Denke, was dein Herz fühlt - Wolf-Dieter Nagl - E-Book

Denke, was dein Herz fühlt E-Book

Wolf-Dieter Nagl

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Beschreibung

Dieses Buch nimmt Sie mit auf eine faszinierende Reise durch Körper und Geist und zeigt, wie Sie mit meditativen Techniken die Gehirnaktivität, das Schlagmuster des Herzens und damit Ihr Leben verändern können. Sorgenspiralen und Ängste sind die großen Herausforderungen der heutigen Zeit und die Schulung des Geistes kann uns nachweislich aus dem Gedankenkarussell befreien. In der Stille des Bewusstseins begegnen wir unseren Herzenswünschen und erkennen unser enormes Potenzial, das Leben zu gestalten. In diesem Buch trifft Wissenschaft auf Poesie, geistiges Training auf körperliche Entspannung und vereinigen sich Herz und Verstand auf heilsame Art und Weise. Mithilfe der geführten meditativen Übungen in diesem Buch kommen Sie sich selbst ein großes Stück näher.

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Dr. med. Wolf-Dieter Nagl

Denke, was dein Herz fühlt

Wie wir mit Meditation Herz und Verstand in Einklang bringen

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Ruf nach Freiheit

Schattenwürfe des Geistes

Krise als Chance

Wenn das Denken Probleme erschafft

Die Körper-Geist-Verbindung

Das autonome Nervensystem – Dirigent im Symphonieorchester des Lebens

Stress und seine Folgen – das Universum der Psychoneuroimmunologie

Die Komplexität des Geistes – ein Modell des (Unter-)Bewusstseins

Werkzeuge des Geistes

Meditation – eine Schulung des Geistes

Der ewige Strom der Gedanken

Der konvergente (enge) Fokus

Der divergente (offene) Fokus

Der objektfreie Fokus

Die Transformation des Geistes

Umgang mit unangenehmen Emotionen

Das Metabewusstsein

Veränderung von destruktiven Mustern

Die Kraft des Bewusstseins

Die Sprache des Herzens verstehen

Eine Reise in die Welt der Neurowissenschaften

Herz und Verstand

Herz und Verstand – ein ständiger Kampf oder ein geniales Team?

Zwei Prinzipien auf dem Weg zur Entscheidung

Die Vereinigung von Herz und Verstand

Der Weg in eine neue Zukunft

Der Filter der Wahrnehmung

Die Ausrichtung der Innenwelt

Die Vereinigung des weiblichen und männlichen Prinzips

Visionen des Herzens

Danke

Literaturverzeichnis

Impressum

Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit werden Personengruppen mit dem generischen Maskulinum bezeichnet, wobei immer sowohl weibliche als auch männliche Personen gemeint sind.

Ruf nach Freiheit

In der Tiefe unseres Geistes ahnen wir, dass wir freie Wesen sind. Wir spüren in unserem Herzen, dass ein Leben in Leichtigkeit und Freude möglich ist, und fragen uns zumal, ob innerer Frieden auch in unser Leben Einzug finden kann. Insgeheim wissen wir, dass unser egogetriebenes Verhalten nicht unserer wahren Natur entspricht, und würde man uns fragen, ob wir lieber Krieg oder Frieden hätten, dann würden sich wohl mehr als 99 Prozent der Menschen für Frieden entscheiden. Und dennoch führen wir täglich unsere eigenen kleinen Kriege. Wir ärgern uns über das Verhalten unserer Mitmenschen und über unsere eigenen Unzulänglichkeiten. Wir kämpfen gegen unsere Ängste und Sorgen und versuchen tunlichst, die Oberhand über sie zu behalten. Wir drängen Gefühle der Traurigkeit, der Wut und Einsamkeit zurück und stemmen uns gegen die Vergänglichkeit unseres alternden Körpers. Wir versuchen, Terrain zu verteidigen gegen die Stimmungslagen der Unsicherheit, der notorischen Langeweile und destruktiven Gleichgültigkeit, um im gesellschaftlichen Rennen um das große Glück nicht als Letzter durchs Ziel zu laufen. Vielleicht trachten wir danach, perfekt zu sein, weil wir meinen, nur dann liebenswürdig zu sein, wenn wir in wirklich jeder Lebenssituation außerordentliche Kompetenz, Witz und Humor, Überlegenheit und Charme zu versprühen vermögen.

Täglich strengen wir uns an, im Meer der Unvorhersehbarkeiten, die das Leben hervorbringt, über Wasser zu bleiben, und trüben dabei vor lauter Strampeln und Rudern unsere Sicht auf die Beständigkeit und Ruhe, die am tiefen Grund des Ozeans auf ihre Entdeckung warten. Oft meinen wir, das verheißungsvolle Glück in der Zukunft zu finden, wenn unsere Lebensumstände endlich perfekt geworden sind, um spätestens dann zu erkennen, dass doch noch etwas fehlt. Nur noch dieses eine oder jenes andere, dann wird endlich Ruhe einkehren und alles wird gut sein, so wie es ist. Nur leider ist auch diese Hoffnung meist vergeblich.

Doch könnte es auch anders sein? Stehen wir gar in diesem Moment mit beiden Füßen auf einer Schatztruhe erfüllender Glückseligkeit, während wir, ihrer nicht gewahr, durch ein Fernglas den Horizont fixieren, um in der Zukunft nach ihr Ausschau zu halten? Ließe sich der Feind der Unzufriedenheit womöglich am schnellsten besiegen, wenn wir die ewige Suche beenden und den Kampf aufgeben?

Tief in uns drinnen ahnen wir, wie es sich anfühlen würde, leicht und unbeschwert zu sein. Wir spüren, dass für uns alle die Möglichkeit besteht, frei zu sein, ein freudvolles und selbstbestimmtes Leben zu führen, und es ist der Ruf dieser inneren Stimme, der wie ein Sog an uns zerrt und uns daran erinnert, welches Potenzial in unserem Innersten schlummert und darauf wartet, gelebt zu werden.

Doch was bedeutet es, wirklich „frei“ zu sein? Haben Sie sich schon einmal gefragt, was Freiheit für Sie im Leben konkret bedeutet? Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit und fragen Sie sich selbst: Wovon möchte ich frei sein? Was genau sind die Glieder der Kette, die mich hält? Und noch viel wichtiger: Wofür möchte ich frei sein? Lassen Sie diese Fragen einen Moment lang auf sich wirken, bevor Sie weiterlesen.

Viele Menschen sehen Freiheit darin, sich schrankenlos in der dreidimensionalen Welt zu bewegen, nicht physisch eingesperrt zu sein und tun und lassen zu können, was immer sie möchten. Doch was ist mit jenen Menschen, die gar nicht wissen, was sie wollen, weil sie die Orientierung und den Zugang zu sich selbst verloren haben? Was ist mit all jenen, die sich eingekerkert fühlen von den Gitterstäben ihrer Gedanken und Emotionen, von Zwängen und Ängsten, die ihren Erlebnishorizont begrenzen und sie in alten Mustern gefangen halten? Gibt es auch für diese Zelle oder gar für das Gefängnis, in das traumatische Erlebnisse sie geführt haben, einen Schlüssel der Befreiung?

Diese Frage kann ich aus tiefster Überzeugung und dank unzähliger Erfahrungen aus meinem persönlichen und therapeutischen Leben klar mit „Ja“ beantworten. Der Schlüssel hierfür liegt in der Erweiterung des Bewusstseins. Durch eine Schulung des Geistes und meditative Techniken, die die Aufmerksamkeit trainieren, gewinnt unser Bewusstsein an Leuchtkraft und vermag die uns bestimmenden Kräfte des Unterbewusstseins zu transformieren. Durch das Gegenwartsbewusstsein eines wachsamen Geistes können wir den prägenden Rucksack der Vergangenheit von unseren Schultern heben und frischen Wind in unser Leben bringen. Wir können lernen, unseren Geist schrittweise von Destruktivität und von negativen Inhalten zu befreien und positive, freudvolle Zustände zu etablieren, um ganz bei uns selbst anzukommen und unser wahres Potenzial zu entfalten. Welche Schritte es hierfür braucht und mit welchen mentalen Übungen wir das vollbringen können, davon handelt dieses Buch.

Sich seiner Innenwelt zuzuwenden und den Wohnraum der eigenen Psyche zu entrümpeln, durchzulüften und unseren Bedürfnissen gemäß zu renovieren, kann herausfordernd sein, doch die Arbeit mit dem eigenen Bewusstsein eröffnet uns den Weg in eine neue Dimension des Seins. Die meisten Menschen sind erst dann bereit, an sich selbst zu arbeiten, den Geist zu schulen und die eigenen Herzensqualitäten zu entwickeln, wenn sie einen gewissen Leidensdruck verspüren oder erkannt haben, welch enorme Bedeutung das Bewusstsein und die Welt unserer Gedanken und Gefühle für den Verlauf unseres Lebens hat.

Vielleicht stecken Sie selbst in einer Lebenssituation, die täglich an Ihrem Nervenkostüm zerrt und aus der es kein Entrinnen zu geben scheint, da Ihr menschliches Verantwortungsbewusstsein Sie zum Verweilen verpflichtet. Oder Sie fühlen eine Art innere Blockade oder ein körperliches Leiden, die Sie daran hindern, Ihr Leben nach Ihren Vorstellungen zu gestalten und mit sich selbst im Frieden zu sein. Womöglich haben Ereignisse in Ihrer Vergangenheit stattgefunden, die das Tor zur Leichtigkeit und Lebensfreude für immer verschlossen zu haben scheinen. Und dennoch liegt ein Keim der Hoffnung in unser aller Seele verborgen, dass eine heilende Transformation in jedem Moment stattfinden kann. Das Wissen darum, dass sich in den tiefen Schichten einer verdorrten Wüstenlandschaft vibrierendes Leben verbirgt, das geduldig auf den nächsten Regen wartet, um mit frischen Trieben und Knospen die einst trockenen Dünen in eine bunte Oase zu verwandeln.

Welche Rolle spielen die Gedanken und Gefühle sowie der Grad unseres Bewusstseins bei diesem Erblühen? Können wir trotz widrigster Lebensumstände die innere Flamme der Zuversicht und Freude lebendig halten und die zeitlosen Elemente unseres spirituellen Wesenskerns durch uns hindurchscheinen lassen? Ist das Chaos in der Welt und die Verunreinigung des Planeten vielleicht sogar ein Spiegelbild der Unordnung unserer Innenwelt? Könnte die Etablierung von Ruhe und Klarheit im Geist nicht nur unseren Umgang mit schwierigen Lebenssituationen deutlich verbessern, sondern auch eine direkte Veränderung der Welt zur Folge haben? Menschliche Leuchttürme wie Nelson Mandela und Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Rosa Parks weisen uns den Weg in eine äußere Freiheit, die in deren Innenwelt ihren Anfang nahm.

Wenn Sie dieses Buch in Händen halten, sind Sie vermutlich interessiert an der Befreiung und Weiterentwicklung Ihres Geistes. Vielleicht teilen Sie mit mir die Faszination für das Mysterium des Bewusstseins, das unsere menschliche Existenz belebt, und wollen erfahren, wie Sie dieses für Ihr Leben nutzen können. Begleiten Sie mich auf eine spannende Reise in die komplexe Welt des Körper-Geist-Systems und erfahren Sie, wie Ihr Geist auch auf den physischen Körper Einfluss nehmen kann. Finden Sie heraus, wer Sie sind, wenn Sie hinter den Vorhang der eigenen Biografie blicken und in die tieferen Seinszustände des reinen Bewusstseins eintauchen. Der Geist birgt ein unermessliches Potenzial für Entwicklung und Heilung in sich, sowohl auf seelischer wie auch auf körperlicher Ebene. Gedanken und Gefühle bilden nicht nur die Grundlage für unsere Entscheidungen und die Wahrnehmung der Realität, sondern formen auch die Architektur unseres Gehirns und spinnen ihre einflussreichen Fäden bis in die Funktionsweise unseres Immunsystems. Sie interagieren dabei mit sämtlichen Prozessen des Organismus, einschließlich der Atmung, der Verdauung und des pulsierenden Schlags unseres Herzens.

Sie werden erfahren, wie Sie durch Meditation die heilsame Ebene des mitfühlenden Herzens aktivieren können und einen Zugang zur Quelle Ihrer Intuition erhalten, um diese innere Stimme für Ihre Lebensentscheidungen zu nutzen. Die theoretischen Inhalte und praktischen Übungen sollen Sie auf Ihrem ganz individuellen Lebensweg unterstützen, Ruhe im Geist und Fülle im Herzen zu erleben. Sie helfen dabei, die opponierenden Elemente von Herz und Verstand auf eine Linie zu bringen und im Gleichklang für sich sprechen zu lassen, damit Sie Ihr einzigartiges Potenzial entfalten und in Ihrem Leben verwirklichen, was Sie sich von Herzen wünschen. Wenn dieses Buch nur einen einzigen Leser bei diesem Vorhaben unterstützt, dann hat es seinen erwünschten Zweck erfüllt.

Ich wünsche Ihnen viel Inspiration und Freude beim Lesen und Praktizieren!

Wolf-Dieter Nagl

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{ Schattenwürfe des Geistes }

Krise als Chance

Heute weiß ich, dass jede Krise ihren Sinn hat. Schwierige Zeiten erfüllen einen ganz bestimmten Zweck, der sich uns meist erst im Nachhinein erschließt und oft Jahre später ersichtlich wird. So hat eine Krisenzeit in meinem eigenen Leben dazu geführt, dass das vorliegende Buch entstanden ist, denn sie zwang mich in eine lange Beschäftigung mit Themen und Techniken, die mir halfen, aus Negativspiralen auszusteigen und den Geist zu befreien. Sie ließ mich erkennen, dass unsere Innenwelt maßgeblich dazu beiträgt, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen, aber auch, wie wir sie gestalten.

Es gibt Vorkommnisse und Lebensumstände, die uns einladen, das Leben als trübsinnig oder gar sinnlos zu betrachten. Solche Einladungen schauen in jedem individuellen Leben jeweils anders aus, tragen verschiedene Namen und nehmen unterschiedlichste Formen an. Ob wir sie annehmen und uns in Negativität verlieren oder an ihnen wachsen, liegt dabei in unserer Verantwortung.

Meine persönliche Einladung erhielt ich, als ich im Alter von 18 Jahren den ersten Schritt über die Schwelle der medizinischen Universität setzte, und ich bin ihr unwissentlich gefolgt. Ich möchte Sie an meiner Geschichte teilhaben lassen, da sie veranschaulicht, wie inneres und äußeres Erleben sich gegenseitig beeinflussen, welche Auswirkung unser Denken und Fühlen auf unsere Lebensrealität hat und welche Schlüsse ich aus meiner eigenen Krisenzeit ziehen konnte.

Der Weg in die negative Denkspirale

Mit den überwiegend sonnigen Erfahrungen einer unbeschwerten Schulzeit ausgestattet und von der romantischen Vorstellung des heilbringenden Arztberufes beseelt, betrat ich in jungen Jahren eine klinische Welt, die den Menschen lediglich als chemisches Gemisch aus Atomen und physiologischen Regelkreisen sowie eine auf äußere Reize reagierende Biomaschine definierte. Bestimmt mag diese Wahrnehmung sehr subjektiv gewesen sein und bei Weitem nicht alle meine Studienkommilitonen haben die medizinische Lehre in gleicher Weise negativ empfunden. Doch mit voranschreitenden Semestern erlebte ich damals, wie das Gesamtkunstwerk „Mensch“, das sich aus Körper, Geist und Seele zusammensetzt, in alle möglichen, potenziell pathologischen Einzelteile seziert wurde und dadurch seinen ihm innewohnenden Schöpfungsglanz verlor. Der schmucklose Blick durch die reduktionistische Brille der Naturwissenschaften, der den Menschen nicht mehr in seiner Ganzheit betrachtet, sondern in isolierte Einzelteile aufspaltet, verpixelte die belebenden und einzigartigen Qualitäten des Geistes. In den anatomischen Schnittpräparaten der Gehirne, mit denen ich es in den Seziersälen zu tun hatte, ließen sich keine Lebensvisionen finden, in den Hauptkammern des Herzens keine Spuren von Liebe und Mitgefühl, und die histologischen Bilder der Zellkerne offenbarten keine Bibliothek an einst gemachten Lebenserfahrungen. Selbstverständlich schien auch niemand dort nach ihnen zu suchen.

Zwar hatte ich von Beginn des Studiums an den Glauben, dass die Art und Weise, wie wir denken und fühlen, einen positiven Einfluss auf unsere Gesundheit nehmen könne, doch geriet dieses Weltbild in den biomechanischen Hallen der apparativen Medizin zunehmend ins Wanken. Die Existenz einer geistigen menschlichen Ebene, die das Potenzial für Gesundheit und Heilung in sich trug, verschwand gänzlich unter dem Gewicht tausende Seiten umfassender Bücher, die vorwiegend Krankheiten und deren medikamentöse Behandlung zum Inhalt hatten. Dadurch dass der Fokus permanent auf Pathologien gerichtet war, bekam ich das Gefühl, dass Krankheiten eher die Norm waren und Gesundheit bloß die vorübergehende Abweichung von dieser Norm darstellte. Das scheinbar unbeeinflussbare Würfelspiel der Gene hinterließ ein Gefühl der Machtlosigkeit in mir. Eine negative Denkspirale setzte sich in Gang, die schließlich auf mich selbst übergriff. Wochen und Monate lang quälte ich mich mit Sorgen um meine eigene Gesundheit herum und drehte mich in der Angst vor sämtlichen Krankheiten immer weiter in dieser Abwärtsspirale hinunter. Ich schlitterte in eine depressive Mischkulanz aus Überforderung und Perspektivlosigkeit und musste mir nach langem und zähem Ringen eingestehen, dass mein Weg hier nicht weiterführen würde. Schlussendlich sah ich mich gezwungen, mein Studium auf halbem Weg zu beenden. Ich verließ die Universität nach dreieinhalb Jahren.

Mein Traum war geplatzt und meine seit der Kindheit gehegte Vision, Arzt zu werden, gescheitert. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte und was mit meinem Leben nun anzufangen sei. Ich gab mir ein halbes Jahr Bedenkzeit, um Klarheit ob meines weiteren Lebensweges zu gewinnen, und erinnere mich, in dieser Zeit von früh bis spät ausschließlich gegrübelt und über den Sinn des Lebens nachgedacht zu haben. Heute weiß ich, dass unablässiges Denken und Analysieren ein Garantierezept für Depression und Verwirrung ist, doch musste ich diese Suppe damals selbst zu Ende löffeln. Es waren dies wohl die dunkelsten, wenn auch lehrreichsten Zeiten meines Lebens.

Der Weg aus der Krise

Nach sechs Monaten Auszeit und dem erfolglosen Versuch, durch Nachdenken eine Lösung zu finden, wollte ich mich wieder der Welt mit ihren Möglichkeiten zuwenden. Ich folgte dem einzig spürbaren Impuls, der nicht dem Getöse meiner rationalen Überlegungen entsprang, und begann, als Kellner zu arbeiten. Daneben beschäftigte ich mich intensiv mit spirituellen Texten und wissenschaftlicher Literatur zum Thema Selbstheilung und holte mir in Seminaren und Psychotherapiesitzungen neue Nahrung für Herz und Verstand. Vor allem lernte ich, wieder mehr auf meine Intuition zu vertrauen und jenen Impulsen zu folgen, die sich in meinem Herzen gut und richtig anfühlten. Ich begann, zu meditieren und meinen Geist genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich suchte den Ursprung meiner Misere in den Untiefen meiner Gedanken und fand ihn dort. Durch diese Introspektion gelang es mir, brauchbare von unbrauchbaren Gedanken zu unterscheiden und destruktive Inhalte vorbeiziehen zu lassen, während ich konstruktive für mich bekräftigte. Wie ein Innenarchitekt machte ich mich daran, meinen psychischen Wohnraum umzukrempeln und meine gedanklichen und emotionalen Einrichtungsgegenstände für mich sinnvoll zu positionieren. Mit zunehmender Veränderung des Geistes bemerkte ich, wie sich in der Folge auch meine Lebensumstände ins Positive wandelten, da ich begann, berufliche und private Richtungsentscheidungen zu treffen, die wiederum in neuen Erfahrungen resultierten. Ich erkannte, dass sowohl die Wahrnehmung als auch die Beschaffenheit der äußeren Realität größtenteils einen Spiegel meiner Innenwelt darstellte. Ich begann, mein Leben von innen heraus zu gestalten.

Und dann kam es zu einer Begegnung, die meinem Leben eine entscheidende neue Richtung geben sollte und die mich letztlich wieder auf den Pfad der Medizin zurückführte. In jenem Lokal, in dem ich servierte, lernte ich eine junge Frau kennen, deren Geschichte mich zutiefst berührte. Sie war professionelle Downhill-Mountainbikerin und erzählte mir von einem dramatischen Sturz, bei dem sie sich beinahe den linken Arm abgerissen hätte. Die Schulter war luxiert, also ausgerenkt, sämtliche Muskeln zerrissen und die Nerven durchtrennt. Die damalige Prognose von vier bemühten Ärzten – allesamt Experten auf ihrem Gebiet – war, dass sie ihren Arm wohl nie wieder verwenden könne und er gelähmt bleiben würde. Die Muskeln waren durch die Nervenschädigung paralysiert und sie konnte nicht einen einzigen Finger bewegen. Jedoch wollte sie sich mit dieser Hiobsbotschaft nicht zufriedengeben und konsultierte einen weiteren Arzt. Dieser meinte schließlich, dass „alles möglich“ sei und sie eine Chance auf Heilung habe, wenn sie hart an ihrer Rehabilitation arbeite, Physiotherapie mache und täglich an ihrem Ziel der Genesung dranbleibe. Es folgte eine intensive Rehabilitationszeit, in der sie zahllose Therapien bekam, täglich trainierte und sich, wie sie mir später verriet, auf nur einen einzigen Gedanken fokussierte: „Für mich gibt es nur Downhill-Fahren. Es gibt nur diese eine Option, dass ich wieder gesund werde!“ Sie hatte diese bemerkenswerte innere Stärke und gleichzeitig kindliche Naivität, diese zukünftige Realität als selbstverständlichen Ausgang ihrer Bemühungen anzunehmen. Eine solch klare Ausrichtung, die jeden Zweifel hinwegfegte. Ein inneres Bild ihrer Vision, das sich unabänderlich in ihrem Geist festsetzte. Und es funktionierte! Ein Jahr nach ihrem Sturz reiste sie wieder von Kontinent zu Kontinent, um in aller Herren Länder Rennen zu fahren. Der Arm war wieder vollkommen funktionstüchtig.

Als ich diese Geschichte vernahm, begann meine alte Vision wieder lebendig zu werden. Der Glaube an die Kraft des Geistes wurde wieder entflammt. Und mit ihm der Glaube an die Möglichkeit, von einer Krankheit genesen zu können, selbst an einem Punkt, wo die Erkrankung bislang als unheilbar galt. In den darauffolgenden Wochen begann der Gedanke in mir zu keimen, das Studium wieder aufzunehmen. Ich wollte einer jener Ärzte werden, die an das unermessliche Potenzial des Menschen glauben und ihren Patienten dabei helfen, dieses für sich zu nutzen.

Nach weiteren langen Monaten kehrte ich schließlich an die Hochschule zurück und beendete am 15. Dezember 2011 mein Studium ein zweites Mal. Diesmal jedoch mit einem Abschluss. Ich war bereit, meinen beruflichen Weg auf eine neue Art zu gehen und meine Schlüsse aus den Ab- und Umwegen der letzten Jahre zu ziehen. Ich hatte am eigenen Leib erfahren, wie die Verstrickung in destruktive Gedanken Krisen erzeugen und die Identifikation mit negativen Emotionen das eigene Potenzial blockieren und die Sicht auf die Außenwelt verdunkeln kann. Ich durfte erleben, wie die Arbeit mit dem Geist im Rahmen von Meditation solche Blockaden lösen kann und die Innenwelt positiv zu verändern vermag, um eine erwünschte Realität im Außen zu erschaffen. Heute lebe ich genau jene berufliche Vision, die ich zu Studienbeginn vage gespürt, lange nicht gewagt und dennoch jahrelang verfolgt hatte. Heute habe ich das Privileg, meinen Patienten durch meine allgemeinmedizinische Tätigkeit und die Arbeit mit Hypnose und Meditation bei der Entfaltung ihres Potenzials helfen zu dürfen und eine heilsame Brücke zwischen den zwei synergistischen Elementen Körper und Geist schlagen zu können.

Ohne diese krisenhafte Zeit hätte ich mich nie in solcher Tiefe und mit solcher Beharrlichkeit mit den Themen der Selbstheilung und der Entfaltung des eigenen Potenzials beschäftigt. Dieses Buch ist die direkte Folge davon und soll auch Sie dabei unterstützen, den Weg zur inneren Quelle der Ruhe und Klarheit, des intuitiven Wissens und vielleicht sogar der körperlichen Heilung zu finden.

Machen wir uns also auf den Weg und beginnen unsere Forschungsreise zunächst mit den Ursachen für die Destruktivität im Geiste und mit der Frage, welchen Anteil das eigene Denken an unterschiedlichen Problemen hat. Im zweiten Kapitel beleuchten wir, welche Verbindungen zwischen Geist und Körper bestehen und wie sich Gedanken und Emotionen auf das Immunsystem und unsere Gesundheit auswirken. Im dritten Kapitel nehmen wir den Geist genau unter die Lupe und tauchen in die praktischen Übungen ein, die das Bewusstsein schulen – mit dem Ziel, sich von Negativität zu befreien und ein positives Mindset zu etablieren. Das vierte Kapitel offenbart, welche Auswirkungen dieses mentale Training wiederum auf den Körper hat und wie sich die Funktionsweise des Gehirns und des Herzens durch Meditation verändert. Die beiden letzten Kapitel zeigen, wie wir durch mentale Praxis Herz und Verstand auf eine Linie bringen, um das eigene Potenzial zu entfalten und jene Zukunft zu gestalten, die wir uns von Herzen wünschen.

Praxistipp: Die theoretischen und praktischen Inhalte dieses Buches bauen aufeinander auf. Es empfiehlt sich daher, das Buch in der vorgesehenen Reihenfolge kapitelweise zu lesen. Die Informationen sind stellenweise sehr dicht gefasst und die praktischen Übungen sind essenziell, um die eigenen persönlichen Erfahrungen mit diesen Informationen zu machen. Um die Praxis zu erleichtern, finden Sie die Übungen deshalb auch als Audioanleitung auf meiner Website www.drwolfdieternagl.com. Alle Meditationsübungen lassen sich in jeglicher Abfolge frei kombinieren und so können Sie diese, gemäß Ihren Bedürfnissen bezüglich Dauer und Inhalt, im Sinne einer eigenen Playlist selbst zusammenstellen. Schauen Sie sich hierfür am besten das Erklärvideo zur „Integralen Meditation“ auf meiner Website an, welche sich ebenfalls mit den hier vorgestellten Übungen kombinieren lässt.

Wenn das Denken Probleme erschafft

Das Leben ist geprägt von Herausforderungen, die uns die Chance bieten, zu wachsen und uns zu entwickeln. Manche bringen uns an die Grenzen unserer Belastbarkeit, dann kann es schwerfallen, ihren Sinn für unser Leben zu erkennen. Naturkatastrophen, Kriege und Hungersnöte, Wirtschaftskrisen und Viruspandemien sind Problemfelder, die sich zum größten Teil unserem Einfluss entziehen. Auch der Verlust oder die Erkrankung eines geliebten Angehörigen sowie eigene Krankheiten können mit all ihren Begleitumständen sehr herausfordernd sein. Und dennoch gibt es einen Raum in unserem Bewusstsein, der von all diesen Umständen unberührt bleibt. Eine geistige Instanz, die die Fähigkeit in sich trägt, sich über die Widrigkeiten des Lebens zu erheben und diese ins Positive zu wandeln.

Gleichzeitig kann derselbe Geist aber auch die Widrigkeiten verstärken. Ob wir unseren Geist konstruktiv oder destruktiv einsetzen, wirkt sich direkt auf unser Leben aus. Unser Bewusstsein sowie die Qualität unserer Gedanken und Gefühle haben einen wesentlichen Einfluss auf das subjektive Erleben, aber auch den Fortbestand oder die Wandlung unserer individuellen Probleme. Bevor wir uns den konstruktiven Fähigkeiten des Geistes widmen, die sich trainieren und stärken lassen, beleuchten wir zunächst, welchen destruktiven Anteil das Denken an den Problemen des Alltags haben kann.

Bewerten und Urteilen – wie unser Geist über Glück und Unglück entscheidet

Sie stehen mit Ihrem Einkaufswagen in einer langen Schlange an der Kassa im Supermarkt und warten auf Ihr Weiterkommen. Die zweite Kassa bleibt aus unerfindlichen Gründen geschlossen und Sie werden zum „Nichtstun“ gezwungen. Wie reagiert Ihr Geist auf diese Situation? Ist sie eine willkommene Auszeit von der permanenten Geschäftigkeit des Alltags oder eine unnötige Verzögerung Ihres Plans? Können Sie diesen Moment des Wartens mit derselben Qualität und Schönheit wahrnehmen und wertschätzen wie die restlichen Augenblicke Ihres Lebens oder ist er lediglich ein belangloser Zwischenschritt auf dem Weg zu einem entfernteren Ziel?

Wie wir solche Momente erleben, hängt häufig mit dem inneren Plan zusammen, den wir gerade verfolgen. Womöglich müssen Sie zu einem Termin und möchten nicht zu spät kommen. Bilder von Menschen, die auf Sie warten, formieren sich in Ihrem Kopf und mögliche Szenarien Ihres Zuspätkommens lassen Ihren Muskeltonus ansteigen. Ungeduld beginnt sich zu regen und ein genervtes und schnaubendes Ausatemgeräusch verlässt Ihren Körper in der Hoffnung, der Kassier möge Notiz davon nehmen, Ihr Zeichen richtig deuten und veranlassen, dass endlich eine zweite Kassa eröffnet wird.

Ist es nun die äußere Situation oder Ihre innere Reaktion darauf, welche die Unruhe in Ihnen erzeugt? Ist der anstehende Termin, der zeitlich immer näher rückt, der Grund für Ihre Ungeduld oder Ihre innere Einstellung zu ihm? Es ist sehr verlockend, äußeren Bedingungen den Grund für unsere emotionale Stimmungslage zuzuschreiben. Dennoch ist es so gut wie immer unsere innere Haltung, die Art und Weise, wie unser Geist eine Situation bewertet und beurteilt, die darüber entscheidet, wie wir den gegenwärtigen Moment erleben. Es ist die Qualität unserer Gedanken und Emotionen, die unsere Wahrnehmung der Welt entscheidend färbt und über Glück oder Unglück entscheidet.

Sie sitzen im Wartezimmer einer Arztpraxis und bereits zum zweiten Mal reißt das laute Schrillen eines Mobiltelefons Sie aus Ihren Gedanken. Sie fühlen sich gestört und möglicherweise strafen Sie Ihr Gegenüber mit einem mahnenden Blick in der Hoffnung, dass diese „Erziehungsmaßnahme“ greifen möge. Innerer Widerstand regt sich gegenüber der fremden Person vor Ihnen und noch viel mehr gegenüber den aufdringlichen Misstönen dieses Smartphones. Interessanterweise stört solch ein Läuten keinesfalls, wenn Sie bereits seit Stunden auf einen wichtigen Anruf warten. Da mag es schon fast eine Erlösung sein, wenn das Telefon endlich klingelt und vibriert. Ist es also dieses tönende kleine Kästchen, das die Macht hat, Sie zu stören? Oder ist die Störung vielmehr eine Leistung des Gestörten?

Beobachten Sie Ihre innere Haltung, das Bewerten und Urteilen des Geistes, die eigene Ablehnung und die Widerstände gegenüber dem, was gerade geschieht, wenn Sie das nächste Mal von Unruhe oder Gereiztheit geplagt werden.

Das Denken und die Zeit – Quelle unserer Probleme

Der analytisch denkende Geist verschafft unserer Spezies eine Sonderstellung innerhalb der Evolution. Er vermag neue Technologien zu entwickeln, in die Zukunft zu planen und aus Vergangenem zu lernen. Er beherbergt einen schier endlos großen Werkzeugkasten für die Lösung sämtlicher Herausforderungen und Problemstellungen und trägt wesentlich zur Weiterentwicklung jedes Einzelnen wie auch der Gesellschaft bei. Das Denken hat allerdings auch eine Kehrseite und liegt als sprudelnder Quell menschlichen Problemerlebens nur einen Münzwurf von der konstruktiven Kraft des Geistes entfernt. Bei näherer Betrachtung kann man gar behaupten, dass der menschliche Geist einen Großteil der Probleme sogar selbst erschafft. Nicht nur kann unser Handeln oder unsere Wortwahl zu zwischenmenschlichen Konflikten und problematischen Situationen führen. Vielmehr ist es das Denken selbst, das die Probleme überhaupt erst erzeugt. Ich lade Sie ein, für einen Augenblick über folgende Frage zu reflektieren: Gibt es ohne das menschliche Denken überhaupt irgendein „Problem“ auf der Welt?

Probleme existieren nicht per se. Sie sind eine „Leistung“ des Denkens.

Diese Frage mag provozierend klingen, gerade wenn belastende Umstände das momentane Leben dominieren. Aber lassen Sie uns für einen Moment den geistigen Anteil am Erleben problemhafter Situationen ergründen.

Probleme existieren nicht per se. Sie sind eine „Leistung“ des Denkens und entstehen erst durch die Bewertung einer jeweiligen Situation. Bis zum Zeitpunkt der Bewertung gibt es lediglich Tatsachen und Herausforderungen. Das Konzept von Vergangenheit und Zukunft erzeugt aus diesen Herausforderungen schließlich „Probleme“.

Wenn wir etwa körperliche Schmerzen haben, dann erleben wir eine physische Empfindung, die je nach Schmerzstärke sehr unangenehm und eine große Herausforderung sein kann. Sehr schnell löst diese Empfindung negative Gedanken und Emotionen aus. Die oft mit dem Schmerz einhergehende körperliche Einschränkung kann die Arbeits- und Leistungsfähigkeit sowie den Bewegungsradius begrenzen und somit weitere herausfordernde Begleitumstände mit sich bringen, die ebenfalls als Problem erlebt werden. Die analytisch denkende Suche nach der Ursache dieses Schmerzes ist vorerst ebenso essenziell wie dessen Behandlung. Wenn der Schmerz aber weiterhin besteht und das sorgenvolle Denken einsetzt, dann vergrößert sich das Leiden durch das Denken noch zusätzlich. Natürlich möchte man Schmerzen loswerden und jeder Mensch will schmerzfrei leben. Doch die mentale Bewertung und Ablehnung des Schmerzes verschlimmern das unangenehme Erleben und wir beginnen, innerlich gegen den Schmerz zu kämpfen. Da er sich dadurch nicht verringert, steigt das Gefühl der Machtlosigkeit, was zu mehr Frustration und Ohnmacht führt. Häufig setzt dann eine Denkspirale ein, die von möglichen Schmerzursachen in der Vergangenheit bis hin zur Sorge ob der Zukunft kreist, sollte dieser Schmerz nicht enden oder sich sogar noch verschlimmern. Damit konstruieren wir eine Geschichte rund um die momentane Empfindung, was schließlich das emotionale Leiden beträchtlich erhöht. Das Bewerten einerseits und das Denken in zeitlichen Zusammenhängen andererseits können somit eine gegenwärtige körperliche Empfindung zu einer nicht zu bewältigenden Übergröße ausformen. Hier entfaltet das Denken seine destruktive Kraft.

Wie kann der Geist in einem solchen Fall zu einer Linderung beitragen? Wir können auf heilsame Weise gegensteuern, indem wir beispielsweise den zeitlichen Bezugsrahmen ausklammern und vollkommen gegenwärtig werden. Wenn wir dabei die körperliche Empfindung des Schmerzes ganz in den Fokus unserer Aufmerksamkeit nehmen, um ihr in allen Details nachzuspüren wie ein interessierter Forscher, ohne sie zu bewerten oder innerlich abzulehnen, dann mildert sich der leidvolle Aspekt deutlich ab. Wenn es gelingt, ohne zu denken, ganz mit dieser Empfindung präsent zu sein und sie in der Gegenwart vollständig wahrzunehmen und auch anzunehmen, dann verschwindet meist die geistige Benennung „Schmerz“ aus unserem Bewusstsein. Die Fokussierung auf den Schmerz hilft paradoxerweise, das Leiden zu unterbrechen.

Sollten Sie gerade körperliche Schmerzen empfinden, dann probieren Sie es aus und versuchen Sie, jede Nuance der körperlichen Empfindung wahrzunehmen und diese willkommen zu heißen. Im Kapitel „Die Transformation des Geistes“ werden wir näher darauf eingehen, wie ein Training der Aufmerksamkeit und des Gegenwartsbewusstseins den Umgang mit unangenehmen Empfindungen verbessern kann.

Wenn der Schatten der Zeit die Gegenwart verdunkelt

Das Beispiel des Schmerzes lässt sich auf sämtliche Emotionen und Stimmungslagen übertragen. Jedes Mal, wenn wir beginnen, die Empfindungen und Wahrnehmungen des gegenwärtigen Moments in ein zeitliches Raster zu knüpfen und in die erdachte Zukunft oder die erinnerte Vergangenheit zu projizieren, erschaffen wir eine Geschichte und folglich oft ein Drama aus unserer momentanen Lebensrealität. Dadurch vergrößert sich das Leid. Erst durch das Auswalzen und gedankliche Ausdehnen eines Gegenwartsaspekts auf die fiktive Zeitachse entstehen „Probleme“. Bewertung, innere Ablehnung und „die Zeit“ sind dabei die Grundsäulen unseres problematischen Erlebens.

Praxis

Schauen Sie sich Ihr vordergründiges, momentanes Lebensproblem unter diesem Aspekt und mit mitfühlender Offenheit an. Welchen Anteil haben Ihre eigenen Bewertungen daran? Welche Rolle spielen Vergangenheit und Zukunft dabei? Was ist genau in diesem Moment (nicht in ein paar Minuten oder vor zehn Sekunden, sondern wirklich gerade jetzt) das Problematische?

Das Eintauchen in diese Betrachtung kann das Problemerleben oft entscheidend verändern. Die Fokussierung auf die Gegenwart und die mitfühlende Annahme dessen, was gerade geschieht, kann ein sehr hilfreiches Werkzeug sein, problematisches Erleben abzumildern.

Nehmen wir beispielsweise den Verlust eines geliebten Menschen: Dieser Verlust bewirkt in uns starke Gefühle der Trauer oder Sehnsucht. Wenn wir diese Gefühle vollständig wahrnehmen und zulassen können, dann spüren wir intensive körperliche Empfindungen. Das Wahrnehmen und Spüren der Trauer ist noch kein Problem, sondern „nur“ eine intensive emotionale Empfindung. In dem Moment, wo wir dieses Gefühl mit Bildern aus der Vergangenheit verknüpfen oder mit der Vorstellung, diesen Menschen in der Zukunft nie wieder zu sehen, erzeugen wir mental eine Geschichte rund um dieses Gefühl und das Leiden wird verstärkt. In der Folge entwickeln sich daraus oft weitere Emotionen wie Verzweiflung oder das Gefühl des Alleinseins.

Solche Gedanken und Geschichten entstehen ganz automatisch im denkenden Geist und ziehen unsere Aufmerksamkeit aus dem gegenwärtigen Moment heraus. Es ist gut, dies zu erkennen und immer wieder nachzuschauen, ob dieses Zeitdenken das Problem gerade verschlimmert oder zu dessen Lösung beiträgt. Das Gedankengebäude, das der denkende Verstand um eine momentane Situation herum errichtet, wirft einen zeitlichen Schatten, in dem die aktuelle Herausforderung oft sehr dunkel und schwer zu bewältigen erscheint. Aus dem Denken auszusteigen, indem wir den Fokus ausschließlich auf das Hier und Jetzt legen, kann helfen, die Möglichkeiten des gegenwärtigen Moments zu erkennen, und dadurch die eigene Handlungsfähigkeit erhöhen. Auf das Hier und Jetzt können wir immer reagieren und die jeweilige Situation entweder durch unser Handeln oder eine Veränderung der Sichtweise verbessern. Aber die Vergangenheit und die fiktive Zukunft können wir nicht bewältigen, weil sie nur im Geiste existieren.

Häufig haben wir Angst davor, Emotionen vollständig zuzulassen und in ihrer ganzen Intensität zu spüren, da wir befürchten, dass sie zu stark werden oder uns in eine Depression stürzen. Die Emotion selbst ist dabei aber nie das Problem! Sie ist „nur“ eine Empfindung. Es sind immer die Gedanken, die mit diesen Gefühlen einhergehen, die für uns problematisch werden und uns mitunter verzweifeln lassen. Wenn wir Gefühle negativ bewerten oder gegen sie ankämpfen, anstatt ihnen freien Lauf zu lassen, dann leiden wir. Würden wir Tränen einfach so lange fließen lassen, wie sie eben strömen, ohne sie mit Gedanken über die Zukunft oder Vergangenheit zu verknüpfen, dann würde sich diese Trauer von selbst auswaschen und der Verarbeitungsprozess einen natürlichen Verlauf nehmen. Der Verstand ist aber oft ungeduldig und will wissen, wie lange das wohl dauern wird und wie es weitergeht, und bringt somit wieder einen zeitlichen Aspekt ins Spiel, der dann ein Problemfeld eröffnet. Im Unterkapitel „Umgang mit unangenehmen Emotionen“ werden wir noch detailliert darauf eingehen, wie wir mit negativen Emotionen präsent sein können, um deren leidvollen Aspekt aufzulösen.

Machen Sie folgende kleine Übung:

praxis