DEADLY CURSED - Kenzie Phoenix - E-Book
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DEADLY CURSED E-Book

Kenzie Phoenix

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Beschreibung

BLUTIG, DÜSTER & APOKALYPTISCH Ein Hauptmann mit der Last der Verantwortung auf den Schultern. Ein Mädchen, das alles verloren hat. Ein geläuterter Dieb mit Neigung zu unüberlegten Handlungen. Eine junge Frau ohne Vergangenheit. Wir vier sind Freunde und Fremde, zusammengeführt vom Schicksal, konfrontiert mit einer albtraumhaften, widernatürlichen Bedrohung. Unsere Moralvorstellungen sind so unterschiedlich wie unsere Zukunftsvisionen. Jeder von uns muss entscheiden, wer er sein will und was er zu opfern bereit ist. Ob uns diese Gemeinsamkeit enger zusammenschweißt? Ja und nein. Sagen wir einfach, es ist kompliziert, manchmal "messerscharf" und mit mehr Verantwortung verbunden, als ein Mensch schultern sollte. Dass unsere Unstimmigkeiten den Kampf gegen den Feind nicht einfacher gestalten, kannst du dir sicher denken. Trotzdem müssen wir zusammenhalten. Weil wir die Einzigen sind, die die Wahrheit kennen: Der Tod ist auf dem Vormarsch ...

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Seitenzahl: 814

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Kenzie Phoenix

DEADLY CURSED

Hels Assassine

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Inhaltshinweis

Edron

PROLOG

DARIUS

LENNOX

DARIUS

MAEVE

DARIUS

LENNOX

DARIUS

LENNOX

DARIUS

LENNOX

DARIUS

MEIN LIEBSTER LEANDER,

LENNOX

DARIUS

MAEVE

DARIUS

MEIN LIEBSTER LEANDER,

MAEVE

DIE MÖRDERIN

LENNOX

MAEVE

LENNOX

DER KÖNIG VON EDRON

DIE MÖRDERIN

MAEVE

DARIUS

LENNOX

MAEVE

LENNOX

HELS ASSASSINE

MAEVE

HELS ASSASSINE

LENNOX

MAEVE

LENNOX

MEINE LIEBSTE HERO,

DARIUS

MAEVE

HELS ASSASSINE

LENNOX

DARIUS

MAEVE

HELS ASSASSINE

LENNOX

HELS ASSASSINE

DER KÖNIG VON EDRON

MAEVE

DARIUS

LENNOX

DARIUS

DIE MÖRDERIN

LENNOX

AN DER SÜDKÜSTE – LARDONA

ALLEGRA

MAEVE

LENNOX

ALLEGRA

DER KÖNIG VON EDRON

DARIUS

LENNOX

ALLEGRA

LENNOX

DARIUS

ALLEGRA

LENNOX

MAEVE

DARIUS

ALLEGRA

MAEVE

LENNOX

DARIUS

MAEVE

DARIUS

ALLEGRA

LENNOX

MAEVE

DARIUS

LENNOX

MAEVE

LENNOX

ALLEGRA

DARIUS

MAEVE

LENNOX

ALLEGRA

DARIUS

MAEVE

DARIUS

LENNOX

ALLEGRA

DARIUS

LENNOX

ALLEGRA

MAEVE

DARIUS

MAEVE

ALLEGRA

DARIUS

MAEVE

DARIUS

MAEVE

DARIUS

ALLEGRA

MAEVE

DARIUS

MAEVE

DARIUS

MAEVE

ALLEGRA

DARIUS

MAEVE

ALLEGRA

DARIUS

MAEVE

ALLEGRA

MAEVE

DARIUS

EPILOG

Danksagung

Über die Autorin

Träume aus Nacht und Ewigkeit

Leseprobe -Träume aus Nacht und Ewigkeit

Impressum neobooks

Inhaltshinweis

Der Roman spielt in einer fiktiven Welt, deren Zeit und Entwicklung mit unserem Mittelalter vergleichbar ist. Die Ausdrucksweise ist den Figuren angepasst, fällt stellenweise derb aus. Da die Protagonisten einer Bedrohung gegenüberstehen, sind Kämpfe und Verletzungen unvermeidbar.

Themen, die sich durch das Buch ziehen und detaillierter beschrieben werden: Darstellungen von Gewalt, Tod, Leichen, Blut, Verletzungen, Verlust.

Themen, die gestreift werden, ohne näher ins Detail zu gehen: sexueller (Kindes-)Missbrauch.

Bitte entscheidet selbst, wie ihr/ob ihr mit den genannten Themen umgehen könnt.

Das Lesen des Buches wird ab 14 Jahren empfohlen.

Edron

PROLOG

Jenseits der Stadtmauern, wo das Land ins Meer abflachte, brandeten Wellen ans Ufer, spülten Muscheln, Tang und kleine Krebstierchen an. Über dem Wasser hingen dicke Nebelschwaden.

Ein kleines Mädchen, den Kopf voller dunkler Locken, spielte mit dem Wellengang. Kam die Flut, lief es davon; zog sich das Wasser zurück, lief es darauf zu. Es wiederholte das Spiel, bis es eine hübsche Muschel entdeckte, Füße und Rocksaum von Meerwasser umspült innehielt, die Finger in den Sand grub und sie aufhob.

Vom Strand aufwärts mahnte eine Frauenstimme: »Komm aus dem Wasser – es ist viel zu kalt! Du wirst nur krank oder gehst im Nebel verloren!« Einen gedehnten Augenblick später, als das Mädchen nicht reagierte, setzte die Frau seufzend nach: »Ich muss das Baby füttern, Essen kochen und die Wäsche waschen. Wenn du nicht kommst, gehe ich ohne dich!«

Zu verzaubert von den Schätzen des Meeres, hörte das Mädchen nur mit halbem Ohr, was die Mutter ihm zurief. Es griff gerade nach einer perlmuttfarben schimmernden Muschel, als sich ein großer Schatten über ihm ausbreitete.

Das Kind legte den Kopf in den Nacken; wollte sehen, was es Interessantes zu entdecken gab. Weil der Winkel nicht ausreichte, verrenkte es sich fast den Hals, verlor schließlich das Gleichgewicht und plumpste auf den Hintern.

Das Mädchen begriff nicht, was es dort vor sich sah, doch reichte der Anblick aus, um sämtliche Neugierde in Angst zu verwandeln. Ein Schrei bildete sich in seiner Kehle, schaffte es jedoch nicht durch den Mund in die Außenwelt zu dringen, wo seine Mutter sich langsam, ihr Baby fest an die Brust gedrückt, in Richtung Stadt bewegte.

Das, was den gewaltigen Schatten warf, beugte sich nach unten und biss den dunklen Lockenkopf vom Körper des Mädchens. Der kleine Torso kippte haltlos zur Seite und färbte die Gischt rot.

Eine Möwe, hoch am Himmel, stieß ein schrilles Kreischen aus, schwang sich weiter gen Ozean, bis sie in den Nebeldunst tauchte, der seit geraumer Weile über dem Wasser hing. Je weiter sie flog, desto mehr verlor sich ihr Kreischen in dem rauen Stöhnen, das dem Verborgenen unter ihr entstieg.

Der Urheber des gewaltigen Schattens verharrte im seichten Wasser, den Blick in Richtung der aufragenden Stadtmauern gerichtet. Schließlich setzte er sich in Bewegung.

Als er den Streifen Land erreichte, an den das anspülende Wasser nicht mehr heranreichte, zog ein tiefes Grollen durch die Luft, das noch meilenweit zu hören war. Die Erde bebte; erzitterte unter einer donnernden Druckwelle, die das gesamte Land durchlief.

Die Möwe verlor die Orientierung, stürzte vom Himmel, mitten hinein in das nebelverhangene Raunen.

Es blieb nicht mehr von ihr übrig als eine einzelne blutgesprenkelte Feder, die auf dem dampfenden Wasser davontrieb.

DARIUS

Der Hauptmann von Aldris zog am Zaum des Pferdegeschirrs, um seinen braunen Wallach zum Stehen zu bewegen. Reiter und Tier waren gleichermaßen unleidlich. Man hatte sie nach nur wenigen Ruhestunden aus Bett und Stall gescheucht, ohne dass es einem von beiden gerechtfertigt erschien.

»Ein Toter im Roten Hirsch« – damit hatte sein Leutnant und Freund Lennox das beharrliche Hämmern an seiner Tür begründet. Tote gehörten zum Leben; das war kein Grund, einem Mann den Schlaf zu versagen. Insbesondere heute, da Darius erst in der Morgendämmerung von einer Reise zurückgekehrt war, deren Schatten noch immer auf ihm lagen.

Trotzdem hatte er sich aus dem Bett gequält, das Gesicht mit kaltem Wasser benetzt und seine lederne Uniform übergestreift, weil er seinen Männern nicht Dienstbereitschaft abverlangen konnte, ohne sie selbst vorzuleben. Ein paar unwirsche Flüche kamen ihm beim Ritt durch die kalte Luft trotzdem über die Lippen.

Im Hinblick darauf galt Darius’ Interesse, als er schwerfällig vom Rücken seines Pferdes glitt, vor allem der raschen Rückkehr in seine Kammer und weniger dem Toten, der sich wahrscheinlich mit reichlich Bier selbst ins Jenseits befördert hatte. Nicht mein bester Tag als Hauptmann, dachte er schuldgeplagt.

Als er Lorin an einem Pfahl festgebunden und ihm versöhnlich am Ohr gekrault hatte, richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Eingang der Schenke. Noch auf dem Weg forderte er eine Erklärung von dem dort wartenden Mann. »Raus mit der Sprache: Blutet der Tote Gold oder warum wurde ich herbestellt?« Gleiches, wenn auch mit anderen Worten, hatte er bereits Lennox gefragt, der nur frech zurückgefragt hatte, welche Frau ihm den Schlaf ruiniert hatte. Im Überstrapazieren seiner Nerven war er ein echter Held.

Der rotgesichtige Wirt, der die Stadtwache alarmiert und auf seine Anwesenheit bestanden hatte, ließ sich nicht einschüchtern. »Warum bei allen Göttern ich den Hauptmann hier haben wollte?«, keifte er. »Weil ich verdammt nochmal keine Toten unter meinem Dach brauchen kann!« Sein Gesicht färbte sich noch röter, was ihn wie eine überreife Tomate wirken ließ.

Darius, übernächtigt und angespannt, spürte wie zunehmend Wut in ihm aufstieg. Reiß dich zusammen!, mahnte er sich.

»Es waren mehrere Gäste unter dem Dach«, fuhr sein Gegenüber indes erhitzt fort. »Trotzdem hat niemand etwas mitbekommen. Man sollte doch meinen, wenn jemand abgestochen wird, kriegt man das mit! Aber nein; erst, als der Mann das Zimmer im Laufe der Morgenstunden nicht räumte und meine Frau nachsah, fand sie ihn in einer Lache seines eigenen Blutes vor.«

Darius zog die Brauen zusammen. Totgesoffen fiel damit weg; blieb nach wie vor Toter im Gasthaus übrig. »Das war noch immer keine Antwort auf die Frage, weshalb ich hier bin. Meine Männer sind durchaus in der Lage einen Toten ohne mein Beisein in Augenschein zu nehmen und entsprechende Meldung im Quartier zu machen.« Während er sprach, nahm er auch Lennox ins Visier, der zu wenig Anstand besaß, als dass er ernsthaft reuevoll wirkte.

»Er ist der Zweite innerhalb einer Woche!«, brüllte der Wirt. »Wenn das so weitergeht, was denkt ihr, wie sich das auf mein Geschäft auswirkt? Glaubt Ihr, dass die Leute noch einen Fuß über meine Schwelle setzen, wenn sie fürchten müssen, morgens in ihrem eigenen Blut zu schwimmen? Ich kann es mir nicht leisten, dass die Kundschaft ausbleibt. Ich muss Bier ausschenken und Zimmer vermieten. Die Zeiten sind auch so hart genug! Und wenn–«

»Ich bin also wegen Eurer Kasse hier?«, vergewisserte Darius sich mit ruhiger Stimme, die im Gegensatz zu seiner inneren Verfassung stand.

»Es kann doch nicht im Interesse der Stadtgarde sein, dass eine Taverne von Toten gepflastert wird«, verteidigte sich der Wirt in gemäßigter Lautstärke. »Die Stadt ist auf Reisende angewiesen – Reisende wiederum sind auf Zimmer angewiesen.«

Darius sagte nichts. Er musterte sein Gegenüber lediglich. Wäre er nicht so aufgewühlt und müde, hätte ihm der nervöse Anblick des Wirtes ein beruhigendes Wort oder gar ein Grinsen entlockt. In Anbetracht der jüngsten Ereignisse und aktuellen Umstände, wurde sein Blick jedoch noch eindringlicher.

»Den ersten Toten kannte ich persönlich«, verteidigte sich der schwitzende Wirt, während er zunehmend ins Stottern geriet. »Er war ein Stammgast. Ein guter Kunde! Ein ehrbarer Mann der Garde!«

Das ließ Darius aufhorchen. »Einer meiner Männer?«, entgegnete er alarmiert und bedachte Lennox mit einem rügenden Blick. Das hat er nicht erwähnt, als er mich aus dem Bett gehämmert hat?

»Nicht unsere Einheit«, warf Lennox eilends ein. »Er kam von auswärts. Sah nicht schlecht aus, die Uniform«, bemerkte der Blondhaarige mit einem Schulterzucken. »Abgesehen von den Blutflecken, versteht sich.«

Darius rieb sich die Schläfe. Die Kasse des Wirtes war ihm egal. Was ihm nicht egal war, waren das Hämmern in seinem Kopf, die Nachrichten, die er von seiner Reise mitgebracht hatte und der Tote, wegen dem er hier stand. Tote waren ihm niemals egal. Auch wenn es heute nah dran war. »Also gut«, erklärte er mit einem tiefen Atemzug. »Lasst mich einen Blick auf den Mann werfen, ehe wir weitere Nettigkeiten austauschen.«

Der Schankraum roch ranzig. Die aufgestaute Wärme machte es nicht besser. Wenn der Wirt derart heizte, konnte es nicht so schlecht um seine Einnahmen stehen. Gleiches ließ sich nicht in Bezug auf sein Befinden sagen. Der Geruch, der Darius an eine Mischung verdorbener Butter und fauler Eier denken ließ, drehte ihm regelrecht den Magen um. Selbstbeherrschung, mahnte er sich, während er die Übelkeit aus seinem Gesicht zurückdrängte.

Auf ein autoritäres Nicken seinerseits, ging der Wirt voran. Sie folgten ihm eine schmale Stiege bis in den zweiten Stock hinauf, wo er auf eine Tür wies und sich vielsagend gegen die Wand daneben drückte. Darius glitt schnaubend an ihm vorbei und trat in das Zimmer.

Der Tote lag rücklings auf dem Bett, das Blut auf den weißen Laken bildete einen deutlichen Kontrast. In seiner Kehle klaffte ein tiefer Schnitt; zudem hatte man ihm die rechte Hand abgetrennt.

Darius sank in die Knie, um die Wunden aus nächster Nähe zu begutachten, wobei er an den geweiteten Augen des Mannes haften blieb. Auf den Lippen lag eine verzehrte Grimasse, die von Qual und Entsetzen zeugte. Der Tod war für die meisten Menschen ein Schock. Er selbst nahm sich nicht davon aus.

Den Geruch von Blut und beginnender Verwesung in der Nase, konzentrierte er wieder sich auf die Schnitte. Sie waren sauber und präzise, was gegen einen ungeübten Mörder sprach. Ein Schnitt durch die Kehle brachte schnell das gewünschte Ziel und verhinderte unerwünschte Aufmerksamkeit – weshalb aber die abgetrennte Hand?

»Ist seine Geldbörse noch da?«

»Nein. Aber das muss nichts heißen«, erklärte Lennox mit Blick in Richtung Türstock, was den Wirt, der sie von dort aus beobachtete, schnaubend davonrauschen ließ. Darius war sein Abgang nur recht.

Wer auch immer den Mann getötet hatte, wusste, was er tat. Er hatte gezielt gemordet und das an einem Ort, der weder abgeschieden noch verlassen war. Sehr von sich selbst überzeugt oder unvorsichtig. Oder beides, schlussfolgerte er im Geiste.

»Das ist der Sechste«, erklärte Lennox.

Darius sah ruckartig auf. »Der Sechste?«

»Fünf weitere Männer wurden anderenorts gefunden«, fuhr sein Leutnant dienstbeflissen fort. »Ähnliches Spiel wie hier: Niemand hat etwas gesehen oder gehört.« In seinem Mundwinkel zuckte es. »Ganz so, als sei der Mörder ein Geist.«

»Das konntest du mir nicht früher sagen?«, knurrte Darius, die Pointe seines Freundes übergehend. Er hielt nichts von Geistern. Genauso, wie er im Moment nichts von Lennox’ Humor hielt.

Sein Leutnant zuckte mit den Achseln. »Wenn du mit ´früher` meinst, als du mit mordlustigem Blick aus deiner Kammer gepoltert, zu deinem Pferd gestampft und wie ein Wahnsinniger vor mir her geritten bist, nein, dann nicht. Ich dachte, der beste Zeitpunkt Beichte darüber abzulegen wäre, wenn du eins der Opfer vor Augen hast. Meine Vermutung, dass es ein weiteres geben würde, hat sich hiermit leider bestätigt.«

Darius erhob sich aus der Hocke, schnaubte und blickte Lennox finster an. »Da verlasse ich ein einziges Mal die Stadt und ihr seht dem Tod Däumchen drehend beim Schlachten zu. Ich weiß nicht, ob ich euch allesamt auspeitschen oder rauswerfen soll!«

Ein Anflug von Trotz glitt über die Miene des Blondhaarigen. »Das sind nicht die üblichen Schweinereien. Das hier ist anders. Keine fransigen Schnitte. Keine Verstümmelungen. Keinerlei Spuren, keinerlei Motiv.«

Dieser Umstand ist ihm also auch nicht entgangen. Lennox war ein aufmerksames Kerlchen, das musste man ihm lassen. »Spuren gibt es immer. Man muss sie nur finden. Und Motive gibt es bei den Göttern genug«, schloss Darius, während er sich abwesend durch das dunkle Haar strich.

»Bei den Göttern?« Lennox grinste spöttisch. »Diese Worte aus deinem Mund zu hören, bereitet mir zugegebenermaßen ein wenig Sorge. Vielleicht sollten wir für den Weg zurück einen Karren organisieren. Nicht, dass du vor Erschöpfung vom Pferd fällst und dir den Kopf anschlägst.«

»Treib es nicht zu weit, Nox«, warnte Darius.

»Käme mir nie in den Sinn, Hauptmann«, entgegnete Lennox mit einem ungenierten Grinsen.

Ein Moment des Schweigens entstand.

»Alles Männer?«

»Alles Männer«, bestätigte Lennox.

»Immer die Kehle und die rechte Hand?«

»Schön wär’s.«

Was soll das nun wieder bedeuten?

»Der da«, Lennox deutete auf den Toten, »kann sich glücklich schätzen. Seine Kronjuwelen sind noch in einem Stück.«

Darius nickte. »Wahrlich. Ein glücklicher Toter.« Dann gab er Befehl den Totengräber zu informieren, auf dass er die Sauerei beseitigte, ehe der Wirt platzte, wie eine überreife Tomate.

Wenn es etwas gab, an dem es Darius’ Heimat nicht mangelte, dann waren es Gerüche. Aldris zählte eine hohe Dichte an Tavernen, Bäckern und Braumeistern, sodass einem beim Gang oder Ritt durch die Straßen abwechslungsreiche Düfte in die Nase stiegen. Frisches Brot, geräucherte Blutwurst, Bier – irgendetwas zog so gut wie immer die Aufmerksamkeit auf sich. Was nicht hieß, dass die Gerüche stets ansprechend waren. Wo so viele Menschen auf einem Haufen lebten, ließen sich gewisse Duftnoten nicht vermeiden. Zudem hielt gut ein Fünftel der Bürger Vieh, weshalb die Duftkulisse breit gefächert war.

Die Bürger selbst waren bodenständig und von gemischt mittelständigem Reichtum und Bildungsstand. Sie tranken gern mal einen über den Durst, hatten kein Problem zuzupacken oder sich die Hände schmutzig zu machen. Sich über Dinge beschweren oder sich prügeln konnten sie allerdings genauso gut.

Obwohl Darius sich nach seinem Bett sehnte, war es nicht seine Kammer, sondern die Schreibstube im Wachquartier, die er aufsuchte. Er verlangte nach einem Mateaufguss; dann begann er, sich durch das von Lennox’ hinterlassene Chaos auf seinem Schreibtisch zu wühlen. Sogar Wachs hatte sein Stellvertreter großzügig auf Holz und Papier verteilt.

Nicht mal hier kann er Ordnung halten!, dachte er säuerlich und zog die Abschriften zu den anderen Morden, verfasst in Lennox’ krakeliger Handschrift, zwischen Dokumenten zu Steuern und Korrespondenz mit dem Bürgermeister hervor. Er war gerade mal am Ende der zweiten Abschrift angekommen, da rief Darius bereits nach einem zweiten Becher. Er hoffte, dass das Gebräu rasch Wirkung zeigte; er hatte den Energieschub bitter nötig.

Obwohl man drei der fünf Männer identifiziert hatte, ließ sich kein Rückschluss bezüglich der Opferwahl des Täters ziehen. Ein Gardist von auswärts, ein Kaufmann und ein einfacher Bauer. Zwei Fremde wurden – zusammen mit dem Kaufmann – einige Meilen außerhalb der Stadt aufgefunden. Ein Jäger hatte die Toten samt einer pferdelosen Kutsche entdeckt und Meldung auf der Wache erstattet.

Damit hatten die Opfer so viel gemein wie die rechte mit der linken Hand. Was hingegen alle einte: keine Menschenseele hatte den Mörder gesehen.

Da Darius sich Besseres vorstellen konnte als die Leichen auszubuddeln, um sie auf Hinweise zu untersuchen, verließ er sich auf die Notizen seiner Männer. Oder besser, auf die von Lennox. Was die beiden noch unidentifizierten, in der Leichenhalle befindlichen Männer anging: Die würde er sich ansehen. Im Nachgang würde er mit den Hinterbliebenen sprechen. Er konnte nicht sagen, worauf er sich weniger freute.

»Was Aufschlussreiches gefunden?« Lennox ließ sich auf dem Stuhl ihm gegenüber nieder, schlug die Stiefel auf dem Tisch übereinander und beäugte die Berichte über die Ermordeten.

»Du meinst«, erwiderte Darius, während er die Beine seines Freundes mit Schwung zurück gen Boden schubste, »etwas, das euch entgangen ist? Ganze drei Mal?«

»Du weißt, wie sich die Toten im Leichenkeller aneinander kuscheln?«, vergewisserte Lennox sich.

»Das ist keine Entschuldigung.« Zudem übertrieb sein Gegenüber maßlos. Das zumindest hoffte Darius. So viele Alte und Kranke die Stadt auch beherbergte: Der Tod konnte sie kaum alle auf einmal geholt haben.

»Das sollte auch keine sein«, entgegnete Lennox flapsig.

»Wenn ich dir gleich die Gurgel verdrehe, sind meine Müdigkeit und deine Respektlosigkeit ohne Frage das Motiv meiner Tat.«

Der Blondhaarige feixte. »Ich mag es, wenn du grob wirst.«

Darius blickte ihn warnend an, ehe eine Welle von Müdigkeit über ihn hinwegrollte und ihn seufzen ließ. »Nicht heute, Nox.« Er straffte die Schultern, hob das Kinn und fügte in dunklerem Ton hinzu: »Genauso wenig wie morgen oder übermorgen.«

Glücklicherweise beließ sein Freund es dabei. Darius hätte ihm nur ungern einen Kinnhaken verpasst. Nötig gehabt hätte der Blonde es ohne Frage. Er nahm sich schlichtweg zu viel heraus. Echte Hoffnung, dass er sich das je würde austreiben lassen, besaß Darius nicht.

»Nach dem fünften Opfer dachten wir, dass es ein und derselbe Mörder sein könnte«, erklärte Lennox. »Um ihn ausfindig zu machen, hat die Zeit jedoch nicht gereicht. Er ist fleißig. Und, wie es aussieht, nicht der Ungeschickteste.«

Darius wusste, dass es Lennox war, der den Zusammenhang zwischen den Opfern erkannt hatte, ebenso wie er wusste, dass es ihm zu verdanken war, dass keine waghalsigen Gerüchte die Runde machten und Panik verursachten. Dennoch schwieg er, sodass sein Freund fortfuhr.

»Obendrein sind nicht alle gleich erpicht die Morde aufgeklärt zu wissen. Die Hinterbliebenen des Bauern haben entweder nicht viel Hoffnung, dass wir den Täter finden oder sie sind nicht sonderlich daran interessiert.« Er grinste. »Und was die anderen zwei Seelen angeht: Womöglich hat sie noch niemand als vermisst gemeldet, weil die Angehörigen insgeheim hoffen, dass sie unter der Erde liegen. Wenn dem so ist, hat Fortuna ihnen den Wunsch erfüllt.«

»Jeder wird von jemandem geliebt«, entgegnete Darius klar vernehmlich. »Jeder hinterlässt eine Lücke.«

»Das ist deine Meinung.« Bei diesen Worten war Lennox’ Stimme unnatürlich kühl. Darius war besonnen genug, nicht darauf einzugehen.

»Ich werde mit den Angehörigen und möglichen Augenzeugen sprechen«, fuhr er fort. »Ein Mord aus Trunkenheit oder aus einer Rangelei heraus ist etwas anderes als ein Auftragsmord. Ein professioneller Schlächter ist das letzte, was die Stadt aktuell brauchen kann.« Es gibt so schon genug Probleme. Wenn nun noch ... Darius versagte es sich, seinen Gedanken zu Ende zu bringen. Ein Problem nach dem anderen.

»Tja, da hast du ihn mal wieder«, feixte Lennox. »Den Grund, warum du Hauptmann der Stadtwache bist und nicht ich. Jedes Mal, wenn in dieser Stadt jemand ins Gras beißt, nimmst du es persönlich.«

»Der Grund«, entgegnete Darius, raffte die Papiere zusammen und erhob sich, »ist vielmehr der, dass du keinen Funken Ehrgefühl im Leib hast. Ganz zu schweigen von deinem losen Mundwerk.«

»Meine Rede, Hauptmann.«

Darius schüttelte den Kopf, schob seinen Waffengurt zurecht und bewegte sich Richtung Tür.

»Ach ... mein Hauptmann?« Der aufmüpfige Klang in Lennox’ Stimme war noch nicht verschwunden. »Ehe ich es vergesse: Die Kaufmannsfamilie hat nach dir verlangt. Zumindest sie ist über alle Maße daran interessiert den Tod ihres Oberhauptes aufgeklärt zu wissen. Besser gestern als morgen, wenn du verstehst.«

Die beiden Männer, an Lebenszeit lediglich um etwas mehr als einen Jahreszyklus voneinander getrennt, taxierten einander. Darius wusste aus Erfahrung, dass das ewig so weitergehen konnte. Da er der Klügere und zudem der Hauptmann war, sagte er nicht frei von Schalk: »DeinHauptmann hat eine glänzende Idee. Du stellst dich der Kaufmannsfamilie in meinem Namen zur Verfügung, während ich der Leichenhalle einen Besuch abstatte. Danach nehme ich mir nochmal den Wirt, dessen Angestellte und Gäste vor.« Außerdem musste er sich Gedanken machen, was er mit den Informationen seiner Reise anfangen sollte. Wie er darauf reagieren und ...

Später, mahnte Darius sich wiederholt, trat an den Tisch und bohrte den Finger in die Abschriften. »Der erste Tote wurde nicht im Wirtshaus, sondern bei den Stallungen gefunden. Irgendjemand hat mit Sicherheit etwas gesehen. Zwei Morde am gleichen Ort – das könnte einen Hinweis auf den Täter liefern. Wer weiß, vielleicht kehrt er ein drittes Mal dorthin zurück.«

Wurden dort Glücksspiele veranstaltet? Hatte jemand seine Schulden nicht zahlen können und deshalb Leben und Hand verloren? Lennox hätte bestimmt erwähnt, wenn dort mit Karten oder Würfeln das Glück herausgefordert wurde. Er kannte sich in diesen Kreisen bestens aus.

Sein Freund verzog die Miene und schnaubte. »Wer glaubst du, hat der Kaufmannsfamilie vom Tod ihres Oberhauptes erzählt? Und wer denkst du, war der feinen Familie nicht gut genug, um ihre Fragen zu beantworten?«

»Im Moment kann ich ihnen genauso viel sagen, wie du.«

»Richtig«, bestätigte Lennox mit vor der Brust verschränkten Armen. »Du kannst es ihnen sagen. Das ist ein enormer Unterschied.«

Darius ließ sich nicht beirren. Schon deshalb nicht, weil Lennox es war, der ihn aus dem Bett gejagt hatte. Überdies zählte er auf ihn; mehr als dem Blondhaarigen bewusst war. »Für verletzten Stolz haben wir keine Zeit. Mach, was ich dir aufgetragen habe! Sollte dich die Kaufmannsfamilie wider Erwarten früher entlassen, kannst du zu mir stoßen. Ansonsten treffen wir uns wieder hier.« Darius verengte die Augen. »Nur für den Fall, dass ich mich zu wage ausgedrückt habe: Das war ein Befehl.«

Abermals fast an der Tür, warf er einen scharfen Blick über die Schulter. »Und wenn ich diese rüde Geste noch einmal sehe, ob hinter oder vor meinem Rücken, ist verletzter Stolz das kleinste deiner Probleme!«

LENNOX

Er war immer noch dabei, Darius eine Salve von Flüchen an den Hals zu wünschen, als er es endlich über sich brachte, das Wachquartier zu verlassen.

Trotz Herbstsonne war die Luft frisch, sodass er ausnahmsweise froh über die robuste Kluft der Stadtwache war. Die Aussicht auf ein Wiedersehen mit der Kaufmannsfamilie brachte hingegen alles andere als wärmende Gedanken mit sich. Und was Darius anging: Mit ihm war am heutigen Tage nicht gut Kirschen essen. Doch war es nicht nur Schlafmangel, der ihn in derart gereizte Stimmung versetzte.

Lennox kannte ihn inzwischen lang genug, um zu wissen, dass da noch mehr im Argen lag. Schon als er sich kurz angebunden und blass auf der Wache hatte blicken lassen, um seine Rückkehr mitzuteilen, hatte er gewirkt, als sei ihm ein Geist begegnet. Das Gespräch mit dem Wirt hatte ihn sichtlich Selbstbeherrschung und Nerven gekostet, was Lennox amüsiert, aber auch beunruhigt hatte. Er kannte Darius als ruhigen, besonnenen Charakter, der Probleme mit Beharrlichkeit und gleichzeitigem Respekt anging. Besonders dann, wenn es um begangenes Unrecht ging. Heute jedoch war er nur halbherzig bei der Sache gewesen. Und das lag nicht nur an zu wenig Schlaf, da war sich Lennox sicher. Sein Freund war nicht auf der Höhe – andernfalls hätte er den Wirt und mögliche weitere Zeugen unmittelbar in die Mangel genommen. Irgendetwas auf Darius’ Reise war ihm gehörig auf den Magen geschlagen, und wenn es ihm schon auf den Magen schlug, wollte Lennox gar nicht genauer wissen, worum es ging.

Da die Kaufmannsfamilie nicht allzu weit vom Quartier der Garde entfernt wohnte und er die Zusammenkunft nur allzu gern noch länger hinauszögerte, machte er sich zu Fuß auf den Weg. Laufen hatte ihm schon immer Ruhe verschafft. Eigentlich ein Widerspruch, da er die meiste Zeit seines Lebens damit verbracht und dennoch jenseits aller Ruhe und allen Friedens gelebt hatte. Manchem entkam man nicht, ganz egal wie weit oder schnell man lief.

Insofern überraschte es ihn nur geringfügig, als er auf halbem Weg mit dem Bruder des toten Kaufmanns zusammenstieß, der von seiner Geschäftsreise zurückgekehrt war, kaum dass ihn die Nachricht vom Tod seines Bruders erreicht hatte. Lennox glaubte weniger an überschwängliche Bruderliebe, denn mehr an finanziellen Gewinn. Oder an eine Witwe, die getröstet werden musste.

Der wohlhabende Kaufmann war selbstverständlich nicht zu Fuß, sondern mit der Kutsche unterwegs. Als er Lennox entdeckte, ließ er seinen Kutscher scharf bremsen, was seiner Uniform eine Ladung Dreck bescherte.

»Was für ein Zufall«, sagte er betont freundlich, während der sauber gekleidete Mann aus der Kutsche stieg. »Ich war gerade auf dem Weg zu Eurer Familie.«

Der Mann mit der Adlernase musterte Lennox von oben herab. »Kann sich die Stadtwache keine Pferde mehr leisten?«

»Oh, die Stadtwache kann sich überaus hübsche Stuten leisten, die nur mit den besten und edelsten Gerten angespornt werden«, konterte er. »Aber danke der Nachfrage. Eure Sorge um die Befindlichkeit der Garde weiß ich zu schätzen.«

Die Augen des Kaufmanns weiteten sich in einer Mischung aus Unglauben und Empörung. Wäre Darius hier, hätte er ihm für diese Unverfrorenheit eine übergezogen.

Das war es wert, dachte Lennox, ehe er leise seufzte und den Rücken durchdrückte. »Der Hauptmann hat mich gebeten, all Eure Fragen zu beantworten – sofern mir das möglich ist. Außerdem möchte ich nochmals auf mögliche Feinde Eures Bruders–«

»Der Hauptmann ist zurück?«, unterbrach der Kaufmann ihn ungestüm.

Lennox nickte. »Er hat mich angewiesen–«

»Ich will mit ihm sprechen. Wo ist er jetzt gerade?«

Er kniff die Augen zusammen. Beherrsch dich, mahnte Lennox sich mit Darius’ Stimme. Arroganter Saftsack, betitelte seine eigene Stimme den Kaufmann, während die Brosche am Kragensaum des Mannes ein altbekanntes Kribbeln in seinen Fingern auslöste.

»Wie Ihr Euch vorstellen könnt, ist der Hauptmann ein beschäftigter Mann«, erklärte Lennox. »Er hat sich um Vielerlei zu kümmern. Ihr könnt genauso gut mit mir sprechen. Seine Geheimnisse sind meine Geheimnisse.« Bis auf den Grund seiner Reise und was davon ihn bis hierher verfolgt hat.

Die Adlernase schnaubte. »Ich ziehe es dennoch vor, die Geheimnisse mit dem Hauptmann persönlich auszutauschen. Also: Wo hält er sich im Moment auf?«

Darius hatte gewollt, dass er der Kaufmannsfamilie zur Verfügung stand. Wenn der Kaufmann also wissen wollte, wo Darius sich aufhielt, musste Lennox ihm wohl oder übel Rede und Antwort stehen, wenn er nicht einen Befehl seines Hauptmanns verweigern wollte, schlussfolgerte er nicht ohne Genugtuung. »Dort, wo Ihr ihn kaum verfehlen könnt. Folgt einfach Eurer Nase.«

Der Kaufmann blickte finster drein, sodass Lennox mit listigem Grinsen »Leichenkeller« hinzufügte.

»Besten Dank«, entgegnete die Adlernase, das Gesicht bereits zur Hälfte wieder der Kutsche zugewandt.

»Ach, eins noch!«, hielt er ihn zurück. »Meine Gesellschaft wird demnach nicht mehr benötigt, sodass ich mich anderem widmen kann?«

Der Kaufmann blinzelte irritiert, ehe er hitzig erwiderte: »Ja doch!«

»Ihr meint, ich bin entlassen?«, vergewisserte Lennox sich abermals.

»Ja doch!!«

Er lächelte zufrieden. »Das war alles, was ich wissen wollte. Oder, genaugenommen ...« Ein Geistesblitz ließ Lennox näher an den Mann herantreten. »Wärt Ihr so freundlich dem Hauptmann eine Nachricht von mir zu überbringen? Da Ihr euch ohnehin auf den Weg zu ihm macht, habt Ihr sicher nichts dagegen, seiner rechten Hand einen Dienst zu erweisen.«

Das Lid des Kaufmanns zuckte. »Keineswegs.«

»Großartig.« Lennox kramte in seinen Taschen und zog einen fleckigen Fetzen Pergament hervor. »Ihr habt nicht zufällig einen Bleigriffel bei Euch?«

Die Nasenlöcher des Kaufmanns blähten sich, doch reichte er ihm stumm den gewünschten Gegenstand, woraufhin Lennox eine kurze Botschaft notierte.

»Da einem Mann wie Euch ohnehin nie in den Sinn käme, sich in die Angelegenheiten der Stadtwache einzumischen, spare ich mir jede weitere Anmerkung«, erklärte er grinsend, drückte seinem Gegenüber Stift und Notiz gegen die Brust und klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter.

Sodann machte er sich, ohne auf die empörte Reaktion des Kaufmanns zu achten, auf die Suche nach einer Mitfahrgelegenheit. Sein angestrebtes Ziel lag ihm nun doch zu weit entfernt.

DARIUS

Zum wiederholten Mal an diesem Tag musste er sich bemühen, den spärlichen Inhalt seines aufgewühlten Magens dort zu behalten, wo er war.

Der Anblick von Toten, egal ob verstümmelt oder nicht, war alles andere als schön. Weit schlimmer war jedoch der Gestank, der jeden Winkel des feuchten Kellergewölbes durchdrang. Die Mischung aus Fäulnis, Essig und Harz bohrte sich in seine Nase, sodass er sich darauf verlagerte, die notwendige Luft durch den Mund ein und auszuatmen.

»Weiß nich’, was es Interessantes geben soll«, murrte der Besitzer des Leichenkellers, der Darius voran humpelte und ihrer beider Schritte mit einer Laterne erhellte.

Der Weg die Treppe hinab, zog sich beträchtlich in die Länge. Darius war dem Mann zweimal in die Fersen getreten, was diesen wenig erfreut hatte. Beim ersten Mal fing er sich gerade noch; beim zweiten Mal wäre ihm beinahe die quietschende Laterne aus der Hand gefallen.

»Tot ist tot«, erklärte der Totengräber in seiner rabenähnlichen Stimme. »Ob angefressen, ausgeweidet, gebrochen, kastriert oder anderes. Am Ende sind alle gleich. Sterben verhält sich wie scheißen – kommt auch bei allen das gleiche raus.«

»Ihr habt sicher nichts dagegen, wenn ich mir selbst einen Überblick verschaffe«, erwiderte er mit fester Stimme.

»Ich nich’«, kicherte der Mann, sodass die Laterne in seiner Hand hin- und herpendelte und die Flamme bedenklich erzitterte.

Darius zog die Brauen zusammen. »Wer, wenn nicht Ihr?«

»Meine Toten. Sind schüchtern.« Sein Gegenüber kicherte abermals. »Besonders die Frauen.«

Der hat sie nicht mehr alle beisammen, dachte er. Zu viel Essigessenz eingeatmet. Das konnte man dem Mann nicht mal zum Vorwurf machen. Hier unten, in diesem gedrungenen nach Tod stinkenden Gemäuer, würde er über kurz oder lang auch dem Wahnsinn verfallen.

Es war, weshalb auch immer, exakt dieser Moment, in dem Darius endlich der Frage ins Auge sah, die schon seit dem Aufbruch von der Wache nach seiner Aufmerksamkeit trachtete: Warum hatte er darauf bestanden, herzukommen? Was für Geheimnisse wollte er den Toten noch entlocken?

Ich bin ein Narr.

Er hatte sich eine Ausrede zurechtgelegt, die sein Herkommen rechtfertigte. Der wahre Grund für sein Kommen reichte tiefer als der Gestank des Kellers in ihn einzudringen vermochte; hatte nichts mit dem Toten aus dem Wirtshaus oder dessen unglückseligen Vorgängern zu tun. Der wahre Grund seiner Anwesenheit war: Angst.

Darius hatte herkommen müssen, um sich einen Überblick über die Toten seiner Stadt zu verschaffen. Ihre starren, kalten Körper daliegen zu sehen. Er hatte sich mit eigenen Augen davon überzeugen wollen, dass sie sich nicht regten.

»Wenn Ihr was sehen wollt, steht Ihr an der falschen Bahre«, hallte die Stimme des Totengräbers zu ihm herüber, sodass Darius den Kopf hob. Der Mann, den die Sonne nur selten zu sehen bekam, hielt die Ecke eines fleckigen Lakens in der Hand; darunter blitzte ein helles Paar Brüste hervor. »So steif werdet Ihr sie bei einer Lebenden nie finden. Für ein kleines Handgeld lasse ich euch ein paar Minuten mit ihr allein.«

Mit ein paar schnellen Schritten brachte Darius sich auf gleiche Höhe mit dem Mann. Der Geruch schwerer Süße klebte wie ein Parfüm an ihm, sodass er sich zwingen musste, nicht wieder zurückzuweichen. »Ihr vergesst offenbar, wer vor Euch steht«, mahnte er mit dunkler Stimme. »Und was mit den Händen von Leichenschändern passiert.« Er brachte es über sich, noch ein weiteres Stück vorzutreten, sodass seine Nase fast die seines Gegenübers streifte. »Kommt mir auch nur ein Gerücht zu Ohren, dass Ihr Eure Toten nicht mit dem nötigen Respekt behandelt, wird Euch mein nächster Besuch nicht sonderlich viel Vergnügen bereiten. Haben wir uns verstanden?«

Einen Moment rührte sich der Totengräber nicht. Dann, ganz langsam, schob sich sein rechter Mundwinkel nach oben, sodass Darius eine Ahnung vom Zustand seines Gebisses bekam. Es passte hervorragend zu diesem Ort. »Nichts für ungut. Hier unten gibt’s nich viel zu lachen. Wollte nur’n bisschen... wie nennt ihr feinen Pinkel das ... Konversation betreiben. Das is’ alles.« Er kicherte wie ein rostiges Eisengatter.

»Mir ist es lieber, Ihr haltet den Mund«, stellte Darius klar.

»Nichts für ungut«, wiederholte der Totengräber und legte das Laken wieder über die obere Körperhälfte der Toten. Sie war so jung, dass sie nicht mehr als Kind, jedoch auch nicht als Frau durchging. »Schaut Euch um. Überzeugt Euch von was auch immer Ihr euch überzeugen wollt und dann geht und lasst meine Toten und mich allein.«

Als er dem Mann nachblickte, wie er die Treppe emporstieg – der Schein der Laterne wankte an der Wand neben ihm entlang – konnte Darius seinen Eindruck nicht ganz abschütteln. Es hatte den Anschein, als wäre der Totengräber beleidigt.

Er fuhr sich seufzend durchs Haar und wandte den Blick den in Kerzenschein getauchten Aufgebahrten zu, die zu seiner großen Erleichterung einfach nur tot waren. Er hatte gerade einen der Entmannten, Unidentifizierten entdeckt, da vernahm er ein Geräusch.

Der Bruder des toten Kaufmanns kam, ein Taschentuch vor Mund und Nase gepresst, in der anderen Hand eine Laterne, eiligen Schrittes die Treppe herab. Selbst durch die fadenscheinige Dunkelheit hindurch konnte Darius erkennen, dass er vor Zorn kochte.

Er fluchte und schlug das Laken zurück an seinen Platz. Er konnte sich denken, auf wessen Konto die Gefühlslage des Kaufmanns ging. Ich werde Lennox die Gurgel umdrehen! Dafür, sich auch noch mit dem Kaufmann auseinanderzusetzen, fehlten ihm die Nerven.

»Mein Bruder war ein ehrbares Mitglied der Kaufmannsgilde, setzte die Adlernase mit geschwollener Brust an. »Ich hätte erwartet, dass der Hauptmann der Stadtwache seinem Tod den angebrachten Respekt zollt und alle Aufmerksamkeit daransetzt, seinen Mörder zu finden und zurRechenschaft zu ziehen! Stattdessen muss sich seine Familie mit einem–«

»Der Leutnant verdient mein vollstes Vertrauen«, bremste Darius den Mann aus. »Fragen, die er Euch nicht beantworten konnte, kann ich ebenfalls nicht beantworten, so ungern ich Euch enttäusche.«

»Ich erwarte–«, fuhr sein Gegenüber laut auf.

»Respekt für die Toten. Das ist, was ich erwarte«, beendete Darius den Satz.

Der Kaufmann holte tief Luft, senkte jedoch, wenn auch überaus widerwillig, die Stimme. »Ich kann nicht glauben, dass das Gesetz untätig zusieht, wie ehrbare Männer der Kaufmannsgilde abgeschlachtet werden! Die Gilde steht unter dem Siegel des Königs! Die Angelegenheit nicht zu untersuchen, kommt–«

Diesmal war es das Funkeln in Darius Blick, das sein Gegenüber zum Schweigen brachte. Es dauerte an, sodass er es war, der als Erster die Stimme erhob. »Wie Männer der Kaufmannsgilde abgeschlachtet werden? Euer Bruder zählt meines Wissens nur als ein Mann. Sofern Ihr ihn aufgrund seines Gewichts oder aus anderen Gründen nicht als zwei Personen zählt.«

»Die Gilde der Kaufmänner reicht, wie Ihr sicherlich wisst, über die Grenzen dieser Stadt hinaus«, erwiderte sein Gegenüber mit öliger Überheblichkeit in der Stimme. »Vor meinem Bruder wurden bereits zwei Mitglieder aus Valgur getötet. Wenn Ihr mich fragt, ist das ein offensichtlicher Akt gegen uns Kaufmänner, der möglicherweise noch weitere Opfer fordert. Wie gedenkt Ihr, uns zu schützen? Was gedenkt Ihr zu tun, um den Mörder dingfest zu machen?« Sein Blick glitt über die Toten hinweg, die im Dämmerlicht vereinzelter Kerzen lagen. »Gedenkt Ihr hier eine Lösung zu finden?« Sein Hohn war unüberhörbar.

Darius richtete sich zu voller Größe auf, was bei seiner hochgewachsenen Statur ein einschüchterndes Bild abgab. »Habt Ihr meinen Leutnant über diesen Umstand in Kenntnis gesetzt?«

Der Kaufmann schnaubte.

»Wenn Ihr Informationen zurückhaltet, solltet Ihr nicht erwarten, dass die Stadtwache notwendige Maßnahmen ergreifen kann.«

»Ich war nicht überzeugt, dass Euer Leutnant die notwendigen Maßnahmen ergreifen kann. Dass ich mit Euch persönlich sprechen wollte, könnt Ihr mir nicht zum Vorwurf machen –Hauptmann«, schloss die Adlernase salbungsvoll und zugleich so herablassend, dass es Darius unmöglich entgehen konnte.

Er hätte gut Lust gehabt, dem Mann eine zu verpassen, um ihm sein überhebliches Gehabe vom Gesicht zu wischen. Einzig seine gute Erziehung und Ausbildung hielt ihn davon ab. Er hatte vom Besten gelernt und gedachte nicht, dieses Andenken mit mangelnder Selbstbeherrschung zu beschmutzen.

»Gibt es noch etwas, dass Ihr der Stadtwache vorenthalten habt?«, verlangte Darius zu wissen, wobei er den gleichen Ton anschlug, den er seinen Männern gegenüber an den Tag legte: autoritär, aber dennoch respektvoll.

»Ich denke, drei tote Kaufmänner sind ausreichend.«

»Meine Männer und ich werden uns der Sache annehmen.«

Der Kaufmann nickte knapp. »Ich verlange Rache für den Tod meines Bruders.«

»Ihr meint sicher Gerechtigkeit«, korrigierte Darius ihn mit eindringlichem Blick.

Statt einer Erwiderung griff sein Gegenüber in den Saum seines Umhangs, zog ein Stück Pergament hervor und drückte es ihm in die Hand. »Eine Nachricht von Eurem Leutnant. Offenbar fehlt der Stadtwache das nötige Kleingeld für Boten. Lasst mich wissen, wann der Bierfluss versiegt, damit ich mir Sorgen um den Fortbestand der Garde machen kann.«

Zwischen Zorn für sein Gegenüber und Lennox pendelnd, entrollte Darius das winzige Stück Pergament. Licht und Schatten krochen über die krakelige Schrift seines Freundes.

Warte im Wirtshaus auf dich.Komm nicht zu spät, sonst bin ich betrunken. NOX

PS: Pass auf deinen Hintern auf.So beharrlich, wie der Kaufmann an dich ranzukommen versucht,muss er überaus scharf darauf sein.

MAEVE

Als der blonde Mann mit der braunen Uniform durch die Tür trat, blieb ihr kurz das Herz stehen.

Einen Atemzug später, als sein Blick genauso ungerührt über sie hinwegglitt wie über die wenigen anderen Gäste, entspannte Maeve sich wieder. Zumindest so weit, wie sich jemand in ihrer Lage entspannen konnte. Aus den Augen ließ sie ihn dennoch nicht. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass eine Uniform nicht zwangsläufig für Anstand oder Hilfsbereitschaft stand.

Der Gardist war älter als sie, aber lediglich um ein paar Jahre. Sie schätzte ihn auf Anfang zwanzig. Ein Lederband hielt das strohblonde Haar im Nacken zusammengeknotet, einige Strähnen fielen ihm dennoch ins Gesicht. In den grauen Augen blitzten Schalk und Unsicherheit, was eine merkwürdige Mischung war, wie Maeve fand. Doch sie hatte andere Sorgen als das Befinden des Uniformierten. Ihr Gewicht lastete auf ihren Schultern, wo sie auch hinging. Nicht mal im Schlaf fand sie Ruhe.

Der Blondhaarige wechselte ein paar Worte mit dem Wirt, der mit Worten wie Einbußen, Dienstehre und ausbleibende Gäste um sich warf, woraufhin ihm der Gardist einen beruhigenden Kräuteraufguss empfahl. Dann orderte er einen Humpen Bier und machte es sich zwei Tische neben ihr bequem, wo er ein funkelndes Schmuckstück begutachtete. Selbst aus der Entfernung erfasste Maeve, dass die goldene Brosche nicht seinem Stil entsprach. Anders ausgedrückt: Sie entsprach nicht seiner Gehaltsklasse.

Mit dieser Erkenntnis war ihr Interesse an dem anderen Gast aufgebraucht, sodass sie sich wieder ihrem Humpen zuwandte. Maeve verabscheute Bier, doch erfüllte das Getränk mehr als einen Zweck: Es ölte die trockene Kehle und füllte den Magen. Hatte man nicht viel Geld in den Taschen, war das ein guter Kompromiss, um sich bei Kräften zu halten.

Der Gardist war bereits beim zweiten Humpen angelangt, sie überlegte gerade, wo sie am besten die Nacht verbrachte, da schwang die Tür auf und ein weiterer Mann in Lederkluft betrat die Schenke. Er war so alt wie der Blonde, vielleicht ein wenig älter. Braunes Haar schmückte sein Haupt, in den dunklen Augen blitzten Ärger und Entschlossenheit, die jedoch von den darunterliegenden Schatten geschwächt wurden. Das Abzeichen an seiner Brust ließ Maeve unwillkürlich ein Stück tiefer in den Stuhl rutschen. Wenn sie sich nicht täuschte, war der neue Gast kein geringerer als der Hauptmann der hiesigen Garde.

Maeves erster Impuls war, ihr Bier auszutrinken und sich aus dem Staub zu machen. Entgegen ihrem Bauchgefühl tat sie es jedoch nicht. Sie war nur ein Mädchen mit dreckigen Wangen, nicht mehr als einen kurzen Blick wert. Kein Grund die Flucht zu ergreifen, ermahnte sie sich. Die Ohren zu spitzen konnte hingegen nicht schaden. Bestenfalls konnte sie dabei etwas in Erfahrung bringen, dass sie ihrem Ziel näherbrachte. Sofern ich nicht nur einem Geist nachjage.

Der junge Hauptmann zog den Stuhl unter dem Tisch hervor, als wolle er ihm die Füße brechen, ließ sich darauf nieder und keifte: »Du kannst einfach nicht anders, oder?!«

»Anders als charmant sein, meinst du?«, vergewisserte der Blonde sich locker lächelnd.

»Du bist ein Rindvieh. Mit dem Hirn einer Feldmaus.«

»Das war nun aber wirklich nicht charmant, Hauptmann.«

»Kannst du nicht einmal tun, was man dir sagt? Glaubst du ernsthaft, du kannst ewig so weitermachen? Dir die guten Kirschen rauspicken und es anderen überlassen die Faulen aufzuklauben? Damit das klar ist: Ich habe es satt, deine Reste wegzuräumen! Wenn du dich kleidest wie ein Mann, dann sei verdammt nochmal auch einer!«

Eine kurze Pause entstand, in der Maeve sich viel Mühe gab, nicht wie jemand auszusehen, der anderer Leute Gespräche belauschte. Insbesondere, wenn betreffende Leute der Stadtwache angehörten.

»Bist du jetzt fertig?«, wollte der Blonde wissen.

»Du bist ein elendiges Rindvieh, auf das kein Verlass ist!«

Der Rangniedrigere hob die Brauen und ließ abermals einen Moment des Schweigens verstreichen. »War’s das? Oder kommt da noch mehr?«

»Muss ich wirklich noch mehr sagen?!«

Das Mädchen linste verstohlen durch ihren tiefhängenden Pony in Richtung der Männer und mühte sich um einen gelangweilten Gesichtsausdruck.

Der Blonde beugte sich vor, die Hände auf der Tischplatte abgestützt. »Du könntest mir beispielsweise erklären, was dir über die Leber getrampelt ist. Und komm mir erst gar nicht damit, dass es der Kaufmann, mein Rinderarsch oder der mysteriöse Mörder war. Du warst schon unausstehlich, als du dich auf der Wache zurückgemeldet hast. Ich kenn dich gut genug – ich weiß, wann dich etwas beschäftigt. Also: Was ist auf deiner Reise vorgefallen? Was hat dich derart aus der Bahn geworfen, dass du Manieren und Menschenverstand vergisst?«

Der junge Hauptmann setzte eine aalglatte Miene auf. »Du hast es selbst gesagt: Die Morde an den Männern sind anders. Nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Ich bin für die Sicherheit der Stadt verantwortlich. Es ist nur natürlich, dass mich ein unsichtbarer Schlächter mit unklaren Absichten beschäftigt. Allerdings«, er hielt inne, »sind seine Absichten vielleicht nicht mehr ganz so unklar. In Valgur wurden ebenfalls Männer der Kaufmannsgilde getötet – behauptet zumindest der Bruder des verstorbenen Kaufmanns. Wir sollten Kontakt mit der ansässigen Stadtwache aufnehmen; vielleicht hilft uns das bei der Suche nach dem Mörder weiter.«

Diese Worte veranlassten Maeve, sich aufrechter gegen die Stuhllehne zu drücken. Ein unsichtbarer Schlächter. Ihr Geist? War sie also doch auf der richtigen Spur? Soweit möglich, verlangte sie ihrem Gehör noch mehr ab, während sie weiterhin vorgab, sich nur für den Inhalt ihres Humpens und diverse Mängel in den Dielen zu interessieren.

Der blonde Gardist schnaubte. »Aber sicher, es geht dir einzig um den Mörder. Genau deshalb läufst du auch wie ein aufgeschrecktes Huhn zwischen Tatort, Wache und Leichenkeller hin und her, statt der Reihe nach vorzugehen, wie es der Logik entspricht.« Er wies Richtung Bar. »Beispielsweise alle Details aus dem Wirt zu pressen, bevor er sie vergessen hat. Oder mit Gästen zu sprechen, die in der Todesnacht unter dem Dach waren, bevor sie über alle Berge sind. Willst du mir ernsthaft weismachen, dass es der Mörder ist, über den du dir den Kopf zerbrichst?«

»Was ich will, ist mich auf dich verlassen können!«

»Tja«, der Blonde zuckte mit den Achseln. »Ich hätte gern so viel von deinem Vertrauen, dass du endlich mit der Wahrheit rausrückst, statt mir halbgare Lügen aufzutischen.«

Das jähe Schweigen, das eintrat, veranlasste Maeve erneut einen Blick in Richtung der Männer zu riskieren. Ohne deren hitzigen Wortwechsel erschien ihr das weitaus auffälliger und verräterischer. Zudem lag ihrem Blick gewiss nichts Gelangweiltes mehr inne. Um sich länger unbeteiligt geben zu können, verspürte sie zu viel Hoffnung.

Die Männer musterten einander. Der stumme und zugleich vielsagende Austausch vermittelte den Eindruck, dass sie einander nahestanden; nicht bloß durch die Garde, sondern durch mehr verbunden waren.

»Ich muss mich auf dich verlassen können, Nox«, sagte der Hauptmann mit eindringlicher Stimme. »Hast du das verstanden? Wirklich verstanden?«

»Wenn es jemanden gibt, der nah dran ist, sich auf mich verlassen zu können, dann du.«

»Nah dran sein reicht mir diesmal nicht!«

Der Blonde nickte langsam. »Dann werd’ ich mir Mühe geben, dich nicht zu enttäuschen.«

»Sag mir einfach, dass ich auf dich zählen kann«, forderte der Hauptmann seufzend.

»Und wobei genau?«

»Für den Anfang«, setzte der Dunkelhaarige an und senkte die Stimme, sodass Maeve den Kopf ein Stück weiter in die Richtung der Männer rückte, »reicht es, wenn du nicht denken würdest, dass ich den Verstand verloren habe.« Sein Mundwinkel hob sich zu einem schiefen Grinsen. »Oder meine Manieren.«

»Ich fürchte, für eines von beiden ist es bereits zu spät«, entgegnete der Blonde feixend.

Maeve wartete mit pochendem Herzen darauf, dass der Hauptmann endlich ausspuckte, was er zu sagen hatte; die Anspannung zerfraß all ihre Geduld.

Unglücklicherweise hatte der junge Hauptmann andere Pläne, als ihrem Ansinnen nachzukommen.

»Hast du nochmal mit dem Wirt gesprochen?«

Der Blonde, ähnlich irritiert über den Kurswechsel, jedoch nicht genug, um darauf rumzureiten, schüttelte den Kopf und strich sich die in sein Gesicht fallenden Haarsträhnen zurück. »Ich dachte, ich warte auf dich.«

»Du dachtest«, sagte der Dunkelhaarige und erhob sich, »dass es dich nicht interessiert und ich ihm selbst auf den Zahn fühlen soll, wenn ich etwas von ihm erfahren will.«

»Eigentlich«, entgegnete der andere Gardist, »dachte ich, dass er nichts Interessantes mehr zu sagen hat, weil du den Moment verpasst hast, in dem er seine Erinnerung noch beisammen hatte.«

Der Hauptmann knurrte und bewegte sich Richtung Treppe, wobei er ein Stück hinter Maeve innehielt. »Auch schön. Sehen wir uns eben nochmal das Zimmer an. Vielleicht haben wir was übersehen. Dort lässt es sich auch ungestörter reden.«

»Nur, dass du es weißt«, entgegnete der Blonde, während er sich widerstrebend erhob. »Du verhältst dich wie ein paranoides Waschweib.«

Maeve fand, dass sie sich wie Waschweiber stritten – oder mehr noch, wie ein altes Ehepaar. Das war ihr herzlich egal; ihretwegen konnten sie sich auch einen Badezuber teilen. Nicht egal war ihr, dass sich die beiden aus ihrer Hörweite zurückzogen.

Sie hatte immer noch das Gefühl, dass der Hauptmann über jenen Geist zu reden gedachte, den sie so sehnlichst zu finden hoffte.

DARIUS

»Verlierst du jetzt völlig den Verstand?«, wollte Lennox irritiert als auch genervt wissen. »Du glaubst nicht ernsthaft, dass das Zimmer dir etwas über–«

»Halt den Mund!«, wies er seinen Freund zurecht, während er seitlich des Türrahmens lehnte und lauschte.

Lennox gab ein deutlich vernehmbares Schnauben von sich und besaß weder den Anstand noch den Respekt sich unter dem zornigen Blick seines Hauptmanns reuevoll zu ducken. Im Gegenteil. »Hier drin stinkt’s erbärmlich«, murrte er. »Dass der da immer noch da ist«, er ruckte mit dem Kopf Richtung Bett, wo der Tote unverändert in seinem Blut lag und vor sich hin verweste, »macht es nicht besser. Die Totengräber nehmen ihren Job auch nicht allzu ernst. Oder aber, es gab anderswo interessantere Leichen. Wer weiß, vielleicht hat der mysteriöse Mörder bereits wieder zugeschlagen. Solange es nicht meine Eier sind, die er zu Mus verarbeitet, kann ich ...«

In gleichen Moment, da Lennox von seinen Eiern schwadronierte, riss Darius die Tür auf und das Mädchen aus dem Schankraum stürzte ins Zimmer. Auf frischer Tat ertappt.

Aus der Nähe betrachtet, erkannte er, dass sie jünger war als er und Lennox. Ihr Haar war dunkel und zerzaust, reichte bis zum Kinn und hing ihr tief in die Stirn. Den dunklen Augen lag ein Ausdruck von Überraschung und Ärger inne. Als ihr Blick den Toten auf dem Bett streifte, gesellte sich kurzeitiges Entsetzen und eine weitere Empfindung dazu, die Darius nicht greifen konnte.

Dafür sagte ihm ein jäher Geistesblitz, dass keinerlei Einbruchsspuren an Tür oder Fenstern vorhanden waren, weil der Mörder, wie das Mädchen, durch die Tür getreten oder gar hereingebeten worden war. Oder aber, er war bereits vor dem Toten im Zimmer gewesen. Demnach hatten sich die beiden gekannt? Wäre das nicht irgendjemandem aufgefallen? Ich hätte den Wirt besser in die Mangel nehmen müssen!

Sein Freund stieß einen Pfiff aus. »Wen haben wir denn da?«

»Ein Langohr, würde ich meinen«, entgegnete Darius, sich wieder ganz auf das Mädchen konzentrierend, das ihre Unterhaltung im Schankraum etwas zu interessiert verfolgt hatte. Immerhin war sein Instinkt nicht gänzlich unbrauchbar.

Der Schreck des Überraschungsmoments wich sichtbar aus ihrem Körper. Muskeln spannten sich, Trotz und Entschlossenheit fluteten die dunkle Iris ihrer Augen. So schnell, wie Darius es ihr nicht zugetraut hätte, rappelte sie sich vom Boden auf, um rückwärts die Flucht anzutreten.

Darius jedoch war schneller. Er packte sie am Oberarm, zerrte sie zurück ins Zimmer und verpasste der Tür einen entschiedenen Fußtritt.

Lennox, dem die Absicht des Mädchens ebenfalls nicht entgangen war, postierte sich breitbeinig vor dem Fenster und schenkte der Kleinen ein keckes Grinsen, das sie erst recht wütend machte.

Sie griff an ihre rechte Seite und zog einen kurzen Dolch, den sie drohend vor die Brust hob. Seitlich stehend, um beide Männer im Auge und niemanden im Rücken zu haben, trippelte sie auf der Stelle, bereit vorzuschnellen, sobald es einer von ihnen wagte, ihr zu nahe zu kommen.

Sie hat keine Angst, war aber dennoch nervös, erfasste Darius. Sie war bereit, sich zu verteidigen und, wenn nötig, auch anzugreifen.

Er ließ die Hand gut sichtbar an den Griff seines Schwertes gleiten, um sie dann, den Blick eindringlich auf das Gesicht des Mädchens gerichtet, ebenso sichtbar wieder davon abzuziehen. »Mir liegt nichts daran, ein Kind zu verletzen.«

»Dann kann ich ja gehen«, knurrte das Mädchen.

»Nichts da«, sagte Lennox. »Wir vier machen’s uns jetzt schön gemütlich und plaudern ein bisschen.« Selbst in dieser Situation konnte er seinen unangebrachten Humor nicht außer Acht lassen.

»Warum hast du uns belauscht?«, verlangte Darius zu wissen.

Das Mädchen presste die Lippen aufeinander. Eine unmissverständliche Geste: aus ihrem Mund würde kein Wort kommen.

Er schnaubte. Dieser Tag machte ihn fertig. Womit er nun auch noch ein halbwüchsiges Mädchen verdient hatte, wusste er nicht. »Für den Fall, dass du nochmal jemanden belauschen willst: sich unauffällig verhalten will gelernt sein.« Er funkelte den Dolch an. »Jemanden töten, übrigens auch. Ich bezweifle, dass du schon ausreichend Übung darin hast.«

»Wollt ihr zwei es rausfinden?«

Darius atmete ein und wieder aus. Er irrte sich nicht; der Klang ihrer Stimme hatte sie verraten. Sie mochte knurren wie ein bissiger Hund, hatte bisher aber noch nie mit einem echten Gegner gerungen.

»Warum hast du uns belauscht?«, wiederholte er seine Frage. »Gab dir jemand den Auftrag dazu? Sollst du etwas Bestimmtes herausfinden oder lediglich auf dem Laufenden bleiben, um jemandem Bericht zu erstatten?«

»Ich erfülle niemandes Aufträge.«

»Dann hast du unser Gespräch belauscht, um selbst an Informationen zu kommen?«

Der Blick des Mädchens flackerte verräterisch.

Lennox, immer noch vor dem Fenster stehend, lachte auf. »Ich will etwas aus dir rausbekommen, das du nicht ausspucken willst, und du willst etwas aus ihr rausbekommen, das sie nicht ausspucken will. Schon irgendwie ... witzig.«

»Todwitzig«, entgegnete Darius, fuhr sich durchs Haar und machte Anstalten, sich dem Mädchen zu nähern, woraufhin sie ihren Dolch warnend höher hob.

»Du kommst nicht aus diesem Zimmer, ehe du uns nicht gesagt hast, warum du uns belauscht hast«, sagte er klar vernehmbar. »Je eher du redest, desto schneller können wir alle wieder unserer Wege gehen.« Er sah das Mädchen auffordernd an. »Also?«

Sie wog ihre Möglichkeiten ab und kam wohl zu der Erkenntnis, dass sie nicht viele hatte. Daran, den Mund aufzumachen und zu reden, dachte sie trotzdem nicht. »Was ist mit dem Mann da passiert?«

Lennox gab einen quakenden Laut von sich. »Das können wir leider nicht beantworten, weil wir es selbst noch nicht wissen. Seine Eier hat er aber noch«, schloss er, als wäre dies eine wichtige Information, die er ihr keinesfalls vorenthalten wollte.

Darius musterte das Mädchen mit eindringlichem Blick; das Mädchen starrte nicht minder eindringlich zurück.

Sie weiß irgendetwas. Und sie fürchtet sich. Allerdings nicht vor Lennox oder mir.

»Weißt du es?« Er hielt einen Sekundenbruchteil inne. »Wer den Mann getötet hat?«

Abermals huschte eine Vielzahl von Emotionen über das Gesicht des Mädchens. Abermals wog es seine Situation ab.

»Ich hoffte«, setzte es aufrichtig, aber noch genauso widerborstig wie zuvor an, »dass ihr mir sagen könnt, wo ich die Mörderin finde.«

LENNOX

»Mörderin?«

Lennox schüttelte den Kopf, um seinen Unglauben zu demonstrieren, sagte dann aber: »Wobei; eigentlich ergibt das durchaus Sinn. Männer zu kastrieren, dürfte einer Frau weit mehr Freude bereiten als einem Mann.«

»Wie kommst du darauf, dass dies die Tat einer Frau war?«, warf Darius ein.

Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Die Leute reden.«

»Uns ist nichts zu Ohren gekommen«, kommentierte Lennox.

»Ich meine ja auch nicht die Leute hier.«

»Du meinst«, sagte Darius langsam, »dass du der Mörderin schon länger folgst?«

Das Mädchen nickte.

»Und du hast sie schon mal gesehen?«

»Nein«, gestand sie mit hörbarer Frustration in der Stimme. »Ich weiß nur, was die Leute flüstern.«

»Und was ist das?«, half Lennox der Kleinen auf die Sprünge. Es ging ihm gehörig gegen den Strich, dass er heute jedem alles aus der Nase ziehen musste. Obendrein war die Luft in diesem Zimmer alles andere als angenehm. Selbst der Tote würde jammern, dass er seinen Gestank nicht länger aushält – sofern er noch dazu in der Lage wäre.

»Sie ist schnell und lautlos, wie ein Geist«, erklärte das Mädchen. »Und stark.« Ihre Augen funkelten. »Manche nennen sie die Rächerin der Frauen, andere den weißen Tod.«

Darius hob die Brauen. »Den weißen Tod?«

»Wegen ihrer hellen Haut und ihrem Kleid. Es soll so weiß sein, dass es nicht von dieser Welt stammen kann. Und ihre Augen ...« Sie verlor sich in einem Gedanken, sprach ihn aber nicht aus. »Sie selbst soll nicht von dieser Welt sein. Behaupten zumindest die Frauen, die sie gesehen haben.«

»Eine Mörderin in einem Kleid?«, amüsierte sich Lennox, während Darius sich, wie meist, auf das Wesentliche konzentrierte.

»Soll das heißen, nur Frauen können sie sehen?«

Ein boshaftes Grinsen stahl sich auf die Lippen des Mädchens. »Es bleiben meist keine Männer übrig, die noch von irgendetwas berichten könnten.«

Ein Moment der Stille.

Lennox stieß die Luft aus. »Wir suchen also eine unpassend gekleidete Mörderin, die Männer hasst. Fantastisch.« Täuschte er sich, oder verdaute Darius diese Information weit schneller als er? Wie konnte es sein, dass gerade er so wenig beunruhigt wirkte?

»Warum suchst du nach ihr?«, wollte Darius von dem Mädchen wissen. Er musterte sie eindringlich, ehe ein ahnendes Funkeln durch seinen Blick glitt. »Gibt es«, setzte er eine Nuance weniger autoritär an, »einen Mann, den sie für dich–«

»Nein«, schnitt ihm das Mädchen das Wort so resolut ab, dass es den Anschein hatte, es war exakt so, wie Darius vermutete. Glücklicherweise stocherte sein Freund nicht weiter in dieser möglichen Wunde, sondern erwiderte: Weshalb willst du diese mysteriöse Mörderin dann finden?«

»Meine Gründe gehen nur mich etwas an«, erklärte sie mit nach oben gerecktem Kinn.

Lennox stimmte ihr insgeheim zu. Allerdings nur bedingt. Bedingt hieß: in ihrem Fall traf das Recht auf eigene Gründe nicht zu. Zumindest vorerst nicht. »Ich bin dafür, dass wir sie mitnehmen und in eine Zelle sperren«, erklärte er daher. »Zu ihrer eigenen Sicherheit.« Er maß das Mädchen, ehe er abermals Darius ins Auge fasste. »Außerdem glaube ich, dass sie uns nicht alles gesagt hat, was sie weiß.«

Ein gedehnter Augenblick verging, dann nickte Darius.

Obwohl der Vorschlag von Lennox kam und er froh war, dass Darius nicht, wie üblich, anderer Ansicht war, befiel ihn ein Hauch von Unbehagen. Mädchen in Zellen zu sperren war nicht unbedingt Darius’ Art. Was beschäftigt ihn, dass er diesem Vorgehen ohne Zögern zustimmt?

Zweifelsohne hatten sie die Rechnung ohne das Mädchen gemacht. Sie hegte keinerlei Absicht sich dem Schicksal zu fügen, das Darius und er für sie zurechtgelegt hatten.

Wie ein Berserker preschte sie, den Dolch voran, auf Darius zu, der prompt reagierte und den Hieb gekonnt abwehrte. Gelernt war nun mal gelernt. Es dauerte keine fünf Sekunden, da hatte er das Mädchen entwaffnet und hielt ihr sowohl die Spitze ihres Dolches als auch die seines Schwertes vor die Brust.

»Glaub mir«, sagte er, die Stimme dunkel. »Du willst dich nicht mit mir anlegen. Nicht heute. Lass die Faxen und begleite uns freiwillig. Andernfalls muss mein Leutnant dich wie ein Paket zusammenschnüren, was deinem Stolz eine Ecke ausschlagen dürfte.«

Die Augen des Mädchens loderten auf – aber nur kurz. Dann legte sich ein Schleier darüber. Irgendetwas an Darius’ Worten traf sie bis ins Mark.

Das wiederum traf Lennox an einer undefinierbaren Stelle, sodass er sich genötigt fühlte hinzuzufügen: »Freie Kost und ein Dach über dem Kopf – du könntest es schlimmer treffen. Wie der da, beispielsweise.« Er wandte den Kopf und musterte den Toten, der mit jeder Sekunde mehr stank und eine größere Anzahl von Fliegen anzog. »Er wünscht sich sicher, er hätte sich ein anderes Haus für die Nacht ausgesucht.«

DARIUS

Er bedauerte, dass sich das Mädchen nicht einsichtig gezeigt hatte. Er konnte gar nicht sagen, wie sehr. Vor allem, als sich herausstellte, dass Lennox ohne Pferd unterwegs war.

Mit anderen Worten: Es war darauf hinausgelaufen, dass Darius ein an Händen und Füßen verschnürtes Mädchen vor sich über dem Rücken seines Pferdes durch die Stadt transportieren musste.

In Folge dieser für alle Beteiligten unbequemen Lage, insbesondere der menschlichen, trieb Darius seinen Wallach derart an, dass es das lebende Bündel gehörig durchschüttelte. So gehörig, dass das Mädchen irgendwo auf halbem Weg begann, sich zu übergeben; auf sein Pferd und seine Stiefel. Damit war das Maß des Tages voll. Selbst Lorin gab ein abschätziges Schnauben von sich.

Nachdem das Mädchen ihren Magen entleert und er seine Stiefel behelfsmäßig gesäubert hatte, schob Darius die Kleine unsanft zurück auf den Pferderücken und hielt umstandslos Kurs auf das im Zentrum gelegene Gebäude der Stadtwache. Dort angekommen, zog er sie wenig sanft von Lorin und verfrachtete sie in eine der Zellen, ohne auch nur ein weiteres Wort mit ihr gewechselt zu haben.

Er erteilte Befehl, ihr Wasser und etwas zu essen und ihm einen Krug Bier in sein Dienstquartier zu bringen, wo er sich erschöpft auf dem Stuhl hinter dem Schreibtisch niederließ. Darius hatte seit geraumer Weile Kopfschmerzen – genaugenommen, seit er aus dem Bett geworfen worden war. Inzwischen war das Pochen kaum noch auszuhalten. Doch wie könnte er sich jetzt ins Bett legen? Selbst wenn er nicht der Hauptmann wäre; wenn er nur ein Mann wäre, der weiß, was er weiß.

Darius vergrub das Gesicht zwischen den Händen. Eine professionelle Mörderin – warum musste sie gerade jetzt auftauchen?

Manchmal, an Tagen wie diesen mehr als an anderen, haderte er mit seinem Titel. Seinem Erbe. Dem, was er tat. Weil er etwas bewirkte, aber dennoch nichts ausrichtete. Am Ende taten die Götter doch, was sie tun wollten. Ihr Wille war es, der zählte. Nicht der der Menschen. Und ganz bestimmt nicht der seine.

Als ihm sein Bier gebracht wurde und er so erschrak, dass er den Boten anschrie, nahm Darius sich vor, sich die Seele freizureden, sobald Lennox einen Fuß über die Türschwelle gesetzt hatte.

Er musste es laut aussprechen; sich jemandem mitteilen. Auf dass er endlich glaubte, was er mit eigenen Augen gesehen hatte.

Eine Berührung an seiner Schulter ließ Darius abrupt in die Höhe schießen. Sein Nacken, er war steif wie ein Brett, gab ein unheilvolles Knacken von sich.

»Langsam, mein Bester!« Lennox stand vor ihm; die Handflächen besänftigend in die Höhe gereckt, den Blick auf das spitze Silber gerichtet, das auf seinen Oberkörper zielte.

Darius konnte nicht sagen, wann er sein Schwert gezogen hatte, doch er hielt es in der Hand. Er war nur ein Stück davon entfernt Fleisch am Stiel aus seinem Freund zu machen.

»So schreckhaft kenn ich dich gar nicht«, kommentierte Lennox in einer Mischung aus Amüsiertheit und Sorge, ohne das blitzende Silber aus den Augen zu lassen. »Ich hatte Hoffnung, dass dich ein paar Stunden Schlaf wieder zu dir selbst machen. Wenn ich dich so ansehe, hab’ ich mich wohl geirrt.«

Das Schwert halb zurück in die Scheide geschoben, horchte Darius auf. »Ein paar Stunden Schlaf?« Raschen Schrittes trat er ans Fenster und sah nach draußen. Es war noch hell, doch zeigte sich das Licht des Himmels bereits gedämpft.

»Wieso hat mich niemand geweckt?« Sein Blick verfinsterte sich. »Wieso hast du mich nicht geweckt!?«

Lennox zuckte mit den Achseln. »Als ich eintraf, hast du selig deinen Schreibtisch vollgesabbert. Ich dachte mir, so wie du aussiehst, hast du Schlaf bitter nötig.« Er neigte den Kopf. »Ich schätze, ich hätte dir noch ein paar Stunden mehr zum Sabbern geben sollen.«

Darius war wütend. Auf sein Gegenüber, aber noch mehr auf sich selbst, weil ihn seine Müdigkeit niedergestreckt hatte, wie einen Knaben ohne Rückgrat.

Lennox lehnte sich gegen die Tischkante, verschränkte die Arme vor der Brust und sah Darius auffordernd an. Das Licht von draußen spiegelte sich in seinen blauen Augen und ließ sie noch heller erscheinen. Wenn Darius sich nicht irrte, waren sie nicht frei von Müdigkeit.