Dem Glück bezahlt ich meine Schuld - Leni Behrendt - E-Book

Dem Glück bezahlt ich meine Schuld E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Es war, als wolle der Sommer sich noch schier verschwenden, bevor er sein Regiment an den Herbst abgab, der kalendermäßig nach einer Woche seinen Einzug halten sollte. Im Park blühte es üppig auf Beeten und Sträuchern, und die Bäume zeigten noch kein buntes Blatt. Knistertrocken und ährenschwer hatten die Landwirte das Korn bergen können, und auch die Heuernte war so gut gewesen wie schon seit Jahren nicht mehr. Jetzt konnte man an die Hackfrüchte herangehen, die gleichfalls prächtig gediehen waren. Das Obst, in der Sonne gar herrlich gereift, wartete nur darauf, von emsigen Händen gepflückt zu werden – also gab es in der Landwirtschaft immer noch alle Hände voll zu tun, aber man war auch mit Lust und Liebe dabei, zumal keine längere Regenperiode die mühsame Erntearbeit erschwerte. Es hatte immer gerade nur so viel geregnet, um die lechzende Natur mit köstlichem Naß zu erquicken. Daher konnte man mit Fug und Recht von einem gottgesegneten Jahr sprechen, wie es soeben die Dame tat, die einer anderen am Doppelschreibtisch gegenübersaß. Man sah es dem Möbel an, daß ernstlich an ihm gearbeitet wurde, denn es häuften sich auf ihm Kontobücher, Akten, Listen und allerlei lose Papiere. Es war gar nicht so einfach, sich da zurechtzufinden, doch die Dame, die das alles zu bewältigen hatte, konnte es mit sicherem Griff. Jetzt hob sie den Kopf von einem mächtigen Journal und sah ihr Gegenüber mit frohen Augen an. »Tante Hermine, ich kann dir die freudige Mitteilung machen, daß ich bereits ein ganz nettes Haben verbuchen durfte. Noch einige so gottgesegnete Jahre – und wir können Geld scheffeln.« »Von wegen scheffeln«, lachte die andere bitter auf. »Daß es nicht dazu kommt, dafür wird schon der da sorgen…« Damit reichte sie ein Schreiben hinüber, das Brunhild von Reichwart betroffen las. Das Gesicht mit den blühenden Farben erblaßte. »Dann allerdings! Ist der Junge denn ganz von Gott verlassen?« »Nein, aber von der Leidenschaft besessen.

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Leni Behrendt Bestseller – 13 –

Dem Glück bezahlt ich meine Schuld

Leni Behrendt

Es war, als wolle der Sommer sich noch schier verschwenden, bevor er sein Regiment an den Herbst abgab, der kalendermäßig nach einer Woche seinen Einzug halten sollte. Im Park blühte es üppig auf Beeten und Sträuchern, und die Bäume zeigten noch kein buntes Blatt. Knistertrocken und ährenschwer hatten die Landwirte das Korn bergen können, und auch die Heuernte war so gut gewesen wie schon seit Jahren nicht mehr.

Jetzt konnte man an die Hackfrüchte herangehen, die gleichfalls prächtig gediehen waren. Das Obst, in der Sonne gar herrlich gereift, wartete nur darauf, von emsigen Händen gepflückt zu werden – also gab es in der Landwirtschaft immer noch alle Hände voll zu tun, aber man war auch mit Lust und Liebe dabei, zumal keine längere Regenperiode die mühsame Erntearbeit erschwerte. Es hatte immer gerade nur so viel geregnet, um die lechzende Natur mit köstlichem Naß zu erquicken.

Daher konnte man mit Fug und Recht von einem gottgesegneten Jahr sprechen, wie es soeben die Dame tat, die einer anderen am Doppelschreibtisch gegenübersaß.

Man sah es dem Möbel an, daß ernstlich an ihm gearbeitet wurde, denn es häuften sich auf ihm Kontobücher, Akten, Listen und allerlei lose Papiere.

Es war gar nicht so einfach, sich da zurechtzufinden, doch die Dame, die das alles zu bewältigen hatte, konnte es mit sicherem Griff.

Jetzt hob sie den Kopf von einem mächtigen Journal und sah ihr Gegenüber mit frohen Augen an.

»Tante Hermine, ich kann dir die freudige Mitteilung machen, daß ich bereits ein ganz nettes Haben verbuchen durfte. Noch einige so gottgesegnete Jahre – und wir können Geld scheffeln.«

»Von wegen scheffeln«, lachte die andere bitter auf. »Daß es nicht dazu kommt, dafür wird schon der da sorgen…«

Damit reichte sie ein Schreiben hinüber, das Brunhild von Reichwart betroffen las. Das Gesicht mit den blühenden Farben erblaßte.

»Dann allerdings! Ist der Junge denn ganz von Gott verlassen?«

»Nein, aber von der Leidenschaft besessen. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät, ihn diesen gierigen Klauen zu entreißen.«

»Was gedenkst du zu tun?«

»Mit einem Donnerwetter dazwischenzufahren.«

»Tante Hermine, man darf Trutz nicht zu hart anpacken – muß ihn mehr als Kranken behandeln.«

»Na, das fehlte gerade noch!« brauste die alte Dame auf, die mit ihren siebzig Jahren noch so manchen Jungen in die Tasche steckte. Und dabei hatte sie ein sehr schweres Leben hinter sich, die Baronin Swindbrecht auf Adl. Brechten. Mit achtzehn Jahren war sie dahin verheiratet worden, sozusagen frisch aus dem Pensionat importiert – verwöhnt, unselbständig und voll schwärmerischer Jungmädchenideale, die der junge Gatte dann aber bald zerbrach. Da er über eine blendende Erscheinung verfügte, hatte er besonders viel Chancen bei den Frauen und war daher immer in irgendeine Amour verstrickt. Und da so was ja recht kostspielig ist, fiel es dem Schwerenöter gar nicht schwer, so peu á peu die reiche Mitgift der ihm aufgedrängten Frau zu vergeuden.

Er blieb denn auch im Duell und ließ eine fünfundzwanzigjährige Witwe, ein sechsjähriges Söhnchen und ein arg verschuldetes Rittergut zurück.

Nun stand die junge Hermine da – weltfremd, hilflos, am Leben verzweifelnd. Und wer weiß, ob sie mit ihrem Jungen nicht Ruhe in dem tiefen Parkweiher gesucht, wenn sich nicht ein Großonkel erbarmend ihrer angenommen hätte. Er war zwar ein Rauhbein, aber ein vorzüglicher Landwirt und hatte außerdem noch Geld, womit er das verlotterte Brechten zu sanieren begann. Zwar schien das zuerst ein aussichtsloses Beginnen, aber mit Energie und eisernem Fleiß ging es denn doch allmählich bergan. Allerdings mußte die junge Herrin auch ihr Teil dazu beitragen, wurde von dem Onkel in eine harte Schule genommen. Als sie protestieren wollte, schnauzte er sie an:

»Du dummes Ding, glaubst du etwa, es macht mir Spaß, hier meine Kräfte und mein Geld zu vergeuden, damit du, wenn ich die Augen schließe, dir doch wieder nicht zu helfen weißt? Ich bin nämlich jetzt über Siebzig und will, wenn ich nächstens abgerufen werde, dich als tüchtige Landwirtin zurücklassen. Reichtümer wirst du hier zwar nicht erwerben, aber du kannst dir und deinem Sohn durch Umsicht und zähen Fleiß die Heimat erhalten!«

Zuerst hatte Hermine bei einer solchen Strafpredigt vor Angst gezittert. Doch als sie den Onkel erst näher kennenlernte und somit das goldtreue Herz des Rauhbeins erkannte, da tat sie alles, was von ihr verlangt wurde. Und als dieser Großonkel nach zehn Jahren starb, hatte er aus der einst so hilflosen jungen Baronin eine tüchtige Landwirtin gemacht, die einen Besitz ihr eigen nannte, auf dem zu wirtschaften es sich lohnte.

Ihre Hoffnung, daß sie an dem Sohn einmal eine Hilfe haben würde, erfüllte sich leider nicht, er war und blieb ein Denker und Träumer. Dazu heiratete er mit zweiundzwanzig Jahren ein achtzehnjähriges überzartes Geschöpfchen, das nach der schweren Geburt eines Knaben die träumerischen Augen für immer schloß.

Darüber kam der Gatte nicht hinweg. Er verfiel der Schwermut, und da er ohnehin von schwächlicher Konstitution war, überstand er eine heftige Lungenentzündung nicht und folgte somit nach zwei Jahren der geliebten Frau.

Das war für Hermine der herbste Schlag, den ihr das ohnehin schon rauhe Leben brachte, doch sie gab sich dem heißen Schmerz nicht hin, sondern biß die Zähne zusammen und schuftete weiter wie besessen – und zwar für den kleinen Enkel, der so ganz und gar seinem Großvater nachschlug, äußerlich jedenfalls, ob auch charakterlich, das mußte sich erst im Laufe der Jahre herausstellen.

Hermine segnete immer noch den Tag, an dem sie eine verwaiste Nichte ins Haus nahm, die ihr dann auch bald eine tüchtige, unentbehrliche Helferin wurde – in jeder Beziehung. Und diese Nichte, mittlerweile zur stattlichen Vierzigerin herangereift, betrachtete die verehrte Tante jetzt angsterfüllt – und schon kam es, was erstere befürchtete.

»Geh, mein Kind, und schick mir den Bengel her«, sprach der schmale Altfrauenmund verbissen – und da wußte Brunhild, daß es in dieser Stunde hart auf hart gehen würde.

Fünf Minuten später stand dann der junge Mann vor der alten Dame, deren hageres Antlitz dem eines Falken glich, zumal dann, wenn die Augen so scharf und hart blickten – genauso wie jetzt.

Er war eine blendende Erscheinung, der junge Baron von Swindbrecht – nur war das Gesicht zu weich für einen Mann. Daher kam es wohl, daß er mit seinen siebenundzwanzig Jahren immer noch wie ein Jüngling wirkte. Wie das sprühende Leben stand er da, die blitzblauen Augen auf die Großmutter geheftet, die ihm jetzt das Briefblatt reichte.

»Da, lies – und dann laß uns ergründen, ob du überhaupt noch deiner Sinne Meister bist.«

Die nervige Hand zitterte, die das gelesene Blatt Sekunden später auf den Tisch legte, das Gesicht war tief erblaßt. Doch furchtlos hielten die blauen Augen dem falkenscharfen Blick stand. Trotz schwang in der Stimme mit, die nun sprach:

»Großmama, willst du das nicht meine eigene Angelegenheit sein lassen? Der Juwelier braucht keine Angst zu haben. Ich werde ihm den Schmuck nicht schuldig bleiben.«

»Und wovon willst du den bezahlen? Etwa in Raten von deinem Taschengeld? Dann wirst du wahrscheinlich die letzte Rate als Opa entrichten, denn wie der Juwelier schreibt, handelt es sich um zehntausend Mark. Wahrscheinlich eine Lappalie für dich – aber viel Geld für mich.«

»Eine unerhörte Indiskretion von dem Mann, wegen der Bestellung des Schmucks an dich zu schreiben!« brauste der Enkel auf. »Ich werde…«

»Du wirst gar nichts!« unterbrach ihn die Großmutter kalt. »Der Mann tat gut, sich an mich zu wenden, weil er unsere Verhältnisse kennt und daher weiß, daß du von mir abhängig bist. Wem ist der Schmuck überhaupt zugedacht?«

»Meiner Braut als Verlobungsgeschenk.«

»Aha – also sind dir doch die Sinne verwirrt.«

»Großmama, ich verbitte mir das!«

»Und ich verbitte mir noch viel mehr!« wurde ihre Stimme jetzt scharf und schneidend. »Solltest du nämlich wagen, mir dieses Frauenzimmer…«

»Großmama, mäßige dich!«

»… ins Haus zu bringen«, sprach die glasharte Stimme unbeirrt weiter, »so laß ich es hinauspeitschen – so wahr ich Hermine Swindbrecht heiße. Und nun werde ich dir mal etwas sagen, mein lieber Trutz, aber achte gut auf meine Worte, sie sind mir bitter ernst. Also: Du kennst die Geschichte unseres Hauses und weißt daher, daß ich mit fünfundzwanzig Jahren einen Besitz übernahm, der kaum noch einen Heller wert war. Wenn Großonkel Otto sich da nicht meiner erbarmt und mir mit Geld und energischen Vorhaltungen das Rückgrat gestärkt hätte, wärest du überhaupt gar nicht geboren, weil dein Vater mit mir zusammen im tiefen, verschwiegenen Parkweiher versunken wäre – wovor uns jedoch eine feste und gütige Hand noch im letzten Augenblick bewahrte, aber das alles ist dir ja aus Erzählungen bekannt, auch daß ich tagaus, tagein wie ein Kuli geschuftet habe – ganze fünfundvierzig Jahre. Und es hat sich gelohnt – denn Brechten steht heute, wenn auch nicht direkt glänzend, so doch immerhin ganz gut da.

Und daher werde ich mich mit jedem Blutstropfen dagegen wehren, daß du in deiner sinnlosen Leidenschaft mit einem minderwertigen Weib das vergeudest, was ich so mühsam aufbaute.

Du kannst mir wahrlich nicht den Vorwurf machen, daß ich hart mit dir verfahren bin. Du hast eine frohe, sorglose Kindheit gehabt. Hast dann studiert, hinterher Reisen gemacht und dein Leben genossen, ohne dabei mit der Mark rechnen zu müssen. Ich habe auch beide Augen zugedrückt bei deinen jeweiligen Amouren – aber wenn du dich mit so einem Techtelmechtel verlobst, dann ist es Zeit, einen Riegel vorzuschieben, oder besser gesagt: Dein vergiftetes Herz zu entgiften – und das kannst du in einer Ehe mit Ragnilt Leinsen – diesem unberührten, taufrischen Geschöpf. Sie als Herrin von Brechten zu wissen, ist schon lange mein Wunsch.«

»Aber nicht der meine!« brauste der junge Mann auf. »Ich will eine Frau haben – aber kein sentimentales Gänschen!«

»Daher ist dir eine Frau lieber, die zehn Jahre älter ist als du.«

»Großmama, wollen wir nicht das heikle Thema lassen?« fragte Trutz nun wieder beherrscht. »Spare deine Worte, sie sind nur vergeudet. Du brauchst keine Angst zu haben, daß ich das gewissenlos verschleudern werde, was du hier mühsam aufbautest. Du weißt ja, daß es schon lange mein Wunsch ist, zu Onkel Arnold nach Kanada zu gehen und ich deswegen mit ihm jahrelang in regem Briefwechsel stehe. Vor einigen Tagen erreichte mich die Nachricht, daß dieser prächtige Onkel mir eine größere Summe überweisen wird, wovon ich gewiß auch das Verlobungsgeschenk meiner geliebten Braut bezahlen kann.«

»Wie schön, wenn es einen Onkel gibt, den man anbetteln kann«, meinte die alte Dame sehr ruhig, sehr eisig. »Man hat es natürlich satt, mit siebenundzwanzig Jahren immer noch von einer verschrobenen, verkalkten, siebzigjährigen Großmutter abzuhängen. Selbst ist der Mann – oha –!«

»Großmama, deine Ironie ist fürchterlich!« brauste der Enkel erneut auf. »Du siehst mich wahrscheinlich immer noch als Hosenmatz und vergißt darüber, daß ich siebenundzwanzig Jahre zähle und daher das Recht beanspruche, endlich selb­ständig zu werden. Und zu dieser Selbständigkeit wird mir Onkel Arnold verhelfen.«

»Das wird er wahrscheinlich tun«, kam die Antwort trocken. »Aber mit dem Leben, das du bisher als verwöhntes Herrensöhnchen führtest, dürfte es wohl zu Ende sein. Denn ein Mensch, der sich in so harter Fron eine Existenz aufbauen mußte, wie es bei Arnold der Fall ist, der hat bestimmt kein Verständnis für ein Salonbürschchen – schon gar nicht, wenn es mit einer abgetakelten Halbweltdame als Eheweib anrückt.«

»Halt ein!« unterbrach der Enkel sie flammenden Blickes. »Wie kann man mit siebzig Jahren nur noch so boshaft sein. Trotzdem sage ich dir Dank für alles.«

»Bitte sehr«, tat Hermine nonchalant ab. »Aber sei dem, wie es wolle, auf den Zehntausendmarkschmuck wird deine Holde dennoch verzichten müssen.«

Da knallte die Tür hinter dem jungen Mann zu, und die vom Leben enttäuschte Hermine lachte bitter auf. Das waren die Früchte, die sie nach so mühsamer Saat ernten durfte!

*

Zehn Minuten später trat Brunhild ein, mit bangem Blick die alte Dame musternd, die so aufrecht wie eh und je in dem hochlehnigen Polsterstuhl saß. Zwar war das hagere Antlitz blasser als sonst, der schmale Mund zeigte einen verbissenen Zug, doch die falkenscharfen Augen waren klar und ungetrübt.

Und wieder einmal bewunderte Brunhild von Reichwart diese Frau, die alle Schicksalsschläge so selbstverständlich hinnahm, sich unter ihnen noch nicht einmal duckte. Die unbeirrt weiter schuftete, obwohl sie sich selbst sagen mußte, daß sie dabei nur Wasser mit Sieben schöpfte, denn der Enkel, für den das alles geschah, schien nicht nur äußerlich seinem Großvater nachzuschlagen, sondern auch, Gott sei’s geklagt, charakterlich. Sonst hätte er sich in einer Amour bestimmt nicht so rettungslos verlieren können.

»Nun, Tantchen, wie war’s?« forschte Brunhild bang, und das Herz tat ihr weh bei dem verbitterten Auflachen der alten Dame.

»Es war noch ärger, als ich erwartete, denn der blindverliebte Narr hat sich mit der Kokotte bereits verlobt, will sie natürlich zu seiner Frau machen und dann mit ihr zu Onkel Arnold nach Kanada auswandern.«

»Um Gottes willen, Tante Hermine, das darfst du doch unmöglich dulden!«

»Wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben, da mein lieber Enkel sich heute hochtrabend von mir lossagte, indem er mir alles hohnlachend vor die Füße warf, was ich ihm bisher bot. Er erwartet nämlich Geld von Arnold, von dem er auch das Verlobungsgeschenk für seine Braut bezahlen will. Ein Trugschluß, der sich ihm bald offenbaren wird, denn soweit ich Arnold kenne, drückt er den Daumen aufs Portemonnaie und wird daher dem ihm noch unbekannten Neffen erst einmal die Flugkarte und ein Taschengeld schicken, wogegen ich gewiß nichts einzuwenden habe. Es kann diesem Porzellanjüngling bestimmt nur guttun, wenn er in eine feste, rauhe Männerhand kommt, denn die meine war zu weich und zart, wie ich jetzt leider erkennen muß. Also mag der aufsässige Bengel nur auswandern – und zwar ohne diese obskure Leila, die dem blindverliebten Narren heute wahrscheinlich die Augen öffnen wird mit grausamer Deutlichkeit. Es wird zum Bruch kommen, weil dieser Vamp den Schmuck nicht bekommen kann, nach dem er seine gierigen Krallen ausstreckt, und weil Trutz nach der heutigen Unterredung mit mir nolens volens dazu gezwungen ist, seine Verhältnisse klarzulegen. Dann kriegt er hohnlachend den Abschied und wird hier brav zu Kreuze kriechen.«

Was denn auch tatsächlich geschah. Das heißt, zu Kreuze kroch der junge Mann gerade nicht, sondern erklärte schroff und verbissen, daß er bereit wäre, Ragnilt Leinsen zu heiraten. Nun, ob so oder so – die Großmutter hatte erreicht, was sie wollte.

Am liebsten hätte sie ja ihrem einzigen Enkel, an dem ihr ganzes Herz hing, tröstend über das zerwühlte Gesicht gestreichelt, hütete sich jedoch davor, ihre Weichheit zu zeigen. Sie wußte auch, daß sie jetzt erst jedes Wort auf die Waage legen mußte, bevor sie es aussprach. Daher sagte sie behutsam:

»Es freut mich, Trutz, daß du dich zu der Hochzeit entschlossen hast. Doch bis es soweit ist, vergehen immerhin Wochen, und ich mache dir den Vorschlag, solange auf Reisen zu gehen. Alles andere leite ich hier in die Wege, es genügt, wenn du einen Tag vor der Hochzeit zurückkehrst. Aber daß es geschieht, darauf mußt du mir schon dein Wort geben.«

»Das hast du, Großmama. Darf ich nun gehen?«

»Ja. Pack deine Koffer, das nötige Geld laß ich dir durch Kilian zugehen – es wird bestimmt nicht knapp bemessen sein. Über deine jeweilige Anschrift halte mich bitte auf dem laufenden, damit ich dich jederzeit erreichen kann.

Und nun geh mit Gott, mein Junge. Glaube mir, was geschieht, ist nur zu deinem Besten, wenn du das jetzt auch noch nicht einsehen kannst und willst.«

Nun streichelte sie doch zärtlich über das Gesicht, das sich zum Abschied über ihre Hand neigte. Dann ging der junge Baron schweigend davon und fuhr eine Stunde später in seinem Wagen ab, um bei anderen Frauen die eine zu vergessen, die ihm heute hohnlachend den Abschied gab.

*

Schon Anfang Oktober fand in Brechten eine Hochzeit statt, die man glänzend bezeichnen kann. So sparsam die Baronin Swindbrecht sonst auch war, heute jedoch ließ sie die Mark rollen, wie man so sagt.

Und warum auch nicht? Die Mitgift war hoch, welche die Tochter des reichen Kaufherrn Leinsen mit in die Ehe brachte – und somit allen pekuniären Schwierigkeiten auf Brechten ein Ende setzte.

Ein zauberhaft süßes Geschöpfchen – urteilte man, als die Braut so selig lächelnd zum Altar schritt. Noch so rührend jung, noch ein völlig unbeschriebenes Blatt. Die träumerischen Augen blickten so schwärmerisch zu dem Liebsten empor, als stamme das Mägdlein noch aus der Zeit von Chamissos »Frauenliebe – und Leben«. Ungefähr so: Seit ich ihn gesehen, glaub’ ich blind zu sein.

Die weltfremde, wohlbehütete Ragnilt Leinsen las tatsächlich noch derartige Gedichte, und der Held ihrer Träume war Trutz Swindbrecht. Daher hatte sie auch jubelnd zugesagt, als der Vater sie fragte, ob sie des Barons Frau werden wolle.

»Aber, Papa, wie kannst du da noch fragen! Mit tausend Freuden will ich das. Ich liebe Trutz und komme durch eine Heirat mit ihm außerdem noch nach Brechten, wo ich in den Ferien so gern weilte und jedesmal bittere Tränen vergoß, wenn ich von ihm scheiden und ins Pensionat zurück mußte. Brechten als Heimat zu haben und Trutz als Gatten dazu, das wäre beinahe zuviel des Glücks.«

»Na schön«, räusperte sich der Mann, der nie so recht gewußt hatte, was er mit der Tochter beginnen sollte. Und als sie gar noch mit zehn Jahren die Mutter verlor, gab er die Kleine in ein Pensionat und war der Baronin Hermine dankbar, daß sie ihr Patenkind während der Ferien in Brechten stets um sich haben wollte.

Und nun sollte Ragnilt dort sogar eine Heimat finden, eine Lösung, mit der Alfred Leinsen sehr zufrieden war. Da wußte er sein Kind gut aufgehoben und konnte sich sein eigenes Glück suchen, das er in der Ehe mit der Frau zu finden hoffte, der seit einigen Wochen sein Sinnen und Trachten galt.

Jetzt saß der elegante Endvierziger an der prunkenden Hochzeitstafel und dachte daran, daß er in wenigen Wochen hoffentlich an der eigenen sitzen würde. Aber an einer im trauten Separee mit der geliebten Frau ganz allein. Jung fühlte der Mann sich, so jung, als ob er zwanzig wäre. Und in diesem jugendlichen Überschwang drückte er dem Töchterchen, bevor es sich auf die Hochzeitsreise begab, ein so gutgefülltes Portemonnaie in die Hand, dessen Inhalt für zwei Hochzeitsreisen gereicht hätte – und freute sich über die strahlenden Augen seines Kindes, das sein Glück gefunden hatte, wie er auch das seine finden würde.

Und das geschah dann auch nach einem Monat, gerade an dem Tag, als die Tochter von ihrer Hochzeitsreise zurückkehrte, trat der Vater die seine an – und mit wem? Mit Leila!

Zuerst starrte Hermine die Vermählungsanzeige an, als wäre sie des Lesens unkundig. Dann schob sie diese Ungeheuerlichkeit Brunhild zu, die bis in die Lippen erblaßte.

»Großer Gott«, sagte sie verstört, »und das gerade an dem Tag, an dem Trutz mit seiner Frau von der Hochzeitsreise zurückkehrt. Wie wird er das bloß aufnehmen?«

»Sicherlich weiß er es schon«, murmelte Hermine, die plötzlich müde und alt aussah, »denn Leinsen wird es wohl nicht versäumt haben, auch seiner Tochter eine Vermählungsanzeige zu schicken. Doch da höre ich bereits den Wagen vorfahren. Reiß dich zusammen, Brunhild, laß dir ja nichts anmerken.«

Fünf Minuten später begrüßten sie die Heimgekehrten – und das Herz zog sich ihnen schmerzhaft zusammen, hauptsächlich beim Anblick der blutjungen Frau. Wie strahlend glücklich war sie auf die Hochzeitsreise gegangen, und wie kehrte sie zurück? Blaß, müde und vergrämt.

Und der junge Ehemann? Der machte den Eindruck eines Menschen, der mit Gott und sich zerfallen ist.

»Da seid ihr ja«, tat Hermine erfreut, als wäre alles in schönster Ordnung. »Siehst blaß und müde aus, mein Schiepchen, wahrscheinlich hat die lange Fahrt dich angestrengt.«

»Ja, Großmama. Ich möchte am liebsten zu Bett gehen und schlafen.«

»So komm«, sagte Brundhild gütig, dabei die Schultern des erschöpften Menschenkindes umfassend, das sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Langsam gingen sie davon, und Trutz sagte hastig:

»Großmama, ich möchte dich sprechen.«

»Bitte.« Sie zeigte nach ihrem Arbeitszimmer, wo sie sich gleich darauf niederließen. Trutz in der Sesselgruppe, wo auf dem niedrigen Tisch gerade eine Flasche Kognak stand. Ehe Hermine ihn daran hindern konnte, hatte er die Flasche entkorkt, setzte sie an die Lippen und trank in vollen Zügen, bis es der entsetzten Großmutter endlich gelang, ihm die Flasche zu entwinden.

»Ja, sag mal, bist du denn ganz von Gott verlassen?« fuhr sie ihn empört an. »Benimmst dich hier wie ein Quartalssäufer!«

»Großmama, laß mich jetzt um Himmels willen in Ruhe«, knirschte er zwischen den Zähnen hervor. »Sonst werde ich einfach verrückt!«

»Na, halb scheinst du es bereits zu sein«, versetzte sie trocken. »Die Vermählungsanzeige deines Herrn Schwiegervaters hat dich wahrscheinlich in diesen Zustand versetzt.«

»Ach, das ist doch schon längst vorbei«, winkte er müde ab, dabei mit einer Gebärde, die etwas Verzweifeltes hatte, die Hand im Haar vergrabend. »Das war schon vorbei, als Leila mir nach Eröffnung meiner Verhältnisse hohnlachend den Laufpaß gab.«

»Und warum bist du so durcheinander, du dummer Junge?«

»Weil ich diese Ehe nicht ertrage!« Er sprang brüsk auf, im Zimmer umherlaufend wie ein gefangenes Tier. Er stieß dabei die Hände so heftig in die Hosentaschen, daß die in allen Fugen krachten.

»Und weshalb erträgst du sie nicht?« Der Großmutter gelang es, ruhig zu bleiben, obwohl sie das Gefühl hatte, als müsse ihr der Herzschlag aussetzen vor Schreck. »Ragnilt ist doch wahrlich ein liebenswertes, sanftmütiges Menschenkind.«

»Eben«, lachte er hart auf. »Gerade diese Sanftmut ist es ja, die mich langsam kaputt macht. Dieses Sanftsäuselnde, dieses Sentimentale, diese demütige Ergebenheit, diese zuckersüße Anhimmelei – das gerade ist es, was ich an den Frauen hasse. Warum hast du mich bloß zu dieser unerträglichen Ehe gezwungen!«

»Weil mir eine kleine Bestie mit Paprika im Blut leider nicht zur Verfügung stand«, kam die Antwort ironisch.

»Ich gedenke ihr auszuweichen, indem ich heute noch meine Reise nach Kanada antrete. Das Geld dazu hat mir Onkel Arnold als Hochzeitsgabe zukommen lassen. Wenn ich mich beeile, erreiche ich das Flugzeug noch. Meine Sachen sind ja noch gepackt, und zum Flugplatz fährt mich der Chauffeur.«

»Also ein fix und fertiger Plan«, meinte die alte Dame, dabei jedoch nicht merken lassend, wie hart sie diese Eröffnung traf. Das hagere Antlitz war wie aus Stein gemeißelt, in den falkenscharfen Augen glitzerte erbarmungslose Härte. Langsam hob sich die Hand und zeigte zur Tür.

»So geh!« klang ihre Stimme auf, hart und spröde wie Glas. »Geh – und tritt mir erst wieder unter die Augen, wenn du ein Mann geworden bist. Solltest du jedoch das Zeug dazu nicht in dir tragen, so bleib weg. Denn lieber keinen Enkel als einen mißratenen, der seinem Namen und Wappenschild direkt Hohn spricht. Denn swind heißt stark, kühn, Brecht heißt edel, erlaucht, dazu trägst du auch noch den Vornamen Trutz, du erbärmlicher Schwächling!«

Da ruckte der junge Mann herum, stürmte davon – und mit dumpfem Stöhnen brach die Großmutter im Lehnstuhl zusammen. Drückte das Gesicht in die Hände und weinte, wie diese vom Leben verhärtete Frau noch nicht einmal am Grabe ihres einzigen Kindes geweint.

*

Und somit begann für die beiden Damen eine Zeit, die von ihnen das Äußerste an Herz- und Nervenkraft forderte. Denn als Ragnilt alles erfuhr, flatterte der zarte Körper und flog unter einem barbarischen Nervenfieber, und das nicht nur allein – die Kranke war auch noch guter Hoffnung, wie die beiden vorzüglichen Ärzte, die man rief, einmütig feststellten.

Aber sie wußten auch, daß gerade in einem so zarten Körper oft zähe Kraftreserven steckten. Sie gaben daher die Hoffnung nicht auf, die sich dann auch erfüllte. Mit unendlicher Mühe gelang es ihnen nicht nur die gefährliche Krankheit zu bannen, sondern sogar noch das keimende Leben zu erhalten.

Von alledem ahnte der junge Gatte nichts, weil man ja nicht wußte, wie man ihn benachrichtigen sollte. Und als nach fünf Wochen die erste Mitteilung aus Kanada eintraf, war Ragnilt schon Rekonvaleszentin.

Auch der Vater hatte keine Ahnung davon, daß sein Kind nur mit knapper Not dem Tode entrann. Er schwelgte auf der Hochzeitsreise im Glück. Wohl flatterten Kartengrüße an die Tochter ins Haus, aber mal von hier, mal von dort und stets ohne Angabe der Adresse, so daß man den Globetrotter nirgends erreichen konnte.

Nach acht Wochen rief er dann von zu Hause an und sparte mit Vorwürfen nicht, die er Hermine machte.