David Copperfield. Band Drei - Charles Dickens - E-Book

David Copperfield. Band Drei E-Book

Charles Dickens.

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Beschreibung

“David Copperfield” ist die Geschichte der Abenteuer eines jungen Mannes auf seinem Weg von einer unglücklichen und verarmten Kindheit zur Entdeckung seiner Berufung als erfolgreicher Schriftsteller. Zu den herrlich lebendigen Charakteren, denen er begegnet, gehören sein tyrannischer Stiefvater Mr. Murdstone, sein brillanter, aber letztlich unwürdiger Schulfreund James Steerforth, seine furchterregende Tante Betsey Trotwood, der ewig bescheidene, aber verräterische Uriah Heep, die frivole, bezaubernde Dora Spenlow und der herrlich mittellose Wilkins Micawber, eine der großen komischen Schöpfungen der Literatur. In “David Copperfield” – dem Roman, den er als sein “Lieblingskind” bezeichnete – verarbeitete Dickens aufschlussreich seine eigenen Erfahrungen, um eines der überschwänglichsten und dauerhaft beliebtesten Werke zu schaffen, das Tragödie und Komödie gleichermaßen enthält. Dies ist der dritte von drei Bänden.

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Seitenzahl: 516

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CHARLES DICKENS

DAVID COPPERFIELD

Roman in drei Bänden

Band 3

 

 

 

DAVID COPPERFIELD wurde im englischen Original zuerst in Buchform veröffentlicht von Bradbury & Evans, London 1850.

Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von

© apebook Verlag, Essen (Germany)

www.apebook.de

1. Auflage 2021

V 1.0

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.

 Band Drei

ISBN 978-3-96130-432-5

Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de

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Inhaltsverzeichnis

David Copperfield. Band 3

Impressum

Dritter Band

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

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Zu guter Letzt

DRITTER BAND

Erstes Kapitel

Endlich kam eine Antwort von den beiden alten Damen. Sie empfahlen sich bestens Mr. Copperfield und ließen ihm sagen, daß sie seinen Brief in reiflichste Erwägung gezogen hätten, und zwar mit Rücksicht auf »das Glück beider Teile.«

Der Ausdruck kam mir recht beunruhigend vor, nicht nur, weil sie ihn schon einmal bei ihrer Zwistigkeit mit ihrem Bruder gebraucht, sondern auch, weil bekanntlich herkömmliche Phrasen wie ein Feuerwerk sind, das leicht losgeht und die verschiedensten Gestalten und Formen annimmt, die man seinem ursprünglichen Aussehen nach nie vermutet hätte.

Die beiden Misses Spenlow fügten hinzu, sie müßten sich enthalten, auf »brieflichen Verkehr« hin ein Urteil über den Gegenstand von Mr. Copperfields Mitteilungen auszusprechen, aber daß sie sich glücklich schätzen würden, mit Mr. Copperfield über diesen Punkt persönlich zu sprechen, wenn er ihnen an einem bestimmten Tage, am liebsten in Begleitung eines vertrauenswürdigen Freundes, die Ehre seines Besuches erweisen wollte.

Auf dieses wertgeschätzte Schreiben antwortete Mr. Copperfield sofort mit der größten Ergebenheit, daß er sich die Ehre nehmen werde, an dem bestimmten Tag den Misses Spenlow seine Aufwartung zu machen, und zwar mit ihrer gütigen Erlaubnis in Gesellschaft seines Freundes Mr. Thomas Traddles vom innern Juristenkollegium.

Nach Absendung dieser Botschaft geriet Mr. Copperfield in die größte Gemütserregung und verblieb in derselben, bis der Tag gekommen war.

Meine Bedrängnisse wurden nicht wenig dadurch vermehrt, daß ich in dieser Krisis die unschätzbaren Dienste der Miß Mills entbehren mußte. Mr. Mills, der mir immer etwas zum Tort tat – wenigstens schien es mir so –, hatte seinem Benehmen die Krone aufgesetzt und den Entschluß gefaßt nach Ostindien zu reisen. Was wollte er in Indien! Nur mir zum Verdruß fuhr er nach Indien! Allerdings hatte er mit keinem andern Weltteil so viel zu tun wie mit diesem, denn er ging ganz im indischen Handel auf. Ich wußte weiter nichts vom indischen Handel und machte mir so eine phantastische Vorstellung von goldnen Schals und Elefantenzähnen.

Mr. Mills war in seiner Jugend in Kalkutta gewesen und wollte sich jetzt dort als Teilhaber eines Handelshauses niederlassen. Aber was ging das mich an! Julia sollte mit ihm gehen und war über Land gefahren, um von ihren Verwandten Abschied zu nehmen. Das Haus trug förmlich einen Mantel von Anzeigen, auf denen stand, was alles vermietet, verkauft oder versteigert werden sollte (auch der Hausrat, die Mangel mit eingeschlossen!).

So wurde ich abermals das Opfer eines Erdbebens, ehe ich mich noch von den Erschütterungen des ersten erholt hatte.

Ich schwankte, was ich an diesem wichtigen Tage anziehen sollte. Einesteils wollte ich einen möglichst vorteilhaften Eindruck machen, andererseits befürchtete ich etwas anzuziehen, was das Streng-praktische meines Aussehens in den Augen der beiden Misses Spenlow hätte beeinträchtigen können. Ich bemühte mich, einen glücklichen Mittelweg ausfindig zu machen. Meine Tante billigte den Anzug, und Mr. Dick warf mir der guten Vorbedeutung wegen einen Schuh nach.

Ich kannte Traddles als vortrefflichen Freund und war ihm herzlich zugeneigt. Dennoch hätte ich bei dieser delikaten Gelegenheit gewünscht, daß er sich nie gewöhnt hätte, sein Haar so unglaublich in die Höhe zu bürsten. Es gab ihm ein so verwundertes Aussehen – ich möchte fast sagen, etwas Besenhaftes –, was, wie ich fürchtete, uns zum Unglück ausschlagen könnte.

Ich nahm mir die Freiheit, Traddles auf dem Wege nach Putney darauf aufmerksam zu machen und ihn zu bitten, ob er es nicht nur ein ganz klein wenig glatt streichen wollte.

»Mein lieber Copperfield,« sagte Traddles, indem er den Hut abnahm und sein Haar in allen Richtungen rieb, »nichts würde mir mehr Vergnügen bereiten, aber es will nicht.«

»Es will sich nicht glätten lassen?«

»Nein. Es läßt sich durch nichts dazu bewegen. Und wenn ich den ganzen Weg nach Putney einen halben Zentner drauf trüge, so würde es sich in demselben Augenblick wieder aufrichten, in dem man das Gewicht entfernt. Du kannst dir keine Vorstellung machen, wie eigenwillig mein Haar ist, Copperfield! Ich sehe immer aus wie ein gereiztes Stachelschwein.«

Ich muß gestehen, ich war ein wenig verdrießlich, obgleich mich seine Gutherzigkeit versöhnte. Ich sagte ihm, wie sehr ich ihn schätzte, und daß sein Haar offenbar allen Eigensinn aus seinem Charakter an sich gezogen haben müßte, da er so gar keine Spur davon besitze.

»Ja, das ist eine alte Geschichte mit meinem unglückseligen Haar,« lachte Traddles. »Die Frau meines Onkels konnte es schon nicht ausstehen. Sie sagte, es brächte sie zur Verzweiflung. Auch bei meiner Werbung um Sophie war es mir anfangs sehr hinderlich. Sogar außerordentlich.«

»Hatte sie etwas dagegen?«

»Sie nicht, aber ihre älteste Schwester – die Schönheit – machte sich immer darüber lustig. Alle Schwestern lachen darüber.«

»Recht angenehm!« meinte ich.

»Ja,« bestätigte Traddles mit größter Harmlosigkeit. »Es ist für uns alle ein wahrer Spaß. Sie behaupten, Sophie besäße eine Locke davon in ihrem Schreibtisch und habe an dem Buch ein Schloß anbringen müssen, da es sonst nicht zu ginge. Wir scherzen immer darüber.«

»Übrigens, lieber Traddles, vielleicht könnte deine Erfahrung mir von Nutzen sein. Als du dich verlobtest, machtest du da in der Familie einen regelrechten Heiratsantrag? Kam so etwas vor, wie wir zum Beispiel heute vorhaben?« fragte ich nervös.

»Die Wahrheit zu gestehen,« entgegnete Traddles, über dessen aufmerksames Gesicht sich jetzt ein Schatten von Nachdenklichkeit verbreitete, »war es bei mir eine ziemlich unangenehme Geschichte, Copperfield. Siehst du, Sophie ist für die Familie so unentbehrlich, daß niemand sich mit dem Gedanken, sie könne jemals heiraten, vertraut machen wollte. Sie hatten es geradezu unter sich abgemacht, daß sie niemals heiraten dürfte, und nannten sie nur die alte Jungfer. Als ich es daher mit der größten Vorsicht gegen Mrs. Crewler zur Sprache brachte – der Vater ist Reverend Horace Crewler –, schrie sie laut auf und fiel in Ohnmacht. Monatelang durfte ich das Thema nicht wieder berühren.«

»Aber endlich brachtest du es doch wieder zur Sprache?«

»Das tat Seine Ehrwürden selbst. Er ist ein ganz vortrefflicher Mann, musterhaft in jeder Hinsicht und er hielt seiner Gattin vor, daß sie sich als Christin mit dem Gedanken an das Opfer versöhnen müsse – um so mehr, als es ungewiß sei – und kein unchristliches Gefühl gegen mich hegen dürfte. Was mich betrifft, Copperfield, ich gebe dir mein Wort, ich kam mir der Familie gegenüber wie ein Raubvogel vor.«

»Aber die Schwestern nahmen doch deine Partei, hoffe ich, Traddles?«

»Nun, das kann ich gerade nicht sagen. Als wir Mrs. Crewler so halb und halb versöhnlich gestimmt hatten, mußten wir es Sara beibringen. Du weißt wohl noch, – Sara, die am Rückenmark leidet.«

»Ja, ich weiß.«

»Sie ballte beide Hände,« sagte Traddles, »sah mich zornig an, schloß die Augen, wurde bleifarben, dann ganz steif und genoß zwei Tage lang nichts als teelöffelweise Toast mit Wasser.«

»Was für ein unliebenswürdiges Mädchen, Traddles.«

»O nein. Ich bitte um Entschuldigung, Copperfield. Sie ist ein ganz entzückendes Mädchen und hat nur zu viel Gefühl. Das haben sie überhaupt alle! Sophie gestand mir später, daß die Selbstvorwürfe, die sie sich gemacht, als sie Sara pflegte, unbeschreiblich gewesen seien. Daß sie schmerzlich gewesen sein mußten, verrieten mir meine eignen Empfindungen, Copperfield, die denen eines Verbrechers glichen. Als Sara von dem Schlag wieder genesen war, hatten wir es noch den andern acht beizubringen, und es brachte auf sie die verschiedenartigsten Wirkungen rührendster Art hervor. Die beiden Kleinen, die Sophie erzieht, haben erst vor kurzem aufgehört mich zu verabscheuen.«

»Hoffentlich haben sie sich jetzt vollständig damit ausgesöhnt?«

»J– ja,« gab Traddles zögernd zu. »Im großen ganzen scheinen sie sich darein ergeben zu haben. Wir sprechen weiter nicht von der Sache, und die Ungewißheit meiner Aussichten ist für sie alle ein großer Trost. Wenn wir einmal heiraten, wird es eine klägliche Szene geben. Sie wird einem Leichenbegängnis eher ähnlicher sehen als einer Hochzeit. Und hassen werden sie mich alle, wenn ich sie mit fortnehme.«

Sein ehrliches Gesicht, wie er halb ernst, halb komisch den Kopf schüttelte, macht jetzt in der Erinnerung einen größern Eindruck auf mich als damals in Wirklichkeit, denn ich war in einen Zustand so übermäßiger Angst und Gedankenflucht geraten, daß ich meine Aufmerksamkeit nicht lange auf ein und denselben Gegenstand richten konnte. Als wir in die Nähe der Wohnung der Misses Spenlow kamen, stand es mit meinem Aussehen und meiner Geistesgegenwart so schlimm, daß Traddles ein Glas Ale als sanftes, mutbildendes Mittel in Vorschlag brachte. Nachdem ich einige Schlücke in einem benachbarten Wirtshaus genossen, ging ich, von ihm geleitet, schwankenden Schrittes zu den Misses Spenlow.

Ich hatte die unbestimmte Empfindung beobachtet zu werden, als das Mädchen die Tür öffnete und ich durch eine Vorhalle mit einem Wetterglas in ein stilles kleines Parterrezimmer mit der Aussicht auf einen niedlichen Garten wankte. Es kam mir so vor, als setzte ich mich auf ein Sofa, glaubte Traddles Haar, wie er seinen Hut abnahm, aufschnellen zu sehen gleich einer der gewissen kleinen Schreckfiguren, die aus Schnupftabakzauberdosen hervorspringen. Ich glaube, ich hörte eine altmodische Uhr auf dem Kaminsims ticken, und versuchte, das Geräusch mit meinem Herzklopfen in Takt zu bringen, aber es gelang nicht. Ich sah mich, glaube ich, im Zimmer nach einem Zeichen von Doras Anwesenheit um und erblickte nichts. Mir scheint, Jip bellte einmal in der Ferne und wurde sofort von jemand beschwichtigt.

Zuletzt fand ich mich in einer Situation wieder, in der ich Traddles rücklings in den Kamin drängte und mich in großer Verwirrung vor zwei vertrockneten ältlichen Damen verbeugte, die, schwarz gekleidet, auch in ihrem übrigen Aussehen lebhaft an den verstorbenen Mr. Spenlow erinnerten.

»Ich bitte,« sagte eine der beiden kleinen Damen, »nehmen Sie Platz.«

Als ich aufgehört hatte über Traddles zu stolpern und mich auf etwas gesetzt hatte – es war keine Katze, wie das erste Mal –, hellten sich meine Augen wenigstens so weit auf, um sehen zu können, daß die jüngere der beiden Schwestern, die sechs bis acht Jahre älter als Mr. Spenlow sein mochten, mit der Leitung der Konferenz beauftragt zu sein schien, denn sie hielt meinen Brief in der Hand und betrachtete ihn von Zeit zu Zeit durch ein Augenglas.

Beide waren gleich gekleidet, aber diese Dame trug sich etwas jugendlicher; ein wenig mehr Fransen, eine Brosche oder ein Armband oder andere Kleinigkeiten der Art verliehen ihr ein etwas lebhafteres Aussehen. Beide hielten sich sehr steif, waren zeremoniell, gefaßt und ruhig. Die ältere hatte die Arme verschränkt und saß da wie ein Götzenbild.

»Mr. Copperfield vermute ich,« sagte die Schwester mit dem Brief zu Traddles.

Das war ein schrecklicher Anfang. Traddles mußte auseinander setzen, daß ich Mr. Copperfield wäre, stellte mich vor, und die Damen hatten sich von ihrer vorgefaßten Meinung, Traddles sei Mr. Copperfield, frei zu machen, und alles war in trefflicher Konfusion. Um das Maß voll zu machen, hörte man Jip draußen deutlich bellen und wieder beschwichtigt werden.

»Mr. Copperfield!« wandte sich jetzt die Schwester mit dem Brief an mich.

Ich tat irgend etwas – verbeugte mich vermutlich – und war ganz Ohr, als die andere Dame einfiel:

»Meine Schwester Lavinia, die in Dingen dieser Art bewandert ist, wird klar legen, was wir zur Förderung des Glückes beider Teile für das Geeignetste erachten.«

Ich entdeckte später, daß Miß Lavinia als Autorität in Herzensangelegenheiten galt, weil früher einmal ein gewisser Mr. Pidger im Hause einen kurzen Whist gespielt und sich angeblich dabei in sie verliebt haben sollte.

Meiner Meinung nach war dies eine willkürliche Annahme gewesen, denn Mr. Pidger hatte niemals ein Wort darüber verlauten lassen. Aber Miß Lavinia und Miß Clarissa lebten in dem Glauben, er sei nur deshalb von einer Liebeserklärung abgehalten worden, weil er durch den Tod in der Blüte seiner Jahre, nämlich im sechzigsten, infolge übermäßigen Trinkens und darauffolgenden massenhaften Genusses der Heilquellen von Bath, der Welt entrissen wurde. Sie hegten den Verdacht, er sei an unterdrückter Liebe gestorben. Sein Porträt im Hause stellte ihn mit einer leuchtend roten Nase dar, und ich vermochte darin nicht das Zeichen heimlicher Liebesleidenschaft zu sehen.

»Wir wollen nicht von der Vergangenheit sprechen,« sagte Miß Lavinia. »Der Tod unseres armen Bruders Francis enthebt uns dessen.«

»Wir standen mit unserm Bruder Francis nicht in häufigem Verkehr,« unterbrach Miß Clarissa, »aber ausgesprochene Uneinigkeit herrschte nie zwischen uns. Francis schlug seinen Weg ein, und wir den unsrigen. Wir erachteten das für das Glück aller Beteiligten als das beste. Und das war es auch.«

Jede der beiden Schwestern bog sich stets ein wenig beim Sprechen vor, nickte dann und saß wieder steif aufrecht, wenn sie schwieg. Miß Clarissa bewegte die Arme nie. Manchmal trommelte sie mit ihren Fingern – Menuette und Märsche, wie es schien.

»Die Lage unserer Nichte oder besser gesagt, ihre vermeintliche Lage, hat sich durch das Ableben unseres Bruders Francis sehr verändert,« sagte Miß Lavinia, »und deshalb erachten wir die Meinung unseres Bruders über ihre Lage ebenfalls für verändert. Wir haben keinen Grund zu bezweifeln, Mr. Copperfield, daß Sie ein junger Gentleman von guten Eigenschaften und ehrenwertem Charakter sind, noch auch, daß Sie eine Neigung – wenigstens Ihrer Überzeugung nach – zu unserer Nichte gefaßt haben.«

Ich erwiderte wie immer, wenn sich Gelegenheit dazu bot, daß noch nie ein Mensch so geliebt habe wie ich. Traddles kam mir mit einem bekräftigenden Gemurmel zu Hilfe.

Miß Lavinia wollte fortfahren, aber Miß Clarissa, immerwährend von dem Verlangen beseelt, über ihren Bruder Francis zu sprechen, fiel ihr ins Wort:

»Wenn Doras Mama gleich bei ihrer Verheiratung mit unserm Bruder Francis festgestellt hätte, daß für die Familie kein Platz am Mittagtisch sei, wäre es für das Glück aller Beteiligten besser gewesen!«

»Schwester Clarissa,« sagte Miß Lavinia. »Vielleicht brauchten wir davon jetzt nicht zu sprechen.«

»Liebe Schwester Lavinia, es gehört zur Sache! In den Teil der Angelegenheit, von dem du allein zu sprechen berechtigt bist, nehme ich mir nicht heraus dreinzureden. Aber in dem eben erwähnten habe ich eine Stimme und eine Meinung. – Es wäre besser gewesen für das Wohl aller Beteiligten, wenn Doras Mama gleich bei ihrer Verheiratung mit unserm Bruder Francis ihre Ansicht offen herausgesagt hätte. Wir wären informiert gewesen und hätten gesagt: Bitte, dann ladet uns überhaupt nicht ein, und jede Möglichkeit eines Mißverständnisses wäre unterblieben.«

Als Miß Clarissa mit Kopfnicken fertig war, fing Miß Lavinia wieder an, nachdem sie meinen Brief abermals durch ihr Augenglas betrachtet hatte.

Sie hatten beide kleine, helle, runde, funkelnde Augen und überhaupt ganz das Wesen von lebhaften, putzigen, federschüttelnden Kanarienvögeln.

Miß Lavinia fuhr also fort:

»Sie bitten meine Schwester und mich um Erlaubnis, Mr. Copperfield, als erklärter Bewerber unserer Nichte hier verkehren zu dürfen.«

»Wenn unser Bruder Francis,« fiel Miß Clarissa ein, »sich schon mit einer Atmosphäre von Doktors Commons und nur von Doktors Commons zu umgeben wünschte, wie konnten wir etwas dagegen einwenden? Wir hatten kein Recht dazu und sind immer weit entfernt gewesen uns jemand aufdrängen zu wollen. Aber warum sagte er es nicht offen heraus? Unser Bruder Francis und seine Gattin sollen sich ihre Gesellschaft ruhig aussuchen. Meine Schwester Lavinia und ich finden unsern Verkehr auch ohne ihn, hoffe ich.«

Da sie sich mit diesen Worten an Traddles und mich zu wenden schien, gaben sowohl er als ich eine Art Antwort. Traddles Worte waren unhörbar. Ich glaube, ich äußerte mich, daß es für alle Teile höchst ehrenvoll sei. Was ich damit sagen wollte, wußte ich selbst nicht.

»Liebe Schwester Lavinia,« sagte Miß Clarissa, die jetzt ihr Herz erleichtert hatte, »bitte weiter.«

Miß Lavinia fuhr fort:

»Mr. Copperfield, meine Schwester Clarissa und ich haben Ihren Brief in sorgfältigste Erwägung gezogen und haben es nicht getan, ohne auch schließlich mit unserer Nichte darüber zu sprechen. Wir bezweifeln nicht, daß Sie sie sehr zu lieben glauben.«

»O, glauben! Maam,« hob ich ganz begeistert an. »O – –«

Aber da mir Miß Clarissa einen vogelartigen Blick zuwarf, als wolle sie nicht, daß ich das Orakel unterbräche, so bat ich um Verzeihung.

»Liebe,« sagte Miß Lavinia und ersuchte ihre Schwester mit einem Blick um Beistimmung, die diese auch mit einem Kopfnicken nach jedem Satz erteilte, »Liebe, gereifte Zuneigung, Hingebung, Verehrung sprechen nicht mit lautem Ton! Ihre Stimmen sind leise. Sie sind bescheiden, liegen sozusagen im Hinterhalt und warten und warten. So sind die gereiften Früchte. Manchmal gleitet ein Leben hinweg, und immer noch reifen sie im Schatten.«

Natürlich verstand ich damals noch nicht diese Anspielung auf den unglücklichen Mr. Pidger, aber ich erkannte aus dem Ernst, mit dem Miß Clarissa mit dem Kopf nickte, daß Großes in diesen Worten verborgen lag.

»Die leichten – denn ich nenne sie im Vergleich mit solchen Empfindungen leicht – die leichten Neigungen der ganz jungen Leute,« fuhr Miß Lavinia fort, »sind dagegen wie Staub, verglichen mit Felsen. Weil es nun so schwer ist zu erkennen, ob sie von Dauer sind oder auf echtem Grunde stehen, waren meine Schwester Clarissa und ich lange unentschlossen, Mr. Copperfield, und Mr. – –«

»Traddles,« ergänzte mein Freund, als er den Blick der Dame auf sich ruhen fühlte.

»Ich bitte um Entschuldigung. Vom innern Juristenkollegium, glaube ich?« Sagte Miß Clarissa und sah wieder in den Brief.

»So ist es,« bestätigte Traddles und wurde ziemlich rot.

Obwohl ich bisher noch keinerlei Aufmunterung zu hören bekommen hatte, so glaubte ich doch in den beiden kleinen Schwestern und vornehmlich in Miß Lavinia eine große Neigung zu erkennen, dieses neue vielversprechende Thema häuslichen Interesses zu genießen und nach Möglichkeit auszuspinnen, was mir ziemlich viel Hoffnung erweckte. Mir schien es, als ob Miß Lavinia außerordentliche Lust darin fände, zwei junge Liebende wie Dora und mich am Gängelbande zu führen, und es Miß Clarissa nicht weniger Genuß bereitete, diese Leitung mitanzusehen und sich in ihrer Art einzumischen, je nachdem sie der Geist dazu trieb.

Die Wahrnehmung flößte mir den Mut ein auf das lebhafteste zu beteuern, daß ich Dora mehr liebe, als ich sagen könnte; daß alle meine Freunde wüßten, wie sehr es der Fall sei; daß meine Tante, Agnes, Traddles und jeder, der mich kenne, wüßten, wie sehr ich Dora liebte und wie ernst mich diese Liebe gemacht hätte. Zur Bestätigung wandte ich mich immer an Traddles. Und Traddles wurde so lebhaft, als ob er mitten in einer parlamentarischen Debatte stünde, und benahm sich geradezu großartig. Er bestätigte meine Rede in festen, klaren Worten und mit einer einfachen, verständigen Art, die offenbar einen günstigen Eindruck machte.

»Ich spreche wie jemand, der eine gewisse Erfahrung in solchen Dingen hat,« sagte Traddles, »denn ich selbst bin mit einer jungen Dame verlobt – einer von zehn Schwestern unten in Devonshire – und sehe bis jetzt noch keine Möglichkeit, wann unser Brautstand zu einem Abschluß kommen kann.«

»Sie werden also gewiß bestätigen können, Mr. Traddles, was ich vorhin sagte von der Liebe, die bescheiden und zurückhaltend wartet und wartet,« bemerkte Miß Lavinia, meinen Freund mit erneutem Interesse ansehend.

»Vollkommen, Maam!«

Miß Clarissa warf Miß Lavinia einen Blick zu und nickte ernst mit dem Kopf. Miß Lavinia erwiderte den Blick mit Selbstbewußtsein und seufzte leise.

»Liebe Schwester Lavinia,« sagte Miß Clarissa, »nimm mein Riechfläschchen.«

Miß Lavinia belebte sich mit ein paar Zügen an dem Fläschchen, – während Traddles und ich mit großer Teilnahme zusahen, und fuhr dann mit etwas schwacher Stimme fort:

»Meine Schwester und ich haben lange geschwankt, Mr. Traddles, was wir angesichts der Neigung – der vielleicht bloß eingebildeten Neigung – von zwei so ganz jungen Leuten, wie Ihr Freund Mr. Copperfield und unsere Nichte sind, tun sollten.«

»Unseres Bruders Francis Kind!« fiel Miß Clarissa wieder ein. »Wenn unseres Bruders Francis Gattin es zu ihren Lebzeiten für passend gefunden hätte – sie konnte doch selbstverständlich ganz nach Belieben handeln –, die Familie zu ihrer Mittagstafel einzuladen, so würden wir unseres Bruders Francis Kind gegenwärtig besser kennen. Liebe Schwester Lavinia, bitter, weiter.«

Miß Lavinia drehte meinen Brief um und blickte durch ihr Augenglas auf ein paar Notizen, die sie dort aufgeschrieben hatte.

»Ich glaube, wir tun gut, Mr. Traddles, es auf eine Beobachtungsprobe ankommen zu lassen. Deshalb sind wir geneigt, insoweit auf Mr. Copperfields Vorschlag einzugehen, daß wir seine Besuche hier gestatten.«

»Niemals werde ich Ihnen Ihre Güte vergessen, meine verehrten Damen!« rief ich. Es war mir ein Stein vom Herzen gefallen.

»Aber,« fuhr Miß Lavinia fort, »wir wünschen, daß diese Besuche vorderhand so angesehen werden, Mr. Traddles, als ob sie uns gälten. Wir müssen uns hüten, eine formelle Verlobung zwischen Mr. Copperfield und unserer Nichte anzuerkennen, ehe wir nicht Gelegenheit gehabt haben –«

»Ehe du nicht Gelegenheit gehabt hast, liebe Schwester Lavinia!«

»Sei es,« stimmte Miß Lavinia mit einem Seufzer bei. »Ehe ich nicht Gelegenheit gehabt habe sie zu beobachten.«

»Copperfield,« wandte sich Traddles zu mir, »du siehst gewiß ein, daß nichts verständiger oder billiger sein kann.«

»Nichts!« rief ich aus. »Ich bin unendlich dankbar dafür.«

»Bei dieser Sachlage,« fuhr Miß Lavinia fort und zog wieder ihre Notizen zu Rate, »und da wir seine Besuche unter einer andern Bedingung nicht gestatten können, müssen wir von Mr. Copperfield die bestimmte Zusage auf Ehrenwort verlangen, daß er mit unserer Nichte in keiner andern Weise und ohne unser Wissen in Verkehr tritt, – daß kein Plan, wie beschaffen er auch immer sei, in bezug auf unsere Nichte entworfen wird, ohne daß man ihn zuerst uns unterbreitet.«

»Dir, Schwester Lavinia!«

»Sei es so, Clarissa, –« sagte Miß Lavinia mit Resignation, »– also mir! Wir müssen dies zu einer ausdrücklichen und ernstlichen Bedingung machen, die um keinen Preis verletzt werden darf. Wir wünschten Mr. Copperfield heute mit einem vertrauten Freunde bei uns zu sehen,« – mit einer Verbeugung gegen Traddles, der sie erwiderte, – »damit über diese Sache kein Zweifel oder Mißverständnis entsteht. Wenn Mr. Traddles oder Sie, Mr. Copperfield, den mindesten Anstand nehmen dieses Versprechen zu geben, so bitte ich Sie, sich die Sache erst zu überlegen.«

In höchster Begeisterung rief ich aus, daß keine Sekunde Überlegung nötig sei. Ich legte das verlangte Versprechen in der leidenschaftlichsten Weise ab, rief Traddles zum Zeugen an und nannte mich den verabscheuungswürdigsten Menschen, wenn ich es jemals auch nur im mindesten verletzte.

»Halt!« rief Miß Lavinia und hielt abwehrend die Hand empor. »Ehe wir das Vergnügen hatten die beiden Herren zu empfangen, beschlossen wir, sie zur Erwägung dieses Punktes eine Viertelstunde allein zu lassen. Gestatten Sie, daß wir uns zurückziehen.«

Vergebens beteuerte ich, daß keine Überlegung notwendig sei. Die Damen bestanden darauf sich auf eine Viertelstunde zu entfernen.

Dann hüpften die beiden kleinen Vögel mit großer Würde hinaus und ließen mich mit Traddles im Zimmer zurück.

Ich nahm die Glückwünsche meines Freundes entgegen und schwebte in einem Gefühl, als wäre ich in die Regionen ewiger Glückseligkeit versetzt. Genau nach Ablauf einer Viertelstunde traten die Damen mit Würde wieder ein. Sie waren fortgerauscht, als ob ihre Kleider aus Herbstblättern bestünden, und rauschten in derselben Weise wieder herein.

Ich verpflichtete mich feierlich von neuem an den vorgeschriebenen Bedingungen festzuhalten.

»Liebe Schwester Clarissa,« sagte Miß Lavinia, »das Übrige ist deine Sache.«

Miß Clarissa löste jetzt zum ersten Mal ihre verschränkten Arme, ergriff den Brief und warf einen Blick auf die Notizen.

»Wir werden uns glücklich schätzen,« sagte sie, »Mr. Copperfield jeden Sonntag zum Essen bei uns zu sehen, wenn es ihm paßt. Wir speisen um drei Uhr.«

Ich verbeugte mich.

»Im Lauf der Woche,« fuhr Miß Clarissa fort, »werden wir uns glücklich schätzen, Mr. Copperfield beim Tee zu sehen. Unsere Stunde ist halb sieben.«

Ich verbeugte mich abermals.

»Zweimal in der Woche als Regel, nicht öfter.«

Ich verbeugte mich wiederum.

»Miß Trotwood, von der in Mr. Copperfields Briefe Erwähnung geschieht, wird uns vielleicht auch besuchen. Wenn Besuche für das Glück aller Beteiligten angezeigt erscheinen, empfangen wir gern Besuche und erwidern sie auch. Wenn es besser ist für das Glück aller Beteiligten, daß keine stattfinden – wie es bei unserm Bruder Francis und seiner Familie der Fall war –, so ist das etwas ganz anderes.«

Ich beteuerte, daß meine Tante sich stolz und glücklich schätzen würde, die Bekanntschaft der Damen zu machen, – obgleich ich nicht ganz sicher war, daß sie gut zusammenpassen würden. Da die Bedingungen jetzt festgestellt waren, sprach ich meinen Dank in der wärmsten Weise aus und ergriff zuerst Miß Clarissas und hierauf Miß Lavinias Hand und drückte sie an die Lippen.

Miß Lavinia stand dann auf, bat Mr. Traddles, uns einen Augenblick zu entschuldigen, und forderte mich auf, ihr zu folgen. Ich gehorchte zitternd vor Aufregung und trat mit ihr in das anstoßende Zimmer. Dort fand ich meinen kleinen Liebling hinter der Tür sich die Ohren zuhaltend und das liebliche Gesichtchen der Wand zugekehrt, während Jip im Tellerwärmer saß, den Kopf mit einem Handtuch zugebunden.

O, wie schön war sie in ihrem schwarzen Hauskleid! Wie schluchzte sie anfangs und weinte und wollte nicht hinter der Türe hervor. Und wie lieb wir einander hatten, als sie endlich hervorkam, und wie selig ich war, als wir Jip aus dem Tellerwärmer herausholten und ihn, stark niesend, dem Lichte wieder schenkten und dann alle drei beisammen saßen.

»Liebste Dora! Jetzt bist du für immer mein!«

»O, bitte nicht,« flehte Dora, »bitte.«

»Bist du denn nicht für immer mein, Dora?«

»O ja, natürlich! Aber ich bin so erschrocken.«

»Erschrocken, mein Herz?«

»O ja. Ich kann ihn nicht ausstehn. Warum geht er nicht fort.«

»Wer denn, Herzensschatz?«

»Dein Freund. Es geht ihn doch gar nichts an! Wie dumm er sein muß!«

»Aber liebe Dora – (nichts konnte entzückender sein als ihre kindische Art) – er ist das beste Geschöpf von der Welt.«

»Aber wir brauchen keine besten Geschöpfe,« schmollte Dora.

»Du wirst ihn bald besser kennen lernen, Liebling, und er wird dir gefallen. Und meine Tante kommt auch bald her, und auch an ihr wirst du viel Gefallen finden, sobald du sie näher kennst.«

»O, bitte nein, bringe sie nicht her,« sagte Dora, gab mir schnell und erschrocken einen Kuß und faltete die Hände. »O, bitte nicht! Ich weiß, sie ist eine böse, Unheil stiftende, alte Frau. Bringe sie nicht her –, Doady!« was eine Abkürzung für David sein sollte.

Ich sah wohl, Vorstellungen halfen jetzt nichts. So lachte ich und war sehr verliebt und sehr glücklich. Sie zeigte mir Jips neuestes Kunststück, wie er in einer Ecke auf den Hinterbeinen stehen konnte; – er tat es etwa so lange, wie ein Blitz aufleuchtet, und fiel dann wieder zusammen, – und ich weiß nicht, wie lange ich dageblieben wäre, ohne an Traddles zu denken, wenn Miß Lavinia mich nicht holen gekommen wäre.

Miß Lavinia hatte Dora sehr gern (sie sähe ganz so aus, wie sie selbst einst in diesem Alter – Miß Lavinia mußte sich unglaublich verändert haben) und behandelte sie immer wie ein Spielzeug. Ich wollte Dora überreden sich Traddles vorstellen zu lassen, aber kaum brachte ich es heraus, da lief sie fort in ihr Zimmer und schloß sich ein. So begab ich mich wieder zu Traddles ohne sie und ging mit ihm fort wie auf Wolken wandelnd.

»Befriedigender konnte es nicht ausfallen,« sagte Traddles. »Es sind wirklich ein paar sehr angenehme alte Damen. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn du Jahre vor mir heiratetest, Copperfield.«

»Spielt deine Sophie ein Instrument, Traddles?« fragte ich, Stolz im Herzen.

»Sie spielt Piano grade gut genug, um es ihren kleinen Schwestern lehren zu können,« sagte Traddles.

»Singt sie auch?«

»Manchmal singt sie Balladen, um die andern etwas aufzuheitern, wenn sie schlechter Laune sind. Aber sie hat keine geschulte Stimme.«

»Begleitet sie sich mit der Gitarre?« fragte ich.

»O Gott, nein.«

»Malt sie?«

»Auch das nicht.«

Ich versprach Traddles, daß er Dora singen hören und ihre Blumenmalerei sehen sollte. Er sagte, es würde ihm viel Freude machen, und wir gingen in der vortrefflichsten Stimmung Arm in Arm nach Haus. Ich ermunterte ihn, mir von Sophie zu erzählen, und sah, mit welcher Liebe er auf sie vertraute. Ich verglich sie innerlich mit Dora und fühlte mich bei dem Vergleich nicht wenig befriedigt. Aber ich begriff auch, was für ein vortreffliches Mädchen sie für Traddles sein mußte.

Natürlich setzte ich meine Tante sofort von dem erfolgreichen Ausgang der Konferenz mit allen Details in Kenntnis. Sie war froh, mich so glücklich zu sehen, und versprach, unverzüglich Doras Tanten einen Besuch abzustatten. Aber sie machte an diesem Abend einen so langen Spaziergang durch unser Zimmer, während ich an Agnes schrieb, daß es schien, als sollte er bis zum Morgen dauern.

Mein Brief an Agnes war innig und dankbar, und ich erzählte ihr, welche gute Wirkungen ihr Rat für mich gehabt hatte. Sie antwortete umgehend, und ihr Brief war hoffnungsvoll, innig und heiter.

Ich hatte jetzt mehr zu tun als je. Mit Rücksicht auf meine täglichen Wanderungen nach Highgate bedeutete Putney einen weiteren Ausflug, und ich wünschte natürlich so oft wie möglich dort zu sein. Da die vorgeschlagnen Teebesuche ganz unausführbar waren, erhielt ich von Miß Lavinia die Erlaubnis, statt dessen jeden Samstagnachmittag einen langen Besuch machen zu dürfen. So wurde mir der Schluß jeder Woche eine köstliche Zeit, und die sehnsüchtige Erwartung half mir über die übrigen Tage hinweg.

Einen großen Trost gewährte es mir, daß meine Tante mit den zwei Damen viel besser auskam, als ich erwartet hatte. Sie stattete ihren versprochenen Besuch wenige Tage nach der Konferenz ab, und nicht lange später besuchten Doras Tanten sie in aller Form. Ähnliche Zusammenkünfte freundschaftlichen Charakters fanden später jedesmal in Zwischenräumen von drei bis vier Wochen statt.

Allerdings entsetzte meine Tante die beiden Damen sehr dadurch, daß sie alle Fiaker verschmähte und zu den ungewöhnlichsten Zeiten nach Putney ging oder ihren Hut so trug, wie es ihr gerade beliebte, ohne sich im geringsten um die Vorurteile der Zivilisation zu bekümmern. Doras Tanten waren sich bald darüber einig, in Miß Trotwood eine exzentrische und etwas männliche, mit einem starken Verstande ausgestattete Dame zu sehen, und wenn sie auch gelegentlich durch ketzerische Meinungsäußerung über verschiedne Punkte der Etikette gekränkt waren, so kam doch immer wieder eine allgemeine Harmonie zustande, da meine Tante aus Liebe zu mir einige ihrer kleinen Eigenheiten aufopferte.

Jip war das einzige Mitglied unserer kleinen Gesellschaft, das sich durchaus den Umständen nicht anpassen wollte. So oft er meine Tante sah, ließ er sofort jeden Zahn im Maule sehen, zog sich unter einen Stuhl zurück und knurrte rastlos. Nur dann und wann unterbrach er sie mit einem kläglichen Geheul, als ob wirklich seinen Gefühlen zu viel zugemutet würde.

Alles wurde an ihm versucht, Liebkosen, Schelten, Schläge, und einmal brachte man ihn sogar in die Buckingham-Straße, wo er zum Schrecken aller Zusehenden sofort auf die beiden Katzen losfuhr. Aber nie konnte er sich überwinden die Gesellschaft meiner Tante zu ertragen. Manchmal schien es, als habe er seine Abneigung überwunden; dann war er ein paar Minuten ganz liebenswürdig, aber plötzlich schnupperte er mit seinem Stumpfnäschen in die Luft und heulte so jämmerlich, daß nichts übrig blieb, als ihm die Augen zu verbinden und ihn in den Tellerwärmer zu setzen. Später band ihn Dora regelmäßig in ein Tuch ein und steckte ihn in den Tellerwärmer, so oft sie meine Tante von weitem kommen sah.

Etwas machte mir große Sorge, als wir so in stillem Glück dahinlebten. Nämlich, daß Dora, wie auf allgemeinen Beschluß, wie ein hübsches Spielzeug behandelt wurde. Meine Tante, mit der sie nach und nach vertraut wurde, nannte sie immer nur »Blümchen«, und Miß Lavinia fand ihr einziges Vergnügen darin, sie zu verhätscheln, ihr das Haar zu locken, Putz für sie zu nähen und sie wie ein Schoßkind zu behandeln. Und die Schwester folgte natürlich Miß Lavinias Beispiel.

Ich nahm mir vor, mit Dora darüber zu sprechen, als wir einmal zusammen spazieren gingen. Wir hatten nämlich nach einiger Zeit die Erlaubnis bekommen, allein auszugehen.

»Mein Liebling,« stellte ich ihr vor, »du bist doch kein kleines Kind!«

»Da haben wirs,« sagte Dora. »Jetzt wirst du wild.«

»Wild, meine Liebe?«

»Sie sind doch so gut gegen mich,« sagte Dora, »und ich fühle mich so glücklich!«

»Das ist herrlich, aber mein Liebling,« sagte ich, »du könntest doch sehr glücklich sein und dabei vernünftig behandelt werden.«

Dora warf mir einen allerliebsten vorwurfsvollen Blick zu, fing dann an zu schluchzen und fragte, warum ich mich denn mit ihr verlobt hätte, wenn ich sie nicht ausstehen könnte.

Was konnte ich anderes tun, als ihr die Tränen wegküssen und ihr beteuern, wie sehr ich sie liebte.

»Ich bin so liebebedürftig,« sagte Dora, »und du solltest nicht so hart gegen mich sein, Doady.«

»Ich hart, Herzensschatz? Als ob ich um eine ganze Welt hart gegen dich sein wollte oder könnte.«

»Dann schilt mich nicht immer aus!« sagte Dora und machte eine Rosenknospe aus ihren Lippen, »und ich will wieder gut sein.«

Es freute mich unendlich, daß sie mich gleich darauf aus freien Stücken bat, ihr das früher erwähnte Kochbuch zu bringen und ihr zu zeigen, wie man Rechnung führte.

Ich brachte bei meinem nächsten Besuch das Buch mit und ließ es vorher hübsch einbinden, damit es einladender aussähe. Und beim Spaziergang zeigte ich ihr ein altes Haushaltungsbuch meiner Tante und schenkte ihr einen Satz Schreibtäfelchen und ein Kästchen Bleistifte, damit sie sich üben könnte.

Aber das Kochbuch machte Dora Kopfweh und die Zahlen brachten sie zum Weinen. Sie gingen nicht zu addieren, sagte sie; deshalb löschte sie sie aus und zeichnete die Täfelchen mit lauter kleinen Sträußchen und Porträts von mir und Jip voll.

Dann versuchte ich wie im Scherz, einen mündlichen Unterricht in Haushaltungssachen zu beginnen. Wenn wir an einem Fleischerladen vorübergingen, fragte ich zum Beispiel: »Denke einmal, Schatz, wir wären verheiratet, und du wolltest zum Mittagessen eine Hammelkeule kaufen. Wie würdest du das wohl machen?« Das Gesicht meiner hübschen, kleinen Dora wurde betrübt, und sie machte wieder eine Rosenknospe aus ihrem Munde.

»Würdest du wissen, wie man sie kauft?« wiederholte ich dann vielleicht, wenn ich besonders unbeugsam gestimmt war.

Dora pflegte in einem solchen Fall ein wenig nachzudenken und triumphierend zu antworten:

»Aber der Fleischer weiß doch, wie er sie zu verkaufen hat, was brauche ich es da zu wissen! O Gott, was bist du für ein närrischer Junge!«

Ein ander Mal, als ich Dora fragte, was sie wohl tun würde, wenn wir verheiratet wären und ich möchte gern ein delikates irisches Ragout, gab sie zur Antwort, sie würde der Köchin auftragen es zu bereiten. Und dann faltete sie ihre kleinen Hände auf meinem Arm und lachte so entzückend, daß sie bezaubernder war als je.

Die Hauptverwendung des Kochbuchs bestand darin, daß Dora es in eine Ecke legte, damit Jip darauf aufwarten könnte. Sie freute sich unendlich, als er das schließlich erlernt hatte und dabei den Bleistift im Maul hielt.

Wir kamen schließlich wieder auf die Gitarre zurück und das Blumenmalen und die Lieder vom unaufhörlichen Tanzen – tarala – und waren so glücklich, wie die Woche lang war. Manchmal wünschte ich, ich könnte mir das Herz fassen, Miß Lavinia zu sagen, sie behandle das Kleinod meines Herzens zu sehr wie ein Spielzeug. Und dann ertappte ich mich immer wieder, daß ich es selber nicht anders gemacht hatte.

 

Zweites Kapitel

Es kommt mir fast unziemlich vor, selbst in diesem nur für mich bestimmten Manuskript niederzuschreiben, wie angestrengt ich mich in meinem Pflichtgefühl Dora und ihren Tanten gegenüber mit der Erlernung der schrecklichen Stenographie abquälte, aber ich kann nur sagen, gerade aus der Ausdauer, die ich dadurch noch stärkte, entsprang die Quelle aller meiner Erfolge im Leben. Ich habe viel Glück in irdischen Dingen gehabt, und andere Menschen, die sich viel mehr anstrengten, haben es nicht halb soweit gebracht.

Alle meine Erfolge verdankte ich nur dem Umstand, daß ich Pünktlichkeit, Ordnung und Fleiß bei jeder Gelegenheit übte. Ich schreibe dies nicht nieder, um mich selbst zu loben. Ich meine einfach, daß ich alles, was ich im Leben zu tun versucht habe, bemüht war mit ganzem Herzen zu vollbringen und daß ich in großen wie in kleinen Dingen stets den gleichen Ernst anwandte.

Ich brauche hier nicht zu wiederholen, wie viel ich in dieser Hinsicht Agnes verdankte.

Ich wende mich jetzt mit dankbarer Liebe wieder zu Agnes.

Sie kam auf vierzehn Tage zu Besuch zu Dr. Strong. Mr. Wickfield war ein alter Freund des Doktors, und Dr. Strong hätte gerne mit ihm gesprochen und ihm beigestanden. Agnes und ihr Vater kamen zusammen zu Besuch. Ich war nicht überrascht, als ich von ihr hörte, sie habe in der Nähe eine Wohnung für Mrs. Heep gesucht, deren Rheumatismus eine Luftveränderung erfordere. Ebensowenig wunderte es mich, als schon am nächsten Tage Uriah als liebevoller Sohn seine würdige Mutter begleitete.

»Ja, sehen Sie, Master Copperfield,« sagte er, als er sich mir im Garten des Doktors aufdrängte. »Wenn man liebt, so ist man ein wenig eifersüchtig. Wenigstens hat man gern ein Auge auf der Geliebten.«

»Auf wen sind Sie denn jetzt eifersüchtig?« fragte ich.

»Ihnen zum Dank, Master Copperfield, für jetzt auf niemand Besondern – wenigstens auf keine männliche Person.«

»Vielleicht gar auf eine weibliche?«

Er warf mir aus seinen tückischen roten Augen einen Seitenblick zu und grinste.

»Wahrhaftig, Master Copperfield, – wollt ich sagen, Mister, – ich weiß, Sie entschuldigen schon die alte Angewohnheit –, aber Sie sind so liebenswürdig, daß Sie mich ausholen können wie ein Korkzieher. Nun, ich will Ihnen nur sagen,« fuhr er fort, indem er seine fischkalte Hand auf meine legte, »ich bin im allgemeinen bei Damen nicht beliebt, Sir, und bin es bei Mrs. Strong nie gewesen.«

Seine Augen hatten einen grünen Schimmer, wie sie mich mit schurkischer List beobachteten.

»Was meinen Sie damit?«

»Nun, obgleich ich ein Jurist bin, Master Copperfield,« gab er mit einem leichten Grinsen zur Antwort, »so meine ich doch jetzt, was ich sage.«

»Und was wollen Sie mit Ihrem Blick sagen?« fragte ich ruhig weiter.

»Mit meinem Blick? Gott, nehmen Sie es aber scharf, Copperfield! Was ich mit meinem Blick meine?«

»Ja. Mit Ihrem Blick.«

Das schien ihm ungemein zu gefallen, und er lachte so herzlich, wie es ihm überhaupt möglich war. Er senkte die Augen zu Boden, schabte sich langsam das Kinn mit dem Daumen und sagte:

»Als ich noch ein niedriger Schreiber war, sah sie immer auf mich herab. Meine Agnes mußte immer um sie herum sein, und auch gegen Sie, Master Copperfield, war sie immer freundlich. Aber ich stand viel zu tief unter ihr, um beachtet zu werden.«

»Nun?« sagte ich. »Angenommen. Und weiter?«

» ... Und unter ihm auch,« fuhr Uriah sehr deutlich und in nachdenklichem Tone fort, sich immer noch das Kinn schabend.

»Kennen Sie den Doktor nicht besser,« sagte ich, »daß Sie glauben können, er wisse überhaupt etwas von Ihrem Dasein, wenn Sie nicht dicht vor ihm stehen?«

Er sah mich wieder mit seinem alten Seitenblick an und zog sein Gesicht ganz lang, um sich besser schaben zu können, als er fortfuhr:

»Ach Gott, ich spreche nicht vom Doktor. Der Arme! Ich meine Mr. Maldon.«

Mir stockte das Blut in den Adern. Alle meine alten Zweifel und Befürchtungen standen wieder vor mir. Des Doktors Glück und Frieden, die ganze Reihe von Möglichkeiten von Schuld und Unschuld, die ich nicht enträtseln konnte, sah ich im Handumdrehen diesem Menschen preisgegeben.

»Er kam nie in die Kanzlei, ohne mich herumzukommandieren,« sagte Uriah. »Einer von den feinen Gentlemen! Ich war sehr demütig und niedrig und bin es noch. Aber das gefiel mir nicht, und jetzt kann ichs erst recht nicht leiden.«

Er hörte auf, sich am Kinn zu kratzen, saugte die Wangen ein, bis sie sich innen zu berühren schienen, und sein Seitenblick haftete immer noch auf mir.

»Sie ist eine von den schönen Frauen,« fuhr er fort, als er seinem Gesicht langsam seine natürliche Form wiedergegeben hatte, »die Leuten, wie ich bin, nicht freundlich gesinnt sind. Sie ist gerade die Person danach, die meiner Agnes Rosinen in den Kopf setzen könnte. Ich bin kein Mann für die Damen, Master Copperfield, aber ich habe Augen im Kopf und schon hübsch lange. Mir niedrigen Leute haben meistens Augen und mir können damit sehen.«

Ich bemühte mich unbefangen zu erscheinen, aber, wie ich an seinem Gesicht sah, mit wenig Erfolg.

»Ich laß mich aber nicht unterkriegen, Copperfield,« fuhr er fort und zog mit tückischem Frohlocken seine haarlosen Augenbrauen in die Höhe, »und ich werde mein möglichstes tun, dieser Freundschaft ein Ende zu machen. Ich billige sie nicht. Ich will Ihnen gar nicht verhehlen, daß ich etwas neidisch bin und alle Eindringlinge fern halten will. Wenn ich mirs leisten kann, setze ich mich nicht der Gefahr aus, Komplotte gegen mich schmieden zu lassen.«

»Sie schmieden eben immer Komplotte und haben andere im selben Verdacht.«

»Vielleicht, Master Copperfield, aber ich habe einen Beweggrund, wie mein Kompagnon immer sagt, und gehe mit Zähnen und Nägeln ans Werk. Wenn ich auch ein niedriger Mensch bin, so lasse ich mir doch nichts gefallen. Es darf mir niemand im Weg stehen. Sie müssen aus dem Wagen raus.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Wirklich nicht?« sagte Uriah mit einer seiner gewohnten schnellenden Bewegungen. »Das wundert mich, Master Copperfield, da Sie doch sonst so gescheit sind! Das nächste Mal werd ich versuchen, mich deutlicher auszudrücken. Ist das übrigens nicht Mr. Maldon zu Pferd, der dort an der Tür klingelt, Sir?«

»Er sieht beinahe so aus,« entgegnete ich so unbefangen wie möglich.

Uriah blieb stehen, steckte die Hände zwischen seine knorrigen Kniee und krümmte sich vor Lachen. Vor ganz lautlosem Lachen. Kein Ton kam aus seinem Munde. Mir war sein Benehmen so zuwider, daß ich mich ohne Umstände von ihm abwandte und ihn in der Mitte des Gartens, halb sitzend wie eine Vogelscheuche, der die Stütze umgefallen ist, zurückließ.

An diesem Abend war es nicht, aber wie ich mich wohl erinnere, an dem zweitnächsten, am Samstag, daß ich Agnes mit zu Dora nahm.

Ich hatte den Besuch vorher mit Miß Lavinia verabredet, und Agnes wurde zum Tee erwartet.

Ich war ganz aufgeregt vor Stolz und Besorgnis; stolz auf meine liebe kleine Braut und besorgt, wie sie Agnes gefallen würde. Auf dem ganzen Weg nach Putney, wo Agnes in der Landkutsche saß und ich außen, malte ich mir Dora immerwährend aus. Einmal wünschte ich mir, sie möchte am liebsten so aussehen wie damals, dann wieder wie ein anderes Mal, und litt durch solche Sorgen ordentlich wie unter einem Fieber.

Ich hatte natürlich keinen Zweifel, daß sie sehr hübsch aussehen würde, aber es traf sich, daß sie gerade damals vielleicht am allerschönsten war.

Als ich Agnes ihren Tanten vorstellte, hielt sie sich schüchtern versteckt. Ich wußte jetzt, wo ich sie zu suchen hatte, und fand sie richtig wieder hinter der Tür mit zugehaltnen Ohren.

Anfangs wollte sie gar nicht kommen und dann bat sie um fünf Minuten Frist. Als sie mir endlich ihren Arm gab, um sich ins Zimmer führen zu lassen, war ihr liebliches Gesichtchen ganz rot und hatte nie so hübsch ausgesehen. Aber als wir in das Zimmer traten und sie blaß wurde, war sie noch zehntausendmal schöner.

Sie fürchtete sich vor Agnes. Sie hatte mir gesagt, sie wüßte schon, Agnes wäre »viel zu gescheit.« Aber als sie das heitere, dabei so ernste, gedankenvolle und doch so gute Gesicht erblickte, ließ sie einen leisen Schrei fröhlicher Überraschung hören, legte ihre Arme zärtlich um Agnes Hals und drückte ihre unschuldige Wange an ihr Gesicht.

Ich habe mich noch nie so glücklich gefühlt, noch nie so gefreut wie damals, als ich die beiden so nebeneinander sitzen und meine Geliebte so befreit in diese herzlichen Augen blicken sah. Miß Lavinia und Miß Clarissa teilten in ihrer Weise meine Freude. Es war der angenehmste Teeabend von der Welt.

Miß Clarissa führte den Vorsitz. Ich zerschnitt den süßen Aniskuchen und reichte ihn herum – die kleinen Schwestern hatten eine vogelartige Vorliebe für das Picken von Aniskörnern und Zucker –, und Miß Lavinia sah mit wohlwollender Gunst auf uns, als ob alles ihr Werk wäre.

Die sanfte Heiterkeit Agnes gewann alle Herzen. Ihr ruhiges Interesse an allem, was Dora betraf, ihre Art mit Jip Bekanntschaft zu schließen, der es sofort freundlich aufnahm, ihr geschicktes Benehmen, als Dora sich schämte, sich auf ihren gewohnten Platz neben mich zu setzen, ihre bescheidne Anmut, mit der sie eine Menge schüchterner kleiner Vertrauensbeweise von Dora hervorlockte, schien unsern Kreis erst ganz vollkommen zu machen.

»Es freut mich so sehr,« sagte Dora nach dem Tee, »daß Sie mich gern haben. Ich hielt es nicht für möglich und brauche jetzt, wo Julia Mills fort ist, mehr als je eine Freundin.«

Miß Mills war nämlich abgesegelt, und Dora und ich waren an Bord eines großen Ostindienfahrers im Hafen von Gravesend gegangen, um Abschied zu nehmen. Wir hatten eingemachten Ingwer und Guava und andere Delikatessen dieser Art zum Frühstück genossen und Miß Mills, weinend auf einem Feldstuhl auf dem Quarterdeck sitzend, mit einem großen, neuen Tagebuch unter dem Arm, verlassen, in dem die bei der Betrachtung des Ozeans erwachenden Originalgedanken unter Schloß und Riegel gebracht werden sollten.

Agnes sagte, ich müßte sie wohl zu schwarz geschildert haben, aber Dora berichtigte dies sogleich.

»O nein,« sagte sie mit einem Blick auf mich und schüttelte ihre Locken. »Ich habe nichts als Lob über Sie gehört. Er hält so viel auf Sie, daß ich mich ordentlich vor Ihnen gefürchtet habe.«

»Meine Zuneigung ist aber kaum des Gewinnens wert,« sagte Agnes lächelnd.

»Aber bitte, schenken Sie sie mir,« sagte Dora in ihrer schmeichelnden Art, »wenn es sein kann.«

Wir scherzten über Doras Wunsch, noch mehr geliebt zu werden, und sie sagte, ich sei eine Gans und sie könne mich überhaupt nicht leiden, und der kurze Abend flog dahin auf Schwingen wie aus Sommerfäden.

Die Stunde rückte heran, wo die Kutsche uns abholen sollte. Ich stand allein vor dem Kamin, als Dora leise hereinschlich, um mir den gewohnten allerliebsten Abschiedskuß zu geben.

»Meinst du nicht, Doady, wenn ich sie schon länger zur Freundin gehabt hätte,« sagte sie, die hellen Augen noch heller glänzend und mit ihrer kleinen Hand an dem Knopfe meines Rockes spielend, »daß ich dann hätte gescheiter sein können?«

»Lieber Schatz, was für ein Unsinn!«

»Meinst du, es sei Unsinn?« fragte Dora, ohne mich anzusehen. »Weißt du das gewiß?«

»Natürlich.«

»Ich habe vergessen, wie nahe Agnes mit dir verwandt ist, du nichtsnutziger Junge,« fuhr Dora fort, immer noch mit dem Knopf beschäftigt.

»Sie ist keine Verwandte von mir, wir wurden nur zusammen erzogen wie Bruder und Schwester.«

»Ich möchte nur wissen, wieso du dich eigentlich dann in mich verliebt hast,« sagte Dora und fing mit einem andern Knopfe an.

»Vielleicht weil ich dich nicht sehen konnte, ohne dich zu lieben, Dora.«

»Aber wenn du mich nun gar nicht gesehen hättest,« sagte Dora und nahm wieder einen andern Knopf.

»Aber wenn wir nun gar nicht geboren worden wären?« sagte ich scherzend.

Ich hätte gerne gewußt, worüber sie nachdachte, während ich in stiller Bewunderung die kleine weiche Hand, die an den Knöpfen meines Rockes spielte, das lockige Haar, das an meiner Brust ruhte, und die Wimpern ihrer niedergeschlagenen Augen, die auf die spielenden Finger sahen, betrachtete. Endlich blickte sie auf und stellte sich auf die Zehen, um mich nachdenklicher als gewöhnlich zu küssen – einmal, zweimal, dreimal –, und verließ dann das Zimmer.

Fünf Minuten später traten alle zusammen wieder herein, und Doras ungewöhnliche Nachdenklichkeit war ganz verschwunden. Sie bestand lachend darauf, ehe die Kutsche kam, Jip alle seine Kunststücke vormachen zu lassen. Das beanspruchte einige Zeit; nicht wegen ihrer großen Anzahl, sondern wegen Jips Sträuben, und als wir die Kutsche kommen hörten, waren wir noch lange nicht fertig. Zärtlich nahmen die beiden jungen Damen von einander Abschied. Dora sollte Agnes schreiben, doch dürfte Agnes es nicht übelnehmen, wenn die Briefe kindisch ausfielen, und sollte jedes Mal antworten. Dann nahmen sie zum zweiten Mal Abschied am Kutschenschlag und zum dritten Mal, als Dora trotz der Vorstellungen Miß Lavinias noch einmal herausgelaufen kam, um Agnes am Kutschenfenster an das Schreiben zu erinnern und gegen mich auf dem Dach die Locken zu schütteln.

Der Wagen sollte uns in der Nähe von Covent-Garten absetzen, von wo wir einen andern Weg nach Highgate nehmen wollten.

Ich sehnte mich schon danach, Doras Lob aus Agnes Munde zu hören. Und, o, wie dieses Lob aus fiel! Wie liebreich und innig empfahl sie das anmutige Wesen meiner zärtlichsten Fürsorge. Wie gedankenvoll prägte sie mir mit ihrer ungekünstelten Anspruchlosigkeit ein, wie sehr ich für das verwaiste Kind zu sorgen habe.

Niemals liebte ich Dora so tief und wahr wie an jenem Abend. Als wir ausstiegen und in der sternenhellen Nacht nach dem Hause des Doktors gingen, sagte ich Agnes, daß alles ihr Werk sei.

»Du bist nicht weniger ihr Schutzengel wie der meinige, Agnes!«

»Ein armer Engel,« antwortete sie, »aber treu.«

Der klare Ton ihrer Stimme ging mir so zu Herzen, daß ich fragen mußte:

»Die heitere Ruhe, die dir so eigen ist, Agnes, wie niemand anders, den ich kenne, ist soweit wiederhergestellt, wie ich sehe, daß ich hoffen kann, du bist glücklicher zu Haus?«

»Ich bin innerlich glücklicher,« sagte sie und war ganz heiter und guten Mutes.

»Es ist keine Veränderung zu Hause eingetreten,« fügte sie nach einer Pause hinzu.

»Keine neue Anspielung auf – ich möchte dich nicht verletzen, Agnes, aber ich muß doch fragen – auf das, wovon wir bei unserm letzten Abschied sprachen?«

»Nein, keine!«

»Ich habe sehr viel darüber nachgedacht.«

»Du mußt nicht soviel daran denken. Vergiß nicht, daß ich mein Vertrauen auf schlichte Liebe und Wahrheit setze.«

»Fürchte nichts um mich, Trotwood,« setzte sie nach einer Pause hinzu, »was du befürchtest, werde ich nie tun.«

Obgleich ich es bei kalter Überlegung niemals für möglich gehalten hatte, so war es doch eine unaussprechliche Beruhigung für mich, die Versicherung von ihren eignen Lippen zu hören. Ich sagte ihr das.

»Und wenn dieser Besuch vorbei ist, denn wir sind jetzt vielleicht zum letzten Mal allein beisammen, wann wirst du dann wieder nach London kommen, liebe Agnes?«

»Wahrscheinlich auf lange nicht. Ich halte es für das beste um Papas willen zu Hause zu bleiben. In der nächsten Zeit können wir uns wahrscheinlich nicht oft sehen, aber ich will fleißig an Dora schreiben, und auf diesem Wege werden wir viel voneinander hören.«

Wir standen jetzt in dem kleinen Hof vor dem Landhause des Doktors. Es war schon spät. Im Fenster von Mrs. Strongs Zimmer schien ein Licht, und Agnes deutete darauf hin und wünschte mir gute Nacht.

»Mache dir keine Sorgen,« sagte sie und gab mir ihre Hand, »über unser Unglück und über unsre Trübsal! Ich kann über nichts froher sein als über dein Glück. Wenn du mir einmal solltest helfen können, so verlaß dich drauf, daß ich dich darum bitten werde. Und Gottes Segen sei mit dir!«

Bei ihrem strahlenden Lächeln und den letzten Tönen ihrer lieben Stimme war es mir, als sähe und hörte ich wieder meine kleine Dora in ihrer Gesellschaft. Ich blieb eine Weile stehen, sah mit einem Herzen voll Liebe und Dankbarkeit zu den Sternen auf und ging dann langsam fort. Ich hatte ein Bett in einem saubern Wirtshaus in der Nähe bestellt und ging gerade zur Gartenpforte hinaus, als ich, mich zufällig umdrehend, Licht in des Doktors Studierzimmer wahrnahm. Der vorwurfsvolle Gedanke kam mir, daß er ohne meine Beihilfe an dem Wörterbuch arbeiten könnte. Um mich zu überzeugen und jedenfalls um ihm gute Nacht zu sagen, kehrte ich um, ging durch die Vorhalle, öffnete langsam die Tür und sah hinein.

Die erste Person, die ich zu meinem Erstaunen bei dem gedämpften Lichte der Studierlampe erblickte, war Uriah. Er stand dicht neben der Lampe auf den Tisch gestützt, seine andre Totenhand auf den Mund gelegt. Der Doktor saß in seinem Lehnstuhl und hatte das Gesicht mit den Händen bedeckt. Mr. Wickfield, in großer schmerzlicher Aufregung, beugte sich unentschlossen über ihn und schüttelte ihn am Arm.

Im ersten Augenblick glaubte ich, der Doktor sei krank. Hastig trat ich einen Schritt vor, als ich Uriahs Blick begegnete und begriff, was vorgegangen war. Ich wollte mich zurückziehen, aber der Doktor winkte mir und ich blieb.

»Jedenfalls könnten mir die Tür zumachen,« bemerkte Uriah, sich krümmend. »Mir brauchen es nicht der ganzen Stadt wissen zu lassen.«

Damit ging er auf den Zehen nach der Tür, die ich offen gelassen hatte, und schloß sie sorgfältig ab. Dann kehrte er zurück und nahm seine frühere Stellung wieder ein.

Es lag ein aufdringliches Zurschautragen von mitleidigem Eifer in seiner Stimme und seinem Wesen, das mir noch unleidlicher war als sein früheres Benehmen.

»Ich hab es für meine Pflicht gehalten, Master Copperfield,« sagte er, »Dr. Strong auf das aufmerksam zu machen, was mir schon kürzlich zusammen besprochen haben. Sie schienen mich aber nicht recht zu verstehen.«

Ich warf ihm einen Blick zu, gab aber keine Antwort, trat dann zu meinem guten, alten Lehrer und sprach ein paar Worte des Trostes und der Ermutigung zu ihm. Er legte seine Hand auf meine Schulter, wie er es gewohnt gewesen, als ich noch ein kleiner Junge war, erhob aber sein graues Haupt nicht.

»Da Sie mich damals nicht verstanden, Master Copperfield,« fuhr Uriah in derselben zudringlichen Weise fort, »so derf ich mir wohl die Freiheit nehmen, untertänigst zu bemerken, da mir unter Freunden sind, daß ich Dr. Strong auf das Benehmen seiner Gattin aufmerksam gemacht habe. Es ging mir eigentlich sehr gegen den Strich, Copperfield, mich in so eine unangenehme Sache einzumengen, aber mir können es nun einmal nicht lassen und müssen uns immer in Dinge mischen, die was uns nichts angehen.«

Wenn ich an seinen höhnisch schielenden Blick zurückdenke, wundere ich mich jetzt noch, daß ich ihn nicht an der Gurgel packte und ihm den Atem aus dem Leibe schüttelte.

»Ich glaube wohl, ich drückte mich nicht ganz deutlich aus,« fuhr er fort. »Natürlich waren mir beide bestrebt, ein solches Thema möglichst zu vermeiden. Aber endlich hab ich mich doch entschlossen offen herauszureden und Dr. Strong erzählt, daß ... Haben Sie etwas gesagt, Sir?«

Das galt dem Doktor, der aufstöhnte. Der Schmerzenslaut hätte jedes Herz gerührt, aber auf Uriah brachte er keine Wirkung hervor.

»Ich sagte zu Dr. Strong,« fuhr er fort, »daß jeder sehen müßte, wie Mr. Maldon und die liebenswürdige und gewinnende Dame, was Mrs. Strong ist, zu zärtlich miteinander sind. Die Zeit ist jetzt wahrhaftig ge kommen, wo es Dr. Strong gesagt werden muß. Es war doch jedermann klar wie die Sonne, ehe noch Mr. Maldon nach Indien ging, warum er Gründe suchte, wiederzukommen. Als Sie hier eintraten, Master Copperfield, schlug ich meinem Kompagnon grade vor, Dr. Strong auf Wort und Ehre zu sagen, ob er dieser Meinung nicht schon längst war. Kommen Sie, Mr. Wickfield, möchten Sie nicht so gut sein, das zu sagen. Ja oder nein, Sir? Kommen Sie, Kompagnon!«

»Um Gottes willen, lieber Doktor,« sagte Mr. Wickfield, »legen Sie nur nicht zuviel Gewicht auf den Verdacht, den ich vielleicht gehegt habe.«

»Da haben wirs,« rief Uriah. »Welch traurige Bestätigung, was? Er – so ein alter Freund! Meiner Seel, als ich bloß ein Schreiber bei ihm war, Copperfield, hab ich es mindestens zwanzigmal gesehen, wie er ganz außer sich darüber war – ganz außer sich, und wie natürlich! ist er doch selbst Vater und konnte er doch nicht zusehen, daß Miß Agnes in die Geschichte noch am Ende verwickelt wird.«

»Mein lieber Strong,« sagte Mr. Wickfield mit bebender Stimme, »mein guter Freund, ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, daß es mein Fehler war, immer und bei jedem nach versteckten Motiven zu suchen. Dieser Irrtum mag mir Veranlassung zu meinem Argwohn gegeben haben.«

»Sie haben geargwöhnt, Wickfield!« sagte der Doktor, ohne das Haupt zu erheben. »Sie haben geargwöhnt!«

»Raus mit der Sprache, Kompagnon,« drängte Uriah.

»Ja, damals habe ich geargwöhnt. Ich – Gott verzeih mir – glaubte, auch Sie hegten einen Argwohn.«

»Nein, nein, nein!« rief der Doktor in einem Ton ergreifendsten Schmerzes.

»Ich glaubte einmal, daß Sie Maldon nach Indien zu schicken wünschten, um eine Trennung herbeizuführen.«

»Nein, nein, nein! Ich wollte Ännie eine Freude machen, indem ich für ihren Jugendgespielen sorgte. Weiter nichts!«

»Das – wurde mir später klar. Ich konnte nicht daran zweifeln, als Sie mir es sagten, aber ich glaubte, – ich bitte Sie, die Kurzsichtigkeit zu bedenken, die bei meinem engen Horizont mein Hauptfehler gewesen ist – daß in einem Falle, wo eine so große Verschiedenheit im Alter herrscht – –«

»Sehen Sie, das ist die rechte Art, es auseinanderzusetzen, Master Copperfield,« fiel Uriah ein mit kriecherischem, grinsend zur Schau getragnem Mitleid.

»– eine Dame von so jugendlicher Schönheit bei aller aufrichtigen Achtung vor Ihnen sich bei einer Heirat weniger vom Gefühl als vom Verstande hätte bewegen lassen können. Die übrigen unzähligen Umstände und Empfindungen, die in die gegenteilige Wagschale hätten fallen müssen, zog ich leider nicht in Betracht. Um Himmels willen, bedenken Sie das!«

»Wie schonend er es auseinandersetzt,« hob Uriah hervor.

»Bei allem, was Ihnen teuer ist, alter Freund,« fuhr Mr. Wickfield fort, »bitte ich Sie das zu erwägen! Ich muß jetzt gestehen, da ich nicht anders kann –«

»Nein, Sie können nicht anders, Mr. Wickfield,« echoete Uriah, »wenn es einmal soweit ist.«

»– daß ich ihr allerdings mißtraute und es mir manchmal, wie ich bekennen muß, unangenehm war Agnes so vertraut mit ihr zu sehen. Ich habe nie mit jemand davon gesprochen und werde nie gegen irgend jemand darüber ein Wort fallen lassen. Es ist schrecklich für Sie so etwas zu hören,« sagte Mr. Wickfield tief erschüttert, »aber wenn Sie erst wüßten, wie schrecklich es für mich ist so etwas über die Lippen zu bringen, so würden Sie Mitleid mit mir haben.«

In der unerschöpflichen Güte seines Herzens streckte der Doktor seine Hand aus, und Mr. Wickfield hielt sie eine Weile mit gebeugtem Haupte fest.

»Gewiß ist das für jeden Menschen ein sehr unangenehmes Thema,« mischte sich Uriah ein, der sich während des Schweigens wie ein Aal wand, »aber da mir einmal soweit sind, muß ich mir die Freiheit neh men zu erwähnen, daß es Copperfield auch gemerkt hat.«

Ich wandte mich zu ihm und fragte ihn, wie er es wagen könnte, sich auf mich zu beziehen.

»O, es ist sehr schön von Ihnen, Copperfield,« entgegnete Uriah, »und mir wissen alle, was für ein liebenswürdiger Charakter Sie sin. Aber Sie müssen doch zugeben, daß Sie in dem Augenblick, wo ich neulich abends mit Ihnen davon sprach, gut verstanden, was ich meinte, Copperfield! Sie können es nicht leugnen. Wenn Sie es leugnen, geschieht es gewiß mit der besten Absicht. Aber tun Sie es nicht, Copperfield!«