Den Raum halten - Rob Brandsma - E-Book

Den Raum halten E-Book

Rob Brandsma

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  • Herausgeber: Arbor
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Achtsamkeit zu lehren heißt' Achtsamkeit zu verkörpern Dieses Handbuch versammelt alle wichtigen Ressourcen, die Sie brauchen, um kompetent Achtsamkeitskurse zu unterrichten. Diese systematische und praktische Anleitung hilft Ihnen, die drei wesentlichen Fähigkeiten zur Vermittlung von Achtsamkeit zu erlernen: Achtsamkeitsübungen sicher anzuleiten, die Erfahrungen beim Üben zu erforschen und Wissen lebendig und interaktiv zu vermitteln. Sie erfahren theoretische Hintergründe und erhalten Beispiele, Merklisten sowie zahlreiche praktische Anregungen. Der Fokus liegt dabei darauf, Optionen aufzuzeigen, die Sie dabei unterstützen, Ihren eigenen Unterrichtsstil zu entwickeln.

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Seitenzahl: 453

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Rob Brandsma

Den Raum halten

Handbuch für das Unterrichtenvon Achtsamkeit

Aus dem Englischen von Antje Ricken und Anne Nordmann

Arbor Verlag

Freiburg im Breisgau

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Einleitung

1 Wie Menschen im Achtsamkeitstraining lernen

2 Eine fruchtbare Lernumgebung schaffen

3 Achtsamkeitsübungen anleiten

4 Inquiry

5 Explizite Wissensvermittlung

6 Was Lehrende zum Training mitbringen

Danksagung

Kriterien für professionelle Achtsamkeitslehrende

Literaturverzeichnis

Über den Autor

Orientierungspunkte

Cover

Textbeginn

Literatur

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel: The Mindfulness Teaching Guide. ­Essential Skills & Competencies for Teaching Mindfulness-Based Interventions bei New Harbinger, Oakland, CA, USA.

Deutsche Erstausgabe

1. Auflage 2024

Copyright der deutschen Ausgabe © 2024 Arbor Verlag GmbH, Freiburg

Copyright der Originalausgabe © 2017 by Rob Brandsma

Lektorat: Anne Nordmann

Umschlaggestaltung und Satz: mediengenossen.de

Alle Rechte vorbehalten

www.arbor-verlag.de

ISBN E-Book 978-3-86781-314-3

Ein junger Meditationsstudent sah seinen Lehrer auf der anderen Seite des Flusses gehen. Er rief zum Lehrer hinüber, »Weiser Mann, kannst du mir sagen, wie ich auf die andere Seite gelange?« Der Lehrer rief zurück, »Du bist bereits auf der anderen Seite.«

Zen-Geschichte

Einleitung

Achtsamkeit, die Fähigkeit mit und im ständigen Fluss des Gewahrseins zu sein, ist eine Fähigkeit, die wir alle miteinander teilen: Es ist nicht so sehr ein Geschenk, sondern etwas, was uns von Anfang an mitgegeben wurde. Das wahre Geschenk ist also das Lehren von Achtsamkeit.

Donald McCown, Diane Reibel and Marc Micozzi

Herr, was stürme ich den Himmel nach Antworten, die bereits in meinem Herzen sind? Alle Gnade, derer ich bedarf … ist mir schon gegeben … Oh, führe mich zum inneren Jenseits.

Macrina Wiederkehr

Willkommen in der Welt der Achtsamkeit, der Kunst, unsere wunderbare Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung in die Praxis umzusetzen. Achtsamkeit bedeutet, uns für den gegenwärtigen Moment mit all seinen Nuancen und Tiefen zu öffnen und die Erfahrung willkommen zu heißen.

Achtsamkeit ist etwas, das wir nur selbst erfahren können. Und doch versuchen viele Menschen, darüber zu schreiben, denn Achtsamkeit lässt sich üben. Dieses Üben kann durch ein Training. mit einer Lehrerin oder einem Lehrer erleichtert werden. Wenn wir Achtsamkeit unterrichten wollen, müssen wir ein Gleichgewicht finden zwischen der Kunst und der Methodik, und darüber lässt sich tatsächlich so einiges sagen.

Ein Achtsamkeitstraining lehrt Menschen, auf bewusstere Weise mit den Herausforderungen umzugehen, die nun einmal zum Leben gehören. Indem es ihnen hilft, präsenter zu sein, erhöht es die Qualität und Intensität ihres Alltags. Kurz gesagt, ist es ein Training, in dem Menschen lernen, bewusster zu leben.

Der Kern der Achtsamkeitspraktiken stammt aus buddhistischen Traditionen, die den meisten Menschen der westlichen Welt nicht vertraut sind. Und trotzdem hat Achtsamkeit mittlerweile, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, in vielen Bereichen unserer Gesellschaft Einzug gehalten – in Krankenhäusern und therapeutischen Einrichtungen, im Finanzsektor und in führenden Internetunternehmen. Unterschiedlichste Menschen melden sich zu Achtsamkeitskursen an.

Ein entscheidender Grund für diesen Erfolg ist die solide Evidenzbasis, die durch Tausende von wissenschaftlichen Studien zusammen­getragen wurde. Achtsamkeit wirkt! Dies erklärt teilweise, warum Achtsamkeit allerorts angewendet wird und warum sie in unserer Welt eine so rasante Entwicklung genommen hat.

Die Intention dieses Buches

Parallel zur Ausbreitung der Achtsamkeit in der westlichen Welt ist die Anzahl von wissenschaftlichen Studien und Büchern zu dem Thema enorm gestiegen. Veröffentlichungen über das Lehren von Achtsamkeit fehlen jedoch weitgehend.[1] Das vorliegende Buch möchte diese Lücke schließen. Es ist das erste Buch, das systematisch die benötigten Fertigkeiten und Kompetenzen beschreibt, die zum Unterrichten von Achtsamkeit nötig sind.

Da es in der Achtsamkeit darum geht, gegenwärtig zu sein, muss auch das Lehren von Achtsamkeit einen starken Bezug zum gegenwärtigen Moment haben. Es ist deshalb eher eine Art des Seins als eine Art des Tuns. Folglich sind für die Entwicklung der Lehrenden sehr persönliche Aspekte entscheidend. Es geht in diesem Buch um die Kompetenzen und das Maß an Verkörperung, die Achtsamkeitslehrende brauchen, um sich immer wieder der wichtigsten Frage zu öffnen: Was verlangt genau dieser Lernmoment von mir?

Achtsamkeit schlägt Wurzeln in der westlichen Welt: MBSR

Im Frühling 1979 befand sich Jon Kabat-Zinn (damals Molekularbiologe) auf einem Meditationsretreat, das von den Vipassana-Lehrenden ­Christopher Titmuss und Christina Feldman geleitet wurde. Am Nachmittag des zehnten Tages hatte er eine blitzartige, zehn- bis fünfzehnsekündige Eingebung, die ihm eine fertige Idee zu einem Thema präsentierte, das ihn schon seit geraumer Zeit beschäftigt hatte: »Die Eingebung betraf die Frage, wie man das Herz von etwas so Bedeutungsvollem oder gar Heiligem wie dem Buddha-Dharma in die Welt bringen kann, ohne es zu verwässern, zu entweihen oder zu verzerren, aber es gleichzeitig nicht in einem kulturellen oder traditionsgebundenen Rahmen zu belassen, der es der überwiegenden Mehrheit der Menschen unzugänglich machen würde, obwohl doch diese Menschen leiden und das Dharma äußerst hilfreich und befreiend finden könnten« (Kabat-Zinn 1999, S. 226 – 27).

Wie die meisten bedeutungsvollen Eingebungen war auch diese im Kern sehr einfach: »In diesem flüchtigen Moment an einem Nachmittag in der Insight Meditation Society kam mir der Gedanke, dass es wirklich lohnenswert wäre, die Essenz der Meditations- und Yogapraktiken, wie ich sie gelernt und geübt hatte, mit Menschen zu teilen, die sie nie durch die in den Meditationszentren üblichen Worte und Formate würden aufnehmen können« (Kabat-Zinn 2011, S. 287).[2] Und so zeigte sich ihm die Vision eines universellen Dhamma im Format einer buddhistischen Praxis für den US-amerikanischen Mainstream.[3]

Als Jon Kabat-Zinn besagte Eingebung hatte, war ihm auch sofort klar, wo er diese Praxis einführen wollte – nämlich, basierend auf den Erfahrungen an seinem damaligen Arbeitsplatz, in Krankenhäusern: »In unserer Gesellschaft … sind Krankenhäuser Dukkha-(Leidens-)Magneten. Deshalb sind sie sinnvolle Orte für Dharma-Arbeit« (Kabat-Zinn 1999, S. 228).

Und so wurde das Dhamma in der westlichen Welt im Kontext einer Klinik eingeführt, was eine bemerkenswerte Verbindung zwischen Ost und West schuf. Aus dem ursprünglichen Geistesblitz entstand ein Trainingsprogramm, das an der Universitätsklinik der Universität von Massachusetts angeboten wurde. In den frühen 90er-Jahren erhielt dieses Programm den Namen »mindfulness-based stress reduction« (MBSR), auf Deutsch: Stressbewältigung durch Achtsamkeit.

MBSR in historischer Perspektive

Auch wenn MBSR der Eingebung eines Einzelnen entsprang, fand seine Entwicklung doch in einem umfassenderen Kontext statt. In den späten 70er-Jahren hatten östliche Meditations- und Kontemplationspraktiken im Westen bereits Fuß gefasst. Gleichzeitig wurden die Grenzen der naturwissenschaftlichen Medizin und des auf Pathologie gegründeten psychiatrischen Paradigmas immer offensichtlicher. Kabat-Zinn stellte dieses Paradigma auf den Kopf. In seinen Worten »nimmt der MBSR-Ansatz das medizinische/psychiatrische Modell und … stellt es scheinbar auf den Kopf, und zwar indem wir mit Menschen arbeiten, die mit einer breiten Palette von Problemen kommen, wir ihnen allen aber so ziemlich dieselbe Intervention anbieten. Dies kann überhaupt nur sinnvoll und von Wert sein, wenn wir das in ihnen ansprechen, was ›in Ordnung‹ ist und uns nicht darauf konzentrieren, was bei ihnen im Argen liegt« (Kabat-Zinn 1999, S. 236).

Diese Verschiebung des Schwerpunkts bedeutet auch eine Verlagerung der Macht, weg von den anderen (nämlich den Fachärztinnen und -ärzten, die wissen, was das Problem ist) und hin zu den Patienten und Patientinnen selbst. Nur sie sind in der Lage, ihre eigenen Kraft- und Gesundheitsquellen anzuzapfen. Außerdem bedeutet diese Verschiebung eine Ermächtigung, ein weiterer Aspekt des von Jon Kabat-Zinn befürworteten Paradigmenwechsels im Gesundheitswesen, demgemäß »das Herzstück der Medizin der Zukunft ist, dass die Medizin des 21. Jahrhunderts partizipativ sein wird« (Kabat-Zinn 1999, S. 236).

Revolutionen ereignen sich selten im luftleeren Raum. Und so ist es kein Zufall, dass unabhängig von Kabat-Zinn auch andere in dieser Zeit begannen, bei der Behandlung von Patienten mit Achtsamkeit zu experimentieren. Unter ihnen befanden sich Steven Hayes, einer der Entwickler der Acceptance und Commitment Therapy und Marsha Linehan, die Begründerin der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) für Borderline-Störungen. Daraus wird ersichtlich, dass die Zeit reif war für die Entwicklung von Alternativen zu den bestehenden ­Behandlungsmethoden und für Achtsamkeit als Bestandteil dieser Alternativen.

Wie reif die Zeit tatsächlich war, bewies auch die relativ rasche Verbreitung von MBSR. Schon bald begannen sich andere Krankenhäuser für MBSR zu interessieren und Kabat-Zinns Meditationen wurden in die internen Fernsehprogramme so mancher Krankenhäuser aufgenommen. Durch die Veröffentlichung von Kabat-Zinns Buch Full Cata­strophe Living (deutscher Titel: Gesund durch Meditation) im Jahr 1990 sowie durch Bill Moyers 1993 erschienene Dokumentarserie Healing from ­Within (Von Innen Heilen) wuchs auch die öffentliche Aufmerksamkeit. In den 1990er-Jahren gab es einen regelrechten Ansturm auf Achtsamkeitskurse; Ausbildungsprogramme für Achtsamkeitslehrende wurden erweitert und Achtsamkeit wurde bei vielen spezifischen Problemen, vor allem bei stressbedingten Beschwerden wie Schuppenflechte und Fibromyalgie eingesetzt. Dennoch wurde sie zunächst vor allem bei somatischen Beschwerden angewendet. Das begann sich erst in den späten 1990er-Jahren zu ändern, als Zindel Segal, Mark Williams und John Teasdale den achtwöchigen MBSR-Kurs als Grundlage für ihre Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie verwendeten, der auf eine psychische Vulnerabilität abzielt: die Depression. Nach der Jahrhundertwende schossen abgewandelte Versionen von MBSR für Menschen mit spezifischen Vulnerabilitäten oder Herausforderungen wie Pilze aus dem Boden, wodurch zahlreiche achtsamkeitsbasierte Interventionen und Anwendungen entstanden. Jetzt, im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, werden Trainingsprogramme entwickelt, die bestimmte Aspekte der inneren Haltung der Achtsamkeit in den Mittelpunkt rücken, etwa Kristin Neffs und Christopher Germers Training in Achtsamem Selbstmitgefühl.

Das vorliegende Buch ist für alle diese Ansätze relevant, denn alle Formen achtsamkeitsbasierten Trainings setzen bei den Lehrenden die gleichen Kompetenzen voraus. Da ich mich jedoch vor allem mit MBSR und MBCT auskenne, stammen die Beispiele in diesem Buch zum großen Teil aus diesen Kursen.

MBSR definieren: einen Schmetterling fangen

MBSR ist die allgemeinste achtsamkeitsbasierte Anwendung. Um ein gründliches Verständnis vom Inhalt des Achtsamkeitstrainings zu vermitteln, werde ich deshalb das MBSR-Curriculum beschreiben. Zunächst aber ist es wichtig, dass wir uns wieder des Dhamma bewusst werden. Obwohl es seinen Platz im MBSR gefunden hat, ist es doch schwer zu fassen.

Das Dhamma bezieht sich auf alle Praktiken, die uns befreiende Einsichten in unsere bedingte Lebensweise gewinnen lassen. Einsicht kann auf unerwartete Weise entstehen. Dieses Entstehen lässt sich nicht forcieren, wir können es jedoch einladen – und diese Einladung drückt sich im MBSR-Kurs überall aus. Die Haltung der Lehrperson und das Setting vermitteln sie wahrscheinlich noch deutlicher als das Curriculum selbst. Die Atmosphäre von Geräumigkeit, Neugier, Ruhe und Stille führt nicht nur zu einem neuen Gewahrsein von Erfahrungen, sondern sie löst auch eine Neubewertung von Erfahrungen aus. Es geht hier um Eigenschaften, die nicht in einem Curriculum ausgedrückt werden können. Der Versuch, die Wirkungen von MBSR in einem detaillierten und festgelegten Lehrplan einzufangen, gleicht dem Versuch, das Glück ergreifen zu wollen. Und wir wissen ja: »Glück ist ein Schmetterling, der immer gerade außerhalb deiner Reichweite sein wird, solange du ihn jagst, der aber vielleicht kommt und sich auf dir niederlässt, wenn du ruhig dasitzt« (Howe 1885, S. 169).

Aus diesem Grund haben Kabat-Zinn und sein Center for Mindfulness in Medicine, Health Care and Society Zurückhaltung bei der Erstellung eines Leitfadens für MBSR geübt. Aus dem Moment heraus zu lehren, gilt als wichtiger, als streng einem Lehrplan zu folgen. Wenn also Lehrende aus gutem Grund die Reihenfolge der einzelnen Bestandteile verändern möchten, dann können sie das tun. Sie werden auch ermutigt, ihren eigenen Stil in das Programm einzubringen. Kurzum: Die Verkörperung von Achtsamkeit ist wichtiger als das genaue Format. Eigentlich könnte man sagen, dass so viele Formen von MBSR existieren, wie es Lehrende gibt.

Und doch gibt es ein weltweit gültiges MBSR-Programm mit bestimmten Vorgaben, und wenn Lehrende die gängigen, festgelegten Bestandteile nicht miteinbeziehen, dann werden sie gebeten, ihr Programm nicht MBSR zu nennen. Die Spannung zwischen den festen Bestandteilen und der Freiheit, mit dem zu arbeiten, was sich zeigt, werden wir in späteren Kapiteln erkunden.

Das MBSR-Programm

MBSR ist nicht nur vielschichtig und fließend, es hat etwas Magisches an sich. Daher wäre eine festgelegte Beschreibung des Programms zu starr und würde ihm nicht gerecht. Die folgende Darstellung ist deshalb nur als grober Überblick zu verstehen, der lediglich eine Vorstellung davon vermitteln soll, was den Kurs ausmacht. Einen wirklichen Einblick in das Programm kann man sich nur verschaffen, indem man mit ihm arbeitet.

MBSR wird in einer Gruppe unterrichtet. Es ist ein Acht-Wochen-Programm mit wöchentlichen Kurseinheiten, die in der Regel zweieinhalb Stunden dauern. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bekommen Hausaufgaben und werden dazu angehalten, täglich ungefähr eine Stunde zu üben. Nach zwei Dritteln des Kurses, meist zwischen den Kurseinheiten 6 und 7, findet ein ganzer Praxistag statt, und zwar hauptsächlich im Schweigen.

Dem Kurs gehen immer Einzelgespräche voraus, und manchmal gibt es auch Einzelgespräche zum Abschluss. Zu Beginn des Kurses erhalten die Teilnehmenden ein Arbeitsbuch mit zusätzlichen Informationen zu den Kursthemen, Gedichten, einer Liste der Übungen für zu Hause und anderen hilfreichen Materialien, die zum jeweiligen Programm passen.

Nach einer Einführung beginnt die erste Kurseinheit mit einer Essensmeditation, bei der die Teilnehmenden die Erfahrungen erforschen, die sie beim langsamen, aufmerksamen Essen einer Rosine machen. Diese Erfahrungen werden danach in der Gruppe besprochen. Als Nächstes folgt der Bodyscan, eine 45-minütige Praxis, bei der die Teilnehmenden in jedes Körperteil spüren und gebeten werden, sich den eigenen Erfahrungen zuzuwenden: Was gibt es wahrzunehmen? Wie reagiert man gewohnheitsmäßig auf das Wahrgenommene? Bemerkt man, wie die Aufmerksamkeit abschweift, zurückkehrt, sich auf etwas fokussiert und wieder weiter wird? Und ist man sich seiner Reaktionen und Antworten auf diese Prozesse bewusst? Danach wird diese Praxis einer Form der Untersuchung in der Gruppe unterzogen, die als Inquiry ­bezeichnet wird. Die Kurseinheit schließt mit der Erläuterung der Hausaufgaben: die Praxis des Bodyscans mithilfe einer Audioanleitung, dazu einige informelle Übungen, die den Teilnehmenden helfen sollen, sich mit der Funktionsweise und den Wirkungen von Achtsamkeit im Alltagsleben vertraut zu machen. (Der Begriff »Praxis« verweist im Allgemeinen auf meditative Ansätze, während »Übung« sich normalerweise auf didaktische Ansätze bezieht. Beim Unterrichten und auch gelegentlich in diesem Buch werden die Begriffe jedoch synonym verwendet.) Informelle Übungen ziehen sich durch das gesamte Trainingsprogramm.

Die erste Kurseinheit gibt den Ton an für den Rest des Kurses. Die nächste Kurseinheit beginnt mit dem Bodyscan – eine Einladung, erneut achtsam in Bezug auf den Körper und die Bewegung der Aufmerksamkeit zu sein. Als Nächstes werden die Hausaufgaben besprochen, wieder mit der Absicht, die Teilnehmenden dabei zu unterstützen, ihre Erfahrungen und Reaktionen sowie deren Muster zu erforschen und klarer zu erkennen. Der Bodyscan bleibt für einige Wochen die Hauptpraxis, wonach dann Sitzmeditation, Gehmeditation und achtsame, dem Yoga entlehnte Dehnübungen eingeführt werden. Die Yoga-Praxis ist im Wesentlichen ein Bodyscan in Bewegung. Sie lädt die Teilnehmenden ein, ihre gewohnheitsmäßige Beziehung zu ihrem Körper zu erkunden – sowohl in Bezug auf ihre Möglichkeiten als auch auf ihre Grenzen. Die in der zweiten Hälfte des Kurses eingeführte Gehmeditation ist eine Praxis, in der man sich beim langsamen Gehen ganz des Körpers bewusst ist.

Die Sitzmeditation, die im Verlauf der ersten paar Wochen nach und nach eingeübt wird, ähnelt der Meditation, wie sie in verschiedenen buddhistischen Traditionen praktiziert wird. Im MBSR wird die Sitzmedi­tation jedoch langsam, durch alle Bereiche der Sinneswahrnehmungen gehend, aufgebaut, bis dann in der fünften Kurseinheit der Kern der Vipassana-Meditation zugänglich wird: das offene Gewahrsein, ein Meditieren ohne ein gewähltes Objekt oder Wahrnehmungsfeld. Der ganze Übungstag soll Teilnehmende mit längerer Praxis vertraut machen und ihnen einen Geschmack davon geben, wie dies zu einer tieferen ­Erfahrung führen kann. Der Tag gleicht einem Mini-Retreat.

In Woche 7 und 8 wird die Gruppe dazu angehalten, auf das Vergangene zurück- und auf das Zukünftige vorauszuschauen. Unter Betonung der Tatsache, dass achtsames Gewahrsein fortlaufende Praxis benötigt, werden die Teilnehmenden gegen Ende des Programms ermutigt, einen Plan zu erstellen, wie sie die Achtsamkeitspraxis zum Teil ihres Lebens machen können.

Gemäß dem Prinzip des erfahrungsbasierten Lernens beginnen die wöchentlichen Kurseinheiten meist mit einer Praxis: einem Bodyscan, einer Sitzmeditation oder achtsamem Yoga. (Am Ende dieses Abschnitts findet sich eine Liste der im MBSR verwendeten Meditationen.) Dieser Anfangspraxis folgt eine Besprechung der Erfahrungen während dieser Praxis und dann eine Nachbesprechung der Übungen zu Hause. Das Inquiry, ein Prozess, bei dem Einzelne ihre während der Meditation gemachten Erfahrungen im Gruppensetting erforschen, ermöglicht ein Destillieren von Einsichten, die sich aus der Praxis ergeben. Eine Reihe von kursrelevanten Themen, wie die Bedeutung der Körperwahrnehmung und die starken Auswirkungen von automatischen Reaktionsmustern auf unser Leben, werden in diese Inquiry-Prozesse eingeflochten. Das Thema der jeweiligen Sitzung schließt ans Inquiry an, oft vermittelt durch eine Übung, ein paar erklärende Worte oder Bilder, ein gemeinsames Erarbeiten am Flipchart oder eine Kombination dieser Methoden. Nach einer Vorbesprechung der Hausaufgaben schließt die Kurseinheit meist mit einer weiteren Meditationspraxis.

Um einen konkreteren Überblick über das Programm zu geben, folgt hier eine Liste der Themen für jede Kurseinheit (nach McCown, Reibel und Micozzi, 2016). Der Übungstag im Schweigen ist in diesem Überblick nicht enthalten.

Kurseinheit: Verstehen, dass an einem mehr richtig als falsch istKurseinheit: Das Wahrnehmen und kreative Reagieren erforschenKurseinheit: Die Kraft und Freude der Präsenz entdeckenKurseinheit: Die Schattenseiten von Stress verstehenKurseinheit: Den Raum für Entscheidungen öffnenKurseinheit: Der Umgang mit schwierigen SituationenKurseinheit: Eine freundliche Haltung gegenüber sich selbst und anderen kultivierenKurseinheit: »Die achte Woche ist der Rest Ihres Lebens.«

Und dies sind die Meditationen, in der Reihenfolge, in der sie im MBSR-Kurs eingeführt werden. Im Kurs werden sie oft als formale Übungen bezeichnet:

Essenmeditation: achtsames Essen (für gewöhnlich wird eine Rosine verwendet); sich aller Körperempfindungen gewahr werden sowie des Abschweifens oder des völligen Verlusts der Aufmerksamkeit

Bodyscan: Meditation im Liegen; in alle Körperteile hineinspüren und sich aller Körperempfindungen gewahr werden sowie des Abschweifens und des Verlusts der Aufmerksamkeit

Achtsamkeit auf die Atmung: Sitzmeditation; die Aufmerksamkeit schulen, indem man sich auf ein Objekt (die eigene Atmung) konzentriert

Sitzmeditation: mit jedem Objekt der Aufmerksamkeit (Körper, Geräusche, Gedanken und Gefühle) Kontakt aufnehmen und schließlich mit offenem Gewahrsein sitzen, wie in der Vipassana-Meditation

Achtsames Yoga im Liegen: aus dem Yoga entlehnte Dehnübungen; sich der Körperempfindungen bewusst sein, der Reaktionen auf diese Empfindungen, der eigenen Grenzen, des Gleichgewichts und des Tun-Modus im Vergleich mit dem Sein-Modus des Geistes

Achtsames Yoga im Stehen: vergleichbar mit dem achtsamen Yoga im Liegen, nur hier in stehenden Yogahaltungen

Gehmeditation: langsames Gehen, bei dem man die Aufmerksamkeit auf die Bewegung der Füße lenkt

Visualisierende Meditation: angeleitete Meditation, bei der man sich ein Bild (zum Beispiel eines Bergs, Sees oder Baums) vor Augen ruft; eine bestimmte innere Haltung wie Offenheit oder Beständigkeit einladen

Metta-Meditation: Sitzmeditation; Kultivierung von Herzensqualitäten

Dieses Buch enthält keine Vorlagen für die Anleitung der formalen Übungen. Worte auf Papier sind ein unzureichendes Medium, um zu lernen, wie man diese Übungen anleitet. Ihr eigenes Achtsamkeitstraining hat hoffentlich wiederholte Meditationspraxis beinhaltet, die von Ihrer Lehrerin oder Ihrem Lehrer angeleitet wurde. Zusätzlich existieren viele Audioaufnahmen, die man kaufen oder herunterladen kann, auch von Jon Kabat-Zinn. Wer schriftliche Vorlagen haben möchte, findet solche in den folgenden Büchern: Die Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie der Depression (Segal, Williams und Teasdale, 2015); Der achtsame Weg durch die Depression (Williams u. a., 2009); und Stressbewältigung durch Achtsamkeit: Das MBSR-Praxisbuch (Stahl und Goldstein, 2010).

Hier abschließend eine Auflistung der informellen Praktiken und Übungen, die üblicherweise im MBSR verwendet werden, in der sie im Kurs eingeführt werden. Die meisten werden als Hausaufgaben gegeben:

Die 9-Punkte-Übung: ein Rätsel, das nur gelöst werden kann, wenn man das gewohnte Denkschema verlässt

Optische Täuschung: ein Bild, das auf zwei verschiedene Arten gesehen werden kann (wie das bekannte Wechselbild der Vase/­Gesichtssilhouette), was die Schauenden dazu animiert, ihre gewohnten Wahrnehmungsmuster zu verlassen

Achtsamkeit in Bezug auf Alltagstätigkeiten: eine tägliche Routinetätigkeit achtsam erleben

Achtsamkeit in Bezug auf angenehme Erfahrungen: täglich üben, sich einer angenehmen Erfahrung und ihrer Auswirkungen auf das Zusammenspiel von Körper und Geist gewahr zu werden

Achtsamkeit in Bezug auf unangenehme Erfahrungen: täglich üben, sich einer unangenehmen Erfahrung und ihrer Auswirkungen auf das Zusammenspiel von Körper und Geist gewahr zu werden

Übungen des Hörens oder Sehens: Dinge sehen oder hören, ohne sie zu interpretieren

Aufmerksamkeit auf Stressreaktionen: sich stressiger Ereignisse und ihrer Auswirkungen auf das Zusammenspiel von Körper und Geist gewahr werden

Achtsam auf Stressreaktionen antworten: die Möglichkeit erkunden, bewusst auf stressige Ereignisse zu antworten, anstatt auf unkontrollierte Art zu reagieren

Achtsamkeit in schwierigen Kommunikationssituationen: sich der Spannungen in Interaktionen mit anderen Menschen bewusst werden und auch die dadurch ausgelösten Reaktionen (wie Passivität oder Aggression) wahrnehmen

Gewahrsein von Festhalten: sich bewusst werden, wie wir an unseren gewohnten Standpunkten festhalten und in welchem Maße dies unsere Wahrnehmungen und Optionen im Leben bestimmt

Bewusstsein dessen, was wir in uns aufnehmen: sich bewusst werden, was unser Körper-Geist-System aufnimmt (von Essen bis zu Informationen); die Auswirkungen dessen und die Möglichkeit des bewussten Auswählens

Das MBSR-Curriculum ist durchdacht und logisch aufgebaut. Seine vielen Aspekte sind so angeordnet und miteinander verwoben, dass es durchschnittliche westliche Teilnehmende optimal in ihrem Lernprozess unterstützt: die Dauer der Kurseinheiten und Übungen; die Terminierung des stillen Übungstages; die Abfolge der Übungen (mit Achtsamkeit auf den Körper beginnend und zur Sitzmeditation fortschreitend; die allmähliche Erweiterung der Sitzmeditation in Bezug auf die Länge und auf den Fokus, nämlich von fokussierter Sammlungspraxis zur Achtsamkeitsmeditation); der Wechsel zwischen Sitzmeditation, Gehmeditation und Yoga; das Verhältnis von praktischer Übungszeit zu Inquiry in der Gruppe; das Einbeziehen von Achtsamkeit in Alltagstätigkeiten (wie Essen) von Anbeginn an; und so weiter.

Außerdem lassen die wöchentlich stattfindenden Kurssitzungen den Teilnehmenden genug Zeit, um sich zu Hause mit den Praktiken zu beschäftigen, während die gemeinsamen Treffen aber oft genug stattfinden, um ihre unterstützende Wirkung bestmöglich zu entfalten. Sogar die Gesamtlänge von acht Wochen ist mit Bedacht gewählt: Die Zeit ist kurz genug, um das Programm mit seiner beträchtlichen Intensität machbar zu halten, aber lang genug, um eine bleibende Wirkung zu entfalten.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Stringenz des Programms wirkungsvoll ist: (…) »der wahrscheinlichste Grund, warum die Metastruktur für Jahrzehnte unverändert geblieben ist, liegt wohl einfach in seiner extrem kraftvollen intuitiven Logik – es fühlt sich für die Lehrer*innen richtig an« (McCown, Reibel und Micozzi, 2016, S. 276). Dies heißt jedoch nicht, dass das MBSR-Curriculum starr wäre. Jon Kabat-Zinn drückt es so aus: »Im MBSR-Curriculum gibt es viel Spielraum und Freiheit, damit der Lehrer oder die Lehrerin sich einbringen kann und, wo es angemessen ist, auch mit neuen Informationen und Übungen. Der kreative Spielraum ist wichtig, damit das Curriculum lebendig bleibt« (2016, S.18). Er hat auch betont, dass »man achtsamkeitsbasierte Stressbewältigungsprogramme auf viele verschiedene Arten strukturieren und unterrichten kann. Das optimale Format wird dabei maßgeblich von den spezifischen Gegebenheiten bestimmt« (Kabat-Zinn 1996, S. 165). Gleichwohl es hinsichtlich der Variabilität Grenzen gibt, ist das Programm also recht offen.

Vermittlungsmethoden im Achtsamkeitstraining

Die drei Haupt-Vermittlungsmethoden im Achtsamkeitstraining sind: praktische Übungen, Inquiry und explizite Wissensvermittlung.[4]

Praxis (Achtsamkeits- oder Meditationsübungen) schafft Situationen, die die Kursteilnehmenden zu bewusster Präsenz anregen. Sie erfordert einen Ausstieg aus den typischen Verhaltensmustern, die von Gewohnheiten und automatischen Reaktionen gesteuert werden und wenig Raum für ein Bewusstsein des tatsächlich Geschehenden lassen.

Inquiry meint, die persönlichen Erfahrungen, die während der praktischen Übungen entstehen, im Gespräch zu erkunden. Erforscht werden auch die Reaktionen auf diese Erfahrungen, die Reaktionsmuster, der größere Zusammenhang, in dem sich diese Muster beobachten lassen, und die Schlussfolgerungen, die man aus dem Ganzen ziehen kann. Inquiry lädt die Teilnehmenden dazu ein, die Grenzen ihrer gewöhnlichen Perspektive zu überschreiten und ihre Erfahrungen und Reaktionsmuster in einem neuen Licht zu sehen.

Explizite Wissensvermittlung lenkt den Blick von der spezifischen, aktuellen Erfahrung – eines Einzelnen oder der Gruppe – auf das allgemein Menschliche. Sie verhilft zu einer Vorstellung davon, wie die Dinge sich im Allgemeinen verhalten.

Diese drei Vermittlungsmethoden wirken zusammen und verstärken sich wechselseitig; zum Beispiel kann etwas, das gerade auf der Wissensebene vorgestellt wurde, zum Teil einer praktischen Übung werden, eine Medi­tationserfahrung kann Gegenstand eines Inquiry sein oder ein inhaltlicher Input aus einem Thema des Inquiry erwachsen. Gemeinsam bilden diese Vermittlungsmethoden eine Trias, die dem Lernprozess im Achtsamkeitstraining ein Fundament gibt.

Abb. 1: Die Trias des Achtsamkeitstrainings. Praxis, Inquiry und explizite Wissensvermittlung beeinflussen sich wechselseitig

Das Achtsamkeitstraining ist für die Teilnehmenden nicht leicht. Es wird von ihnen erwartet, dass sie viel Zeit für die Übungen aufwenden. Außerdem werden sie aufgefordert, die schwierigen Aspekte ihres Daseins – Aspekte, die sie oft lieber meiden würden – intensiv in den Blick nehmen, und zwar mit Offenheit, Neugier und Flexibilität. Und schließlich sollen sie, ohne dass ihnen ein bestimmtes Ergebnis zugesichert würde, damit experimentieren, mit ihren Erfahrungen auf neue und unbekannte Art und Weise umzugehen. Aufgrund dieser Herausforderungen ist eine Atmosphäre der Sicherheit, Unterstützung und des Vertrauens im Kurs unverzichtbar. Man kann eine solche Atmosphäre begünstigen, indem man einen Rahmen schafft, der Ruhe, Geräumigkeit, Akzeptanz und gleichzeitig Klarheit vermittelt. Ein Stück weit lässt sich das durch das physische Setting und durch ein strukturiertes, aber flexibles Programm erreichen, doch die Haltung oder Präsenz der Lehrperson ist dafür mindestens genauso wichtig. Letztere wird oft als Verkörperung von Achtsamkeit bezeichnet, um zu unterstreichen, dass diese grundlegende Haltung nicht durch eine Technik oder eine Verfahrensweise vermittelt werden kann, sondern von den Lehrenden durch die Art ihrer Präsenz ausgedrückt wird.

In diesem Buch werden all diese Komponenten eines effektiven Achtsamkeitstrainings behandelt: Praxis, Inquiry, explizite Wissensvermittlung sowie die Haltung oder Präsenz der Lehrenden.

Die Entwicklung von Achtsamkeitslehrenden

Achtsamkeitstraining bietet den Teilnehmenden allerlei kurzfristigen Gewinn. Sie bekommen viel Aufmerksamkeit von der Lehrerin oder dem Lehrer, erleben wahrscheinlich auch eine gewisse Entspannung und lernen, zeitweise aufmerksamer zu sein. Allein diese Faktoren können dazu führen, dass sie mit dem Kurs zufrieden sind. Die Kraft der Achtsamkeit übersteigt jedoch bei Weitem diese vorübergehende Steigerung des Wohlbefindens. Letztendlich geht es beim Achtsamkeitstraining darum, das Leben von Menschen von Grund auf zu verändern.

Das vorliegende Buch erläutert, wie wir uns dieses Veränderungspotenzial bestmöglich zunutze machen können. Unterstützt wird solch ein Bestreben durch die umfangreichen Entwicklungen, die gerade in der Welt des Achtsamkeitslehrens vor sich gehen. Eine wachsende Zahl von Peer-Netzwerken, Ausbildungen und Bewertungsinstrumenten können das auf diesen Seiten Enthaltene ergänzen. In gewissem Sinne dient das Buch auch dazu, aktuelles Wissen über das Lehren von Achtsamkeit zusammenzutragen.

Beim Achtsamkeitstraining gilt das Prinzip, aus dem Moment heraus und von ganzem Herzen zu lehren, und dieses Prinzip hat Vorrang vor dem Lehrplan. Eine Eigenschaft, die im Englischen manchmal als Heartfulness (auf Deutsch etwa »Herzsamkeit«) bezeichnet wird, nimmt beim Lehren von Achtsamkeit eine Schlüsselrolle ein. Diese Eigenschaft kommt allerdings im Rahmen von einigermaßen festgelegten Elementen zum Einsatz, nämlich Regeln und Strukturen, der Arbeit mit der Gruppendynamik und der Anwendung von bestimmten Kommunikationstechniken. Natürlich hat das Training ein Ziel und es hat bestimmte Wegbeschreibungen und Pfade, um an dieses Ziel zu gelangen. Wenn wir diese als Landkarte im Hinterkopf behalten, wissen wir, wo sich die Teilnehmenden in ihrer Entwicklung befinden und wie wir ihren Lernprozess am besten unterstützen können.

Es lässt sich hier ein Vergleich mit der Kunstfertigkeit erfahrener Musiker ziehen. Sie bringen ihre Musik scheinbar ohne jede Anstrengung hervor und strahlen eine Leichtigkeit aus, die uns suggeriert, wir könnten das auch. Aber diese Leichtigkeit ist das Ergebnis umfangreicher Übung und eines gründlichen Studiums der Techniken und Theorie. Wenn man ein Musikstück so spielen will, dass sein volles Potenzial ausgeschöpft wird, muss man erst ein Verständnis von der Harmonielehre entwickeln, die Tonfolgen üben und die Noten gut kennen. Erst dann kann man es auf eigene Weise wiedergeben und gleichzeitig dem Wesen des Stücks treu bleiben. Und obwohl Fachleute – ob nun Musikerinnen oder Musiker oder Achtsamkeitslehrende – größtenteils intuitiv vorgehen, können sie doch jederzeit genau erklären, warum sie etwas tun und warum es gerade jetzt angebracht ist.

Über dieses Buch

In diesem Buch beschreibe ich die Eigenschaften, die Achtsamkeitslehrende brauchen, wobei ich mich bemühe, ein Gleichgewicht zwischen der Form und dem Formlosen zu finden. Ich versuche auch, Techniken und Kompetenzen so lebendig wie möglich darzustellen. Mein Ansatz ist deskriptiv, nicht normativ, er bietet Möglichkeiten anstatt starrer Anweisungen. Ich beschreibe die Landschaft des Achtsamkeitslehrens von den Bergen, Flüssen und Straßen bis zu den kleinsten Trampelpfaden. Das gibt Ihnen ein Höchstmaß an Möglichkeiten, um Ihre eigene Art der Vermittlung zu entwickeln.

Der Nachteil dieses Ansatzes ist, dass Sie vielleicht nicht immer eine endgültige Antwort auf Ihre Fragen finden. Sie werden Wegweiser entdecken, aber keinen festgelegten Streckenverlauf.

Die Herausforderung, die weite Landschaft des Achtsamkeitstraining zu beschreiben, fühlte sich für mich als Autor oft so an, als würde ich auf einer Slackline balancieren und das Gleichgewicht zwischen Kräften suchen, die von unterschiedlichen Seiten Zug ausüben. Ich musste zwischen den Vorgaben des Lehrplans und einer individuellen Auslegung navigieren sowie zwischen Ausführlichkeit und Prägnanz. Zudem ist die zu beschreibende Landschaft riesig. Beim Unterrichten von Achtsamkeit ist es wichtig, sich mit Gruppendynamik auszukennen, mit Kommunikationstechniken, Lernprozessen, Psychologie, Psychopathologie und östlichen kontemplativen Traditionen. Dies sind jedoch jedes für sich genommen bereits enorm große Wissensgebiete. Da es unmöglich ist, das Wesentliche dieser Wissenschaften zu vermitteln, ohne in die Tiefe zu gehen, konnte ich sie nur streifen, um mich auf die Kernfragen des Lehrens konzentrieren zu können.

Überdies ist ein live gesprochener Satz so viel reichhaltiger als derselbe Satz, gedruckt auf sprödem Papier. So oft verspürte ich das Bedürfnis, etwas umzuschreiben, zu nuancieren oder eine andere Möglichkeit hinzuzufügen. Auch stand ich häufig vor der Grundfrage, ob dieser ­Reichtum überhaupt auf Papier erfassbar ist. Gedruckt nehmen Worte den Nimbus der Wahrheit an. Beim Lesen dieses Buches mögen Sie denken: So ist es. So geht das. Um dem entgegenzuwirken, vergessen Sie nicht, dass dieses Buch meiner eigenen Erfahrung erwachsen ist und ich nur ein Einzelner bin. Andere Ansätze, Praktiken und Optionen sind möglich. Deshalb habe ich nach besten Kräften vermieden, unveränderliche Aussagen zu treffen oder feststehende Ideen zu vermitteln. Ich habe mich bemüht, das Wissen in eine geordnete Form zu bringen, ohne eine allgemeingültige Wahrheit zu beanspruchen. Dabei habe ich mich bewusst gegen eine Verknüpfung von Konzepten entschieden, um kein hermetisches Ganzes zu schaffen. Manche meiner Aussagen und Konzepte mögen infolgedessen zunächst geschlossen erscheinen, nur um später wieder geöffnet zu werden und Raum für andere Möglichkeiten und Ansichten zu bieten.

Vielleicht finden Sie das als Leserin oder Leser frustrierend. Vielleicht fühlen Sie sich durch meine »einerseits x, aber andererseits y«-Konstruktionen selbst dazu gezwungen, wie auf einer Slackline zu balancieren. Sollte das so sein, verstehen Sie bitte, dass ich Sie davor bewahren möchte, das geschriebene Wort als absolute Wahrheit zu nehmen.

Die Kapitel

Kapitel 1, »Wie Menschen im Achtsamkeitstraining lernen«, entschlüsselt den Lernprozess mit Blick auf den Lernmoment, den Augenblick, in dem durch Einsicht wirkliches Lernen geschieht – wenn »der Groschen fällt«. Es geht dabei auf individuelle Eigenschaften wie den persönlichen Lernstil ein. Anschließend werden in Kapitel 2, »Ein fruchtbares Lernumfeld schaffen«, die Qualitäten eines Umfelds beschrieben, das den Lernprozess fördert. In Kapitel 3, »Die Achtsamkeitspraxis anleiten«, werden eine Struktur und die wichtigsten Anhaltspunkte zum Anleiten von Achtsamkeitsübungen vorgestellt. Kapitel 4, »Inquiry«, befasst sich systematisch mit allen Aspekten dieser besonderen Gesprächsform. Da Inquiry einer der anspruchsvolleren Aspekte des Lehrens von Achtsamkeit sein kann, ist dieses Kapitel lang und detailliert. Im Gegensatz dazu ist das Kapitel 5 über die »explizite Wissensvermittlung« kurz gehalten, denn die Vermittlung von theoretischem Wissen über Achtsamkeit ist ein eher unkomplizierter Aspekt des Unterrichtens. Es geht vor allem darum, wann diese Art der Wissensvermittlung angebracht ist und welche Themen dabei behandelt werden können.

Zum Abschluss des Buches wird in Kapitel 6, »Was Lehrende in die Ausbildung einbringen«, die Person der Lehrerin oder des Lehrers in den Fokus gerückt. In diesem letzten Kapitel befassen wir uns mit der Frage, wie unser Vermittlungsstil unsere Persönlichkeit als Lehrende und als Menschen widerspiegelt. Vergessen Sie nicht, wir als Lehrende haben einen ungemein großen Einfluss darauf, ob die Botschaft ankommt. Daher sollten wir sowohl als Lehrende als auch als Menschen sehr viel Wert auf die Art der Vermittlung legen, denn es geht hierbei um viel mehr als um bloße Techniken.

Lesewege

Dieses Buch folgt im Wesentlichen der Struktur des Lernprozesses, indem es zunächst untersucht, wie Menschen lernen, und dann, welche Art von Umgebung für das Lernen am fruchtbarsten ist. Dies entspricht dem allgemeinen Wissensstand der Lernpsychologie: Um den Lernprozess lenken zu können, müssen Lehrende gut darüber Bescheid wissen, wie Menschen lernen. Die dann folgenden Kapitel nehmen zunehmend detaillierter die Vermittlung von Achtsamkeit in den Blick, von der Entwicklung bestimmter Fähigkeiten (etwa Techniken zur Anleitung der Gruppe während der Praxis und bei Übungen) bis hin zu Kompetenzen (Fähigkeiten der Lehrperson). Es bietet sich daher an, die Kapitel der Reihe nach zu lesen, um die Topografie dieses natürlichen Lernprozesses nachzuvollziehen.

Wie gesagt ist jedoch die Haltung, aus der heraus man lehrt (Herzsamkeit und Verkörperung), wichtiger als das, was man lehrt. Unter diesem Gesichtspunkt wäre also das letzte Kapitel (»Was Lehrende zum Training mitbringen«) die Grundlage. Man könnte daher ebenso gut mit Kapitel 6 beginnen und das Buch in umgekehrter Reihenfolge lesen, um schließlich zu den eher technischen und allgemeinen Aspekten des Achtsamkeitsunterrichts zu gelangen.

Und schließlich gibt es noch eine dritte Möglichkeit, dieses Buch zu lesen: ohne festen Plan. Bei diesem Ansatz können Sie sich von Ihren natürlichen Interessen leiten lassen. Oder, wenn Sie bereits unterrichten, können Sie sich den Themen zuwenden, die in Ihrem Unterricht gerade auftauchen.

Ein Buch kommt nicht der Praxis gleich

Juristinnen und Juristen lassen sich gern vor Bücherwänden mit dicken Wälzern fotografieren. Das sieht vielleicht beeindruckend aus, doch sie kennen natürlich die Inhalte dieser Werke nicht auswendig. Vielmehr schlagen sie hin und wieder in einem bestimmten Buch nach, das für einen bevorstehenden Prozess von Bedeutung ist, oder sie durchforsten ihre Regale nach einem Artikel oder einem Präzedenzfall, auf den sie sich in einem Berufungsverfahren beziehen können. Wenn sie dann den Gerichtssaal betreten, lassen sie all die Bücher hinter sich und geben sich der Dynamik des Augenblicks hin. Das bloße Lesen von Fachliteratur reicht nicht aus, um vor Gericht gut zu argumentieren. In ähnlicher Weise kann man auch Achtsamkeit nicht gut unterrichten, wenn man nur Bücher darüber liest.

In Edgar Allan Poes Kurzgeschichte »Das ovale Porträt« liebt ein Künstler seine Frau so sehr, dass er ihr Wesen auf der Leinwand einfangen möchte. Als er endlich glaubt, eine perfekte Darstellung von ihr geschaffen zu haben, blickt er von seiner Leinwand auf und muss feststellen, dass seine Frau an Erschöpfung gestorben ist, während sie für das Porträt Modell saß.

Kein Text kann jemals den lebendigen Prozess des Lehrens von Achtsamkeit beschreiben, ohne dass ein Teil dieses Prozesses bei dem Versuch, ihn darzustellen, stirbt. Das Lesen ist nur ein kleiner Teil der Ausbildung, wenn auch ein unverzichtbarer. So wie sich die Teilnehmenden während des Achtsamkeitstrainings auf ihre persönlichen Erfahrungen verlassen müssen, so gilt das auch für die Lehrenden.

Kapitel 1

Wie Menschen im Achtsamkeitstraining lernen

Bevor ich meinem Leben sagen kann, was ich mit ihm anfangen will, muss ich meinem Leben lauschen, wer ich bin.

Parker J. Palmer

In einer Zeit des drastischen Wandels sind es die Lernenden, die die Zukunft erben. Die Gelehrten finden sich in der Regel ausgerüstet für das Leben in einer Welt, die es nicht mehr gibt.

Eric Hoffer

In einem asiatischen Kloster setzt man sich um vier Uhr morgens zur Meditation hin und bleibt dran – eine Stunde, eine Woche oder ein Leben lang. Im Gegensatz dazu geht es beim Achtsamkeitstraining im Westen in der Regel auch darum, ein Umfeld für systematisches Lernen zu schaffen. Ein Trainingskurs könnte als westliches Konzept aufgefasst werden: ein begrenzter Prozess, in dem bestimmte Lernerfahrungen so weit wie möglich begünstigt werden, in der Hoffnung, dass dies zu Einsicht und Veränderung führt.[5] Die Praxis in ein westliches Kursformat zu verpacken, als er die Achtsamkeit in den Westen brachte, ist eines der wichtigsten Verdienste von Jon Kabat-Zinn.[6] Die Entwicklung von Einsicht durch die Praxis bleibt zwar das zentrale Element, doch hat er dem eine spezifische Struktur und ergänzende Vermittlungsmethoden wie das Inquiry und die explizite Wissensvermittlung hinzugefügt.

Um auf die pragmatische Grundlage des Achtsamkeitstrainings im Westen zurückzukommen, stellt sich also die Frage, wie man die Vermittlung des Lernstoffs am besten gestaltet. Schon hier stoßen wir auf Schwierigkeiten, denn »Lernstoff« ist im Zusammenhang mit einem Achtsamkeitstraining kein passender Begriff. Beim Achtsamkeitstraining geht es darum, sich öfter seiner selbst und des Augenblicks bewusst zu sein. Hier ist der Lernmoment ein Moment des »Aufwachens«. Es ist ein Moment des klaren Sehens, der Einsicht und der Öffnung für ein tieferes Wissen, verbunden mit der Fähigkeit, diese Erfahrung zu integrieren. Im Bereich der Achtsamkeit dreht sich eine wirksame Vermittlung daher auch um die Eigenschaften der Lernenden. Im ersten Kapitel schauen wir uns diese genauer an. Im zweiten Kapitel befasse ich mich dann mit dem Setting und der Schaffung eines Umfelds, das den Lernenden die besten Möglichkeiten bietet, Erkenntnisse zu gewinnen, bevor ich mich in den Kapiteln 3 bis 5 spezifischen Vermittlungsmethoden zuwende.

Wechselwirkungen zwischen persönlichen Eigenschaften, dem Setting und Vermittlungsmethoden

Jeder Mensch kommt mit seinen persönlichen und höchst individuellen Eigenschaften zum Achtsamkeitstraining. Diese Eigenschaften umfassen auch den Lernstil, den Lernfokus, den individuellen Lernzugang und die momentane Aufnahmefähigkeit einer Person. Sie stehen mit dem Setting und den Vermittlungsmethoden in einer dynamischen, wechselseitigen Beziehung, wobei jeder Faktor die anderen beeinflusst und von ihnen beeinflusst wird.[7]

So passt sich etwa ein Teilnehmer oder eine Teilnehmerin dem Setting an, das Setting wird im Gegenzug aber auch von ihm oder ihr beeinflusst. Die Vermittlungsmethoden wiederum werden vom Setting gestützt, ­wirken sich aber auch auf dieses aus, und so weiter. Das ­dynamische Zusammenspiel zwischen persönlichen Eigenschaften, Setting und Methode ist in Abbildung 2 dargestellt.

Abb. 2: Die dynamische Beziehung zwischen persönlichen Eigenschaften, Setting und Methode, die dem Lernmoment im Achtsamkeitstraining seine Form gibt

Sie mögen sich fragen, wo in dieser Abbildung der oder die Lehrende ist. Natürlich ist es die Aufgabe der Lehrperson, die Vermittlungsmethoden auszuwählen und anzuwenden. Sie führt die Vorgespräche, bevor die Gruppe beginnt, und beeinflusst damit das Lernumfeld. Zusätzlich organisiert sie die räumliche Umgebung und ist selbst das entscheidende Element für die Qualität des Umfelds, vor allem durch den kaum greifbaren Faktor der Verkörperung. Und schließlich, wie im nächsten Abschnitt dargelegt, muss der oder die Lehrende die persönlichen Eigenschaften der Gruppenmitglieder miteinbeziehen und sowohl den Inhalt als auch den Lehrstil dementsprechend anpassen. Der Grund, warum ich die Lehrperson in dieser Grafik ausgespart habe, ist einfach folgender: Die Lehrperson ist überall.

Persönliche Eigenschaften

Das Setting und die Methoden werden, wie schon erwähnt, in späteren Kapiteln behandelt. Hier wenden wir uns zunächst den persönlichen Eigenschaften der Teilnehmenden zu. Angesichts der Wechselbeziehung der Faktoren, wie sie im vorangegangenen Modell des Lernmoments dargestellt sind, werden wir nicht in der Lage sein, alle Teilnehmenden mit derselben Methode und demselben Setting gleichermaßen wirksam zu erreichen. Wir müssen die individuellen Unterschiede der Teilnehmenden berücksichtigen und überlegen, wie wir auf diese Unterschiede eingehen können.

Die persönlichen Eigenschaften sind das, was jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer zum Achtsamkeitstraining mitbringt. Und wie wir gesehen haben, üben diese Eigenschaften einen Einfluss auf andere Faktoren des Lernmoments aus. Aus der Sicht der Lehrenden sind diese persönlichen Eigenschaften die Aspekte, die sich am wenigsten beeinflussen lassen. Sie sind in der Regel auch am wenigsten veränderbar. Die ­persönlichen Eigenschaften eines Menschen sind das Ergebnis eines komplexen ­Formungsprozesses durch Gene, Kultur, Geschichte und, je nach Glaubenssystem, durch Zufall, Schicksal oder vielleicht sogar Karma.

Das hochgradig idiosynkratische Geist-Körper-System einer Teilnehmerin oder eines Teilnehmers bestimmt die Muster, mit denen die Person dem Augenblick begegnet, und die Filter, durch die sie Erfahrungen wahrnimmt. Es entscheidet damit, welche Aspekte dieser Erfahrung in den Vordergrund treten, und welche nicht. Wenn die Person sich neuen Erfahrungen gegenübersieht, bestimmt ihre Persönlichkeit auch den Lernstil. All dies spielt eine Rolle für die Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments und die Offenheit für den Lernprozess.

Die Tatsache, dass diese Eigenschaften so individuell sind, bedeutet, dass das Achtsamkeitstraining für jeden Menschen eine einzigartige Reise sein wird. Trotzdem (und das mag ein wenig respektlos klingen) werde ich diesen individuellen Eigenschaften später im Buch keine große Aufmerksamkeit schenken. Schlicht aus dem Grund, weil sie weitgehend gegeben und schwer zu ändern sind. Da sie dennoch Einfluss auf den Lernprozess haben, sollen vier entscheidende Qualitäten in diesem Kapitel beleuchtet werden: der persönliche Zugang zum Lernen, der Lernstil, der Lernfokus und die Offenheit für den Augenblick.

Der persönliche Zugang zum Lernen

Wir müssen nicht an Karma glauben, um anzuerkennen, dass Erfahrungen aus der Vergangenheit zum Teil darüber bestimmen, wer wir heute sind. Glück, Trauer, Traumata, Familiendynamiken, Krankheiten und viele andere Erfahrungen prägen unsere Vorlieben und Abneigungen. Sie haben auch Einfluss darauf, warum Einsicht für eine bestimmte Person eher leicht oder eher schwer zu erlangen ist. Auch die seelische ­Veranlagung ist ein entscheidender Faktor dafür. Manche Menschen neigen von Natur aus eher zu Schwermut, Ruhelosigkeit oder Verträumtheit als andere.

Bis zu einem gewissen Grad bestimmen die persönliche Geschichte und die allgemeine Veranlagung die Hürden und Hindernisse, denen die Gruppenmitglieder während ihres Lernprozesses begegnen. Dies widerfährt allen, und es ist nicht vorhersehbar, welche Hindernisse wann auftauchen, oder wie herausfordernd sie sein werden. Das ist ein Teil dessen, was Achtsamkeitstraining zu einer Entdeckungsreise macht.

Als Lehrende ist es unsere Aufgabe, Vertrauen in den Prozess und in die Fähigkeit zur Selbstheilung auszustrahlen, wann immer die Teilnehmenden seufzen, dass ihre Fortschritte im Vergleich zu denen der anderen so gering erscheinen. Solange Teilnehmende genügend Engagement mitbringen, werden die Themen oder Hindernisse, die für sie auftauchen, die richtigen sein, eben weil sie auftauchen. Einsicht entwickelt sich in ihrem eigenen Tempo, unabhängig von den Erwartungen des Geistes. Da es sich um einen selbstregulierenden Prozess handelt, wird der Lernweg jeder Teilnehmerin und jedes Teilnehmers schließlich zu mehr Achtsamkeit führen. Wie lang dieser Weg ist, wie stark er sich windet, und wie viel davon bergauf oder bergab verläuft, lässt sich einfach nicht vorhersagen.

Lernstil

Unter Lernstil versteht man die Art und Weise, wie ein Mensch bevorzugt lernt. Das Wort »Stil« deutet bereits darauf hin, dass es sich um etwas Persönliches handelt, um eine Eigenschaft, die von Mensch zu Mensch verschieden ist. Ein typischer Lernstil ist zum Beispiel der des Theoretikers oder der Theoretikerin. Eine Theoretikerin will in der Regel wissen, welcher Gedanke hinter einer Übung steckt, bevor sie sich darauf einlässt.

In den frühen 1970er-Jahren entwickelte der US-amerikanische Pädagoge David Kolb eine Lerntheorie, die später von Peter Honey und Alan Mumford (1982) zu vier Lernstilen oder -präferenzen ausgearbeitet wurde, die ich hier zusammenfasse. Bei diesen Stilen geht es mir nicht darum, Menschen in Schubladen zu stecken, sondern vielmehr zu verdeutlichen, wie unterschiedlich verschiedene Personen auf ein und dieselbe Lernumgebung und Vermittlungsmethode reagieren. Das hat zur Folge, dass Menschen unterschiedliche Vorlieben für bestimmte Teile des Lernprozesses haben werden. Als Lehrende können wir uns dazu entscheiden, auf diese Vorlieben einzugehen, um den Teilnehmenden den Zugang zu erleichtern. Natürlich müssen wir dabei immer ein Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der Einzelnen und denen der Gruppe finden (auf dieses Thema komme ich am Ende des Kapitels zurück). Wenn wir es mit einer Theoretikerin zu tun haben, könnten wir zum Beispiel eine Übung erklären, bevor wir sie durchführen. Das würde zwar von der typischen Vorgehensweise, die Erfahrung erst anzubieten und dann zu besprechen, abweichen, kann aber dazu beitragen, dass die Theoretikerin sich auf die Übung einlässt.

Hier die vier primären Lernstile, wie sie Honey und Mumford skizziert haben: der aktivistische, der reflektierende, der theoretische und der pragmatische. Wenn der Eindruck entsteht, dass die Beschreibungen eher auf die problematischeren Aspekte jedes Lernstils ausgerichtet sind, so liegt das daran, dass es genau diese Herausforderungen sind, auf die wir als Lehrende achten und mit denen wir umgehen müssen.

Der aktivistische Lernstil

Aktivistisch Lernende zeichnen sich dadurch aus, dass sie gegenwarts­bezogen und aktiv sind. Ihre Stärke ist ihre Fähigkeit, greifbare Erfahrungen zu machen. Sie sind praktisch veranlagt und experimentieren gern, und wenn eine Aufgabe erledigt ist, stürzen sie sich sofort in die nächste. Aktivistisch Lernenden fällt es schwer, einen Schritt zurückzutreten, innezuhalten und sich Zeit zum Nachdenken zu nehmen, um Zusammenhänge und Muster zu erkennen. Sie brauchen eine ausdrückliche Aufforderung in diese Richtung. Eine Polizistin oder ein Polizist verkörpert oft so einen aktivistischen Ansatz – immer von einem ­Vorfall zum nächsten eilend, in die konkrete Situation vertieft, ohne sich auf die zugrunde liegenden Ursachen und Muster zu konzentrieren (und vielleicht auch ohne dazu in der Lage zu sein).

Der reflektierende Lernstil

Reflektierend Lernende zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Dinge sachlich betrachten und darüber nachdenken. Sie sind sehr gut im Beobachten von Erfahrungen – so gut, dass ihr Blick für Details zur Unfähigkeit führen kann, das große Ganze zu sehen. Genauigkeit in der Beobachtung ist reflektierend Lernenden heilig, während sie weniger daran interessiert sind, was sie aus ihren Beobachtungen machen könnten. Sie sind wie Laboranten, die sich Zeit nehmen, um ihre Beobachtungen mit großer Präzision zu erstellen und zu perfektionieren. Sie brauchen Anleitung, um sich von den Details zu lösen und sich für das große Ganze zu öffnen.

Der theoretische Lernstil

Theoretisch Lernende zeichnen sich dadurch aus, dass sie logisch und analytisch denken können. Sie ziehen Interpretationen und Konzeptualisierungen den tatsächlichen Erfahrungen vor. Bevor sie ein Experiment oder eine Übung ausführen, wollen sie die Idee dahinter kennen. Sie neigen dazu, bereits zu analysieren und Schlussfolgerungen zu ziehen, bevor das Experiment abgeschlossen ist. Die Herausforderung für sie besteht darin, sich dem Experiment hinzugeben, ohne ihre Erfahrungen sofort zu konzeptualisieren. Eine Juristin, die versucht, Ereignisse in einen bestimmten (juristischen) Kontext einzupassen, liefert ein Beispiel für einen theoretischen Ansatz.

Der pragmatische Lernstil

Pragmatisch Lernende zeichnen sich dadurch aus, dass sie abstrakt denken können und dabei aktiv sind. Sie wollen so schnell wie möglich lernen, damit sie das Gelernte in die Praxis umsetzen können. Folglich neigen sie dazu, den Nutzen des Lernprozesses selbst nicht zu schätzen. Im Umgang mit pragmatisch Lernenden gilt es, ihren Enthusiasmus zu zügeln und sie aufzufordern, sich die Sache noch einmal anzusehen, bevor sie vorwärts preschen. Sie sagen oft Dinge wie »Ich bin nicht an Problemen interessiert, sondern an Lösungen« oder »Was bedeutet das für das nächste Mal?« Manager sind oft typische Pragmatiker.

Lernfokus

Mit dem persönlichen Lernstil eng verbunden sind unsere Gewohnheiten, also wie wir mit unseren Erfahrungen in Beziehung treten. Unsere Aufmerksamkeit folgt unseren natürlichen Interessen, aber sie hat kein freies Spiel. Im Lauf des Lebens entwickeln wir Gewohnheiten und Muster, auf welche Art und worauf wir uns konzentrieren. Manche Menschen konzentrieren sich eher auf Probleme, während es andere eher zu Lösungen hinzieht. Einige neigen zur Anstrengung, andere zur Entspannung. Manche sind sich der Unterschiede bewusster, während andere mehr auf Gemeinsamkeiten achten. Und manche richten ihr Augenmerk eher auf Farben, während andere mehr die Konturen wahrnehmen.

Dieser persönliche Stil des Aufmerksamseins bestimmt den Fokus und damit auch, welche Aspekte einer Gesamterfahrung eine Person wahrnimmt. Wenn wir etwas fokussieren, hilft uns das, etwas Bestimmtes zu sehen, während es uns für anderes blind macht. Es ist ähnlich wie in dem bekannten Gleichnis von den drei Blinden, die einem Elefanten begegnen: Derjenige, der den Schwanz des Elefanten berührt, hält ihn für ein Stück Seil; diejenige, die eines der Beine umschlingt, hält ihn für einen Baum; und derjenige, der den Rüssel zu fassen bekommt, meint, er sei eine Schlange.

Auf ähnliche Art haben Menschen persönliche Vorlieben in Bezug darauf, wie sie sich ihren Erfahrungen widmen. Das werden Sie wahrscheinlich bereits während des Bodyscans bemerken: Einige Teilnehmende folgen der Reise durch den Körper, indem sie Körperteile visualisieren; andere tun dies, indem sie ihre Aufmerksamkeit auf Körperempfindungen lenken; und wieder andere lassen sich auf die Metapher des weiten Raumes ein, öffnen sich für ihre Erfahrung und umarmen sie mit ihrem Bewusstsein. Für einige sind visuelle Anleitungen effektiver, während andere eher davon profitieren, wenn andere Sinne angesprochen werden.

Diese Fokussierung beim Lernen beruht auf Gewohnheit und ist oft mit der Persönlichkeit verbunden; daher ist sie in den meisten Fällen nur begrenzt flexibel. Auch hier ist es die Aufgabe der Lehrperson, ein Gleichgewicht zu finden, indem sie einerseits auf Einzelne eingeht und andererseits der Gruppe gerecht wird. In Bezug auf den Bodyscan kann dies zum Beispiel bedeuten, dass wir in der Anleitung zwischen visuellen, auditiven und propriozeptiven Orientierungen abwechseln.

Aufnahmefähigkeit und Offenheit für den Augenblick

Eine persönliche Eigenschaft, die anscheinend stärker beeinflusst werden kann, ist die gegenwärtige Aufnahmefähigkeit und -bereitschaft. Das Setting (wie in Kapitel 2 beschrieben) kann viel dazu beitragen, eine Atmosphäre der Offenheit zu schaffen oder zu unterstützen, insbesondere wenn ein Gefühl von Sicherheit vermittelt wird. Letztendlich kann die Aufnahmefähigkeit alle vorangegangenen Faktoren aufheben, im Guten wie im Schlechten. Stellen Sie sich vor, Sie könnten einen Lernmoment anbieten, der perfekt auf eine einzelne Teilnehmerin zugeschnitten ist und sich deren Lernzugang, Lernstil und Fokus genau anpasst. Das wäre immer noch keine Erfolgsgarantie. Die betreffende Teilnehmerin könnte in diesem Moment geistig abwesend, von ihrem Sitznachbarn abgelenkt, oder mit ihren Gedanken noch bei einem Konflikt am Arbeitsplatz sein. Und selbst wenn die Teilnehmerin in diesem Moment geistig präsent wäre, würde sie vielleicht an Ihrer Autorität zweifeln oder hätte bereits so viele Informationen aufgenommen, dass sie nicht mehr aufnahmefähig wäre.

All diese und weitere Faktoren bestimmen die Aufnahmefähigkeit der Teilnehmenden – mit anderen Worten, ihre Offenheit, Bereitschaft und Fähigkeit, in einem bestimmten Moment neue Informationen in sich aufzunehmen. Auf diese Weise ist die Fähigkeit und Bereitschaft, etwas aufzunehmen, vielleicht der flüchtigste aller Faktoren, die bestimmen, ob Einsichten entstehen, also ob »der Groschen fällt«.

Die Balance zwischen individuellen Bedürfnissen und denen der Gruppe

Individuelle Bedürfnisse lassen sich am besten durch einen maßgeschneiderten Ansatz erfüllen. Aber der ist nicht immer möglich, vor allem nicht in Gruppen. Die Aufgabe der Lehrenden besteht darin, gleichermaßen die Bedürfnissen der Einzelnen und die Bedürfnisse der gesamten Gruppe im Blick zu behalten. Auf dieses Thema werde ich im zweiten und im vierten Kapitel zurückkommen. An dieser Stelle möchte ich nur erwähnen, dass bestimmte Ansätze dabei helfen können, auf individuelle Bedürfnisse einzugehen.

So bietet beispielsweise ein Vorgespräch die Gelegenheit, Einzelne auf die Gruppenerfahrung vorzubereiten oder auch zu erkennen, dass eine Person für ein Gruppenprogramm nicht geeignet ist.[8] Eine weitere Möglichkeit besteht darin, sich mit einer Teilnehmerin oder einem Teilnehmer außerhalb des Gruppenrahmens zu beschäftigen. (In Kapitel 4 werde ich näher erläutern, wie man individuell auf Teilnehmende zugehen kann.)

Die Tatsache, dass es wenig Möglichkeiten gibt, das Achtsamkeitstraining in der Gruppe an die individuellen Bedürfnisse und Lernstile anzupassen, mag wie eine Einschränkung erscheinen. Der Mensch ist jedoch ein soziales Wesen, deshalb ist ein Gruppensetting in der Regel weitaus wirkungsvoller als ein individuelles Lernsetting, selbst wenn dieses genau auf die jeweilige Person zugeschnitten ist.

Letztlich ist die wichtigste Voraussetzung für eine fruchtbare Lern­umgebung, dass die Teilnehmenden sich auf eine zu ihnen passende Weise gesehen, unterstützt und herausgefordert fühlen – und dafür bietet das Achtsamkeitstraining reichlich Raum. Außerdem kann es sich auch positiv auswirken, wenn die Bedürfnisse eines Gruppenmitglieds nicht vollständig erfüllt werden. Wo immer persönliche Eigenschaften mit der Trainingsmethode kollidieren, gibt es etwas zu lernen.

Wenn man zu sehr versucht, den Bedürfnissen Einzelner gerecht zu werden, kann dies den Lernprozess sogar beeinträchtigen oder gefährden. Wenn Sie sich zu sehr für die Entwicklung einer Person verantwortlich fühlen und gleichzeitig keine klare Sicht auf diese Entwicklung haben, tendieren Sie womöglich dazu, zu früh einzugreifen.

Ich erinnere mich an eine Situation, in der ich eine Teilnehmerin ansprach, weil ich mir Sorgen machte. Sie war still, und ich fragte mich, ob sie sich in den Gruppenprozess eingebunden fühlte. Nachdem ich ihr gegenüber meine Besorgnis geäußert hatte, wirkte sie etwas verlegen, so als müsse sie sich für ihre natürliche Art der Teilnahme rechtfertigen. Sie erklärte: »Ich höre anderen gern zu. Ich erkenne viel von mir selbst in dem, was die Leute sagen, und daraus kann ich viel ziehen. Ich lerne eine Menge. Da ich festgestellt habe, dass alles, was ich erlebt habe, früher oder später sowieso zur Sprache kommt, habe ich nicht das Gefühl, etwas beitragen zu müssen. Ich rede den Tag über ohnehin schon so viel.«

Wenn Sie eine Gruppe leiten, denken Sie vielleicht manchmal: Ich habe überhaupt keinen Einfluss darauf, ob sie es verstehen oder nicht. Das ist wahr. Ein Lernmoment ist das Resultat einer komplexen Dynamik, und das Ergebnis ist unvorhersehbar. Die Darstellung des Lernmoments in Abbildung 2 könnte Sie jedoch zu dem Gedanken verleiten: Dieser Ansatz hat eine Struktur. Wenn ich dieser Struktur folge, werde ich etwas erreichen. Auch das ist wahr. Wir können etwas über die Momente der Einsicht sagen – und wiederum auch nicht. Man kann einen Lernmoment strukturieren – und gleichzeitig ist er schwer fassbar.

Es ist nützlich, eine Struktur, eine Vorlage oder eine Landkarte zu haben, an der Sie sich orientieren können. Das wird Ihnen helfen zu wissen, was Sie tun sollen und warum Sie es tun sollen. Es kann für Sie auch klären, wo Sie Ihre Fähigkeiten wirksam einsetzen können und welche Ergebnisse Ihre Bemühungen möglicherweise haben werden. Wie ein Geistesblitz zustande kommt, bleibt allerdings ein Geheimnis. Achtsamkeitslehrende sind immer wieder überrascht von den Momenten, in denen ein Teilnehmer oder einer Teilnehmerin eine Einsicht hat, und davon, wie unvorhersehbar diese Momente sind. Niemand kann ein Rezept dafür liefern. Es gibt keinen Plan, der Ihnen sagt, was Sie tun müssen, damit der Groschen fällt.

Kapitel 2

Eine fruchtbare Lernumgebung schaffen

In der Welt der Maßeinheiten setzt man ein Ziel und verfolgt es. Im Universum der Möglichkeiten setzt man die Rahmenbedingungen und lässt das Leben sich entfalten.

Rosamund Stone Zander und Benjamin Zander

Und es kam der Tag, da das Risiko, in der Knospe zu verharren, schmerzlicher wurde als das Risiko zu blühen.

Verfasser unbekannt

Achtsamkeit lernen wir durch direkte Erfahrung. In gewissem Sinn lässt sich das mit dem spielerischen Lernen von Kindern vergleichen. Wenn wir dieses erfahrungsbezogene Vorgehen für Erwachsene beschreiben, dann benutzen wir natürlich eher Worte wie »Erforschen« oder »Experiment« als den Begriff des »Spielens«. Aber schauen wir uns an, wie Kinder etwas erkunden: Da ist einerseits die Spannung des Unbekannten und andererseits das Gefühl, dass die Erkundung sicher ist. Ein Elternteil – oder zur Not auch der Boden – stehen bereit, um das Kind aufzufangen. Wie dieses Beispiel zeigt, bietet ein fruchtbares Lernumfeld gleichzeitig den Anreiz, sich auf etwas Neues einzulassen, und das Gefühl, dass es in Ordnung ist, das zu tun.

Lernen erfordert den geistigen Sein-Modus. Einige Eigenschaften dieses Sein-Modus sind Sicherheit, Ruhe, Nicht-Tun, Offenheit und Verbindungsfähigkeit. Der konditionierte, getriebene Tun-Modus unseres Geistes hemmt die offene und spielerische Haltung, die wir zum erfahrungsbasierten Lernen brauchen. Im Allgemeinen sind wir darauf getrimmt, Erfahrungen mit Gedanken zu begegnen, mit Ernsthaftigkeit, einer Vorstellung von Komplexität und einer Ergebnisorientierung. Ein fruchtbares Lernumfeld gleicht diese Konditionierung aus, indem es uns einlädt, präsent zu bleiben und uns auf den Prozess zu konzentrieren (statt auf das Ergebnis), zu spüren (statt zu denken) und Erfahrungen mit Unbeschwertheit und Einfachheit anzugehen. Diese Eigenschaften gehören zum Sein-Modus des Geistes.