Den lass ich gleich an & Gib's mir Schatz - Ellen Berg - E-Book
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Den lass ich gleich an & Gib's mir Schatz E-Book

Ellen Berg

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Beschreibung

Zwei Romane von Bestsellerautorin Ellen Berg in einem E-Book!

Den lass ich gleich an.

Nach Jahren als Alleinziehende ist bei Lulu einiges auf der Strecke geblieben: Körper, Frisur, Liebesleben – eine einzige Baustelle. Und dann mischt sich auch noch ihre Mutter ein und bucht für Lulu und ihre Tochter Lotte ungefragt einen Urlaub in einem Pauschalparadies auf Mallorca: für Familien ein Traum, für eine Mutter mit Kind ohne Mann leider die Hölle. Hier lernt sie Alex kennen, der es wert scheint, der Männerwelt noch eine letzte Chance zu geben – und dem sie sicherheitshalber vorenthält, dass es sie nur im Paket mit Lotte gibt. Aber was stimmt nicht mit Alex, dass er in den besten Momenten immer verschwindet? Verbirgt er etwas vor ihr? Und wie zum Teufel verheimlicht man eine achtjährige Tochter?

Gib's mir Schatz.

Sex oder nie! Was tun, wenn Flaute im Bett herrscht? Ganz klar: her mit heißer Wäsche, Handschellen und allem, was den antriebsarmen Mann wieder munter macht!

Anne und Tess scheuen weder Mühe noch gewagte Experimente, um ihre Kerle auf Touren zu bringen – mit ungeahnten Folgen. Anne und Tess teilen ein Problem: lendenlahme Männer. Anne wünscht sich ein zweites Kind, aber leider läuft nichts im Bett – Weihnachten ist öfter. Auch in Tess‘ Beziehung heißt es: alles außer Sex. Damit wollen sich die beiden Freundinnen aber nicht abfinden. Und sind deshalb wild entschlossen, neue Kicks auszuprobieren. Warum nicht mal den Mann mit Fesselspielen überraschen? Sie unternehmen einen Ausflug in einen Sexshop – mit hohem Kicherfaktor! – und wagen sich immer weiter auf die dunkle Seite der Lust. Die Reaktion der Männer: amüsiert bis verstört. Als Tess dann auch noch einem gestrengen Herrn und Meister verfällt, brennt die Hütte ...

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Informationen zum Buch

Den lass ich gleich an

Nimm zwei …

Nach Jahren als Alleinerziehende ist bei Lulu einiges auf der Strecke geblieben: Körper, Frisur, Liebesleben – eine einzige Baustelle. Und dann mischt sich auch noch ihre Mutter ein und bucht für Lulu und ihre Tochter Lotte ungefragt einen Urlaub in einem Pauschalparadies auf Mallorca: für Familien ein Traum, für eine Mutter mit Kind ohne Mann leider die Hölle. Hier lernt sie Alex kennen, der es wert scheint, der Männerwelt noch eine letzte Chance zu geben – und dem sie sicherheitshalber vorenthält, dass es sie nur im Paket mit Lotte gibt. Aber was stimmt nicht mit Alex, dass er in den besten Momenten immer verschwindet? Verbirgt er etwas vor ihr? Und wie zum Teufel verheimlicht man eine achtjährige Tochter?

Gib's mir Schatz

Sex oder nie

Was tun, wenn Flaute im Bett herrscht? Ganz klar: her mit heißer Wäsche, Handschellen und allem, was den antriebsarmen Mann wieder munter macht! Anne und Tess scheuen weder Mühe noch gewagte Experimente, um ihre Kerle auf Touren zu bringen – mit ungeahnten Folgen. Anne und Tess teilen ein Problem: lendenlahme Männer. Anne wünscht sich ein zweites Kind, aber leider läuft nichts im Bett – Weihnachten ist öfter. Auch in Tess‘ Beziehung heißt es: alles außer Sex. Damit wollen sich die beiden Freundinnen aber nicht abfinden. Und sind deshalb wild entschlossen, neue Kicks auszuprobieren. Warum nicht mal den Mann mit Fesselspielen überraschen? Sie unternehmen einen Ausflug in einen Sexshop – mit hohem Kicherfaktor! – und wagen sich immer weiter auf die dunkle Seite der Lust. Die Reaktion der Männer: amüsiert bis verstört. Als Tess dann auch noch einem gestrengen Herrn und Meister verfällt, brennt die Hütte …

Informationen zur Autorin

Ellen Berg, geboren 1969, studierte Germanistik und arbeitete als Reiseleiterin und in der Gastronomie. Heute schreibt und lebt sie mit ihrer Tochter auf einem kleinen Bauernhof im Allgäu.Ihre Romane „Du mich auch. (K)ein Rache Roman“, „Das bisschen Kuchen. (K)ein Diät-Roman“, „Den lass ich gleich an. (K)ein Single-Roman“, „Ich koch dich tot. (K)ein Liebes-Roman“, „Gib’s mir, Schatz! (K)ein Fessel-Roman“, „Zur Hölle mit Seniorentellern! (K)ein Rentner-Roman“, „Ich will es doch auch! (K)ein Beziehungs-Roman“, „Alles Tofu, oder was? (K)ein Koch-Roman“ und „Blonder wird’s nicht (K)ein Friseur-Roman“ liegen im Aufbau Taschenbuch vor und sind große Erfolge.

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Ellen Berg

Den lass ich gleich an & Gib's mir Schatz

Zwei Romane in einem E-Book

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Informationen zur Autorin

Den lass ich gleich an

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Epilog

Gib's mir Schatz

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Epilog – vier Monate später

Impressum

Ellen Berg

Den lass ich gleich an

(K)ein Single-Roman

Dieses Buch widme ich allen Müttern, den wahren Heldinnen des Alltags.

Kapitel 1

Sie haben genug vom Single-Frust?

Und wie.

Sie suchen Ihren Traummann?

Her damit!

Lulu klickte auf das große rosarote Herz, das auf ihrem Laptop pulsierte. Sofort zerfiel es in unzählige kleine Herzchen. In Zeitlupe schwebten sie davon.

So, liebes Schicksal, nun servier mir mal den Richtigen, dachte Lulu. Sende mir ein Zeichen. Heute geht es um alles. Ungeduldig sah sie zu, wie sich die elektronische Wundertüte öffnete.

Sie haben null Flirtmessages.

Wie bitte? Vier Wochen lang trieb Lulu sich nun schon auf diesem Flirtportal herum. Anfangs hatte sie einen wanderbegeisterten Rentner und einen verklemmten Mathematikstudenten weggeklickt, seitdem war nichts mehr passiert. Null Flirtmessages. Der Offenbarungseid an der Männerfront.

Fassungslos starrte Lulu auf ihren Laptop. Am liebsten hätte sie ihn so lange geschüttelt, bis er doch noch einen Mann ausspuckte. Dann klickte sie ihr Profil an. Gut, das Foto wirkte vielleicht etwas zu brav. Es zeigte sie in ihrer alten, ausgebeulten Lieblingsjeans und einem verwaschenen T-Shirt mit dem Aufdruck »Mama ist die Beste«. Aber ihre Selbstbeschreibung klang doch ganz vielversprechend: Kennwort: Mutter sucht Schraube. Alter: Anfang dreißig. Hobbys: Fotografie und Kochen. Vor allem aber: humorvoll, lebenslustig, begeisterte Mutter eines Kindes.

Das Kennwort hatte sie sich zusammen mit ihrer Freundin Sabrina ausgedacht. »Immer schön ehrlich sein«, hatte die nach dem dritten Glas Wein gekichert. »Irgendwann erfährt der Typ ja sowieso, dass du nur im Doppelpack mit Kind zu haben bist. Mutter sucht Schraube – das passt!«

Ach, Sabrina, dachte Lulu, du hast es gut. Du musst nicht in trüben Datingportalen fischen. Sabrina war ein rasend attraktiver, kinderloser Single. Bei ihr standen die Männer Schlange. Mehrmals hatte sie versucht, den einen oder anderen Herrn an Lulu durchzureichen. Leider ohne Erfolg.

Lulu hatte schon alles ausprobiert. Wirklich alles. Flohmärkte, Über-dreißig-Partys, Open-Air-Konzerte, Kuppeleinladungen besorgter Freunde, die ihr todsichere Kandidaten präsentierten – sogar ein Blind Date hatte sie hinter sich. Doch es war sinnlos. Auf dem Highway der Herzen war sie eine Geisterfahrerin. Als hätte ihr jemand ein Schild um den Hals gehängt: »schwer vermittelbar«. Sobald sie nämlich gestand, dass sie alleinerziehende Mutter war, verschwanden diese Steinzeittypen eins, zwei, drei wieder in ihrer Höhle.

Hajo, ein athletischer Bankkaufmann, hatte Lulu rundheraus gesagt, dass ihm Kinder zu anstrengend seien. Steffen, ein zerstreuter Nerd, hatte was von »Also echt jetzt, Verantwortung ist nicht mein Ding irgendwie« gemurmelt, und Jan-Friedrich, ein geschiedener Lehrer, hatte erklärt, er wolle nicht auch noch in seiner Freizeit von Kindern belästigt werden. So weit die magere Ausbeute. Von Ralf ganz zu schweigen, der Kinder vollkommen überflüssig fand. Um diese Enttäuschungen zu verkraften, hätte Lulu einen emotionalen Airbag gebraucht. Doch wo, bitte, gab es den?

Sie haben null Flirtmessages.

Immer noch stand der Satz auf dem Display. Das Orakel hatte gesprochen. Also würde Lulu heute Abend mit Mike ausgehen.

Sie wusste, dass Mike ein schwerer Fall war. Ein wandelndes Flirtportal sozusagen: Suche Frau to go. Aber vielleicht war es ja ein Zeichen, dass sich niemand auf Lulus Profil gemeldet hatte. Vielleicht wollte ihr das Schicksal noch eine Chance geben, eine Chance aus Fleisch und Blut. Und vielleicht war dieser Mike ja gar nicht der aalglatte Aufreißer, für den ihn alle hielten.

Seufzend klappte Lulu den Laptop zu. Wäre auch nur irgendein männerähnliches brauchbares Wesen aus den ewigen Jagdgründen des Internets aufgetaucht, sie hätte das Date mit Mike abgesagt. Doch das Urteil war eindeutig: Mike und kein anderer. Immerhin, er war gutaussehend, charmant und hatte ein Funkeln im Blick, das eine ganze Menge versprach.

Fröstelnd verkroch sich Lulu in ihren Bademantel. War Mike der Mann, auf den sie gewartet hatte? Sehnlichst, mit der ganzen Hoffnung ihres ziemlich verschrammten Herzens? Sie schluckte. Vor einer Woche hatten sie sich kennengelernt, bei einem beruflichen Termin. Es hatte ganz schön geknistert, und sie hatten ihre Handynummern ausgetauscht. Eine ganze Woche war verstrichen, bevor seine SMS eingetrudelt war.

Morgen Essen in der Olive? Acht Uhr? Kuss, Mike.

Das war gestern Abend gewesen. Die ganze Nacht hatte Lulu kein Auge zugetan. Wieder und wieder hatte sie ihr Handy vom Nachttisch geangelt und die SMS gelesen. Wieder und wieder hatte sie auf das Display gestarrt, das im Dunkel der Nacht wie ein Leuchtfeuer strahlte: Abend, Essen, Olive, Kuss. Kuss? Merkwürdig. Sie waren sich noch nicht nähergekommen. Sie siezten sich sogar. Aber das konnte sich schnell ändern.

Jetzt war es sieben Uhr morgens, Zeit zu handeln. Entschlossen griff sie nach ihrem Handy.

Hallo Mike. Nette Idee. Bis später dann, schrieb sie zurück.

Bloß keine allzu große Begeisterung zeigen. Den Ball flachhalten. Die Wahrheit aber war: Am liebsten hätte sie Limbo getanzt. Sie hatte ein Date! Und Herzklopfen. Schluckbeschwerden. Ein Date? Wie ging das noch mal?

Ein greller Schrei durchschnitt die Luft. »Achtuuuung – UFO!«

Mit einem tollkühnen Sprung landete ihre Tochter Lotte auf der Couch. Ihre dunklen Locken bildeten einen aparten Kontrast zum quietschrosa Pyjama, auf dem kleine Äffchen herumturnten.

»Hallo, unbekanntes Flugobjekt«, sagte Lulu, während Mike sich im morgendlichen Grau des anbrechenden Tages auflöste. »Gut geschlafen, mein Schatz?«

»Ich habe geträumt. Dass ich auf einem Schiff bin, mit lauter Piraten. Und dass ich mit ihnen über das große, blaue Meer fahre. Zu einer Insel mit Palmen und Papageien.«

Ein Urlaub am Meer war, abgesehen von einer Katze, Lottes sehnlichster Wunsch. In den Wellen toben, Sandburgen bauen, Muscheln sammeln. Doch dafür reichte das Geld einfach nicht. Und für eine Katze war zu wenig Zeit.

»Mama, was machst du eigentlich heute?«, fragte Lotte, während sie die Couch zum Trampolin umfunktionierte.

Es war immer wieder erstaunlich, wie viel Energie schon am frühen Morgen in einer Achtjährigen stecken konnte.

»Ich? Na, was ich immer mache«, gähnte Lulu. »Ich bringe dich zur Schule, knipse irgendwas, und dann hole ich dich aus dem Hort ab.«

Lulu war Fotografin. Im Grunde war sie sogar eine Künstlerin. Aber da sich leider niemand für Gräser im Gegenlicht interessierte, verdiente sie ihr Geld mit Werbeaufnahmen. Joghurt, Schokoriegel, Waschpulver – ihr war alles recht. Hauptsache, sie konnte die Miete bezahlen.

»Sonst machst du nichts?«

Mindestens so erstaunlich wie Lottes Energie war ihre Intuition. Sie hörte auf zu hopsen und betrachtete Lulu mit Kennermiene. Als ob sie ahnte, dass dies kein Tag wie jeder andere werden würde.

Zärtlich strich Lulu ihrer Tochter eine Haarsträhne aus dem Gesicht und drückte sie an sich. Sie war heilfroh, dass nichts an Lotte dem Mann ähnelte, der sie einst schnöde verlassen hatte. Einfach so, Lotte war noch ein Baby gewesen.

»Was ich sonst mache? Mal sehen …«, antwortete sie gedehnt.

Mike verschwieg sie besser erst einmal. Lotte war zwar der Meinung, dass ihre Mutter endlich einen Ersatzpapa mit nach Hause bringen sollte. Doch sobald ein Anwärter auf diesen Traumjob auch nur in ihre Nähe kam, wurde es kompliziert. Dann spielte Lotte die Staatsanwältin: »Mag er Kinder? Kann er Nintendo spielen? Geht er mit mir auf den Spielplatz? Wird er ein guter Papa?«

Ein geheimdienstliches Verhör war ein Kaffeekränzchen gegen Lottes Fragen. Also behielt Lulu lieber für sich, was das Schicksal beschlossen hatte: Mike und Lulu aufeinander zurasen zu lassen wie zwei führerlose Lokomotiven.

Der Countdown lief. Lulu meinte, das Ticken einer riesigen Uhr zu spüren, deren Sekundenzeiger sie vorwärtsschubste. Schlaftrunken wankte sie ins Badezimmer und betrachtete sich im Spiegel. Dunkle Locken fielen ihr in die Stirn und verdeckten halb die blauen Augen. Sie wirkte immer noch mädchenhaft. Selbst jetzt, am frühen Morgen, sah man ihr die fast vierzig kaum an.

Natürlich hatte sie geschummelt bei ihrem Flirtprofil. Was denn sonst? Anfang dreißig klang nun mal besser als Ende dreißig. Kochen konnte sie auch nicht besonders. Aber Kochen als Hobby kam gut an bei solchen Portalen, hatte Sabrina gesagt. Schließlich schummelten alle.

Heute Abend jedoch half kein Schummeln. Heute Abend würde Mike sie aus nächster Nähe scannen, Millimeter für Millimeter. So, wie die Natur und ein wechselvolles Schicksal sie geschaffen hatten. Noch einmal überprüfte Lulu ihr Spiegelbild. Doch ja, wenn man genau hinschaute, sah man schon die eine oder andere Sorgenfalte und den müden Zug um die Augen, der auf ein stressiges Leben schließen ließ. Sie lächelte sich Mut zu. Wenn sie lächelte, sah man ihre allerliebsten Grübchen, und aus den Sorgenfalten wurden Lachfalten.

Du lieber Himmel, Lulu, das wird schon, sprach sie sich Mut zu. Das Restaurant Olive ist bestimmt in ein Meer von Kerzenlicht getaucht. Sei froh, dass Mike dich nicht in eine Imbissbude eingeladen hat. Neonlicht macht einen grünen Teint und gräbt selbst in Pfirsichhaut tiefe Gletscherspalten. Die teuren Lokale dagegen haben kosmetische Beleuchtung, den eingebauten Weichzeichner. Merke: Je reicher die Gäste, desto gnädiger das Licht. Und Mike stand ohne Frage am oberen Ende der Nahrungskette. Er war der Chef einer Werbeagentur und musste sich um seine Miete garantiert keine Sorgen machen.

Lulu sah auf die Uhr. Die Zeit verging viel zu langsam. Nein, sie verging viel zu schnell. Einerseits konnte sie es kaum erwarten, Mike zu treffen. Andererseits hatte sie keinen blassen Schimmer, wie sie sich verhalten sollte. Was erwarteten Männer eigentlich beim ersten Abend? Die selbstbewusste Powerfrau? Das anschmiegsame Weibchen? Einen Vamp? Das waren Schicksalsfragen, die keine Frauenbeauftragte jemals beantwortet hatte. Außerdem war Lulu weder eine Powerfrau noch ein Weibchen noch ein Vamp. Nur eine ziemlich überforderte alleinerziehende Mutter, die nicht mal auf einem Flirtportal punkten konnte.

Ein Date war in ihrer Situation der Sechser im Lotto. Da hätte sie eigentlich ein paar Tage gebraucht, um sich angemessen vorzubereiten. Denn um ehrlich zu sein: Sie war ein bisschen aus der Übung.

Wie in Trance absolvierte Lulu das übliche Morgenprogramm. Sie duschte extra heiß, fönte ihre Locken zu einem wilden Etwas, dann schlüpfte sie in eine bequeme Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Darüber zog sie wie immer ihre olivfarbene Anglerweste mit den hundert kleinen Taschen. Praktisch und bequem, wie alles, was Lulu in ihrem übersichtlichen Kleiderschrank hatte. Für größere Schönheitsaktionen blieb ihr sowieso keine Zeit. Immerhin waren noch ein Tomatenrührei für Lotte sowie ein doppelter Espresso und ein Keks für sie selbst drin.

Zehn Minuten später bereute Lulu das Frühstück schon. Ein Müllwagen parkte ihren uralten Golf ein. Als die Müllmänner endlich abgerückt waren, verabredeten sich alle Ampeln der Stadt, auf Rot zu schalten, sobald Lulu angerast kam. Und als sie endlich vor Lottes Schule hielt, war der Tank leer. Nachdem sie die letzten Tropfen aus dem Reservekanister hineingeschüttet hatte, zierte ihre Anglerweste ein dicker Benzinfleck. Das waren Tage, die man am besten aus dem Kalender strich.

Mit quietschenden Reifen parkte sie eine halbe Stunde später vor dem Fotostudio. Sie war verschwitzt, ihre Frisur hatte sich zu einem feuchten Gekringel aufgelöst, und sie roch nach Benzin. Außer Atem riss sie die Tür zum Studio auf.

Heute war der Tag der Scheuermilch. Es war ein funkelnagelneues Produkt mit dem verheißungsvollen Namen »Fit & Ex«. Eine heiße Kampagne sollte es werden – so stand es im Briefing: gut gelaunt, frisch, sexy. Als hätten alle Frauen nur auf diese Scheuermilch gewartet, um darin zu baden.

Lulu schaute sich im Studio um. Es war ein weitläufiger, weißgestrichener Raum, den ein Gewirr von Lampen und Kabeln durchzog. Ein überirdisch hübsches Model wartete bereits in einer blitzblanken Küchenkulisse. Wie eine typische Hausfrau sah das Mädchen nicht gerade aus. Sie war höchstens siebzehn und trug ein Minikleid von Gucci. Aber so war das eben in der Werbung: tarnen und täuschen, was das Zeug hielt. Im richtigen Leben ging das leider nur auf Flirtportalen.

Missmutig sah Lulu an sich herab. Ihre Jeans stammte aus einem Second-Hand-Shop, die Anglerweste hatte sie vom Flohmarkt. Und ihre betagten schwarzen Sneakers waren nur deshalb noch schwarz, weil sie die Dinger regelmäßig mit einem dicken schwarzen Filzstift auffrischte. So sahen Frauen aus, die sich mit Scheuermilch abgeben mussten. Aber wen interessierte das schon?

Lulu holte ihre Kamera aus dem Rucksack und hängte sie sich um den Hals. Der Countdown für den großen Abend mit Mike lief währenddessen unerbittlich weiter. Warum hatte sie nicht längst ihre Low-Carb-Diät angefangen? Warum war sie seit Wochen nicht beim Friseur gewesen? Über den abgeblätterten Nagellack auf ihrem linken großen Zeh wollte sie lieber erst gar nicht nachdenken.

Mike musste vollkommen verrückt sein, ausgerechnet sie zum Essen einzuladen. Sie war eine graue Maus. Oder gefiel ihm gerade das? Er war ein Bild von einem Mann und konnte jede haben. Vielleicht brauchte er einfach mal Abwechslung. Etwas Naturbelassenes, Echtes, keine hochgezüchtete Superschönheit. Ja, so musste es sein.

Das Studio war völlig überfüllt. Stylisten polierten die Edelstahlspüle und trugen Blumenarrangements hin und her, Beleuchter schraubten an den Lampen herum. Gleich drei Make-up-Artisten umflatterten das Model, zogen den Lippenstift nach, toupierten die blonde Mähne, stäubten Puder auf das beneidenswert glatte Gesicht.

Einmal noch siebzehn sein, ging es Lulu durch den Kopf. Einmal noch jung, straff und cellulitefrei. Dann verwarf sie den Gedanken wieder. Schließlich hatte sie auch was zu bieten: Erfahrung, Reife und … ja, was eigentlich außer jeder Menge Selbstzweifel?

Sie bahnte sich einen Weg zu ihrem Assistenten Philipp, der gerade eine Schale Obst präparierte. Philipp war ein begnadeter Spezialist für das kamerataugliche Aufhübschen von Nahrungsmitteln. Noch das schlappste Endivienblatt konnte er mit Motoröl und Haarspray in einen appetitlichen Salat verwandeln.

»Mensch, Lulu, du bist so was von zu spät«, flüsterte er ihr zu.

»’tschuldigung, schneller ging’s nicht. Mein Chauffeur hat seinen freien Tag.«

Philipp grinste. »Dann gib wenigstens jetzt Gas, alle warten auf dich!«

Lulus Assistent war gerade mal zwanzig, ein magerer Junge mit Pferdeschwanz und Nickelbrille. Er trug nie etwas anderes als eine schwarze, abgeschabte Lederhose und ein weißes T-Shirt. Trotz seines jugendlichen Alters schaffte er es immer wieder, seine schützende Hand über Lulu zu halten. Schon mehrfach hatte er sie gerettet, wenn sie wieder einmal zu spät kam. Auch heute. Vorsorglich hatte er ihr Stativ aufgebaut und verschiedene Objektive bereitgelegt.

»Du bist wunderbar«, flüsterte Lulu zurück. »Mein Fels in der Brandung.«

»Dann halt dich gut fest, die nächste Welle kommt bestimmt«, raunte Philipp ihr zu. »Die Auftraggeber haben schon dreimal nach dir gefragt.«

Unauffällig deutete er auf zwei Herren, die sich zum Verwechseln ähnlich sahen: schwarze Anzüge, schwarze T-Shirts, schwarze Streberbrillen, Dreitagebart. Von weitem hätte man sie für Zwillinge halten können. Gelangweilt tranken sie Espresso, während sie auf ihren Smartphones herumtippten.

Waschechte Werbefuzzis eben, dachte Lulu, es lebe das Klischee. Was wussten solche Männer schon von ihrem aufreibenden Leben? Immer auf dem Sprung, immer in Hetze? Dauernd trug sie irgendwelche Zettel bei sich: Donnerstag: 16 Uhr Kinderarzt, Freitag: Wandertag, wetterfeste Schuhe für Lotte kaufen!!!, Montag: Elternabend! Allein das wäre ein Fulltimejob gewesen. Daneben musste sie den Haushalt schmeißen, einkaufen und wenigstens einigermaßen gesunde Sachen kochen, unermüdlich wie das Duracell-Häschen. War es ein Wunder, dass sie manchmal tagelang dasselbe T-Shirt trug? Und dass Pünktlichkeit nicht gerade ihre Stärke war?

»Ich hol dir einen Kaffee, siehst ziemlich mitgenommen aus«, schlug Philipp vor. »Na, ich krieg dich schon hin, schließlich bist du ein koffeinbetriebenes Genie!«

Philipp war nicht nur Lulus Assistent, er war auch ihr Depressionsbetreuer, ihr Mädchen für alles und der beste Coach unter der Sonne.

»Ein Platz im Himmel ist dir sicher«, erwiderte Lulu dankbar.

Sie atmete tief durch, während in ihrem Kopf das Hilfe-ich-hab-ein-Date-Programm weiterlief. Beine rasieren, Gesichtsmaske, was noch? Nicht nur, dass sie nichts Anständiges anzuziehen hatte. Ihr wurde flau bei dem Gedanken an das Darunter. So etwas wie verheißungsvolle Dessous besaß sie nicht. Sollte sie ihre figurformende Wäsche anziehen und riskieren, beim Nahkampf auszusehen wie eine Presswurst? Sollte sie das rosa Wäscheset mit den hüpfenden Kängurus anlegen? Oder sich noch schnell ein Nichts aus schwarzer Spitze kaufen? Dann hätte allerdings jede Speckrolle ihren Soloauftritt.

»Hier, doppelter Espresso, dröhn dir das Zeug auf ex rein«, riss Philipps Stimme sie in die Wirklichkeit zurück. »Du weißt ja: Fit & Ex. Und dann los!«

Lulu schlürfte brav die bittere Brühe und marschierte mit federnden Schritten in die Küchendeko.

Die beiden Herren in Schwarz musterten sie mit diesem Blick, den Lulu schon kannte. Einmal hinschauen und gleich wieder vergessen. Für solche Typen war sie als Frau quasi unsichtbar.

»Ach, Sie sind die Fotografin?«, fragte einer der beiden und deutete auf die Kamera, die auf ihrer Brust baumelte, direkt neben dem Benzinfleck. »Wurde aber auch Zeit. Haben Sie das Briefing bekommen?«

»Klar.« Lulu holte einen Belichtungsmesser aus ihrer Anglerweste. »Gut gelaunt, frisch, sexy.«

»Was man von der da nicht gerade behaupten kann«, flüsterte der Typ seinem Kollegen zu, gerade laut genug, dass Lulu es hören konnte. Das war gemein. Sie straffte ihre Schultern und reckte das Kinn vor. Von so einem ließ sie sich doch nicht den Schneid abkaufen.

»Guten Morgen!«, rief sie dem Model zu. »Hast du dich schon mit Fit & Ex angefreundet?«

»Na klar!«

Sofort kam Bewegung in das Mädchen. Wie in Ekstase riss es eine giftgrüne Flasche hoch und presste sie an sich wie einen Schoßhund. Auch das tat keine Hausfrau, aber es sah umwerfend aus. Die Herren in Schwarz ließen ihre Espressotassen sinken und murmelten freudig erregt.

»Wahnsinn«, schwärmte Lulu, während sie ein Foto nach dem anderen schoss, »nur noch ein bisschen mehr Rumms!«

»Wie, Rumms?«, fragte das Model.

Lulu antwortete nicht. Wieso denke ich überhaupt über Wäsche nach?, durchzuckte es sie. Körperliche Aktivitäten sind am ersten Abend streng verboten. Die gusseiserne Regel: Kein Sex beim ersten Date! Aber man kann nie wissen … Auf jeden Fall sollte ich die Bodylotion mit dem Vanilleduft nehmen. Vanille riecht so sinnlich.

Sie ließ ihre Kamera sinken. »Das ist die ultimative Bodylotion, äh – Scheuermilch! Sie macht dich glücklich! Zeig es mir!«

Als Lulu um sieben Uhr abends wieder in ihrem Badezimmer stand, befand sie sich in einem Zustand kompletter Auflösung. Sie musste sich am Waschbecken festhalten, um nicht einfach auf die Fliesen zu kippen. Kein Wunder. Nur schlappe zwei Kekse und viel zu viel Kaffee hatte sie herunterbekommen an diesem Schicksalstag.

Mach dich nicht lächerlich, ermahnte sie sich. Du bist fast vierzig, kein hysterischer Teenager. Und doch fühlte sich ihr Herz keinen Tag älter als fünfzehneinhalb an. Ein Abend mit Mike, das war vielleicht die Chance, auf die sie so lange gewartet hatte. Fragte sich nur, wie sie einen Womanizer wie Mike für sich gewinnen könnte.

Dreimal hatte sie sich schon umgezogen. Lulu besaß eine beeindruckende Sammlung verwaschener Jeans, ausgeleierter Jogginganzüge und Motto-T-Shirts, aber Garderobe für ein Date? Fehlanzeige. Das gebatikte Kleid aus ihrer Hippiephase war ebenso in die Ecke geflogen wie Sabrinas knallenge rote Lederleggins, die plötzlich drei Nummern zu klein waren. Jetzt probierte sie den schwarzen Hosenanzug an, den sie vor einigen Jahren zur Beerdigung ihres Vaters getragen hatte. Genauso sah der Anzug aber auch aus: sehr schwarz, sehr trostlos. Als wollte sie ihre letzten Hoffnungen auf einen Mann zu Grabe tragen.

Lulu seufzte. Was tun? Ein letztes Mal durchwühlte sie ihren Kleiderschrank. Dann gab sie es auf. Sie hatte nichts, um sich als Weibchen oder Vamp zu verkleiden, deshalb entschied sie sich für eine einigermaßen saubere Jeans und ein graues T-Shirt mit dem Aufdruck »It’s a girl!«, das sie mit einer Kette von Lotte aufpeppte. Es war ein Geburtstagsgeschenk ihrer kreativen Tochter und bestand aus Schmetterlingsnudeln, die Lotte auf einen Nylonfaden gereiht hatte. Nicht gerade glamourös, aber originell.

Skeptisch stellte sie sich vor den Spiegel. Wohlmeinende Freunde nannten Lulu ein Vollweib, doch sie machte sich keine Illusionen über ihre Figur. Schließlich hatte sie täglich spindeldürre Hungerhaken vor der Kamera, lauter Mädchen, die das Einmaleins an ihren Rippen abzählen konnten. Sabrina wiederum fand Lulus Figur »aufregend erotisch« und prophezeite die Rückkehr der Kurven. Die hatte gut reden. Sie selbst war dünn wie ein Bleistift.

Mit einem beherzten Ruck zog Lulu den Bauch ein und den Reißverschluss der Jeans zu.

Was kam als Nächstes? Ach ja, ein Hauch Make-up konnte nicht schaden. Dummerweise besaß sie nur zwei Lippenstifte, die sie nie benutzte. Mit zitternden Fingern zog sie die Lippen nach. Kirschrot? Sie rubbelte die Farbe wieder ab. Koralle? Ja, Koralle ist besser. Kirsche macht alt.

Als sich die Badezimmertür einen Spaltbreit öffnete, schrak Lulu unwillkürlich zusammen. Nun kam die Stunde der Wahrheit: Wie sag ich’s meiner Tochter? Dass Mami einen Ausflug in die kinderfreie Zone macht?

Lottes Gesicht gefror zu einem einzigen Vorwurf, als sie ihre Mutter musterte. Mit kindlichem Scharfsinn begutachtete sie die Kette und die geschminkten Lippen.

»Gehst du etwa weg?«, fragte sie.

»Überraschung!«, trällerte Lulu. »Ich habe eine Verabredung. Mit einem sehr, sehr sympathischen Mann.«

Lotte verzog den Mund. »Soso. Du hast ein Date. Mag er Kinder? Kann er Nintendo spielen? Geht er mit mir …«

»Schätzchen, das weiß ich alles noch nicht«, kürzte Lulu das Fragespiel ab.

»Und? Wird er mein neuer Papa?« So leicht ließ sich Lotte nicht aus dem Konzept bringen.

»Erst muss ich herausfinden, ob er – – ob er nett ist.«

»Aber nimm nicht so’n Doofen wie letztes Mal«, warnte Lotte. »Der hat immer gesagt, ich soll spielen gehen.«

Lulu erinnerte sich nur zu gut an Ralfs Reaktion auf Lotte. Es war zwei Jahre her, dass er Interesse an Lulu gezeigt hatte. Doch nachdem Lotte sein frischgebügeltes Hemd mit ihren Nutellahänden geschmückt hatte, war erst sein Lächeln verschwunden, dann er selbst. Sie hatte nie wieder etwas von ihm gehört.

»Ich checke Mike in Ruhe durch«, versprach Lulu. »Dann gehört er dir.«

»Und warum machst du dich nicht hübsch für ihn?«

Lulu war wie vor den Kopf geschlagen.

»Aber – bin ich denn nicht hübsch?«

Lotte stemmte die Arme in die Hüften und schüttelte ihren dunklen Lockenkopf. Mit ihren acht Jahren hatte sie bereits einen ausgeprägten Sinn für Mode, wenn sich ihr Geschmack auch dramatisch von dem ihrer Mutter unterschied. Obwohl Lulu ihr immer wieder praktische Latzhosen hinlegte, bestand Lotte darauf, in rosa Kleidchen und Ballerinaschuhen zur Schule zu gehen. Und statt der Spielzeugautos, die Lulu ihr ins Kinderzimmer stellte, bevorzugte Lotte Barbiepuppen. So viel zum Thema feministische Erziehung.

»Wenn man ein Date hat, zieht man ein Kleid mit einem Ausschnitt an und gaaanz hohe Schuhe, Mama«, sagte Lotte altklug. »Du siehst aus, als ob du den Keller aufräumen willst.«

Oha. Wie war das noch? Kindermund tut Wahrheit kund? Trotzdem. Das ging zu weit.

»Ich bin eben keine Barbiepuppe«, giftete Lulu. »Ich bin eine hart arbeitende Mutter und keine Tussi, die den ganzen Tag shoppen geht und sich die Fingernägel lackiert.«

Lotte schmollte stumm. Dann verfinsterte sich ihre Miene noch mehr.

»Und was mache ich heute Abend?«

Lulu hockte sich hin und schlang die Arme um ihre Tochter. »Du verbringst den Abend mit deiner geliebten Oma.«

Unwillig machte Lotte sich los. »O nee. Warum denn? Hab ich was angestellt?«

»Komm schon, Oma hat dich sehr, sehr lieb!«, beteuerte Lulu und richtete sich auf. Wieder musste sie Halt am Waschbecken suchen. Kaum zu glauben, was Mike anrichtete. Allein die Vorstellung, wie sich sein funkelnder Blick auf sie heften würde, verwandelte ihre Beine in verkochte Spaghetti.

»Aber ich darf nicht mal Oma sagen. Immer nur« – Lotte verdrehte die Augen – »Gill! Dabei heißt sie in Wirklichkeit Gisela.«

»Die Abkürzungen sind Familientradition«, erklärte Lulu. »Ich heiße ja auch eigentlich Marie-Luise und du Charlotte. Wart’s ab, das wird ein toller Mädelsabend. Ehrlich.«

Beim Wort »ehrlich« spürte sie einen Stich in der Magengrube. Immer hatte sie ein schlechtes Gewissen, wenn sie ausging, so selten sie es auch tat. Lotte war ihr Goldschatz, ihr Ein und Alles. Und diesen Goldschatz ließ sie heute allein mit einer Großmama, die alles andere als ein Kinderfan war. Keine angenehme Vorstellung, doch es musste sein.

Kostspielige Babysitter konnte sich Lulu nicht leisten. Manchmal sprang Philipp ein, der für Lotte so etwas wie ein großer Bruder war. Allerdings hatte Philipp nicht oft Zeit. Seine Abende verbrachte er meist am Laptop, um sich mit anderen Computerfreaks über die neuesten Hackerprogramme auszutauschen.

Also war Oma dran. Und später? Besser nicht drüber nachdenken, welche Komplikationen ein Leben zu dritt bereithielt. Erst einmal musste Lulu diesen Abend überstehen. Das war genug emotionaler Hochleistungssport für den Moment.

Lotte schraubte einen der Lippenstifte auf und zu. »Mädelsabend. Verstehe. Du hast Spaß, und ich muss in den Kinderknast.«

»Schatz, ich habe sogar deinen Lieblingspudding gekauft!«, versuchte es Lulu zur Abwechslung mit Bestechung. »Den, der eigentlich viel zu süß für deinen empfindlichen Magen ist. Heute habe ich eine Ausnahme gemacht.«

»Toll.«

Lulu wartete ab, bis Lotte zurück ins Wohnzimmer getrottet war, dann schloss sie die Badezimmertür. Ihr war schwindelig. Sie hatte sich für die figurformende Wäsche entschieden und konnte kaum atmen. Außerdem hatte Lottes Bemerkung ihren letzten Rest Selbstbewusstsein zerstört. Ihre Tochter hatte ja recht. Lulu sah nicht nach einem Date aus. Aber sie besaß nun mal keine atemberaubenden Kleider. Wozu auch? Normalerweise mussten ihre Klamotten nur eines sein – praktisch.

Es war Lichtjahre her, dass sie sich ernsthaft Gedanken um ihr Äußeres gemacht hatte. Zuletzt hatte sie es als Teenager mit Miniröcken versucht. Dann kam die Rockerphase mit Nietenjeans und Netzhemden, gefolgt von einem Hippie-Intermezzo und Jahren, in denen sie nur noch wahllos Schnäppchen aus dem Ausverkauf trug. Seit sie Mutter war, hatte sich das Thema Stil sowieso erledigt. Da Lotte von Anfang an dazu neigte, sich mehrmals am Tag zu erbrechen und ihre feuchte Nase an Lulu abzuwischen ebenso wie ihre klebrigen Hände, musste die Kleidung preiswert und kochfest sein. Später dann spielplatztauglich sowie resistent gegen Fingerfarben, Klebstoff und Schokolade.

Lulu hatte nie begriffen, wie manche Frauen es schafften, Kinder und Klamotten unter einen Hut zu bringen. Die sahen selbst nach einem langen Tag in Küche, Sandkasten und Kinderzimmer noch so aus, als seien sie gerade einem Modemagazin entstiegen.

Nach einigem Nachdenken beschloss Lulu, wenigstens so etwas wie scharfe Schuhe anzuziehen. Todesmutig schlüpfte sie in ein Paar Lackpumps, die ihr eine Moderedakteurin nach einem Fotoshooting geschenkt hatte. Die Pumps waren klatschmohnrot und hatten schwindelerregend hohe Absätze. Etwas unsicher stöckelte Lulu eine Weile hin und her, bis sie plötzlich einknickte und gegen den Badezimmerschrank taumelte. Die Schuhe waren viel zu groß!

Models hatten riesige Füße, weil sie mindestens ein Meter achtzig groß sein mussten. Lulu dagegen brachte es gerade mal auf einen Meter achtundsechzig und hatte eine Schuhgröße, mit der sie auch in der Kinderabteilung fündig wurde. Kurzerhand stopfte sie die Pumps mit Toilettenpapier aus. Der alte Modeltrick. Dann zog sie die Dinger wieder an. Nun hatte sie den Gang eines angetrunkenen Seemanns, aber mit etwas gutem Willen konnte man das als sexy durchgehen lassen. Sie strich ihr T-Shirt glatt und schaute in den Spiegel.

»Du hast ein Date mit dem Wahnsinn auf zwei Beinen«, flüsterte sie ihrem totenblassen Gegenüber im Spiegel zu. »Mach was draus!«

Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer angstvollen Grimasse. Bisher hatte sie noch jedes ihrer raren Dates versemmelt. Kurz nach Lottes Geburt war sie mit einem riesigen Stillbusen zu einem Rendezvous erschienen. Prompt war die Milch eingeschossen, und sie hatte die Flucht ergreifen müssen, als auf ihrem T-Shirt zwei dunkle, kreisrunde Flecke erschienen. Ein anderes Mal hatte ein Mann Reißaus genommen, weil sie vergessen hatte, den Windeleimer zu leeren, und ein infernalischer Gestank die Wohnung durchzogen hatte.

Die traurige Krönung war jene Nacht gewesen, als sich nach einer Party endlich mal ein Mann in ihr Bett verirrt hatte. Damals war Lotte vier gewesen. Mitten in der Nacht war sie aufgewacht und hatte weinend und schreiend den Eindringling vertrieben, der ihre Mami »gewürgt« hatte. Kein Wunder, dass Lulu seither allein geblieben war.

War das eigentlich normal, dass sie so grässliches Lampenfieber hatte? Sie brauchte dringend etwas, das sie aufbaute.

Lulu ging in die Küche, kramte in ihren CDs und legte ihre Lieblingsmusik auf. Barry White, »You’re the First, the Last, My Everything«. Der fetzige Discosound der Siebziger war jetzt genau richtig. In dieser Musik konnte man planschen wie in einem Whirlpool.

Sie machte ein paar Tanzschritte, soweit das überhaupt möglich war in den High Heels. Schon besser. Immer schön mit dem Po wackeln, sagte Sabrina immer, das befreit die Mitte und entspannt das Sonnengeflecht. Lulu wackelte, Lulu befreite sich. Entspannend war das Ganze jedoch nicht. Mittlerweile war sie so aufgeregt, dass sie feuchte Hände und eiskalte Füße hatte.

In diesem Moment klingelte es. Lulu hastete in den Flur. Sie hatte ihrer Mutter etwas von einem beruflichen Termin erzählt. Dass es um Leben und Tod in Sachen Männer ging, hatte sie lieber verschwiegen. Ihre Mutter verstand sich nämlich bestens darauf, einen Mann zu zerlegen, bevor er überhaupt einen Schritt in Lulus Leben setzte.

Auf dem Weg zur Tür schaute Lulu zu Lotte, die versunken auf der Couch saß und eine Kinderkassette hörte. Süßes Lottchen.

Fast acht Jahre wohnte Lulu schon in dem kleinen Appartement. Sie hatte es gelb gestrichen, gelb wie der Sonnenschein. Die Barbies, Dinos und Elektronikspiele, die überall herumlagen, sorgten für einen Hauch von Chaos.

Lulu liebte diese Wohnung, auch wenn sie vor den gestrengen Augen ihrer Mutter natürlich nicht bestehen konnte. Vielleicht hätte ich aufräumen sollen, dachte sie. Mutter mag keine Unordnung. Aber immerhin ist es eine gemütliche Unordnung, beruhigte sie sich.

Lulus Mutter war eine Perfektionistin. Mütterliche Kompetenz hatte sie mit Löffeln gefressen, was so viel hieß, dass sie einfach alles besser wusste. Obwohl Lulu fast vierzig war, verging kein Treffen ohne Vorhaltungen zu Themen wie Kindererziehung, Kochrezepten oder dem richtigen Umgang mit Männern. In allem war ihre Mutter Expertin. Im Winter konnte es passieren, dass sie Lulu anrief und fragte, ob sie auch schon ihren dicken Wollmantel aus dem Schrank geholt hatte. Sie nannte es Mutterliebe, Lulu nannte es Kontrollzwang.

Schon hörte man eilige Schritte auf der Treppe.

Lulu hatte die Tür kaum geöffnet, als sie schon ein lachsfarbenes Seidentuch umwehte. Eine Wolke Parfum nahm ihr den letzten Atem. Für eine Frau Anfang sechzig war Gill eine höchst dynamische Erscheinung. Etwas zu dynamisch für Lulus Geschmack. Eine gütige, pummelige Oma mit grauem Knoten und Brille wäre ihr manchmal lieber gewesen. Doch ihre Mutter war gertenschlank, frisch blondiert und eindeutig hyperaktiv.

Noch bevor Lulu ein Wort sagen konnte, legte Gill auch schon los. »Kind, muss das gerade heute sein? Du weißt, ich liebe Lotte über alles, aber ich spiele ungern den Last-Minute-Babysitter. Gerade komme ich vom Seidenmalkurs, und heute Abend wäre mein Literaturzirkel dran gewesen.« Missgelaunt wickelte sie sich aus ihrem Tuch.

»Danke, Mutter, dass in deinem Terminkalender noch ein winziges Plätzchen frei war«, erwiderte Lulu.

Gill hatte den ironischen Unterton nicht überhört. »Also, bitte. Ich habe mein eigenes Leben. Bis dein Vater starb, habe ich mich aufgeopfert. Nun bin ich mal an der Reihe.«

Über mangelnde Abwechslung konnte sich Gill in der Tat nicht beklagen. Nachdem ihr Mann ohne jede Vorwarnung einem Herzinfarkt erlegen war, hatte sie beschlossen, alles mitzunehmen, was das Leben einer unternehmungslustigen älteren Dame zu bieten hatte. Neben Seidenmalkursen und Literaturzirkeln gönnte sie sich Kräuterworkshops, Brotbackwochenenden, Kundalini-Yoga und hin und wieder eine Bildungsreise. Ihr Leben war durchgeplant wie das eines Topmanagers. Für Lotte blieb wenig Zeit. Viel zu wenig, fand Lulu.

Sie lachte bitter. »Schon klar. Du kannst den ganzen Tag Seide bemalen und schlaue Bücher lesen. Ich kann froh sein, wenn ich überhaupt mal fünf Minuten für mich habe.«

Eigentlich wollte Lulu gerade heute keinen Streit anfangen. Aber es ging ihr nun mal gewaltig auf die Nerven, wenn ihre Mutter das zur Schau stellte, was sie ihren »gesunden Egoismus« nannte. Gesund war was anderes, fand Lulu.

»Vergiss nicht: Es war deine Entscheidung, Lottes Vater gehen zu lassen«, sagte Gill spitz. »Jetzt bist du eben eine alleinerziehende Mutter. Weil du es so wolltest.«

Das war eine ziemlich herzlose Bemerkung, denn Lulu war damals vor vollendete Tatsachen gestellt worden: entweder den Erzeuger von Lotte mit anderen Frauen teilen – oder allein leben. Bernd war notorisch untreu. Ein Vorstadtcasanova, der auf nichts verzichten wollte, schon gar nicht auf seine erotischen Eskapaden. Nichts für Lulu.

Sie sah auf die Uhr. Halb acht. Falls sie sich auf dieses Scharmützel einließ, war Mike längst beim Dessert angelangt, bis sie die Olive erreichte. Oder mit der Kellnerin durchgebrannt. Also beließ sie es bei einem Rückzugsgefecht.

»Bernd hatte Testosteron für mehr Affären, als das Jahr Wochen hat, das weißt du so gut wie ich. Egal, ich muss los.«

Gill schwieg verstimmt. Kritisch nahm sie Lulu in Augenschein, vom korallenroten Mund bis zu den schwindelerregenden Lackpumps.

»Sag mal, ist das wirklich ein beruflicher Termin?«, fragte sie. »Nach deinem Lippenstift zu schließen, sieht es eher so aus, als ob du verzweifelt auf Männerfang gehst.«

»Mutter!«, zischte Lulu.

»Mama hat ein Date!«, kam es fröhlich von der Couch.

Lotte hatte wie immer alles mit angehört, auch wenn sie angeblich in die neuesten Abenteuer des einzigen sprechenden Elefanten der Welt vertieft war. »Weißt du was, Oma? Ich kriege bald einen neuen Papa, dann musst du uns nicht mehr besuchen!«

Gill erstarrte. Selbstverständlich liebte sie Lotte über alles. Leider konnte sie diese wunderbaren Gefühle nie richtig zeigen.

»Liebes, nenn mich bitte nicht Oma. So alt bin ich schließlich auch nicht. Außerdem finde ich es ziemlich vorlaut, dass …«

Jetzt fehlte nur noch, dass Gill eine Standpauke über Rabenmütter losließ, die rund um die Uhr arbeiteten und ihre Kinder vernachlässigten. Panik stieg in Lulu hoch. Wenn sie nicht auf der Stelle zum Endspurt ansetzte, musste sie den Abend absagen.

»Lottes Lieblingspudding steht im Kühlschrank«, sagte sie schnell. »Vielleicht liest du ihr vor dem Einschlafen noch was vor?«

Gill zog die Augenbrauen hoch. »Vorlesen? Ich nehme doch an, dass sie ihre Kinder-CDs bevorzugt.«

Für weitere Diskussionen war es zu spät. Lulu bestellte ein Taxi, dann eilte sie zu Lotte. Heftig umarmte sie das Mädchen, das auf einmal schrecklich zart und zerbrechlich aussah.

»Nicht vergessen: Du bist für mich der wichtigste Mensch auf der Welt«, flüsterte sie Lotte ins Ohr. »Oma steckst du doch lässig in die Tasche. Sie ist ein Eiszapfen, stimmt. Lass ihn einfach schmelzen. Und überhaupt: Morgen Nachmittag gehen wir Eis essen, ja?«

Lotte nickte ergeben. »Ooo-kay …«

Nachdem sich Lulu ihren unförmigen Rucksack mit der Aufschrift »Rettet den Regenwald« geschnappt hatte, warf sie ihrer Mutter einen flehenden Blick zu. Sei nicht so furchtbar streng, sagte dieser Blick. Mach Lotte glücklich, nur dieses eine Mal.

Dann flüsterte sie: »Kann später werden.«

Gill zog geräuschvoll die Luft durch die Nase ein. »Genug Komödie gespielt. Wer ist er?«

»Wir kennen uns vom Job«, antwortete Lulu, während sie nervös mit der Nudelkette spielte. »Er hat mich zum Essen eingeladen. Unverzeihlicherweise hat er vergessen, dich um Erlaubnis zu fragen. Und wenn du gestattest, leiste ich mir jetzt einen kleinen Rest Privatleben.«

Wieder sah sie auf die Uhr. Zehn vor acht. Der Countdown war so gut wie runtergezählt.

»Frag ihn unbedingt, ob er Kinder mag!«, rief Lotte vom Sofa herüber.

»Klar, was sonst?«, rief Lulu zurück.

Dann marschierte sie davon, tapfer wie ein kleiner Soldat, der Haus und Hof hinter sich lässt, um in den Krieg zu ziehen. »Love is a battlefield«, summte sie vor sich hin. Sie hatte sich fest vorgenommen, nach langer, langer Zeit endlich einmal wieder siegreich vom Schlachtfeld zu gehen.

Als das Taxi vor der Olive hielt, piepste Lulus Handy. Es waren zwei Nachrichten gekommen.

Die erste lautete: Freu mich auf Sie, Mike.

Die zweite: Lotte hat sich gerade übergeben. Was tun?

Kapitel 2

Die Olive war überirdisch elegant. Es war die Sorte Lokal, wo schon die Vorspeise so viel kostete wie das Fastfood-Menü einer Kleinfamilie. Die Wände leuchteten matt in dunklem Violett, auf den weißgedeckten Tischen schimmerte Silberbesteck. In den Ecken standen riesige Vasen mit magentafarbenen Lilien, die einen betörenden Duft verströmten.

Lulu konnte sich nicht erinnern, jemals in der Olive gewesen zu sein, dennoch empfing sie der Patron wie seine beste Freundin.

»Ah, cara mia, du siehst phantastisch aus heute Abend«, gurrte er, während er einen Handkuss andeutete. »Hast du reserviert?«

Lulu schüttelte den Kopf. Seit der SMS ihrer Mutter konnte sie nicht mehr klar denken. Wenn es Lotte schlechtging, war Lulus Platz bei ihrem Kind. Aber falls sie jetzt das Date absagte, entging ihr die vielleicht letzte Chance, jemals bemannt durchs Universum zu fliegen.

Die Alternative stand ihr nur allzu deutlich vor Augen. Grau und öde würde sie sein, die Zeit zwischen Einzelbett und Bahre, und die einzigen Stimmungsaufheller blieben Schokolade und Prosecco. Das Schlimmste aber war: Sie würde vergessen, wie das geht mit einem Mann. Was? Na, das eben.

Nein, sie musste den Gedanken an Lotte irgendwie wegparken und sich ganz auf Mike konzentrieren. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass Lotte in hohem Bogen hinausbeförderte, was zu süß, zu fett oder ein Chemikaliencocktail war.

Lulu hatte deswegen schon mehrfach den Kinderarzt konsultiert. Doch der hatte nur festgestellt, dass Lotte einen empfindlichen Magen besaß und im Übrigen kerngesund war. Grund zur Sorge gab es also nicht. Bloß eine Familienpackung Schuldgefühle.

Die nächste SMS kam. Hallo? Was soll ich nun tun?

Kamillentee!, tippte sie eilig. Der hilft immer!

Dann spähte sie ins Lokal. Mike war natürlich schon da. Gerade sprach er mit einer jungen Kellnerin, die so fasziniert an seinen Lippen hing, als erklärte er ihr die Geheimnisse der Quantenphysik.

Geschenkt, beruhigte Lulu sich. Der wärmt sich nur auf. Hauptsache, er hat seine gute Laune nicht verloren. Eine halbe Stunde Verspätung kann man sich eigentlich nur leisten, wenn man zwanzig ist, Kleidergröße 34 trägt und den Tag beim Friseur verbracht hat. Sie dagegen war kurz vor dem Klimakterium, trug eine nicht ganz fleckenfreie Jeans, die um die Hüften spannte, und Friseure kannte sie mittlerweile nur noch vom Hörensagen.

Während sie sich einen Weg durch die Tische bahnte, registrierte Lulu dankbar die gedimmten Kronleuchter aus Kristall und die schimmernden Kerzen, die in silbernen Leuchtern steckten. Tatsächlich, kosmetisches Licht, wie bestellt.

Allerdings passte sie mit ihrer uralten Jeans in das edle Ambiente so gut wie ein Obdachloser in ein Luxushotel. Wo war die gute Fee, die Aschenputtel in eine schöne Prinzessin verwandelte? Vor Scham wäre sie am liebsten im Boden versunken. Und dann der unförmige Rucksack! Seit sie Mutter war, ging sie nie ohne ihn aus dem Haus. Neben ihrer Kamera hatten darin raue Mengen von Papiertaschentüchern, Keksen und Spielzeug für Lotte Platz. Lulu war auf alles vorbereitet. Nur nicht auf den formvollendeten Auftritt in einem Restaurant wie diesem.

Sie hatte wenig mehr anzubieten als das etwas vernachlässigte Äußere einer hart arbeitenden Frau. Sicher, darunter gab es eine andere Lulu zu entdecken: eine zarte, verletzliche Person, die sich nach Nähe sehnte. Doch Lulu hatte sich angewöhnt, nur noch die raue Schale zu zeigen. Es war ihre schützende Hülle, mit der sie sich gegen Enttäuschungen wappnete. Hatte Mike erkannt, dass die Frau in ihr darauf wartete, entdeckt zu werden? Es sah ganz danach aus.

Er hatte einen Tisch etwas abseits in einer Nische ausgesucht. Cleverle. Dieser Mann überließ offenbar nichts dem Zufall, wenn er ungestört sein wollte. Sehr aufrecht stöckelte Lulu auf ihn zu. Die Schuhe waren die Hölle. Bei jedem Schritt verrutschte das zusammengeknüllte Toilettenpapier ein Stückchen mehr. Doch es stand ja glücklicherweise kein Waldspaziergang auf dem Programm. Die paar Meter würde sie schon unfallfrei schaffen.

»Lulu! Endlich!«

Mike sprang auf. Er stutzte kurz, als er Lulus rustikale Aufmachung begutachtete, doch dann hauchte er ihr gleich drei Küsschen auf die geröteten Wangen. Links, rechts, links.

Wow. Lulu erschauerte. Er duftete nach Rasierwasser, nach frisch gestärktem Oberhemd, vor allem aber nach Mann. Tief sog sie diesen Geruch in sich ein. War lange her. Man konnte auf der Stelle süchtig danach werden.

»Hallo Mike!«, strahlte sie. »War gar nicht so leicht, diesen Abend freizuschaufeln! Sie wissen ja, als Single ist man dauernd unterwegs.«

Kein Wort über ihre einsamen Nächte. Schummeln war schließlich erlaubt, wenn es um alles ging. Eilig drückte sich Lulu auf ihren Stuhl und musterte das Objekt ihrer Begierde.

Mike war auf etwas altmodische Weise attraktiv. Im abendlichen Schmeichellicht hätte er glatt als kleiner Bruder von George Clooney durchgehen können. Das dichte, dunkle Haar über dem kantigen Gesicht schimmerte an den Schläfen silbern. Sein Maßhemd saß so untadelig wie das dunkelblaue Jackett und die dezent gemusterte Seidenkrawatte. Tja, und es war nicht zu übersehen, dass er regelmäßig Sonnenstudios aufsuchte.

Mike leitete eine große Werbeagentur, die Lulu abwerben wollte. Bisher hatte sie nur einen einzigen Auftrag für eine Joghurtkampagne angenommen, weil sie andere Verträge erfüllen musste. Sicherlich wollte er sie ihr ausreden. Aber da war noch mehr, sonst hätte er sie nur zu einem Kaffee eingeladen, nicht in solch ein Luxusrestaurant. Oder?

Versäbel es nicht, redete sie sich gut zu. Das Schicksal wollte, dass du ihn heute triffst. Und das Schicksal hat sich garantiert was dabei gedacht.

Auch Mike hatte sich eine ganze Menge gedacht. »Ich habe schon bestellt. Champagner, Austern, Trüffel – na? Was fällt Ihnen dazu ein?«

Fieberhaft überlegte Lulu. Alles teuer? Alles französisch? Verflixt, was sollte das werden? Ein Quiz?

»Sagen Sie’s mir«, antwortete sie, ganz Pokerface.

Mike sah ihr tief in die Augen. »Das sind Aphrodisiaka.«

Wie jetzt? Champagner aus Afrika? Gab es so was? Lulu hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon Mike sprach.

»Erotisierende Speisen«, grinste er. »Viagra zum Essen und Trinken.«

Hallo? Sind wir hier etwa beim Vorspiel? So sicher war er, dass er eine Frau wie Lulu ganz nebenbei einsacken konnte? Irgendwie hatte das Schicksal heute einen schlechten Tag. Mike dagegen schien sich bestens zu amüsieren. Mit Schwung holte er eine Champagnerflasche aus dem Eiskübel und goss ein Glas für Lulu ein. Dann hob er sein eigenes.

»Auf einen besonderen Abend«, sagte er.

Auch Lulu hob ihr Glas. Sollte sie besser gleich gehen? Nein, beschloss sie, wenigstens das Essen halte ich durch. Null Flirtmessages, schon vergessen?

»Auf einen beson…«

Etwas piepste. Etwas piepste sogar ganz gewaltig. Lulu nahm einen Schluck Champagner, dann wühlte sie ihr Handy aus dem Rucksack. Die SMS war von Gill, ein ganz schlechtes Zeichen. Sie öffnete die Nachricht.

Lotte hatSEHRstarke Bauchschmerzen.

Auf der Stelle wurde Lulu so bleich wie das Tischtuch.

»Probleme?« Mike langte über den Tisch hinweg und legte eine Hand auf ihren nackten Arm.

»Nein, nichts Besonderes«, schwindelte Lulu.

Bestimmt der Lieblingspudding. Aber das behielt Lulu besser für sich. Ein Kind, das sich daheim erbrach, war ein sicherer Date-Killer. Also einfach den Schalter umlegen und lächeln. Seufzend packte sie das Handy zurück in ihren Rucksack.

»Lassen Sie uns in Ruhe reden«, sagte Mike. »Heute will ich mehr über die Frau erfahren, die unsere neuen Kampagnen fotografieren wird. Davon gehe ich jedenfalls aus.«

Lulu verzog den Mund. »Na ja, ich muss mir das noch mal überlegen. Meine Verträge mit der Konkurrenz laufen noch eine Weile. Danach könnte ich es vielleicht einrichten.«

»Ach was«, er funkelte sie vielsagend an, »Sie sind viel zu gut für billige Reklame. Bei uns geht es um Imagekampagnen. Da sind Sie genau richtig. Ich biete Ihnen einen lukrativen Vertrag. Und ich habe den Eindruck, wir könnten uns gut, nein, sogar sehr gut verstehen. Noch ein Glas Champagner?«

Lulu nickte, während sie schon wieder das piepsende Handy aus dem Rucksack zog.

Wo ist Lottes Lieblingsbarbie mit dem Ballkleid?, meldete sich Gill.

Such mal im Badezimmer, schrieb sie zurück und widmete sich wieder ihrem Gegenüber.

Klar, Mike ging etwas zu rasant in die Kurve, und seine Brutzelbräune war auch ein paar Nuancen zu dunkel. Aber war es nicht wunderbar, dass dieser Mann sie verwöhnen wollte? Dass er sich so viel Mühe gab und sie hierher einlud?

Ein Anflug von Rührung erfasste Lulu. In jedem Gockel steckte doch am Ende nur ein kleiner Junge, der mit seinem tollen Spielzeug beeindrucken wollte – man musste kein Psychologiestudium absolviert haben, um das zu verstehen. Offenbar wollte Mike sie sogar ganz besonders beeindrucken, sie, die schwer vermittelbare Frau Ende dreißig, die seit Menschengedenken nicht mehr mit einem Mann ausgegangen war.

»Danke für die Einladung«, sagte sie und ärgerte sich sofort über ihren förmlichen Tanzstundenton.

»Gern geschehen«, erwiderte Mike. Seine Augen wanderten über ihr Gesicht zum T-Shirt mit dem Aufdruck »It’s a girl« und blieben bei der Nudelkette hängen.

»Hm, ausgefallener Schmuck«, sagte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

»War’n Geschenk«, nuschelte Lulu.

»Passt zu Ihnen«, erwiderte er trocken.

Nahm er sie überhaupt ernst? Ach was, bestimmt ist er genauso aufgeregt wie ich, überlegte sie. Hat sich auch dreimal umgezogen und stundenlang vor dem Spiegel gestanden. Ja, so musste es sein: Tief in seinem Herzen hockte ein einsamer Wolf, der gerade sein Lampenfieber wegheulte.

Über die Konversation musste sich Lulu jedenfalls nicht den Kopf zerbrechen. Mike war ein glänzender Alleinunterhalter. Vorausgesetzt, dass auch nur die Hälfte seiner Geschichten stimmte, war er Superman persönlich. Er verfügte über ein sensationelles Golfhandicap, einen Ferrari-Oldtimer und war im Besitz eines fabelhaften Lofts. Außerdem war seine Agentur natürlich die größte und beste weit und breit.

Normalerweise hätte Lulu ihn als Angeber bezeichnet. Doch heute war sie milde gestimmt, deshalb wählte sie ihre Worte mit Bedacht. Das meinte sie jedenfalls.

»Also, Golf finde ich ehrlich gesagt sterbenslangweilig«, unterbrach sie seinen Redestrom. »Ein Alte-Leute-Ding. Und so ein Ferrari ist eine echte Umweltsünde, wussten Sie das?«

Sein Lächeln erstarb. »Sie stehen mehr auf Öko, was?« Er zeigte auf den Rucksack mit dem Aufdruck »Rettet den Regenwald«, den Lulu über die Stuhllehne gehängt hatte. »Für mich sind Ökofreaks neidische Entspaßer. Die haben mir sogar mal die Reifen aufgeschnitten.«

O Mann, mittenrein ins Fettnäpfchen. Sie merkte zu spät, dass sie sich unmöglich machte. Vermutlich musste man seine Meinung beim ersten Date dezenter kundtun. Sie war wirklich total aus der Übung. Aber von nun an würde sie auf der Hut sein. Zeig dich von deiner diplomatischen Seite, ermahnte sie sich. Auch wenn’s schwerfällt. Welcher Mann findet schon Frauen verlockend, die ständig Widerworte geben? Lulu lächelte. Lulu nickte. Lulu flocht ein paar »Wirklich?« und »Ist ja spannend!« ein. Gockel du nur, dachte sie. Auch du bist einsam. Auch du bist auf der Suche. Irgendwann wirst du den ganzen Quatsch weglassen. Dann, wenn wir uns näher kennen. Dann, wenn …

»Verraten Sie mir, wovon Sie träumen?«, hörte sie Mikes Stimme.

Was war das denn für eine Frage? Wenn sie jetzt sagte, dass sie von einem Mann träumte, der nett zu Lotte war, eine Waschmaschine reparieren konnte und sich noch dazu für unromantische Momente auf dem Spielplatz zuständig fühlte, hätte er sie bestimmt ausgelacht.

»Wovon ich wirklich träume …«, sie zögerte, »… ist ein richtig großer, schöner Bildband mit meinen Fotos. Nicht mit den Werbesachen, mit meinen eigenen Fotos. Die liegen leider alle in der Schublade.«

»Soso, ein Bildband.«

Es war offensichtlich nicht die Antwort, die Mike erwartet hatte. Meinte er, Lulu würde von einem Liebeswochenende mit ihm auf den Malediven phantasieren? Jedenfalls ließ er das Thema sofort fallen und begann wieder, von seiner Agentur zu schwärmen.

»Darf ich stören?« Die Kellnerin servierte die Vorspeise, nicht ohne Mike einen flirtigen Blick zu schenken.

Zwei Dutzend Austern lagen auf einem Metallgestell, in einem kühlen Bett aus Eiswürfeln. Austern also, ah ja.

»Sieht aus wie überfahrene Weinbergschnecken«, versuchte Lulu zu witzeln.

Mike verzog entnervt das Gesicht. Schon das zweite Fettnäpfchen. Gütiger Himmel, was stellte man noch mal mit den Dingern an? Lulu wartete ab, bis er sich eine Auster an die Lippen setzte und so hingebungsvoll daran saugte wie ein Baby an der Mutterbrust. Lebten die Teile eigentlich noch? Falsche Frage. Auf der Stelle rebellierte ihr Magen.

Genau in diesem Augenblick piepste wieder das Handy.

Ich fürchte, Lotte hält es ohne dich nicht mehr aus.

Lulu legte das Handy neben ihren Teller. Lotte war krank. Ihr geliebtes Lottchen. Warum war das Leben so schrecklich kompliziert? Verstohlen überwachte sie das Display.

»Na, da ist ja jemand sehr hartnäckig«, lächelte Mike. »Oder etwa eifersüchtig? Ein Verehrer vielleicht?«

Lulu war sich wieder nicht ganz sicher, ob er das ernst meinte. Sie lächelte schief. »Wer weiß …«

Arme Lotte. Es musste sie schwer erwischt haben. Lulu ließ das Handy in ihren Rucksack gleiten. Verdammt, konnte sie nicht mal einen Abend ungestört mit einem Mann verbringen? Dann holte sie das Handy wieder heraus. Vorsichtshalber. Die Sache mit Lotte ließ ihr keine Ruhe.

»So essen Sie doch, es schmeckt phantastisch«, ermunterte Mike sie.

Zögernd griff Lulu nach einer Auster. Komisches Vieh. Und wie das roch! Wie brackiges Hafenwasser. In Gedanken entschuldigte sie sich bei Lotte, der sie über die Jahre hinweg Hunderte von Fischstäbchen aufgedrängt hatte. Es gab Tiere, die man besser in ihrem natürlichen Lebensraum ließ. Lulu unterdrückte einen Würgereiz und schlürfte den fischigen Glibber in sich hinein. Wahrscheinlich fühlte sich Lotte gerade genauso elend.

»Habe ich Ihnen schon gesagt, dass Sie eine äußerst unkonventionelle Frau sind?«, unterbrach Mike ihre Grübeleien.

Unkonventionell? Das klang aber gar nicht gut. Man sagte Frauen, dass sie schön seien, faszinierend, atemberaubend. Unkonventionell hieß doch wohl so viel wie unattraktiv, aber wenigstens ausgefallen. Lulus Gedanken waren ohnehin bei Lotte.

»Hmm, ich glaube, ja. Oder?«

Mike brach in Lachen aus. »Oh, ich mag es, wenn Frauen verwirrt sind. Das passiert mir nicht zum ersten Mal, glauben Sie mir. Meine Wirkung auf Frauen ist eben – na ja, später mehr davon. Sie sind so verspannt. Lassen Sie sich einfach fallen.«

Er hat ja recht, dachte Lulu, mach dich locker. Gill kriegt das schon hin. Wieso auch nicht? Immerhin hat sie dich auch großgezogen, Bauchweh und Spucken inklusive. Denk nicht immer, dass du die Übermutter geben musst. Aber genau das wollte sie insgeheim sein. Seit Lottes Geburt hatte sie ihre sämtlichen Bedürfnisse dem Muttersein untergeordnet. Jede freie Minute verbrachte sie mit ihrem Kind, der Rest war dem Job vorbehalten. Dazwischen passte kein Blatt Papier. Sie hatte eine beeindruckende Karriere absolviert: beim Babyschwimmen, in Krabbelgruppen, als Elternbeirat des Kindergartens, im Schulkomitee »Gesundes Frühstück«. Über Kinder wusste sie alles, über Männer so gut wie nichts.

Leichter Schwindel erfasste sie. Sie hatte mittlerweile das zweite Glas Champagner geleert. Heute bist du dran. Nur du. So übel ist dieser Mike gar nicht. Widerspruchslos ließ sie sich ein weiteres Glas Champagner eingießen.

»… und ich finde, wir sollten das förmliche Sie weglassen«, hörte sie wie durch einen Nebel hindurch Mikes Stimme.

Sie hoben ihre Gläser, prosteten sich zu, und Mike beugte sich vor, um Lulu ein Küsschen auf die Wange zu hauchen. Wieder war die Berührung wie ein Stromschlag, den Lulu bis in die Fingerspitzen spürte. Und das Beste war: Ihr Handy blieb stumm. Na bitte, Gill hat alles im Griff, atmete sie auf. Vielleicht ist dieser Abend ja der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen Großmutter und Enkelin. Langsam, ganz langsam schaltete sie einen Gang zurück und fing an, den Abend zu genießen.

Das Essen war erlesen: Trüffel-Tagliatelle, Loup de mer, Rohmilchkäse mit Feigensenf. Das Tiramisu löffelten sie gemeinsam von einem Teller. Ah, so schmeckte es also, das süße Leben.

Mike rückte näher an sie heran. Lulu wehrte sich nicht. Sie hatte schon viel zu lange gewartet. Und bestimmt war sie zu wählerisch gewesen. Acht männerlose Jahre, ein paar Pausenclowns nicht mitgerechnet, das war eine lange Zeit.

Gedankenverloren spielte sie mit ihrem Besteck. Ahnte eigentlich irgendwer, wie es ihr wirklich ging? Immer allein, immer unter Termindruck? Als alleinerziehende Mutter hatte sie sich einen Hammerjob ausgesucht. Es wurde Zeit, dass sie sich an eine starke Schulter anlehnen konnte. Mike hatte seine Macken, aber welcher Mann hatte die nicht?

Greif zu!, flüsterte eine zarte Stimme in ihr. Pass bloß auf!, antwortete eine zweite, strenge Stimme. Mach dich nicht billig. So verzweifelt bist du nun auch wieder nicht.

Allerdings war nicht zu leugnen, dass eine gewisse Anziehungskraft von Mike ausging. Er lächelte von einem Ohr zum anderen und strich von Zeit zu Zeit über ihre Hand. Welche Frau konnte sich da schon entziehen?

Was er erzählte, von irgendwelchen Strategien und Kampagnen, bekam sie ab dem dritten Glas Champagner gar nicht mehr richtig mit. Es war nur die Hintergrundmusik für den Film, der in ihrem Kopf lief: Hand in Hand mit Mike im Regen durch den Park laufen, eng umschlungen mit ihm tanzen, ihn küssen, mit ihm … oha, Lulu stellte fest, dass nicht sie am Tisch saß, sondern zweiundsiebzig Kilo Östrogen.

Als Mike schließlich die Rechnung verlangte, entstand eine verlegene Pause. Und jetzt? Nie am ersten Abend, lautete die Regel. Hinhalten und langsam kommen lassen. Auf keinen Fall wollte Lulu einen One-Night-Stand riskieren, und schon gar nicht mit dieser fleischfarbenen Wurstpelle unter der Jeans.

Sie würde ein Taxi besteigen und warten, ob Mike sich zu einem zweiten Date durchrang. Kluge Frauen machten das so, hatte sie mal gelesen.

»Danke, dass du mir deine Zeit geschenkt hast«, überbrückte Mike das peinliche Schweigen. »Ich denke, wir werden ein großartiges Team. Über die Details reden wir noch.«

Ja, das könnte durchaus was werden mit ihm, überlegte Lulu. Doch jetzt hieß es, einen eleganten Abflug hinzubekommen.

Sie räusperte sich. »Danke für das tolle Essen, Mike. Es war wahnsinnig schön. Bist du so lieb und bringst mich zum Taxistand?«

»Aber sicher doch.«

Er schien nicht im mindesten enttäuscht zu sein. Mike hatte eben Stil. Erleichtert packte Lulu ihr Handy ein. Wahrscheinlich schlief Lotte seit Stunden. Wie spät war es eigentlich? Viertel nach zwölf! Höchste Zeit für Gills Schönheitsschlaf.

Als sie aufstand, schwankte sie leicht. Ihre Zehen krampften sich um die Toilettenpapierknödel in den Pumps, während sie ein paar Trippelschritte probierte. Holla. So ein Champagnerschwips auf High Heels war Extremsport der gefährlichsten Sorte. Mindestens so gefährlich wie Hochgebirgsklettern auf Ecstasy.

Sofort trat Mike an ihre Seite. Fürsorglich legte er einen Arm um Lulu und lotste sie durch das Lokal auf die Straße. Was für ein gutes Gefühl, diesen starken Männerarm zu spüren. Lulu fühlte sich so – beschützt. Das war ebenso ungewohnt wie angenehm nach all den männerlosen Jahren. Danke, liebes Schicksal. Besten Dank auch. Du weißt eben, was du tust.

Draußen jagte ihr die kalte Nachtluft einen Schauer über den Rücken, aber das rettende Taxi wartete schon an der nächsten Ecke. Alles war gut. Spätestens in einer halben Stunde würde sie zu Lotte ins Bett kriechen, zu ihrem geliebten Lottchen.

»Telefonieren wir?«, fragte sie.

»Das und noch viel mehr«, erwiderte Mike und grinste.

Na also, spätere Heirat nicht ausgeschlossen, scherzte Lulu in Gedanken, während sie einen unsicheren Schritt auf das Taxi zu machte. Mike, der Gentleman vom Dienst, hielt ihr sogar den Wagenschlag auf.

Selig ließ sich Lulu auf den Rücksitz fallen. Das Leben war herrlich. Sie hatte jetzt einen waschechten Verehrer mit der Aussicht auf mehr.

Gerade nannte sie ihre Adresse, als plötzlich die gegenüberliegende Tür aufgerissen wurde. Völlig selbstverständlich glitt Mike neben sie auf den Rücksitz.

»Ich bringe dich natürlich nach Hause«, verkündete er. »Und vorher machen wir einen kleinen Umweg.« Er beugte sich zum Taxifahrer vor. »In die Humboldtstraße bitte, Nummer vier.«

Überrumpelt sah Lulu ihn an. Nee, nee. So war das nicht gedacht. Überhaupt nicht!

»Ich muss jetzt wirklich …«

»Nur eine Minute. Ich habe noch eine kleine Überraschung für dich«, erklärte Mike. »Der Entwurf für die neue Imagekampagne ist heute gekommen. Es geht um ein Versicherungsunternehmen. Das wird dich überzeugen.«

Das Taxi fuhr los. Lulu umklammerte ihren Rucksack. Was sollte das denn werden? Nicht gut. Gar nicht gut. Andererseits: Was konnte ihr schon passieren? Sie war eine erwachsene Frau, sie trug High Heels, für die man einen Waffenschein brauchte, und Wäsche, die einen Keuschheitsgürtel ersetzte.

Schon nach wenigen Minuten hielt das Taxi wieder. Galant half Mike ihr aus dem Wagen und führte sie zu einem gläsernen Aufzug, der an der Fassade eines Hochhauses klebte. Lulu war nicht schwindelfrei. Angstvoll betrachtete sie das gläserne Nichts, das über dem Abgrund schwebte. Nie im Leben würde sie in dieses Dings steigen! Doch Mike hatte sie schon untergehakt und steckte seinen Schlüssel in ein winziges Schloss. Sofort raste der Aufzug herab, und Mike schob Lulu in den Glaskasten.

Sie schloss die Augen. Völlig geräuschlos setzte sich der Aufzug in Bewegung. Ihr Magen allerdings ließ sich nicht überlisten. Die Austern und der Fisch erwachten zu neuem Leben, der Champagner begann zu blubbern. Lass es enden, betete sie stumm. Und zwar ohne lang hinschlagen und Trara.

Als sie oben angekommen waren, öffnete Lulu vorsichtig die Augen. Mit einer theatralischen Geste breitete Mike die Arme aus.

»Willkommen in meinem Schloss, Prinzessin!« Noch immer verbreitete er eine verdächtig gute Laune.

Steifbeinig stakste Lulu aus dem Aufzug. Mikes Loft wirkte wie aus einem Hollywoodfilm. Der riesige, kaum möblierte Raum war in Latte-macchiato-Braun gestrichen, und mitten in der penibel aufgeräumten Hochglanzkulisse stand ein mannshoher Schieferkübel mit weißen Orchideen. Wenn Lulu nicht so beschwipst gewesen wäre, hätte sie diese Wohnung zweifellos bewundert. So warf sie nur ihren Rucksack auf den spiegelblanken Küchentresen, murmelte ein »nette Hütte« und balancierte zur nächstbesten Couch. Keine Sekunde länger hielt sie es in diesen Folterschuhen aus.

Aaah! Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ sie sich auf die Couch plumpsen und streifte die High Heels von den Füßen. Das zusammengeknüllte Toilettenpapier rollte auf den Boden, Lulu bemerkte es nicht einmal.

Mike umrundete währenddessen den Küchentresen aus Wurzelholz und öffnete einen chromglänzenden Kühlschrank. Er genoss es sichtlich, sein Reich vorzuführen. Hier war er der King im Ring.

Lulu sah sich um. Doch, Geschmack besaß er, der Mike. Sie hatte genug Möbel in ihrem Leben fotografiert, um zu wissen, dass es sich ausschließlich um erlesene Designerstücke handelte – lederbezogene Stühle aus Stahlrohr, ein geschwungener Glastisch, italienische Tütenlampen. Unwillkürlich überlegte sie, ob Lotte sich in dieser unterkühlten Atmosphäre wohl fühlen würde. Na ja, hier musste sich einiges ändern. In Gedanken richtete Lulu das Loft neu ein. Vielleicht könnte man eine Schaukel an den massiven Querbalken anbringen? Und lustige bunte Sessel im Raum verteilen? Auch ein paar kuschelige Teppiche mussten her. Auf jeden Fall war Platz genug für das Barbieschloss, das sich Lotte seit langem wünschte.

»Ich habe Champagner kalt gestellt, Prinzessin!«, rief Mike ihr zu, der am Kühlschrank hantierte. »Und dann zeige ich dir die Entwürfe!«