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Es gibt Ziele, die sollte man nicht aufgeben. Deshalb riskieren zwei ältere Männer alles, um einen Pharmariesen in die Knie zu zwingen. Sie lassen sich sogar zu einer überstürzten Entführung hinreißen. Doch ein neugieriger Junge und überraschender Familienbesuch drohen die Aktion zu gefährden.
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Seitenzahl: 495
Veröffentlichungsjahr: 2019
Der Autor
Paul Allgäuer, geboren 1959, hat Soziologie, Informatik und Sportwissenschaften in Hamburg und Zürich studiert. Sein Berufsleben hat ihn durch Kasernen, Krankenhäuser, Marktforschungsunternehmen und Akademien geführt. Auf zahlreichen Reisen versucht er fremde Kulturen und die eigene kennenzulernen.
Dieses Buch wäre nie ohne die Liebeund Hilfe meiner Frau entstanden.
Ihr ist dieses Buch gewidmet.
Paul Allgäuer
DAVOSMARATHON
Roman.
2019 Paul Allgäuer
Verlag & Druck: tredition GmbH
Halenreie 40-44
22359 Hamburg
Umschlag: Matthias Alpen und Peter P. Buder
ISBN
Paperback
978-3-7497-2015-6
e-Book:
978-3-7497-2016-3
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
INHALT
1 Tag EINS
2 Tag ZWEI
3 Tag DREI
4 Tag VIER
5 Tag FÜNF
6 Tag SECHS
7 Tag SIEBEN
8 Tag ACHT
9 Tag NEUN
10 Tag ZEHN
11 Tag ELF
12 Tag ZWÖLF
13 Tag DREIZEHN
14 Tag VIERZEHN
Tag EINS
Endlich Sonne und der Weihnachtstrubel war vorbei. Nun konnte man sich ein bisschen auszuruhen und mit der Familie in Urlaub fahren. Alle, die es sich leisten konnten, fuhren zum Skifahren und erholten sich auf gut präparierten Pisten beim Wedeln, Rodeln, Skaten. Leider lag nicht in jeder Region ausreichend Schnee. Vor allem die Region um Davos war vom Schneemangel betroffen. Der sonst übliche Schneefall war ausgeblieben und es war so warm, dass nicht einmal die örtliche Freiluft-Eisbahn gefroren war. Die Außenthermometer zeigten Pluswerte an. Für viele Skienthusiasten, die das Davoser Skigebiet liebten, war dieser Januar eine einzige Enttäuschung. Sie mussten in andere Gebiete ausweichen. Die Tatsache, dass im Zentrum des Luftkurortes Davos kein Schnee lag, war für das Vorhaben der beiden älteren Herren in einem VW der Oberklasse jedoch von großem Nutzen. Wenigstens mussten sie sich keine Gedanken machen, bei einer plötzlichen Lenkbewegung in einen Schneehaufen zu fahren. Ein noch so kleiner Unfall konnte ihr gesamtes Unternehmen gefährden. Abgesehen davon, dass sie sich dabei selbst verletzten oder der teure Leihwagen einen Schaden abbekommen konnte, durfte ein weiterer Zeitverlust unter keinen Umständen entstehen. Sie trugen tadellose, dunkelblau gestreifte Anzüge. Darunter weiße Hemden und nachtblaue Seidenkrawatten. Äußerlich glichen sie den meisten männlichen Besuchern, die in diesen Tagen auf dem Wirtschaftsgipfel in Davos unterwegs waren.
Der Fahrer war hochgewachsen, breitschultrig, braun gebrannt und hatte trotz seines fortgeschrittenen Alters noch jede Menge Haare, was ihn wesentlich jünger wirken ließ. Sein Aussehen und Gang erinnerten an Clint Eastwood. Manchmal kokettierte er mit dessen Art zu gehen und zu sprechen. Die Rolle des Lonesome Cowboy war für ihn im Laufe der Jahrzehnte zu einer zweiten Haut geworden. Frühes Aufstehen, regelmäßiges körperliches Training, gesunde Ernährung, viel Zeit in der Natur, übertriebener Stolz und altmodisches Ehrgefühl, nicht viele Worte zu machen und ein Hang zu eigensinnigen Entscheidungen machten ihn aus. Unter seinem durchtrainierten Körper verbarg sich jedoch ein angegriffenes Herz, dessen Zeit fast abgelaufen war. Wer ihn näher kannte, wusste, dass er sich in den letzten Jahren eine harte Schale zugelegt hatte. Nur zu zwei Personen pflegte er ein sehr inniges und vertrauensvolles Verhältnis, eine davon saß neben ihm. Der Mann auf dem Beifahrersitz war untersetzt und kahlköpfig und man sah ihm seine Liebe zu deftigem Essen und Wodka deutlich an. Er fühlte sich in seinem rundlichen Körper wohl und sicher. Hinter seiner Beleibtheit und seinem ständigen Verlangen nach Hochprozentigem verbarg sich eine tiefe Sehnsucht nach seiner russischen Heimat, die er Hals über Kopf hatte verlassen müssen. Seit seiner Flucht lebte er illegal bei seinem einzigen noch verbliebenen Freund in der Schweiz. Kinder liebten seine onkelhafte Art. Kenner der klassischen Musik schätzten sein Klavierspiel. Dem Fahrer war er ein guter Freund und Vertrauter geworden.
Die beiden waren sehr früh aufgebrochen und hatten ihre Mitbewohnerin nicht über ihr Vorhaben informiert. Sie schlief ruhig und tief im 52 Kilometer entfernten Fontana, einem sehr kleinen Dorf im Engadin. Ihr Bett stand im ehemaligen Schlafgemach einer herrschaftlichen Burg. Diese Burg befand sich im Besitz des Freundes ihres Großvaters, den sie auf ihrem Weg von ihrem ehemaligen Arbeitsort Kiew zu ihrer neuen Anstellung in München besucht hatte. Sie war ein unersetzlicher Teil des Trios.
Am Vorabend waren sich alle drei nach längerer und intensiver Diskussion einig über den Ablauf ihres Vorhabens in Davos geworden. Erst am Morgen danach entschieden sich die beiden Männer für eine Planänderung, was zu einer verhängnisvollen Verkettung von Ereignissen führte. In der Früh hatten sie sich wie Ausbrecher aus der Burg geschlichen und ihrer Gefährtin weder eine Nachricht noch einen Hinweis über ihren Entschluss und das weitere Vorgehen hinterlassen. Der gesunde Schlaf der Enkelin spielte ihnen ebenso in die Karten wie ihr altersbedingtes, geringes Bedürfnis morgens lange im Bett zu verweilen.
Im Wageninneren herrschte dicke Luft. Keiner der beiden Männer hatte Lust auf ein klärendes Gespräch. Schweigend fuhren sie an den braungefärbten, abgefahrenen Skipisten vorbei, deren trostloser Anblick ihre Laune widerspiegelte.
Seit ungefähr vier Jahren verfolgten sie nun schon ihr gemeinsames Ziel. Immer wieder hatten sie sich dazu durchgerungen, einen passenden Plan zu entwerfen, und einige Male auch versucht ihn umzusetzen. Jedes Mal vergrößerte sich jedoch das Risiko. Trotz ihrer gescheiterten Versuche hatten beide nie das gemeinsame Ziel aus den Augen verloren und sich immer wieder zu einem neuen Anlauf aufgerafft. In den letzten Wochen war ihre Hoffnung erneut aufgeflammt, weil sich ihr Ziel noch nie so lange und so nah in ihrer Umgebung befunden hatte. Beide hatten beim Besteigen des Fahrzeugs das Gefühl unerkannt an ihre Zielperson heranzukommen und, was noch viel wichtiger war, auch wieder unerkannt entkommen zu können. In Davos kannten sie sich aus und diesen Vorteil wollten sie unbedingt ausnutzen. Sie wollten ihm eine Lektion erteilen, die er so schnell nicht wieder vergessen sollte. Ohne es zu wissen, hatte die Enkelin des Beifahrers dank ihrer überragenden Informatikkenntnisse den Weg für die bevorstehende Tat geebnet. Mit Hilfe ihrer Programmiererfahrung, die sie sich bereits als Kind angeeignet und später zu ihrem Beruf gemacht hatte, hatte sie dafür gesorgt, dass jeder von ihnen eine Akkreditierung für die Teilnahme am Davoser Wirtschaftsforum erhalten hatte. Sie hatte drei überzeugende Biografien von zwei älteren Wirtschaftspsychologen und einer weiblichen Fachkraft erfunden und ins Internet gestellt. Zeugnisse, Blogeinträge, veröffentlichte Artikel und filmische Aufnahmen ihrer Tätigkeiten waren perfekt im World Wide Web in Szene gesetzt. Der Fahrer hatte demnach zahlreiche Fachbücher über die Zusammenhänge von Wirtschaft und Ethik veröffentlicht. Sein Beifahrer war ein Spezialist in differentieller Psychologie. Sie selbst war eine Expertin für das Thema Mensch, Computer, Interaktion mit dem Schwerpunkt Big Data. In sämtlichen Registern, die online abrufbar waren, fand man die drei Personen mit Namen und Bild. Alles wirkte echt: Geburtsurkunden, Schulbesuche etc. Die Schweizer Sicherheitsbehörden führten eine langwierige und gründliche Überprüfung der Teilnehmer des Wirtschaftsforums durch. Sämtliche Daten und Fakten mussten niet- und nagelfest sein. Dies war ihr aufs Beste gelungen.
Zu früher Stunde hatten sich die beiden Herren in ihre noble Garderobe gezwängt, ihre Akkreditierung umgehängt und sich auf den Weg gemacht. Sie fürchteten, dass ihnen wegen ihres hohen Alters und ihrer körperlichen Gebrechen die Zeit davonlief. Vor allem der Beifahrer hatte die Agilität seiner früheren Jahre längst verloren. Zu sportlichen Leistungen war er nicht mehr fähig. Immer öfters waren ihm eine Flasche Wodka und die Nähe zu einer Toilette wichtiger als alles andere. Nur sein Klavierspiel klang immer noch genauso gefühlvoll und temperamentvoll wie vor fünfzig Jahren. Der neben ihm sitzende Fahrer war etwas älter und sein bevorstehender runder Geburtstag galt für ihn als das Datum, ab dem er sich nur noch um die Verbesserung seines Verhältnisses zu seinen Kindern kümmern wollte.
Schweigend fuhren sie mit ihrem geliehenen Phaeton nun schon seit über dreißig Minuten durch die Höhle des Löwen. Mehr als tausend Polizisten und Soldaten sowie die Schweizer Luftwaffe kontrollierten alle Zu- und Abfahrten von Davos, den Luftraum und die gesamte Innenstadt. Hinzu kamen zahlreiche Zivilstreifen, Bodyguards und Security-Mitarbeiter. Ihre Gegner hatten einen lückenlosen Überwachungsapparat installiert. Alles war seit Jahren erprobt und perfektioniert worden. Das Weltwirtschaftsforum galt als eine der am besten überwachten Veranstaltungen der westlichen Hemisphäre. Ein gigantischer Sicherheitsapparat schirmte die besondere Klientel des Forums vor Terroristen, Spinnern, Demonstranten und jeder Art von Oppositionellen ab. All das hielt die beiden Herren jedoch nicht ab. Jetzt oder nie! Sie mussten losschlagen!
„Bist du wieder ansprechbar?“, unterbrach der Russe schließlich das Schweigen im Wagen, während er mit seinen Fingern nervös auf seinen Oberschenkeln trommelte. Am liebsten hätte er in die Innentasche seines Jacketts gegriffen und einen Schluck aus seinem heimlich mitgeführten Flachmann genommen. „Hast du heute Morgen etwas getrunken?“, war die kurze Antwort zu seiner Linken. „Könntest du endlich mal damit aufhören? Ja, ich habe etwas getrunken. Und wenn du nicht endlich mit mir sprichst wie mit einem normalen Menschen, trinke ich gleich noch etwas.“ „Nüchtern wärst du mir lieber,“ brummte der Fahrer missmutig. „Wo fährst du eigentlich hin?“ „Zu seinem Hotel, so wie wir es vereinbart hatten.“ „Hatten wir nicht. Da wimmelt es von Personal und überall sind Kameras.“ Der Fahrer winkte ab: „In den Vortragsräumen des Forums sieht es nicht anders aus. Da sind sicherlich an jeder Ecke Sicherheitsbeamte postiert.“ „Dann fingieren wir einen Termin und überraschen ihn auf seinem Hotelzimmer.“ „Zu gefährlich! Er wird uns niemals so kurzfristig einen Termin gewähren und sicherlich empfängt er keine Gäste in seinem Hotelzimmer. Wir werden niemals zu ihm vorgelassen. Und selbst wenn, wissen wir nicht, ob sein Bodyguard im Hotelzimmer anwesend ist.“ Dem kurzen aber intensiv geführten Dialog folgte eisiges Schweigen.
„Ich habe mir gestern Abend noch seinen Tagesplan ausgedruckt. Wir wissen also immer, wo er sich aufhält. Wir könnten ihn auf einer Toilette überraschen.“ „Wie kommst du zu seinem Tagesplan?“ „Ich habe meine Enkelin unter einem Vorwand gebeten, mir Zugang zu allen Tagesplänen bestimmter Personen zu beschaffen.“„Und sie hat keinen Verdacht geschöpft?“ „Alina vertraut mir.“
Wegen der vielen Kontrollen im Ort fuhren sie nur noch Schritttempo und konnten deshalb die Überwachungsmaschinerie noch deutlicher erkennen. „Hast du alles dabei, was wir besprochen haben?“, setzte der Fahrer das Gespräch fort. „Selbstverständlich oder hältst du mich für senil?“ „Nein, natürlich nicht. Ich will nur auf Nummer sicher gehen.“
„Gegenfrage: Hast du die Betäubungsspritze dabei?“ „Darauf kannst du dich verlassen. Zur Sicherheit habe ich zwei präpariert. Vielleicht hat er zugenommen und wir benötigen eine stärkere Dosis.“ „Du hörst dich an wie ein Anästhesist.“ „Ich wünschte, ich wäre einer. Du weißt, was passiert, wenn wir ihm die falsche Menge verabreichen. Dann wandern wir für den Rest unseres Lebens hinter Gitter.“ Die Stimmung wurde immer schlechter. „Willst du aufgeben?“
Es war allein der Eitelkeit des Fahrers geschuldet, dass er nicht ja sagte. Er wollte vor seinem Freund nicht wie ein Feigling dastehen. Seinem langjährigen Wegbegleiter ging es nicht anders. Die Sache, um die es ging, hatte sich in den letzten Tagen hochgeschaukelt und ab einem bestimmten Zeitpunkt waren sie beide nicht mehr in der Lage gewesen, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Irgendwann hatten sie ein Datum festgelegt, dem sie nun angstvoll entgegengingen. Schweigend passierten sie das Hotel Seehof und den danebenliegenden See. Die Straßen füllten sich allmählich. Es war nicht mehr weit bis zur Talstation der Schatzalpbahn, dem Ort, an dem vor zwei Monaten ihr letzter Plan gescheitert war. Beide blickten starr geradeaus, als ob von dort die Lösung ihres Problems auf sie zukommen würde. Gab es wirklich keine Möglichkeit, an ihn heranzukommen?
„Wie sieht sein Tagesplan aus?“ „Wollen mal sehen,“ er zog ein mehrfach gefaltetes Papier aus seiner Hosentasche und ging den Zeitplan ihrer Zielperson minutiös durch. Es war der letzte Tag des Forums, da standen zumeist Vier-Augen-Gespräche an. Die meisten Besucher mussten nun nicht mehr bei irgendwelchen Veranstaltungen auf dem Podium sitzen und sich dem Publikum oder der Presse präsentieren. Dieser Tag war für die Wirtschaftsbosse für wichtige Geschäftsanbahnungen vorgesehen. Es war zur Gewohnheit geworden, dass am letzten Tag des Forums die Staatenlenker aus der Politik sich einen festen Platz im Programm ergattert hatten und den Tag für öffentlich wirksame Auftritte nutzten.
„In einer Stunde hat unsere Zielperson einen Termin mit dem Minister für Handel und Industrie von Venezuela. Das Treffen findet im Hotel Schweizerhof statt. Das liegt von hieraus gesehen vor uns, im Stadtzentrum, dem bestüberwachten Gebiet.“ „Undurchführbar. Zu gefährlich! So ein Minister wird noch besser abgeschirmt. Wir müssen ihn später erwischen, vielleicht irgendwo unterwegs. Was hat er noch auf dem Zettel?“ „AmNachmittag trifft er sich in seinem Hotel mit einem afrikanischen Despoten. Das ist dann sein letzter offizieller Termin.“ „Und wo liegt dieses Hotel?“ „Am Stadtausgang, du musst dieser Straße weiter folgen, dann kommen wir direkt zum Turmhotel Viktoria. Einer der zahlreichen Luxushotels von Davos, sehr schön gelegen.“ Bei beiden nahm die Nervosität zu und sie fragten sich, ob ihr spontaner Entschluss, ohne Alina zu starten, richtig war.
„Sag mal, sollten wir nicht langsam Alina Bescheid sagen, wo wir sind und warum wir ohne sie abgefahren sind?“ Gregorys Enkelin war in der Ukraine zur Welt gekommen und hatte früh von ihrem in Russland lebenden Großvater einen PC geschenkt bekommen. Er hatte auf verschlungen Wegen den Hochleistungsrechner beschafft und ihn in die Ukraine geschmuggelt. Dabei hatte er vergessen, das dazu gehörende Handbuch mitzuliefern. Alina war von dem Geschenk so begeistert, dass sie sich auch ohne Anleitung und Programmierkenntnisse ans Werk machte, die Möglichkeiten des Computers auszuloten. Vergleichbar mit Jugendlichen, die ohne Noten Klavierspielen lernte, perfektionierte sie auf spielerische Art ihre Programmierkenntnisse. Ihr Talent wurde früh erkannt und ein Kiewer Unternehmen nahm sie bereits im Alter von 16 Jahren unter Vertrag. Sie mauserte sich zu einer der besten Informatikerinnen des Landes. Sogar der Auslandsgeheimdienst hatte ein Auge auf sie geworfen. Als sie für ihr Unternehmen die Datenbanksicherheit einer Großbank testete und die hochkomplexe Firewall überwand, wollte sie der Geheimdienst sofort abwerben. Vor ihrem Arbeitsplatzwechsel genehmigte sie sich einen kleinen Urlaub und war bei ihrem Opa in der Schweiz gestrandet. Ohne es zu wissen, geriet sie in die heiße Phase der Planung für ein Verbrechen, das ihren Großvater und seinen Freund seit Jahren beschäftigte. Unfreiwillig wurde sie von den beiden als Gehilfin für ein kriminelles Vergehen eingesetzt. Als ihr Großvater den Wunsch äußerte, mal beim Wirtschaftsforum vor Ort zu sein und all die vielen Experten und hochgestellten Politiker live zu erleben, hatte sie zu ihrem Laptop gegriffen und seinen Wunsch erfüllt. Was Gregory und sein Freund Adam wirklich planten, wusste sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Lange Zeit konnten sie ihren wirklichen Plan vor ihr verheimlichen. Alina galt ihnen als zu emotional. Ihre aufbrausende Art war ihnen suspekt und eine weitere Mitwisserin erhöhte die Gefahr entdeckt zu werden. Sie nutzen ihre Programmierkenntnisse, ihr strukturiertes Vorgehen und ihren Fleiß für ihr Unternehmen aus.
„Sie schläft bestimmt noch. Du hast sie ja gestern ganz schön abgefüllt,“ antwortete sein Freund und setzte nach einer kurzen Pause fort: „War das deine Absicht?“ Alinas Großvater schüttelte verneinend den Kopf, um dann doch zuzugeben: „Ich dachte, dann schläft sie länger und tiefer.“ „Du bist mir so ein Großvater, macht seine Enkelin betrunken.“ „Das habe ich auch für dich gemacht, stell dich mal nicht so an und sei jetzt endlich still.“
Gregory zog schulbewusst sein Handy heraus und versuchte Alina zu erreichen. Nachdem sich niemand meldete, brach Gregory seinen Anruf ab und blickte sorgenvoll durch die Windschutzscheibe. Er malte sich aus, was sie alles anstellen würde, nachdem sie mit schwerem Kopf aufgestanden war und feststellen musste, dass er und Adam bereits ohne sie losgefahren waren.
„Alina rastet sicherlich aus,“ murmelte er auf dem Beifahrersitz. „Wo du recht hast, hast du recht. Ich bin mir sicher, dass sie Überraschungen sogar hasst.“ „Wem sagst du das. Man durfte ihr weder zu Weihnachten noch zu ihrem Geburtstag etwas schenken, das sie nicht kannte beziehungsweise nicht wollte.“ „Aber wenn wir uns nicht melden, ruft sie vor lauter Angst vielleicht die Polizei.“ „Stimmt, sie ist unberechenbar bei solchen Dingen. Aber ich mag sie, so wie sie ist.“ „Ruf noch mal an und lass es etwas länger klingeln, die jungen Leute schlafen gerne länger.“
Der Russe tippte mit seinen schlanken Fingern ihre Nummer. Auf seinem Schoß hatte er eine schriftliche Anweisung von Alina liegen, in der alle wichtigen Informationen zum Gebrauch der abhörsicheren Leitung aufgeführt waren.
„Hallo Opa, du gemeiner Schurke. Adam kannst du gleich ausrichten, dass er genauso ein Schuft ist. Wieso seid ihr ohne mich losgefahren und wo seid ihr im Moment?“, sie klang hektisch und übellaunig. „Beruhige dich. Wir fahren gerade die Promenade in Davos entlang. Du wirst es kaum glauben, aber wir haben alleSicherheitskontrollen problemlos passiert. Unsere Akkreditierung funktioniert tadellos. Du bist wirklich eine Meisterin in deinem Fach,“ er ließ ihr keine Zeit zum Atem holen und fuhr fort: „Sag mal, was ist das für ein Rauschen im Hintergrund?“ „Ein Zug,“ kam es prompt und wütend zurück. Ihr Großvater versuchte es mit einem versöhnlicheren Ton: „Entschuldige, wir konnten nicht mehr schlafen. Alte Männer, du verstehst doch? Außerdem war Adam der Meinung, dass wir dich ausschlafen lassen sollten. Du hast gestern Abend ganz schön gezecht.“
Alina schnappte nach Luft. Die beiden waren wirklich das Letzte! Am liebsten hätte sie ihr Mobiltelefon auf die Gleise geschmettert, aber dies wäre dem mobilen Einsatzkommando, das gerade vorbeifuhr, aufgefallen. Sie musste sich beruhigen, holte tief Luft und versuchte ihren Ärger zu kontrollieren, aber es gelang ihr nicht. Allmählich spürte sie, wie ihr die Kälte der reifbedeckten Bahnhofsbank, auf die sie sich vor lauter Schreck gesetzt hatte, den Rücken hochkroch. Sie stand auf und wollte das Gespräch mit etwas Distanz wiederaufzunehmen. Dabei schluckte sie mehrfach heftig, um ihre Tränen zu unterdrücken. Sie benötigte drei Anläufe.
„Ich habe für euch meinen Kopf riskiert und ihr lasst mich einfach so sitzen. Das ist nicht fair!“ Ihre Stimme brach ab. Es herrschte eine angespannte Stille. „Macht, was ihr wollt. Ich werde jetzt zur Burg zurückfahren und packen.“ „Alina,“ rief der Großvater. „Seinicht böse. Du darfst uns jetzt nicht verlassen. Nicht so. Bitte!“
Gregory suchte fieberhaft nach Worten, um seine Enkelin umzustimmen. Adam bemerkte, dass er handeln musste. Er gab Gregory ein Zeichen, das Handy so einzustellen und zu halten, dass er mithören und mit ihr sprechen konnte.
„Morgen Alina, hier spricht Adam. Dein Großvater hat recht. Du darfst uns jetzt nicht verlassen, wir brauchen dich. Ich kann verstehen, dass du sauer auf uns bist, aber nach dem gestrigen Abend hatten wir den Eindruck gewonnen, dass du lieber ausschlafen willst und vielleicht später nachkommst.“ Alina traute ihren Ohren nicht: „Ihr spinnt doch total,“ rief sie. „Nachdem ich tagelang alles mit euch geprobt und durchgesprochen habe, lasst ihr mich einfach so hängen? Ohne meine Programmierkenntnisse würdet ihr heute nicht mal in der Nähe von Davos unterwegs sein! Geschweige denn unerkannt durch den Ort fahren.“ „Du hast Recht. Aber wir wollten dich schützen. Vor allem dein Großvater hatte große Angst um dich. Kannst du uns verzeihen?“ „Nur wenn ich kommen kann,“ insistierte sie. „Ich stehe bereits am Bahnhof in Scuol und kann in Kürze in Davos sein.“
Adam und Gregory sahen sich fragend an. Sie hatten Alina viel zu verdanken und wussten, dass sie sich nicht richtig verhalten hatten. Sie hatten sie für ihre Zwecke ausgenutzt und standen nun vor einer weitreichenden Entscheidung. Gregory griff hilfesuchend zum Wodka, seine Hände zitterten. Adam wirkte ebenfalls verunsichert. Im Hintergrund hörte er Alina atmen und spürte, wie sie ungeduldig auf eine Antwort wartete.
„Einverstanden, aber wir treffen uns erst am Nachmittag in Davos. Wir haben für den Vormittag unser Besuchsprogramm geändert. Wenn ich mich richtig erinnere, gibt es am Nachmittag eine Veranstaltung, zu der wir alle drei unbedingt hinwollten. Einverstanden?“
Er blickte zu seinem Freund und erhoffte sich ein zustimmendes Nicken. Doch es kam nichts. Adam sah, wie er stattdessen die Wodkaflasche noch einmal ansetzte und sich zum Trinken von ihm wegdrehte. Von ihm konnte er keine Hilfe erwarten.
„Hallo Alina, hast du mich verstanden?“ Sie gab ein langgezogenes: „Ja,“ von sich. „Die Sache ist und bleibt gefährlich, auch wenn wir bisher gut durchgekommen sind. Das heißt nicht, dass ich deinen Informatikkünsten nicht traue. Ich habe eh keine Ahnung davon. Aber es wimmelt hier nur so von Sicherheitsleuten, Kameras und waffentragenden Soldaten.“ „Bitte seid vorsichtig,“ erwiderte Alina. „Mädchen, wir sind erwachsen. Wenn wir auffliegen, werden wir die Nummer der verwirrten Greise spielen und Gregory wird sich besaufen. Es wird dann höchsten peinlich für uns.“
Er machte eine kurze Pause, weil ihn Gregory bösartig anblickte und ihn kräftig auf den Oberarm schlug. „Alles klar! Liebe Alina, lass uns Schluss machen, sonst nehmen sie uns noch ins Visier, weil ich während der Fahrt telefoniere. Wir sehen uns heute Nachmittag. Halt die Ohren steif, wir haben dich lieb.“ Adam gab Gregory ein deutliches Zeichen aufzulegen. Ihm war bewusst, dass er mit Alina gesprochen hatte wie mit einem Kleinkind. Sein Verhalten war ihm augenblicklich peinlich. Fragend blickte er zu Gregory, der endlich seine Sprache wieder-gefunden hatte: „Sie wird das Richtige tun. Sie ist ein gutes Mädchen. Emotional, aber gescheit, und sie hört auf dich. Verlass dich darauf.“
Alina stand sprachlos auf dem Bahnsteig von Scuol: Wie konnten die beiden es wagen, sie derart zu bevormunden? Eine Menge Schimpfwörter fielen ihr ein, die sie aber nicht aussprach, zu viele wartende Menschen standen um sie herum. Wütend ging sie zurück zu ihrem kleinen Fiat, mit dem sie auf den verschneiten Straßen zum Bahnhof gefahren war.
An diesem schlossartigen Endbahnhof startete beziehungsweise endete die weltweit bekannte Rhätische Bahn, die das Unterengadin um Scuol mit dem Oberengadin mit St. Moritz als Hauptort verband. In der Gegend um Scuol, in der sie zurzeit bei ihrem Großvater und seinem Freund wohnte, war richtig Winter, mit ausreichend Schnee zum Skifahren und Langlaufen. Das ungefähr 80 Kilometer lange Tal war eines der höchstgelegenen bewohnten Täler Europas. Die Dörfer waren berühmt für ihre buntbemalten Steinhäuser und verzierten Holztüren. Hier floss der Inn über weite Strecken in einer regelrechten Schlucht und über eine der prachtvollen, tiefen Schluchten führte Alinas Weg zurück zur Burg, in die sie sich bis zum Nachmittag zu einem ausgiebigen Frühstück zurückzog.
*
„Puh, da haben wir aber noch einmal Glück gehabt. Wenn Alina hier aufgekreuzt wäre, wäre alles aus gewesen.“ Gregory nickte: „Da gebe ich dir ausnahmsweise einmal recht. Es war doch gut, dass ich angerufen habe und, ich sag es nicht gern, dass du sie beruhigen konntest. Jetzt haben wir zumindest bis zum Nachmittag Zeit.“ „In deinem Zustand bezweifle ich, ob du bis zum Nachmittag durchhältst.“ „Du nervst schon wieder,“ raunzte Gregory.
„Gregory, heute ist vielleicht unsere letzte Chance. Lass uns irgendwo frühstücken, mit etwas im Magen können wir uns besser konzentrieren und dann fällt uns sicherlich eine passende Vorgehensweise ein.“ „Wieso habe ich mich nur auf dieses Himmelsfahrtkommando mit dir eingelassen? Aber du hast ja recht: Heute oder nie. Und mit etwas im Magen bist auch du genießbarer.“ „Dito.“
In Davos erwachte langsam das Alltagsleben und der Verkehr nahm allmählich zu. Adam und Gregory wussten, dass es äußerst wichtig war nicht aufzufallen, und dazu gehörte ein Verhalten, das Besuchern des Wirtschaftsforums entsprach. Ein gemeinsames Frühstück entsprach aus ihrer Sicht diesem Verhalten. Bisher hatte sich an ihrem Vorhaben nicht viel geändert. Im Grunde genommen nur die Uhrzeit, sie waren früher dran als geplant.
Sie fanden einen passenden Parkplatz und begaben sich in eines der Luxushotels auf der Promenade und bestellten sich einen Schümlikaffee und Croissants mit Butter. Da im Hotelrestaurant noch wenig Gäste waren, konnten sie ihr Vorhaben ohne Mithörer noch einmal im Detail durchgehen. Sie waren sich schnell einig, dass ihre am Vorabend geplante Vorgehensweise definitiv nicht umsetzbar war. In der Theorie und der heimischen Umgebung hatte alles so einfach geklungen.
„Es muss doch möglich sein, diesen Kerl festzusetzen und ihm eine Lektion zu erteilen,“ bemerkte Gregory und goss etwas Wodka in seine Kaffeetasse. „Wir waren ihm noch nie so dicht auf den Fersen. Dank Alina können wir uns frei zwischen all den wichtigen Managern, Geschäftsführern und der Politprominenz bewegen. Das müsste uns doch entgegenkommen. Aber ich will ehrlich sein: Ich habe das Gefühl, mir schwindet so langsam die Kraft für derartige Unternehmungen.“ „Du hast leicht reden,“ nickte Gregory zustimmend. „Was soll ich da sagen? Diese ganze Anspannung bringt mich noch um.“ „So eine perfekte Tarnung wie im Moment hatten wir noch nie. Denk nach! Die Zeit läuft uns davon,“ gab Adam in einem abgeschwächten Befehlston von sich.
Sie gingen davon aus, dass die neuen Identitäten, mit denen Alina sie ausgestattet hatte, sie vor jeder Verfolgung über das Datennetz schützten. Aber das zu wissen, war nur eine Seite der Medaille.
Mitten in Davos zu sitzen und den Sicherheitsapparat zu spüren, war eine ganz andere Sache. Vor allem für Gregory, der nicht nur vom russischen Militär, sondern auch vom Geheimdienst seines Landes gesucht wurde. Eine Akkreditierung als Wissenschaftler war nur ein schwacher Trost für ihn und ohne Wodka hätte er die innere Anspannung und Angst nicht ausgehalten.
Nach dem gemeinsamen Frühstück entschlossen sie sich, eine der öffentlichen Veranstaltungen des Forums zu besuchen. Dies entsprach auch ihrem ursprünglichen Plan. Es war ihre Absicht, in Davos möglichst so aufzutreten, wie es die Personen getan hätten, für die sie sich ausgaben. Die Sicherheitskräfte sollten nicht den geringsten Verdacht schöpfen. Die Pausen nutzten sie, um sich in den Gängen der Vortragsräumlichkeiten unauffällig zurückzuziehen und über die weitere Vorgehensweise zu beraten. Schließlich war die Zeit zum Handeln gekommen.
Sie fuhren zum Turmhotel Viktoria, dem Übernachtungsquartier ihrer Zielperson, waren sich aber noch immer nicht einig darüber, was sie nun tun sollten. Adam stand mehr auf Improvisation, während Gregory durch den Wodkakonsum eher hilflos und leicht abwesend wirkte. Bevor sie das Hotel betraten, kontrollierten sie gegenseitig den Sitz ihrer Krawatten, den Glanz ihrer Schuhe und ihre Frisuren. Sie wollten auf keinen Fall wegen Kleinlichkeiten auffallen. Beide waren sich im Klaren, dass jedes Detail wichtig war. Diese Lektion hatten sie bereits bei vorherigen Versuchen gelernt. Mehrfach waren sie gescheitert, weil ein Accessoire nicht passte, ein Akzent nicht funktionierte oder ihr Verhalten insgesamt aufgefallen war.
Adam ging voraus, Gregory folgte ihm in einem exakten Abstand von vier Schrittlängen. Sie hatten vereinbart, so zu tun als würden sie sich nicht kennen. Schon nach den ersten Schritten innerhalb des Hotels stieg ihr Adrenalinspiegel derart an, dass beide für kurze Zeit um ihre Gesundheit fürchteten. Adam hatte bereits ein angeschlagenes Herz und Gregory wusste, dass seine mangelnde Fitness und seine Trinkgewohnheiten keine idealen Voraussetzungen für diese Aktion waren. Sollte etwas schiefgehen, mussten sie keinen Herzanfall simulieren, es war wahrscheinlicher, dass sie tatsächlich einen erleiden würden.
Das exklusive Hotel nahm sie mit seinen zahlreichen Überwachungseinrichtungen in Empfang. In der Hotellobby herrschte ein reges Treiben, für viele Gäste bestand am letzten Tag des Forums nicht mehr die Notwendigkeit länger an diesem Ort zu verweilen. Ständig fuhren Taxis oder private Luxuslimousinen vor und luden Koffer und wichtige Persönlichkeiten ein. Adam und Gregory waren überrascht und mussten sich durch das entstandene Gedränge ihren Weg zur Rezeption bahnen. Dabei verringerte sich ihr geplanter Abstand. „Jetzt wird esernst,“ flüsterte Adam Gregory zu, der inzwischen zu dicht herangelaufen war. Es war einfach zu wenig Platz in der Lobby.
„Die Kameras haben uns sicherlich bereits erfasst. Ganz normal weitergehen, als hätten wir einen Termin. Ich frage nach unserem Mann und bitte ihn, uns in seinem Hotelzimmer zu empfangen. Ich hoffe, der Mann an der Rezeption spielt mit.“ „Wie willst du ihn überzeugen?“ „Wen? Den Rezeptionisten oder unseren Mann?“ „Blöde Frage, unseren Mann natürlich.“ „Schau mal auf den Tagesplan, gibt es dort einen Hinweis, in welcher Suite er abgestiegen ist?“ „Das fällt dir aber früh ein. Moment.“
Umständlich zog Gregory den Zettel mit dem Tagesplan ihrer Zielperson heraus und versuchte trotz seiner zittrigen und schweißigen Hände einen Hinweis darauf zu finden. „Mach schneller, ich steh gleich ganz vorne.“ „Immer mit der Ruhe.“ Gregory hatte die Antwort gefunden, wusste in diesem Moment jedoch nicht, wie er Adam unauffällig darüber in Kenntnis setzen sollte. Er drehte sich von Adam weg und sagte in den Raum hinein: „Schönes Hotel. Mal sehen, wie die Präsidentensuite ist.“ Adam war in diesem Moment der einzige, der ihn nicht verstand. Er sah sich hilfesuchend nach seinem Freund um, der ihm per Handzeichen zu verstehen gab, dass er ihm nicht weiter folgen würde.
Adam verstand die Welt nicht mehr. Alle Vorsichtsmaßnahmen vergessend griff er hektisch nach Gregorys Arm und herrschte ihn leise an: „Dukannst mich doch jetzt nicht allein lassen. Bleib hier!“ „Nicht so laut, beherrsche dich doch.“ Gregory versuchte sich von Adam loszureißen. Beiden tropften die Schweißperlen von der Stirn. Als eine Kamera auf Adam umschwenkte und ein Sicherheitsbeamter sich aus dem Hintergrund in seine Richtung bewegte, zischte Adam mit aufgerissenen Augen und festem Griff Gregory ins Ohr: „Bleib hier!“
*
Alina hatte inzwischen ihren Auftritt auf dem Forum mehrfach durchgespielt. Sie war bis ins Detail vorbereitet. Sie hatte sich schon vor Tagen, passend zu ihrem neuen Ausweisbild, die Haare rot gefärbt. Mit langen roten Haaren sah sie der echten Alina überhaupt nicht ähnlich. Zu ihrer weiteren Verkleidung gehörten viel Make-up, dick aufgetragenes Rouge, kräftiger Lippenstift und das dazu passende Outfit. Sie trug einen graumelierten Hosenanzug, darunter ein T-Shirt mit einem Glitter-Logo von Raumschiff Enterprise, dazu wetterbedingt dunkelgrüne Lederstiefeletten und einen zweifarbigen Kaschmirschal. Gekrönt wurde das Ganze von einem weiten Cape mit großer Kapuze, ebenfalls in Dunkelgrün. Zu Hause trug sie so etwas nicht. Sie war eine Jeans- und Pulloverfrau. Turnschuhe reichten ihr für jeden Anlass.
Später als geplant traf sie in Davos ein, sie hatte den Zeitaufwand fürs Schminken, Anziehen und die Fahrt völlig falsch eingeschätzt. Sie kam gerade noch rechtzeitig, um das letzte Symposium des Tages nicht zu verpassen. Sie mischte sich unter die Gäste und versuchte möglichst beiläufig nach Gregory und Adam Ausschau zu halten. Ihr Outfit und Auftritt zeigten Wirkung. Sie registrierte sofort die Aufmerksamkeit, die man ihr zuteilwerden ließ. Die Plätze neben ihr waren in Windeseile besetzt, obwohl sie weit vorne Platz genommen hatte. In den kurzen Pausen zwischen den Vorträgen wurde sie mehrfach angesprochen und es wurden ihr viele Visitenkarten gereicht. Die meisten Männer hielten sie für eine neue Ikone des Internet-Start-up-Zeitalters, die man kennen musste. Wenn auch die wahren Gründe der Männer, sie näher kennenzulernen zu wollen, stark differenzierten und in der Mehrzahl vermutlich nur auf eines hinausliefen.
Während der Podiumsrunde, an der sich auch das Publikum beteiligen konnte, stellte sie eine Menge unbequemer Fragen zum Datenschutz, was nicht auf das Wohlwollen der Veranstalter stieß. In der Sicherheitszentrale gingen Anfragen verschiedener Unternehmensvertreter ein, so ungewöhnlich waren ihre Anmerkungen und ihre Erscheinung.
Der Computer der Sicherheitspolizei spukte ihre Daten aus:
Natalya Eniacsky, geboren in Kiew, 35 Jahre alt,
1,75 m groß, rothaarig, schlank, Linsenträgerin.
Beruf: Programmiererin, angestellt bei TatInvestLap
St. Petersburg.
Beleumundet: Aeroflot, Sberbank, Rostelekom,
Metro, E.on.
Wohnhaft in St. Petersburg, verheiratet, keine Kinder.
Themeninteresse: virtuelle Welten. Akkreditiert: Gesamtforum. Sicherheitsstufe: blau.
Keine Angaben über Kontaktpersonen.
Anreise: Zug.
Bewegungsmuster: unauffällig.
Alina hatte sich mit Gregory und Adam auf den Smalltalk mit anderen Gästen und die mithörenden Zivilfahnder gut vorbereitet. Sie parierte alle Fragen über ihr Unternehmen mit Bravour, streute Programmierwitze ein und ließ, wenn sie nicht mehr weiterwusste, ihren weiblichen Charme spielen. Die Herren amüsierten sich mit dieser geheimnisvollen Rothaarigen und die Frauen, zumindest ein Teil von ihnen, freuten sich über die selbstbewusste Erscheinung. Auch der Sicherheitsapparat sah sich nicht veranlasst, zusätzliche Überprüfungen vorzunehmen. Vielleicht, weil sie eine Frau war, dazu noch eine attraktive Rothaarige. Dieser Teil des Plans schien jedenfalls aufzugehen. Es fiel ihr hingegen schwer, so tun zu müssen, als ob sie zusammen mit Adam und Gregory das Forum besuchte. Immer wieder streute sie ihre Namen ein. Jeder ihrer Gesprächspartner sollte das Gefühl haben, dass sie mit zwei Männern beim Forum zu Gast war und dass sie wichtige Positionen in der Beratung von Wirtschaftsunternehmen innehatten. Bei diesem Teil des Plans musste sie improvisieren, was sie viel Mühe kostete. Es blieb ihr nichts anderes übrig, weil die zwei sich weder gemeldet hatten noch wie vereinbart auftauchten. Auch der Abgang vom Veranstaltungsort fiel ihr nicht leicht. Sie wusste nicht, wie sie den zahlreichen neugierigen und an ihr interessierten Männern entkommen sollte. Es war üblich, nach dem Besuch eines Symposiums an der Bar noch etwas zu trinken oder gemeinsam essen zu gehen. Sie war allein und daher ein gefundenes „Fressen“ für derartige Geschäftsgebaren. Gregory und Adam hatten sie nicht auf diese Situation vorbereitet, weil der eigentliche Plan vorsah, dass sie spätestens zu diesem Zeitpunkt zu dritt sein würden. Ihr Großvater hatte erst in letzter Minute eine unerwartete Information auf ihr Mobiltelefon gesendet: „Treffen auf dem Symposium abgesagt. Sehen uns am Klavier. Alles läuft prima“.
Nachdem Alina den Vortragsraum verlassen hatte und spürte, dass sie von mehreren männlichen Besuchern verfolgt wurde, erhöhte sie ihre Schrittzahl und flüchtete auf die Damentoilette. Anschließend wartete sie dort eine halbe Stunde - in der Hoffnung, dass dann alle Teilnehmer, vor allem die männlichen, bereits gegangen waren. Als sie sich im Toilettenspiegel sah, musste sie feststellen, dass sie sich selbst kaum erkannte. Ihr T-Shirt war unter den Achseln nass geschwitzt, ihre Frisur glich einem Wischmob, alle Haare standen ab und ihre Augen zuckten. Auf dem Weg zum Taxi, das sie zum Bahnhof brachte, bemühte sie sich langsam zu gehen und den Eindruck einer nachdenklichen Person zu vermitteln, die nicht angesprochen werden wollte. Jeder Schritt war eine Qual, nicht nur wegen der ungewohnten Schuhe. Jedes Mal, wenn einer ihrer Stiefeletten auf dem Straßenpflaster aufsetzte, erschrak sie über das Geräusch und jede Person, die ihr entgegenkam, hielt sie für einen Zivilpolizisten, der sie verhaften wollte. Selbst während der Zugfahrt zurück nach Scuol kam sie nicht zur Ruhe. Sie hatte alle Nachrichten auf ihrem Smartphone gecheckt und das Internet nach Vorkommnissen in Davos durchsucht und nichts gefunden. Was sie jedoch nicht beruhigte. Als sie die Endstation erreicht hatte und in ihr Auto stieg, war sie immer noch so nervös, dass ihr Brems- und Kupplungsbein beim Fahren ständig auf- und abwippte. Ein-, zweimal kreuzte sie unachtsam über den Mittelstreifen und verschaltete sich. Hätte irgendjemand ihr Schlingern bemerkt, wäre er davon ausgegangen, dass hier eine betrunkene Fahranfängerin unterwegs war. Endlich kam die rettende Burg in Sicht, nach vier weiteren Kurven stand sie vor der heimischen Garage. Als sie ausstieg, stand der Mond hoch am Himmel und erleuchtete die Umgebung. Sie sah sich um. Keiner war ihr gefolgt, die letzten Straßenkilometer hatten ihr ganz allein gehört. Als sie versuchte, das Garagentor zu öffnen, stellte sie fest, dass es verschlossen war. Sie erschrak. Sie war sich sicher, es beim Wegfahren offengelassen zu haben. Sie rüttelte am Tor. Ihre Ängste und Sorgen nahmen mit jeder Minute zu. Mit angehaltenem Atem lauschte sie in die abendliche Stille. Alles war ruhig. Die Bäume wiegten sich im Wind und ließen Schnee von ihren Ästen fallen. Es war eisig kalt. Fröstelnd zog sie ihr Cape zu, setzte die Kapuze auf und lief in Richtung Burg. Auf dem Weg zum Burgtor bog sie circa 50 Meter davor in einen gut getarnten Seitenweg ab. Über Stock und Stein führte eine kaum sichtbare Spur zu einem geheimen Aufzug. Nur Adam, Gregory, Alina und eine weitere Person kannten diesen praktischen und bequemen Lift, der direkt bis zum Wohnbereich der Burg fuhr. Es war ein kleiner, enger Aufzug, der einem den langen und sehr anstrengenden Anstieg ersparte. Vor lauter Nervosität brach sie einen Absatz ihrer teuren Stiefeletten ab und musste die letzten Meter auf dem eiskalten Boden auf Nylons gehen. Der Lift kam sofort heruntergefahren. Sie stieg ein, drückte auf Start und ließ ihren Tränen freien Lauf. Es war ihr egal, dass die Schminke sich über ihr Gesicht verteilte: Die Hauptsache war, dass es vorbei war.
*
„Hallo, jemand da?“, schluchzte sie leise, als sich die Lifttür geräuschlos öffnete. Kein Laut war zu hören. Hatte sie nicht ein Licht in einem der Fenster gesehen, als sie um die Burg herum zur Garage gefahren war? Sie wusste es nicht mehr und ärgerte sich über ihr unvorsichtiges Verhalten. Hinter ihr schloss sich die Tür des Liftes mit einem leisen Zischen und für einen Moment waren nur noch ihr Atem und ihr Herzschlag zu hören. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter, Angst stieg in ihr auf, gefolgt von einem Schweißausbruch und Herzrasen. Mit dem Handrücken wischte sie sich die zerlaufene Schminke aus den Augen und drückte den Lichtschalter. Der kleine Vorraum erhellte sich und sie stand direkt vor einem schweren, dunklen Vorhang, der nicht nur als Kälteschutz zwischen dem Zugang und den Wohnräumlichkeiten diente, sondern auch den Lift blickdicht verbarg. Vorsichtig schob sie den lichtundurchlässigen Stoff zur Seite und sah in der Ferne ein warmes Licht aufblitzen.
„Alina, wir sind im Kaminzimmer.“ Es war Adams Stimme, sie klang klar und sicher. Alina schlüpfte geschwind in die bereitgestellten Hausschuhe und ging sämtliche Zwischentüren hinter sich schließend in das gemütlichste Zimmer der Burg, wo sie ein prasselndes Kaminfeuer und zwei müde aussehende Herren empfingen. Beide saßen unversehrt und tief versunken in ihren Ledersesseln, schwenkten jeder ein Cognacglas und lächelten sie an. Keine weitere Lichtquelle störte das Bild. Im Schein des Feuers waren nur die Umrisse ihrer Gesichter zu erkennen. Alinas erster Gedanke war: Sie haben es also auch geschafft, unerkannt das Weltwirtschaftsforum zu besuchen und es ohne Zwischenfälle wieder zu verlassen.
„Ich kann euch gar nicht sagen, wie froh ich bin, euch zu sehen,“ sagte Alina immer noch etwas schwer atmend. Erschöpft sank sie in den bereitgestellten dritten Sessel, der das Sitzdreieck vervollständigte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass ihr Atem und ihr Puls immer noch auf Hochtouren liefen. Deutlich konnte sie das Schlagen ihres Herzens spüren, das Blut raste durch ihre Ohren und hinterließ ein Rauschen, vergleichbar einer aufwühlenden Ozeanbrandung. Adam beugte sich nach vorne und schenkte ihr ein Glas Cognac ein. Freudestrahlend blickte er sie an, ihre rote Haarfarbe leuchtete im Schein des Kaminfeuers. Ein breites Lächeln umgab seinen Mund und seine Lachfältchen verbreiteten ein beruhigendes Gefühl bei ihr. „Es ist vorbei und wir sind alle wohlbehalten zurück. Was für ein Abenteuer.“
Aber es war nicht vorbei.
Eigentlich war nichts so verlaufen wie geplant. Es würden Tage, wenn nicht gar Wochen voller Angst vor Verfolgung und Aufdeckung ihrer Tat folgen. Es war eine Situation entstanden, auf die sie nicht im Geringsten vorbereitet waren. Sie waren von ihrem ursprünglichen Vorhaben abgewichen. Nichts war mehr wie zuvor und dessen wurde sich Adam in dem Moment bewusst, als er Alina neben sich sitzen sah. Sein Blick und seine Haltung veränderten sich schlagartig. Fragend sah er zu Gregory, seinem Freund, der mit seiner Kurzschlusshandlung die Hauptschuld an der neuentstandenen, ausweglosen Lage trug. Mit dem Eintreffen von Alina erkannte auch Gregory, dass es ein Weiter so für alle drei nicht mehr gab. Gregory räusperte sich kurz, sagte aber nichts. Als könnte er Adams Gedanken lesen, wurde ihm klar, dass sie sehr großes Glück gehabt und kindlich naiv gehandelt hatten.
Sie hatten jeden Gedanken an die Konsequenzen ihres Handelns in Davos verdrängt. Es war eine spontane Entscheidung gewesen, die sich irgendwann verselbstständigt hatte.
Nach dem ersten, tiefen Schluck wollte Alina ihre Neugier befriedigen und wissen, was vorgefallen war: „Was habt ihr den ganzen Tag in Davos gemacht und warum seid ihr nicht wie vereinbart zur Podiumsdiskussion gekommen? Ihr könnt mir glauben, dass war kein Zuckerschlecken für mich: Überall diese gierigen Blicke der Anzugsträger. Und dabei immer lächeln, kluge Fragen stellen und über eure und meine berufliche Situation Lügengeschichten erzählen. Ich bin fertig.“ Adam und Gregory blieben stumm und starrten verlegen in ihre Gläser. Misstrauisch hakte sie nach: „Erzählt schon! Was ist denn plötzlich los mit euch?“
Adam raffte sich zu einer Antwort auf: „Wir haben einen Gast im Haus.“ Kopfschüttelnd erwiderte Alina: „Wie? Einen Gast? Wo ist er, um wen handelt es sich? Nun sitzt nicht so steif da und starrt in eure Gläser! Was wird hier gespielt?“ „Beruhige dich,“ mischte Gregory sich kleinlaut ein.
„Ich kann und ich will mich nicht beruhigen. Adam, sag meinem Großvater, dass ich alles andere als mich beruhigen will. Klärt mich auf! Was haben wir für einen Gast?“ Sie setzte sich aufrecht hin und wurde rot im Gesicht. In einer Hand hielt sie das Cognacglas, das sie beinahe zerdrückte, mit der anderen Hand umklammerte sie die lederne Sessellehne.
Adam stand auf, ging zu ihr und legte eine Hand auf ihre Schulter. Die Geste sollte sowohl beruhigend wirken als auch ihren Kommunikationsfluss unterbrechen. „Er wird in Kürze aufwachen. Das Beruhigungsmittel, das ich ihm verabreicht habe, hat sofort gewirkt und er hat von seinem Transport hierher mit Sicherheit nichts mitbekommen. Das Problem war vielmehr, den Schlafenden ins Verlies zu schaffen,“ antwortete Adam. „Im Hotel sah er gar nicht so schwer aus,“ murmelte Gregory.
Alina blickte verständnislos zwischen den beiden hin und her. Die Worte Beruhigungsmittel und Verlies brachten sie fast um den Verstand. „Von wem zum Teufel redet ihr?“ Ihre Frage wurde durch ein Geräusch aus einem Babyphon, das vor ihr auf dem Tisch lag, unterbrochen. Sie hatte es bis dahin gar nicht bemerkt. Als niemand sich rührte, nahm sie das Ding in die Hand und starrte es an, als käme es direkt vom Mond. „Ein Babyphon? Was wird hier gespielt?“ „Es gehört mir,“ antwortete Adam schnell und griff danach. „Ich habe es aus Sentimentalität aufbewahrt. Es erinnert mich an meinen Sohn Alexander und die Zeit, als er noch ein Baby war.“ Er nahm es ihr aus der Hand und legte es zurück. „Noch einmal,“ knurrte Alina. „Wer ist der Gast und was ist mit der Beruhigungsspritze und dem Verlies gemeint?“ Sie blickte Adam scharf von unten an. Er legte seine zweite Hand so auf ihre Schulter, als ob er sie am Aufspringen hindern wollte. Mit ruhigen Worten versuchte er ihr mitzuteilen, dass Gregory und er in Davos jemanden entführt hatten.
Alina schlug seine Hände weg, drehte sich zornig zu ihrem Großvater um und schrie ihn an: „Ihr habt was? Seid ihr von allen guten Geistern verlassen.“ Gregory nahm schnell einen großen Schluck aus seinem Glas und wagte nicht zu antworten. Schuldbewusst blickte er nach unten in Erwartung einer berechtigten Schimpftirade seiner Enkelin. Aus seiner Sicht war es Adams Aufgabe, Alina aufzuklären.
*
Adam blieb ganz gelassen, er wusste seit Langem, dass irgendwann der Zeitpunkt kommen würde, an dem er Alina über alles aufklären musste. In seiner Erzählung ließ er den genauen Vorgang der spontanen Entführung aus. Für ihn war es zunächst wichtig, Alina zu erklären, warum er und Gregory seit Jahren ein besonderes Interesse an einer ganz bestimmten Person hatten. Er berichtete ihr auch, was sie mit dieser Person vorgehabt hatten und warum sie deswegen unbedingt am Wirtschaftsforum hatten teilnehmen wollen.
„Wenn du willst, kann ich dir alle Unterlagen, Bilder und Videos zeigen, die dokumentieren, was für ein Scheusal dieser Mann ist. Und da wir schon dabei sind,“ mit einem kurzen Nicken in Richtung Gregory holte er sich die Erlaubnis ein weiterzusprechen: „die Wahrheit ans Licht zu bringen, möchte ich dich über die Flucht deines Großvaters aus Russland aufklären, weil dies in einem direkten Zusammenhang mit diesem Herrn steht.“ Adam machte eine kurze Pause und bemerkte, wie Gregory langsam aufstand, seine Enkelin in den Arm nahm und sie von ihm wegführte. Alina hörte ihrem Großvater aufmerksam zu. Adam konnte kaum ein Wort verstehen, er stand zu weit weg. Aber es interessierte ihn auch nicht, er kannte die Geschichte auswendig. Schließlich war er einer der wichtigsten Fluchthelfer gewesen. Für Gregory wirkte das Gespräch mit seiner Enkelin wie ein großer Befreiungsschlag. Er schloss mit den Worten: „Es war heute unmöglich an unsere Zielperson heranzukommen. Das Schicksal hat uns stattdessen seinen Sohn in die Hände gespielt.“ Mit zittriger und ungläubiger Stimme fragte Alina: „Wo habt ihr ihn untergebracht?“ Hilfesuchend blickte Gregory auf Adam.
„Ich weiß, das klingt alles sehr verrückt für dich und ich muss zugeben, dass ich im Moment überhaupt nicht weiß, wie es weitergehen soll. Der Junge liegt in einem der Verliese. Wir haben ihm eine Matratze auf den Boden gelegt und ihn an einen der alten Eisenringe gekettet. Das Babyphon ist im Moment unsere einzige Verbindung zu ihm. Er wird noch circa drei Stunden tief und fest schlafen. Bis dahin haben wir Zeit, uns etwas Sinnvolles einfallen zu lassen.“ Alina verstand immer noch nicht, sie glaubte in einem Traum verhaftet zu sein. Sie hatte zwar den Worten ihres Großvaters aufmerksam gelauscht und auch gehört, was Adam gesagt hatte, aber ihr Verstand wollte den Gedanken an eine Entführung nicht zulassen. Wahrscheinlich auch, weil sie mitbekommen hatte, dass erst sie diese Entführung ermöglicht hatte. Sie bat um etwas Zeit und wendete sich von den beiden ab. Vor einem Burgfenster blieb sie minutenlang regungslos stehen.
„Hat jemand Hunger?“, unterbrach Gregory die entstandene Stille. „Ich könnte eine kräftige Portion Pasta vertragen, schön mit Schinken und Sahne,“ antwortete Adam, als wäre nichts von dem geschehen, worüber er gerade noch gesprochen hatte.
Alina traute ihren Ohren nicht. Sie drehte sich in rasender Geschwindigkeit um, raste auf Adam los, packte ihn am Hemdkragen und begann ihn in ihrer Muttersprache kräftig zu beschimpfen. Danach folgte eine Salve russischer, englischer und deutscher Flüche. Als ihr die Flüche ausgingen, sank sie mit hochrotem Kopf in einen der Sessel, leerte ihr und Adams Cognacglas in einem Zug und starrte in das prasselnde Feuer. Sie wirkte völlig ausgepumpt und konnte nicht glauben, was sie gerade erfahren hatte und wie die beiden damit umgingen.
Adam verzog sich ohne ein weiteres Wort in die Küche und begann mit der Zubereitung des Essens. Gregory setzte sich ans Klavier und spielte ein klassisches Stück, um seine Enkelin und sich zu beruhigen. Die Musik verbesserte die angespannte Atmosphäre und auch der Duft nach angebratenem Knoblauch verfehlte seine besänftigende Wirkung nicht.
Schweigend nahmen alle drei am Tisch Platz. Sie waren sich bewusst, dass nach dem letzten Bissen eine Entscheidung gefällt werden musste. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder sie ließen den Jungen wieder frei oder die Entführung nahm ihren Lauf. Entschieden sie sich für die erste Möglichkeit, mussten sie die Freilassung innerhalb der nächsten Stunde organisieren. Der Junge durfte davon nichts mitbekommen. Sie mussten ihn auf irgendeine Art und Weise wieder in sein Auto setzen und zurück auf die Straße bringen.
Um Zeit zu gewinnen, bereitete sich Adam noch einen Espresso zu. Im Stillen versuchte er die Rückabwicklung der Entführung durchzuspielen. Er war sich sicher, dass ihm dies gelingen würde, aber da war noch ein anderer, tiefsitzender Gedanke, der in ihm schlummerte.
Gregory hingegen plante nichts, er war mit seinen Gedanken wieder bei der Entführung gelandet. Sie war ein spontaner, völlig verrückter Einfall von ihm gewesen. Er war sich sicher, dass es ein Riesenfehler war, den Sohn ihrer Zielperson zu entführen. Keiner von ihnen hatte Erfahrung mit einer Entführung oder war auf Lösegeld aus. Und trotzdem gefiel ihm der Gedanke, Macht über den verhassten Mann zu haben, der aus seiner Sicht an seiner Flucht und seinem jahrzehntelangen Leid eine große Mitschuld trug. Er wollte endlich frei sein, denn seit Jahren lebte er versteckt und war auf die Hilfe anderer angewiesen. Seit mehreren Jahren lebte er auf Adams Kosten mal in Schweden, mal in Deutschland und zu guter Letzt in der Burg in der Schweiz. Das war kein Leben für einen klugen, lebenslustigen und früher immer sehr gut aufgelegten Mann. Wenigstens die letzten Lebensjahre wollte er in Freiheit verbringen. Bei dem Gedanken, von seinem ärgsten Feind Geld kassieren zu können und ihn leiden zu lassen, hüpfte sein Herz.
Alina, frei von Rachegedanken und in keiner Weise an einer abenteuerlichen Aktion à la Adam interessiert, machte sich ernsthafte Gedanken über ein realisierbares Vorgehen. „Hört mal zu: Wenn wir die Entführung zu einem guten Ende bringen wollen, dann müssen wir zunächst alle Spuren beseitigen und das Verlies so einrichten, dass unser Gast darin ein paar Tage gesund überleben kann. Außerdem,“ mit einer deutlichen Geste verbot Alina Adam in ihre Ausführungen einzugreifen, „außerdem müssen wir einen Weg finden, mit dem Vater Kontakt aufzunehmen und uns über die Modalitäten der Lösegeldübergabe und über die Höhe verständigen. Das Ganze wird einige Zeit in Anspruch nehmen. So ein Großindustrieller wird nicht sofort zahlen, darauf müssen wir uns einstellen. So lange muss der Junge gesund und unversehrt bleiben und von uns versorgt werden. Wir müssen auch an die Bevölkerung hier im Dorf denken. Die dürfen keinen Verdacht schöpfen. Die Polizei wird sicherlich überall nach ihm suchen. Er ist nicht irgendwer. Habe ich recht?“
Adam ging das alles viel zu schnell, er war mit seinen Gedanken noch beim Transport des schlafenden Jungen zurück ins Auto. Gregory hingegen jubelte: „Das ist ganz meine Enkelin. Mit deiner Hilfe schaffen wir das. Prost!“, und nahm einen großen Schluck Wodka zu sich. Alina sah Adam streng an und wartete auf seine Zustimmung. Er stürzte sein Café hinunter und verschluckte sich dabei mächtig. Alina und Gregory warteten seinen darauffolgenden Hustenanfall ab. Als er wieder geradeaus blicken konnte, nahm er Alina lange ins Visier. Er war sich nicht sicher, ob sie das Gesagte wirklich ernst meinte und ob ihr bewusst war, welche Folgen ihr Handeln haben könnte. Da er jedoch selbst nicht so richtig wusste, wie es weitergehen sollte, gab er sich einen Ruck und nickte zustimmend.
„Zunächst müsst ihr genau überlegen, ob euch jemand gefolgt ist oder euch jemand gesehen haben könnte. Ist dies der Fall, müssen wir den Jungen sofort freilassen. Am besten setzen wir ihn in der Nähe einer Stadt aus. Adam betäubt ihn noch einmal, dann schütten wir eine kräftige Portion Wodka in seinen Mund und sorgen irgendwie dafür, dass ihn jemand findet, bevor er erfriert. Junge Leute trinken doch häufig einen über den Durst.“ „Du liest entschieden zu viele Krimis,“ gab Adam kleinlaut von sich. „Na und!“ bellte sie zurück. „Sag mir lieber, ob euch jemand beobachtet hat.“
Die beiden alten Herren strengten ihre grauen Zellen an und kamen überein, dass die Entführung weder im Hotel aufgefallen war noch ihnen auf dem Weg zur Burg jemand gefolgt war. Der Wagen des Jungen stand gut getarnt in der Garage und sie hatten ihn in der Dunkelheit zur Burg getragen, im Lift hochgefahren und noch in betäubtem Zustand ins Verlies geschafft. „Wenn das so ist, dann müssen wir, bevor er aufwacht, seine Bleibe ausbruchssicher machen und dafür sorgen, dass er schlafen und auf Toilette gehen kann. Er darf uns weder sehen noch hören.“ Alina war voll in Fahrt und wunderte sich selbst über ihr forsches Verhalten.
Die Männer machten sich sofort auf den Weg, um das neue Gefängnis einzurichten. Sie stellten eine alte Militärklappliege in das größte Verlies und fanden auch für die notwendigen Toilettengänge eine umsetzbare Lösung. In einem fast vergessenen Kellerraum hatte Adam seine Chemietoilette aus alten Campingtagen verstaut. Die stellten sie mit Klopapier, einer Waschschüssel und einem Krug mit frischem Wasser sowie einem Stück Seife auf.
Die auserwählte Gefängniszelle lag glücklicherweise nicht nur sehr tief unter der Burg, sondern war aufgrund ihrer Bauweise auch kaum von außen einsehbar und hatte äußerst dicke Mauern. Mögliches Geschrei des Gefangenen würde also nicht zu hören sein. Der Zugang verlief über eine steile, steinerne und gut kontrollierbare Wendeltreppe. Der Raum war sechs Meter hoch und hatte an der Decke ein altes Gitterfenster, das in den letzten Jahren von außen ringsherum zugemauert worden war. Sollte jemand von oben in den Schacht schauen, würde er wegen der Tiefe nur Dunkelheit wahrnehmen. Die umliegenden Verliese ermöglichten einen regelmäßigen Luftaustausch. Um auf Nummer sicher zu gehen, stellten sie auf einen breiteren Treppenabsatz einen alten Schrank. Die Rückseite verkleideten sie so, dass jeder, der von den Burgräumlichkeiten auf die Treppe stieß, den Eindruck haben würde, dass die Treppe dort endete. Im Schrank lagerten sie Arbeitshosen, Handschuhe und Mützen sowie Karnevalsmasken aus alten Kindertagen. Die wollten sie bei jedem Besuch des Gefangen tragen. Während des Umbaus schlief der Junge ganz friedlich und machte keine Anstalten aufzuwachen. Adam hatte zwischenzeitlich die Befürchtung, mit der Betäubung übertrieben zu haben.
Mit vereinten Kräften brachten sie den schlafenden Gefangenen in den eingerichteten Raum und legten ein von Adam formuliertes Schreiben neben sein Schlaflager. In diesem Papier informierten sie den Jungen über die Entführung und die Möglichkeit über das Babyphone Kontakt aufzunehmen. Gregory ergänzte die Zeilen mit dem Zusatz: Wenn Sie das Babyphone aus Ärger über Ihre Entführung zerstören, erlischt jeder Außenkontakt und wir können Sie weder mit Wasser noch mit Essen versorgen. Atmen Sie ruhig durch. Wir wollen Ihnen nichts antun.
*
Als Gregory und Adam ins Kaminzimmer zurückkamen, war Alina ganz in Recherchearbeiten vertieft. „Wir sind fertig, der Kleine schläft immer nochwie ein Murmeltier,“ schnaufte Gregory, der bei der Arbeit ziemlich aus der Puste gekommen war. „Was nun?“ Alina blickte nur kurz hoch und registrierte den rotangelaufenen Kopf ihres Großvaters. „Ich kontrolliere gerade alle öffentlich zugänglichen Meldungen über das Weltwirtschaftsforum und das Drumherum. Und, ihr werdet es nicht glauben, auch den Schweizer Polizeifunk. Keine Meldung deutet daraufhin, dass jemand entführt worden ist oder vermisst wird. Entweder die Entführung wurde bis jetzt nicht bemerkt oder die Polizei hat eine Nachrichtensperre verhängt.“ „Langsam, junge Frau,“ insistierte Adam, „der Junge ist uns freiwillig gefolgt und außerdem haben wir noch keine Lösegeldforderung abgesetzt.“
Alina atmete tief durch, schaltete den Laptop, an dem sie saß, aus und konzentrierte sich wieder auf die Probleme vor Ort. „Seid ihr ganz sicher, dass niemand den Jungen hier finden kann?“ „Absolut,“ erwiderte Adam. „Schreie aus seiner Zelle sind hier oben nicht zu hören. Der Schacht über seinem Schlafplatz führt zwar direkt in den Brunnen auf dem Hof, aber die Abdeckung liegt unter einer tiefen Schneedecke. Sollte trotzdem jemand hineinblicken, wird er nichts erkennen, weil der Schacht zu tief ist. Seine Luftzufuhr ist gesichert und zugleich bleibt er unsichtbar.“ „Und wie sicher ist der Zugang von Innen?“ „Die Tür zur Wendeltreppe findet nur jemand, der sich mit der Architektur dieser Burg auskennt. Dies sind zurzeit nur Gregory und ich. Du selbst bist schon häufiger daran vorbeigelaufen. Die Tür ist fest verschlossen und sollte sie aus irgendeinem Grund offen sein, dann sieht man von oben nur einesteile, steinige und sehr schmale Treppe, die bei einem Schrank endet. Der Schrank ist ebenfalls verschlossen. Erst hinter dem Schrank geht es zu den Verliesen, die von außen identisch aussehen. Beide sind mit mächtigen Holz- und Eisentüren mehrfach verriegelt. Du musst dich direkt davorstellen, um aus dem Inneren etwas hören zu können. Eine der beiden Türen hat ein größeres Guckloch, ebenfalls verriegelt. Dahinter liegt unser Gast und schlummert.“ „Perfekt! Man könnte meinen, ihr habt das alles bereits so geplant,“ witzelte Alina. „An eines habt ihr aber nicht gedacht: Seinen Wagen. Ich vermute er steht in der Garage.“ Gregory schreckte kurz auf und unterbrach seinen Gang zum Klavier. Adam kam ihm mit einer Antwort zuvor: „Gut kombiniert. Aber was soll mit seinem Wagen sein? Den sieht keiner.“ Alina ließ nicht locker: „Adam, du bist so etwas wie mein Onkel und ich liebe dich, du warst sicherlich ein guter Arzt und du Gregory, mein geliebter Opa, bist immer noch ein begnadeter Klavierspieler, aber von Autos habt ihr beiden keine Ahnung.“ Das klang sogar aus Alinas Mund verletzend. Bevor Gregory sie ermahnen konnte, gab Adam ihr recht. „Verdammt, du hast recht. Der hat sicher einen GPS-Sender an Bord, obwohl es ein Youngtimer ist.“ „Ein was?“, bat Gregory um Aufklärung. „Erkläre ich dir später. Am besten du kommst gleich mit in die Garage. Wenn der Wagen einen solchen Sender hat, müssen wir ihn sofort abschalten. Es wäre ansonsten ein Leichtes, den Wagen aufzuspüren.“ Adam nahm Alina bei der Hand und sie verließen gemeinsam die Burg in Richtung Garage. Draußen war es dunkel und kalt. Auf dem Weg zur Garage versuchte Alina Adam in ein Gespräch über die Vergangenheit der beiden Männer zu verwickeln.
Adam war froh über die Ablenkung und begann zu erzählen: „Gregory und mich verbindet eine lange Freundschaft, die während eines gemeinsamen militärischen Manövers begann. Das war im September 1985. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Es regnete in Strömen, es waren Soldaten der Bundeswehr, der USA, Großbritanniens und der Niederlande beteiligt. Von sowjetischer Seite war ein Generalmajor als Beobachter geladen und in seinem Stab war Gregory. Während des Manövers bemerkten Geheimdienstmitarbeiter, dass die UdSSR, obwohl offiziell unterrichtet, aktive Spionage betrieben. Ich habe die Aufnahmen unseres Geheimdienstes gesehen, als Lastkähne getarnte Spionageschiffe kreuzten auf dem Mittellandkanal. Sogar die DDR schickte Speditionsfahrzeuge ins Manöverrandgebiet, deren Motoren immer dann versagten, wenn unsere neuen Panzer oder Geschütze in der Nähe auftauchten. Es kam zu einem Eklat.“ „Komm zur Sache, habt ihr aufeinander geschossen?“ „Wo denkst du hin, es war ein Manöver und wir waren als Stabsärzte eingeteilt für die ärztliche Versorgung der Generalität. Unser Kennenlernen lief folgendermaßen ab: Für die Öffentlichkeit und die Presse wurde so getan, als würde sich die Generalität beider Seiten zu einem gemeinsamen Manöverabend treffen. In Wahrheit fand ein Geheimtreffen statt, um über die Spionage und Manöverstörungen von Sowjetseite zu sprechen. Die Presse fiel auf den Plan herein, weil dein Großvater und ich alles perfekt organisiert hatten. Seit damals verbindet uns eine tiefe Freundschaft.“
„Da seid ihr euch zum ersten Mal begegnet? Und wie ging es weiter?“ „Anfangs tauschten wir uns nur über Berufliches aus. Als wir feststellten, dass wir beide nicht mehr an fragwürdigen Medizinstudien innerhalb der Streitkräfte teilnehmen wollten, wurde unsere Beziehung immer intensiver. Wir begannen Informationen auszutauschen, die absolut geheim waren. Gregory entwickelte eine Art Geheimcode, der aus einer bestimmten Reihenfolge von Schachzügen bestand. Wenn einer von uns diese Reihenfolge einhielt, wusste der andere, dass es dringend erforderlich war, ein geheimes Treffen zu vereinbaren.“
„Wer hat meinen Großvater verraten?“ „Soweit wir wissen, hat der Vater des Jungen, der jetzt in unserem Verlies liegt, einen Tipp bekommen und das russische Militär verständigt. Sie warfen deinem Großvater vor, geheimes Studienmaterial an den Westen geliefert zu haben. Was auch stimmte. Gregory versorgte mich regelmäßig mit Berichten über Forschungsstudien innerhalb des Militärs und der Militärgefängnisse. Dein Großvater hatte unheimliches Glück. An dem Tag, als sie ihn zur Rede stellen wollten, war er in Schweden auf irgendeinem medizinischen Fachkongress. Dort habe ich ihn dann versteckt und später auf verschlungenen Wegen in die Schweiz gebracht.“ „Wie edelmütig, er hat dir also sein Leben zu verdanken.“ „Du siehst das falsch. Wir sind beide Täter und Opfer in dieser Geschichte. Er und ich haben an verbotenen Medikamentenstudien teilgenommen. Wir haben erst spät erkannt, wie man sich unser dabei bedient hatte. Ich stieg früher aus als dein Großvater und nur so konnte ich ihm rechtzeitig helfen.“
„Was waren das für Studien?“ „Ein Beispiel: Innerhalb der russischen Armee führten damals Militärärzte Augenoperationen mit völlig neuer Lasertechnologie durch. Diese Laser wurden an Militärangehörigen, Gefangenen und Kindern ohne Eltern getestet. Mehr als zwei Drittel verloren dabei ihr Augenlicht. In vielen Fällen waren die Laser zu stark eingestellt. Vielen wurden die Augen verbrannt, einigen sogar das dahinterliegende Gehirn.“ „Hör auf, ich will davon nichts wissen. Das ist ja fürchterlich.“ „Und weißt du was? Die meisten Studien wurden von der Pharmaindustrie, vor allem von einem Unternehmen, finanziert. Und nun rate mal, wer das Unternehmen leitete?“ „Ich verstehe.“ Adam spürte, dass Alina noch etwas auf dem Herzen hatte. Sie standen mittlerweile in der Garage und sie leuchtete mit einer Taschenlampe auf den französischen Sportwagen, der so gar nicht zur Winterlandschaft draußen passte.
Bevor er sich mit dem Motorraum beschäftigen konnte, fragte sie: “Wie habt ihr ihn entführt?“ „Ich will es kurz machen, weil mich dieser Tag völlig geschafft hat und ich dringend schlafen muss. Wir haben, nein, besser gesagt Gregory hat den Jungen in einer spontanen Aktion entführt. Und du wirst es nicht glauben, es verlief alles so unkompliziert und so einfach, als hätte er darin Übung. Die Entführung wäre sicherlich nicht gelungen, wäre Gregory nüchtern gewesen.“ „Würde er nur endlich aufhören zu trinken.“ „Hör zu! Als ich nach unserer Zielperson fragte, traf Gregory auf seinen Sohn und ein Wort gab das andere. Dein Großvater versprach dem