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Michaela Baumgartner

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Beschreibung

Nach einer Englandreise kehrt Fanny, die bezaubernde Tochter des Grafen Wohlleben, zurück nach Wien. Das lang ersehnte Wiedersehen mit ihrer großen Liebe Paul Faber lässt jedoch leider auf sich warten - das mysteriöse Verschwinden des Textilfabrikanten gibt nicht nur ihr Rätsel auf. Um sich abzulenken, stürzt sich Fanny voller Enthusiasmus in die Gestaltung ihres Gartenpalais. Doch als sie bei einem Pferderennen dem charismatischen ungarischen Magnaten Gyula Graf Erdélyi begegnet, wird ihre Liebe zu Paul auf eine harte Probe gestellt. Wird sie seiner Anziehungskraft erliegen?

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Michaela Baumgartner

Der Blumenkavalier

Sehnsucht im Palais

Zum Buch

Willkommen im romantischen Wien! Nach einem Aufenthalt in England reist die junge, lebenshungrige Fanny Wohlleben mit ihrer schwangeren Schwester Sophie zurück in ihre Heimatstadt. Das ungeduldig herbeigesehnte Wiedersehen mit dem Textilfabrikanten Paul Faber lässt zu Fannys großer Enttäuschung jedoch auf sich warten – sein mysteriöses Verschwinden bereitet nicht nur ihr Kopfzerbrechen. Um sich abzulenken, stürzt sie sich voller Enthusiasmus in die Gestaltung ihres Gartenpalais. Die Begegnung mit dem berühmten ungarischen Pferdezüchter Gyula Graf Erdélyi stellt ihre Liebe zu Paul allerdings auf eine harte Probe.

Sophie, nach dem Bruch mit ihrer Schwiegermutter in England gesellschaftlich isoliert und von Zweifeln gequält, findet Rat und Hilfe bei ihrer treuen Freundin Emilia. Die frischgebackene Komtesse, die nun endlich den Traum von einem eigenen Mode-Atelier verwirklichen kann, fühlt sich zu ihrem Anwalt Timotheus Baron Artstetten hingezogen, sein konservatives Frauenbild lässt sie allerdings zögern, seinen Antrag anzunehmen. Ob es Fannys Bruder Georg gelingt, Emilias Verlobung zu verhindern und das Herz der Couturière zu erobern?

Michaela Baumgartner studierte Geschichte, Germanistik und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien. Die promovierte Historikerin war zunächst als Sachbuch-Lektorin, Kommunikationstrainerin und freie Journalistin bei verschiedenen Tageszeitungen und Magazinen tätig. Im Anschluss daran leitete sie viele Jahre lang eine Agentur für Öffentlichkeitsarbeit und Corporate Publishing in Wien. Mit ihren Romanen möchte die gebürtige Oberösterreicherin und gelernte Buchhändlerin das traditionsreiche Genre des englischen Regency-Romans um eine österreichische Variante bereichern.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Christine Braun

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung der Bilder von: © JM Soedher / stock.adobe.com und Kathy / stock.adobe.com

ISBN 978-3-8392-7570-2

Zitat

»Nach der Musik wird hier gewiss keine von den schönen Künsten mehr getrieben als die Gartenkunst.«

Christoph Martin Wieland

Zum Inhalt

Prolog

1. Kapitel

Ein Königreich für ein Pferd • Rosen, Tulpen, Nelken • Sirenengesang auf Westham Hall • Armer Artstetten • Des Freiherrn große Liebe • Reise mit Hindernissen • Drei Damen beim Goûter • Ein Traum wird wahr

2. Kapitel

Endlich zu Hause! • Tante Louise bläst den Marsch • Im Schauspielhaus • Freundinnen fürs Leben • Praterg’schichten • Der falsche Lord • Ein Schwan am Land • Aphrodites List • A schöne Leich • Brief an Lady Catherine

3. Kapitel

Tulpenfieber • Déjà-vu • Fanny erinnert sich • Die Mondgöttin • So ein Schlamassel! • An der langen Leine • Egészségére!

4. Kapitel

Artstettens Niederlage • Im Tanzpalast • Caroline lernt die Liebe • Das Paradiesgartl des Friedrich von Gentz

5. Kapitel

Des Widerspenstigen Zähmung • Kaiser Franz kehrt zurück • Halb zog sie ihn, halb sank er hin • Endlich! • Die Frage aller Fragen • Ein besonderer Sommer • Überraschung für Stani • Eine denkwürdige Begegnung

6. Kapitel

Bei Hermine Hofstadler ohne Mama • Im Silbernen Kaffeehaus • Eildepesche aus England • Herr Niedermayer und seine Geschäfte • Was für ein wilder Ritt! • Ein fürstliches Geschenk • Edward! • Fannys Geburtstag

7. Kapitel

Gute Nachrichten für Martha • Über den Dächern von Konstantinopel • Ein Teller Suppe für einen Bettler • Es geht los! • Nachwuchs für die Wohllebens • Die Hiobsbotschaft • Zwischen Schafen und Ziegen

8. Kapitel

Couture Viennoise • Leni will mehr • Das nächste Rennen • Emilias großer Tag • Wiedersehen mit Paul

Epilog

Anhang

Sag’s durch die Blume

Verzeichnis historischer Personen

Prolog

»Hast du den Verstand verloren, Paul? Dein Leben aufs Spiel zu setzen – für dieses Mädchen! Bist du dir eigentlich bewusst, wie gefährlich dein Vorhaben ist?« Martha Faber ließ ihrem Unwillen freien Lauf, wie immer trug sie ihr Herz auf der Zunge. »Und nicht nur das. Du wirfst deinen ganzen Stolz über Bord, setzt deine Familie Spott und Hohn aus. Denk doch einmal auch an mich. Also wirklich, dein Vater würde sich im Grabe umdrehen.«

Jetzt, da ihr Sohn sie über seine Pläne in Kenntnis gesetzt hatte, gab es für sie kein Halten. Diese Schwärmerei für die jung verwitwete Gräfin Keynitz war ihr von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen. Und seit sie erfahren hatte, dass Emilia, das reizende Fräulein Esposito, plötzlich Komtesse geworden war, hatte sie ihre letzte Hoffnung begraben müssen, Paul würde endlich Vernunft annehmen und um Emilias Hand anhalten.

»Ich bitte dich, überleg es dir noch einmal. Du riskierst Kopf und Kragen. Was tust du, wenn sie dich nicht will?«

»Ich liebe Fanny und werde alles in meiner Macht Stehende unternehmen, um sie eines Tages zu meiner Frau zu machen«, entgegnete Paul ungehalten.

»Aber ihre Familie! Vergiss nicht, die Wohllebens sind alteingesessener Wiener Adel. Du wirst doch nicht ernsthaft annehmen, dass sie dich als Schwiegersohn akzeptieren.« Am Zucken seines rechten Augenlids erkannte sie, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte. »Mag sein, dass die Gräfin deine Shawls schätzt, aber das macht dich noch lange nicht zu einer passenden Partie für ihre Jüngste«, setzte sie nach. »Wie kannst du nur so naiv sein! Du bist doch nicht mehr als eine kokette Marotte gelangweilter Damen der Gesellschaft. Und damit meine ich sowohl die Mutter als auch die Tochter.«

»Jetzt ist es aber genug!«, schnaubte Paul wütend. »Du gehst zu weit! Ich breche noch heute auf, daran werden auch deine unerfreulichen Tiraden nichts ändern. In wenigen Monaten werde ich zurück sein. Und ich hoffe, du wirst bis dahin deine Meinung geändert haben.«

»Und wie soll ich die Fabrik in deiner Abwesenheit weiterführen?« Martha klang verzweifelt.

»Du hast genug Erfahrung und fähige Leute an der Seite, das weißt du so gut wie ich«, entgegnete er scharf. »Es tut mir leid, dass du dich so unversöhnlich zeigst.« Er räusperte sich. »Leb wohl.«

»Bitte«, erwiderte sie leise.

»Nein, Mutter. Unter diesen Umständen gibt es nichts mehr zu sagen.« Nach einer steifen Umarmung verließ er den Raum.

Niedergeschlagen betrachtete Martha den Weihnachtsbaum, den sie nach dem Vorbild der Baronin von Arnstein heuer zum ersten Mal in ihrem Salon hatte aufstellen lassen. Wie sehr sie sich gewünscht hatte, das Fest mit Emilia und Paul zu feiern. Sie konnte kaum fassen, wie unbarmherzig das Schicksal ihre Träume zerstört hatte.

1. Kapitel

Mathilde Gräfin Wohlleben nahm ihr Lorgnon ab und legte den Brief zur Seite. Ein zufriedenes Lächeln umspielte ihre Lippen. Fanny entwickelte sich prächtig. England schien ihrer eigensinnigen Jüngsten außerordentlich gut zu bekommen. Wer hätte das gedacht? Während Sophie das Wetter beklagte, die häufige Abwesenheit ihres Gemahls Edward Lewis Jonathan, des achten Earl of Thornfield, die mangelnde Feinsinnigkeit und das fehlende Modebewusstsein der Engländer im Allgemeinen und der Damen der Gesellschaft im Besonderen, schwärmte ihre kleine Schwester von den weitläufigen Parkanlagen, der ungezähmten Landschaft und den Pferden. Vor allem den Pferden.

Fanny war schon als Kind eine außergewöhnlich begabte Reiterin gewesen, wohingegen die riesigen, hufeisenbewehrten Vierbeiner Mathilde noch heute schreckliche Angst einflößten. Natürlich würde sie diese kleine Schwäche niemals eingestehen, nicht einmal ihr Gemahl wusste davon. Sie hatte lediglich ihrem Unmut über Fannys neu entflammte Leidenschaft Ausdruck verliehen. Friedrich jedoch zeigte wie immer keinerlei Verständnis für ihre Sorgen. Im Gegenteil. Er schien diese gefährliche Neigung seiner Tochter uneingeschränkt gutzuheißen.

»Da hat unser Wildfang ja endlich jemanden gefunden, der ihr Paroli bieten kann«, hatte er lachend bemerkt.

Mathilde seufzte. Die Schilderungen ihrer Ausritte, das Fohlen ihrer Lieblingsstute oder Edwards neuer Hengst füllten Seite um Seite. Nach der Erwähnung eines gewissen Herrn, der Mathilde mittlerweile geradezu ans Herz gewachsen war, suchte sie vergeblich. Sie rückte ihren burgunderroten Shawl zurecht, der ihr über die Schulter geglitten war. Wie wunderbar weich und zart er sich anfühlte. Paul Faber verstand sein Geschäft. Darüber hinaus sah der reiche Textilfabrikant hervorragend aus, war nicht nur charmant, sondern auch gebildet. Er liebte ihre Jüngste aufrichtig und hatte, davon war Mathilde überzeugt, noch Großes vor sich. Pauls einziger Makel, seine bürgerliche Herkunft, würde nicht mehr länger ein Hindernis darstellen. Graf Wohllebens Einfluss bei Hofe hatte nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass Herr Faber vor Kurzem zum k. k. Hoflieferanten ernannt und in den Adelsstand erhoben worden war. Es war Mathildes Idee gewesen, der Kaiserin bei einem informellen Diner in der Hofburg en passant Fabers neue Kollektion zu überreichen. Die stets kränkelnde Maria Ludovika war so angetan gewesen, dass sie bei ihrem Gemahl umgehend ein gutes Wort für den Shawlfabrikanten eingelegt hatte. Auch wenn es mit der Ehe des Kaiserpaares seit langer Zeit nicht zum Besten stand – der Altersunterschied war beträchtlich, die Ansichten zu unterschiedlich, das Misstrauen der Kaiserin gegenüber Außenminister Metternich zu groß –, erfüllte Franz der labile Gesundheitszustand seiner Gemahlin mit größter Besorgnis. Bei Hof wurde gemunkelt, er gäbe dem kürzlich zu Ende gegangenen Kongress die Schuld. Er war der festen Überzeugung, sie habe sich als Gastgeberin weit über Gebühr verausgabt. Jedenfalls hatte der Kaiser Paul Fabers herzerwärmende Geschenke wohlwollend zur Kenntnis genommen und sich umgehend erkenntlich gezeigt.

Paul Ritter von Faber. Nachdenklich nahm Mathilde ihre Stickerei zur Hand. Dass sie ihm von Anfang an Sympathie entgegengebracht hatte, war sowohl bei ihrem Gemahl als auch bei ihrer Schwester Louise und sogar bei Sophie auf leise Verwunderung gestoßen. Wenigstens Louise hätte ahnen müssen, warum. Hatte sie es nicht auch gesehen? Wie sehr Paul ihrem Vater ähnelte? Die stattliche Gestalt, das sandfarbene Haar, die grünen Augen. Vor allem aber sein ruhiges, klares Wesen. Sie betrachtete das Gemälde über dem Kamin, das ihren Vater in Galauniform zeigte. Als ranghoher Offizier war Oberst Leopold Arnitz nach 30 Jahren Militärdienst in den Adelsstand erhoben worden. Kurz danach hatte Louise mit dem wesentlich älteren Baron Lilienthal eine ausgezeichnete Partie gemacht. Und als dann der junge Graf Wohlleben um Mathildes Hand angehalten hatte, konnten ihre Eltern ihr Glück kaum fassen. Friedrichs Familie hingegen war von dieser Verbindung alles andere als angetan gewesen, hatte sie doch eine entfernt verwandte preußische Prinzessin für ihren Erstgeborenen ins Auge gefasst, die bedeutend älter als er und nicht unbedingt eine Schönheit zu nennen war. Wen kümmerte das schon, hatten Friedrichs Eltern gedacht.

Mit einem tiefen Seufzer rieb sie sich ihren schmerzenden Rücken. Friedrich hatte es gekümmert. Er hatte sie, die blutjunge Mathilde von Arnitz, gegen den Willen seiner Eltern zur Frau genommen.

Mathilde schauderte. Die Erinnerung an ihre Verlobungszeit und die ersten Monate ihrer Ehe gehörten zu den schlimmsten ihres Lebens. Jeder auch noch so kleine Fehler, jede ungebührliche Äußerung waren mit Tadel, Spott, Missachtung und, was noch schlimmer war, Geringschätzung gestraft worden. Die Leichtigkeit und Unbefangenheit ihrer Jugend waren dahin gewesen. Aber sie hatte schnell gelernt sich anzupassen, ihre wahren Empfindungen zu verstecken, ihre Meinung nicht kundzutun und möglichst wenig aufzufallen. Schon im ersten Jahr ihrer Ehe hatte sie der Familie Wohlleben den ersehnten Erben geschenkt, und ihre Position hatte sich nach Georgs Geburt deutlich verbessert. Dennoch weinte sie ihren Schwiegereltern bis heute keine Träne nach.

Sie ließ den Rahmen sinken und betrachtete prüfend das Stickbild. Diese Rosen mit den komplizierten Ranken waren ihr vorzüglich gelungen. Was Paul Faber betraf: Die Baronie würde schon noch folgen. Und wenn sie es sich recht überlegte, hatte Fannys Faible für Sophies neue Heimat auch sein Gutes. Mathilde erhob sich. Wenigstens schien die Tugendhaftigkeit ihrer ebenso wankelmütigen wie leichtsinnigen Tochter im fernen England und unter der Obhut ihrer Schwester gewahrt zu bleiben. Sophie hatte zu ihrer grenzenlosen Erleichterung bisher jedenfalls nichts Gegenteiliges berichtet.

*

Besorgt blickte Sophie ihrer kleinen Schwester hinterher. Mit den Worten »Er muss doch auch bewegt werden« hatte Fanny ausgerechnet Brandy, das temperamentvollste Pferd von allen, entgegen den Warnungen des Stallmeisters allein aus seiner Box geführt. Nun preschte sie davon wie eine Wilde, natürlich nicht im Damensattel. Woher sie ihre Reithose hatte, konnte Sophie trotz strengster Befragung des Butlers und der Hausdame nicht in Erfahrung bringen. Vom ersten Tag an hatte Fanny das Personal um die Finger gewickelt, während Sophie nach dem dramatischen Rückzug von Lady Catherine alle Hände voll zu tun hatte, als neue Herrin von Westham Hall den gebührenden Respekt einzufordern. Niemand wusste von den Intrigen ihrer Schwiegermutter und wie übel sie ihr mitgespielt hatte. So konnte Sophie es den Dienstboten nicht verübeln, dass sie ihr, der Ausländerin, misstrauisch und distanziert gegenübertraten.

Sophie fröstelte. Sie sollte sich langsam an das feuchtkalte englische Wetter gewöhnt haben und sich passender kleiden. Aber diese schweren englischen Stoffe waren so furchtbar unangenehm zu tragen. Gedankenversunken ging sie zurück ins Haus. Hätte sie ihrer Mutter gegenüber Fannys neue Leidenschaft besser nicht erwähnen sollen? Sophie zuckte die Achseln. Sonst gab es eben nicht viel zu berichten. Das Leben auf dem Lande war eintönig und langweilig. Wäre nicht London nur eine Tagesreise entfernt, sie würde verzweifeln. Neben ihren Museumsbesuchen – sie verbrachte Stunden im British Museum – und der Einrichtung einer umfassenden Bibliothek in ihrem Stadtpalais vertrieb sich Sophie die Zeit mit Bällen, Diners und Soireen bei Hof, zu denen sie und Edward geladen waren. Zu ihrer eigenen Überraschung, denn früher hatten sie derlei Verpflichtungen eher gelangweilt. Edwards Gegenwart und seine geistreiche Konversation jedoch – sie war amüsant, ohne je in oberflächliche Banalität abzugleiten – machten ihr den Umgang mit der Londoner Gesellschaft mittlerweile durchaus erträglich.

Dass Fanny an der glamourösen Saison nicht teilnehmen durfte, war Sophie von Anfang an klar gewesen. Schließlich befand sich Fanny noch in ihrem Trauerjahr. Sie hatte ihren Gemahl, Philipp Graf Keynitz, wenige Monate nach der Eheschließung bei einer der letzten Schlachten der Napoleonischen Kriege verloren und trug deshalb noch Witwenkleider. Sophie hatte größte Befürchtungen gehegt, wie die lebenslustige Fanny die Nachricht, keine gesellschaftlichen Veranstaltungen besuchen zu dürfen, aufnehmen würde. London war nicht Wien, aber Gerede gab es überall. Doch Fanny hatte Sophies sorgfältig zurechtgelegte Worte gleichmütig zur Kenntnis genommen und war in groben Stiefeln und ihrem wattierten Wickler in den Park gestürmt, um den jungen Thomas McElroy zu treffen, der ihr im Glashaus seine jüngste Neuerwerbung vorstellen wollte.

McElroy war, wie sein Vater und zuvor sein Großvater, Gärtner der Familie Thornfield, die Neuerwerbung eine seltene Hyazinthe aus Griechenland. Fanny sollte zusehen, wie er die Brutknollen entfernte, um sie zu vermehren. Sie würde sie mit nach Wien nehmen, hatte sie Sophie aufgeregt erzählt. So wie Aurikel, Pelargonien, Chrysanthemen, Nelken, Rhododendren, Kamelien, Rosen und Tulpen, Fannys Lieblingsblumen. Stundenlang studierte sie die Sammlung von Kupferstichen, mit deren Hilfe Thomas ihr beibrachte, die unterschiedlichen Sorten voneinander zu unterscheiden. Sie alle würden den Park ihres neuen Gartenpalais in Wien zieren. Fanny platzte vor Stolz, wenn sie über die Anlage ihres Parks sprach. Und Sophie war ebenso erstaunt wie glücklich. Noch nie hatte sie Fanny so ausgeglichen erlebt. Nicht einmal die Tatsache, dass Paul Faber vom Erdboden verschluckt schien, vermochte das seelische Wohlbefinden ihrer kleinen Schwester zu beeinträchtigen. Dabei hatte sich Fanny – ungeachtet der Tatsache, dass sie zu diesem Zeitpunkt verheiratet und guter Hoffnung gewesen war – bereits bei ihrer ersten Begegnung im Park des Schlosses Schönbrunn zu Beginn des letzten Sommers Hals über Kopf in den charismatischen Entrepreneur verliebt. Nach dem tragischen Verlust ihres Kindes und ihres Gemahls hatte Paul seine ursprüngliche Zurückhaltung endlich aufgegeben und sich Fanny erklärt. Sein Versprechen, sie in Paris zu besuchen, hatte er gehalten. Es war die erste Station auf ihrer Reise nach England gewesen, und Paul hatte ihr zum Abschied ein herzförmiges Medaillon überreicht. Voll Stolz hatte Fanny ihrer Schwester die Gravur auf der Rückseite des Schmuckstücks gezeigt: »Auf ewig dein«. Doch Pauls Verhalten stand in krassem Widerspruch zu diesen schlichten Worten. Seither kein Brief, kein Besuch und kein Wort ihrer Mutter.

Sophie war glücklich, Fanny bei sich zu haben. Ihre umtriebige Schwester hatte die Aussicht, das Trauerjahr allein bei ihren Eltern in Wien verbringen zu müssen, mit tiefem Grauen erfüllt. So hatte sie sich zu der Entscheidung durchgerungen, Paul Lebewohl zu sagen und Sophie nach England zu begleiten. Nur ein einziges Mal, kurz nach Sophies Geburtstag Mitte Februar, hatte Fanny Pauls rätselhaftes Verhalten zur Sprache gebracht.

»Denkst du, er hat mich vergessen?«, hatte sie gefragt, während sie in ihr Reitkostüm schlüpfte.

»Ganz sicher nicht«, hatte Sophie erwidert und gehofft, überzeugter zu klingen, als sie sich fühlte.

Fanny hatte sie ruhig und mit großen Augen angesehen. »Gut, dass du das sagst. Das glaube ich nämlich auch.« Zufrieden hatte sie die Reitgerte geschnappt. »Paul wird mich nie vergessen.«

So waren die Wochen ohne größere Turbulenzen dahingeplätschert, und ehe sie sich’s versahen, begannen die Tage wieder länger zu werden.

Sophie schenkte dem Diener, der das schwere Eingangstor hinter ihr schloss, kaum Beachtung. Sie hatte längst einsehen müssen, dass kein Lächeln, kein freundliches Wort von ihr auf Erwiderung stieß. Also konnte sie es ebenso gut lassen. Und dann diese schrecklich finstere Eingangshalle.

»Doktor Watson«, begrüßte sie den Herrn mittleren Alters, der sich aus dem Sofa vor dem Kamin erhob und sich ehrerbietig verneigte. »Folgen Sie mir. Ich bin bereit.«

*

Edward betrachtete sie besorgt. Ihm war nicht entgangen, dass seine Gemahlin seit einiger Zeit blass und müde wirkte. England schien ihr nicht zu bekommen, obwohl er alles getan hatte, um Sophie das Leben in seiner Heimat so angenehm wie möglich zu gestalten. Seine Mutter, Lady Catherine, traf er selten und ausschließlich allein. Seit ihrem erzwungenen Besuch in Wien hatte sie, Edwards Anweisung entsprechend, ihren Familiensitz in Canterbury nicht mehr betreten und stattdessen ihr Stadthaus in London bezogen. Er mied alle Veranstaltungen, an denen sie teilnahm, um Sophie ein peinliches Zusammentreffen zu ersparen. Und er hatte seiner Gemahlin als verspätete Morgengabe ein geräumiges Palais in Londons bester Lage geschenkt, das sie mit Begeisterung einrichtete. Dennoch – sie schien sich hier nicht zu Hause zu fühlen. Edward war rat- und hilflos. Was könnte er noch tun, um sie glücklich zu machen?

»Du bist so still?« Er küsste sie auf die Stirn. Ihre sonst so strahlend blauen Augen wirkten ein wenig trüb und traurig. »Was ist mit dir?«

Sophie atmete tief ein und straffte ihre Schultern. Sie musste es ihm sagen, selbst wenn sie ihre eigenen Gefühle noch nicht geordnet hatte. Natürlich war ihr klar, dass Kinder zu einer Ehe nun einmal dazugehörten. Tief in ihrem Innersten hatte sie jedoch gehofft, noch mehr Zeit allein mit Edward verbringen zu können, um ihr junges Glück in vollen Zügen zu genießen, heimisch zu werden in diesem Land, das ihr fremder erschien als die fernsten Länder in ihrer Fantasie. Und vielleicht die eine oder andere Reise zu unternehmen. Wie würde Edward auf diese Nachricht reagieren? Sie hatten nie darüber gesprochen, wie es wäre, Eltern zu sein, die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen. Was für eine Art Vater würde er sein? Würde ein Kind sich zwischen sie und ihre gemeinsamen Träume stellen oder ihre Verbindung weiter erstarken lassen? Und was war mit seiner Mutter, der zukünftigen Großmutter? Würde Lady Catherine ihr Enkelkind lieben, sich jemals mit ihr versöhnen und sie als Schwiegertochter akzeptieren? Oder ihre Missachtung auf das unschuldige Kind übertragen? All diese Fragen quälten sie, vor allem in der Nacht. Immer wieder mahnte sie sich, nicht zu viel nachzudenken. Aber es mochte ihr nicht gelingen.

»Edward, ich bin guter Hoffnung.«

Die Worte waren einfach so aus ihrem Mund gepurzelt.

Ungläubig starrte er sie an. Vor wenigen Monaten noch hatte er ernsthafte Zweifel am Bestand seiner Ehe gehegt, und nun … »Sophie, mein Gott, wie wunderbar!« Er schloss sie in die Arme und küsste sie leidenschaftlich. Das war also der Grund für die schlechte Verfassung seiner Gemahlin! Eine Woge der Erleichterung brandete über ihn hinweg. »Und es ist wirklich wahr?« Er konnte es kaum glauben. »Seit wann hast du Gewissheit?«

»Seit einigen Tagen. Du warst in London, deshalb hast du Doktor Watsons Visitation nicht bemerkt.«

»Ist alles in Ordnung? Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Du warst so blass in den letzten Tagen. Ich hatte Angst, du wärest krank.«

Sie lachte. »Ein wenig fühle ich mich auch so. Aber ich bin vollkommen gesund, es ist alles in Ordnung.«

Da hob Edward sie hoch und wirbelte sie übermütig durchs Zimmer. Er war vor Freude völlig außer sich.

»Edward!« Sie trommelte mit ihren Fäusten auf seine Schultern. »Lass mich runter. Mir wird übel.«

Vorsichtig setzte er sie auf dem Sofa ab und half ihr, sich bequem zu betten. »Verzeih! Aber du machst mich zum glücklichsten Mann der Welt. Du schenkst mir einen Erben, und das so kurz nach unserer Hochzeit.«

Erleichtert schmiegte sie sich an ihn. Sein Glück schwemmte all ihre Bedenken hinweg. Allerdings … »Was, wenn es ein Mädchen wird?«

Erstaunt sah er sie an. »Dann wird es eben eine kleine Lady. Wenn sie auch nur eine deiner zahllosen Tugenden besitzt, würde ich mir an deiner Stelle eher Gedanken über ihre Erziehung machen. Mich wird sie jedenfalls sofort um den Finger wickeln.«

Sophie traten Tränen in die Augen. Wie sehr sie diesen Mann liebte!

Da war nur noch eines.

»Fanny wird in naher Zukunft nach Wien zurückkehren.«

Edward nickte, erstaunt über den Themenwechsel.

»Und ich werde mit ihr gehen.«

Fassungslos starrte er sie an. »Du willst mich verlassen? Es ist, weil du England hasst, nicht wahr?«

Angesichts seiner offensichtlichen Bestürzung lachte Sophie leise auf. »Nun, das wäre wohl eine recht passable Begründung, nicht wahr?«

»Aber warum …?«

Sophie beschloss, Edward nicht länger auf die Folter zu spannen. »Ich möchte Professor Boër konsultieren. Doktor Watson hat mich in dieser Entscheidung bestärkt. Boër ist eine international anerkannte Koryphäe auf dem Gebiet der Geburtshilfe. Außerdem sind meine Mutter und Tante Louise da, um mich zu unterstützen. Hier habe ich niemanden. Abgesehen von dir natürlich. Aber du wirst kaum meine Hand halten können, wenn das Kind zur Welt kommt. Die Anwesenheit des Gemahls bei einer Geburt wäre alles andere als schicklich.«

Edward, sichtlich erleichtert, strich ihr sanft übers Haar. »Könntest du nicht später reisen? Dann wären wir nicht so lange getrennt.«

»Ich weiß, der Arzt rät mir jedoch zu einem möglichst baldigen Antritt meiner Reise, um Komplikationen auszuschließen. Komm doch einfach nach, sobald deine parlamentarischen Verpflichtungen es erlauben. Du erinnerst dich sicher, wie schön der Sommer in Wien sein kann.« Sie lächelte maliziös.

Edward kapitulierte. »Gegen diesen Sirenengesang bin ich machtlos. Wie könnte ich je vergessen …«

Während er sprach, löste er mit aufreizender Langsamkeit ihr Fichu, das Tuch, das ihre Schultern bedeckte. Sophies Atem beschleunigte sich unter seinem intensiven Blick. Er öffnete ihr blondes, seidiges Haar, das sie lose hochgesteckt trug, und machte sich genussvoll an die kleinen Knöpfe an der Rückseite ihres Kleides. Sie erbebte, als seine Hände Zentimeter für Zentimeter ihres Körpers erkundeten. Lächelnd registrierte er, dass sie seiner Bitte nachgekommen war und auch heute wieder auf ihre heiß geliebten Unterhosen verzichtet hatte. Im Gegensatz zu diesem, wie er fand, unsäglichen Kleidungsstück, stellte das durchscheinende Seidenunterkleid – das Einzige, was sie jetzt noch trug – kein Hindernis dar. Im Gegenteil. Er liebte es, wie der kühle, zarte Stoff ihre Konturen umhüllte, einen Rest an Geheimnis bewahrte und dabei doch alles offenbarte. Rasend von seinen exquisiten Zärtlichkeiten gab sie sich ihm hemmungslos hin und bettelte schließlich um Erlösung. Sanft erstickte er ihren Schrei mit einem Kuss.

*

Timotheus Baron Artstetten war zufrieden. Sie sah heute wieder umwerfend aus, seine Komtesse Jurevich. Ihr dunkles Haar trug sie, wie so oft, straff aus der Stirn gekämmt und zu einem Nackenknoten geschlungen. Die weißen Seiden-Kamelien auf dem mit Perlen besetzten Hut nahmen der Frisur die Strenge. Dazu dieser flammend rote Felbel-Mantel mit den schwarz-weißen Federspitzen und die eleganten schwarzen Ziegenlederstiefel – er war hingerissen. Die bewundernden Blicke, die der jungen Dame folgten, während sie auf ihn zutrat, machten sein Glück vollkommen.

»Komtesse, Eure Schönheit wird nur noch durch Eure Eleganz übertroffen«, bemerkte er und küsste ihr die Hand.

Emilia entzog sie ihm, ein wenig zu schnell, und runzelte unwillig die Stirn. Dass er auch immer so übertreiben musste. Seiner glatten Höflichkeit fehlte jede Poesie. Sie stieg in die elegante Kutsche. Artstetten hatte ihr vor einigen Tagen voller Stolz seine Neuerwerbung präsentiert – eine viersitzige geschlossene Berline – und sie zu einer Ausfahrt in den Prater eingeladen. Angesichts des strahlenden Wetters erschien ihr sein Vorschlag trotz der klirrenden Kälte ursprünglich eine gute Idee zu sein.

»Ihr seid so still.« Der Baron musterte sie irritiert. Sosehr er die Komtesse verehrte, manchmal wünschte er sich, sie wäre sanfter und weniger bestimmt. Um nicht zu sagen direkt. Natürlich bewunderte er sie. Keine der Damen, die er bisher kennenlernen durfte, und – er strich mit den Fingerspitzen über seinen gepflegten Schnurrbart – es waren nicht wenige gewesen, war so deliziös und einzigartig wie sie. Mit atemberaubender Geschwindigkeit hatte sie ihren Umzug aus diesem wenig erfreulichen Vorort in das entzückende Palais in der zurzeit sehr begehrten Jägerzeile geregelt. Es war ein Geschenk ihrer Großeltern, die sich in jeder Hinsicht als überaus großzügig erwiesen, die Apanage war geradezu fürstlich …

Seine Gedanken schweiften ab, zu ihrer ersten Begegnung im Atelier des Seidenfabrikanten Alois Pointner am Brillantengrund. Sie war ihm schon damals aufgefallen. Trotz ihres schlichten schwarzen Kleides und der unförmigen Arbeitsschürze war sie an Klasse ihrer Kundin, er korrigierte sich, Freundin Lady Thornfield um nichts nachgestanden. Freilich hätte er zum damaligen Zeitpunkt eine ernsthafte Verbindung nicht in Erwägung gezogen. Emilia hatte als Schneiderin in der Pointner’schen Seidenmanufaktur gearbeitet und ihre aristokratische Herkunft geheim gehalten. Jetzt jedoch – er griff nach der kleinen Schatulle, die sich in der Innentasche seines Fracks verbarg – wartete er nur noch auf einen geeigneten Moment, um ihre aussichtsreiche Beziehung zu besiegeln. Dieser schien bedauerlicherweise ein wenig in die Ferne zu rücken. Seine Angebetete mied seinen Blick und starrte aus dem Fenster. Der Zug um ihren Mund verhieß nichts Gutes. Was hatte er nun schon wieder falsch gemacht? Baron Artstetten räusperte sich.

»Habt Ihr Euch in Eurem neuen Zuhause bereits angenehm eingerichtet?«, startete er einen weiteren Versuch, eine Konversation in Gang zu bringen. Sie hatte sich nicht einmal zu der prächtigen Innenausstattung seiner neuen Kutsche geäußert.

Emilia nickte und schwieg weiterhin beharrlich.

»Und wie seid Ihr mit Herrn Pointner verblieben?« Ehe er sich’s versah, war ihm diese überaus heikle Frage entglitten. Kein kluger Schachzug, tadelte er sich. Ihm als gewieften Anwalt hätte so ein Fehler nicht passieren dürfen. Die Stimmung der Komtesse näherte sich ohnehin dem Gefrierpunkt, und dann das.

Erwartungsgemäß einsilbig fiel ihre Antwort aus. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.«

Emilia begann innerlich zu kochen. Glaubte er wirklich, sie würde nur im Traum daran denken, ihre Vision von einem eigenen Atelier aufzugeben? Ausgerechnet jetzt, da ihr dank der Großzügigkeit ihrer Großeltern, die an ihr alles wiedergutzumachen gedachten, was sie an ihrer Tochter gefehlt hatten, die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung standen. Es war ein Brief gewesen, der vor wenigen Monaten alles ins Rollen gebracht hatte. Emilias Mutter entstammte einem alteingesessenen Fiumer Adelsgeschlecht, das hatte Emilia ihrer Freundin Sophie beim ersten Besuch im Sommersitz der Familie Wohlleben anvertraut. Doch nach der Heirat mit Emilias Vater, einem glutäugigen Italiener einfacher Herkunft, hatte ihre Mutter die Heimat verlassen und den Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen. Obwohl Emilias Großeltern diese Mesalliance nie gutgeheißen hatten, hatten sie den endgültigen Bruch mit ihrer Tochter nie verwunden. Über ihren frühen Tod waren sie erst Jahre später informiert worden. Ohne Emilias Wissen hatte Sophie schließlich brieflich Kontakt zu Graf und Gräfin Jurevich aufgenommen. Diese hatten daraufhin keine Kosten und Mühen gescheut und trotz ihres hohen Alters die anstrengende Reise von Fiume nach Wien in Kauf genommen, um ihre Enkelin endlich in die Arme schließen zu können. Und nicht nur das. Mit ihrer Adoption und einer überaus großzügigen Apanage hatten sie Emilia in den Rang einer Komtesse erhoben und ihr ein standesgemäßes Leben ermöglicht. Doch trotz all dieser neu erworbenen Privilegien dachte sie nicht im Mindesten daran, ihre Unabhängigkeit aufzugeben.

Sie presste die Lippen aufeinander. Artstetten kannte ihre Einstellung. Warum provozierte er eine erneute Auseinandersetzung? Noch dazu in dieser engen Kutsche. Sie öffnete ihren Mantel. Es war wirklich heiß hier drinnen.

»Das Wetter ist absolut ungewöhnlich, findet Ihr nicht auch? So kalt war es im März seit Jahren nicht mehr. Hoffentlich folgt auf diesen verdrießlichen Winter ein umso schönerer Sommer«, versuchte er verzweifelt, die verfahrene Situation mit einem unverfänglichen Thema zu retten.

»Ich weiß nicht, was Ihr habt«, schleuderte sie ihm verärgert entgegen. »Es ist doch wunderschön draußen.«

Artstetten nahm seinen Zylinder ab und strich sich die Haare hinter die Ohren. Eine Geste, die so hilflos wirkte, dass Emilia Mitleid mit ihm bekam.

»Ihr wisst doch, dass wir unterschiedlicher Meinung sind in dieser Sache«, fuhr sie sanfter gestimmt fort. »Ich finde, dass auch eine Dame von Stand durchaus einer Beschäftigung nachgehen kann. Noch dazu einer, die sie so sehr befriedigt. Und ich kann Eure Bedenken in keiner Weise teilen. Wir leben im 19. Jahrhundert. Die Welt dreht sich mit ungeheurer Geschwindigkeit, und die Zeiten sind vorbei, in denen eine Dame der Gesellschaft sich ihre Langeweile mit Klatsch und Tratsch, ihrer neuesten Garderobe und vielleicht noch einem Liebhaber vertreiben muss.«

»Ihr übertreibt maßlos«, entgegnete der Baron entsetzt. »Nie würde ich …« Er raufte sich verzweifelt die Haare.

Zu seiner größten Überraschung begann Emilia zu lachen. Artstettens Fassungslosigkeit rührte sie und brachte ihr in Erinnerung, warum sie sich in ihn verliebt hatte.

Erleichtert, dass der Bann gebrochen war – wenn auch aus ihm unerfindlichen Gründen –, ergriff er ihre Hand und küsste sie.

Emilia betrachtete ihn. Am Hinterkopf begann sich sein Haar bereits zu lichten, auch seine aufrechte Haltung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er für einen Mann etwas zu klein geraten war. Seine Körperfülle tat ihr Übriges, um diesen Makel noch zu betonen. Dennoch. Art­stetten hatte ein offenes, angenehmes Gesicht. In Wahrheit aber war es seine Fürsorglichkeit, die ihr verwundetes Herz erobert hatte, die ruhige Hand, mit der er, immer auf ihr Wohlergehen bedacht, alle Angelegenheiten geordnet hatte.

Nach ihrer Liaison mit Paul war er genau das, was sie brauchte. Zwar hatte sie selbst die leidenschaftliche Affäre mit ihrem alten Freund und Geschäftspartner beendet, aber die schmerzliche Erkenntnis, dass Paul nicht sie, sondern Fanny liebte, hatte sie tief getroffen. Als dann der junge Georg Graf Wohlleben auf den Plan getreten war, um ihr stürmisch den Hof zu machen, hatte sie plötzlich das dringende Bedürfnis nach Ruhe und Geborgenheit verspürt. Im Gegensatz zu Georgs ungestümer Schwärmerei war Art­stettens scheinbar bedingungslose Bewunderung Balsam auf ihre geschundene Seele. Kürzlich jedoch hatte sie einen Zug an ihm entdeckt, der ihre Gefühle für den Baron deutlich trübte. Sein überaus konventionelles Frauenbild offenbarte einen verqueren Hang zu Eitelkeit und Gefallsucht. Er schien die Schönheit seiner jeweiligen Begleitung nicht nur zu genießen, sondern sich bewusst mit ihr zu schmücken. Was für Emilia den Gedanken nahelegte, dass er darin fand, was ihm selbst nicht gegeben war. Zudem schien er in einer Dame kaum mehr als eine begehrenswerte Hülle zu sehen, denn jeder Widerspruch, jede Äußerung einer eigenen Meinung verdarben ihm die Stimmung. Am meisten jedoch störte Emilia der Eindruck, dass Artstetten trotz seiner Bildung und seines hohen Standes bei gesellschaftlichen Anlässen eine irritierende Devotheit an den Tag legte, einen geradezu verstörenden Drang nach Anerkennung, der ihn dazu zwang, sich in allem dem herrschenden Geschmack derjenigen anzupassen, die er als seiner eigenen Person überlegen betrachtete. Dieser Eindruck hatte sich verstärkt, als er ihrem Wunsch, ihr Geld in ein eigenes Atelier zu investieren, mit ungewohnter Schärfe entgegengetreten war.

Der Baron war ungeheuer erleichtert, dass die Auseinandersetzung nicht eskaliert war. Er bedeckte ihre Hand erst mit zarten Küssen, hauchte die liebevollsten Worte in ihr Ohr, um dann, ermutigt ob der Tatsache, dass sie sich nur kurz zur Wehr setzte, etwas forscher intimeres Terrain zu erkunden.

Beinahe unwillig registrierte Emilia, dass seine Anziehungskraft auf sie trotz allem keineswegs gelitten hatte. Dies war eine weitere Überraschung in den ersten Wochen ihrer Bekanntschaft gewesen. Artstettens äußere Attribute waren selbst bei wohlwollender Betrachtung bestenfalls als mittelmäßig einzustufen und hatten sie angesichts seines zurückhaltenden Wesens ursprünglich anderes erwarten lassen. Eines Besseren belehrt wurde sie eines Abends im Anschluss an ein opulentes Souper bei ihren Großeltern, die sich für die Dauer ihres Aufenthalts in Wien ein Palais in der Herrengasse gemietet hatten. Der Baron hatte an jenem Abend seine Zurückhaltung völlig über Bord geworfen.

Heute jedoch gebot sie ihm nach anfänglichem Zögern entschieden Einhalt. Ihr stand gerade nicht der Sinn nach einem amourösen Stelldichein in der engen Karosse, mochte sie noch so komfortabel gepolstert sein.

Der Baron, sichtlich enttäuscht, brachte seine Halsbinde gewissenhaft in Form und räusperte sich. Er war in seiner Eitelkeit verletzt und ließ, ganz gegen seine sonst so beherrschte Art, seinem Unmut freien Lauf. »Ich hoffe, Ihr werdet die richtige Entscheidung treffen und Euch endlich an die Tatsache gewöhnen, dass Euer neuer Stand«, verärgert registrierte Emilia die Arroganz in seinem Tonfall, »nicht nur Privilegien, sondern auch gewisse Verpflichtungen nach sich zieht. Es wäre ganz und gar nicht comme il faut, Kleider für Damen zu entwerfen, die am Ende sogar im Rang unter Euch stehen, ganz zu schweigen …«

»Ach, und Couture für Prinzessinnen und Fürstinnen zu kreieren, fändet Ihr angemessen?« Emilia starrte ihn entgeistert an. Artstetten schien zu vergessen, dass sie als Enkelin des Grafen und der Gräfin Jurevich im Rang auch über ihm stand.

Er ignorierte ihren Einwurf. »… ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Damen der Gesellschaft nicht berufstätig sind. Ein Engagement in wohltätigen Vereinen, ja, aber doch nicht gewöhnliche Lohnarbeit.« Artstetten schüttelte den Kopf. »Eine Schönheit wie Ihr, so klug, so gebildet.« Er betrachtete sie, während seine Verstimmung der jähen Erkenntnis wich, dass das begehrenswerteste Wesen, dem er je begegnet war, hier vor ihm saß, zum Greifen nah, und er auf dem besten Weg war, alles zu zerstören. Verzweifelt beschloss er, aufs Ganze zu gehen, stürzte auf die Knie – ein vom Rumpeln der Kutsche herbeigeführter Unfall –, nestelte die Schatulle aus der Innentasche seines Fracks und stellte Emilia endlich die Frage aller Fragen.

Er wagte kaum aufzusehen, als er ein perlendes Lachen vernahm.

»Ihr seid einfach zu komisch«, prustete Emilia los und half Artstetten, der im Begriff war, endgültig das Gleichgewicht zu verlieren, zurück auf die Bank. Unter seinem waidwunden Blick rang sie um Fassung. »Verzeiht.« Sie atmete tief durch. »Aber ich denke, angesichts unserer unterschiedlichen Meinungen zu diesem für mich wichtigen Thema sollten wir Ihre Frage, die mich aufrichtig ehrt, auf einen Zeitpunkt vertagen, der besser dazu geeignet ist, über eine gemeinsame Zukunft nachzudenken.«

Artstetten klappte die Schatulle zu. Das war zumindest kein Nein, noch war nicht alles verloren. »Dann darf ich also weiter hoffen?«, entgegnete er deutlich angeschlagen.

Emilia zog ein Taschentuch aus ihrem Retikül und trocknete sich die Augen. »Mein lieber Timotheus. Ihr wisst, wie sehr ich Euch schätze. Deshalb möchte ich ehrlich zu Euch sein. Solange Ihr Euren Standpunkt in dieser Sache nicht gründlich überdenkt, kann ich mir eine dauerhafte Verbindung zwischen uns nicht vorstellen.«

Artstetten nickte. Emilias Widerspenstigkeit missfiel ihm. Andererseits reizte sie ihn ungemein. Nachdenklich zwirbelte er seinen Moustache. Er ergriff ihre Hand und sah ihr tief in die Augen. »Ich verstehe. Meiner Liebe und Verehrung für Euch tut dies aber keinen Abbruch. Ich bin Euch auf ewig ergeben und immer für Euch da.«

Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend. Nach dem darauffolgenden Spaziergang und drei kleinen Gläsern Punsch waren beide deutlich besserer Stimmung und beschlossen auszugehen. Im Kärntnertortheater wurde am Abend dieses 7. März 1816 »Fidelio« gegeben. Wer könnte sich das entgehen lassen? Zumindest was Beethovens Genie betraf, war man ganz einer Meinung.

*

»Mein lieber Hofrat«, begrüßte Mathilde den soeben angekommenen Gast überschwänglich. Sie schätzte Friedrich von Gentz sehr. Mit seiner schlechten Haltung, dem schleichenden, unsicheren Gang, der seltsamen rötlichen Perücke und seinem altmodischen Aufzug war er zwar bei Gott keine Augenweide, aber über die Maßen klug und gebildet. Als engster Vertrauter des Fürsten Metternich und erster Sekretär und Protokollführer des Wiener Kongresses spielte er am kaiserlichen Hof eine wichtige politische Rolle. Mathildes Wertschätzung hatte allerdings wenig damit zu tun. Vielmehr hatten sein scheuer, wacher Blick hinter extravaganten Augengläsern und sein unaufdringlicher Charme sie schon bei ihrer ersten Begegnung auf einem Ball in den Redoutensälen für ihn eingenommen. Während des aufreibenden Kongressverlaufes hatte sich zwischen ihm und ihrem Gemahl eine gewisse Vertrautheit entwickelt. Der kunstsinnige Schriftsteller war zum Freund der Familie geworden.

»Liebste Gräfin«, Friedrich von Gentz verbeugte sich für einen formvollendeten Handkuss, »habt Dank für die Einladung. Sie erreichte mich in einem Moment höchster Verzweiflung. Ich saß heute stundenlang über einer heiklen Depesche nach Bukarest«, fügte er erklärend hinzu. »Und dann dieser Regen. Das Wetter ist überaus betrüblich, findet Ihr nicht auch?«

Mathilde nickte. »Ihr habt vollkommen recht. Ganz Wien spricht bereits über die andauernd schlechte Wetterlage. Doch eröffnet ein unerfreulicher Winter meist die Aussicht auf einen besonders schönen Sommer.«

»Euer Wort in Gottes Ohr.« Er neigte zweifelnd den Kopf. »Bald beginnt der Frühling und damit die Pflanzzeit. Aber wenn das so weitergeht …«

»Natürlich, Euer herrlicher Garten!«

»In Weinhaus bin ich am liebsten. Besonders wenn mich die Geschäfte fordern, so wie jetzt«, antwortete er. »Und wenn Krokusse und Narzissen sprießen … Ich habe in der letzten Saison ausgesprochen schöne Tulpen und Hyazinthen erstanden. Es wäre ein Jammer …«

Mathilde, die des Freiherrn Gartenliebe nicht unbedingt teilte, befürchtete einen ausschweifenden Erguss, der ihren Braten empfindlich gefährden könnte. Immerhin waren die übrigen Gäste bereits an der Tafel versammelt. So ergriff sie beherzt seinen Arm. »Lasst uns später weiter über Eure wundervollen Blumen parlieren. Der Kapaun ist Elsa heute vorzüglich gelungen.«

Friedrich von Gentz lachte auf. »Dann wollen wir nicht riskieren, dass der arme Vogel verbrennt.«

Plaudernd verließen sie den Empfangssalon. Schon nach wenigen Schritten wehten ihnen aus dem Speisezimmer vergnügte Stimmen und ein betörender Duft entgegen. Die Gäste hatten bereits Platz genommen.

Mit einem breiten Lächeln hieß Friedrich Graf Wohlleben den Nachzügler willkommen. »Ich befürchtete schon, Eure Geschäfte würden Euch unabkömmlich machen, mein lieber Gentz.«

Sie begrüßten einander mit festem Händedruck und einem herzlichen Schulterklopfen.

»So weit lasse ich es gewiss nicht kommen«, erwiderte der Freiherr und nickte Georg zu. Der junge Offizier und Sohn des Hauses hatte sich zu ihnen gesellt. Ein tüchtiger Bursche und tapferer Soldat, wie ihm zu Ohren gekommen war. Hatte sich bei den letzten Gefechten gegen die Franzosen einen Namen gemacht. Unauffällig sah er sich um. Dabei fiel sein Blick unvermittelt auf eine ihm bis dato unbekannte junge Dame.

Graf Wohlleben hob belustigt die Augenbraue. Gentz, der alte Charmeur, war dafür bekannt, weiblichen Reizen nur schwer widerstehen zu können. »Darf ich vorstellen, Komtesse Jurevich.«