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Beschreibung

Wie war es um das »bessere Deutschland« bestellt, als das der Staat DDR sich so gern sah? Wie hat sich das Land des real existierenden Staatssozialismus, das 45 Jahre deutsche Nachkriegsgeschichte mit geschrieben hat, entwickelt? Wie funktionierte es?
Acht Autoren aus Ost und West haben mehr als 470 Dokumente aus der DDR zusammengetragen, die zu einem großen Teil erstmals einer breiten Öffentlichkeit in Auszügen vorgestellt werden. Indem die Dokumente der Regierenden - Beschlüsse, Berichte, interne Einschätzungen - den Äußerungen der Bürger - Briefe, Eingaben, Interviewausschnitte - gegenübergestellt werden, ergibt sich ein lebendiges Bild von dem Wechselverhältnis zwischen Herrschenden und Beherrschten.
Ein weiterer Unterschied zu früheren Dokumentationen liegt in der sachbezogenen Anordnung der Materialien. Damit erhält der Leser eine Handhabe, sich der Geschichte der DDR den eigenen Interessen folgend zu nähern. Eine Chronik, ein Schlagwortregister, ein annotiertes Personenregister sowie eine umfangreiche Auswahlbibliographie geben Hinweise für die weiterführende Recherche.

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Seitenzahl: 1183

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FORSCHUNGEN ZUR DDR-GESELLSCHAFT Matthias Judt (Hg.)

Matthias Judt (Hg.)

DDR-Geschichte in Dokumenten

Beschlüsse, Berichte, interne Materialien

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überwww.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, Dezember 2013 (entspricht der 2. Druck-Auflage von März 1998) © Christoph Links Verlag GmbH, 1997 Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0www.christoph-links-verlag.de;[email protected] Umschlaggestaltung: KahaneDesign, Berlin, unter Verwendung eines Fotos aus dem Album zum Nationalen Aufbauprogramm der fünfziger Jahre (Deutsches Historisches Museum) und eines Fotos von Stefan Moses, Weimar.

Inhalt

Matthias Judt

Deutschlands doppelte Vergangenheit: Die DDR in der deutschen Geschichte

Editorische Hinweise

Ralph Jessen

Partei, Staat und »Bündnispartner«: Die Herrschaftsmechanismen der SED-Diktatur

1. Konstituierung und Festigung der SED-Herrschaft

2. Ideologische und innerparteiliche Absicherung der politbürokratischen Herrschaft

3. »Blockparteien« und »Massenorganisationen« als Transmissionsriemen der SED

4. Justiz und Verwaltung im Dienste der Staatspartei

Dokumente P1–P46

Matthias Judt

Aufstieg und Niedergang der »Trabi-Wirtschaft«

1. Ordnungspolitische Weichenstellungen in Industrie und Landwirtschaft

2. Machtverhältnisse und planwirtschaftliches System

3. Fünf Etappen der Wirtschaftsentwicklung

Dokumente W1–W75

Astrid Segert/Irene Zierke

Gesellschaft der DDR: Klassen – Schichten – Kollektive

1. Soziale Umschichtung der ostdeutschen Gesellschaft

2. Gesicherter Mangel für alle: Die materielle »Gleichstellung« der DDR-Bürger

3. Leben in der Familie und im »Kollektiv«

4. Geschlechterpolitik im Wandel

5. Jugendkultur in der staatssozialistischen Gesellschaft

Dokumente G1–G83

Peter Th. Walther

Bildung und Wissenschaft

1. Allgemeinbildende Schulen

2. Universitäten und Hochschulen

3. Akademien

Dokumente B1–B44

Andreas Trampe

Kultur und Medien

1. Kulturpolitische Zäsuren

2. »Kulturnation DDR«

3. Kultureller Alltag

4. Medialer Alltag

5. Instrumente der kultur- und medienpolitischen Lenkung

Dokumente K/M1–K/M52

Ehrhart Neubert

Kirchenpolitik

1. Das Verhältnis von Staat und Kirche

2. Religion und Religionsersatz

3. Kirche als Gesellschaftsersatz

4. Kirchliches Leben

5. Nachhaltige Veränderungen in der gesellschaftlichen Stellung der ostdeutschen Kirchen

Dokumente K1–K45

Helmut Müller-Enbergs

Garanten äußerer und innerer Sicherheit

1. Äußere Sicherheit: Sowjetische Truppen, NVA und Auslandsspionage

2. Innere Sicherheit: Grenztruppen, MfS, Volkspolizei, Wehrerziehung und Zivilschutz

3. Entscheidungsgremien der Sicherheitspolitik: Verteidigungsrat und SED-Führung

Dokumente S1–S62

Matthias Judt

Deutschland- und Außenpolitik

1. Gründungsanspruch und Staatsverständnis der DDR-Führung

2. Das Selbstverständnis der DDR-Bürger

3. Deutsch-deutsche Beziehungen und Außenpolitik der DDR

Dokumente D1–D64

Matthias Judt

Anhang

Chronik der SBZ- und DDR-Geschichte

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Annotiertes Personenregister

Orts- und Länderregister

Schlagwortregister

Angaben zu den Autoren

Matthias Judt

Deutschlands doppelte Vergangenheit: Die DDR in der deutschen Geschichte

Dasselbe Land zu lange gesehen, dieselbe Sprache zu lange gehört, zu lange gewartet, zu lange gehöfft, zu lange die alten Männer verehrt.1

Seit dem Untergang der DDR ist in der politisch interessierten Öffentlichkeit in Deutschland, aber auch im Ausland, eine mitunter emotionsgeladene Diskussion um die Entstehung dieses zweiten deutschen Nachkriegsstaates, seine Geschichte und seinen Zusammenbruch im Gange. Sie dient vor allem der historischen Wahrheitsfindung, doch das Nachwirken der jüngsten Vergangenheit beeinflußt auch andere Prozesse. Die verschiedenen Untersuchungsausschüsse, neben solchen der ostdeutschen Landesparlamente vor allem die des Deutschen Bundestages, haben mit großem Aufwand Studien zum Gesamtverlauf der DDR-Geschichte oder zu Einzelproblemen ihrer Entwicklung unterstützt, die zusätzlich zum Aufzeigen der historischen Prozesse der politischen Willensbildung der Parlamentarier dienten.2 Die strafrechtliche Bewertung von Handlungen in der DDR hat, so schwierig und so unbefriedigend das Unterfangen sein mußte, einen Beitrag zur juristischen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit geleistet. Der offene Zugang zu den personenbezogenen Akten des Ministeriums für Staatssicherheit hat für jene, die ihre Unterlagen eingesehen haben, nicht nur verdeutlicht, was das MfS über sie wußte, sondern hat auch das Paranoide eines Dienstes gezeigt, der alles wissen wollte und sich seiner Überlegenheit im »Katz-und- Maus-Spiel« mit den Bürgern, die er vor sich selbst »schützen« wollte, bewußt war.

Doch genauso war die Debatte auch eine allgemein-politische mit zwei gegensätzlichen Positionen. Auf der einen Seite wurde die DDR als eine Art unzulässige Abweichung vom Normalverlauf deutscher Geschichte, der in der Erfolgsgeschichte der »alten« Bundesrepublik Deutschland zum Ausdruck käme, bewertet, auf der anderen Seite wurde sie als das »eigentlich bessere Deutschland« präsentiert und die tatsächlichen Exzesse in ihrer Geschichte mit »äußeren Umständen« wie den Bedingungen des Kalten Krieges begründet. Dabei verbergen sich hinter der »Ostalgie«, der nostalgischen Rückbesinnung auf einzelne Werte und Einrichtungen der untergegangenen DDR, die auch im nachhinein als die praktikableren erscheinen, und der Nostalgie für den westdeutschen Nachkriegsstaat bei einigen Westdeutschen die generellen Schwierigkeiten der Deutschen im Umgang mit ihrer jüngsten Geschichte. Bei vielen Ostdeutschen ist am Anfang der neunziger Jahre, trotzdem sie in einer demokratischen Revolution ihre politische Emanzipation vollzogen hatten, nicht unmittelbar eine uneingeschränkte Identifikation mit dem System der Bundesrepublik eingetreten, obwohl dort jene politischen Grundrechte seit Jahrzehnten verwirklicht sind, für die die DDR-Bürger im Herbst 1989 auf die Straße gegangen waren. Auf der anderen Seite kann im Hinblick auf die DDR von den Westdeutschen nicht eine nachträgliche »Identifikation« (im Sinne einer Annahme als »eigene Geschichte«) mit den historischen Prozessen in der DDR erwartet werden, obwohl gerade mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur tatsächlichen Existenz der DDR deutlich wird, wie sehr die doppelte Vergangenheit3 der »neuen« Bundesrepublik nachhaltige Wirkung zeigt. Ein traditionelles Problem der Deutschen in ihrer Selbstdefinition, das schon vor der »Wende« in der DDR von dem Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld als der »vagabundierende Identitätsbedarf«4 der Deutschen charakterisiert wurde, wirkt auch nach der Wende als fortgesetzte Kontrastierung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten fort. Hierbei leistet die Tatsache, daß 1989 etwa zwei Drittel der jeweiligen Bevölkerung in dem einen oder in dem anderen deutschen Staat geboren, aufgewachsen und sozialisiert worden waren, also über keine oder nur aus Erzählungen anderer auf »Erfahrungen« aus dem zuvor vereinigten Deutschland aufbauen konnten, einen Beitrag.

Überdies sind die Debatten der neunziger Jahre um die DDR nicht vor der Gefahr ihrer politischen Instrumentalisierung gefeit. Mit dem Untergang des Untersuchungsgegenstandes DDR können gerade jene Zeithistoriker, Politologen und Ökonomen angegriffen werden, die, von der normativen Kraft des Faktischen ausgehend, die Perspektiven der Entwicklung in Deutschland in einer anhaltenden Spaltung sahen. Die Geschichte hat gezeigt, daß sie sich geirrt haben, doch scheint fraglich, inwieweit vor 1989 die Indikatoren erkennbar waren, die zur neuerlichen deutschen Vereinigung im Oktober 1990 führten.

Die durch den seit 1990 fast uneingeschränkt möglichen Zugang zu den historischen Quellen des »ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden« gewonnenen Erkenntnisse haben das Bild von ihm zweifellos verschlechtert, und sogar mehr, als wegen seines schnellen Unterganges nach der demokratischen Revolution vom Herbst 1989 angenommen werden konnte. Die durch eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen begleitete, auch von Publizisten vollzogene retrospektive Analyse der DDR-Geschichte hat im Ergebnis zur notwendigen Revision früherer, von Illusionen um die vermeintliche Stabilität der DDR geprägten Darstellungen geführt.5 Doch es sind Forschungsergebnisse, die auf Unterlagen beruhen, die vor 1989 nicht einmal für die linientreuesten DDR-Historiker verfügbar gewesen waren. So konnte das Ausmaß der innerstaatlichen Repression in der DDR und die dabei angewendeten Methoden nur ungenau erkannt werden.6 Das zunehmende Gefühl der Resignation der DDR-Bürger wurde hingegen in Gesprächen mit ihnen oder mittels solcher Texte wie dem eingangs zitierten Ausschnitt aus dem Song »Langeweile« der Ost-Berliner Rockband Pankow deutlich. Gleichwohl bleibt auch im Nachgang der schnellen Entwicklung zur deutschen Vereinigung vom Oktober 1990 zu hinterfragen, in welchem Maße der offensichtlich tiefsitzende Wunsch bei den DDR-Bürgern nach dem Zusammenleben mit den »BRD-Deutschen« und in welchem Maße die Aufgabe jeglicher Hoffnungen in eine Verbesserung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensumstände innerhalb der DDR den Ausschlag für die Entscheidung gegeben hatte, die DDR so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. So bleibt es nach wie vor eine Aufgabe der historischen Forschung, die Geschichte der DDR in ihrer Gesamtheit zu untersuchen.

Bei dieser Analyse der DDR-Gesellschaft ist zu unterscheiden zwischen ihren konstitutiven Grundlagen, wie sie im wesentlichen in ihrer Entstehungsphase gelegt worden waren, einigen wichtigen Ereignissen, die ob ihrer für nahezu alle Bereiche der DDR-Gesellschaft übergreifenden Bedeutung einen ebenso »konstitutiven Charakter« erlangten, und dem Verlauf sowie den Ergebnissen einzelner Entwicklungsetappen der DDR-Geschichte. Die beiden wesentlichen konstitutiven Grundlagen der DDR sind das Vorhandensein der marxistischen Ideologie, die über kurz oder lang zur entscheidenden Existenzgrundlage der DDR werden mußte, und der Tatbestand der Besetzung des Gebietes zwischen Oder/Neiße und Elbe/Werra durch die Truppen der Roten Armee.

Der britische Historiker Eric Hobsbawn hat das »kurze 20. Jahrhundert« als das »Zeitalter der Extreme« beschrieben.7 Eines dieser Extreme war die enorme Stärke, die der Staatssozialismus in der Welt als Herausforderung für die kapitalistische Ordnung hatte erreichen können, eine Stärke, die in Wahrheit vor allem auf der Schwäche der westlichen Systeme basierte: Der Zusammenbruch der bürgerlichen Ordnungen des 19. Jahrhunderts war eine der Ursachen der Oktoberrevolution in Rußland 1917, die Weltwirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre bei gleichzeitig ablaufender, die vorherigen Entwicklungen in anderen Ländern nachholender Industrialisierungspolitik in der Sowjetunion ließ die planwirtschaftliche Ordnung als realistische Alternative zum Kapitalismus erscheinen, und der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland machte die Rote Armee zum offensichtlich unverzichtbaren Instrument bei der von außen bewirkten Niederschlagung des Hitlerregimes.8

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstand nicht nur der Ost-West-Konflikt als Gegensatz der beiden großen Blöcke, dem von der Sowjetunion beherrschten östlichen der staatssozialistischen Länder und dem von den USA geführten westlichen Bündnis. Die wachsenden Spannungen zwischen den vormaligen Kriegsalliierten hatten auch Konsequenzen für die Nachkriegsgeschichte Deutschlands. Vor dem Hintergrund des sich entwickelnden Kalten Krieges konnte zwar die Staatlichkeit des vormaligen deutschen Feindstaates der Alliierten wiederhergestellt werden, allerdings nur in Form der auch von deutschen Entscheidungsträgern in den vier Besatzungszonen betriebenen Gründung zweier Nachkriegsstaaten.9 Der von Hobsbawn für die Blöcke festgestellte Gegensatz der Extreme spiegelte sich somit in Deutschland selbst als der Gegensatz zwischen dem von deutschen Kommunisten geführten ostdeutschen Staat und dem von deutschen Antikommunisten geführten westdeutschen Staat.

Mit der Gründung des »ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschen Boden« folgten die deutschen Kommunisten wohl dem praktischen Beispiel der Sowjetunion. Obwohl die am 7. Oktober 1949 in Berlin ausgerufene DDR zeit ihrer Existenz des Schutzes der Sowjetunion bedurfte, basierte der in den folgenden Jahrzehnten praktizierte »real existierende Sozialismus« doch nicht allein auf einer aus der UdSSR importierten Ideologie. Gerade bei den deutschen Kommunisten war der deutlich artikulierte Anspruch vorhanden, auch im Geburtsland der beiden wichtigen Theoretiker des Kommunismus, Karl Marx und Friedrich Engels, an den Aufbau der scheinbar so erfolgreichen staatssozialistischen Ordnung zu gehen. Und immerhin: Nach den offenkundig schlechten Erfahrungen mit dem deutschen Kapitalismus in der Vergangenheit – der Hyperinflation zu Beginn der zwanziger Jahre, der Weltwirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre und dem Not und Elend bringenden Krieg in der ersten Hälfte der vierziger Jahre – wirkte das Faszinosum der planwirtschaftlichen Ordnung auch in Deutschland stark. Diese Ordnung letztendlich – im Anfang zweifellos mit dem Anspruch, ein Beispiel für ganz Deutschland zu setzen – in der SBZ einzuführen, bedurfte allerdings der Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht.

Im Zusammenhang mit der Übernahme der Regierungsgewalt in Deutschland durch die vier großen Siegermächte wurde in der Sowjetischen Besatzungszone am 9. Juni 1945 mit der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) ein Verwaltungsapparat geschaffen, der zwei wesentliche Stützen hatte. Einerseits war die zentrale SMAD durch sowjetische Militärverwaltungen auf regionaler (SMA der Länder) und lokaler Ebene (Kommandanturen) untersetzt. Andererseits nutzte die Sowjetunion ihre Machtposition, um bei der Reorganisation der deutschen Verwaltung durch die Begünstigung von KPD bzw. SED personell und strukturell den Aufbau eines deutschen Staates zu erreichen, der nicht nur keine Bedrohung für die Sowjetunion, sondern sogar eine Bereicherung im späteren östlichen Bündnis sein würde. Die im Prinzip mit den westlichen Alliierten abgestimmte Politik der Entnazifizierung, Dekartellisierung, Entmilitarisierung und Demokratisierung Deutschlands wurde so von der sowjetischen Besatzungsmacht im Gebiet der späteren DDR in der besonderen Vermischung ihrer Sicherheits- und ideologischen Interessen modifiziert. Die von innen uneingeschränkte und unkontrollierte Macht der SED und ihrer Führung ist auf der Basis dieser vordergründig an Sicherheitsinteressen orientierten Politik der Sowjetunion geschaffen worden.

Entnazifizierung bedeutete in diesem Kontext nicht allein die »bloße« Entfernung von ehedem aktiven Nazis aus Justiz, Verwaltung und Bildungswesen, sondern vor allem ihren Ersatz durch »antifaschistische Kader«, insbesondere solche, die ihre Zuverlässigkeit dadurch zum Ausdruck bringen konnten, Mitglied oder Sympathisant der Partei zu sein, die tatsächlich darauf verweisen konnte, als erste Opfer der Nazis geworden zu sein, und viele führende Repräsentanten aus Widerstand und Exil in den dreißiger Jahren als Mitglieder hatte: die KPD.

Entmilitarisierung und Dekartellisierung beinhaltete im sowjetischen Verständnis nicht allein die Zerschlagung der Wehrmacht und der Kriegsindustrie, sondern vor allem eine Revolution in den Eigentumsverhältnissen in der Industrie Ostdeutschlands: Die Beschlagnahme von Industriebetrieben (ab Sommer 1945), ihre Überführung in »Volkseigentum« (ab Sommer 1946) sowie die Gründung Sowjetischer Aktiengesellschaften ab Anfang 1946 schufen einen dominanten staatlichen Sektor in der ostdeutschen Volkswirtschaft, der diese bis 1990 prägen sollte. Zusätzlich vollzog sich mit der Bodenreform vom September 1945 und der Kollektivierung 1952 bis 1960 auch in der Landwirtschaft eine Umwälzung der Eigentumsverhältnisse, womit, gemeinsam mit dem Volkseigentum in der Industrie nach der Vorgabe der marxistischleninistischen Ideologie letztlich die Ursache von früheren Klassenkonflikten beseitigt sei.

Demokratisierung schließlich orientierte sich am Modell der »Volksdemokratie«: Nicht nur Parteien erlangten darin politische Entscheidungsrechte, sondern auch die sogenannten Massenorganisationen, die nach Gründungsinitiativen seitens der KPD bzw. der SED als vorgebliche Interessenvertreter berufsständischer oder gesellschaftlicher Gruppen in Wahrheit entscheidende Bedeutung für die Ausprägung der Suprematie der SED erlangen sollten. Die Herrschaft durch Kader wurde abgesichert, indem die SED neben den eigenen, im Namen der Partei agierenden Vertretern in Gremien wie dem Demokratischen Block, den drei »Deutschen Volkskongressen für Einheit und einen gerechten Frieden«, der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) oder nach Gründung der DDR in der Volkskammer noch weitere Parteimitglieder über die Vertreter der Massenorganisationen plazieren konnte, die der SED zu jedem Zeitpunkt die Stimmajorität auch dann sichern sollten, wenn Kampfabstimmungen entlang der Parteilinien zu befürchten waren. Sodann die Herrschaft der SED in eine Herrschaft ihrer Führungsspitze zu verwandeln, bedurfte zum einen der Disziplinierung der eigenen Mitgliedschaft, zum anderen der Domestizierung der anderen Parteien und Interessenverbände.

Die Disziplinierung wurde mittels der Durchsetzung des Konzepts von der »Partei neuen Typus« ab 1948 erreicht, das eine straffe Zentralisierung aller Entscheidungsprozesse in der Partei selbst und – über die Mitglieder – in Staat und Gesellschaft beinhaltete. Dazu mußte zunächst innerhalb der SED die innerparteiliche Demokratie beseitigt werden. Im Rahmen ihrer Stalinisierung wurde hierfür der vorgebliche »Kampf gegen den Nationalkommunismus« genutzt, der sich mit dem Konflikt zwischen dem sowjetischen und dem jugoslawischen Parteiführer, Stalin bzw. Tito, »anbot«. Mit wiederholten Säuberungen wurden potentielle Widersacher des Zentralisierungsprozesses entfernt und die verbleibenden Mitglieder diszipliniert. Dabei diente das Instrument des »Parteiverfahrens« (in dessen Verlauf die Verfehlungen des Mitgliedes quasi öffentlich im Rahmen seiner Parteiorganisation behandelt wurden) weniger dem sichtbaren Bestrafungsritual als dem Signal an die eigentlich nicht betroffenen Parteimitglieder: Verfehlungen dieser oder jener Natur führen zu entsprechender Bestrafung. Gepaart mit der unbedingten Bindung der Parteimitglieder an Beschlüsse des Parteigremiums, dem sie angehörten, sowie aller übergeordneten Hierarchieebenen konnte das Entscheidungsmonopol der Parteiführung abgesichert werden: Die Aufgabe von Rechten, die Mitglieder demokratischer Parteien üblicherweise haben, wurde durch deren Privilegierung in der übrigen Gesellschaft kompensiert. Gleichsam wurde mit dem institutionalisierten sogenannten demokratischen Zentralismus auch die wichtigste Grundlage für die Lähmung der Entscheidungsprozesse in der DDR schlechthin gelegt: Jede problematische Entscheidungssituation auf unteren Ebenen wurde hiernach zur eigenen Absicherung und aus Furcht, eine falsche Entscheidung zu treffen, nach oben gereicht, jede unter Umständen als falsch erkannte Entscheidung einer höheren Ebene wurde von unteren Ebenen auch dann nicht in Frage gestellt, wenn deren Nachteile offensichtlich waren. Diese Hierarchie setzte sich bis in den zentralen Parteiapparat fort, wobei dort die Rollen sogar vertauscht wurden: Nach dem Parteistatut war der Parteitag das höchste Organ der SED, und das Zentralkomitee übernahm diese Funktion zwischen den Parteitagen. Formal kam dem Zentralkomitee auch die Wahl des Politbüros zu. Tatsächlich waren die Tagungen des Zentralkomitees der SED jedoch zu Versammlungen willfähriger Claqueure des eigentlich herrschenden und sich selbst wählenden Politbüros mutiert.

Die Domestizierung der anderen Organisationen erreichte man, indem potentielle Widersacher in den bürgerlichen Parteien CDU und LDPD mit massiver Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht ihrer Posten verlustig wurden (und ihrer Verhaftung in der Regel nur durch Flucht in den Westen entgehen konnten) sowie mit der Gründung zweier neuer, vermeintlich bürgerlicher Parteien, der NDPD und der DBD im Jahre 1948, einschließlich der Kooptation einiger ihrer führenden Vertreter in die neugebildeten Organe der staatlichen Verwaltung in der SBZ/DDR. Die neuen Parteien ebenso wie CDU, LDPD und auch die Massenorganisationen wie der Gewerkschaftsbund FDGB und der Jugendverband FDJ gaben Loyalitätserklärungen gegenüber der SED ab, in denen sie den Führungsanspruch der »Partei der Arbeiterklasse« uneingeschränkt anerkannten. Dieser Führungsanspruch der SED, den diese am Ende der vierziger Jahre noch »durchsetzen« mußte, war von Anfang an fester Bestandteil der DDR-Gesellschaftskonzeption, wurde jedoch – formal – erst mit der ersten »sozialistischen Verfassung« der DDR vom 6. April 1968 festgeschrieben.

Das Abdrängen der anderen Parteien und Organisationen in eine vordergründig nicht erkennbare Minderheitenrolle in den staatlichen und gesellschaftlichen Gremien wurde mit der Institutionalisierung der Einheitslistenwahl (erstmals schon bei den Wahlen zum 3. Deutschen Volkskongreß im Mai 1949 angewendet) festgeschrieben. Nach den vergleichsweise »enttäuschenden« Wahlergebnissen im ersten Versuch, wo nur knapp zwei Drittel der Wähler für die Einheitsliste gestimmt hatten, wurde bei allen folgenden Wahlen in der DDR, beginnend mit der Volkskammerwahl im Oktober 1950 bis hin zu den Kommunalwahlen im Mai 1989, nachgeholfen: durch Druck, ausgeübt von Wahlhelfern, die nicht wahlwillige Bürger immer wieder zur Stimmabgabe aufforderten oder – wie die Kontrolle der Wahlergebnisse im Mai 1989 offenbarte – durch Fälschung. Das Auf und Ab der Zustimmungswerte bei den verschiedenen Wahlen zu kommunalen, regionalen oder zentralen Parlamenten bewegte sich im Zehntel-Prozentpunkt-Bereich, oberhalb der 99,5-Prozent-Marke.

Zur inneren Absicherung der diktatorischen Herrschaft der SED diente letztendlich auch die besondere Ausgestaltung des Rechtssystems der DDR. Getreu der ideologischen Vorgabe, daß es in keiner Gesellschaft eine neutrale und unabhängige Rechtsordnung gäbe, hingegen in den verschiedenen Rechtsordnungen die Durchsetzung unterschiedlicher »Klasseninteressen« zum Ausdruck käme, war folgerichtig die »sozialistische Gesetzlichkeit« durch die Ausrichtung auf die »Interessen des Proletariats« charakterisiert. Sofern keine politischen Implikationen eines konkreten juristischen Verfahrens vorauszusetzen waren, funktionierte das Rechtsprechungssystem der DDR dabei in einer Weise, die rechtsstaatlichen Maßstäben durchaus Genüge tat. Die korrekte Aburteilung von Straftätern und die durchgeführten Zivilrechtsverfahren sind hinsichtlich der Art und Weise der Prozeßführung wenig umstritten, auch wenn im Vergleich mit der BRD eine hohe Verurteilungsquote die schwächere Position der Angeklagten in DDR-Prozessen verdeutlicht und die Strafen relativ hoch ausfielen. Im Falle einfacher Arbeitsrechtskonflikte ermöglichten die sogenannten Konfliktkommissionen in Betrieben und Institutionen sogar, im Gros der Fälle eine gütliche, außergerichtliche Einigung unter Einbeziehung von Kollegen zu erreichen. Sofern jedoch politische Interessen in Strafverfahren involviert waren, diente die »sozialistische Gesetzlichkeit« auch nach dem Buchstaben des Gesetzes der eindeutigen Durchsetzung von »Interessen der Arbeiterklasse«, tatsächlich der Interessen der »Diktatoren des Proletariats«. Die bewußt vage Formulierung von Straftatbeständen ermöglichte es dem Staat, im Falle eines politisch motivierten Konfliktes mit einem Bürger strafrechtliche Disziplinierungsmaßnahmen gegen diesen einzuleiten. Die Anklage reichte von Artikel 6 der ersten Verfassung von 1949 mit seinen Bestimmungen zur sogenannten Boykotthetze bis hin zu den Regelungen entsprechend des 3. Strafrechtsänderungsgesetzes von 1979 mit Straftatbestimmungen wie »Sammeln von Nachrichten [auch nicht geheimen] für ausländische Organisationen« (auch Journalisten), »illegale Verbindungsaufnahme« (wozu das Aufsuchen einer westlichen Botschaft gehören konnte), »staatsgefährdende Hetze«, »Staatsverleumdung« und »Herabwürdigung staatlicher Tätigkeit«. Auch wenn die Bestimmungen des politischen Strafrechts nur in einem geringen Teil der Strafprozesse zur Anwendung kamen, erfüllte es die gleiche Funktion in der gesamten DDR-Gesellschaft wie etwa der bereits erwähnte Kampf gegen »Revisionisten« in der SED. Das Exempel sollte Signalwirkung für all jene besitzen, die eigentlich nicht vor Gericht standen.

Bei der durch die Stalinisierung der SED, die Gleichschaltung der anderen Parteien und der Massenorganisationen, die Durchsetzung des undemokratischen Wahlverfahrens und des Auf- und Ausbaus des Sicherheitsapparates erreichten Festigung der diktatorischen Strukturen in der DDR erlangten zudem einige wichtige Ereignisse in der Geschichte der DDR große Bedeutung, kam ihnen doch ein ähnlich konstitutiver Charakter zu.

Als sich im Juni 1953 aus einem Streik Ost-Berliner Bauarbeiter wegen der Ende Mai administrativ von der »Arbeiterregierung« verordneten Normerhöhungen binnen weniger Stunden ein DDR-weiter Aufstand entwickelte, an dem neben den Arbeitern auch andere Schichten der Bevölkerung teilnahmen, vermittelte der Verlauf der Ereignisse zwei wesentliche »Lernerlebnisse« an beide, am ursprünglichen Konflikt beteiligte Seiten:

1. Die vermeintlich gefestigte diktatorische Macht der SED war »leicht« zu erschüttern, jedoch unmittelbar durch den massiven Einsatz der in der DDR stationierten sowjetischen Truppen wieder zu sichern. Die Erfahrung der DDR-Bürger vom Juni 1953 wurde bis in die achtziger Jahre hinein immer wieder durch Ereignisse in anderen Ländern des sowjetischen Einflußbereiches »bestätigt«. Sowjetische Truppen marschierten 1956 in Ungarn ein, um den auch von ungarischen Kommunisten geführten Unabhängigkeitsprozeß zu stoppen, 1968 in die Tschechoslowakei, um dort die Reformbewegung des »Prager Frühlings« – der wiederum von Kommunisten angeregt worden war – niederzuschlagen, Ende 1979 in Afghanistan, um ein verläßlicheres Regime in Position zu bringen. 1981 bestand die ernsthafte Möglichkeit eines Einmarsches in Polen, der »nur« durch die Verhängung des Kriegsrechtes intern verhindert wurde. 1989 unterstützte die DDR-Propaganda – nach langer Zeit anti-maoistischer Tiraden – offensiv die Niederschlagung der Demokratiebewegung in China. Erst als Anfang Oktober 1989 keine sowjetischen Truppen zur befürchteten gewaltsamen Niederschlagung von Demonstrationen in Leipzig anrückten, verlor die alte Erfahrung der DDR-Bürger vom Juniaufstand 1953 ihre Gültigkeit.

2. Der erste massive Konflikt zwischen den Regierenden und den Regierten in der DDR besaß insofern traumatische Bedeutung für den weiteren Verlauf der DDR-Geschichte, als er für wie auch immer initiierte oder motivierte Konflikte in der DDR-Gesellschaft selbst dann eine schnelle Politisierung befürchten ließ, wenn eigentlich kein Anlaß zur Politisierung vorlag. Die Befürchtung, ein ernster Konflikt könne von staatlicher Seite als politischer Angriff mißverstanden werden (was zu ähnlichen Reaktionen wie 1953 führen könne), erzeugte Zurückhaltung bei den Regierten. Genauso bedingte es die schnelle Bereitschaft auf Seiten des Staates, während Spontanstreiks in der DDR-Volkswirtschaft bei gleichzeitiger Suche nach den Rädelsführern auf die Forderungen der Streikenden einzugehen. Charakteristisch für die staatliche Politik der Konfliktvermeidung war es fortan also, prinzipiellen Auseinandersetzungen auszuweichen: Die Propagandalosung der fünfziger und sechziger Jahre »Keine Fehlerdiskussion, Probleme werden im Vorwärtsschreiten gelöst« symbolisierte diese Konfliktscheu. Das Zugeben von »Fehlern« der Regierung im unmittelbaren Vorfeld des 17. Juni 1953 hatte in den Augen der Herrschenden den eigentlichen Grund für den Ausbruch des Aufstandes geliefert. Neue »Fehler« zu benennen war also »gefährlich«, wer sie benannte, würde die »Gefahr« der Konterrevolution heraufbeschwören. Die Nachwirkungen des 17. Juni 1953 ermöglichten der SED-Spitze auch, in den Jahren 1956 bis 1958 innerparteiliche Opponenten der Ulbricht-Führung unter dem Vorwand, ihre Kritik (ihre Fehlerdiskussion) leiste dem »Feind« Vorschub, zu entmachten. Damit konnten sie die Krise, die aus dem Bekanntwerden einiger der Verbrechen Stalins entstanden war, zu ihren Gunsten beenden.

Das zweite Ereignis mit konstitutivem Charakter war in vielfacher Hinsicht der Bau der Berliner Mauer ab dem 13. August 1961. Das Abriegeln der DDR-Grenzen zu Berlin (West) sowie die Verstärkung der Grenzsicherung nach Westdeutschland markierten den Abschluß der ersten Phase der DDR-Entwicklung, in der in Ostdeutschland der Aufbau des staatssozialistischen Systems unter den Bedingungen der offenen Grenze zum Westen begonnen worden war. Die Massenflucht von DDR-Bürgern über West-Berlin hatte während dieses Aufbaus zu enormen Belastungen geführt, konnte sich der DDR-Staat doch nicht sicher sein, daß etwa die Investition in eine höhere Ausbildung bei einem seiner Bürger sich für ihn durch die Arbeit eines solchen »Kaders« in der DDR auch auszahlen würde. Gleichzeitig begünstigte die »Republikflucht« – wie der Weggang in den Westen offiziell bezeichnet wurde – auch den Elitenwechsel in der DDR auf eine besondere Weise. Die »Entbürgerlichung« der DDR-Gesellschaft war nicht allein in den fünfziger Jahren durch die massive Förderung von solchen Schichten der Bevölkerung bestimmt gewesen, denen zuvor tatsächlich der Zugang zu höheren Bildungseinrichtungen (und damit sozial besser gestellten Berufen) erschwert war, sondern sie war überhaupt an ein vorläufiges Ende gelangt, indem die meisten Träger des Bürgertums das Land bis 1961 verlassen hatten. Zusätzlich führte der Weggang von ca. 2,7 Millionen Menschen von 1949 bis zum 13. August 196110 zu struktuellen Veränderungen der Opposition. Die Antikommunisten hatten fast alle das Land verlassen. Geblieben waren die, die eine Reform des staatssozialistischen Systems der DDR forderten, dieses im Prinzip jedoch erhalten, nur verbessern wollten. In anderen staatssozialistischen Ländern blieben in weit stärkerem Maße bürgerliche, antikommunistische Elemente bestehen. Die DDR-Führung selbst nutzte das Instrument der genehmigten ständigen Ausreise von DDR-Bürgern nach dem 13. August 1961 immer wieder dazu, gegebenenfalls entstehende Strukturen einer Opposition durch Ausbürgerung ihrer Vertreter zu zerschlagen oder als gefährlich erachtete Reformkräfte auf diese Weise loszuwerden. Die immer wieder gerade von den evangelischen Kirchen als einer der letzten, nicht SED-dominierten gesellschaftlichen Instanzen vorgetragene Aufforderung an die DDR-Bürger, im Lande zu bleiben, war durch den Gedanken bestimmt, alternatives Denken in der DDR zu halten.

Mit dem Mauerbau, als »zweite« oder sogar »eigentliche« Staatsgründung der DDR11 charakterisiert, konnte die DDR-Führung Probleme der eigenen Entwicklung nicht mehr (oder nur noch sehr vermittelt) mit den negativen Folgen eines aktiven Einflusses des westdeutschen Staates begründen. Der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Bau der Mauer und dem Beginn der Reformphase der sechziger Jahre in der DDR verdeutlicht, daß selbst die Reformer innerhalb der SED-Führung in der Vorstellung einer von außen nicht zu »störenden« Vision an die Umgestaltung zunächst des Planungs- und Leitungsmechanismus in der DDR-Volkswirtschaft gingen, die auch in der Liberalisierung des Kulturlebens in der DDR ihren Ausdruck finden sollte. Entscheidende Bedeutung hatte der Mauerbau jedoch auf das Selbstverständnis der DDR und ihrer Bürger. Die diplomatische Isolierung der DDR hielt nach dem 13. August 1961 offiziell noch einige Jahre an, die irrtümliche Vorstellung gerade der von Konrad Adenauer geführten Bundesregierungen allerdings, das »Pankower Regime« einfach übergehen zu können, fand mit dem Mauerbau ein abruptes Ende. Gleichzeitig war er aber auch der Beginn des mehr als 28 Jahre andauernden Traumas der DDR-Bürger, nur als zuverlässige Reisekader während Dienstreisen, als Rentner oder, im Ergebnis eines »Gnadenerweises«, in dringenden Familienangelegenheiten das Land in Richtung Westen zeitweilig verlassen zu dürfen. Das »Sich-Einrichten« in und mit der DDR begann erst richtig mit dem Bau der Mauer.

Das dritte Ereignis mit konstitutivem Charakter für die Geschichte der DDR ist die Machtübernahme Erich Honeckers im Jahre 1971. Der Umschwung zu dem im Vergleich mit Ulbricht 19 Jahre jüngeren Erich Honecker spiegelte nicht allein einen Generationswechsel auf der Ebene der Parteiführung wider. Mehr als zwanzig Jahre nach Gründung der DDR, mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte sich in der DDR-Gesellschaft generell ein Wechsel zu den Generationen vollzogen, die Ausbildung und Sozialisation überwiegend oder ausschließlich im zweiten deutschen Nachkriegsstaat erlebt hatten. Zwar waren 1971 wichtige Indikatoren12 der DDR-Geschichte noch unter der vorherigen Führung begonnen bzw. vollzogen worden, doch die Früchte dieser langjährigen Arbeit erntete Erich Honecker. Sein Name wird mit den Höhepunkten der auswärtigen Anerkennung der DDR verbunden: der Austausch von Botschaftern mit den wichtigsten westlichen Industrieländern, besonders mit den westalliierten Siegermächten 1973 und 1974, und vor allem die deutsch-deutschen Verhandlungen, in deren Ergebnis es mit dem Grundlagenvertrag von 1972 zur staatlichen Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik kam.

Wichtiger jedoch ist im Zusammenhang mit dem Machtantritt Erich Honeckers die ausgeprägte Sozial- und Konsumpolitik, die unter seiner Führung durchgesetzt wurde. Das Ankurbeln des Wohnungsbaus, die schnelle Verbesserung des Ausstattungsniveaus mit langlebigen Konsumgütern und das gleichzeitige Beibehalten einer im Endeffekt ruinösen Preissubventionspolitik waren fester Bestandteil der Richtlinien, wie sie die SED auf ihrem VIII. Parteitag 1971 und – mit einem neuen Parteiprogramm 1976 – auf ihrem IX. Parteitag beschlossen hatte. Die Erfahrung der forcierten Modernisierungspolitik unter Walter Ulbricht, besonders im Umfeld des 20. Jahrestages der DDR 1969, der im Vergleich zu Westdeutschland erheblich gewachsene Rückstand im Konsumtionsniveau und die einfache Tatsache, daß in vielen Städten der DDR immer noch Kriegszerstörungen in erheblichem Maße zu erkennen waren, machte die Politik Erich Honeckers in der Bevölkerung zunächst populär. Die vergleichsweise liberale Kulturpolitik in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, die Befriedung der Konflikte mit den Kirchen und anderes ließen Hoffnungen entstehen. Doch die Abkehr von der Ulbrichtschen Modernisierungspolitik sollte ein langsames Veralten von Produktlinien, auf denen die ostdeutsche Industrie zuvor international hatte mithalten können, und falsche Reaktionen auf Entwicklungen auf den internationalen Märkten zum Resultat haben: Auf die Ölpreiserhöhungen, die sich auf die DDR wegen deren Einbindung in das östliche Wirtschaftssystem in weit geringerem Maße oder zumindest zeitversetzt auswirkten, reagierte die Führung unter Erich Honecker nicht mit der Wiederaufnahme der Modernisierungspolitik, sondern mit der Hinwendung zur verstärkten Autarkie, das heißt der Substitution von Importen durch eigene Produkte, z. B. im Energiesektor besonders verdeutlicht durch den verstärkten Einsatz der einheimischen Braunkohle statt möglicher Energieeinsparung.

Das vierte Ereignis, das die DDR-Entwicklung wesentlich bestimmte, war kein Resultat der SED-Politik: Die von Michail Gorbatschow ab 1985 vorangetriebene Umgestaltung und Demokratisierung der sowjetischen Gesellschaft beinhaltete auch die Gewährung weitergehender, tatsächlicher innerer Souveränitätsrechte an die als sowjetische Satelliten bezeichneten ost- und mitteleuropäischen Länder. Die DDR nutzte sie – um so weiterzumachen wie bisher. Der XI. Parteitag der SED 1986 verkündete Kontinuität, wo die Reform der sowjetischen Gesellschaft schon voranschritt. Die jahrzehntelang gebrauchte Losung »Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen« – zuvor von der Bevölkerung durch den Austausch des Wortes »siegen« mit »siechen« verhöhnt, verschwand just zu dem Zeitpunkt, als die Bevölkerung »lernbereit« war. Der Verzicht der SED-Führung auf die Reform des eigenen Systems hat die Abkehr der eigenen Bürger von der anfangs von ihr nicht prinzipiell abgelehnten staatssozialistischen Idee beschleunigt und die wesentliche Ursache für die Fluchtwelle von 1989 geliefert.

Ein fünftes Ereignis ist ebenfalls als konstitutiv zu bewerten, obgleich es der Anfang vom Ende der DDR war. Der »Appell Leipziger Bürger«, der am frühen Abend des 9. Oktober 1989 über den Leipziger Stadtfunk verlesen wurde, vermittelte den sich versammelnden Demonstranten zur neuerlichen Montagsdemonstration, daß die unterzeichnenden sechs Leipziger Bürger, drei in dieser Frage tatsächlich machtlose Bürger, ein Pfarrer, ein Kabarettist und ein Dirigent, sowie drei Sekretäre der Leipziger SED-Bezirksleitung, eine Eskalation der Gewalt bei der anstehenden Demonstration verhindern würden. Der Verzicht der Machthaber auf den Einsatz ihrer Machtmittel konnte nicht einmalig bleiben, die »Chance«, die eigene Macht erneut mit Gewalt zu bewahren (wobei man dieses Mal nicht mit der Unterstützung sowjetischer Truppen rechnen konnte), war dauerhaft vertan. Der Versuch von Mitgliedern der SED-Führung, durch die Entmachtung des nunmehr greisen Erich Honecker sich an die Spitze einer von oben gesteuerten und kontrollierten »Reformbewegung« zu setzen, scheiterte, noch ehe er begonnen hatte. Die Öffnung der Berliner Mauer aus dem gleichen Grunde, aus dem sie errichtet worden war – einen Flüchtlingsstrom zu stoppen –, änderte nichts mehr am Schicksal der DDR.

Diese Ereignisse mit konstitutivem Charakter ordnen sich in den Gesamtverlauf der DDR-Geschichte ein, der mehrere Entwicklungsetappen umfaßt.13 Nach der Vorgeschichte, der Geschichte der sowjetischen Besatzungszone (1945 bis 1949), in der mit Hilfe der Besatzungsmacht das politische und wirtschaftliche System der späteren DDR etabliert worden war, lassen sich sechs weitere Phasen in der Geschichte des zweiten deutschen Staates herausstellen. Die erste Phase umfaßt die Jahre 1949 bis 1955. Im Bereich der Wirtschaftsentwicklung ist sie durch die Perioden des Zweijahrplanes 1949/50 und des ersten Fünfjahrplanes geprägt, die den Übergang der SBZ/DDR-Wirtschaft von Aufbauarbeiten der unmittelbaren Nachkriegszeit zur dauerhaft etablierten, auf langfristige Entwicklung ausgerichteten Planwirtschaft beinhalteten. Für andere Bereiche der Entwicklung der ostdeutschen Gesellschaft sollte diese Phase der DDR-Geschichte ähnlich große Bedeutung erlangen: Anfang Februar 1950 entstand das Ministerium für Staatssicherheit, zeitgleich mit der Ausschaltung der bürgerlichen Opponenten des Einheitslistenwahlsystems. Im Juli 1950 verabschiedete der III. Parteitag der SED ein neues Parteistatut, das die Struktur der SED immer stärker der der KPdSU anglich. 1952 wiederum war es die 2. Parteikonferenz, die Walter Ulbricht nutzte, um den beginnenden Aufbau des Staatssozialismus in der DDR zu verkünden. Der in diesem Zusammenhang forcierte Aufbau des schwerindustriellen Bereiches folgte nicht allein den Notwendigkeiten der immer noch umfangreichen Reparationslieferungen der DDR an die Sowjetunion, sondern stellte als sogenannte sozialistische Industrialisierung den Nachvollzug vorgeblich positiver Erfahrungen der Sowjetunion dar. Bestandteil der Konstituierung des Staatssozialismus sollte genauso die beginnende – noch weitgehend freiwillige – Kollektivierung in der Landwirtschaft sein. All diese Maßnahmen wurden auf Kosten der Entwicklung des konsumtiven Bereiches vollzogen. Die Verwaltungsreform von 1952 begünstigte die Zentralisierung der staatlichen Macht. Mit der Abkehr vom Länderprinzip und der Einführung von 14 Bezirken war auch die Beschneidung der legislativen und exekutiven Rechte der regionalen Verwaltungen verbunden. Der beginnende Aufbau eigener ostdeutscher militärischer Verbände sowie das Scheitern der Wiedervereinigungspolitik verstärkten den Prozeß der getrennten Entwicklung von DDR und BRD. Mehrere Ereignisse begünstigten die schrittweise Ablösung von Verbindungen der DDR mit dem Westen und ihre verstärkte Einbindung in das von der Sowjetunion dominierte System der osteuropäischen Länder: Die Stalin-Noten von 1952 mit dem Vorschlag für ein neutralisiertes, von Besatzungstruppen freies Deutschland blieben ergebnislos. Die Berliner Außenministerkonferenz (1954) und das Genfer Gipfeltreffen der vier Deutschland besetzenden Siegermächte (1955) scheiterten in dem Versuch, eine einvernehmliche Lösung für eine Wiedervereinigung Deutschlands zu finden. Daraufhin gewährte die UdSSR der DDR am 25. März 1954 erweiterte Souveränitätsrechte, die am 20. September 1955 zur »vollen« Souveränität ausgebaut wurden. Höhepunkte der Integration waren der Abschluß des ersten Freundschafts- und Beistandsabkommens mit der UdSSR im September 1955 und die Teilnahme am Militärbündnis des Warschauer Vertrages vom Mai 1955.

Die zweite Phase der DDR-Entwicklung umfaßt den Zeitraum der Jahre von 1956 bis etwa 1963. In ihr setzte die DDR die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse fort. Einerseits forcierte die SED-Führung die Etablierung genossenschaftlicher Strukturen in der Landwirtschaft, indem sie zunehmend und besonders in den Jahren 1959 und 1960 zu offenem Zwang gegenüber solchen Einzelbauern überging, die ursprünglich nicht in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) eintreten wollten. In der Industrie und im Handwerk wurde die Phase der »kalten« Nationalisierung des gewerblichen Privateigentums mittels der rigiden Anwendung des Wirtschaftsstrafrechts durch die der massiv geförderten Gründung von Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) und von Betrieben mit staatlicher Beteiligung (BSB) abgelöst. Die wieder ansteigenden Republikfluchtzahlen offenbarten, wie sehr die nunmehr schon etablierte Planwirtschaft der DDR der Reform bedurfte. Die in den Wirtschaftswissenschaften und in der Kultur als Ergebnis der Entstalinisierungskrise seit 1956 (als Nikita Chruschtschow in einer Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU einen Teil der Verbrechen der Stalinzeit offengelegt hatte) existierenden Reformforderungen konnten von der Ulbricht-Führung erneut im Verweis auf die Gefahr einer Konterrevolution14 abgewendet werden. Trotzdem symbolisierte das Aufstellen eines ehrgeizigen Siebenjahrplanes im Oktober 1959, der jedoch wegen vieler seiner irrealen Zielstellungen scheitern mußte, einen beginnenden Modernisierungsprozeß, wie er sich auch in anderen Bereichen der Gesellschaft, besonders aber im Bildungswesen und in den Wissenschaften offenbarte. Das Trauma der Grenzschließung in Berlin stoppte dabei nicht die Entwicklung hin zur Reform; diese setzte sich stattdessen nach einer kurzen Konsolidierungsphase 1961/62 verstärkt im Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung (NÖSPL/NÖS) fort.

Das NÖS stand am Anfang der dritten Phase der DDR-Entwicklung, die die letzten Jahre der Ulbricht-Führung von 1963 bis 1970 umfaßt. Schwerpunkt der Reformbestrebungen war vordergründig der Planungsmechanismus, doch gingen die Reformüberlegungen weit über dieses Niveau hinaus. Die Aufwertung der ökonomischen Faktoren Lohn, Preis, Kredit, Zins und Gewinn und die gleichzeitige »Abwertung« solcher Kategorien wie Bruttoproduktion und Produktionsausstoß richteten sich auf eine effizientere Gestaltung der Wirtschaftsprozesse. Zur gleichen Zeit strahlte die Wirtschaftsreform auch auf andere Bereiche der DDR-Gesellschaft aus, besonders auf den Kulturbetrieb, in welchem in Literatur und Film die von der Parteiführung geforderte Hinwendung zu Themen der DDR-Entwicklung tatsächlich vollzogen wurde – nur nicht im gewünschten Sinne der Partei. Folge der 11. Tagung des Zentralkomitees des SED, des sogenannten Kultur-Plenums, 1965 war das Verbot einer kompletten Jahresproduktion von DEFA-Filmen. Dies bedeutete eine ideologische Verhärtung besonders im Bereich des Filmschaffens, jedoch noch nicht die endgültige Abkehr vom gesamten Reformkonzept. So war die erneute Einengung des Entscheidungsspielraums der Betriebe nicht mit der generellen Aufgabe der Modernisierungskonzeption verbunden. Im Gegenteil: Mit den sogenannten »zusätzlichen Vorhaben« zum 20. Jahrestag der DDR-Gründung suchte der greise Walter Ulbricht seiner Modernisierungsstrategie neuen Schwung zu verleihen. Indes überzog er nicht nur die Geduld der DDR-Bürger, die ein Vierteljahrhundert nach Kriegsende weniger nach einer Modernisierung der Volkswirtschaft als nach der Modernisierung ihres Alltagslebens trachteten. Gepaart mit den sicherheitspolitischen Interessen der Sowjetunion, die den beginnenden deutsch-deutschen Verhandlungsprozeß mit großem Mißtrauen begleitete, leiteten die wirtschaftlichen Schwierigkeiten besonders des Jahres 1970 das Ende der Ulbricht-Ära ein. Am 21. Januar 1971 erbaten die wichtigsten Mitglieder des SED-Politbüros in einem Brief an die Führung der KPdSU die Ablösung Walter Ulbrichts.

Der Beginn der vierten Phase der DDR-Entwicklung stand im Zeichen des Machtwechsels von Walter Ulbricht zu Erich Honecker. Der Zeitraum der siebziger Jahre symbolisiert auf den ersten Blick augenscheinlich die erfolgreicheren Jahre der Honecker-Ara. Indes bedeutete die massive Hinwendung zur »Politik der Hauptaufgabe«, so die offizielle Bezeichnung der auf dem VIII. SED-Parteitag 1971 eingeleiteten Linie, die auf die Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus der DDR-Bürger auf der Grundlage qualitativ hochwertiger und effizienter Produktion ausgerichtet war, auch den schrittweisen Übergang zu einer die Leistungskraft der ostdeutschen Volkswirtschaft überstrapazierenden Sozialpolitik. Die tatsächliche Liberalisierung in der Kulturpolitik der ersten Hälfte der siebziger Jahre und das Streben nach geregelten Beziehungen zu den Kirchen waren die eine Seite der Medaille, die erneute Verhärtung in der Kulturpolitik, wie sie sich in der Maßregelung jener Künstler zeigte, die gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann 1976 protestiert hatten, und die beginnende Auseinandersetzung mit alternativen und oppositionellen Gruppen unter dem Dach der einzigen autonomen Großorganisation in der DDR, den (evangelischen) Kirchen, die andere. Die außenpolitischen Erfolge der DDR (»Anerkennungswelle« und vertragliche Regelung der deutsch-deutschen Beziehungen) wurden mit einer stärkeren Einbindung der DDR in das Bündnis der staatssozialistischen Länder, der strikten Befolgung der sowjetischen Vorgaben in der Außenpolitik und der in der Verfassung festgeschriebenen Abgrenzungspolitik im Verhältnis zur BRD gegengesichert. Die noch 1968 in einer Volksabstimmung angenommene erste »sozialistische Verfassung der DDR« wurde mit einem einfachen Gesetz15 der Volkskammer in sehr entscheidendem Maße geändert. Neben der Streichung der Wiedervereinigungsklauseln beinhalteten die Bestimmungen über die verminderten Befugnisse des Staatsrates der DDR eine Stärkung der Machtkompetenzen des SED-Politbüros.

Die fünfte Phase umfaßt die achtziger Jahre bis 1988. Die sich für die DDR verschlechternden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Binnenhandel sowie im Handel mit der westlichen Welt und den staatssozialistischen Ländern brachten sie in eine diffizile Situation. Die schon früher aufgetretenen Schwierigkeiten in der Sicherung der auswärtigen Zahlungsfähigkeit konnten durch die seitens des damaligen CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß vermittelten Milliardenkredite nicht endgültig beseitigt werden. Die sich verschlechternde Außenhandelsrentabilität wurde nur halbherzig als Problem angegangen. Das Verschleiern der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage gelang der DDR-Führung um so besser, als ihre aktive Rolle in der Aufrechterhaltung des Ost-West-Dialogs im Nachgang des erneuten atomaren Rüstungswettlaufes zwischen der Sowjetunion und den USA und die fortgesetzte deutsch-deutsche Verhandlungspolitik (mit dem ersten und einzigen Besuch eines DDR-Staatsoberhauptes in Bonn im September 1987 als Höhepunkt) den Eindruck erweckten, die offenkundig gewachsene Rolle der DDR basiere auch auf wirtschaftlichen Erfolgen. Gleichsam verstärkte sich bei den DDR-Bürgern das Gefühl, die DDR stagniere und die SED-Führung versäume es, den in der Sowjetunion ablaufenden Reformprozeß eigenständig zu begleiten. Der Reformstau der achtziger Jahre ging 1988 in die Lethargie der DDR-Gesellschaft über.

In der sechsten Phase (1988 bis 1990) vollzog sich der schnelle Niedergang und letztendlich der Zusammenbruch des Herrschaftssystems. Zu Beginn des Jahres 1988 verstärkte die SED den Druck auf oppositionelle Gruppen unter dem Dach der Kirchen, Ende 1988 nutzte die DDR-Führung ihre breitere Autonomie gegenüber der Sowjetunion just zur Konfrontation mit der Führungsmacht. Das erstmalige Verbot einer sowjetischen Zeitschrift, Sputnik, und die augenscheinliche Parteinahme für die Positionen von Reformgegnern in der Sowjetunion übermittelten der DDR-Bevölkerung die unverblümte Botschaft, Glasnost und Perestroika bekämen keine deutsche Entsprechung. Der Erlaß einer im Vergleich zu vorherigen Bestimmungen deutlich liberaleren Reiseverordnung16 am 30. November 1988 wurde nach ihrem Inkrafttreten am 1. Januar 1989 bis Ende September 1989 von 160785 Bürgern genutzt, um die Auswanderung aus der DDR zu beantragen.17 Zum Vergleich: im Zeitraum von Anfang 1972 bis Ende 1988 stellten nur ca. 32 000 Ausreisewillige mehr einen Antrag.18 Als die Überprüfung der Ergebnisse der Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 durch Bürger die offensichtliche Praxis des Wahlbetruges offenbarte, die Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung öffentlich verteidigt wurde und die Vorbereitungen der Jubelfeiern zum 40jährigen Bestehen der DDR im Oktober 1989 unbeirrt fortgesetzt wurden, füllten sich die Flüchtlingslager in Ungarn (das der UN-Flüchtlingskonvention beigetreten war) sowie die diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik in mehreren staatssozialistischen Ländern mit ausreisewilligen, vor allem jüngeren DDR-Bürgern. Der Kollaps der SED-Herrschaft wurde sodann am 11. September 1989 ausgelöst, als die ungarische Regierung nach mehrfacher Ankändigung gegenüber der DDR-Führung jene Bestimmungen aus den bilateralen Abkommen mit der DDR annullierte, die die Ausreise von DDR-Bürgern in westliche Länder via Ungarn in der Vergangenheit verhindert hatten. Die hilflose Reaktion der SED-Führung – Hetzartikel gegen Ungarn und Absperrung der DDR-Grenzen – brachte nunmehr die nicht-fluchtwilligen DDR-Bürger auf die Straße. Unmittelbar nach der ungarischen Grenzöffnung veröffentlichten mehrere, schon länger bestehende bzw. neugegründete Bürgerbewegungen Aufrufe an die DDR-Bürger zur Einmischung in die eigenen Angelegenheiten, von denen der des Neuen Forums vom 10. September 1989 binnen weniger Wochen mehr als 200 000 Unterschriften trug. Unbeirrt von der Tatsache der Gründung neuer Parteien und anschwellender Demonstrationen, besonders in der westsächsischen Bezirksstadt Leipzig, beging die SED-Führung, noch mit Erich Honecker an der Spitze, den 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Der Staat, dem anfangs nur wenige ein langes Leben vorausgesagt hatten, existierte nunmehr schon vier Jahrzehnte und schien mit dieser »normativen Kraft des Faktischen« seine ungebrochene Stabilität unter Beweis zu stellen. Kein Wunder also, daß gerade die »runden Geburtstage« eine so große Bedeutung für die DDR besaßen, suggerierten sie doch besonders den Herrschenden, wie der zweite deutsche Staat trotz beständiger Anfeindungen von außen immer wieder in sein nächstes Lebensjahrzehnt hatte treten können. So konnten auch diesmal die »Störungen der Volksfeste« durch »Randalierer«, wie sie vom Neuen Deutschland und den SED-Bezirkszeitungen genannt wurden,19 bestenfalls ein volkspolizeiliches, keineswegs jedoch ein Problem der gesamten DDR-Gesellschaft sein.

Doch die vermeintlich stabile Ordnung in der DDR stand Anfang Oktober 1989 kurz vor der Implosion. Innerhalb weniger Wochen, noch im Jahre 1989, wurden die Grundpfeiler der SED-Herrschaft gebrochen, und die Ereignisse überschlugen sich förmlich. Einer Erklärung des SED-Politbüros von Anfang Oktober 1989 folgte am 17. Oktober die Entmachtung Erich Honeckers im Politbüro durch vorgebliche Reformer aus der SED-Führung. Nach der größten Demonstration in der Geschichte der DDR am 4. November 1989, mit 700 000 Teilnehmern auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz, leitete der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 das Ende des deutsch-deutschen Grenzregimes ein. Nachdem der Demokratische Block, der Verbund der Parteien und Massenorganisationen, zusammenbrach, weil die Parteien ihn verließen, der SED-Führungsanspruch aus der DDR-Verfassung gestrichen wurde und das gewendete SED-Politbüro zurücktrat, setzte der Zerfallsprozeß in der ehedem uneingeschränkt herrschenden SED ein. Innerhalb von einem halben Jahr verließen 85 Prozent der Mitglieder die »Partei der Arbeiterklasse«; die einen, weil eine Fortsetzung ihrer Mitgliedschaft keine Vorteile mehr bot, die anderen, weil sie nicht länger bereit waren, entgegen ihren eigenen Vorstellungen die Politik der SED- bzw. PDS-Spitze vertreten zu müssen, wieder andere, weil sie ihre Ideale verraten sahen und den Wechsel zu anderen Parteien vollziehen wollten.

In nicht ganz einem Jahr, zwischen dem 7. Oktober 1989, als die SED-Führung im Beisein ausländischer Gäste den 40. Jahrestag der DDR begangen hatte, und dem 3. Oktober 1990, erlebten die DDR und ihre Bürger einen Schnelldurchlauf des Demokratisierungsprozesses. Die letzte SED-geführte DDR-Regierung unter Hans Modrow konnte keine aktive Gestaltung der Politik nach den Vorstellungen der SED mehr vollziehen: die Partei verwaltete das Land, beherrschte es jedoch nicht mehr. Die einzigen freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990 brachten eine, das Programm im Namen, »Allianz für Deutschland« (bestehend aus der DDR-CDU, DSU und dem Demokratischen Aufbruch) an die Macht, die zusammen mit den Liberalen und den Sozialdemokraten der DDR eine große Koalitionsregierung bildeten. Diese Regierung handelte sowohl den Vertrag zur Währungsunion am 1. Juni 1990 als auch den Einigungsvertrag aus. In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 vollzog die DDR den von der Volkskammer schon Ende August 1990 beschlossenen Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes. Die deutsche Zweistaatlichkeit, Thema und Gegenstand des Ost-West-Konfliktes seit vierzig Jahren, hatte ein Ende gefunden, das noch ein, zwei Jahre zuvor niemand vermutet hätte.

1 Text der dritten Strophe des Songs »Langeweile« der Ost-Berliner Rockband Pankow, veröffentlicht 1988.

2 Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang besonders die Arbeit der Enquete-Kommission des 12. Deutschen Bundestages »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland«. Siehe Materialien 1995.

3 Seinem Essay über die damaligen beiden deutschen Staaten hatte Peter Christian Ludz 1974 den Titel »Deutschlands doppelte Zukunft« gegeben (Vgl. LUDZ 1974). Diese »doppelte Zukunft« stellt sich heute als »doppelte Vergangenheit« dar.

4 WEIDENFELD 1989, S. 15.

5 Vgl. die eingehende Diskussion dieser Entwicklung in: KOCKA 1993, S. 9–26.

6 Prononciert hat der Regensburger Politikwissenschaftler Jens Hacker jene Politiker und Wissenschaftler kritisiert, die ihre Analyse der DDR am Status quo in Europa orientiert hatten (vgl. HACKER 1992). Die besondere Rolle des eingeschränkten Zugangs zu Primärquellen aus der DDR für westliche Historiker und Politologen darf in diesem Zusammenhang nicht außer acht gelassen werden, mußte sich doch die westliche DDR-Forschung weitestgehend auf, in welcher Form auch immer, veröffentlichte Daten der DDR stützen. Siehe hierzu JESSEN 1992.

7 Vgl. HOBSBAWN 1994. Das »kurze 20. Jahrhundert« umfaßt nach seiner Definition den Zeitraum vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 bis zum Zerfall der Sowjetunion 1991.

8 Vgl. HOBSBAWN 1994, S. 8.

9 Vgl. ZIMMERMANN 1989, S. 699.

10 Berechnet nach HERTLE 1996, S. 320. Siehe auch Dokument D49.

11 Vgl. STARITZ 1989, S. 76.

12 Dazu gehörten der »erfolgreiche« Schwenk von der auf Wiedervereinigung ausgerichteten zu einer auf Abgrenzung von Westdeutschland abzielenden Deutschlandpolitik, die zu diesem Zeitpunkt noch andauernde Anerkennungswelle der DDR im Ausland, die Trennung von ehedem gesamtdeutschen Institutionen bis hin zu den Organisationen der evangelischen Kirchen sowie die Festigung der dominanten Rolle des staatlichen Sektors.

13 Vgl. THOMAS 1996; ZIMMERMANN 1989.

14 Nach Auffassung der SED-Führung hatte sich die Konterrevolution zu diesem Zeitpunkt im Aufstand in Ungarn (25. Oktober bis 4. November 1956) und dem »Polnischen Oktober« vom gleichen Jahr gezeigt.

15 Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1974. In: GBI. I, Nr. 47.

16 Vgl. Verordnung über Reisen von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Ausland vom 30. November 1988. In: GBl. I, Nr. 25 vom 13. Dezember 1988. Die Verordnung ist auch wiedergegeben in: Deutschland Archiv 1/1989, S. 108–112.

17 Zahlenangaben für den Zeitraum 1. Januar bis 30. September 1989 aus: Information über die Entwicklung und Zurückdrängung der Antragstellung auf ständige Ausreise nach der BRD und nach Westberlin [o. D.]. In: BArch, DO 1 34.0 (MdI, HA Innere Angelegenheiten) Nr. 34 127, o. Bl.

18 Vom 1. Januar 1972 bis zum 31. Dezember 1988 stellten 193 009 Bürger einen Antrag auf ständige Ausreise aus der DDR. Vgl. Information über die Unterbindung und Zurückdrängung von Versuchen zur Erreichung der Übersiedlung nach der BRD und nach Westberlin [o. D.]. In: BArch, DO 1 34.0 (MdI, HA Innere Angelegenheiten) Nr. 34 127, o. Bl.

19 Vgl. Neues Deutschland vom 9. Oktober 1989, Freie Presse [Chemnitz], Sächsische Zeitung [Dresden], Leipziger Volkszeitung, Das Volk [Erfurt] und Märkische Volksstimme [Potsdam], jeweils vom 10. Oktober 1989.

Editorische Hinweise

In den Jahren vor und insbesondere nach der »Wende« sind eine Fülle von Untersuchungen zur DDR-Geschichte erschienen, die oft einem chronologischen Ansatz folgen. Diese Dokumentation möchte vielmehr Lesern, die mit einem speziellen Interesse an das Thema herangehen, den schnellen Zugang zu einschlägigen Dokumenten erleichtern. Deshalb wurde einer nach Sachkapiteln geordneten Darstellung der Vorzug gegeben. In acht Abschnitten sind Dokumente zusammengestellt worden, denen jeweils eine Einleitung vorangestellt wurde. Diese Einführungen geben einen Überblick über die Entwicklung des jeweiligen Bereiches der DDR-Gesellschaft. Die verschiedenen Sachgebiete sind durch unterschiedliche Signaturen gekennzeichnet, die dem Leser eine einfache Orientierung ermöglichen sollen.20 Die Chronik im Anhang bietet darüber hinaus einen schnellen Zugang zu bestimmten Ereignissen und erleichtert zum anderen die zeitliche Einordnung der hier vorgestellten Dokumente.

Die Präsentation von insgesamt 471 Dokumenten erlaubt es dem Leser, sich anhand zeitgenössischer Texte ein eigenes Bild von der DDR zu machen, das auch nicht durch eine unmittelbare Kommentierung seitens der Autoren dieses Bandes beeinflußt werden soll. Um möglichst viele Materialien vorstellen zu können, werden sie in der Regel in gekürzter Fassung wiedergegeben. Auf diese Weise kann sowohl mit den einzelnen Quellen gearbeitet als auch über den Verweis auf den Fundort ihr vollständiger Text erschlossen werden.21

Ein multiperspektivischer Zugang zu Ereignissen und Prozessen in der Geschichte der DDR wird auf zweierlei Art erreicht: Zum einen werden Herrschaftsdokumente aus den verschiedenen Hierachieebenen und solche mit unterschiedlichem Vertraulichkeitsgrad mit einbezogen. Dadurch werden nicht nur zentrale Herrschaftsinstanzen, sondern auch regionale und lokale Ebenen beleuchtet. Zum anderen konterkarieren von Privatpersonen überlieferte Zeugnisse der DDR-Zeitgeschichte, wie z. B. Briefe und Eingaben, dieses »offizielle« Bild der DDR, indem sie die Wahrnehmung der staatlichen und Parteipolitik durch die Bürger der DDR vorstellen. DDR-Geschichte wird somit sowohl vom Standpunkt der Herrschenden, der Machthaber, als auch von dem der »Beherrschten« – sowohl durch die Kontrolle seitens des Staates als auch die Selbst-Beherrschung der Bürger – präsentiert.

Dieser Doppelansatz ist, wie es sich aus der jeweiligen inhaltlichen Schwerpunktsetzung zwangsläufig ergibt, in den einzelnen Sachkapiteln nur in unterschiedlichem Maße durchsetzbar. Die Abschnitte zur Herrschaftsverfassung der SED-Diktatur und zur Sicherheitspolitik konnten nur wenig mit Eingaben, Briefen, Flugblattexten, Literatur- und Interviewausschnitten sowie anderen »Privatdokumenten«22 untersetzt werden, die zur sozialen Struktur der DDR-Gesellschaft und zur Kulturpolitik dagegen in stärkerem Maße. Einige, von den Autoren selbst zusammengestellte Übersichten und Statistiken dienen der Erklärung langfristiger Entwicklungsprozesse in der DDR, die in dieser Form nicht als Originaldokument aus Archiven erschließbar gewesen wären.

Die Verbindung von Dokumenten unterschiedlichen Charakters und unterschiedlicher Provenienz sowie die Präsentation der DDR-Geschichte in einer sachbezogenen Darstellung dient dazu, die DDR-Geschichte nicht allein als Herrschafts- und Diktaturgeschichte nachzuzeichnen, sondern sie als Geschichte der DDR-Gesellschaft zu begreifen. Indem die Autoren, die selbst in beiden deutschen Nachkriegsstaaten aufgewachsen sind, den Versuch unternommen haben, einen repräsentativen Querschnitt von zeitgenössischen Texten zusammenzustellen, verfolgten sie das Ziel, die Geschichte eines untergegangenen deutschen Staates vorzustellen. Durch das Engagement eines Verlegers aus Ostdeutschland, Christoph Links, und die Mitarbeit einer Lektorin aus Westdeutschland, Ann-Catherine Geuder, die mit großem Elan an der Fertigstellung des Buches beteiligt waren, ist eine Dokumentation entstanden, die den Lesern genauso viel Nutzen bringen soll, wie die Autoren bei ihrer Zusammenstellung neue Erkenntnisse gewonnen haben.

20 Die Signaturen im Kapitel »Partei, Staat und »Bündnispartner«: Die Herrschaftsmechanismen der SED-Diktatur« beginnen dementsprechend mit dem Buchstaben P und werden darüber hinaus fortlaufend numeriert. Der Buchstabe W wurde im Kapitel »Aufstieg und Niedergang der ›Trabi-Wirtschaft‹« verwendet, G in »Gesellschaft der DDR: Klassen – Schichten – Kollektive«, B in »Bildung und Wissenschaft«, K/M in »Kultur und Medien«, K in »Kirchenpolitik«, S in »Garanten innerer und äußerer Sicherheit« und D in »Deutschland- und Außenpolitik«.

21 Zum Teil sind Auszüge aus in Fachzeitschriften und anderen Publikationen schon früher veröffentlichten Dokumenten wiedergegeben worden. Sie sind relativ leicht zu erschließen. Bei neu erschlossenen Dokumenten aus Archiven und Privatsammlungen ergibt sich diese Möglichkeit nicht.

22 Die Autoren sind einer Reihe von Personen zu großem Dank verpflichtet. Stellten die einen aus ihrem Besitz alltagsgeschichtlich relevante Zeitzeugnisse zur Publikation zur Verfügung, waren andere bereit, sich interviewen zu lassen. Kritische Hinweise, sowohl von Fachkollegen als auch von Zeitzeugen, waren den Autoren wichtig und wurden von ihnen dankend angenommen.

Ralph Jessen

Partei, Staat und »Bündnispartner«: Die Herrschaftsmechanismen der SED-Diktatur

Die DDR hatte eine Verfassung und war doch kein Verfassungsstaat. Sie verfügte über ein Parlament, in dem mehr Parteien und Verbände als im Deutschen Bundestag vertreten waren, und sie war dennoch weder eine parlamentarische Demokratie noch hatte sie ein Mehrparteiensystem. Die Regierung und ihre Minister sollten die oberste staatliche Gewalt repräsentieren und waren doch wenig mehr als unselbständige Weisungsempfänger. Die DDR-Bürger konnten regelmäßig an allgemeinen, gleichen Wahlen teilnehmen und waren gleichzeitig von jeder politischen Mitbestimmung ausgeschlossen. Trotz Gesetzen und Gerichten war die DDR kein Rechtsstaat. Fast jeder Arbeitnehmer gehörte dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) an, trotzdem durften Arbeiter und Angestellte ihre Interessen nicht organisiert vertreten. – Wohl niemals zuvor in der deutschen Geschichte war die Kluft zwischen geschriebener Verfassung und Verfassungswirklichkeit so groß wie in der vierzigjährigen Geschichte der DDR. Verfassung, Parlamente, Parteienvielfalt, Wahlen und Gesetze waren nicht Ausdruck eines ernstzunehmenden Versprechens von Freiheit, Volkssouveränität, Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit, sondern pseudokonstitutionelles Dekor der kommunistischen Parteidiktatur.

Dreh- und Angelpunkt aller Machtausübung in der DDR war »die« Partei, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED). Jedoch genoß auch die SED-Spitze keine unbeschränkte Souveränität, sondern stand in wechselnder, über die Zeit abnehmender, aber nie ganz aufgehobener Abhängigkeit von der sowjetischen Führung. Bis in die fünfziger Jahre hinein war diese Abhängigkeit sehr direkt und erstreckte sich manchmal bis in die Details der Tagespolitik. Den 17. Juni 1953 überstand das Regime nur durch den Eingriff sowjetischer Truppen, der Mauerbau wäre ohne Zustimmung aus Moskau nicht denkbar gewesen. Später nahm der Handlungsspielraum der SED-Spitze zu, die alleinige Herrscherin ist sie jedoch nie gewesen. Noch der Zusammenbruch des Regimes, der ohne den Entzug der Moskauer Bestandsgarantie gewiß so nicht stattgefunden hätte, hat diese mangelnde Souveränität letztmalig unterstrichen.

Ungeachtet dieser äußeren Abhängigkeit steht das Verhältnis von Partei, Staat und Massenorganisationen in der DDR vor allem im Zeichen der Durchsetzung, Sicherung, Ausgestaltung und Legitimation des Herrschaftsanspruches der SED-Parteiführung. Dieser Blickwinkel auf den Herrschaftsapparat erschließt nicht die ganze Geschichte der DDR, vor allem nicht die Grenzen, auf welche die Diktatur bei der praktischen Umsetzung ihres totalitären Projekts in der ostdeutschen Gesellschaft stieß, und er deckt sich auch nur teilweise mit den Lebenserfahrungen der DDR-Bürger, deren Alltag stets auch unreglementierte Zonen und Nischen bereithielt.1 Andere Abschnitte dieses Bandes gehen näher auf solche Grenzen und Brüche bei der Formierung der DDR-Gesellschaft ein.

Die in den folgenden Quellen dokumentierte Geschichte der formalen Herrschaftsverfassung der DDR ist die Geschichte der systematischen Entgrenzung diktatorischer Herrschaft. Obwohl die jeweiligen Führungspersönlichkeiten der SED hierbei eine wichtige Rolle spielten – man denke an die Stilisierung des ersten Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck, zum wohlwollenden Landesvater, an die Bemühungen, Ulbricht zum Gegenstand eines stalinistischen Personenkults zu machen, oder an Honeckers selbstherrliche Dominanz über das Politbüro (P6) –, war dies keine Führerherrschaft. Anders als im vorangegangenen NS-Regime, das ganz entscheidend vom Mythos um den charismatischen Führer Adolf Hitler getragen und legitimiert wurde, herrschte in der DDR eine bürokratische Parteidiktatur.2 In ihrem Mittelpunkt stand der Führungsapparat der SED, der sich in den vierziger Jahren als Herrschaftszentrum etablierte, diese Position in den Krisen der fünfziger Jahre behauptete und ausbaute sowie seit den sechziger Jahren immer mehr perfektionierte und routinisierte.

1 Der Kontrast zwischen dem Anspruch totaler Herrschaft und der vielschichtigen Alltagserfahrung der DDR-Bürger wurde z. B. 1996/97 in der Kontroverse um die Ausstellung »Parteiauftrag: Ein Neues Deutschland« des Deutschen Historischen Museums faßbar. Vgl. VORSTEHER 1996. Siehe auch BESSEL/JESSEN 1996.

2 Vgl. KERSHAW 1980.

1. Konstituierung und Festigung der SED-Herrschaft

Die Vorgeschichte der DDR zwischen dem Kriegsende im Mai 1945 und der Staatsgründung im Oktober 1949 war zugleich die Konstituierungsphase, in der fast alle wesentlichen Instrumente und Mechanismen der Parteidiktatur entwickelt wurden. Bedenkt man die Ausgangssituation, mit der es die drei kleinen »Initiativgruppen« der KPD zu tun hatten, die im Frühjahr 1945 aus dem Moskauer Exil in das sowjetische Besatzungsgebiet Deutschlands eingeflogen wurden, war dies eine bemerkenswerte Leistung: Die Reihen der Weimarer KPD waren durch die nationalsozialistische Verfolgung stark dezimiert worden, unter den Emigranten in der Sowjetunion hatte Stalins Terror gewütet, die KP-Emigranten in Westeuropa und den USA hatten die Entwicklung in der Moskauer Exilzentrale nur von ferne verfolgen können. Im Lande selbst war der Milieuzusammenhang der kommunistischen Bewegung beschädigt, wenn nicht zerrissen, und die junge Generation war politisch und mental eher durch Nationalsozialismus, Krieg und Besatzung als durch die Traditionen der Arbeiterbewegung geprägt. Obwohl Weimarer Kader beim Wiederaufbau der KPD und dann der SED eine wichtige Rolle spielten, hatte ein sehr großer Teil der Mitglieder, die nach 1946 zu Hunderttausenden in die Partei strömten, bisher keine Beziehung zur kommunistischen Bewegung gehabt. Hinzu kam, daß die KPD, die mit ihrem Aufruf vom 11. Juni 1945 als erste Nachkriegspartei an die Öffentlichkeit trat , schon bald mit anderen Parteien konkurrieren mußte: Mit der Gründung von SPD, CDU und LDPD im Juni und Juli 1945 wurden auch in der SBZ die Grundzüge eines pluralistischen Parteiensystems erkennbar.

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