Der Bericht des Arthur Gordon Pym - Edgar Allan Poe - E-Book

Der Bericht des Arthur Gordon Pym E-Book

Edgar Allan Poe

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Beschreibung

Edgar Allan Poe beschreibt im »Bericht des Arthur Gordon Pym« das Leben eines Abenteurers, der von der US-amerikanischen Insel Nantucket stammt. Pym zieht es schon in jungen Jahren zur See, die seinen Charakter stark prägen wird. Die Art der Abenteuer sind zum Teil realistisch - Schiffbruch und Meuterei - zum Teil phantastisch. Der Roman ist das längste Prosawerk Poes und gilt als eine seiner rätselhaftesten Arbeiten. Edgar Allen Poe ist ein Meister des Unheimlichen, Übersinnlichen, Grauenvollen und Makabren. Seine Erzählungen handeln von archaischen Ängsten und der dunklen Seiten des menschlichen Wesens. Poe begründete die Gattung der modernen Detektivgeschichte, in der eine analytisch-präzise Verbrechensaufklärung im Mittelpunkt steht. Mit seinen Fantasy-Erzählungen Erzählungen, in denen er naturwissenschaftliche Spekulation mit fantasievoller Erfindung verband, beeinflusste Edgar Allan Poe die weitere Entwicklung der Science Fiction, vor allem die Werke Jules Vernes. Edgar Allan Poe lebte von 1809 bis 1849. Zu Lebzeiten wurden die ästhetische Brillanz und innovative Kraft seiner Werke wenig wahrgenommen. Heute gilt Edgar Allan Poe als einer der bedeutendsten Schriftsteller des 19.Jahrhunderts.

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Der Bericht des Arthur Gordon Pym

Der Bericht des Arthur Gordon PymVorwort des ErzählersErstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes KapitelFünftes KapitelSechstes KapitelSiebentes KapitelAchtes KapitelNeuntes KapitelZehntes KapitelElftes KapitelZwölftes KapitelDreizehntes KapitelVierzehntes KapitelFünfzehntes KapitelSechzehntes KapitelSiebzehntes KapitelAchtzehntes KapitelNeunzehntes KapitelZwanzigstes KapitelEinundzwanzigstes KapitelZweiundzwanzigstes KapitelDreiundzwanzigstes KapitelVierundzwanzigstes KapitelFünfundzwanzigstes KapitelNachwortImpressum

Der Bericht des Arthur Gordon Pym

Roman

Edgar Allan Poe

Vorwort des Erzählers

Als ich nach einer Reihe außerordentlicher Erlebnisse und Abenteuer in der Südsee und anderswo, von denen auf den folgenden Seiten die Rede sein soll, vor einigen Monaten in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt war, kam ich durch Zufall in die Gesellschaft mehrerer Herren aus Richmond in Virginia; sie zeigten für alles, was die von mir besuchten Gegenden anbetraf, ein lebhaftes Interesse und drangen beständig in mich, ich möchte doch meinen Bericht der Öffentlichkeit übergeben, es sei das nichts Geringeres als meine Pflicht. Doch hatte ich mehrere Gründe, dies abzulehnen; einige davon sind persönlicher Natur und gehen niemanden etwas an; bei anderen ist das nicht so sehr der Fall. Einmal hielt mich der Umstand ab, daß ich während eines großen Teiles meiner Abwesenheit kein Tagebuch geführt habe und daher in Sorge war, ich könnte aus der bloßen Erinnerung keinen so genauen und zusammenhängenden Bericht aufsetzen, daß der Eindruck des Tatsächlichen dabei gewahrt bliebe, abgesehen von der natürlichen und unvermeidlichen Übertreibung, in die wir alle leicht verfallen, wenn von Begebnissen die Rede ist, deren Einfluß auf die Einbildungskraft tief und bedeutend war. Ein zweiter Grund: Die Ereignisse, von denen ich reden sollte, waren von so ausgesprochen wunderbarer Art, daß sie ohne ein anderes Zeugnis als das des einzigen Gefährten, der mit mir zurückkam, eines armen indianischen Mischlings, auf keinen Glauben außerhalb meiner Familie und meines Freundeskreises rechnen konnten – sie freilich kennen meine peinliche Wahrheitsliebe –, so daß die breitere Öffentlichkeit meine Erzählungen nur als unverschämte und schlaue Erfindungen betrachten würde. Das stärkste Motiv war aber gewiß, daß ich Ursache hatte, meinen schriftstellerischen Fähigkeiten gar sehr zu mißtrauen.

Unter den virginischen Herren, die sich für meinen Reisebericht und ganz besonders für den Teil, der von der Antarktis handelt, am lebhaftesten interessierten, befand sich Herr Poe, vor kurzem Herausgeber des „Literarischen Boten des Südens“, einer Monatsschrift, die Herr Thomas W. White in der Stadt Richmond erscheinen läßt. Er riet mir aufs dringendste, augenblicklich eine ausführliche Beschreibung dessen, was ich geschaut und erlebt hatte, ins Werk zu setzen und der Gescheitheit und dem gesunden Menschenverstand des Publikums zu vertrauen, indem er sehr richtig betonte, daß gerade die literarische Unzulänglichkeit meines Buches (falls man überhaupt von einer solchen reden könnte) ein weiterer Beweis für meine Wahrhaftigkeit sein müßte.

Trotzdem konnte ich mich nicht recht dazu entschließen, seinen Rat auszuführen. Da er nun sah, daß ich mich noch immer nicht rührte, schlug er mir vor, ich möchte ihm erlauben, in seinen eigenen Worten auf Grund meiner Mitteilungen den ersten Teil meiner Abenteuer zu schildern und unter dem Schein des Erfundenen im „Boten“ abdrucken zu lassen. Dagegen war nichts einzuwenden, und ich verlangte nur, daß mein Name nicht genannt werde. Zwei Nummern des angeblichen Romans erschienen somit im „Boten des Südens“ (Januar und Februar 1837), und um ihnen den Charakter einer Dichtung zu verleihen, fügte Herr Poe in der Inhaltsangabe der Zeitschrift seinen Namen bei.

Die Wirkung, die durch unsere Kriegslist erreicht wurde, bewog mich endlich, eine regelrechte Zusammenstellung und Veröffentlichung der in Rede stehenden Abenteuer zu veranstalten; denn ich fand bald heraus, daß trotz des Scheines des Erdichteten, der, ohne daß eine einzige Tatsache dabei verändert wurde, meinem Bericht mit soviel Geschicklichkeit verliehen worden war, das Publikum gar nicht geneigt schien, an eine Erdichtung zu glauben, vielmehr erhielt Herr Poe mehrere Zuschriften, in denen die gegenteilige Meinung deutlichen Ausdruck fand. Daraus schloß ich, daß die Tatsachen in meiner Erzählung den Stempel des Wirklichen an sich tragen müßten und daß ich die Ungläubigkeit des Publikums wenig zu fürchten hätte.

Nachdem diese Feststellung gemacht ist, wird man bald erkennen, was von dem Folgenden meiner eigenen Feder entstammt; es sei nur nochmals bemerkt, daß die ersten von Herrn Poe geschriebenen Seiten keine falsche Darstellung irgendeiner Tatsache enthalten. Selbst jenen Lesern, die den „Boten“ nicht gesehen haben, braucht man nicht erst zu sagen, wo sein Anteil endet und mein eigener beginnt; die Verschiedenheit des Stils wird sich jedem sogleich offenbaren.

A. G. Pym

Erstes Kapitel

Mein Name ist Artur Gordon Pym. Mein Vater war ein ehrsamer Seewarenhändler in Nantucket, meiner Geburtsstadt. Mein Großvater mütterlicherseits war ein beliebter Rechtsanwalt. Er hatte in allem Glück; seine Spekulationen in der „Neuen Bank“ in Edgarton, wie sie sich damals nannte, waren von großem Erfolg begleitet. So war es ihm möglich gewesen, eine tüchtige Summe Geldes zurückzulegen. Er liebte mich, wie ich annehmen möchte, herzlicher als irgendeinen anderen Menschen auf der Welt, und ich wurde allgemein als sein Erbe angesehen. Als ich fast sechs Jahre zählte, schickte er mich zu einem alten Herrn Ricketts in die Schule, einem einarmigen und exzentrischen Mann, den jeder in Neu-Bedford kennen dürfte. Ich blieb in dieser Schule bis zu meinem sechzehnten Lebensjahr, um dann die Akademie des Herrn Ronald aufzusuchen, die auf der Höhe über der Stadt lag. Hier befreundete ich mich mit dem Sohn des Herrn Barnard, eines Kapitäns, der gewöhnlich im Dienste der Firma Lloyd und Vredenburgh segelte; Herr Barnard ist in Bedford ebenfalls wohlbekannt und hat, wie ich glaube, in Edgarton viele Verwandte. Sein Sohn hieß Augustus und war nahezu zwei Jahre älter als ich. Er hatte eine Walfängerfahrt an Bord des „John Donaldson“ mit seinem Vater gemacht und redete von nichts anderem als von seinen Erlebnissen im Stillen Ozean. Ich begleitete ihn oft nach Hause und blieb den Rest des Tages, manchmal die Nacht hindurch bei ihm. Wir schliefen in einem Bett, und er pflegte mich bis zum Morgengrauen wach zu erhalten, indem er mir Geschichten von den Eingebornen der Insel Tinian und von anderen Orten erzählte, die er besucht hatte. Mit der Zeit konnte ich es nicht vermeiden, von seinen Erzählungen gepackt zu werden, und allmählich wuchs mein Wunsch, zur See zu gehen, ins Ungeheure. Ich besaß ein Segelboot „Ariel“, das ungefähr fünfundsiebzig Dollar wert war. Es hatte ein Halbdeck, eine Art Kombüse, und war wie eine Schaluppe getakelt; seinen Tonnengehalt weiß ich nicht mehr anzugeben, aber es konnte ohne Schwierigkeiten zehn Personen fassen. In diesem Boot wagten wir einige der tollsten Streiche, die je unternommen worden sind, und wenn ich jetzt daran denke, erscheint es mir höchst wunderbar, daß ich heute noch am Leben bin.

Ich will eines dieser Abenteuer berichten, bevor ich zu einer längeren und bedeutsameren Erzählung übergehe. Eines Abends hatte Herr Barnard Gesellschaft, und sowohl Augustus als ich waren gegen Ende des Festes nicht wenig angeheitert. Wie gewöhnlich teilte ich, anstatt nach Hause zu gehen, meines Freundes Lager. Er schlief, wie mir schien, sehr sanft ein (die Gesellschaft war gegen ein Uhr aufgebrochen), ohne vorher ein Wort über seinen Lieblingsgegenstand fallenzulassen. Wir mochten eine halbe Stunde im Bett gelegen haben, und ich wollte gerade hinüberdämmern, als er plötzlich in die Höhe fuhr und einen entsetzlichen Eid schwor, daß er keinem Artur Pym zuliebe da liegen und schlafen würde, solange eine so herrliche Brise aus Südwest wehe. Ich war in meinem Leben noch nie so erstaunt gewesen, da ich ja seine Absicht nicht kannte und der Meinung war, die Weine und Liköre hätten ihn um seinen Verstand gebracht. Jetzt aber sprach er ganz ruhig, indem er sagte, er sei keineswegs, wie ich dächte, betrunken, vielmehr sei er noch nie so nüchtern gewesen. Er habe nur keine Lust, fügte er hinzu, diese schöne Nacht wie ein Hund zu verschlafen, und sei entschlossen, aufzustehen und sich im Boot zu vergnügen. Was mich besessen hat, kann ich nicht sagen; aber er war noch nicht fertig mit seiner Rede, als ich mich von Erregung und Verlangen durchglüht fühlte und seinen wahnsinnigen Einfall als einen der köstlichsten und vernünftigsten Gedanken pries. Das Wetter war nahezu stürmisch, und wir standen tief im Oktober. Trotzdem machte ich in einer Art Ekstase einen Satz aus dem Bett und erklärte ihm, ich sei gerade so tapfer wie er und gerade so willig, einen tollen Streich zu wagen, wie irgendein Augustus Barnard in Nantucket.

Wir schlüpften eilends in unsere Kleider und liefen zum Boot hinab. Es lag an der alten, verfallenen Werft nahe dem Holzhofe von Pankey & Co. und schlug sich an den rauhen Pfählen fast zuschanden. Augustus stieg hinein und schöpfte das Boot aus, es war zur Hälfte voll Wasser. Sobald dies getan war, hißten wir Großsegel und Klüver, richteten sie nach dem Winde und stießen mutig vom Land ab.

Der Wind blies, wie ich schon gesagt habe, kräftig aus Südwest.

Die Nacht war sehr klar und sehr kalt. Augustus hatte sich ans Ruder gesetzt, ich stand am Maste auf dem Halbverdeck. Wir flogen in raschem Tempo dahin, keiner von uns hatte seit der Abfahrt eine Silbe gesprochen. Nun fragte ich meinen Begleiter, wohin er zu steuern gedenke und wann er glaube, daß wir wieder zurück sein könnten. Er pfiff eine Weile vor sich hin und gab dann widerhaarig zur Antwort: „Ich steche in See; du kannst ja nach Hause gehen, wenn du es für passend erachtest.“ Ich blickte ihn an und erkannte sofort, daß er trotz seiner angenommenen Gleichgültigkeit sehr erregt war. Deutlich konnte ich ihn im Mondenscheine sehen; sein Gesicht war blässer als ein Marmorbild, seine Hand zitterte so heftig, daß er kaum das Ruder halten konnte. Ich nahm wahr, daß irgend etwas nicht in Ordnung war, und eine ernste Besorgnis befiel mich. Damals verstand ich nicht viel von der Kunst, ein Fahrzeug zu lenken, ich war völlig auf die seemännische Geschicklichkeit meines Freundes angewiesen. Dazu kam, daß der Wind mit einem Male zugenommen hatte und wir rasch auf die Luvseite des Landes gelangten; doch schämte ich mich, irgendwelche Furchtsamkeit zu zeigen, und bewahrte beinahe eine halbe Stunde ein entschlossenes Schweigen. Endlich konnte ich's nicht länger ertragen und äußerte zu Augustus, es wäre wohl am besten, wir kehrten um. Wieder dauerte es eine Minute, bis er antwortete oder überhaupt von meinem Wink Notiz nahm: „Allmählich“, sprach er endlich, „wir haben Zeit – allmählich – nach Hause.“ Solche Erwiderung kam mir nicht unerwartet, aber in ihrem Ton lag etwas, das mich mit einem Gefühl nicht zu beschreibenden Grauens erfüllte. Wieder betrachtete ich aufmerksam den Sprecher. Seine Lippen waren vollkommen blutlos, und seine Knie schlugen so heftig aneinander, daß er kaum zu stehen vermochte. „Um Gottes willen, Augustus“, schrie ich jetzt in tiefer Herzensangst, „was fehlt dir? – Was ist los? – Was willst du beginnen?“ – „Los“, stotterte er, scheinbar höchst verwundert, indem er zugleich das Ruder fahrenließ und nach vorn auf den Schiffsboden fiel, „los? ... nichts ist los, Lieber ... wir fahren heim ... wie du siehst!“ Da flammte die Wahrheit vor meinen Augen auf, ich stürzte mich auf ihn und richtete ihn in die Höhe. Er war betrunken, viehisch betrunken; er konnte weder stehen noch sprechen noch sehen. Seine Augen waren ganz verglast; als ich ihn in meiner Verzweiflung losließ, kollerte er wie ein Klotz in das auf dem Grunde des Bootes angesammelte Wasser, aus dem ich ihn eben gezogen hatte. Es war klar, daß er im Verlaufe des Abends weit mehr getrunken hatte, als ich dachte, und daß sein Benehmen im Bett die Folge eines gesteigerten Rausches war, eines Rauschzustandes, der gleich dem Wahnsinn seinem Opfer nicht selten die Haltung eines völlig Gesunden und Vernünftigen verleiht. Die Kühle der Nachtluft hatte indessen ihre Wirkung nicht verfehlt, die erkünstelte Geistesstärke gab ihrem Einflusse nach, und eine verworrene Vorstellung von der Gefährlichkeit unserer Lage beschleunigte die Katastrophe. Er lag jetzt gänzlich bewußtlos, und es war nicht anzunehmen, daß er in den nächsten Stunden die Herrschaft über seine Sinne wiedergewinnen würde.

Es ist kaum möglich, zu schildern, wie tief ich erschrak. Die Dünste des Weins waren jetzt verraucht; ich war doppelt furchtsam und unfähig, einen Entschluß zu fassen. Ich wußte, daß ich keine Ahnung hatte, wie man ein Boot steuert, und daß ein wütender Wind und die rückflutende Ebbe uns ins Verderben jagten. Hinter uns drohte das Wetter; wir besaßen keinen Kompaß, keine Nahrungsmittel, und es war gewiß, daß wir bei unserem jetzigen Kurse das Land vor der ersten Morgenhelle aus den Augen verloren haben würden. Diese Gedanken nebst einem Heere anderer, die nicht minder entsetzlich waren, rasten mit betäubender Geschwindigkeit durch meinen Kopf, und einige Augenblicke lang blieb ich zu sehr gelähmt, um irgendeine Anstrengung machen zu können. Das Boot flog mit furchtbarer Schnelle durch das Wasser hin, rollte vor dem Winde, ohne daß ein Segel gerefft war; der Bug verschwand vollständig unter dem Schaum der Wellen. Ein Gotteswunder, daß es nicht umschlug; Augustus hatte ja das Steuer losgelassen, und ich war zu aufgeregt, um selbst danach zu fassen. Glücklicherweise jedoch hielt es den Kurs ein, und nach und nach gewann ich einen Teil meiner Geistesgegenwart zurück. Der Wind war noch immer am Anschwellen, und sooft wir uns vom Vorwärtstauchen erhoben, fegte die See von rückwärts über Deck und überflutete uns mit Wasser. Auch war mir ein jedes Glied so benommen, daß ich fast gar keine Empfindung mehr hatte. Endlich stürzte ich mit dem Mute der Verzweiflung nach dem Großsegel und versuchte, es zu reffen. Wie zu erwarten, sauste es über den Bug, tränkte sich schwer voll Wasser und riß dadurch den Mast kurzweg über Bord. Dieser Zufall allein rettete mich vor augenblicklichem Untergang. Nur unterm Stagsegel fahrend, schoß ich vor dem Winde hin, mußte mächtige Sturzseen aushalten, war aber von unmittelbarer Todesgefahr befreit.

Ich saß am Ruder und atmete mit größerer Leichtigkeit, da ich sah, daß uns noch eine Hoffnung auf Rettung blieb. Augustus lag noch bewußtlos auf dem Boden des Schiffes; und da ihm die Gefahr des Ertrinkens drohte (das Wasser stand an der Stelle fast einen Fuß hoch), brachte ich es zuwege, ihn teilweise aufzurichten und im Sitzen zu erhalten, indem ich ihn mit einem Tau umwand und an einem Ringe auf dem Halbdeck festmachte. Nachdem ich so alles, meinem elenden Zustande zum Trotz, aufs beste eingerichtet hatte, empfahl ich mich Gott und war entschlossen, alles, was mir auch geschehen möge, mit dem ganzen Mannesmute, über den ich gebot, zu ertragen.

Kaum hatte ich diesen Entschluß gewonnen, als plötzlich ein lautes und langes Schreien oder Heulen, das aus den Kehlen von tausend Teufeln zu kommen schien, die ganze Atmosphäre rings um das Boot und über ihm zu erfüllen begann. Nie in meinem Leben werde ich die bohrende Qual des Entsetzens vergessen, das ich in diesem Augenblick empfand. Das Haar stand mir zu Berge, ich fühlte, wie das Blut in meinen Adern erstarrte, mein Herz hörte ganz und gar auf zu schlagen, und ohne ein einziges Mal meine Augen zu erheben, die Ursache meines Bangens kennenzulernen, purzelte ich kopfüber und ohne Bewußtsein auf den Körper meines Freundes.

Als ich ins Leben zurückkehrte, fand ich mich in der Kajüte eines großen Walfischfängers (des „Penguin“), der nach Nantucket segelte. Mehrere Menschen beugten sich über mich, und Augustus, bleicher als der Tod, war eifrig bestrebt, mir die Hände zu wärmen. Als ich die Augen öffnete, riefen die Äußerungen seines Dankes, seiner Freude abwechselnd Lachen und Weinen bei den Anwesenden hervor. Das Geheimnis unserer Rettung war bald enthüllt. Der Walfänger hatte uns überrannt; er lavierte mit so viel Segeln, als er zu setzen wagte, auf Nantucket zu, sein Kurs stand somit in rechtem Winkel mit unserm. Mehrere Leute lugten vorn aus, aber sie bemerkten unsere Schaluppe erst, als es schon zu spät war, den Zusammenstoß zu vermeiden; ihre Warnungsrufe hatten mich in jene fürchterliche Angst getrieben. Das gewaltige Schiff übersegelte uns, so erzählte man mir, mit einer Leichtigkeit, als ob es über eine Feder hingeglitten wäre, und ohne nur im geringsten in seinem Laufe aufgehalten zu werden. Vom Verdeck der Schaluppe ertönte kein Schrei; man hörte nur im Toben von Wind und Wellen etwas wie einen leisen, schlürfenden Laut, als die gebrechliche Barke vor dem Versinken sich am Kiel ihres Zerstörers rieb; das war alles. Der Kapitän (E. T. V. Block von Neulondon) hielt unser entmastetes Boot für weiter nichts als ein treibendes Wrack und wollte ohne nähere Untersuchung der Angelegenheit seine Fahrt fortsetzen. Glücklicherweise vermochten zwei Leute vom Ausguck einen Schwur darauf zu leisten, daß sie einen Menschen am Ruder gesehen hätten, der vielleicht noch zu retten war. Man erörterte die Sache, Block ärgerte sich und rief nach einer Weile, er brauche nicht auf Eierschalen aufzupassen, das Schiff sollte nicht wegen solcher Dummheiten seinen Kurs ändern, und wenn einer übersegelt würde, wär's seine Schuld – er möge ersaufen und verdammt sein. Henderson, der Obersteuermann, griff jetzt den Gegenstand auf, er und die Mannschaft waren redlich entrüstet über die herzlosen Worte des Kapitäns. Er nahm kein Blatt vor den Mund, da er sich von den Leuten unterstützt wußte; er erklärte dem Schiffer, er verdiene, gehängt zu werden; er, Henderson, werde auf die Gefahr hin, ein gleiches Schicksal zu erdulden, seinem Befehl ungehorsam sein. Er stelzte nach achtern, schob Block (der sehr blaß wurde und keine Antwort gab) beiseite, ergriff das Ruder und gab den Befehl: „Hart am Lee!“ Die Leute flogen an ihre Posten, und das Manöver gelang vortrefflich. All das hatte bald fünf Minuten gewährt, man mochte es kaum für möglich halten, daß jetzt noch einer gerettet werden könnte. Dennoch wurden Augustus und ich geborgen; und unsere Rettung scheint durch zwei jener unfaßlichen Glücksfälle herbeigeführt zu sein, die von den Weisen und Frommen einem besonderen Eingreifen der Vorsehung zugeschrieben werden.

Henderson ließ die Jolle herab und sprang mit den beiden, die mich zuerst am Ruder erblickt hatten, hinein. Sie waren eben aus dem Lee des Schiffes (der Mond schien noch mit hellem Lichte), als dieses lange und kräftig anluvte und Henderson im selben Moment seiner Mannschaft zurief, sie solle rückwärts rudern. Immer wiederholte er ungeduldig den Ruf: „Rückwärts! Rückwärts!“ Die Leute folgten so rasch wie möglich dem Befehl, aber inzwischen war das Schiff vollkommen mit dem Bug im Wind, trotz aller Anstrengungen der Bemannung, die Segelfläche zu verringern. Obwohl es ein höchst gefährliches Beginnen war, packte Henderson die Großrüsten, sobald sie in seinen Bereich kamen. Ein neuer Stoß brachte die Steuerbordseite des Fahrzeuges fast bis zum Kiel übers Wasser hinaus, und nun erkannte man den Grund seiner Besorgnis. Ein menschlicher Körper hing auf eigentümliche Art an dem glatten und leuchtenden Schiffsboden (der „Penguin“ war vollständig mit Kupfer belegt) und schlug mit jeder Bewegung des Schiffsleibes heftig dagegen an. Nach mehreren fruchtlosen Versuchen, während das Schiff hin- und herstieß und das Boot überflutet zu werden drohte, wurde ich aus dieser gefährlichen Lage befreit und an Bord gebracht. Einer der Schiffsnägel war durch das Kupfer gedrungen, an diesem hatte ich mich gefangen, als ich unter dem Rumpf dahinglitt. Der Nagel hatte den Kragen meiner grünleinenen Jacke und meinen Nacken durchbohrt, sich zwischen zwei Sehnen durchgedrängt und war hinter dem linken Ohr wieder hervorgekommen. Man legte mich ins Bett, obwohl das Leben aus mir geschwunden schien. Es gab keinen Wundarzt an Bord. Doch erwies mir der Kapitän jede Aufmerksamkeit – gewiß, um in den Augen der Mannschaft sein früheres abscheuliches Benehmen wiedergutzumachen.

Inzwischen war Henderson wieder vom Schiff abgestoßen, obgleich der Wind sich zum Orkan gesteigert hatte. Nach einigen Minuten bemerkte er einige Trümmer unseres Bootes, und bald darauf versicherte einer der Leute, er höre in den Zwischenpausen des Sturmes Hilferufe. Trotz wiederholter Signale, durch die Block sie zur Rückkehr aufforderte, suchten die braven Seeleute rastlos weiter. Es ist kaum zu glauben, daß solch schwache Jolle auch nur für einen Augenblick der drohenden Zerstörung entging. Doch war sie für den Walfang gebaut und, glaub' ich, mit Luftkästen versehen, wie man sie bei den Rettungsbooten findet, die an der Küste von Wales in Gebrauch sind.

Nach längerem vergeblichem Suchen beschloß man endlich, an Bord zurückzukehren. Kaum war dies ausgesprochen, als von einem dunklen Gegenstande, der eilig vorüberschwamm, ein matter Ruf nach Hilfe ertönte. Man holte den Gegenstand rasch ein. Es war das Halbdeck des „Ariel“. Neben ihm schwebte in Todesnöten Augustus. Er war durch ein Tau mit dem schwimmenden Deck verbunden. Dieses Tau hatte ich, wie erinnerlich sein dürfte, ihm selbst umgelegt und an einem Ring befestigt; und offenbar wurde dies die Ursache seiner Rettung. Der „Ariel“ war leicht gebaut, und im Untergehen brach er auseinander; das Verdeck der Kambüse wurde durch die hereinrasende Flut hochgehoben, und Augustus entging so einem grauenvollen Tode.

Es dauerte mehr als eine Stunde, bevor er von sich zu erzählen oder den Unfall, der dem Boot widerfahren war, zu begreifen vermochte. Endlich kam er völlig zu Bewußtsein und sprach viel von dem, was er auf den Wellen empfunden hatte. Als er zuerst von seinem Rausch erwachte, fand er sich unter der Oberfläche, wurde mit unfaßbarer Schnelligkeit herumgewirbelt und fühlte einen Strick, der sich mehrfach um seinen Hals wand. Einen Augenblick später schoß er nach oben, sein Kopf schlug gegen etwas Hartes, und er wurde abermals bewußtlos. Als er noch einmal zu sich kam, war er im Besitz seiner Vernunft; doch blieb diese noch arg umwölkt und verworren. Er wußte jetzt, daß ein Unfall sich ereignet hatte und daß er im Meer schwamm, obwohl sein Mund frei war und er ohne viele Mühe Atem schöpfen konnte. Wahrscheinlich trieb das Halbdeck um diese Zeit vor dem heftigen Winde, und er wurde, auf dem Rücken liegend, von jenem geschleppt. Natürlich hätte er nicht lange in dieser Lage verharren können und wäre jedenfalls zuletzt ertrunken. Eine mächtige See schleuderte ihn über das Deck; hier hielt er sich fest, von Zeit zu Zeit nach Hilfe schreiend. Gerade vor seiner Entdeckung durch Herrn Henderson hatte er, gänzlich erschöpft, die Trümmer losgelassen und sich in sein Schicksal ergeben. Während er um sein Leben kämpfte, entschwand ihm jegliche auch noch so blasse Erinnerung an den „Ariel“ und die Ursachen seines Unheils. Ein unbestimmtes Gefühl des Schreckens, der Verzweiflung hielt alle seine Sinne umfaßt. Als man ihn endlich bergen konnte, verließ ihn die Fähigkeit zu denken, und er kam, wie erwähnt, erst nach einer Stunde dazu, seinen Zustand zu erkennen. Was mich anbetrifft, so wurde ich am Rande des Grabes (nachdem jedes andere Mittel während dreieinhalb Stunden umsonst versucht worden war) durch eine gründliche Abreibung mit in heißem Öl gebadetem Flanell gerettet. Diese Kur hatte Augustus vorgeschlagen. Die Wunde am Nacken erwies sich trotz ihres garstigen Aussehens als ungefährlich, und ich erholte mich rasch von ihren Wirkungen.

Der „Penguin“ lief um neun Uhr morgens in den Hafen ein, nachdem er noch einen heftigen Sturm, wie man ihn an unserer Küste selten antrifft, glücklich bestanden hatte. Augustus und ich erschienen zum Frühstück bei Barnard; erfreulicherweise wurde es, wegen des Festes vom Abend vorher, etwas spät aufgetragen. Die mit am Tisch saßen, waren zu müde, um unser klägliches Aussehen zu bemerken; aufmerksamer Beachtung wäre es freilich nicht entgangen. Aber Schuljungens können in der Verstellung Wunderbares leisten, und ich glaube in der Tat, daß kein einziger unserer Freunde in Nantucket die leiseste Ahnung hatte, die von einigen Seeleuten in der Stadt berichtete Schauermär von einem Fahrzeug mit dreißig bis vierzig Menschen, das sie auf dem Meer übersegelt hätten, habe auch nur die geringste Beziehung zum „Ariel“, meinem Gefährten oder mir selbst. Wir beide haben seitdem oftmals die Angelegenheit besprochen, jedoch niemals, ohne zu schaudern. In einem unserer Gespräche gestand mir Augustus ganz offen, daß er noch nie in seinem Leben ein so marterndes Gefühl der Verzweiflung empfunden habe, als da er an Bord unseres kleinen Bootes erkannte, daß er vollständig bezecht und unter dem Einflusse dieses Rausches die Besinnung zu verlieren im Begriff war.

Zweites Kapitel

Wo es sich um Vorliebe und Abneigung handelt, sind wir niemals imstande, aus den einfachsten Tatsachen Schlüsse zu ziehen. Man sollte denken, daß ein Ereignis wie das oben geschilderte meine keimende Leidenschaft für das Meer vollkommen zerstört haben müßte. Ganz im Gegenteil: ich empfand noch nie ein so brennendes Verlangen nach den wilden Abenteuern eines Seemannslebens wie in der Woche, die auf unsere wundersame Errettung folgte. Dieser kurze Zeitraum erwies sich lang genug, um alle Schatten jenes gefährlichen Erlebnisses zu verscheuchen und alle angenehmen, aufregenden, farbenglühenden Momente, all das Malerische ins hellste Licht zu stellen. Meine Gespräche mit Augustus wurden immer häufiger und immer reicher an Interesse. Er hatte eine Art, seine Ozeangeschichten (von denen gewiß mehr als die Hälfte erlogen war) zu erzählen, die wohl dazu angetan schien, auf einen Menschen mit meinem begeisterungsfähigen Gemüt und meiner düsteren und doch dabei feurigen Einbildungskraft Eindruck zu machen. Es ist merkwürdig genug, daß er mich am lebhaftesten für das Leben der Seeleute einzunehmen vermochte, wenn er ihre entsetzlichsten Augenblicke, ihre Leiden, ihre Verzweiflung schilderte. Für die freundliche Seite des Gemäldes hatte ich nicht viel übrig. Ich träumte von Schiffbruch und Hungersnot, von Tod oder Gefangenschaft unter barbarischen Horden, von einem Dasein voll von Trauer und Tränen, verbracht auf grauen und öden Felsen in einem unbekannten, unerreichten Weltmeer. Solche Visionen und Wünsche (denn Wünsche waren es) sind, wie man mir seitdem versichert hat, dem ganzen weitverbreiteten Geschlecht melancholischer junger Leute gemeinsam; zu der Zeit jedoch, von der ich rede, hielt ich sie für prophetische Einblicke in ein Schicksal, das zu erfüllen ich mich gewissermaßen verpflichtet fühlte. Augustus ging vollkommen auf meine Gemütsverfassung ein. In der Tat ist es wahrscheinlich, daß aus unserm engen Verkehr zum Teil eine Vertauschung unserer Charaktere sich ergeben hatte.

Etwa achtzehn Monate nach dem Untergang des „Ariel“ war die Firma Lloyd und Vredenburgh (ein Haus, das, wie ich glaube, irgendwie mit den Herren Enderby in Liverpool zusammenhängt) damit beschäftigt, die Brigg „Grampus“ für eine Walfängerfahrt auszubessern und herzurichten. Ich weiß kaum, warum sie andern und besseren Schiffen der Firma vorgezogen wurde; war sie doch ein alter Kasten und nach allen Verbesserungen eben zur Not seetüchtig; aber so geschah es. Herr Barnard sollte sie befehligen, Augustus ihn begleiten. Während die Brigg ausgerüstet wurde, legte er mir oft nahe, welche vortreffliche Gelegenheit sich mir jetzt biete, meiner Reisesehnsucht zu frönen. Er fand in mir durchaus keinen unwilligen Zuhörer, aber die Sache ließ sich nicht so glatt erledigen. Mein Vater widerstrebte zwar nicht mit Entschiedenheit, aber meine Mutter bekam bei der bloßen Erwähnung des Planes Krämpfe, und was das Schlimmste war, mein Großvater schwor, mich zu enterben, spräche ich ihm noch ein einziges Mal von dem Gegenstand. Aber diese Schwierigkeiten setzten mein Verlangen nicht matt, vielmehr wurde die Flamme meiner Wünsche noch stärker angefacht. Ich beschloß, auf jede Gefahr hin zu reisen, und nachdem ich Augustus meinen Entschluß mitgeteilt hatte, bedachten wir einen Plan zu seiner Ausführung. Inzwischen sprach ich zu keinem Verwandten ein Wort, das sich auf die Reise bezog, und da ich mich auffällig mit meinen laufenden Studien beschäftigte, wähnten alle, ich hätte meine Absicht aufgegeben. Ich habe seither oft mein damaliges Verhalten mit Mißvergnügen und Erstaunen betrachtet. Die arge Heuchelei, die ich zur Förderung meines Unternehmens übte – eine Heuchelei, die lange Zeit hindurch jedes Wort, jede Handlung meines Lebens beherrschte –, sie kann mir nur erträglich geworden sein durch die wilde, brennende Sehnsucht, mit der ich bei Erfüllung meiner lang gehegten Reiseträume entgegensah.

Indem ich meinen betrügerischen Plan verfolgte, mußte ich natürlicherweise das meiste den Händen meines Freundes überlassen, der den größten Teil des Tages an Bord des „Grampus“ tätig war, wo er verschiedene Vorkehrungen in der Kajüte an seines Vaters Stelle überwachte. Am Abend jedoch hatten wir regelmäßig eine Besprechung und ergötzten uns an unseren Hoffnungen. Fast ein Monat war auf diese Weise verstrichen, ohne daß wir auf einen Plan gekommen wären, der Erfolg versprochen hätte; da teilte er mir plötzlich mit, alles Nötige sei von ihm vorbereitet. In Neu-Bedford lebte ein Verwandter von mir, ein Herr Roß, in dessen Hause ich zuweilen einige Wochen zu verbringen pflegte. Die Brigg sollte Mitte Juni segeln (es war im Jahre 1827), und wir kamen überein, daß ein oder zwei Tage, bevor sie in See stach, mein Vater einige Zeilen von Herrn Roß erhalten sollte, durch die ich eingeladen würde, wieder ein paar Wochen bei seinen Söhnen Robert und Emmet zuzubringen. Augustus übernahm es, dieses Brieflein zu erdichten und richtig abliefern zu lassen. Nachdem ich dann scheinbar nach Neu-Bedfort abgereist sei, sollte ich mich bei meinem Genossen melden, der mir dann ein Versteck an Bord des „Grampus“ besorgen wollte. Dieses Versteck, versicherte er mir, würde für eine Reihe von Tagen, während derer ich mich nicht zeigen dürfte, ein ausreichend bequemer Aufenthalt sein. Sobald das Schiff so weit gelangt wäre, daß man an eine Umkehr um meinetwillen nicht denken könnte, sollte ich an allen Bequemlichkeiten der Kabine teilnehmen dürfen; und was seinen Vater beträfe, so würde der nur herzlich lachen über den gelungenen Spaß. Man würde genug Schiffen begegnen, die einen Brief an meine Eltern mitnehmen könnten, durch den sie die nötige Aufklärung über mein Abenteuer erhalten würden.

Endlich kam die Mitte des Juni heran, und alles war reif zur Ausführung. Der Brief war geschrieben und abgegeben, und am Montag früh verließ ich das Elternhaus, wie man meinte, an Bord des Bedforder Packboots. Statt dessen eilte ich zu Augustus, der mich an einer Straßenecke erwartete. Ursprünglich sollte ich bis zum Anbruch der Nacht aus dem Wege bleiben und dann an Bord schlüpfen; aber ein dichter Nebel begünstigte uns, so daß wir einig wurden, daß ich sogleich versteckt werden sollte. Augustus ging voran zum Kai, ich folgte, in einen dicken Seemannsmantel gehüllt. Als wir um die zweite Ecke bogen, gleich hinter dem Brunnen des Herrn Edmund, wer stand da plötzlich vor mir und sah mir gerade in die Augen? Mein Großvater, der alte Herr Peterson. „Hol' mich der Kuckuck, Gordon“, sagte er nach einer langen Pause, „wie, wie? Wessen schmutzigen Mantel hast du denn an?“ – In der Bedrängnis des Augenblickes gab ich mir den Anschein, gekränkt und verwundert zu sein, und entgegnete in den brummigsten Baßtönen: „Mein Herr, Sie scheinen sich zu irren; erstens heiße ich nicht Goddin, und dann, wie kannst du oller Lump meinen Äwerrock schmutzig heiten?“ Ich konnte um alles in der Welt kaum eine tolle Lache zurückhalten, als der alte Herr bei dieser strammen Abfertigung ein paar Schritte zurückfuhr, erst bleich, dann puterrot wurde, seine Brille hob und senkte, um zuletzt mit erhobenem Regenschirm Sturm auf mich zu laufen. Doch hielt er mit einem Male an, als ob ihm plötzlich etwas eingefallen sei; dann machte er kehrt und hinkte die Straße hinunter, indem er vor Wut bebte und zwischen den Zähnen murmelte: „Geht nicht – neue Brille – dacht', es wäre Gordon – gottverdammtes unnützes Matrosengesindel!“

Nachdem wir so knapp der Gefahr entronnen waren, rückten wir mit größerer Umsicht vor und erreichten sicher unser Ziel. An Bord befanden sich nur ein oder zwei Leute, und die waren mit irgendeiner Arbeit am Vorderkastell beschäftigt. Kapitän Barnard hatte, wie wir wußten, bei Lloyd und Vredenburgh zu tun und würde bis in den späten Abend hinein dort verweilen, so daß wir in der Beziehung wenig zu fürchten hatten. Augustus erkletterte das Schiff zuerst, ich folgte nach, ohne daß die arbeitenden Matrosen unser ansichtig wurden. Wir begaben uns nach der Kajüte und fanden sie leer. Sie war aufs bequemste ausgestattet, wie man das bei Walfängern selten findet. Es gab vier schöne Staatskabinen, mit breiten und bequemen Kojen. Ferner bemerkte ich einen großen Ofen, und den Boden bedeckte ein kostbarer dicker Teppich. Die Höhe betrug volle sieben Fuß, kurz, alles war viel geräumiger und angenehmer, als ich es mir gedacht hatte. Doch Augustus ließ mir nicht viel Zeit zur Umschau; er bestand darauf, daß ich mich eilends verbergen müsse. Er führte mich in seine eigene Kabine, die auf der Steuerbordseite und nahe an der Schott lag. Sobald wir drinnen waren, schloß er die Tür und schob den Riegel vor. Ich glaubte, noch nie ein so schmuckes Zimmerchen gesehen zu haben. Es war zehn Fuß lang und besaß nur eine Koje, aber diese war, wie gesagt, bequem und geräumig. Dicht an der Scheidewand war ein Raum, vier Fuß im Geviert, mit einem Tisch, einem Stuhl und einem hängenden Büchergestell, das zumeist See- und Reiseliteratur enthielt. Das Zimmer hatte noch andere Annehmlichkeiten aufzuweisen; am wenigsten möchte ich eine Art Eisschrank vergessen, in dem mir Augustus allerhand gute Sachen zum Essen und Trinken zeigte.

Jetzt drückte er auf einen bestimmten Punkt des Teppichs innerhalb des eben geschilderten Raumes, indem er mich wissen ließ, daß ein Teil des Fußbodens, etwa sechzehn Quadratzoll, sauber herausgeschnitten und wieder eingefügt worden war. Auf seinen Druck erhob sich dieser Teil und ließ einen seiner Finger durch die Spalte. So hob er allmählich die Falltür, die am Teppich befestigt war, in die Höhe, und ich sah, daß sie in den achtern Kielraum führte. Nun entzündete er eine kleine Kerze mit einem Phosphorstreichholz, setzte das Licht in eine Blendlaterne und stieg in die Öffnung hinab, wobei er mich aufforderte, ihm zu folgen. Ich tat es; er verschloß die Falltür von unten durch einen Nagel, während der Teppich oben seine gewöhnliche Lage wieder einnahm und die Luke den Blicken entzogen wurde.

Die Kerze leuchtete so schwach, daß ich nur mit der größten Mühe den Weg durch die wirre Masse von Gerümpel, in der ich mich befand, einhalten konnte. Jedoch nach und nach wurden meine Augen mit dem Dunkel vertraut, und ich kam mit geringer Mühe vorwärts, indem ich mich an die Rockschöße meines Freundes klammerte. Er brachte mich endlich; nachdem wir unzähligen engen Durchgängen gefolgt waren, vor einen mit Eisen beschlagenen Koffer von der Art, wie man sie wohl benutzt, um Porzellan zu verwahren. Er war bald vier Fuß hoch und über sechs Fuß lang, jedoch äußerst schmal. Zwei große leere Ölfässer waren auf ihn gerollt, und darüber lagen Strohmatten bis zur Decke emporgetürmt. Ringsherum keilte sich ein Chaos jeder Gattung von Schiffsgerät ineinander, dazu eine bunte Menge von Körben, Fässern, Ballen, so daß es mir wie ein Wunder erschien, daß wir überhaupt zu diesem Koffer durchgedrungen waren. Später entdeckte ich, daß Augustus die Gegenstände absichtlich so verstaut hatte, damit ich vollständig im Verborgenen bleiben könnte; bei seiner Arbeit hatte ihn nur ein einziger Mann unterstützt, und dieser sollte nicht an der Seereise teilnehmen.