sich gerade in sein Zimmer verziehen, da fiel ihm ein, dass es für die kommende Woche ja gar nicht mehr sein Zimmer sein würde.
Mama hatte beschlossen, dass Kata als Gast ein eigenes Zimmer haben sollte. Deshalb musste Tom so lange bei Lea einziehen. Mist, das hatte er bis eben verdrängt.
Lea kam mit einer Bürste und einer mit Muscheln besetzten Haarspange aus dem Bad zurück. Sie hatte auch einen Handspiegel mitgebracht, um das Ergebnis gleich zu begutachten. Mit ein paar schnellen, geübten Handgriffen klammerte Kata Leas halblange blonde Haare am Hinterkopf zusammen. „Fertig.“
Lea betrachtete sich stolz im Spiegel. „Passt zu meinem Armband“, sagte sie und hielt Kata ihr Handgelenk hin, an dem sie ihr Lieblingsarmband aus kleinen Muscheln trug.
„Cool“, sagte Kata zu Lea, bevor sie sich an Tom wandte. „Wo kann ich meine Sachen abstellen?“ Sie deutete auf ihre Reisetasche.
„Komm, ich zeig dir dein Zimmer.“ Tom ging voraus und Kata und Lea folgten ihm.
„Was für eine Unordnung.“ Kata ließ den Blick mit hochgezogenen Augenbrauen durch Toms Zimmer schweifen.
Comichefte lagen auf Bett und Fußboden scheinbar willkürlich verstreut, dazwischen waren T-Shirts und Socken der letzten Tage verteilt.
„NOCH MAL: Du wolltest ja erst MORGEN kommen.“
Tom sah Kata böse an. Jetzt musste er sich in seinem eigenen Zimmer noch vor seiner Cousine verteidigen. Sie konnte froh sein, dass Tom ihr eine ganze Woche sein Zimmer überlassen würde. So was von undankbar …
Tom fing an aufzuräumen. Auf dem Bett lag ein Zeichenblock mit einem selbst gezeichneten Comic. Tom ließ den Block schnell in einer Schreibtischschublade verschwinden, bevor Kata sich über seine Zeichenkünste lustig machen konnte. Dann zog er sein Lieblings-T-Shirt unter der Katze hervor, die sich im Bett gemütlich darauf zusammengerollt hatte. Die weiße Katze streckte sich genüsslich, machte einen Schritt zur Seite und rollte sich direkt daneben auf Toms Jeans wieder zusammen.
Die Katze war das fünfte Familienmitglied und hatte viele Namen: Madame nannte Papa sie, wenn ihr das teure Katzenfutter nicht schmeckte.
Mistvieh nannte Mama sie, wenn die Katze mal wieder ihr großes Geschäft im Tomatenbeet verrichtete und dafür das mit Duftstreu gefüllte Katzenklo im Bad ignorierte.
Lea und Tom nannten sie meistens Flauschi, weil sie so dichtes und unheimlich flauschiges Fell hatte. Lea kniete vor dem Bett auf dem Holzboden und kraulte der weißen Katze den Kopf, die dabei laut schnurrte und genüsslich die Augen zusammenkniff. Tom sammelte schnell ein paar weitere Kleidungsstücke von Bett und Boden, da fiel sein Blick auf den Wecker am Bett: Kurz vor drei.
„Den Rest räum’ ich nachher auf, wir müssen los!“ Tom warf den Stapel Kleidungsstücke auf seinen Schreibtischstuhl und lief in Richtung Tür.
„Warum die Hektik? Was hast du denn für Termine?“, fragte Kata. „Chill doch mal, es sind Ferien.“
„Wir helfen Herrn Sauerbier bei einer Erfindung. Willst du mit?“ Lea sah sie erwartungsvoll an.
„Ich würde ja dankend ablehnen, aber so wie’s hier aussieht …“ Kata warf einen letzten Blick auf das Chaos. „Na gut.“ Sie ließ ihre Tasche und den Schlafsack neben das Bett fallen, steckte ihr Smartphone in die Hosentasche und folgte Lea und Tom zur Treppe. Als die drei die Treppe hinunterpolterten, öffnete sich die Arbeitszimmertür.
Anscheinend war Mamas Telefonkonferenz zu Ende, denn sie hatte kein Headset mehr auf dem Kopf.
„Habt ihr Lust auf Eistee und Kekse?“, fragte Mama. „Ich hab’ erst wieder um 16:00 Uhr eine Besprechung.“
Mama wandte sich jetzt an Kata. „Entschuldige, dass ich dich vorhin nicht begrüßen konnte. Ich war mitten in einer Besprechung und hab’ die Nachricht von deiner Mutter eben erst gelesen.“ Mama umarmte Kata kurz. „Geht’s euch gut?“ Sie wartete die Antwort aber gar nicht ab, sondern redete gleich weiter: „Ich hol’ mal den Eistee aus dem Kühlschrank.“
Tom unterbrach sie: „Mama, wir haben keine Zeit.“
„Oh …“ Mama sah ihn enttäuscht an. „Wo wollt ihr denn hin?“
„Wir besuchen Herrn Sauerbier“, sagte Lea. Tom öffnete die Haustür.
„Halt, nicht so schnell“, sagte Mama.
Die drei blieben in der Tür stehen und Mama verschwand in der Küche.
Lea sah Tom fragend an, er zuckte mit den Schultern.
Kata war inzwischen vor die Haustür gegangen und lehnte am Gartenzaun. Sie wischte gelangweilt auf ihrem Smartphone herum.
In diesem Moment hörten sie aus der Küche ein Poltern und dann ein Fluchen.
Tom ging in die Küche, um nachzusehen. Auf dem Küchenboden lagen mehrere Packungen Plätzchen, die Mama aus dem Vorratsschrank entgegengefallen waren.
Sie hielt Tom eine Packung Nussplätzchen hin:
„Gastgeschenk für Herrn Sauerbier. Das gehört sich so, wenn man jemanden besucht.“
Eine unsinnige Erwachsenenregel, aber widersprechen nutzte nichts, das wusste Tom. Er nahm die Nussplätzchen und half Mama schnell, den Rest wieder einzuräumen.
„Eine Packung kannst du draußen lassen“, sagte Mama, „Besprechungskekse für mich. Anders hält man das ja nicht aus.“ Sie zwinkerte Tom zu. „Viel Spaß euch.“
„Danke, bis nachher!“ Tom lief nach draußen, wo Kata und Lea warteten.
„Na toll, schon eine Minute vor drei …“ Tom rannte los.
Lea, Kata und Tom klingelten. Sie hörten, wie sich Herr Sauerbier mit schlurfenden Schritten der Haustür näherte. Als er öffnete, sah er sie etwas verschlafen an. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und brummte: „Schon 15:00 Uhr …“ Dann musterte er Kata. „Ihr werdet ja immer mehr.“ Er warf einen skeptischen Blick die Straße hinunter.
„Gibt’s da irgendwo ein Nest?“
„Das ist unsere Cousine: Katalina Solea.“ Tom zog ihren Doppelnamen bedeutungsvoll in die Länge. Kata sah ihn böse an, steckte ihr Smartphone in die Hosentasche und streckte Herrn Sauerbier ihre Hand entgegen.
„Kata reicht“, sagte sie und lächelte ihn freundlich an.
„Sehr höflich“, antwortete er und schüttelte ihre Hand.
Jetzt hielt Lea ihm die Plätzchenpackung hin.
„Für dich“, sagte sie.
Herr Sauerbier warf einen kurzen Blick darauf und brummte dann: „Könnt ihr behalten. Die Nüsse bleiben mir immer zwischen den Zähnen hängen.“
„Du hast gar nicht ‚Danke‘ gesagt“, stellte Lea fest.
„Stimmt“, sagte Herr Sauerbier. „Warum sollte ich mich bedanken? Ich habe doch eben gesagt, ich möchte die Plätzchen nicht.“
Zur Verdeutlichung klopfte er sich mit dem Zeigefinger gegen die Schneidezähne. „Nüsse in den Zähnen.“
Er sah Lea an, als hätte sie nicht zugehört. Noch während Lea überlegte, ob es von Herrn
Sauerbier unhöflich war, sich nicht zu bedanken, riss Tom die Plätzchenpackung auf und steckte sich ein Plätzchen in den Mund.
„Okay“, sagte er mampfend, „mehr für uns.“
„Bauen wir jetzt den Deko-Dings-Apparat?“, fragte Lea.
„WAS wollt ihr bauen?“, fragte Kata und nahm sich auch ein Plätzchen.
„Einen Dekontaminationsapparat“, grummelte Herr Sauerbier. „Kommt mit in die Garage.“ Er nahm seine Schuhe, die neben der Haustür standen, in die Hand und schlurfte auf Socken voraus.
Kata zog die Augenbrauen hoch. Ihre Frage war damit nicht beantwortet. Sie schob sich noch ein Plätzchen in den Mund und wandte sich kauend an Tom, während sie Herrn Sauerbier folgten.
„Was soll das sein?“, fragte sie.
„Er will seinen Schuh reinigen“, sagte Tom und zeigte auf die Schuhe in Herrn Sauerbiers Hand. Kata zog die Augenbrauen hoch, fragte aber nicht weiter nach.
Herr Sauerbier trug eine lange Hose, ein langärmeliges kariertes Hemd und darüber eine dicke Strickjacke. Tom war es ein Rätsel, wie er es bei diesen tropischen Temperaturen in langer Kleidung aushalten konnte. Die Garage befand sich links vom Haus und wurde schon seit vielen Jahren nicht mehr als Garage genutzt. Die Einfahrt war, genau wie der Rest des Gartens, komplett zugewachsen. Ein Trampelpfad führte von der Haustür zur Garage.
Überall standen mit Efeu zugewachsene Bäume und Büsche. An vielen Stellen wuchsen die Bäume so dicht, dass man kaum den Himmel sehen konnte.
Das Gras reichte Lea bis zum Bauch.
Lea wollte gerade den Fuß ins hohe Gras setzen, da hörte Tom ein Rascheln und bemerkte, wie sich die Grashalme vor Leas Füßen bewegten. Plötzlich sah er zwischen den Halmen etwas Langes, Glänzendes.
„Eine Schlange!“, rief Lea.
Tom zog Lea sofort einen Schritt zurück, sodass sie im sicheren Abstand zur Schlange standen.
Auch Kata blieb wie erstarrt stehen.
Einzig die Reaktion von Herrn Sauerbier passte so gar nicht ins Gesamtbild: Er drehte sich um und betrachtete gelassen das Tier vor Leas Füßen, als wäre er in seinem Leben schon hundert Schlangen begegnet.
„Das ist eine Blindschleiche“, sagte Herr Sauerbier.
„Nicht giftig. Und genau genommen gar keine Schlange“, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu. Tom atmete auf.
„Sieht aber aus wie eine Schlange“, sagte Lea, die schnell ihre Fassung wiedergefunden hatte.
Sie kniete sich ins Gras und betrachtete fasziniert das golden glänzende Tier, das sich noch immer nicht rührte und sie regungslos anstarrte.
„Zählt zu den Echsen“, fuhr Herr Sauerbier fort.
„Ist eigentlich eine Echse ohne Beine.“
Jetzt kniete sich auch Kata daneben und zog sofort ihr Smartphone aus der Hosentasche, um Fotos zu schießen.
Tom blieb mit etwas Abstand hinter ihnen.
Egal ob giftig oder nicht. Egal ob mit oder ohne Beine: Er mochte keine Reptilien. Er mochte es nicht, wie sie einen mit ihren gelb-schwarzen Augen anstarrten oder wie ihre schuppige Haut in der Sonne glänzte.
„Kann ich die streicheln?“, fragte Lea und streckte zeitgleich die Hand nach der Blindschleiche aus.
Von einer Sekunde auf die andere verschwand das Tier im hohen Gras.
Lea stand enttäuscht auf und sie folgten weiter dem Trampelpfad zur Garage. Kata schaute beim Weiterlaufen nur noch auf ihr Smartphone und sah sich die Fotos an, die sie gerade geschossen hatte.
Die Garage fügte sich optisch perfekt in den Garten ein. Efeu rankte daran hoch und die Farbe des Garagentors, das ursprünglich blau gewesen sein musste, blätterte an so vielen Stellen ab, dass das Tor inzwischen braun erschien. Das Garagentor selbst ließ sich schon lange nicht mehr öffnen, da die Büsche und Bäume, die in der Einfahrt wuchsen, natürlich auch nicht vor dem Tor haltgemacht hatten. So wucherten direkt vor dem Tor zahlreiche Sträucher, Farne und hohe Brennnesseln, die ein Öffnen des Tors unmöglich machten.
Praktischerweise gab es eine Tür innerhalb des Tors. An dieser Tür endete der Trampelpfad. Die Tür hatte auf Kopfhöhe ein kleines Fenster, durch das man in die Garage schauen konnte.
Herr Sauerbier drückte jetzt die mit Grünspan überzogene Klinke herunter und betrat die Garage.
Die Tür zur Garage war nicht abgeschlossen. Das war aber nichts Ungewöhnliches in ihrer Wohngegend.
Lea und Kata folgten Herrn Sauerbier durch die Garagentür.
Früher hatten Lea und Tom oft Herrn Sauerbier und seine Frau besucht, aber die Garage hatte Tom bisher noch nie von innen gesehen.
Frau Sauerbier hatte sie manchmal zu frisch gebackenem Streuselkuchen eingeladen oder Lea und Tom waren vorbeigekommen, um mit Bruno, dem Dackel, zu spielen.
Aber seitdem erst der Dackel und nicht lange danach vor etwa zwei Jahren Frau Sauerbier verstorben waren, hatte Herr Sauerbier sich immer mehr zurückgezogen.
Kuchen backen konnte er nicht und da auch kein Dackel mehr da war, mit dem Lea und Tom spielen konnten, gab es für ihn keinen Grund, sie einzuladen. Und weil er meistens kurz angebunden und etwas mürrisch erschien, trauten Lea und Tom sich nicht, ihn einfach spontan zu besuchen.
Jetzt betrat Tom zum ersten Mal Herrn Sauerbiers Garage. Außer dem kleinen Fenster in der Tür gab es noch ein Fenster in der linken Garagenwand, die an das Grundstück von Toms Eltern grenzte. Durch das Fenster schien Sonnenlicht, das sich den Weg durch den Kirschbaum und durch die staubige Fensterscheibe gebahnt hatte und nun in vielen einzelnen Sonnenstrahlen in die Garage fiel.
Die Garagenluft roch gleichzeitig alt und neu, fand Tom. Alt, weil sie diesen muffig-feuchten und staubigen Kellergeruch hatte. Und neu nach frisch gesägtem Holz und Lack.
Herr Sauerbier hatte die Garage in eine Werkstatt umfunktioniert.
Toms Blick fiel als Erstes auf einen großen, unförmigen Gegenstand in der Garagenmitte. Dieser Gegenstand überragte ihn um mindestens einen Meter und war mit einem großen, weißen Laken verhüllt.
„Was ist das?“, fragte Lea und wollte schon nach dem Laken greifen.
„Nicht anfassen!“ Herr Sauerbier warf ihr einen drohenden Blick zu und Tom hielt reflexartig Leas Hand fest, bevor sie das Laken erwischte.
„Das geht euch gar nichts an“, brummte Herr Sauerbier.
„Lass mich“, fauchte Lea Tom an und riss ihre Hand los.
Sie sah ihn böse an und ging dann zu einem großen Haufen Sägespäne, der unter einer Tischkreissäge lag. Sie setzte sich auf den Boden, nahm eine Handvoll Späne und ließ sie durch die Finger rieseln. Dann fing sie an, die feinen Holzflocken um sich herum mit den Händen zu weiteren Haufen zusammenzuschieben.
„Finger weg von der Säge“, sagte Herr Sauerbier vorsorglich, ließ Lea aber weiter in den Spänen spielen.
Herr Sauerbier stellte seine Schuhe neben der Werkbank ab. Kata hatte sich an die Werkbank gelehnt und wischte wieder gelangweilt auf ihrem Smartphone herum.
Tom löste seinen Blick von dem verhüllten Gegenstand und sah sich in der Garage um.
An der hinteren Wand waren lange Regalbretter montiert, auf denen Holz in allen Sorten und Größen lag. In der Garagenecke stand eine große Rolle Hasendraht. Ein feiner Maschendraht, aus dem man Kaninchenställe bauen konnte. Aber soweit Tom wusste, hatte Herr Sauerbier keine Kaninchen. Auf der Werkbank lagen Schraubenschlüssel, eine Säge und anderes Werkzeug verteilt, das Herr Sauerbier wohl vor Kurzem in Gebrauch hatte. Über der Werkbank hingen ordentlich aufgereiht die übrigen Werkzeuge und ein Erste-Hilfe-Kasten.
Neben der Werkbank stand die Tischkreissäge, unter der Lea saß und in den Spänen spielte. Aber nicht nur unter der Tischkreissäge lagen Späne. Über allem – Werkbank, Regale und Fußboden – lag eine dünne Schicht aus Holzspänen.
Toms Blick fiel jetzt auf die rechte Garagenwand. Herr Sauerbier hatte daran Vitrinen aufgehängt, in denen unzählige Steine lagen.
Tom trat näher und auch Lea ließ ihre Sägespäne Haufen liegen und kam dazu. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können.
„Magst du Steine?“, fragte Lea und ließ den Blick über die zahllosen Mineralien in den Vitrinen gleiten.
„Sonst hätte ich wohl kaum so viele davon“, antwortete Herr Sauerbier.
In einer Vitrine waren alle möglichen Arten von Glitzersteinen. Einer schimmerte dunkelgrün meliert und ein anderer Stein hatte auf der Oberfläche lauter kleine Würfel, die aussahen, als wären sie aus Gold.
Die Steine in der Vitrine daneben sahen nicht so schön aus. Sie hatten unterschiedliche Brauntöne und nichts glitzerte.
Tom ging näher heran und erkannte, dass es Fossilien waren, versteinerte Überreste aus der Tier- und Pflanzenwelt. Er entdeckte in einem Stein, ungefähr so groß wie seine Faust, ein schneckenförmiges Gebilde. Herr Sauerbier folgte seinem Blick.
„Ein Ammonit“, sagte er. „Ein Meereslebewesen, das vor vielen Millionen Jahren gelebt hat. Das hier ist seine Versteinerung. Es gab welche, die waren sogar größer als ich. Ammoniten hatten Tentakel, ähnlich wie Tintenfische.“
Tom stellte sich einen riesigen Kraken mit einem Schneckenhaus auf dem Rücken vor, so groß wie Herr Sauerbier. Ziemlich cool. Vielleicht würde er in den Ferien einen Comic dazu zeichnen.
Lea reckte sich, um besser zu sehen.
„Ist das eine Schnecke?“, fragte sie und im selben Atemzug: „Kann ich die streicheln?“
„Kannst du machen.“ Herr Sauerbier nahm den Ammoniten aus der Vitrine und legte ihn Lea in die Hand. „Ist aber tot“, fügte er nüchtern hinzu.
„Oh“, sagte Lea und streichelte den schneckenförmigen Stein. „Oder …“, überlegte sie laut, während sie mit den Fingern über den rauen, kühlen Stein fuhr, „… das ist nur das Haus und die Schnecke ist umgezogen.“
„Oder so.“ Herr Sauerbier schmunzelte. Tom musste grinsen.
Kata stand noch immer gelangweilt an die Werkbank gelehnt.
„Dachte, wir wollten was erfinden“, sagte sie, ohne von ihrem Smartphone aufzuschauen.
„Dann mal los.“ Herr Sauerbier nahm Lea den Ammoniten aus der Hand und legte ihn vorsichtig zurück in die Vitrine. Dann ging er voraus zur Werkbank. Dabei machte er einen großen Bogen um den verhüllten Gegenstand. Lea und Tom folgten ihm.
Herr Sauerbier räumte die Werkbank frei und hängte die Werkzeuge an die Haken. Nachdem er sich die Ärmel von Hemd und Strickjacke hochgekrempelt hatte, schob er mit seinem Unterarm Schrauben, Winkel und andere kleine Gegenstände beiseite.
Dann nahm er etwas Holz aus dem Regal, legte sich auf der freien Fläche Schrauben und Winkel bereit und fing an zu bauen. Tom und Lea schauten ihm zu.
„Hast du schon mal einen Deko-Dings-Apparat gebaut?“, fragte Lea Herrn Sauerbier nach einer Weile.
„Nein“, antwortete Herr Sauerbier, „denn dann wäre es ja keine Erfindung.“
Tom stupste Lea an und sagte leise zu ihr: „Es heißt SIE: ‚Herr Sauerbier, haben SIE …‘. Zu Erwachsenen sagt man nicht DU.“
Lea blickte Tom verständnislos an.
„Wieso SIE? Herr Sauerbier ist doch ein ER.“ Lea drehte sich zu Herrn Sauerbier. „Herr Sauerbier, soll ich SIE zu dir sagen?“
„Was?“ Herr Sauerbier schaute Lea irritiert an, wandte sich aber sofort wieder seiner Erfindung zu.
„Quatsch“, murmelte er abwesend. „Gebt mir mal den kleinen Schraubendreher.“
Lea streckte Tom die Zunge heraus.
„Den Schraubenzieher?“, fragte Tom und ignorierte Lea.
„Nein“, sagte Herr Sauerbier, „es heißt Schraubendreher. Damit dreht man Schrauben, man zieht sie nicht.“
Tom reichte ihm den Schraubendreher. Lea zog sich an der Werkbank hoch, damit sie besser sehen konnte.
Langsam nahm der Apparat Gestalt an.
„Und jetzt gebt mir mal die Bürste aus der Kiste.“
Herr Sauerbier deutete auf einen der Schubkästen unter der Werkbank.
Tom zog den Kasten heraus. Darin lagen unterschiedlichster Schrott und alte Haushaltsgegenstände wild durcheinander. Lea nahm mit zwei Fingern die einzige Bürste heraus, eine Klobürste mit schwarzen und weißen Borsten.
„Iiiihhhh“, sagte sie und hielt Herrn Sauerbier die Bürste mit weit von sich gestrecktem Arm hin.
„Stell dich nicht so an. Die hab’ ich vorher gereinigt“, brummte Herr Sauerbier und nahm die Klobürste.
„Dekontaminiert?“, fragte Tom. Herr Sauerbier nickte, dann bastelte er weiter. Tom verkniff sich die Frage, wie Herr Sauerbier es wohl geschafft hatte, die Bürste ohne einen Dekontaminationsapparat zu dekontaminieren.
Herr Sauerbier schraubte die Bürste fest und montierte abschließend eine Handkurbel an der Seite des Apparats.
„Fertig“, sagte er und rieb sich zufrieden die Hände. Tom betrachtete den Dekontaminationsapparat.
Er war sich sicher, dass er einen ähnlichen Apparat im letzten Nordsee-Urlaub schon mal gesehen hatte. In dem Haus, in dem sich ihre Ferienwohnung befand, stand ein Schuhputzapparat direkt am Eingang. Wenn man vom Strand kam, konnte man sich den Sand von den Schuhen putzen. Man drückte einen Knopf und es drehten sich Bürsten.
Dann hielt man seinen Schuh daran, bis er sauber war.
Aber Herr Sauerbier schaute seine Erfindung so glücklich und zufrieden an, dass Tom es für sich behielt. Es war ja eigentlich nicht wichtig, ob es so etwas schon gab. Viel wichtiger war, dass es funktionierte.
Jetzt nahm Herr Sauerbier den verschmutzten Schuh, der auf dem Boden neben der Werkbank stand, und hielt ihn vor die Bürste.
Lea nahm schon mal den spinatverkrusteten Löffel aus ihrer Hosentasche, um ihn direkt danach auch zu reinigen.
Herr Sauerbier drehte kräftig an der seitlichen Kurbel.
Die Klobürste rotierte so schnell, dass die schwarzen und weißen Borsten in einem einheitlichen Grau schimmerten.
Dann hielt er den Schuh daran. In dem Moment, als der Schuh die Borsten berührte, lösten sich kleine, braune Bröckchen vom Schuh und flogen in hohem Bogen quer durch die Garage.
„Iiiiihhhh“, rief Lea laut. Tom und Lea flüchteten hinter den verhüllten Gegenstand in der Garagenmitte. Kata schaute von ihrem Smartphone auf und duckte sich schnell neben die Werkbank.
Herr Sauerbier hörte sofort auf zu kurbeln und betrachtete das Garagentor, das nun mit kleinen braunen Sprenkeln übersät war.
Erst nachdem die Bürste aufgehört hatte, sich zu drehen, trauten sich Lea, Tom und Kata aus ihrer Deckung.
Den Löffel hatte Lea unauffällig wieder in ihre Hosentasche gleiten lassen. Beim Anblick der braunen Bröckchen an der Bürste hatte sie beschlossen, doch lieber den Spülschwamm zu benutzen.
Herr Sauerbier sah längst nicht mehr so glücklich aus wie noch vor wenigen Sekunden.
„Da muss ich wohl noch etwas nachbessern“, brummte er mit Blick auf seine Erfindung.
Dann betrachtete er den Schuh in seiner Hand, der immer noch ziemlich schmutzig war, zuckte mit den Schultern und streifte den Schuh über seine inzwischen dunkelrot-graue Socke. Nachdem er sich auch den zweiten Schuh angezogen hatte, ging er in Richtung Tür.
„Ich geh mal eben Putzzeug holen“, sagte er und öffnete die Tür, um nach nebenan ins Haus zu gehen. Bevor er nach draußen trat, drehte er sich noch mal um. „Und nichts anfassen!“, sagte er, bevor er die Tür hinter sich zuzog.
*
„Hier stinkt’s“, sagte Lea, kaum war die Tür hinter Herrn Sauerbier ins Schloss gefallen. Sie rümpfte die Nase.
Toms Blick fiel auf einen Stapel Papiertücher, die auf der Werkbank lagen. Er nahm ein Papiertuch und fing schon mal an, die gröbsten Bröckchen mit dem Tuch wegzuwischen. Während Tom sich mit dem Papiertuch dem Garagentor widmete, näherte Lea sich langsam dem abgedeckten Gegenstand in der Garagenmitte. Tom sah es aus dem Augenwinkel.
„Nicht anfassen!“, sagte er schnell, bevor Lea auf dumme Gedanken kommen konnte. „Herr Sauerbier wird böse.“
„Ich guck’ ja nur“, sagte Lea trotzig. Sie ging näher ran. Als Tom sich abwandte, um ein neues Papiertuch von der Werkbank zu holen, lupfte Lea ganz vorsichtig einen Zipfel des weißen Lakens, um einen Blick darunter zu werfen. Plötzlich fing das Stofftuch an zu rutschen.
„Oh“, sagte Lea und machte erschrocken einen Schritt zurück. Im nächsten Moment lag das weiße Tuch auf dem Fußboden.
Tom drehte sich herum und sah gerade noch, wie das Laken auf den Boden fiel und dabei eine kleine Wolke Sägemehl und Staub aufwirbelte.
„Kannst du nicht EINMAL hören?!“, fuhr er Lea an.
„Ich hab’ nichts gemacht.“ Lea machte sicherheitshalber noch einen Schritt zurück.
„Ja, klar“, sagte Tom und betrachtete den großen Gegenstand, der bis eben verhüllt gewesen war. Auch Kata schaute jetzt neugierig hin.
„Sieht komisch aus“, sagte sie. „Aber warum macht der so ein Geheimnis darum?“
„Keine Ahnung“, sagte Tom und ging näher heran.
Die Konstruktion, die bis eben mit dem Tuch verhüllt gewesen war, sah wirklich seltsam aus. Herr Sauerbier hatte das Ding bestimmt selbst gebaut.
Der untere Teil bestand aus einer Art Holzpodest, zusammengeschraubt aus Spanplatten und mit Klarlack gestrichen. Auf dem Holzpodest waren im vorderen Bereich ein geblümter Ohrensessel, rechts daneben ein Holzstuhl mit abgewetztem Sitzpolster und dahinter eine alte Küchenbank montiert. Die Bank war das kurze Stück einer Eckbank mit weißblau karierten, gepolsterten Sitzflächen.
Die Sitzplätze waren ähnlich angeordnet wie in einem Auto. Der Ohrensessel wäre wohl in diesem Fall der Fahrersitz, der Holzstuhl der Beifahrersitz und die Küchenbank der Rücksitz. Direkt vor dem Sessel und dem Stuhl gab es eine Art Cockpit, wie in einem Flugzeug. Dieses Cockpit war aus Blech zusammengeschraubt und hatte ein Display und zahlreiche Knöpfe. Ein Lenkrad oder einen Steuerknüppel gab es aber nicht.
‚Wozu auch‘, dachte Tom, denn die ganze Konstruktion hatte ja nicht mal Räder oder Flügel, um sich fortzubewegen. Rund um Sitze und Cockpit waren Metallprofile auf dem Podest montiert und mit Hasendraht überzogen, der eine Hülle um die gesamte Konstruktion bildete.
Direkt neben den Sitzen gab es Öffnungen in der Drahthülle, durch die man die Konstruktion betreten konnte.
Was Lea in diesem Moment tat.
*
Lea stieg durch die Öffnung an der linken Seite und nahm in dem geblümten Ohrensessel Platz.
„Lea! Komm sofort da raus“, fuhr Tom sie an. „Wir müssen das wieder abdecken, bevor Herr Sauerbier zurückkommt!“
„Was ist das?“, fragte Lea, völlig unbeeindruckt von Toms Aufforderung.
Sie kuschelte sich bequem in den Sessel und strich mit der Hand über den geblümten Samtstoff.
„Schön weich“, sagte sie und ignorierte Tom weiterhin, der sie böse ansah.
„Lass sie doch, was ist schon dabei“, sagte Kata und setzte sich hinter Lea auf die karierte Eckbank.
„Guck mal.“ Lea hatte ein Tastenfeld mit Zahlen auf dem Cockpit entdeckt. Sie streckte die Hand aus und drückte eine Zahl. Dann noch eine. Und noch eine.
Jetzt reichte es Tom.
„Bist du verrückt?! Hör sofort auf!“ Er setzte sich neben Lea auf den freien Stuhl und hielt ihre Hand fest, damit sie nicht weiter am Cockpit herumspielen konnte.
„Au, lass das!“ Lea zog ihre Hand weg. Wenigstens hörte sie damit auf, irgendwelche Knöpfe zu drücken. Im Display waren jetzt eine
leuchtende Zwei, eine Eins und eine Fünf zu sehen. Tom drückte eine Null, in der Hoffnung, die Zahlen wieder löschen zu können. Jetzt standen im Display eine Zwei, eine Eins, eine Fünf und eine Null.
„Stell dich doch nicht so an, was soll schon passieren?“, sagte Kata hinter ihm. „Das sind doch nur alte Möbel in einer Garage.“
Tom ignorierte seine Cousine und dachte nach. Vielleicht könnte er die Zahlen löschen, indem er so lange die Null drückte, bis das Display voll war.
Vielleicht würden die Nullen dann die anderen Zahlen überschreiben. Einen Versuch war es wert. Tom drückte die Null und dann immer wieder, bis das Display voll war. Im Display stand jetzt zwei – eins – fünf – null – null – null – null – null – null. Mist, so funktionierte es schon mal nicht.
„Warum darfst DU Zahlen drücken und ich nicht?“ Lea sah Tom vorwurfsvoll an.
Tom warf ihr einen so wütenden Blick zu, dass sie es vorzog, nicht weiter zu fragen. Sie verschränkte die Arme und sah ihrem Bruder schmollend zu.
Tom überlegte weiter. Irgendwie musste er die Zahlen aus dem Display löschen, bevor Herr Sauerbier zurück war. Sein Blick wanderte über das Cockpit mit den zahlreichen Knöpfen und Schaltern.
Ein Knopf, direkt neben dem Tastenfeld mit den Zahlen, sprang ihm besonders ins Auge. Der Knopf war rot, nicht wie die anderen Knöpfe weiß.
Vielleicht war das der Knopf zum Löschen. Er musste es sein, warum sonst sollte er direkt neben dem Tastenfeld platziert sein? Es musste ja einen Knopf geben, um die Eingabe zu löschen. Es war einen letzten Versuch wert. Wenn das nicht klappte, müsste Tom eben Herrn Sauerbier gestehen, dass sie unter das Tuch geschaut hatten. Und dass sie entgegen seiner Anweisung die merkwürdige Konstruktion angefasst hatten.
‚Na gut, was soll’s‘, dachte sich Tom und streckte den Finger aus, um auf den roten Knopf zu drücken.
*
In diesem Moment betrat Herr Sauerbier, mit einem Eimer voll Wasser und einem Schwamm in der Hand, die Garage. Als Erstes fiel sein Blick auf das weiße Laken auf dem Boden. Im nächsten Moment sah er, dass Lea, Kata und Tom in der vorhin noch verhüllten Konstruktion saßen.
„Was zum …?!“, polterte er. Doch die Worte blieben ihm im Halse stecken, als er sah, wie Tom die Hand ausstreckte, um auf den roten Knopf zu drücken.
Herr Sauerbier ließ den Eimer mit Wasser fallen, machte einen großen Satz auf das Podest, aber er kam zu spät.
Tom hatte den Knopf gedrückt.
*
Wäre zu diesem Zeitpunkt jemand in der Garage gewesen, der das Ganze hätte beobachten können, so hätte dieser „Jemand“ einen grellen, blau-grünen Blitz sehen können, gefolgt von einem Staubwirbel. Und danach nichts mehr, denn die seltsame Konstruktion, mitsamt Insassen, war verschwunden. Zurück blieben nur ein umgekippter blauer Eimer, ein Schwamm und eine große Pfütze Putzwasser auf dem Garagenboden, die sich langsam ausbreitete und mit den Sägespänen zu einer hellbraunen Pampe vermischte.
Doch in der Garage war niemand.
Das heißt: IN der Garage war niemand. Aber VOR der Garage war jemand. Und dieser „Jemand“ sah durch das Garagenfenster und traute seinen Augen nicht.
*
Den Bruchteil einer Sekunde bevor Tom den Knopf drückte, sah er Herrn Sauerbier. Herr Sauerbier sprang zu ihnen auf das Podest und auf den freien Platz neben Kata. Danach ging alles rasend schnell. Tom hatte eben noch überlegt, wie er Herrn Sauerbier am besten erklären könnte, warum sie nicht auf ihn gehört hatten, als das plötzlich sehr, sehr nebensächlich wurde.
*
In dem Moment, als Tom den Knopf drückte, wurde es um ihn herum abwechselnd hell und dunkel. Die Welt flackerte in allen möglichen Farben und er hatte das Gefühl, dass sich der Stuhl, auf dem er saß, und alles um ihn herum bewegte und gleichzeitig nicht bewegte. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, verbunden mit einem starken Ziehen, tief in seiner Magengegend, gefolgt von stechenden Ohrenschmerzen aufgrund der schrillen Schreie, die Lea neben ihm ausstieß.
Tom hielt sich mit einer Hand am Cockpit fest und griff mit der anderen Hand nach Leas Hand, mit der sie sich tief in die Armlehne des Sessels krallte. Er schloss die Augen und hoffte, dass das, was hier passierte – was auch immer es war –, ganz schnell vorbei war.
Nach einer gefühlten Ewigkeit verstummten die Schreie neben ihm und Tom spürte einen leichten Luftzug in seinem Gesicht. Er wartete noch ein paar Sekunden ab und öffnete dann vorsichtig seine Augen. Nur, um sie sofort wieder zu schließen und erneut zu öffnen – denn er konnte nicht glauben, was er sah.