Dein Leben und meins - Majgull Axelsson - E-Book

Dein Leben und meins E-Book

Majgull Axelsson

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Beschreibung

Märit hat Nörrköping über fünfzig Jahre nicht betreten – und keine Sekunde hat sie den Ort, an dem sie in den sechziger Jahren ihre Kindheit verbracht hat, vermisst. An ihrem siebzigsten Geburtstag kehrt Märit nun in ihre Heimatstadt zurück. Hier wurde damals ihr geistig behinderter Bruder Lars in ein Heim gegeben und kam grausam zu Tode. Nie wurde darüber gesprochen. Doch Märit will nicht länger schweigen. Sie muss sich ihrer Vergangenheit stellen – und die Bewohner ihrer alten Heimat dazu bringen, es ihr gleich zu tun.

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Die Autorin

Majgull Axelsson ist eine der erfolgreichsten Autorinnen Schwedens. Ihren Durchbruch hatte sie 1997 mit dem Roman »Die Aprilhexe«, für den ihr der renommierte August-Preis der schwedischen Verlegervereinigung verliehen wurde. Als ausgebildete Journalistin hat sich Majgull Axelsson schon immer für gesellschaftliche Randgruppen interessiert und ihnen in ihren Büchern eine Stimme verliehen.

Das Buch

Märit hat ihre Heimatstadt Norrköping vor fünfzig Jahren hinter sich gelassen – und keine Sekunde hat sie den Ort, an dem sie in den 60er Jahren ihre Kindheit verbracht hat, vermisst. An ihrem siebzigsten Geburtstag kehrt Märit nun für einen letzten Besuch zurück. Damals wurde ihr geistig behinderter Bruder Lars in ein Heim gegeben und kam grausam zu Tode. Nie wurde darüber gesprochen. Doch Märit will nicht länger schweigen. Sie muss sich ihrer Vergangenheit stellen – und die Bewohner ihrer alten Heimat dazu bringen, es ihr gleichzutun.

Majgull Axelsson

Dein Leben und meins

Aus dem Schwedischen

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

ISBN 978-3-8437-1808-0© 2017 by Majgull Axelsson and Brombergs Bokförlag AB 2017© der deutschsprachigen AusgabeUllstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018Alle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, MünchenUmschlagabbildung: © Bridgeman ImagesE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.com

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Inhalt

Titelei

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Unser großer kleiner Bruder

2013

Zeit der Schatten

1962

Die glücklichste Stadt der Welt

2013

Der Weg der Sonne

1962

Die Verschwörung des Schweigens

1962

Anhang

Danke

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Unser großer kleiner Bruder

Wir haben in dieser Diskussion über die erbbiologische Problematik der Klassendiversität vorläufig den gesellschaftlichen Bodensatz von Individuen, belegt mit geerbten Eigenschaften krankhaften oder mit Makel belegten Charakters (Schwachsinn, gewisse Geisteskrankheiten, gewisse körperliche Krankheiten), die sie von allen Gesellschaftsklassen ausschließen, vollkommen außer Acht gelassen.

Die immer häufiger durchgeführte Standardisierung von Arbeitsbedingungen und die stärker ins Gewicht fallende rational-ökonomische Sichtweise der Unternehmen – das Aussterben des patriarchalischen Verhaltens bei den Einstellungskriterien – beraubt diese unglücklichen Übriggebliebenen mehr und mehr jeder Möglichkeit, einen Einsatz zu leisten, mag es auch für einen niedrigeren Lohn sein, der moralisch ihr Leben verteidigt und ihnen zum Nötigsten fürs Leben verhilft.

Alva und Gunnar Myrdal

Das Fundament des Heims ist Gemeinsamkeit und Einverständnis.

Per Albin Hansson

Unser großer kleiner Bruder

2013

Es ist natürlich dumm, in Lund aus dem Zug auszusteigen, das sehe ich schon in dem Moment ein, in dem ich es tue. Was habe ich in Lund zu tun? Nichts. Schließlich bin ich doch auf dem Weg nach Stockholm und dem, was ich die Wirklichkeit nenne, wenn auch mit einem kurzen – einem sehr, sehr kurzen! – Aufenthalt in Norrköping. Doch als der Zug an Geschwindigkeit verliert, flackert etwas in meinem Hinterkopf auf, nicht ein Gedanke, nicht einmal ein Gefühl, nur der zwingende Drang, mit dem die Andere vielleicht, möglicherweise, eventuell etwas zu tun hat. Also stehe ich auf, nehme den Mantel von der Hutablage herunter, schnappe mir die Handtasche und zwänge mich an dem Mann neben mir vorbei. Er hat seinen Laptop herausgeholt und ist so tief darin versunken, dass ich gezwungen bin, ihn anzustupsen, damit er mich durchlässt. Ich kann erkennen, was er sich ansieht. Einen Film. Einen Film, in dem Menschen mit Pistolen schießen und dann von brennenden Gebäuden purzeln ohne hinzufallen oder sich irgendwie wehzutun.

Ich schnaube nicht. Darauf möchte ich gern hinweisen. Die Andere bringt mich inzwischen nur noch selten dazu, verächtlich zu schnauben, sodass die Leute es hören können. Ganz im Gegenteil. Ich neige den Kopf zur Seite, bedanke mich lächelnd und sehe einfach nur ungefährlich aus, damit niemand erkennen kann, wie verrückt ich eigentlich bin. Meistens gelingt mir das. Der Zivilisationsprozess schreitet voran, unabhängig davon, was in meinem Kopf vor sich geht, und dafür bin ich unsäglich dankbar. Die Andere ist nicht so dankbar. Sicher, der Zivilisationsprozess hat schon seine Vorteile, das gibt sie gern zu, aber er macht das Dasein nun wirklich nicht lustiger. Eher gibt er den Schurken fantastische Möglichkeiten, solche wie uns hinter sich zu lassen, mit hängenden Schultern und einem Gesichtsausdruck, der für alle Ewigkeiten an alte Standuhren erinnert. Ich weise dann immer darauf hin, dass es nur wenige wie uns gibt und dass – nicht zuletzt – es fraglich ist, ob wir nicht auch den Kriminellen zugerechnet werden sollten, obwohl das, was passiert ist, bereits vor vielen Jahrzehnten geschah. Aber weil es nun einmal eine Tatsache ist, dass keine von uns gern bei diesem Thema verweilt, verzichtet sie meistens darauf, mich hörbar schnauben zu lassen. Sie hat angedeutet, das liege daran, dass oberflächliche Schuldgefühle mich mürrisch machten. Da könnte etwas dran sein.

Leider.

Ich habe mir den Mantel anziehen können, es aber nicht geschafft, ihn zuzuknöpfen, als ich plötzlich auf dem Bahnsteig stehe, die Reisetasche neben mir, und zur Besinnung komme. Mein Gott! Ich bin in Lund. Warum um alles in der Welt bin ich in Lund aus dem Zug gestiegen? Das ist doch total bescheuert. Ich bin ein Idiot. Leider drücke ich mich ungefähr auf die gleiche Art und Weise aus, wie man es früher getan hat, in den richtig guten alten Zeiten, und folglich zwingt mich die Andere, mir zur Strafe leicht auf die Zunge zu beißen. Währenddessen kann ich feststellen, dass mein Zug immer noch am Bahnsteig steht, dass die Tür zu meinem Waggon immer noch geöffnet ist, und einen Atemzug lang bin ich versucht, wieder hineinzuspringen, die Tasche zu packen und mich zurück auf meinen reservierten Platz zu drängen. Sekunden später sehe ich ein, dass das ausgeschlossen ist.

Es würde vollkommen merkwürdig wirken. Ein verrücktes Frauenzimmer springt aus dem Zug, um kurz danach wieder einzusteigen. Nein. Das geht nicht. So ein Verhalten wäre die reinste Alzheimerwarnung.

Ich bin in Lund ausgestiegen. Also bin ich gezwungen, in Lund zu bleiben. Zumindest für eine Nacht.

Sobald ich den Bahnhof verlasse, packt der Wind mein Haar, zupft daran und lässt die Luft von Skåne tief bis zur Kopfhaut vordringen. Das gefällt mir nicht. Ich hatte immer ein wenig Angst vor der Luft in Skåne; ohne es mir richtig erklären zu können, habe ich die Vorstellung, dass sie es ist, die diese Arglist der Menschen aus Skåne verursacht, die meine Großmutter stets als Aufrichtigkeit bezeichnet hat. Nicht gerade ein Gedanke, der einem ansonsten gut funktionierenden Gehirn schmeichelt, worauf die Andere augenblicklich hinweist. Aber einige Menschen aus Skåne sind wirklich ziemlich arglistig, und wer, wenn nicht die Andere sollte wissen, dass wir einige von dieser Sorte viel zu gut haben kennenlernen müssen. Dennoch behauptet sie hartnäckig, dass die meisten Leute aus Skåne sind wie alle anderen, gut und böse zugleich, aber mit einem gewissen, wenn auch nur wenig stärkeren Hang zu der guten Seite. Ihr gefällt die Luft hier in Skåne; paradoxerweise gibt sie ihr das Gefühl, frei zu sein. Also bringt sie mich dazu, tief einzuatmen, und einen Moment später behauptet sie, dass sich in diesem Luftstrom winzige Partikel befinden, die unser Bruder früher einmal eingeatmet hat. Irgendwelche Sauerstoffatome, die also eine Art ewiger Familienbesitz sein sollen. Das wird mir jetzt zu viel. Ausnahmsweise bin ich bereit, laut mit ihr zu reden.

»Sei nicht so verflucht lächerlich«, zische ich.

Ein Mann, der sich soeben durch die Türen des Bahnhofsgebäudes drängt, wirft mir einen ängstlichen Blick zu und eilt weiter. Die Andere zieht sich dagegen augenblicklich zurück und schmollt. Was nur gut ist. Es könnte nicht besser sein.

Ich packe meine Reisetasche und gehe los.

Signe gibt es, sage ich zu mir selbst, während ich die Straße überquere. Signe gibt es, und das tröstet über alles andere hinweg.

Die Andere schnaubt verärgert hinter meiner Stirn, kommentiert meine Gedanken aber nicht. Was ungewöhnlich ist. Normalerweise bringt sie einen Einwand nach dem anderen an. Dass Signe viel zu weit entfernt lebt, als dass ich mich über ihre Existenz so freuen könnte. Dass sie genau genommen nur ein ganz normales einjähriges Mädchen ist, nicht ein Geschenk Gottes für die gesamte Menschheit. Und dass sie außerdem ein richtiges Mamakind ist.

Was vielleicht gar nicht so dumm ist. Vielleicht bedeuten all die kritischen Einwände, dass die Andere endlich begriffen hat, dass mein Enkelkind nur mir gehört, dass sie selbst mit der Tochter meiner Tochter nicht das Geringste zu tun hat. Das geschieht ihr recht!

Ich schaffe es kaum, diesen Gedanken zu Ende zu führen, da stolpere ich über die Bürgersteigkante. Den Bruchteil einer Sekunde lang bin ich kurz davor zu fallen, vor meinem inneren Auge kann ich die zerbrochene Brille und Schürfwunden auf der Nase sehen, bevor ich mühsam das Gleichgewicht wiedererlange und mich aufrichte. Schnell schnappe ich nach Luft und trete auf den Bürgersteig.

Das nur als Warnung, flüstert die Andere von ihrem Platz in meiner pochenden Schläfe mir zu. Du hast dich jetzt an deinem blöden Enkelkind mehrere Wochen lang berauschen können. Jetzt muss damit mal Schluss sein!

Ich schließe die Augen und verspreche stumm, zu gehorchen.

Das Grand Hotel ist wunderbar, so wunderbar, dass man fast sehen kann, wie es sich damit brüstet. Seht nur meine prächtige Treppe! Mein makelloser Kronleuchter! Mein Marmorfußboden im Schachbrettmuster! Ich bleibe auf dem Teppich in der Lobby stehen und versuche schnell einen Überblick zu gewinnen. Eine junge Frau steht hinter dem Empfangstresen, eine für unsere Zeit äußerst typische junge Frau, so eine, die sehr hübsch sein muss, das aber nicht zeigen darf. Blond, mit einem Pferdeschwanz und strahlend blauen Augen. Diskretes Make-up. Sorgfältig manikürte, aber sehr kurz geschnittene Fingernägel. Kleine Perlen in den Ohren. Gekleidet in eine hellblaue Bluse und einen dunkelblauen Blazer. Sie wirft mir ein strahlend weißes Lächeln zu.

»Kann ich Ihnen helfen?«

Ihre Stimme ist durch und durch freundlich, dennoch durchfährt mich bei ihrer Frage eine Welle der Scham. Plötzlich sehe ich mich selbst mit ihren Augen: ältere Frau mit faltigem Hals, die ersten Altersflecken auf den Händen, ungewaschen, vom Wind zerzaustes Haar, staubige Schuhe und ein Mantel, der nur zur Hälfte zugeknöpft ist. Andererseits ist es ein teurer Mantel, fast ebenso teuer wie meine extrem teure Handtasche, und das sieht sie. Die Andere wird munter und versucht mir schnell einzureden, dass diese junge Frau möglicherweise glaubt, ich wäre eine amerikanische Professorin, die sich verlaufen hat, aber ich ignoriere sie, obwohl die Rezeptionistin ihr überraschenderweise sogar hilft. Sie lächelt nämlich jetzt noch strahlender und geht ins Englische über:

»Can I help you, madam?«

Nun spiel schon mit, flüstert die Andere. Tu so, als wärst du diese Professorin, tausche dein Leben und deine Gedanken mal für ein paar Tage mit jemandem aus Harvard oder Yale! Aber ich lasse mich nicht überreden. Schließlich bin ich diejenige, die entscheidet, und jetzt entscheide ich, dass die Wahrheit gelten soll (zumindest größtenteils), ganz gleich, wie blass, langweilig oder verworren sie auch ist. Also lege ich den Kopf schräg und lächle etwas verwirrt.

»Oh, Entschuldigung. Ich glaube, ich habe geträumt. Ja, ich hätte gern ein Zimmer. Nur für eine Nacht, wenn das möglich ist.«

Und natürlich ist das möglich. Das ist sogar ganz problemlos möglich.

Ich muss den Fahrstuhl nehmen, obwohl es nur eine Treppe nach oben ist. Die Reisetasche ist zu schwer, diese Tasche, die alles enthält, was ich während der letzten Wochen gebraucht habe, plus so einiges, das ich nicht gebraucht habe. Ich schließe die Augen, als ich den Fahrstuhlknopf drücke und versuche mich zu erinnern. Ich habe doch noch ein fast nicht getragenes Kleid in der Tasche? Und das könnte ich wohl zum Essen heute Abend anziehen? Ja. Da bin ich mir ganz sicher. Die Andere ihrerseits ist bombensicher in dieser Frage und darauf weist sie mich energisch hin. Das ist doch das blaue, aber im Hinblick darauf, wie empfindlich ich heute zu sein scheine, versucht sie mir gleichzeitig einzureden, dass dies mein eigener Gedanke ist. Sie will meine Geduld ja nicht strapazieren. Ganz und gar nicht.

Der Hotelflur ist beeindruckender als jeder Flur, den ich bisher gesehen habe, selbst in Indien. Eierschalenfarbene Wände. Durch die in Blei eingefassten Fenster im Treppenhaus fällt glänzendes Licht herein. Blank geputzte Messingtürgriffe. Spiegel mit vergoldeten Rahmen und hohe Doppeltüren für jedes Zimmer. Aber dennoch ist es das Zimmer selbst, das mir wirklich den Atem raubt. Ich hatte ein normales kleines Hotelzimmer erwartet, das aussieht, wie es normale kleine Hotelzimmer nun mal tun, in Europa wie in den USA, selbst in einem Hotel mit einer wunderbaren Lobby. Leicht heruntergekommen. Aber das hier ist kein leicht heruntergekommenes Zimmer. Das ist ein großartiger Raum. Prachtvoll. Mit hoher Decke. Echten Teppichen. Plus einem gigantischen Bett, fast so hoch wie das der Prinzessin auf der Erbse, und versehen mit – ich zähle sie schnell – acht Kissen in verschiedenen Größen, Formen und Weichheitsgraden. Luxus. Derartige Exzesse gönne ich mir normalerweise nicht, aber zum ersten Mal seit Langem spüre ich, wie das schlechte Gewissen nur ganz kurz aufblitzt und dann gleich in sich zusammenfällt und verschwindet.

Ich brauche dieses Hotelzimmer. Ich brauche es, um das zu ertragen, was in Norrköping auf mich wartet, auch wenn mir gleichzeitig klar ist, dass ich es nicht gerade verdient habe. Andererseits: Wer soll erfahren, wo ich für eine Nacht in Lund gewohnt habe? Niemand. Wenn nicht die Andere darauf besteht, dass darüber gesprochen werden sollte.

Was möglicherweise passieren wird.

Wann waren wir das letzte Mal in Lund? Ich verziehe das Gesicht in dem Moment, in dem ich das denke, und die Andere stimmt mir wortlos zu. Diese Frage ist ja sowohl falsch als auch lächerlich, und es gibt Augenblicke, in denen keine von uns falsche und lächerliche Fragen toleriert. Wir wissen es doch ganz genau. Einundfünfzig Jahre lang ist es uns gelungen, uns von dieser Stadt fernzuhalten. Es sind genau einundfünfzig Jahre, zwei Monate und acht Tage, seit wir das letzte Mal hier waren. Mit anderen Worten: nicht gerade gestern.

Dennoch ist vieles da draußen vor dem Fenster immer noch unverändert. Über den Bahnhofsvorplatz eilen ein paar Studenten, und eine leicht übergewichtige Madame mit prall gefüllten Einkaufstaschen watschelt langsam hinter ihnen her, während ein paar sehnige Männer mittleren Alters auf dem Fahrrad vorbeihuschen, vermutlich Universitätslektoren oder gar Professoren, den sorgfältig abgegriffenen Aktentaschen nach zu urteilen, die sie auf den Gepäckträgern befestigt haben. Die gleichen Menschen wie vor einundfünfzig Jahren. Die gleichen Bewegungen. Die gleichen Aufgaben. Vielleicht mit der Ausnahme, dass die Professoren inzwischen aufs Fahrrad umgestiegen sind und dass einer der Studenten in sein Handy spricht.

Zeit bedeutet nur wenig in diesem Land. In Schweden sind gewisse Teile der Vergangenheit so vergangen, niedergezwungen und überwunden, dass man so tun kann, als erkenne man sie nicht wieder, selbst wenn sie sich einem aufzwingen. Nichts, was man wirklich ernst nehmen müsste. Und wenn man sich trotz allem darum kümmern muss, dann kann man sie immer noch ein wenig zurechtbiegen …

Wie man es mit der Erinnerung an die Irrenhäuser des Wohlfahrtsstaates getan hat.

Es ist die Andere, die, trotz ihrer Einwände vor einer Weile, diesen Gedanken nachdrücklich hervorbringt. Mein Körper erstarrt, Wut steigt schnell in der Magenregion auf, jeder einzelne Muskel erstarrt und leistet Widerstand, aber Sekunden später entspanne ich mich und akzeptiere die Tatsache. Sie braucht mich gar nicht daran zu erinnern. Dieses Wort habe ich wohl gehört. So sprach man früher auf der Welt über Orte wie den, an dem mein Bruder unterging. Ich bin bereit, mich daran zu erinnern.

Endlich, flüstert die Andere. Bist du auch bereit, dich an mehr zu erinnern?

Kajsa glaubte nie, dass ich mich an meine eigene Entstehung auf dieser Erde erinnern könnte. Und natürlich hat sie recht. Nicht ich erinnere mich. Es war die Andere, auch wenn ich es damals noch nicht einsehen wollte.

»Sei nicht albern«, sagte Kajsa und zupfte die Früchte von einer Rispe Johannisbeeren ab, ließ die roten Beeren wie Rubine in ihre gewölbte rechte Hand fallen. Sie warf einen kurzen Blick aufs Haus. Hatte Tante Olsson sie gesehen? Würde sie gleich im Garten aufmarschieren und einen ihrer Vorträge darüber halten, wie wichtig es sei, das Eigentum anderer Menschen zu respektieren? Die Mieter durften sich zwar im Garten aufhalten, sie durften sogar eigene Gartenmöbel auf angewiesene Plätze stellen, aber sie hatten nicht das Recht, sich an den Gaben des Gartens zu bedienen. Dieses Recht stand einzig und allein der Familie Olsson zu. Es waren also Olssons Johannisbeeren, Olssons Stachelbeeren, Olssons Rhabarber und – das Wichtigste von allem – Olssons höchsteigene Erdbeeren, da es nun einmal das Haus der Familie Olsson war und deshalb auch der Garten der Familie Olsson. Ob Kajsa das verstanden hatte?

Das hatte Kajsa, ganz ohne Vortrag, also drehte sie dem Haus den Rücken zu und starrte auf die Ligusterhecke, die ihren (nein, Olssons) Garten von dem meines Vaters trennte, während sie sich die Johannisbeeren in den Mund schüttete.

»Niemand kann sich an seine eigene Zeugung erinnern«, sagte sie und strich ihr Kleid glatt. Sie hatte es im Handarbeitsunterricht selbst genäht, es hatte ein dunkelrotes und grünes Blumenmuster auf weißem Grund. Sehr große Blumen, um ehrlich zu sein, der Stoff war geradezu überschwemmt von Rosen. Total altmodisch, laut unserer Mitschülerin Cecilia. Großblumige Muster waren vor zwei Jahren modern gewesen. Jetzt war das unmodern. Geradezu lächerlich. In diesem Sommer sollte man Bardot-Karos tragen. Und Cecilia musste das wissen, war ihr Vater doch Vertreter für eine Textilfabrik, und manchmal durfte sie nach Stockholm fahren, nur um Kleider zu kaufen. Nicht dass es Kajsa interessierte, was Cecilia sagte. Andere mochten sich von Cecilia herumgeschubst fühlen, aber nicht Kajsa, nein, vielen Dank. Kajsa ließ sich von niemandem herumschubsen. Andererseits schubste sie auch niemanden herum, zumindest nicht mit Absicht. Nicht einmal mich.

»Zeugung?«, fragte ich.

»Ja. Die Befruchtung. Oder Entstehung, wie du es genannt hast.«

»Doch«, widersprach ich und zitterte vor Begeisterung über das neue Wort. »Ich kann mich ganz deutlich an meine Befruchtung erinnern.«

Was natürlich eine blanke Lüge war. Zwar konnte ich mich an unsere Befruchtung erinnern, aber es entsprach nicht der Wahrheit, wenn ich behauptete, dass ich mich deutlich erinnern konnte. Ganz im Gegenteil. Es war eine schwammige Erinnerung der Anderen, ungefähr so, wie man bereits halbvergessene Träume erinnert, aber damals wusste ich noch nicht, dass es sie in mir gab, und deshalb war unsere Entstehung nur ein unscharfes Bild, auf weite Entfernung zu erahnen. Die Befruchtung ist nämlich kein Big Bang mit dröhnenden Explosionen und aufblitzendem Feuerwerk, es ist ein langsames Erwachen aus dem Nichts zu Etwas, ein langsames Auftauchen aus der Tiefe des Meeres bis an die Wasseroberfläche. Es braucht unendlich viel Zeit, bevor man einsieht, dass es geschehen ist. Dass man existiert. Und anschließend braucht es noch längere Zeit, bevor man begreift, was das tatsächlich mit sich bringt: dass die Existenz ihre Grenzen hat, aber diese Grenzen ständig ausgedehnt werden. Zuerst mit den wunderbaren Fähigkeiten der Zunge. Dann mit den Fingern und Zehen, die die Welt erweitern. Die Intimität der weichen Bauchhaut unter einer Handfläche. Das Spielerische eines Kitzelns unter der Fußsohle. Und in meinem Fall die wachsende Einsicht, dass ich nicht allein war, dass ein Herz direkt neben mir im gleichen Takt schlug wie meines und – nach einer weiteren Zeitspanne – das Erstaunen darüber, dass auch noch ein drittes Herz in unserem Universum schlug, wenn auch schneller und mit mehr Kraft. Wir waren zu dritt! Zwar mit nur zwei Mutterkuchen, aber dennoch waren wir drei!

So bleibt die Frage für alle Ewigkeit offen: Wie viele Kinder gab es in der Familie Johansson? Vier? Drei? Oder vielleicht nur zwei?

Gute Frage. Aber die Antwort fällt danach aus, wer sie stellt. Zwei, würden Großmutter und Großvater behauptet haben, und das mit gewissem Nachdruck. Jonas würde ihnen zweifellos zustimmen. Während Mama trotzig den Kopf in den Nacken werfen und sie damit nicht davonkommen lassen würde. Drei! So war es nun einmal. Und Papa würde wortlos zustimmend nicken. Drei Kinder gab es in der Familie Johansson! Und all das, während ich im Geheimen weiterhin auf der Existenz der Anderen beharren würde. Sie war doch das vierte Kind. Es gab sie, es gibt sie, sie existiert, obwohl mich diesbezüglich manchmal Zweifel überfielen und ich glaubte, ich litte an einer äußerst sonderbaren Form von Persönlichkeitsspaltung.

Als ich zum Studium nach Lund kam, nahm ich eine nicht unerhebliche Summe von meiner kleinen, gesparten Geldreserve und ging heimlich zu einem Psychologen.

»Ich bilde mir ein, es wäre meine Schwester«, sagte ich. »Meine Zwillingsschwester. Sie starb bei der Geburt …«

Die Psychologin schaute mich etwas misstrauisch an.

»Und sie spricht mit dir?«

Ich seufzte:

»Nun ja, reden kann man das wohl nicht nennen. Ich kann ja nicht wirklich ihre Stimme hören. Das ist eher, als höre sie alles, was ich denke, und dann denkt sie genau das Gegenteil.«

»Was denkt sie denn?«

Ich breitete resigniert die Arme aus.

»Alles Mögliche. Sie hat eine Meinung zu allem, was ich tue, und allem, was mir gefällt …«

Die Psychologin legte den Kopf schräg und versuchte sanft zu klingen:

»Andere Meinungen als deine?«

Ich nickte eifrig.

»Fast immer. Und sie ist nicht besonders nett …«

Die Psychologin konnte ein kurzes Schmunzeln nicht verbergen.

»Dann bist du also die nette Schwester?«

Ich sah ihr leichtes Schmunzeln, und das verletzte mich. Ich blinzelte, um die Tränen zu unterdrücken, die mir in die Augen schossen, und wich dann ihrem Blick aus.

»So besonders nett bin ich wohl nicht … Aber auf jeden Fall netter als sie.«

Die Psychologin fühlte sich offenbar schuldig wegen ihres unprofessionellen Lächelns, jetzt lehnte sie sich in dem Sessel zurück, verstummte und versuchte mitfühlend auszusehen. Ich schaffte es dagegen nicht einmal eine Minute lang, dann brach ich in Tränen aus:

»Schließlich waren wir eineiige Zwillinge. Früher waren wir tatsächlich einmal ein und dieselbe Person! Der gleiche Mensch! Und dann ist sie gestorben, als wir geboren wurden … Daran muss Jonas schuld gewesen sein, ja, das war er, ich bin mir sicher! Er hat sich vorgedrängt, wie er sich immer vordrängt, er muss immer der Erste sein und das meiste haben, denn er ist ja immer der Größte und Wichtigste. Und dann ist es passiert, dass sich meiner Schwester die Nabelschnur um den Hals gewickelt hat, und sie ließ sich nicht mehr lösen, und dann ist sie gestorben … Sie starb, noch bevor sie auf die Welt kam!«

Jetzt weinte ich hemmungslos.

»Aber eigentlich ist sie gar nicht gestorben! Sie ist nur in meinen Kopf geschlüpft!«

Die Psychologin reichte mir ein Papiertaschentuch.

»Immer mit der Ruhe«, sagte sie, »das ist nicht so schlimm. Wir werden dir bei diesem Problem helfen.«

Doch das taten wir nicht. Denn ich ging nie wieder zu ihr. Sie hätte es sowieso nicht verstehen können, niemand hätte es verstehen können.

Und so ist es heute noch. Niemand weiß, dass es die Andere gibt. Niemand, nicht einmal Leif, mein Mann, der Einzige, der tief in mich hatte hineinblicken dürfen, hat davon etwas gewusst. Er hätte mir nicht geglaubt, niemand hätte mir geglaubt, hätte ich berichtet, wer sie ist, wie sie sich verhalten kann und wofür sie tatsächlich verantwortlich ist. Aber derartige Gedanken sind gefährlich, sie können sie reizen, doch das wird mir viel zu spät klar, also versuche ich schnell, den Gedanken auszulöschen. Man weiß nie genau, wozu sie in der Lage ist.

»Man darf nicht zu schnell urteilen«, flüstere ich deshalb in einem hilflosen Versuch, mich zu wappnen. »Das darf man einfach nicht.«

Die Andere, mein ganz persönliches kleines Monster, zischt wütend als Antwort. Ach ja? Jetzt lüge ich ganz sicher wieder. Ich bin tatsächlich ein durch und durch verlogener Mensch. Denn was behaupte ich da? Dass ich kein Urteil gefällt habe? Dass ich darüber hinaus nicht diejenige war, die dafür sorgte, dass die Strafe vollzogen wurde?

Ich antworte nicht, denke nicht einmal einen einzigen Gedanken, verschließe und unterdrücke alle Worte, trotzdem hört sie meine Antwort, dass sie es ist, nicht ich, die die Verantwortung für das trägt, was damals geschehen ist. Denn so ist es nun einmal. Sie war diejenige, die es getan hat! Sie! Sie!

Nein, widerspricht sie mir sofort. Das warst du! Du! Du!

Natürlich klingelt nun das Handy, genau in diesem Augenblick, in dem wir die Erinnerung an Das Große Geheimnis gestreift haben, Das Große Geheimnis, das wir normalerweise niemals erwähnen, über das wir noch nie ein Wort verloren haben. Das Signal lässt mich zusammenzucken, und es dauert einige Millisekunden, bis mir klar wird, woher das Geräusch kommt. Zwei weitere Male ist der Klingelton zu hören, bis es mir gelingt, das Handy aus der Handtasche zu fischen. Der Name, der sich auf dem Display zeigt, überrascht mich nicht. Früher einmal war es der Name meiner allerbesten Freundin, aber das ist schon viel zu lange her. Inzwischen ist es nur der Name meiner Schwägerin und Komplizin. Kajsa ist sehr darauf bedacht, gewisse Teile der Vergangenheit genau dort zu belassen, all das Alte ist ja seit Langem verborgen, vergessen und vergraben, darauf haben wir uns wortlos geeinigt. Vielleicht könnte man sagen, dass unsere Erfahrung Kajsa ein wenig verwandelt hat, sie mit der Zeit etwas spitzer in den Kanten hat werden lassen, ihre Stimme ist schärfer geworden und ihr bereits scharfer Blick geradezu durchdringend, aber das ist eine Entwicklung, die sich auch mit vielen anderen Dingen erklären lassen kann. Mit ihrem Ehepartner beispielsweise, meinem überaus geliebten Zwillingsbruder. Oder ihrer Karriere, der die Luft ausging, lange bevor die Rente anstand. Plus die Söhne natürlich, die ihr nie helfen und nie tun, was sie möchte. Tatsache ist, dass sie jetzt im Herbst ihres Lebens fast etwas angsteinflößend geworden ist. Weshalb ich mich aus lauter Furcht mit meinem muntersten Tonfall melde:

»Hey, Kajsa. Wie geht es dir?«

»Märit!«, antwortet Kajsa militärisch knapp, bevor sie ein kaum hörbares ungeduldiges Schnauben von sich gibt. »Mir geht es ausgezeichnet, vielen Dank. Wo bist du?«

»In Lund.«

Das ist eine Überraschung, und Kajsa schnappt nach Luft, plötzlich befinden wir uns am Rande Des Großen Geheimnisses, über das wir auf keinen Fall reden wollen. Kajsa ist in dieser Angelegenheit äußerst geschickt. Nicht eine Sekunde lang hat sie irgendjemanden auch nur ahnen lassen, dass sie sich daran erinnert, was an dem Vormittag vor langer Zeit passiert ist, und man merkt nicht einmal, dass sie nur so tut. In Kajsas Welt ist es ganz einfach nicht geschehen. Und jetzt kann ich buchstäblich hören, wie sie die Türen hinter der Vergangenheit zuwirft. Ihre Stimme bekommt einen schrillen Ton.

»In Lund? Was um alles in der Welt machst du in Lund?«

Meine Angst flackert auf, und es dauert einige Sekunden, bevor ich die passende Lüge finde:

»Ich bin auf der Reise so schrecklich müde geworden. Hatte schon das Gefühl, dass ich gleich in Ohnmacht falle … Deshalb musste ich hier aussteigen und in einem Hotel einchecken.«

Kajsa hat keinen unsichtbaren Zwilling, der sie an der Kandare hält und streng ermahnt, also schnaubt sie jetzt deutlich hörbar und antwortet:

»Ach so. Kann man sich das vorstellen, dass jemand so unglaublich müde wird von der Reise aus Bombay …«

Ich schließe die Augen, beharre jedoch darauf:

»Nun ja, weißt du … Elf Stunden im Flugzeug. Erstes Umsteigen in Frankfurt, dann in Kastrup und dann der Zug. Mit Jetlag.«

Kajsa versucht dieses Mal, das Seufzen zu unterdrücken, was ihr jedoch nicht ganz gelingt.

»Nein. Das weiß ich nicht. Ich bin noch niemals in Bombay gewesen. Aber du bist davon also so müde geworden, dass du nicht in der Lage warst, noch drei Stunden im Zug sitzen zu bleiben, bis du Norrköping erreicht hättest?«

Meine Stimme zittert.

»Nein. Ich …«

»Obwohl du erster Klasse gereist bist. Denn das bist du doch wohl? Wie üblich.«

Es ist offensichtlich äußerst unmoralisch, erster Klasse zu reisen, und für einen Moment bin ich kurz davor, aufzugeben, doch die Andere ist nicht so zartbesaitet. Dann soll sie doch übernehmen. Und damit ist meine Stimme plötzlich genauso schneidend wie Kajsas.

»Ja, ich bin erster Klasse gefahren. Und jetzt bin ich im Grand Hotel abgestiegen.«

Kajsas Empörung ist kurz vorm Überkochen.

»Im Grand Hotel? Ist das nicht wahnsinnig teuer?«

»Nicht so teuer, als dass ich es mir nicht leisten könnte.«

Für einen Augenblick bleibt es still. Kajsa versucht vermutlich einen neuen Angriffspunkt in unserem verbalen Ringkampf zu finden, dann räuspert sie sich und versucht es mit einem anderen Thema:

»Und wie lief es mit dem makellosen Enkelkind?«

Jetzt übernehme ich wieder, kann ein Lächeln bei dem Gedanken an Signe nicht unterdrücken, an ihre runden Wangen, ihre nassen Küsse, ihre weiße kleine Hand in meiner, aber ich hüte mich davor, das Lächeln auf meine Stimme abfärben zu lassen. Weder Kajsa noch der Anderen würde das gefallen.

»Oh, das ist ausgezeichnet gelaufen. Ihr geht es rundum gut.«

Kajsa brummt etwas zweifelnd, sagt aber nichts, lässt die Frage weiterhin im Raum stehen. Kann es wirklich für ein so kleines Kind gut sein, in Bombay aufzuwachsen? Ein schwedisches kleines Kind? Ich tue so, als hätte ich das Unausgesprochene nicht gehört, lasse es stattdessen zu, dass die Stille zwischen uns wächst. Nach nur wenigen Sekunden gibt Kajsa nach.

»Und wann kommst du dann?«

»Morgen.«

»Um wie viel Uhr?«

»Das weiß ich noch nicht. Ich schicke eine SMS.«

»Ihr habt am Freitag Geburtstag. Heute ist Mittwoch.«

Jetzt klingt meine Stimme deutlich förmlicher.

»Dessen bin ich mir bewusst.«

Kajsas Stimme wird wieder ein wenig schrill.

»Vielleicht bedeutet es dir nichts, aber für Jonas ist das nun einmal ein äußerst wichtiger Geburtstag. Wichtiger als je zuvor. Ich hoffe, das verstehst du. Er muss merken, dass die Leute ihn nicht vergessen haben, dass er immer noch Familie und Freunde hat und dass alle …«

Ich schließe die Augen, um meinen stummen Schrei einzuschließen. Okay! Okay! Okay!

»Ich weiß«, sage ich mit einem leisen Seufzer.

Kajsa registriert den fügsamen Tonfall und gewinnt wieder an Fahrt:

»Außerdem bist du seit mehr als drei Jahren nicht mehr auf dem Friedhof gewesen.«

Ich versuche meine Stimme in einem einigermaßen freundlichen Ton zu halten:

»Und was soll ich auf dem Friedhof?«

»Es sind trotz allem deine Eltern …«

Jetzt kann ich ein vollkommen eigenproduziertes Schnauben nicht mehr zurückhalten. Ja, vielen Dank! Als lägen sie allein in dieser Grabstätte. Ohne Mutters Eltern, Großvater und Großmütterchen.

»Ich glaube nicht, dass meine Eltern Buch darüber führen, wie oft ich ihr Grab besuche.«

Es entsteht eine kleine Pause, bevor Kajsa erwidert:

»Sei dir dessen nicht so sicher.«

Ich kann mich nicht zurückhalten, die passende Gegenfrage bricht einfach aus mir heraus:

»Wieso? Glaubst du etwa plötzlich an das ewige Leben?«

Kajsa schnaubt wieder, ein Schnauben, das ganz offensichtlich deutlich machen soll, dass mich das, wenn dem denn so wäre, nichts angeht.

»Dann sehen wir uns also morgen«, sagt sie. »Wenn du dir tatsächlich vorstellen kannst, uns mit einem Besuch zu beglücken.«

Plötzlich fühle ich mich schmutzig. Ich brauche dringend eine Dusche.

Eine halbe Stunde später fühle ich mich wie neu. Niemand würde glauben, dass ich übermorgen siebzig Jahre alt werde. Das Haar glänzt mahagonifarben, frischgewaschen und geföhnt. Das Gesicht ist bestrichen mit einer magischen Creme, die fast tatsächlich das tut, was sie verspricht. Ich trage einen sauberen Pullover und eine einigermaßen saubere Hose. Die Schuhe sind, wenn auch nicht geputzt, so zumindest gesäubert, und ich habe mir einen glänzenden indischen Schal in eingebrannten Pastellfarben über die Schulter geworfen. Außerdem dufte ich nach dem Parfüm, das ich gestern Abend auf dem Flughafen in Frankfurt gekauft habe.

Schickes Tantchen, kichert die Andere in meinem Hinterkopf. Fleißiges Tantchen. Zwar nicht übertrieben schön, aber ein durchaus akzeptables Tantchen, was das Aussehen betrifft.

Ich muss über diesen Kommentar lächeln. Ängstliches Tantchen? Unruhiges Tantchen. Oder geradezu ein sich fürchtendes Tantchen?

Ganz und gar nicht. Dagegen froh, neugierig und versehen mit einem hellen, offenen Gemüt. Geradezu rotwangig. Bereit für einen Spaziergang in Lund, zum ersten Mal seit einundfünfzig Jahren.

Der Übermut packt mich. Ich weiß ganz genau, wohin ich gehen will.

Die Sonne bricht durch die Wolken. Die Luft ist klar und frisch. Sobald ich auf der Straße bin, sauge ich sie tief und glücklich ein. Ist es der Herbst, den ich schon ahnen kann? Diese nordische Herbstluft, nach der ich mich in den letzten Wochen intensiv gesehnt habe. In Mumbai lag die Hitze so schwer auf der Stadt, dass ich kaum atmen konnte, die Luftverschmutzung juckte in den Augen und der Kehle, ich schwitzte bis auf die Kopfhaut.

Hier schwitze ich nicht. Hier drückt keine Hitze. Hier juckt nichts. Der Himmel ist hoch und die Luft leicht zu atmen.

Also kann ich meinen Spaziergang beginnen.

Rotwangige Studenten lächeln mir auf der Straße zu, sie lächeln, als gehörte ich dazu, als wäre ich eines dieser beneidenswerten Wesen, das irgendwann einmal seine Studien so gut abgeschlossen hatte, dass es auf Lebenszeit in dieser Stadt bleiben durfte, die der glücklichste aller glücklichen Orte zu sein scheint, als wäre ich nicht diejenige, die genau in dieser Stadt an einem Nachmittag im November vor einundfünfzig Jahren am Rande eines Abgrunds stand, als wäre ich nicht diejenige, die an dem gleichen Abend verzweifelt ihre wenigen Kleider in eine Tasche stopfte, aber die Studienlektüre und alle Aufzeichnungen in meinem gemieteten Zimmer in der Adelgatan zurückließ und mir dann eine Fahrkarte für den Nachtzug kaufte. Man sieht mir nicht mehr an, dass ich ein Flüchtling bin, eine, die zitternd mit geradem Rücken dasaß, als der Zug durch die dunklen Wälder von Småland sauste, sich hinter ihrem Mantel versteckte, als der Zug in Norrköping hielt, die mit Tränen in den Augen in den Sonnenaufgang in Sörmland blickte und dann im Stockholmer Hauptbahnhof ausstieg, immer noch mit der Panik in der Magengrube.

Ich bleibe an einem Zebrastreifen bei der roten Ampel stehen und schließe die Augen. Die Andere schweigt, möchte wohl ebenso wenig wie ich an den Tag erinnert werden, und für einen kurzen Moment sind wir vereint, werden zu einem einzigen Ich und saugen gierig die nordische Luft ein. Wir öffnen die Augen und schauen stumm auf den Plan, den wir an der Rezeption bekommen haben. Ist das wirklich die richtige Straße? Der richtige Weg? Und wollen wir nach all diesen Jahren wirklich zu dem Grab gehen? Das rote Licht hat mit dem grünen getauscht, trotzdem rühren wir uns nicht von der Stelle, wir stehen reglos da, und dann löst sich die Andere von mir und wird wieder zu einem eigenen Ich, einem schreienden, wahnsinnigen Ich in meinem Kopf, einem Ich, das sich weigert – W-E-I-G-E-R-T –, auch nur einen Schritt zu tun. Vielleicht hätte sie gesiegt, hätte mich nicht ein Mann im Vorbeigehen geschubst und dazu gebracht, einen Schritt auf die Straße zu machen, und nachdem der Schritt gemacht ist, bin ich gezwungen, weiterzugehen.

Plötzlich haben wir die Eigenschaften getauscht, jetzt bin ich die schroffe, mutige, unerschrockene Schwester, während die Andere vor Feigheit und Verzweiflung hinter meiner Stirn jammert. Sie will nicht! Sie mag gar nicht daran denken! Können wir nicht die ganze Sache einfach auf sich beruhen lassen? Bitte, bitte, bitte!

Aber das können wir nicht. Wir müssen zum Grab unseres Bruders gehen. Zum ersten Mal müssen wir den Ort ansehen, an dem die Reste von dem, war früher einmal Lars war, begraben liegen.

Idioten-Lars wurde er genannt. Oder das Monster. Oder Hinkekrüppel-Lars.

Zwei der Spitznamen waren ziemlich korrekt. Lars war das, was man zu jener Zeit in Norrköping als verrückt bezeichnete. Heute würde man ihm einen ganz anderen Stempel verpassen. Entwicklungsgestört. Oder begabungseingeschränkt mit deutlichen autistischen Zügen. Vielleicht außerdem noch savant, also mit einer Inselbegabung versehen. Aber damals wurde er nur als wahnsinnig angesehen, wie ein Monster. Vielleicht beruhte das darauf, dass er nicht besonders schön war, um die Sache einmal vorsichtig auszudrücken. Sein Körper war groß und unförmig, sein Haar erinnerte an Stroh und war rotblond wie Papas, sein Gesicht rotgeflammt und voller Narben nach einer heftigen Windpockenattacke, sein Unterbiss äußerst unkleidsam. Außerdem hatte er eine schlechte Haltung, geduckt mit baumelnden Armen, und schiefe Zähne, die immer gelb waren. Mama gelang es nie, ihn dazu zu bringen, sich ordentlich die Zähne zu putzen. Er schrie laut und mädchenhaft, wenn sie es selbst versuchte.

Aber Hinkekrüppel-Lars, nein, der Name stimmte nicht. Unser Bruder Lars hinkte nicht. Er hatte nur einen eigenartigen Gehstil: Er setzte immer den rechten Fuß zuerst auf, bei jedem Schritt. Also watschelte er langsam auf dem Bürgersteig voran, und das, während er mit seinen hellblauen und vermutlich sehr kurzsichtigen Augen blinzelte und versuchte, die Männer zu entdecken, die er jeden Tag suchte. Die städtischen Arbeiter. Die Löcher in die Straßen oder Bürgersteige gruben, die Leitungen zogen oder Rohre verlegten, über die man immer schimpfte und die als faul angesehen wurden. Aber Norrköpings städtische Arbeiter waren nett zu meinem Bruder, sie grüßten ihn sogar, wenn er kam, und fanden sich damit ab, dass er keuchend und knurrend neben ihren Baugruben stand und sie Stunde um Stunde, Tag um Tag, Woche um Woche, Monat um Monat anstarrte. Einige von ihnen fragten sogar nach ihm, nachdem er verschwunden war.

Was sie nicht wussten: Lars ging jeden Tag nach Hause und zeichnete sie, die Wände seines Zimmers waren mit äußerst detaillierten Zeichnungen von Sjöberg, Nilsson, Andersson und Lindberg bedeckt, er hatte Sjöberg eingefangen, als er sich den Schweiß von der Stirn wischte, Andersson, als er in einem lauten Lachen den Kopf nach hinten warf, Lindgren, als er sich ein Brötchen mit Mettwurst in den Mund stopfte, Nilsson, als er sich schwer auf seinen Spaten stützte und aussah, als sehnte er sich nach dem Urlaub. Erst hinterher, nachdem Lars mehr als ein Jahr fort war, sammelte ich die Bilder zusammen, wählte die besten aus und ging damit zu Sjöberg nach Hause, bat ihn, dafür zu sorgen, dass auch die anderen ihre Portraits bekamen. Er schaute mich an, als fürchtete er, ich würde ihn veräppeln. Sollte der Idioten-Lars diese Bilder gezeichnet haben, diese exakten Abbildungen von Werkzeug, Menschen und Umgebung? Der Hinkekrüppel-Lars? Das Monster?

Lars hatte natürlich nie mit Sjöberg gesprochen. Er konnte überhaupt nicht reden, was nicht zwangsläufig bedeutete, dass er nicht verstand, was andere Menschen sagten. Zumindest gewisse Menschen. Die Jungen auf der Straße zum Beispiel, diese Jungen, die es so ungemein witzig fanden, an ihm vorbeizufahren und zu grölen, sie würden gleich seine Piepmätze holen, ihnen den Hals umdrehen oder sie der Katze vorwerfen. Das begriff er. Das ließ sein Herz bersten vor Entsetzen, also versuchte er hinter ihnen herzulaufen und sie zu überfallen und ihnen die Kehlen mit den Zähnen aufzureißen, aber da es unmöglich ist, Fahrt aufzunehmen, wenn man bei jedem Schritt den rechten Fuß zuerst aufsetzen muss, erwischte er sie nie. Also musste er nach wenigen Metern anhalten und dann stand er auf dem Bürgersteig und brüllte vor Verzweiflung. Und wie gesagt: In solchen Momenten war er nicht besonders hübsch. Und dann blieb ihm nichts anderes übrig, als nach Hause zu watscheln, um sich von Mama trösten zu lassen.

Lars liebte Mama heiß und innig, auf seine enttäuschende autistische Art und Weise, so sehr, dass er sogar versuchte, sie ab und zu anzusehen und mit etwas zu antworten, das Worten glich, wenn sie ihn am Kinn nahm und ihm irgendetwas erklärte, beispielsweise, dass er draußen den Rotz nicht hochziehen durfte oder nur im Pyjama auf der Straße spazieren gehen, da er sonst Gefahr lief, angefahren oder überfahren zu werden. Dann stöhnte und knurrte er zur Antwort, nickte sogar manchmal. Einmal schaute er ihr tatsächlich in die Augen. Einmal geschah es auch, dass er verstand, was ich sagte, und da waren wir für kurze Zeit Spielkameraden. Doch was Papa sagte, das schien er nie zu verstehen, vorausgesetzt, dass Papa überhaupt einmal etwas sagte. Und dennoch schlich er sich, sobald es regnete, in die Werkstatt und zwängte seinen großen Körper unter den Schreibtisch, setzte sich dort im Schneidersitz zurecht und holte Stift und Papier heraus. Manchmal kam Papa von seiner Arbeit unter einem Auto hervor und lächelte ihm zu, und dann flackerte Lars’ Blick, bevor er wieder den Kopf senkte und den Gruß erwiderte, indem er zum Boden hin lächelte. Dagegen sah Lars Jonas niemals an, es schien, als hätte er sich ganz bewusst dazu entschieden, seinen kleinen Bruder zu Tode zu ignorieren. Jonas versuchte zwar auch seinerseits Lars zu ignorieren, doch er war dabei nicht so ausdauernd. Ab und zu explodierte er vor Scham und Verzweiflung darüber, gezwungen zu sein, der kleine Bruder von so einem wie dem Idioten-Lars zu sein, so einem Blödmann und verfluchten Idioten, bekam dann prompt eine Ohrfeige von Mama und lief daraufhin die Treppe hinauf und vergrub sich in Großmutters Schoß. Großmutter wischte ihm die Tränen ab und streichelte seine Wange, drückte ihn wiegend an ihre große Brust und flüsterte, dass sie ihn verstehe, natürlich verstehe sie ihn. Es sei ein Elend, dass er das alles ertragen müsse. Ja, es sei geradezu schädlich für den kleinen Jonas, in einem Haus mit einem Geisteskranken, einem Idioten, einem Imbezilen aufzuwachsen, und was sie betreffe, so könne sie nicht begreifen, wieso ihre eigene Tochter nicht auf die Ärzte hören wolle und diese Missgeburt nach Värnhem oder in eine andere Irrenanstalt bringen lasse, damit ihre richtigen Kinder in Ruhe und Frieden aufwachsen könnten. Doch wenn sie Mamas Schritte auf der Treppe hörte, verstummte sie und schloss die Augen, tat plötzlich so, als hätte sie überhaupt nichts gesagt. Und mitten in dem ganzen Durcheinander zwitscherten Klara und Jakob, Lars’ heiß geliebte Piepvögel. Zwei vollkommen normale gelbe Wellensittiche.

So sah der Ort aus, an dem wir aufwuchsen. Unser Zuhause. So war das Leben in dem idyllischen weißen Haus des Automechanikers irgendwo am Stadtrand von Norrköping.

Die Linden auf dem Norra Kyrkogården sind so dunkelgrün, dass sie vor dem blauen Himmel fast schwarz erscheinen. Unter ihnen herrscht Dämmerung, obwohl die Nachmittagssonne die Oberseite des Laubs glänzen lässt. Ich halte kurz inne, denn mich überkommt ein vages Gefühl von Furcht, wie es mich immer in der Nähe von Kirchen und Friedhöfen überkommt, aber schnell kann ich es abschütteln. Ein junger Mann joggt die Friedhofsallee entlang, er trägt eng sitzende schwarze Shorts und ein eng anliegendes Sporthemd mit rosa Streifen. Seine Sonnenbrille lässt ihn wie ein Rieseninsekt aussehen und er fürchtet sich nicht, ganz im Gegenteil, er ist ganz erfüllt von der Musik in seinen Kopfhörern und er läuft dem Tod davon, hinaus aus den Schatten, dem Licht entgegen.

Bedeutet das, dass ich hineingehen kann? Ja, das tut es wohl.

Signe, denke ich, als wäre der Name magisch und könnte alles Böse von mir abhalten, aber Sekunden später läuft mir doch wieder ein Schauer über den Rücken. Die Eifersucht der Anderen! Aber die Andere hat sich versteckt, sie liegt irgendwo tief in meinem Gehirn und tut so, als existierte sie gar nicht. Vielleicht versteckt sie sich hinter meiner Amygdala, vielleicht will sie sie sogar reizen, um große Ängste oder lähmende Furcht hervorzurufen, alles, nur damit ich meinen Schritt stoppe. Doch das schafft sie nicht. Sie kann die materielle Welt nicht beeinflussen, sie kann sich nicht bewegen, nicht reden, nicht einmal eine Kerze auspusten, alles, was sie kann, ist, von meinen Fähigkeiten zu schmarotzen. Und zu meckern natürlich. Meckern, meckern, meckern.

Widerlich, sagt sie plötzlich schlaftrunken, aber mit tränenerstickter Stimme. Du bist widerlich, widerlich, widerlich!

Doch das stimmt nicht. Ich bin nicht widerlich. Ich sage nur, wie es ist, wie unser Großmütterchen sich immer auszudrücken pflegte. Und sie war ja nun wirklich niemals widerlich.

Auf dem Norra Kyrkogården hat man sich offensichtlich nicht nach den Worten der Bibel gerichtet. Hier sind die Letzten nicht die Ersten, stattdessen hat man sorgfältig darauf geachtet, dass die Ersten auch noch im Tode die Ersten bleiben. Die ganze Allee ist eingerahmt von protzigen Familiengräbern, hier ruhen Bischöfe und Professoren, große Künstler und unglaublich wohlhabende Direktoren mit Namen und Titel, eingemeißelt in Granit oder Marmor samt – ein wenig anonymer – ihrer blassen Ehefrauen, unansehnlichen Töchter und dem einen oder anderen allzu früh dahingeschiedenen Sohn.

Ein Stück weiter finde ich endlich eine Übersichtskarte. Ich gehe ganz dicht heran, nehme sogar meine Brille ab, folge mit dem Zeigefinger den schmalen Wegen zwischen den Gräbern und versuche den richtigen Ort zu finden. Ein Gemeinschaftsgrab müsste doch wohl auf so einer Karte verzeichnet sein …

Aber nein, ich finde nichts.

Merkwürdig, ich weiß doch, dass es existiert. Schließlich habe ich es in Dagens Nyheter gelesen.