Der Amaranth Club - J. S. Fletcher - E-Book

Der Amaranth Club E-Book

J.S. Fletcher

0,0

Beschreibung

Der neu gegründete Amaranth Club wird schnell zu einem der beliebtesten und exklusivsten Treffpunkte Londons. Hier gibt sich die Ehrenwerte Gesellschaft ihr Stelldichein. Was aber keiner ahnt, die Fassade des Klubs dient nur der Verschleierung verschiedener, düsterer Verbrechen. Glücksspiel, Mord und Spionage sind die Ingredienzien dieses schnellen Thrillers. Null Papier Verlag

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 225

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



J. S. Fletcher

Der Amaranth Club

Spionageroman

J. S. Fletcher

Der Amaranth Club

Spionageroman

Überarbeitung und Korrekturen: Null Papier VerlagÜbersetzung: Franz Rohrmoser Published by Null Papier Verlag, DeutschlandEV: Oestergaard, Berlin, 1935 (254 S.) Copyright © 2018 by Null Papier Verlag 1. Auflage, ISBN 978-3-962815-52-3

null-papier.de/637

Das hier veröffentlichte Werk ist eine kommentierte, überarbeitete und digitalisierte Fassung und unterliegt somit dem Urheberrecht. Verstöße werden juristisch verfolgt. Eine Veröffentlichung, Vervielfältigung oder sonstige Verwertung ohne Genehmigung des Verlages ist ausdrücklich untersagt.

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Zu­sam­men­fas­sung

Ers­tes Ka­pi­tel – Das Wirts­haus am Wege.

Zwei­tes Ka­pi­tel – Ge­heim­nis­vol­le Auf­trä­ge.

Drit­tes Ka­pi­tel – Auf dem Kriegs­schau­platz.

Vier­tes Ka­pi­tel – In der Fa­mi­lie.

Fünf­tes Ka­pi­tel – Bru­der und Schwes­ter.

Sechs­tes Ka­pi­tel – Ver­schie­de­ne Brie­fe.

Sie­ben­tes Ka­pi­tel – Das Netz wird ge­floch­ten.

Ach­tes Ka­pi­tel – Der Ama­ran­th­klub.

Neun­tes Ka­pi­tel – Das Nach­bar­haus.

Zehn­tes Ka­pi­tel – Ererb­te Lei­den­schaft.

Elf­tes Ka­pi­tel – Avo­ry auf dem An­stand.

Zwölf­tes Ka­pi­tel – Ba­nis­ter King fin­det eine Spur.

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel – Fort­schrit­te.

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel – Die Ver­schwö­rung.

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel – Der Spin­ne sei­de­nes Ge­we­be.

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel – Eine ver­häng­nis­vol­le Kriegs­er­klä­rung.

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel – Aus dem Wege ge­räumt.

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel – Des To­ten Bot­schaft.

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel – Das Haus für me­di­zi­ni­sche Bä­der.

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Ly­dia wird ein­ge­weiht.

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Die Abrech­nung.

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Hin­ter­trep­pen.

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Un­ter ver­däch­ti­gen Um­stän­den.

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Ein küh­les Bad.

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Das ge­hei­me Do­ku­ment.

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Die ver­zwei­fel­te Ant­wort.

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Der Kampf um die Lüge.

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Gar­niers Zorn.

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – King tritt auf den Plan.

Drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Die Be­loh­nung der Re­gie­rung.

Ein­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Je­der ist sich selbst der Nächs­te.

Zwei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Auf der Flucht.

Drei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Der Re­vol­ver.

Vierund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – In der Fal­le.

Fün­fund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Die Ra­che.

Sechs­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Der Akt­schluss.

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Mein Ver­lag zahlt sei­ne Steu­ern in Deutsch­land – mehr In­for­ma­tio­nen un­ter:null-pa­pier.de/steu­ern

Ihr Jür­gen Schul­ze

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

die Neu­er­schei­nun­gen aus dem Pro­gramm

Neu­ig­kei­ten über un­se­re Au­to­ren

Vi­deos, Lese- und Hör­pro­ben

at­trak­ti­ve Ge­winn­spie­le, Ak­tio­nen und vie­les mehr

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Zusammenfassung

Der neu ge­grün­de­te Ama­ranth Club wird schnell zu ei­nem der be­lieb­tes­ten und ex­klu­sivs­ten Treff­punk­te Lon­d­ons. Hier gibt sich die Ehren­wer­te Ge­sell­schaft ihr Stell­dich­ein.

Was aber kei­ner ahnt, die Fassa­de des Klubs dient nur der Ver­schleie­rung ver­schie­de­ner, düs­te­rer Ver­bre­chen.

Glückss­piel, Mord und Spio­na­ge sind die In­gre­di­en­zi­en die­ses schnel­len Thril­lers.

Erstes Kapitel

Das Wirtshaus am Wege.

Dass hier über­haupt ein Gast­haus stand, war eine Quel­le stän­di­ger Ver­wun­de­rung der Leu­te, die auf die­se ein­sa­me Land­stra­ße ver­schla­gen wur­den. In der Nähe lag kein Dorf, kei­ne Stadt. Au­ßer ein paar weit ver­streu­ten Pacht­hö­fen konn­te auch das schärfs­te Auge erst am fer­nen Ho­ri­zont den Turm ei­nes Dorf­kirch­leins oder die ra­gen­den Dä­cher ei­nes Schlos­ses ent­de­cken. Hier war nichts als Ruhe und Ein­sam­keit.

Das Gast­haus lag an ei­nem Kreuz­weg. Auf ei­nem halb ver­wa­sche­nen Schild sah man das Bild ei­nes ver­zwei­fel­ten Fuch­ses, der von Hun­den, die ihre rote Zun­ge her­aus­hän­gen lie­ßen, ver­folgt wur­de. Die­ses Schild hat­te mehr Sinn, als ein flüch­ti­ger Beo­b­ach­ter hät­te ah­nen kön­nen. Denn die Exis­tenz die­ses Wirts­hau­ses be­ruh­te auf den Füch­sen im Wal­de und der Meu­te im Hun­de­zwin­ger. Wäh­rend der Jagd­zeit war Le­ben in den al­ten Zim­mern, und edle Pfer­de stampf­ten in den Stäl­len. Wenn die Ern­te auf den Fel­dern vor­über war, be­gann die Ern­te des »Wirts­hau­ses zum Fuchs«.

Es war aber erst Ende Juni, und der Wirt hat­te we­nig zu tun. Ab und zu kam ein Land­fah­rer vor­über und trank sein Gläs­chen Bier in der Kü­che. Dann und wann hielt der Wa­gen ei­nes Bau­ern oder ei­nes Hand­lungs­rei­sen­den vor dem Haus. Es kam auch ge­le­gent­lich vor, dass ein Aut­ler ein­kehr­te. Aber die vor­neh­men Gäs­te der Jagd­zeit lie­ßen sich jetzt nicht se­hen. Früh­stücks­raum und Frem­den­zim­mer wa­ren ab­ge­schlos­sen, und das Per­so­nal be­stand nur aus dem Wirt nebst Frau und Toch­ter.

So hat­te Hos­kins, der Fuchs­wirt, von Mai bis Au­gust ein ge­ruh­sa­mes Le­ben, und er pfleg­te sei­ne Zeit in ei­ner Wei­se hin­zu­brin­gen, wie es eher in Spa­ni­en als in Eng­land Sit­te war. Er saß den größ­ten Teil des Ta­ges auf ei­ner Bank, die er sich selbst im Schat­ten ei­ner Blut­bu­che ge­zim­mert hat­te, stärk­te sich von Zeit zu Zeit mit ei­nem Glas Bier und ei­ner Pfei­fe Ta­bak und über­ließ sich sei­nen Ge­dan­ken.

Auch an die­sem hei­ßen Ju­ni­mor­gen be­fand sich Hos­kins auf sei­nem Lieb­lings­platz. Ein bun­tes Ta­schen­tuch um den kah­len Kopf, die Zei­tung auf den Kni­en war er ein­ge­schla­fen. Das Sum­men der Bie­nen im Gar­ten, das fei­ne Sur­ren der In­sek­ten, die die He­cken be­völ­ker­ten, das Rau­schen des vor­bei­ei­len­den Ba­ches hat­te ein­schlä­fernd auf ihn ge­wirkt. So saß er und träum­te von der Jagd­zeit, wenn mun­te­res Le­ben das alte Haus er­füll­te.

Ein Schlag auf die Schul­ter rief Hos­kins jäh in die Wirk­lich­keit zu­rück. Er öff­ne­te die Au­gen und sah ein Auto, das an der Gar­ten­tür hielt, dar­in einen Chauf­feur, und ne­ben sich einen Herrn, der ihn aus be­lus­tig­ten Au­gen an­blick­te.

»Sie ha­ben einen ge­sun­den Schlaf, mein Freund«, be­merk­te der Frem­de.

Hos­kins sprang auf. Aus lang­jäh­ri­ger Ge­wohn­heit, sei­ne Gäs­te zu ta­xie­ren, schau­te er den Herrn mit prü­fen­dem Blick an. Er sah einen großen, wohl­be­leib­ten Mann mit blon­dem Haar und Schnurr­bart und ro­tem Ge­sicht vor sich. Der Frem­de trug einen ele­gan­ten blau­en An­zug und einen grau­en Filz­hut. An sei­ner lin­ken Hand fun­kel­te ein kost­ba­rer Dia­mant. Er sah aus wie ein Mann, der gu­tes Es­sen und Trin­ken, Lu­xus und Be­hag­lich­keit liebt, und Hos­kins be­griff so­fort, dass eine Er­fri­schung von ihm ver­langt wur­de.

»Ein schläf­ri­ges Wet­ter, Herr«, sag­te er als Ent­schul­di­gung. »Wo­mit kann ich die­nen?«

Der Frem­de lä­chel­te.

»Ken­nen Sie mich nicht?« frag­te er.

Hos­kins sah ihn an und schüt­tel­te den Kopf.

»Tut mir leid, Herr, nein. Vi­el­leicht wa­ren Sie ein­mal zur Jagd hier?«

»Rich­tig. Bei der Ge­le­gen­heit habe ich hier ge­früh­stückt. Und nun möch­te ich ein or­dent­li­ches Es­sen ha­ben. Es gibt hof­fent­lich et­was?«

Hos­kins mach­te ein lan­ges Ge­sicht.

»Es ist tote Zeit jetzt, Herr, Sie wer­den das ver­ste­hen. Im Som­mer keh­ren Herr­schaf­ten sel­ten ein. Aber wenn Sie vor­lieb­neh­men wol­len –«

Der Frem­de klopf­te ihn auf die Schul­ter.

»Dar­über re­den wir noch. Ho­len Sie erst Ihr bes­tes Ale, auch für Sie und für den Chauf­feur ein Glas. Das an­de­re wird sich fin­den.«

Als Hos­kins mit ei­ner Kan­ne des Bit­ter­bie­res, durch das die Ge­gend be­rühmt war, zu­rück­kam, be­trach­te­te der Frem­de die Blu­men im Gar­ten. Nach­dem der Chauf­feur sein Bier ge­trun­ken hat­te, sag­te er zu ihm:

»Sie fah­ren jetzt zu­rück und sind pünkt­lich um vier Uhr wie­der da.«

Das Auto wen­de­te und ver­schwand. Der Frem­de nahm sein Glas in die Hand und setz­te sich auf die Bank.

»Nun zur Sa­che«, sag­te er. »Ich brau­che ein Es­sen für zwei Per­so­nen, das, sa­gen wir um halb zwei, fer­tig sein muss. Ich er­war­te eine be­freun­de­te Dame. Da­rum müs­sen wir un­ser Bes­tes tun.«

Hos­kins mach­te ein nach­denk­li­ches Ge­sicht, und der Frem­de lä­chel­te.

»Ich sehe, Sie ha­ben Ge­flü­gel«, sag­te er. »Wir kön­nen in drei Stun­den al­ler­lei schaf­fen. Neh­men Sie zwei Hühn­chen, be­son­ders zar­te. Sie ha­ben doch eine gute Kö­chin?«

»Mei­ne Frau wird das be­sor­gen. Auch habe ich Cham­pi­gnons.«

»Aus­ge­zeich­net. Zwei­fel­los wird sich auch ein Salat ma­chen las­sen. Ich will mir Ihren Gar­ten dar­auf­hin an­se­hen. Wenn alle Zuta­ten da sind, rich­te ich den Salat selbst an.«

»Und ich habe einen vor­züg­li­chen ge­koch­ten Schin­ken, auch al­ten Stil­ton­kä­se. Was die Wei­ne an­geht –«

Der Frem­de nick­te.

»Ich er­in­ne­re mich noch Ih­rer vor­züg­li­chen Wei­ne von da­mals.«

»Ich habe Wein in mei­nem Kel­ler, der von der Auk­ti­on bei dem Her­zog vor fünf Jah­ren stammt. Vi­el­leicht se­hen Sie sich ein­mal mei­nen Vor­rat an?«

»Ein gu­ter Ge­dan­ke. Das wer­de ich tun. Dann einen hüb­schen, be­hag­li­chen Raum. Nicht Ihr Früh­stücks­zim­mer, das ist zu un­heim­lich groß für zwei Per­so­nen.«

»Wird be­sorgt«, er­wi­der­te Hos­kins. »Jetzt ent­schul­di­gen Sie mich, bit­te, ich muss mich um die Kü­che küm­mern.«

Der Frem­de entließ den Wirt mit ei­ner gnä­di­gen Hand­be­we­gung, steck­te sich eine Zi­gar­re an und ging dann in den Ge­mü­se­gar­ten. Er schritt von Beet zu Beet und nick­te zu­frie­den. Hier war Grün­zeug ge­nug zu ei­nem Salat. Ent­zückt be­trach­te­te er die Erb­sen und die neu­en Kar­tof­feln.

Dann hol­te ihn der Wirt zur In­spek­ti­on des Wein­kel­lers ab. Hier ent­pupp­te er sich als Ken­ner ers­ten Ran­ges. Hos­kins ver­ließ die un­te­ren Re­gio­nen mit Fla­schen be­la­den, die das edels­te Ge­wächs ent­hiel­ten.

Zu sei­ner Frau äu­ßer­te der Wirt, dass er sei­nen Gast zwar nicht im min­des­ten ken­ne, dass er aber ein vor­treff­li­cher Kun­de sei, da er, ohne mit der Wim­per zu zu­cken, Wei­ne aus­ge­wählt hat­te, die drei­ßig Schil­ling die Fla­sche kos­te­ten.

»Und was mag das für eine Dame sein, die ihm hel­fen wird, den Wein aus­trin­ken?« frag­te die Frau. »Si­cher ist das eine Lie­bes­ge­schich­te, Hos­kins, so­viel ich mir da­bei den­ken kann.«

»Das geht uns gar nichts an«, er­wi­der­te der Wirt. »So­lan­ge eine hüb­sche Rech­nung mit gu­tem, ba­rem Geld be­zahlt wird, küm­me­re ich mich den Teu­fel drum, wer die Dame ist. Un­se­re Sa­che ist es nur, sie gut auf­zu­neh­men.«

Aber trotz­dem konn­te auch er eine ge­wis­se Neu­gier­de nicht ver­ber­gen, und als die be­stimm­te Stun­de kam, lun­ger­te er in sei­nem Sonn­tags­staat in der Nähe der Gar­ten­tür her­um, mit ei­ner blü­ten­wei­ßen Ser­vi­et­te be­waff­net. Denn er hat­te be­schlos­sen, selbst den Kell­ner zu spie­len. Dass die Dame bald kom­men muss­te, er­kann­te er an den An­stal­ten des Frem­den, der einen der Sei­ten­we­ge ent­lang ging.

»Ah, sie kommt aus der Rich­tung von As­h­mins­ter«, mur­mel­te Hos­kins. »Das sind zwölf Ki­lo­me­ter, denn da­zwi­schen liegt nichts. Und er kam von Lyd­cas­ter, das sind noch ein­mal zwölf Ki­lo­me­ter. Da steckt si­cher ein Ge­heim­nis da­hin­ter.«

In die­sem Au­gen­blick tauch­te ein Auto auf, das ne­ben dem Frem­den hielt. Die­ser nahm sei­nen Filz­hut ab und ver­beug­te sich tief vor ei­ner großen, schlan­ken Dame, der er beim Aus­s­tei­gen half. Sie spra­chen leb­haft mit­ein­an­der, und dann fuhr der Wa­gen wie­der zu­rück. Der Frem­de und die Dame ka­men lang­sam auf das Wirts­haus zu. Mr. Hos­kins be­gab sich ei­ligst in einen ver­steck­ten Win­kel, von wo aus er den in­ter­essan­ten Be­such be­au­gen­schei­ni­gen konn­te.

Zehn Mi­nu­ten spä­ter stürz­te er in die Kü­che und wink­te sei­ner Frau.

»Ma­ria«, flüs­ter­te er, »ich weiß, wer die Dame ist. Es ist Lord Harts­da­les Schwes­ter, Frau Tres­sin­g­ham. Du weißt doch, Hil­da Harts­da­le, die den Oberst Tres­sin­g­ham hei­ra­te­te. Aber – wer mag der Herr sein?«

Zweites Kapitel

Geheimnisvolle Aufträge.

Kaum war der Chauf­feur da­von­ge­fah­ren, als die Dame sich mit der has­ti­gen Fra­ge an ih­ren Beglei­ter wand­te:

»Ar­mand, wie sind Sie nur auf den Ge­dan­ken ge­kom­men, die­sen Ort als Treff­punkt zu wäh­len?«

»Aus gu­ten Grün­den, mei­ne Bes­te«, er­wi­der­te der Herr. »Zu­nächst wuss­te ich, dass Sie zur Zeit bei Ihrem Bru­der wa­ren, und dass sein Land­sitz nur zwan­zig Ki­lo­me­ter von hier ent­fernt ist. Zwei­tens wuss­te ich von der Exis­tenz die­ses Gast­hau­ses. Drit­tens war mir be­kannt, dass wir um die­se Jah­res­zeit hier un­ge­stört sein wür­den. So wähl­te ich die­sen Ort. Und nun lade ich Sie zum Lunch ein.«

»Zu ei­nem But­ter­brot ver­mu­te ich«, sag­te die Dame, als sie durch das Gar­ten­tor ging.

»Vi­el­leicht auch noch zu et­was an­de­rem«, sag­te er. »Doch ich will nicht vor­grei­fen.«

Er ge­lei­te­te sie in ein klei­nes, be­hag­li­ches Zim­mer und wies auf einen Tisch, auf dem von ta­del­lo­sem Lei­nen Sil­ber­ge­schirr fun­kel­te.

»Ich sehe«, lach­te sie, »Sie ha­ben fou­ra­giert. Ich hät­te es mir den­ken kön­nen, dass Ar­mand de Gar­nier auch in der gott­ver­las­sens­ten Knei­pe noch et­was Ess­ba­res auf­trei­ben wür­de. Es riecht wahr­haf­tig ap­pe­tit­lich, und ich sehe Fla­schen mit lan­gen Häl­sen.«

Gar­nier lach­te, ließ sich in einen Ses­sel fal­len und sah sein Ge­gen­über prü­fend und be­wun­dernd an. In der Tat war Hil­da Tres­sin­g­ham eine be­zau­bern­de Frau. Groß und schlank, ge­hör­te sie zu den Ver­tre­te­rin­nen ih­res Ge­schlechts, die zu Fuß wie zu Pfer­de eine gleich gute Fi­gur ma­chen. Ihr brau­nes Haar zeig­te einen gol­di­gen Schim­mer. Ihre Au­gen wa­ren von der­sel­ben Far­be. Hin­ter den vol­len, ro­ten Lip­pen blitz­ten wei­ße Zäh­ne. Sie sah so frisch und an­zie­hend aus, wie man sich eine Frau Ende der Zwan­zi­ger nur vor­stel­len kann, und sie lä­chel­te, als sie Gar­niers Blick auf­fing.

»Sie se­hen aus­ge­zeich­net aus«, be­merk­te er plötz­lich. »Was ha­ben Sie in der Zwi­schen­zeit ge­tan?«

»Ge­d­öst«, er­wi­der­te sie. »Was kann man dort an­ders tun? Harts­da­le hat wie ge­wöhn­lich kein Geld, so ist nichts los. Nie­mand be­sucht uns, wir rüh­ren uns nicht aus dem Haus. Wir es­sen un­se­ren Ham­mel­bra­ten, den die Päch­ter lie­fern, un­se­re Kar­tof­feln aus dem Ge­mü­se­gar­ten und star­ren ein­an­der über den Tisch hin an. Ar­mand, ich bin das al­les herz­lich satt.«

»Ich den­ke, das hat nun ein Ende«, sag­te Gar­nier. »Ich habe et­was für Sie, das Geld und Lon­don be­deu­tet. Was sa­gen Sie dazu?«

»Sie mei­nen – Ar­beit?«

»Na­tür­lich. Und dazu eine ein­fa­che Sa­che – we­nigs­tens für Sie. Da­rum bin ich hier­her­ge­fah­ren. Aber da kommt un­ser länd­li­ches Mahl.«

Hos­kins kam in dem Be­stre­ben, et­was über die ge­heim­nis­vol­le Per­sön­lich­keit sei­nes Gas­tes zu er­fah­ren, nicht um einen Schritt wei­ter. Sie spra­chen über gleich­gül­ti­ge Din­ge, und nichts deu­te­te an, dass sie mehr wa­ren als gut be­kannt mit­ein­an­der. Und als die Mahl­zeit be­en­det war, warf Gar­nier des Wir­tes An­sicht we­gen des Lie­bes­paa­res jäh über den Hau­fen.

»Mir ist vor­hin Ihr schö­ner Ra­sen mit den schat­ti­gen Ze­dern­bäu­men auf­ge­fal­len«, sag­te er. »Las­sen Sie bit­te dort einen Tisch und Stüh­le auf­stel­len, wir wol­len un­se­ren Kaf­fee drau­ßen trin­ken.«

»Ich habe das so ar­ran­giert«, sag­te Gar­nier spä­ter zu sei­ner Beglei­te­rin, »weil man in ei­nem Hau­se nie si­cher vor dem Be­lauscht­wer­den ist.«

»Sehr rich­tig. Han­delt es sich um ein Ge­heim­nis oder um eine ver­trau­li­che ge­schäft­li­che In­for­ma­ti­on?«

»Um bei­des. Fan­gen wir also an. Ihres Bru­ders Schloss liegt dicht bei As­h­mins­ter?«

»Fünf Ki­lo­me­ter ent­fernt.«

»Sie ken­nen also die Stadt und die Men­schen?«

»Die Stadt wohl. Aber die Men­schen? Harts­da­le kennt ver­mut­lich man­che von ih­nen, und sie ihn erst recht, weil er Schul­den bei ih­nen hat.«

»Ken­nen Sie das Par­la­ments­mit­glied für As­h­mins­ter, Mr. Ge­or­ge El­ling­ton?«

»Nein, we­nigs­tens nur dem Na­men nach. Sei­ne Ver­wand­ten sind dort Fa­bri­kan­ten. Rei­che Leu­te.«

»Tat­säch­lich? Er­zäh­len Sie mir nä­he­res von ih­nen.«

»Sie sind Fa­bri­kan­ten, wie ich schon be­merk­te. Der jun­ge El­ling­ton soll von vorn­her­ein für eine po­li­ti­sche Lauf­bahn er­zo­gen wor­den sein. Gym­na­si­um, Cam­bridge, dann eine Uni­ver­si­tät in Deutsch­land. Man hat ehr­gei­zi­ge Plä­ne mit ihm. Der Ein­fluss und das Geld der Fa­mi­lie ver­schaff­te ihm sein Man­dat.«

»Rich­tig. Teil­wei­se ist ihr Ehr­geiz be­frie­digt. Ha­ben Sie heu­te die Mor­gen­zei­tun­gen ge­le­sen?«

»Nur flüch­tig.«

»El­ling­ton ist zum Un­ter­staats­se­kre­tär im Ma­ri­ne­amt er­nannt wor­den, ich hör­te es schon ges­tern. So­viel ich weiß, ist das noch kein be­son­ders wich­ti­ger Pos­ten in der eng­li­schen Re­gie­rung. Im­mer­hin hat mich die Nach­richt von sei­ner Er­nen­nung dazu be­wo­gen, an Sie zu schrei­ben. Es ist bei Ih­nen Sit­te, dass Ab­ge­ord­ne­te, die in ein Re­gie­rungs­amt be­ru­fen wer­den, ihr Man­dat nie­der­le­gen müs­sen, nicht wahr?«

»Mei­nes Wis­sens ja.«

»In­fol­ge­des­sen kan­di­die­ren sie aufs neue. So wird es also auch in As­h­mins­ter eine Er­satz­wahl ge­ben. Mr. Ge­or­ge El­ling­ton muss noch ein­mal ge­wählt wer­den.«

»Und?«

»Wie man mir ge­sagt hat, ist er nur mit knap­per Mehr­heit ge­wählt wor­den. Des­halb wird er Wi­der­stand fin­den. Es wird einen schar­fen Wahl­kampf ge­ben.«

»Und?«

»Sie müs­sen sich dar­an be­tei­li­gen.«

»Ich? Wa­rum denn?«

»Klar. Sie sol­len die Be­kannt­schaft El­ling­tons pfle­gen. Das wird sich ma­chen las­sen. Ich habe be­reits er­fah­ren, dass Ihr Bru­der der­sel­ben Par­tei an­ge­hört.«

»Ich glau­be kaum, dass Harts­da­le zwei Pen­ny Wert auf ir­gend­ei­ne Par­tei legt.«

»Aber of­fi­zi­ell ge­hört er zu El­ling­tons Par­tei. Und das ist ein Glück.«

»Ein Glück?«

»Na­tür­lich. Sie sind ge­ra­de in Harts­da­le Park, bei Ihrem Bru­der, der zu den Stüt­zen der ge­gen­wär­ti­gen Re­gie­rung ge­hört, ha­ben nichts zu tun. Da fin­det eine Wahl statt. Was liegt nä­her, als dass Lord Harts­da­les Schwes­ter den Kan­di­da­ten der Re­gie­rungs­par­tei un­ter­stützt. Das trifft sich al­les präch­tig.«

»Mei­nen Sie? Und was soll ich da­bei tun? Ich habe kei­ne Ah­nung, wie man Par­la­ments­kan­di­da­ten un­ter­stützt.«

»Das ist ein­fach. Für Sie ein Kin­der­spiel. Sie wer­den sich bei den Wahl­ver­samm­lun­gen zei­gen. Sie wer­den sich mit ihm be­kannt­ma­chen, ihm Ihre Hil­fe an­bie­ten. Sie wer­den sehr nett sein und sich ihn zu Dank ver­pflich­ten.«

»Und – warum?«

»Weil ich In­ter­es­se dar­an habe, dass Sie mit dem Un­ter­staats­se­kre­tär im Ma­ri­ne­amt be­freun­det sind.«

Hil­da Tres­sin­g­ham gab kei­ne Ant­wort, aber sie sah Gar­nier an und nick­te.

»Sie sind also über mei­ne Ab­sich­ten im kla­ren«, fuhr er fort. »Nun noch ei­nes, ist der jun­ge Po­li­ti­ker ver­hei­ra­tet?«

»So­viel ich weiß, ja. Mit ir­gend­ei­ner Cou­si­ne oder der­glei­chen. Ich er­in­ne­re mich jetzt, ich habe sie bei­de auf ei­ner Blu­men­aus­stel­lung ge­se­hen.«

»Konn­ten Sie sich bei der Ge­le­gen­heit ein Ur­teil über die bei­den bil­den?«

»Er macht den Ein­druck ei­nes eit­len, selbst­ge­fäl­li­gen, et­was an­ma­ßen­den Men­schen. Die Frau ist farb­los, scheint aber ge­sell­schaft­li­chen Ehr­geiz zu be­sit­zen.«

»Glän­zend, glän­zend. Die Göt­ter sind mit uns im Bun­de, Hil­da. Be­küm­mern Sie sich um die­se Leu­te, zei­gen Sie großes In­ter­es­se an sei­ner Po­li­tik. Wa­chen Sie sich nütz­lich bei sei­ner Wahl. Las­sen Sie sich ein­la­den, ver­an­las­sen Sie Harts­da­le, die bei­den in sein Haus zu zie­hen.«

»Um ih­nen kal­tes Ham­mel­fleisch vor­zu­set­zen«, ver­setz­te sie spöt­tisch.

»Mei­net­we­gen Kä­se­brot. Sie wer­den kom­men. Pous­sie­ren Sie die Frau. For­dern Sie den Mann auf, Sie nach der Wahl in Lon­don zu be­su­chen. Er wird kom­men – al­lein.«

»So soll ich nach der Wahl nach Lon­don zu­rück­keh­ren?«

»So­fort. Von dort aus muss wei­ter ge­han­delt wer­den. Mi­schen Sie zu­nächst ein­mal Ihre Kar­ten tüch­tig wäh­rend der Wahl. Dann wer­den wir se­hen.«

Dann schwie­gen bei­de. Der Mann rauch­te und blick­te nach den Zwei­gen über sei­nem Haupt. Die Frau dach­te an­ge­strengt nach. Dann sah sie ih­ren Beglei­ter an.

»Ich habe die Rol­le, die ich spie­len soll, so ziem­lich be­grif­fen. Ver­las­sen Sie sich auf mich, bis –«

»Bis ich Ih­nen wei­te­re In­struk­tio­nen gebe«, sag­te Gar­nier. »Nun kom­men wir zu der Geld­fra­ge.«

»Ja«, ant­wor­te­te sie ein we­nig has­tig. »Ich kann nicht nach Lon­don, ehe ich mit Bern­stein glatt bin. Das wis­sen Sie selbst.«

Gar­nier leg­te die Zi­gar­re fort, griff in die Brust­ta­sche und nahm ein Pa­pier her­aus.

»Hier ist Ihr Schuld­schein an Bern­stein«, sag­te er. »Se­hen Sie ihn sich an.«

Sie macht eine Be­we­gung, als woll­te sie ihm das Pa­pier aus der Hand rei­ßen.

Lä­chelnd zog Gar­nier es zu­rück.

»Es ge­hört mir, Hil­da«, sag­te er.

»So ha­ben Sie ihn be­zahlt«, mur­mel­te sie. »Dann hat es doch kei­nen Zweck –«

»Dass Sie sich wei­ter be­un­ru­hi­gen«, un­ter­brach er sie, in­dem er das Pa­pier wie­der ein­steck­te. »Sie kön­nen also Ihre hüb­sche Woh­nung in Mayfair wie­der auf­su­chen, so­bald die Wahl vor­über ist. Aber auch ba­res Geld ist nütz­lich und not­wen­dig. Ich habe wel­ches für Sie in mei­ner Brief­ta­sche. Aber dazu sind wir hier et­was zu sehr in der Öf­fent­lich­keit. Wir wol­len einen Spa­zier­gang in das ent­zücken­de Wäld­chen dort ma­chen. Kom­men Sie.«

Drittes Kapitel

Auf dem Kriegsschauplatz.

So stolz und glück­lich auch Mr. Ge­or­ge El­ling­ton und sei­ne Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­gen we­gen sei­ner Er­nen­nung zum Un­ter­staats­se­kre­tär im Ma­ri­ne­amt wa­ren, Mr. Sep­ti­mus Cras­haw, Ge­ne­ral­se­kre­tär der kon­ser­va­ti­ven Par­tei in As­h­mins­ter, teil­te die­se Ge­füh­le kei­nes­wegs. Er zürn­te dem Mi­nis­ter­prä­si­den­ten, dass er ihm in die­sem Au­gen­blick die Last ei­ner Nach­wahl auf­hals­te. Und als der frisch­ge­ba­cke­ne Ma­ri­nel­ord, ein we­nig ge­schwol­len im Be­wusst­sein der neu­en Wür­de, bei ihm ein­trat, emp­fing er ihn mit Kla­gen und un­heil­vol­len Pro­phe­zei­un­gen.

»Sie kön­nen sich auf einen ver­zwei­fel­ten Kampf ge­fasst ma­chen, Mr. Ge­or­ge«, be­grüß­te er ihn. Denn da er das Par­la­ments­mit­glied von des­sen ers­ten Ho­sen an kann­te, hat­te er sich im Ver­kehr mit ihm einen et­was fa­mi­li­ären Ton an­ge­wöhnt. »Sie wis­sen, dass wir das letz­te­mal nur eine Mehr­heit von sech­zig Stim­men hat­ten, und das kann bei un­se­rer Wahl­ord­nung leicht eine Min­der­heit wer­den. Vier Jah­re ist die Re­gie­rung nun an der Macht, ihre Ener­gie ist ver­braucht. Un­se­re Geg­ner ha­ben tüch­tig ge­ar­bei­tet, und in Oberst Ems­worth ha­ben sie einen gu­ten Kan­di­da­ten. Er wird sich zur Wehr set­zen.«

»Un­ken Sie nicht, Cras­haw«, sag­te der neue Un­ter­staats­se­kre­tär. »Ich habe Ems­worth zwei­mal ge­schla­gen, ich schla­ge ihn noch ein­mal. Wir müs­sen nur un­se­re Kräf­te sam­meln, dann ge­win­nen wir die Schlacht.«

Cras­haw sah auf den jun­gen Mann, für den das Le­ben bis­her nichts als Er­folg be­deu­tet hat­te. Sein Va­ter, der mil­lio­nen­schwe­re Fa­bri­kant, hat­te Ge­or­ge von der Ge­burt an für die po­li­ti­sche Lauf­bahn be­stimmt. Sei­ne gan­ze Er­zie­hung war nach die­sem Ge­sichts­punkt ge­lei­tet wor­den. Für ihn hat­te er den Wahl­kreis As­h­mins­ter warm­ge­hal­ten, mit drei­und­zwan­zig Jah­ren hat­te Ge­or­ge ihn be­kom­men. Je­der war über­zeugt, dass der jun­ge Mann vor dem drei­ßigs­ten Jahr ein Re­gie­rungs­amt ha­ben wür­de. Und nun stand er vor Cras­haw, das Ur­bild ei­nes jun­gen Eng­län­ders, groß, kräf­tig ge­baut, froh im Be­wusst­sein sei­ner Stel­lung. Hier weh­te die Luft des Er­fol­ges.

»Sie ha­ben im­mer gu­ten Mut und Hoff­nung, Mr. Ge­or­ge«, be­merk­te der alte Mann. »Das ist eine Got­tes­ga­be. Aber, wie ich ges­tern zu Ihrem Va­ter sag­te, ich wünsch­te, wir wä­ren et­was bes­ser vor­be­rei­tet. Wir müs­sen, wie Sie vor­hin rich­tig be­merk­ten, un­se­re Kräf­te sam­meln. Üb­ri­gens, was glau­ben Sie, wer sich ges­tern bei mir mel­de­te und sich er­bot, Ih­nen Wahl­hil­fe zu leis­ten? Sie wür­den es in alle Ewig­keit nicht ra­ten.«

»Wer denn?« frag­te El­ling­ton.

Cras­haw sah den Kan­di­da­ten lis­tig an.

»Lord Harts­da­les Schwes­ter.«

El­ling­ton pfiff durch die Zäh­ne.

»Sie mei­nen die Frau von Oberst Tres­sin­g­ham?«

»Frei­lich. Sie schi­en ganz wild da­nach, und sie ver­sieht al­ler­lei von Po­li­tik. Wir ha­ben lan­ge ge­plau­dert. Sie be­dau­er­te, Sie noch nicht zu ken­nen, wür­de aber gern für Sie ar­bei­ten. Und – ich habe ihr Aner­bie­ten an­ge­nom­men.«

Ver­wun­dert über­leg­te El­ling­ton, warum wohl Ihre Hoch­wohl­ge­bo­ren Frau Tres­sin­g­ham für ihn ar­bei­ten wol­le. Er kann­te sie und ihre Fa­mi­lie vom Se­hen und Hö­ren­sa­gen, so­lan­ge er leb­te. Aber nie hat­ten die Harts­da­les sich für die An­ge­le­gen­hei­ten As­h­mins­ters in­ter­es­siert. Vor ih­rer Hei­rat mit dem Oberst Tres­sin­g­ham, ei­nem al­ten Hau­de­gen, kann­te man Hil­da nur als eine jun­ge Dame, die ihre Zeit mit Pfer­den und Hun­den zu­brach­te. Nach ih­rer Ver­hei­ra­tung hat­te sie ei­ni­ge Jah­re in In­di­en ge­lebt, wo ihr Gat­te auch nach sei­ner Ver­ab­schie­dung noch ge­blie­ben war, weil er dort Pflan­zun­gen be­saß. Seit ih­rer Rück­kehr nach Eng­land kann­te El­ling­ton sie als eine mon­dä­ne Frau, die in Krei­sen ver­kehr­te, die über sei­ner Sphä­re la­gen. Er wuss­te, dass Lord Harts­da­le dem Na­men nach zu sei­ner Par­tei ge­hör­te und auch ge­le­gent­lich ein­mal zu ei­ner Ab­stim­mung im Ober­haus er­schi­en. Aber nie hat­te sich die Fa­mi­lie leb­haft für Po­li­tik in­ter­es­siert, und dar­um sah er Cras­haw fra­gend an.

»Was kann das zu be­deu­ten ha­ben?«

Der Alte zuck­te die Ach­seln.

»Wie soll ich wis­sen, was solch eine vor­neh­me Dame sich denkt? Vi­el­leicht sucht sie ein biss­chen Ab­wechs­lung, eine neue Sen­sa­ti­on, was weiß ich. Ist ihr Gat­te nicht noch im­mer in In­di­en? Und Kin­der hat sie auch nicht. Ver­mut­lich lang­weilt sie sich in Harts­da­le. Die Leu­te er­zäh­len, dass aus Sei­ner Lord­schaft und ihr selbst kein Mensch dort ist, dass sie nie Gäs­te ha­ben. Dazu ist er schwer ver­schul­det, und das gab mir ei­gent­lich zu den­ken.«

»Wa­rum?« frag­te El­ling­ton.

»Sie sind nicht ge­ra­de be­liebt in As­h­mins­ter, we­nigs­tens der Lord nicht. Nach­dem er bei den Ge­schäfts­leu­ten tief in der Krei­de sieht, be­zieht er sei­nen Be­darf aus Lon­don. Trotz­dem –«

Er brach ab, kau­te an sei­nem Fe­der­hal­ter und sah den Kan­di­da­ten viel­sa­gend an.

»Trotz­dem –?« frag­te El­ling­ton.

»Sie ist eine sehr schö­ne und be­zau­bern­de Frau, und eine sol­che kann den Leu­ten klar­ma­chen, dass Schwarz Weiß ist. Un­ter den Wäh­lern gibt es im­mer Men­schen, bei de­nen eine hüb­sche Frau mit ei­ner flin­ken Zun­ge er­reicht, was sonst nie­mand fer­tig­brin­gen kann. Sie könn­te uns nütz­lich sein.«

»Na­tür­lich wer­den wir Nut­zen aus ihr zie­hen. Wir wei­sen kei­ne Hil­fe zu­rück, wo­her sie auch im­mer kom­men mag. Wir –«

In dem Au­gen­blick öff­ne­te ein jun­ger Mensch die Tür und steck­te sei­nen Kopf her­ein.

»Eine Dame möch­te Sie spre­chen, Mr. Cras­haw«, sag­te er. »Frau Tres­sin­g­ham.«

Cras­haw sah sei­nen Chef an und be­merk­te:

»Füh­ren Sie die Dame so­fort her­ein.«

Er stell­te einen Ses­sel zu­recht und sag­te lä­chelnd: »Nun kön­nen Sie selbst mit ihr spre­chen oder – ihr zu­hö­ren.«

Et­was schüch­tern und un­be­hol­fen blieb El­ling­ton vor dem Ka­min ste­hen und blick­te er­war­tungs­voll auf die Tür. Un­be­wusst fühl­te er, dass et­was Neu­es in sein Le­ben trat.

Hil­da Tres­sin­g­ham, in ei­nem Hut, wie man ihn in As­h­mins­ter nicht zu se­hen ge­wohnt war, schweb­te mit strah­len­dem Lä­cheln in das Zim­mer. Sie war­te­te eine for­mel­le Vor­stel­lung nicht ab. Ob­wohl sie in ih­rem Le­ben mit Ge­or­ge El­ling­ton noch kein Wort ge­spro­chen hat­te, streck­te sie ihm wie ei­nem al­ten Freun­de die Hand hin, wah­rend sie Cras­haw ver­trau­lich zu­nick­te. Die bei­den Män­ner konn­ten sich dem Reiz ih­rer Per­sön­lich­keit nicht ent­zie­hen. Es war, als hät­te sich das schä­bi­ge Zim­mer mit sei­nen Bü­chern und ver­staub­ten Ak­ten plötz­lich ver­än­dert.

»Wie geht es Ih­nen, Mr. El­ling­ton«, be­gann sie mit ei­ner ent­zücken­den Of­fen­heit. »Wir kön­nen wohl auf eine fei­er­li­che Vor­stel­lung ver­zich­ten. Ich freue mich, von Ih­rer – wie soll ich es nen­nen? – Be­för­de­rung zu hö­ren. Ohne Zwei­fel hat Mr. Cras­haw Ih­nen er­zählt, dass ich bei Ih­rer Wahl hel­fen möch­te. Sie wer­den nichts da­ge­gen ha­ben?«

El­ling­ton ge­lei­te­te sie zu dem Ses­sel. Er stell­te fest, dass sie eine au­ßer­ge­wöhn­lich schö­ne Frau war, und er konn­te sich da­bei selt­sa­mer­wei­se ei­nes Ge­fühls des Un­be­ha­gens nicht er­weh­ren.

»Sie sind zu lie­bens­wür­dig«, be­gann er, um dann et­was un­ge­schickt fort­zu­fah­ren: »Ich habe gar nicht ge­wusst, dass Sie sich für Po­li­tik in­ter­es­sie­ren.«

»Ich fan­ge da­mit an«, er­wi­der­te sie prompt. »Und ich ler­ne rasch. Mr. Cras­haw wird mir be­zeu­gen, dass ich leid­lich auf dem lau­fen­den bin.«

»Von gan­zem Her­zen«, sag­te Cras­haw lä­chelnd. »Frau Tres­sin­g­ham weiß mit al­len schwe­ben­den Fra­gen Be­scheid.«

El­ling­ton stand noch im­mer ver­blüfft da. Und gleich­zei­tig be­trach­te­te und stu­dier­te ihn Hil­da Tres­sin­g­ham. Sie hat­te ihn dann und wann zu­vor ge­se­hen und kann­te ihn als einen gut aus­se­hen­den jun­gen Mann, den man eher für einen Lan­de­del­mann denn für einen Po­li­ti­ker hal­ten konn­te. Er war groß, wohl­ge­baut, und sei­nem braun­ge­brann­ten Ge­sicht nach hät­te man ihm eher stän­di­gen Auf­ent­halt in fri­scher Luft als die Be­schäf­ti­gung mit Bü­chern und Ak­ten zu­ge­traut. Aber in die­sem Au­gen­blick forsch­te sie tiefer und schätz­te Cha­rak­ter und Fä­hig­kei­ten ab. Und sie kam zu dem Schluss, dass Ge­or­ge El­ling­ton bei ei­ner ge­wis­sen geis­ti­gen Be­deu­tung alle Merk­ma­le der Ei­tel­keit an sich trug, dass man ihn mit Schmei­che­lei­en wür­de be­ein­flus­sen kön­nen. Sie emp­fand ein freu­di­ges Vor­ge­fühl kom­men­den Sie­ges.

»Ich kann ihn um den Fin­ger wi­ckeln«, dach­te sie. Und dann sag­te sie laut:

»Was für Ar­beit wer­den Sie mir ge­ben, Mr. Cras­haw?«

Sep­ti­mus Cras­haw blick­te auf El­ling­ton.

»Ich habe es mir eben über­legt«, sag­te er. »Wir müs­sen uns be­son­ders um die Wäh­ler in Saint Se­pulchres Ward küm­mern. Ein biss­chen Hau­sagi­ta­ti­on kann da Wun­der wir­ken. Ich woll­te Sie ei­gent­lich hin­schi­cken, Mr. Ge­or­ge. Hier ist die Lis­te. Möch­ten Sie nicht Frau Tres­sin­g­ham mit­neh­men? Spre­chen Sie mit den Frau­en, sie ha­ben mehr Ein­fluss auf die Män­ner, als man ge­wöhn­lich an­nimmt. Schmie­ren Sie ih­nen Ho­nig um den Mund und küs­sen Sie ihre klei­nen Kin­der.«

»Dies Ge­schäft wer­de ich Mr. El­ling­ton über­las­sen«, sag­te Hil­da. »Da­rin hat er Er­fah­rung.«