Debütantenball - Michaela Baumgartner - E-Book

Debütantenball E-Book

Michaela Baumgartner

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Beschreibung

Der Kongress beginnt, die Reichshauptstadt vibriert. Auch im Haus des Grafen Friedrich von Wohlleben herrscht helle Aufregung, immerhin steht das gesellschaftliche Debüt seiner jüngsten Tochter Fanny kurz bevor. Doch nicht nur das. Mit ihren plötzlichen Kaprizen stiftet die kleine Komtesse allerhand Verwirrung, die sonst so besonnene Schwester Sophie tanzt unerwartet aus der Reihe und auch Bruder Georg, ein schneidiger Offizier, gerät völlig aus dem Takt …

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Michaela Baumgartner

Debütantenball

Historischer Roman aus dem alten Wien

Zum Buch

Wien 1814 Während der Kongress die große Welt neu ordnet, gerät die heile Welt der Familie Wohlleben aus den Fugen. Mit ihrer unbändigen Lebenslust bringt sich Nesthäkchen Fanny noch vor ihrem Debütentenball in große Schwierigkeiten. Zu spät erkennt sie, dass der Lebemann Karl von Trattenbach und seine Geliebte ein abgekartetes Spiel mit ihr treiben. Die vernünftige Sophie hingegen ist mit ihren zwanzig Jahren auf dem besten Weg, eine alte Jungfer zu werden. Sie träumt davon, die Welt zu entdecken. Da lernt sie den Forscher und Gelehrten Edward Baines kennen und verliert – nach Meinung ihrer Mutter – völlig den Verstand. Auch ihr älterer Bruder Georg gerät in diesen turbulenten Tagen aus dem Takt. Als schneidiger Offizier lässt er sich keine erotische Eskapade entgehen – bis er der Fürstin Katharina Pawlowna Bagration begegnet. Was er nicht ahnt: Die einflussreiche Agentin des Zaren Alexander und ehemalige Geliebte Metternichs verfolgt mit dieser Affäre ihre ganz eigenen Ziele.

Michaela Baumgartner studierte Geschichte, Germanistik und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien und arbeitete zunächst als Sachbuch-Lektorin und freie Journalistin bei verschiedenen Tageszeitungen und Nachrichtenmagazinen. Nach der Geburt ihrer Tochter war sie als Kommunikationstrainerin, vorwiegend für Schweizer Unternehmen, tätig. Mittlerweile leitet sie seit vielen Jahren eine Agentur für Öffentlichkeitsarbeit und Corporate Publishing in Wien. Mit ihrem Romandebüt will die gebürtige Ober­österreicherin und gelernte Buchhändlerin das traditionsreiche Genre des englischen Regency-Romans um eine österreichische Variante bereichern.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Christine Braun

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Bildes von: © https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Charles_Hermans#/media/File:Charles_Hermans_masquerade.png

ISBN 978-3-8392-6714-1

Inhalt

Zum Buch

Impressum

1. Kapitel

Salutschüsse am Wiener Kongress • Die Wohllebens • Georg, Stani und die Vorstadtmädchen • Nachrichten aus Leipzig

2. Kapitel

Zum Jahrestag der Völkerschlacht • Fanny verliebt sich • Metternichs Fest des Friedens • Baronin von Altenburg als Postillon d’Amour • In den Apollosälen

3. Kapitel

Louises Salon • Sophie begegnet Edward • Eine mächtige Feindin • Fanny führt alle an der Nase herum • Graf Friedrich spricht ein Machtwort • Edward erklärt sich

4. Kapitel

Das Komplott • Fanny verliert ihre Unschuld • Das Karussell in der Hofreitschule • Familie Wohlleben verliebt sich • Die erste Intrige • Stani verlässt Mitzi

5. Kapitel

Ärger um einen Hauch von Nichts • Edward tappt in die Falle • Die zweite Intrige • Edward reist ab • Beethovens glorreicher Augenblick

6. Kapitel

Sophie vergeht vor Liebeskummer • Quelle surprise • Elisabeths kleine Kuppelei • Ein Verlöbnis ist verbindlich • Mitzis letzte Weihnachten

7. Kapitel

Prosit 1815 • Fannys Debüt • Eine historische Schlittenfahrt • Fors Fortuna • Sophies Entscheidung • In der Wäschekammer • Daphnes stiller Sieg • Lord Thornfield kehrt zurück

Epilog

Anhang

Lesen Sie weiter …

1. Kapitel

»Endlich! Da seid ihr ja! Sophie, Fanny, packt das Nötigste. Sofort! Es ist Krieg. Das korsische Ungeheuer hat es tatsächlich bis nach Wien geschafft. Wir müssen fliehen!« Mathilde rannte händeringend auf und ab. »Und das ohne Papa. Was für eine Katastrophe!« Abrupt blieb sie stehen und starrte ihre Töchter fassungslos an. »Was ist – ihr lacht ja!«

Die beiden Mädchen schienen sich in der Tat königlich zu amüsieren, während ihre Mutter, mit derangierter Frisur und völlig verzweifelt, an diesem 25. September 1814 die Welt nicht mehr verstand.

»Ihr seid auch zu komisch, Mama«, kicherte Fanny und hüpfte aufgeregt um ihre Mutter herum.

»Was heißt hier … Kinder, da draußen wird geschossen! Sucht Josef, er soll die Kutsche anspannen, und die gute Dorothea …«

»Nicht doch, Mama. Wir sind nicht im Krieg – der Kongress hat vor wenigen Tagen begonnen«, versuchte Sophie, als ältere der beiden Schwestern die stets Vernünftige, ihre Mutter zu beruhigen. »Seit Monaten wird doch über nichts anderes gesprochen«, setzte sie fast ein wenig vorwurfsvoll hinzu.

Ratlos blickte Mathilde von einer Tochter zur anderen. »Das große Fürstentreffen, natürlich. Aber warum …«

»Das sind Salutschüsse zum Empfang des russischen Zaren Alexander.«

»Salutschüsse? Hört ihr denn nicht den Kanonendonner?«

»Jeder hört ihn, Mama«, stellte Sophie nüchtern fest. »Die Artillerie steht von Brünn bis zum Glacis.«

»Bist du sicher?« Mathilde fasste nach der Hand ihrer Tochter und sah ihr prüfend in die Augen.

Sophie nickte so energisch, dass sich eine blonde Strähne aus dem hellblauen Bandeau löste, das sie um ihr Haar geschlungen hatte. »Ganz sicher«, beteuerte sie. »Papa hat doch bei Tisch mit Georg in letzter Zeit häufig über diese wichtigen Dinge gesprochen. Er wohnt ja mittlerweile fast in der Hofburg, und der Obersthofmeister –«

»Wichtige Dinge!«, unterbrach Mathilde ihre Tochter indigniert. »Kind, du sprichst schon wie dein Bruder. Diese langweilige Politik! Wohin kommen wir, wenn sich sogar die jungen Damen der Gesellschaft dafür interessieren? Wie unziemlich, sich in Männerangelegenheiten zu mischen. Es wird höchste Zeit …« Sie hielt inne und seufzte theatralisch.

»Höchste Zeit wofür?« Sophie reagierte sofort. »Ihr wollt doch nicht ausgerechnet jetzt wieder dieses leidige Thema aufs Tapet bringen.«

Mathilde, nicht im Geringsten daran interessiert, erneut in einer – sich in letzter Zeit leider häufenden – leidenschaftlichen Auseinandersetzung mit ihrer Tochter den Kürzeren zu ziehen, lenkte sofort ein. »Dass die Saison endlich beginnt, wollte ich sagen«, antwortete sie rasch. Als sie das triumphierende Aufblitzen in den Augen ihrer Tochter bemerkte, fügte sie verärgert hinzu: »Aber Sophie, ich muss dich wirklich rügen, dein Tonfall ist absolut unpassend. So spricht man nicht mit seiner Mutter. Und ich komme nicht umhin, dich wieder einmal darauf aufmerksam zu machen, dass ein Mann aus unseren Kreisen weder Interesse an einem Blaustrumpf noch an einer aufmüpfigen Frau finden wird, die immer das letzte Wort haben muss.«

Sophie, die einsah, dass es keinen Sinn hatte, ihre Mutter weiter zu reizen, senkte ihren Blick. »Ihr habt recht, verzeiht, Mama.«

Sofort tat es Mathilde leid, ihre Tochter so hart zurechtgewiesen zu haben. Sanft streichelte sie ihre Wange. »Ich weiß, mein Kind, wie schwer es für dich in den letzten Monaten gewesen ist. Aber du musst nach vorne blicken.«

Fanny, die das Wortgefecht der beiden interessiert beobachtet hatte, fand es hoch an der Zeit, ein wirklich wichtiges Thema zur Sprache zu bringen. »Wisst Ihr, was mir Georg erzählt hat? Es gibt ein Fest im Prater, mit einem großen Feuerwerk. Oh Mama, dürfen wir hingehen? Das wird sicher furchtbar lustig.« Fanny umarmte ihre Mutter stürmisch. »Bitte sagt Ja!«

»Auf keinen Fall, wo denkst du hin.« Kopfschüttelnd befreite sich Mathilde aus den Armen ihrer Tochter. »Sei doch nicht immer so ungestüm, Fanny.« Mit einem kurzen Blick in den Spiegel zupfte sie die Locken ihres kunstvollen Tituskopfes zurecht, der unter der ganzen Aufregung empfindlich gelitten hatte. »Das ist eine Pläsanterie von sehr zweifelhaftem Ruf, völlig inkonvenabel für junge Damen eures Standes.«

»Ach, Mama«, schmollte Fanny. »Nirgendwo darf ich hingehen …«

Mathilde lächelte ihrer Jüngsten nachsichtig zu. »Natürlich darfst du nirgendwo hingehen. Du bist ja noch ein Kind.«

»Aber nicht mehr lange.« Energisch reckte Fanny ihr Kinn vor. »In wenigen Wochen ist mein erster Ball.« Sie hob geziert den Saum ihres weißen Baumwollkleides, stellte sich auf die Zehenspitzen und tänzelte auf und ab. »Und dann werde ich mich verlieben, so wie Sophie …«

Abrupt wandte Sophie ihr Gesicht ab. »Ich lasse anspannen und nehme Dorothea als Begleitung mit, wenn Ihr ihre Dienste nicht braucht, Mama. Tante Louise hat mich zum Tee eingeladen, und Ihr wisst, wie sehr sie Unpünktlichkeit hasst.«

Nachdenklich sah Mathilde ihrer älteren Tochter nach. »Fanny«, schalt sie ihre Jüngste. »Wie konntest du nur so taktlos sein.«

»Entschuldigt, Mama.« Kleinlaut senkte Fanny ihren Blick.

»Entschuldige dich nicht bei mir, sondern bei deiner Schwester.« Besorgt musterte sie Fanny. »Kind, du musst noch viel lernen.« Sie seufzte. »Wie mache ich aus einem Wildfang wie dir in wenigen Wochen bloß eine elegante junge Dame?«

*

»Schultern zurück, Mademoiselle, höher den hübschen Kopf, très bien, viel besser! Und jetzt mit der rechten Fußspitze beginnen. Eins, zwei, eins, zwei, im Takt der Musik. Mademoiselle Sophie, wenn ich bitten darf …«

Jean-Claude nickte Sophie zu, die die ersten Töne eines Menuetts von Beethoven anschlug, das gerade besonders en vogue war.

»Sehr gut, und weiter. Eine Drehung und – oh nein, nicht in diese Richtung. Zu mir, ich bin es, dem Ihr Eure Gunst schenken sollt, nicht die Dame des Herren neben Euch.«

Während Sophie laut auflachte, stampfte Fanny wütend mit ihrem rosa beschuhten Fuß auf. »Ich will das nicht, das ist langweilig!«

»Was langweilt mein widerspenstiges Käthchen schon wieder?«

»Georg!« Fanny wirbelte herum. »Ich hab dich gar nicht kommen hören.« Sie stürzte in seine Arme. »Bist du fesch!« Bewundernd musterte sie die mit goldenen Tressen besetzte Uniform ihres Bruders. »Wen wirst du denn heute Abend verführen?«

»Fanny!« Entrüstet sprang Sophie von ihrem Platz hinter dem Klavier auf.

»Ach, lass sie doch, Schwesterlein«, lachte Georg, Fanny noch immer im Arm haltend. »Sie hat ihre Augen und Ohren halt überall, wo sie nicht hingehören. Nicht wahr, du kleiner Mops?«

»Tut nicht so, als wäre ich noch ein Kind!« protestierte Fanny. »Ich weiß, was die Herren Offiziere machen, wenn sie am Abend ausgehen.«

»Und was ist das, gnädiges Fräulein, wenn ich fragen darf?« Sein Tonfall blieb spielerisch, doch der Ausdruck seiner Augen veränderte sich.

»Ach, dies und das«, bemerkte Fanny leichthin, der die plötzliche Wachsamkeit im Blick ihres Bruders entgangen war. »Ihr führt elegante Damen mit Federn an den Hüten und großem Schmuck zum Essen aus, dann tanzt ihr mit ihnen und küsst ihnen die Hand.« Kokett warf sie den Kopf zurück und hielt ihrem Bruder den ausgestreckten Arm entgegen. »So, nicht wahr?«

Erleichtert ergriff er ihre Hand. »Genau, und dann drehen und drehen und drehen wir sie, bis sie genug haben und nach Hause gehen wollen.«

Übermütig nahm er sie in die Arme und tanzte mit ihr durch den Salon. Fanny juchzte begeistert. »Ja, das will ich lernen, so will ich tanzen, die ganze Nacht …«

»Um Gottes willen, Georg! Fanny! Was soll dieser Lärm? Was macht ihr denn da?«

Mit einem eleganten Schwung brachte Georg Fanny an ihren Platz zurück und begrüßte seine Mutter mit einer formvollendeten Verbeugung.

»Mama, wir tanzen Walzer. Darf ich bitten?«

Sophie versuchte, einen plötzlichen Hustenanfall hinter ihrem Batist-Taschentuch zu ersticken, als Georg seine heftig protestierende Mutter tatsächlich in die Arme nahm und ein paar angemessen zögerliche Drehungen mit ihr auf dem Parkett wagte.

»Nun ist es aber genug!«

Georg, der am entschiedenen Tonfall seiner Mutter rasch erkannte, dass jetzt nicht mehr mit ihr zu spaßen war, blieb abrupt stehen und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich wollte ohnehin gehen, Mama, und den charmanten Damen des Hauses einen wunderschönen Abend wünschen.« Bevor sie etwas erwidern konnte, hatte er blitzschnell den Salon verlassen.

»Ach schade«, schmollte Fanny. »Wo es gerade so lustig war.«

»Maestro, wie konnte Er nur?«, rügte Mathilde den Tanzlehrer, der sichtlich überfordert nach Worten rang.

»Ihn trifft keine Schuld, Mama«, eilte Sophie ihm zu Hilfe. »Es war einzig und allein Georg, der Fanny auf so törichte Gedanken brachte.«

»Was ist daran töricht?«, brauste Fanny auf. »Diese langweiligen alten Tänze will ich nicht lernen. Ich will Walzer tanzen! Mama, bitte! Jean-Claude, so sagt doch etwas!«

Der Tanzlehrer, nun vollends verzweifelt, blickte von einer zur anderen. »Madame, Mademoiselle, was soll ich sagen?«

»Er sagt am besten gar nichts«, schnitt Mathilde ihm rüde das Wort ab. »Bringe Er meiner Tochter einfach das Tanzen bei. So wie es sich gehört. Wir sind hier schließlich nicht bei den Wilden. Und Er sorge dafür, dass niemand, auch nicht mein lieber Herr Sohn, ihr weiter solche Flausen in den Kopf setzt. Sophie«, fuhr sie zu ihrer älteren Tochter gewandt fort, »ein Menuett bitte. Oder was auch immer. Alles, nur keinen Walzer, haben wir uns verstanden?«

*

Sie legte Heft und Feder beiseite und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Sophie liebte die Bibliothek ihres Vaters. Die schweren Holzvertäfelungen und den Kachelofen mit seinen spannenden Jagdmotiven, die sie schon als Kind fasziniert hatten. Den herben Duft der in Leder gebundenen Bücher, den Spieltisch mit seinen Figuren aus Elfenbein und den riesigen Intarsien-Sekretär, an dem sie gerade saß.

Gedankenverloren glitt ihre Hand über den goldenen Globus, den ganzen Stolz ihres Vaters. »Oh ja, Indien, eine vortreffliche Wahl«, hörte sie ihn sagen. Sie erinnerte sich, als wäre es gestern gewesen. Ach, Papa! Seufzend betrachtete Sophie das Gemälde über dem Spieltisch, aus dem ihr Vater in prächtiger Uniform, die Arme vor der ordenbewehrten Brust verschränkt, mit gestrengem Blick auf sie herunterschaute. Wie hatte sie diese Stunden genossen. Nur Papa und sie. Kein quengelnder Quälgeist, der ihr die Aufmerksamkeit entzog. Kein großer Bruder, den sie von Herzen um seine Rolle als zweiter Mann im Haus beneidete, eine Rolle, die er in Abwesenheit seines Vaters durchaus bestimmt in Anspruch nahm, auch in Zeiten, als er selbst noch ein Kind gewesen war. Natürlich liebte sie auch ihre Mutter, dennoch fühlte sie sich ungleich wohler in der Aura machtvoller Überlegenheit, die ihren Vater stets umgab. Auf einem kleinen Kinderschemel zu seinen Füßen sitzend, hatte sie ihm andächtig zugesehen, während er in seine Bücher oder Akten vertieft las oder schrieb. Meist hatte sie sich mucksmäuschenstill verhalten, um ihn nicht zu stören. Doch wenn ihre Füße nach einiger Zeit gar zu unruhig geworden waren, war sie aufgesprungen und hatte mit dem Globus gespielt. »Dreh, dreh, dreh dich im Kreis«, hatte sie leise vor sich hingesummt, die Augen fest geschlossen, bis die Weltkugel zum Stillstand kam und ihre kleinen Finger auf einen weit entfernten Punkt der Erde zeigten, dessen Namen sie nicht einmal gekannt hatte. Dann hatte Papa seine Arbeit beiseitegeschoben und eine Geschichte erzählt. Über das Land, die Menschen, die dort wohnten, und die abenteuerlichen Entbehrungen der langen Reise. Jedes Mal hatte sie gebettelt: »Papa, lasst uns dort hinfahren. Nur wir beide!« Und jedes Mal hatte sie dieselbe Antwort erhalten, mit demselben nachsichtigen Lächeln: »Ach, Schätzchen, du weißt doch, ich bin bei Hofe unabkömmlich und du bist eine junge Dame. Und junge Damen gehen nicht auf Reisen.«

Sophie beobachtete die Weltkugel, die sich immer langsamer um ihre eigene Achse drehte. Wann hatten sie sich eigentlich davongestohlen, diese traulichen Momente? Fast unbemerkt war sie ihrem Kinderschemel entwachsen und damit der ungeteilten Zuwendung ihres Vaters, der mittlerweile kaum mehr zu Hause anzutreffen war. Natürlich, es war der politischen Lage geschuldet, die ihre Mutter standhaft ignorierte, aber auch der Tatsache, dass aus dem neugierigen kleinen Mädchen eine nachdenkliche junge Frau geworden war, die, davon war nicht nur ihre Mutter überzeugt, nicht in die richtige Schublade passen wollte.

Schließlich stand der Globus still. Ganz wie ihr eigenes Leben, dachte Sophie resigniert. Wie sehr sie sich langweilte. Und wie sehr sie sich manchmal wünschte, ein Mann zu sein. Zu studieren, zu reisen, die Welt und ihre Geheimnisse zu ergründen. Was wurde von ihr als Frau erwartet? Nichts weiter als ein hübsches Aussehen, eine charmante Konversation, eine vorteilhafte Heirat und gesunde Erben. War sie undankbar, wie ihre Mutter nicht müde wurde zu betonen, nur weil sie anders sein wollte?

Tante Louise war die Einzige, die sie verstand. Als langjährige Mätresse des Fürsten von Hainburg – sie selbst hatte daraus nie ein Geheimnis gemacht, während ihre Schwester, Sophies Mutter, immer das Gesicht verzog, als hätte sie in eine Zitrone gebissen, wenn das Gespräch darauf kam – besaß sie eine überaus großzügig geschnittene Wohnung in der Stadt und ein entzückendes Gartenpalais. Bereits in jungen Jahren mit dem wesentlich älteren Adalbert, Freiherrn von Lilienthal, einem Freund ihres Vaters, verheiratet, hatte sich die temperamentvolle Schönheit auf den ersten Blick in den Fürsten verliebt. Mittlerweile war sie seit Langem verwitwet und lebte sorglos von der stattlichen Apanage, mit der der Fürst sie vor wenigen Jahren abgefunden hatte. Während der Saison führte sie einen kleinen, aber elitären Salon, in dem nicht nur Mitglieder des Wiener Adels, sondern auch Künstler und Gelehrte verkehrten. Im Sommer verreiste sie oder zog sich in ihr Haus auf der Wieden zurück, wo Sophie sie häufig besuchte. Sie fühlte sich wohl bei ihrer Tante, bewunderte sie für ihre Bildung und Weltoffenheit, wenngleich Louises frivole Erzählungen ihr immer wieder die Schamesröte ins Gesicht trieben.

Entschlossen nahm Sophie die Feder zur Hand. Ihr Tagebuch war zu ihrem engsten Vertrauten geworden. Fast täglich saß sie hier, in der stillen Abgeschiedenheit des väterlichen Arbeitszimmers, um ihre Gedanken ins Reine zu bringen. Sie hatte es kaum glauben können, als ihr Vater ihr an einem beschaulichen Sonntagnachmittag aus heiterem Himmel und trotz der sichtlichen Missbilligung ihrer Mutter die Erlaubnis erteilt hatte, seinen Schreibtisch zu benutzen. Nur sie beide wussten – sein verschwörerisches Augenzwinkern sagte dabei mehr als tausend Worte –, dass er mit diesem außerordentlichen Privileg Sophies schönste Kindheitserinnerungen zum Leben erweckte.

Mit gestochen scharfer Handschrift füllte sie Seite um Seite des ledergebundenen Büchleins, mit ihrem Schicksal hadernd und von einem Leben träumend, das ihr so fern erschien wie die Länder, die sie in ihrer Fantasie bereiste. Würde sie ihrem Tagebuch nur von den Ereignissen berichten, die ihr Leben in Wahrheit zäh wie Kuchenteig vergehen ließen, würde sie schwerlich mehr als ein paar eintönige Zeilen zu Papier bringen können.

Sophie lehnte sich zurück. Wie ungerecht sie gewesen war, als die unschuldige Bemerkung ihrer kleinen Schwester sie so sehr erzürnt hatte. Fannys Oberflächlichkeit war einfach mehr, als sie ertragen konnte. Ihre Putzsucht, ihr Hang zu Klatsch und Tratsch, der sich schon jetzt bemerkbar machte, ihre unbeherrschte Gedankenlosigkeit und Vergnügungssucht – waren sie wirklich Schwestern? Dabei liebte sie Fanny, ihre Lebenslust, ihr ausgelassenes Lachen und ihre stets gute Laune. Wäre sie nur ein wenig anders. Dazu kam, dass Georg Fannys leichtfüßigen Übermut ganz offensichtlich ihrer eigenen In-sich-Gekehrtheit vorzog. Was Sophie wiederum in ihrer Meinung bestärkte, dass Bildung und Verstand einer Dame sichtlich nicht zum Vorteil gereichten. Als ginge es um nichts anderes, als sich zu verlieben! Fanny lief mit offenen Augen in ihr Unglück, davon war Sophie überzeugt. Aber es war sinnlos, mit ihr darüber zu reden. Niemand würde Fanny dazu bringen, sich diese romantischen Träumereien aus dem Kopf zu schlagen. Und Sophie hoffte von Herzen, dass nicht das Leben selbst ihre kleine Schwester eines Besseren belehren würde.

Seufzend wandte sie sich wieder ihrem einzig getreuen Freunde zu und schrieb sich den Kummer von der Seele.

*

»Geh Stani, du Landei, sei kein solcher Spielverderber! Der Abend hat grad erst begonnen.« Georg klopfte seinem Offizierskameraden freundschaftlich auf die Schulter. »Wien ist nicht Tulln. Jetzt bist endlich in der Hauptstadt und dann benimmst dich wie ein Kadett aus der Provinz.«

Stanislaus grinste gequält. »Du hast leicht lachen. Schneidig wie du bist, brauchst du die Mädels nur anzulächeln und sie liegen dir zu Füßen. Aber schau mich an. Die nehmen mich an deiner Seite ja nicht einmal wahr.«

Langsam schlenderten sie den Kohlmarkt entlang, und wie um seine Worte Lügen zu strafen, trat eine großgewachsene Brünette mit etwas zu grell geschminkten Lippen auf Stanislaus zu. »Na, wie wär’s mit uns, Süßer?«

Rasch zog Georg seinen zaudernden Freund weiter. »Da hab ich was Besseres für dich«, flüsterte er. »Die Stanzi hat eine Cousine, die wohnt bei ihr. Die beiden freuen sich sicher, wenn wir sie zum Tanzen in den ›Wilden Mann‹ ausführen. Und wer weiß, vielleicht begleiten wir sie danach nach Hause.«

Stanislaus, in Gedanken noch immer bei den üppigen Lippen des Nachtschattengewächses, seufzte. »Da sieht du’s wieder. Ich muss zahlen für mein Vergnügen. So eine spricht dich erst gar nicht an, weil sie weiß, dass du Schönere als sie umsonst bekommst.«

Georg lachte laut auf. »Du bist aber auch wirklich ein Grantscherben. Endlich machst eine Eroberung, und dann ist’s dir auch nicht recht. Komm, wir holen die Stanzi ab.«

»Was du immer redest«, murrte Stanislaus unwillig, trottete jedoch folgsam hinter seinem Freund her, der seinen Schritt beschleunigte.

Sie bogen vom Kohlmarkt in eine Seitengasse mit wesentlich spärlicherer Straßenbeleuchtung ein. Rasch verlor Stanislaus die Orientierung. Er war erst seit ein paar Wochen in Wien stationiert und fand sich im Straßengewirr der Altstadt noch nicht zurecht. Und nicht nur das. Wien mochte zu den Metropolen Europas zählen, dennoch fehlte ihm innerhalb der mächtigen Stadtmauern die Luft zum Atmen. Jetzt, wo buchstäblich ein ganzer Kontinent auf wenigen Quadratmetern Quartier bezogen hatte, platzte die Innenstadt tatsächlich aus allen Nähten. Denn nicht nur die verhandelnden Souveräne, Fürsten und Gesandten waren nach Wien gekommen, um eine neue Weltordnung zu entwerfen und sich dabei ausgiebig zu amüsieren. In ihrem Gefolge tummelten sich Sekretäre, Schreiber und Dienstboten, Glücksritter, Unterhändler, Ärzte, Beichtväter, Porträtmaler und Karikaturisten, Beutelschneider und Kurtisanen. Sie alle brachten die Stadt beinahe zum Kollabieren.

Stani jedenfalls hasste das laute Treiben, die dicht an dicht stehenden Häuser, die jedem Sonnenstrahl den Einlass verwehrten, den Gestank der Abwässer, die kotigen Wege und die herumhuschenden Ratten, die ihm stets wie stumme Schatten auf dem Fuß folgten. Er hasste die aufdringlichen Rufe der Händler, das rücksichtslose Gedränge, den Lärm der vorbeipreschenden Fuhrwerke – und die Buttenweiber. Beim Anblick der maskierten Frauen mit ihrer stinkenden Fracht drehte es ihm jedes Mal den Magen um. Es gab keinen Tag, an dem er sich nicht zurückwünschte in seine Heimat, sich nicht sehnte nach der wilden Schönheit der Wälder, dem Duft der Sommerwiesen und der ruhig dahinziehenden Donau.

Schon wieder verloren sie sich in einem engwinkeligen Labyrinth schmaler Gassen, aus dem er, davon war er überzeugt, alleine niemals herausfinden würde. Georg jedoch schritt zügig voran, bis er schließlich vor einem bescheidenen Bürgerhaus Halt machte. Er bückte sich und warf kleine Steine gegen die erleuchtete Fensterscheibe im ersten Stock.

Als hätte man sie erwartet, blickte schon nach wenigen Steinwürfen ein bildhübsches Gesicht mit einem strahlenden Lächeln zu ihnen herunter. »Wir kommen gleich.« Die Lippen, die diese Worte formten, schienen Stanislaus, anders als die der Grabennymphe, von unbeschreiblich unschuldiger Süße.

»Stani, wie schaust denn wieder drein! Mach bloß den Mund zu, was sollen die Mädels von dir denken? So kommst nie zum Stich!« Georg schüttelte den Kopf. »Mach mir keine Schand, hörst du! Du bist ein Offizier, da brauchst nichts tun. Die sehen eine Uniform und sind bereit. Wirst sehen, da hast ein leichtes Spiel.«

Die Tür ging auf und zwei zierlich gewachsene Mädchen in hellen Kleidern, den Schal eng um ihre Schultern geschlungen, das Haar unter züchtigen Hauben verborgen, huschten kichernd an ihnen vorbei auf die Gasse.

Stanislaus warf Georg einen fragenden Blick zu. Der zuckte die Achseln, bedeutete ihm aber, den beiden zu folgen. Einige Minuten marschierten sie in überraschend zügigem Tempo hinter den aufgeregt miteinander tuschelnden Mädchen her, als die Größere der beiden plötzlich stehen blieb und sich zu ihnen umdrehte.

»Jetzt kann s’ uns nimmer sehen, Mitzi.« Sie warf den beiden Männern einen koketten Blick aus veilchenblauen Augen zu. »Servas, Georg! Schön, dass du wieder mal bei mir vorbeischaust. Ich hab schon gedacht, du hast mich vergessen.«

»Wie könnt ich dich vergessen!« Georg machte einen Schritt auf sie zu, fasste sie unterm Kinn und – Stanislaus kam aus dem Staunen nicht heraus – küsste sie ungeniert, auf offener Straße, auf den Mund.

»Was für ein sauberes Mädel«, schoss es ihm durch den Kopf, als Stanzi sich aus Georgs Umarmung befreite und ihm einen fragenden Blick zuwarf.

»Das ist mein Freund Stani«, stellte Georg ihn vor. »Er ist erst seit Kurzem in der Stadt und sucht Anschluss«, fügte er, zu Mitzi gewandt, hinzu, die prompt errötete, was ihrem sonst eher farblosen Gesicht einen gewissen Reiz verlieh.

»Sehr erfreut.«

Der verlegene Knicks, mit dem sie ihn begrüßte, gefiel Stanislaus. Galant bot er ihr seinen Arm an, den sie zögernd ergriff. Angeregt plaudernd die einen, verlegen schweigend die anderen, schlenderten die beiden Paare gemächlich durch die nächtlichen Gassen. Hin und wieder kam ihnen eine Kutsche entgegen, zwei Betrunkene grölten, hielten aber respektvoll Abstand, als sie die Uniformen der beiden Herren erkannten. Als sie schließlich das Vorstadtgasthaus »Zum Wilden Mann« erreichten, schallten ihnen Musik und lautes Gelächter entgegen. Durch die Scheiben beobachteten sie das ausgelassene Treiben, ehe Georg entschlossen die Tür aufstieß. Tatsächlich fanden sie in der überfüllten Stube einen freien Tisch in einer vor neugierigen Blicken geschützten Nische.

Aufatmend ließ sich Stanzi als Erste auf die hölzerne Sitzbank fallen. »Ah, tut das gut. Ich bin schon seit dem frühen Morgen auf den Beinen. Die Madame von der Pepperl, bei der ich heute ausg’holfen hab, war besonders nervös. Jeden Mittwochabend eine Einladung, der Herr Baron sagt, sie wird ihn noch ruinieren. Aber sie will unbedingt so berühmt werden wie die von Arnstein. ›Wo kommen wir hin, wenn wir den Juden in Wien neben dem ganzen Geld auch noch den Glamourüberlassen‹, hat sie g’sagt.«

Rasch legte Georg ihr einen Finger auf den Mund. »Geh Stanzerl, red net so einen Unsinn. Komm her zu mir und küss mich. Das kannst viel besser.«

Willig schmiegte sie sich an ihn und bot ihm ihre Lippen zum Kuss. Mitzi richtete ihre Augen verlegen zu Boden. Ein Anblick, der Stanislaus so berührte, dass er spontan ihre Hand nahm und küsste. Überrascht sah sie ihn an. Ihr Gesicht hatte von dem Spaziergang eine frische Farbe angenommen, ihre grauen Augen glänzten. Sanft zog er ihr die Haube vom Kopf und strich über ihr glattes flachsblondes Haar. Diesmal senkte sie ihren Blick nicht, sondern sah ihm vertrauensvoll direkt in die Augen, als sein Mund sich dem ihren näherte.

Was für weiche Lippen, schoss ihm durch den Kopf. Dann dachte er gar nichts mehr. Denn zu seinem großen Erstaunen erwies sich Mitzi als wahre Künstlerin. Noch nie hatte ein Kuss ihn dermaßen in Aufregung versetzt. Verlegen räuspernd rückte er von ihr ab.

»Laut ist es hier«, bemerkte er.

Mitzi nickte.

»Bist immer so schweigsam?«, fragte er.

Sie lächelte sanft. »Ja, reden tun eh die anderen. Ich hör lieber zu.«

Zufrieden ließ Stanislaus den Blick über sie gleiten. Wie hatte er die Stanzi bloß hübscher finden können als sie? Diese Mitzi hatte etwas Besonderes, stellte er fest. Und sofort überkam ihn die Lust, sich ihrer geschickten Lippen wieder zu bemächtigen. Bereitwillig erwiderte sie seinen Kuss.

»Na, hörts ihr auf jetzt!«, drang die Stimme seines Freundes an sein Ohr. »Wir wollen Wein bestellen, und wenn ihr euch weiter so aufführts, traut sich die dralle Magd hier gar nicht mehr an unseren Tisch.«

Verlegen lösten sie sich voneinander.

»Recht so!«, nickte Georg. »Der Abend ist noch lang, dazu habt ihr später genug Zeit. Was sagst, Stanzi, wollen wir tanzen?« Soeben hatten ein paar kräftige Männer Tische zur Seite gerückt, um Platz für die Tanzenden zu schaffen.

Begeistert hüpfte das Mädchen auf. »Ja, lass uns tanzen. Diesen neuen, den du so gut kannst, und von dem mir immer schwindlig wird, ich glaub, jetzt spielen sie ihn gerade …«

»Musst denn du ständig so viel reden?«, schalt Georg sie lachend und zog sie hinter sich her.

Stanislaus sah Mitzi fragend an. Die nickte. Zögernd stand er auf. Ein wenig neidisch beobachtete er Georg, der Stanzi derart virtuos über die Tanzfläche bewegte, dass ihre schwarzen Locken nur so flogen. Doch schon presste Mitzi ihren Körper ungeniert an seinen und plötzlich war ihm alles andere egal. Sie passte sich seinem Rhythmus derart geschickt an, dass sich seine Unsicherheit in Luft auflöste.

Völlig außer Atem fanden sie sich nach einem ausgelassenen Galopp am Tisch wieder, um ihren Durst mit Wein zu löschen.

»Ich wusste gar nicht, dass du so ein passabler Tänzer bist.« Georg prostete ihm zu.

»Ich auch nicht«, grinste Stanislaus und drückte Mitzi fest an sich.

»Schau, schau«, feixte Georg. »Das kann ja noch was werden mit euch beiden.«

»Pass auf, Mitzi, dass er dir nicht die Ehr raubt«, ermahnte Stanzi ihre Freundin mit ernster Miene, der jedoch das Zucken um ihre Mundwinkel nicht entging.

»Bei meiner Ehr«, konterte sie, »so gern hätt ich meine Ehr noch niemandem geschenkt.«

Stanislaus verschluckte sich beinahe. So viel Schlagfertigkeit hatte er seiner schweigsamen Begleiterin gar nicht zugetraut. Doch als er in ihre Augen blickte, wusste er, dass es ihr heiliger Ernst zu sein schien.

»Kinder, nicht so schnell«, rief Georg, »ein paar Glaserl Wein trink ma schon noch, dann macht’s umso mehr Spaß!« Übermütig drückte er Stanzi einen Kuss auf die Lippen.

Stunden später, die Sonne warf ihre ersten Strahlen durch die kleinen Fenster, suchten sie in der schmucklosen Kammer der Mädchen ihre Kleider zusammen.

»Sind sie nicht herzig?«, raunte Georg Stanislaus zu. Mit gemischten Gefühlen betrachtete Stani die beiden, die eng aneinander gekuschelt friedlich schliefen.

Leise schlichen sie die schmale Holztreppe hinunter.

»Ist das recht, was wir getan haben?«, fragte Stanislaus, wohl mehr sich selbst als seinen Freund.

»Ah geh, Stani, zerbrich dir nicht den Kopf. Die machen das gern. Und irgendwann werden sie einen braven Mann heiraten, Kinder kriegen und sich voller Stolz an uns erinnern. Glaub mir, das Leben ist nicht kompliziert, solange jeder weiß, wo er steht.« Georg drehte sich zu ihm um. »Mach nicht den Fehler und verlieb dich in so eine.«

Stanislaus zuckte unschlüssig die Achseln.

Da packte Georg ihn hart an der Schulter. »Hast g’hört! Ich mein’s nur gut mit dem Mädel. Wenn du sie spüren lässt, dass du sie wirklich gernhast, machst sie unglücklich. Hast mich verstanden?«

Stanislaus nickte. Nachdenklich folgte er seinem Freund durch die erwachende Stadt. Obwohl es ein herrlicher Tag zu werden versprach, wollte sich die dazu passende Hochstimmung nicht einstellen.

*

Sie lehnte ihren Kopf zurück. Das Schaukeln der Kutsche beruhigte sie. Sophie liebte den neuen Landauer, den ihr Vater vor Kurzem für die Familie erworben hatte. Den ganzen Sommer über hatte sie mit offenem Verdeck fahren können, was sie die regelmäßigen Besuche bei ihrer Tante Louise noch intensiver hatte genießen lassen. Mama hatte Papa – wie konnte es anders sein – wegen dieser enormen Ausgabe gescholten. Die Kutsche sei nicht nur zu groß für die ohnehin beschränkten Stellplätze des Stadthauses, sondern auch viel zu teuer. Außerdem würden sie, seit er in Diensten des Obersthofmeisters, des Fürsten von Trauttmansdorff, stand, ohnehin nie mehr verreisen. Papa jedoch hatte ihre Argumente lachend vom Tisch gewischt, sie auf die Wange geküsst und ihr versprochen, sie in Kürze zu einer Reise nach Prag zu entführen. Mamas Augen hatten geleuchtet und Papa hatte sein Versprechen tatsächlich wahr gemacht. Seither stand der Landauer zu Sophies alleiniger Verfügung. Da Papa von seinen Geschäften beinahe rund um die Uhr okkupiert wurde, benutzte er die Hofequipagen, Georg fand Kutschenfahrten generell unter seiner Würde – außer an der Seite seiner jeweils aktuellen Herzdame natürlich –, und Mama ging so gut wie nie mehr aus.

Sophie zog den Schal fester um ihre Schultern. Es war erst Oktober, aber trotz des sonnigen Wetters und des geschlossenen Verdecks fröstelte sie. Wieder zog sie den zerknitterten Brief aus ihrem Retikül. Hoffentlich war Tante Louise zu Hause. Es war Dienstag und Sophie kam unangemeldet. Doch sie musste sie sprechen. Und zwar dringend.

»Dorothea, wir sind da«, weckte sie ihre Begleitung lautstark aus deren kurzen, aber geräuschvollen Schlummer. Sophie seufzte. Warum nur bestand Mama hartnäckig darauf, dass sie auf jedem ihrer Wege, und mochte er auch noch so kurz sein, das in die Jahre gekommene Dienstmädchen mitschleppte? Dorothea war beinahe taub, ihre gichtigen Knochen schmerzten, jedes Rumpeln der Kutsche entlockte ihr ein Stöhnen. Doch Mama blieb unerbittlich. Niemals, niemals!, würde sie zulassen, dass ihre Tochter sich ohne Anstandsdame außer Haus begab. Im Haushalt war Dorothea so gut wie gar nicht mehr zu gebrauchen, weshalb Sophie den Verdacht hegte, dass es ihrer Mutter weniger um den makellosen Ruf ihrer Tochter ging als um ihr teures Porzellan und sie deshalb die gute Seele lieber mit Sophie auf den Weg schickte.

Dorothea fuhr hoch. Ihre Haube war verrutscht und bedeckte das halbe Gesicht. Sanft rückte Sophie das Spitzenhäubchen gerade. Seit sie denken konnte, hatte Dorothea in ihrem Haushalt gelebt. Sie mochte sie sehr. Dennoch, manchmal hatte sie das Gefühl, dass eher sie auf ihre Begleiterin aufpasste als umgekehrt.

»Wir sind da!«

»Schon?«

Statt einer Antwort schubste Sophie sie ungeduldig zur Tür, die der Kutscher in diesem Moment öffnete. Als auch Sophie ausgestiegen war, blickte sie sich um. Der Pferdeknecht führte die beiden Braunen, die Tante Louise in der Regel für ihre Ausfahrten vorspannen ließ, gerade zu den Stallungen. Gut. Sophie seufzte erleichtert. Sie war also zu Hause.

»Begleite Dorothea in die Küche, Josef. Es wird nicht allzu lange dauern.«

Der Kutscher nickte und sah Sophie kopfschüttelnd nach, die, ohne eine Antwort abzuwarten, ins Haus stürmte.

»Gott sei Dank, Ihr seid da!« Völlig außer Atem betrat Sophie den Salon ihrer Tante.

»Guten Tag, mein Kind! Was für eine Überraschung.« Louise legte Buch und Lorgnon beiseite und stand auf. »Weshalb bist du denn so aufgelöst?«

Sophie stürzte sich in ihre Arme.

»Aber, aber, beruhige dich. Was ist denn geschehen?«

»Nichts!« Verzweifelt streckte Sophie ihr den Brief hin. »Das ist es eben. Wieder keine neuen Nachrichten. Er ist einfach wie vom Erdboden verschluckt. Ach, Tante, vielleicht haben sie doch alle recht. Er ist tot. Und ich will das einfach nicht wahrhaben.«

»Jetzt setz dich erst einmal hin, damit ich in Ruhe lesen kann.« Energisch schubste Louise ihre Nichte auf das Louis-Seize-Sofa neben dem zierlichen, mit dunkelrotem Damast bezogenen Kanapee, von dem sie sich gerade erhoben hatte. Das Sofa war, wenn auch unbequem, ihr Lieblingsmöbel, ein Geschenk des Fürsten aus der Anfangszeit ihres amourösen Verhältnisses, über und über mit Blütenranken bedeckt, Arm- und Rückenlehnen aufs Aufwändigste verziert und vergoldet. Die Woge des Klassizismus, die mittlerweile die meisten der renommierten Wiener Salons und Empfangsräume überrollt hatte, schien vor Louises Gartenpalais Halt gemacht zu haben. Hier, mitten im Grünen, war die Zeit stehen geblieben. Anmutig lächelnde Engel, unschuldig dreinblickende Jungfrauen und pummelige Amoretten tummelten sich zwischen üppigem Blumendekor und opulenten Obstkörben, beleuchtet von riesigen Kristalllustern. Zarte Pastellfarben, überschäumendes Gold und jede Menge unnötiger Zierrat beherrschten das Haus wie eh und je. Vor den Toren der Stadt verweigerte Sophies Tante konsequent jedes Zugeständnis an die derzeit herrschende Mode, selbst wenn sie in dem einen oder anderen der zwanzig Zimmer ihrer luxuriösen Stadtwohnung dem wesentlich strengeren Stil der klassischen Antike durchaus zu neuem Glanz verhalf, und sei es, um in Wiens Gesellschaft weiterhin en vogue zu bleiben.

Sie gab Sophie mit dem deutlichen Ausdruck von Missbilligung den Brief zurück. »Wer genau ist dieser August Anschober, der das Schreiben unterzeichnet hat? Ein Meister der Formulierkunst scheint er wahrlich nicht zu sein.«

»Ein entfernter Verwandter meiner alten Gouvernante. Er lebt seit Jahren in Leipzig und hat sich umgehört. Für ein erstaunlich geringes Salär.«

Louise zog eine Augenbraue hoch.

»Ach, Tante, warum sollte er sonst für jemanden, den er nicht kennt, über jemanden, den er nicht kennt, Erkundigungen einziehen?«

»Das ist doch Ehrensache, würde man annehmen.« Mit einer ungehaltenen Handbewegung wischte Louise das Thema vom Tisch. »Wie auch immer. Langsam, mein Kind, muss ich dir beipflichten. Jetzt besteht wirklich nur noch wenig Hoffnung. Es tut mir so unendlich leid für dich. Aber ich fürchte, du musst dich mit der schlimmsten aller Tatsachen abfinden. Auch wenn ich bis heute nicht verstehe, wie es möglich ist, dass ein Offizier seines Geblüts in einer Schlacht fällt und keinerlei Aufzeichnungen darüber existieren.«

»Ach, Tante«, seufzte Sophie erneut. »Er wurde am letzten Tag der Schlacht schwer verwundet, mehr ist einfach nicht in Erfahrung zu bringen. Auch August Anschober fand nur verschlossene Türen vor. Papa hat schon vor Monaten seine Kontakte spielen lassen und nichts erreicht.«

»Was für eine Prüfung, mein Liebes, der du da in so jungen Jahren unterzogen wirst.« Louise betätigte die vergoldete Klingel, die neben ihr auf dem Tisch stand.

Sofort ging die Tür auf.

»Nanette, bring uns heiße Schokolade mit reichlich Milch und etwas Gebäck.«

»Sehr wohl, Frau Baronin.« Mit einem höflichen Knicks zog das Dienstmädchen sich zurück.

»Hast du von seiner Familie etwas gehört, seit …«

»Nein«, antwortete Sophie rasch. »Nichts mehr, seit dem Brief der Fürstin.«

Louise schüttelte missbilligend den Kopf. »Das ist ganz und gar nicht comme il faut. Natürlich hättest du weit über deinem Stand geheiratet. Aber du kanntest Ludwig seit deiner frühen Jugend, er war einer der besten Freunde deines Bruders auf der Militärakademie. Ich goutiere dieses Vorgehen keineswegs. Immerhin bist du seine Verlobte und damit Teil der Familie.«

»Ich verstehe es auch nicht, Tante, aber da ist außer Euch niemand, dem ich mich anvertrauen kann.«

Nachdenklich musterte Louise ihre Nichte. »Kind, was ich dich immer schon fragen wollte – bitte verzeih, aber da du unsere Vertrautheit eben so lobend erwähntest: Hast du Ludwig eigentlich geliebt?«

Überrascht sah Sophie auf, hielt jedoch kaum dem prüfenden Blick ihrer Tante stand.

»Ich hatte also recht!«, entgegnete Louise triumphierend, nahm sich aber sofort wieder zurück. »Das tut deiner Trauer und der Tragik der Ereignisse natürlich keinen Abbruch …«

»Tante, ich weiß nicht, was Ihr meint«, entgegnete Sophie trotzig. »Selbstverständlich liebe ich ihn. Habe ich ihn geliebt«, korrigierte sie sich. »Und jetzt habe ich das Gefühl, als wäre mein Leben vorbei. Ich vermisse ihn so sehr.«

»Nun, das verstehe ich.« Louise zögerte. »Hattest du nicht das Gefühl«, sie versuchte die richtigen Worte zu finden, »dass das, was du empfindest … dass es vielleicht in deinen Träumen …«

Energisch richtete Sophie sich auf. »Ich liebe Ludwig, Tante, worauf wollt Ihr hinaus?«

Louise wagte trotz der heftigen Reaktion ihrer Nichte einen weiteren Vorstoß. »Du erinnerst mich an mich selbst, mein Kind. Dein starker Wille, deine Unbeugsamkeit, dein klarer Verstand. Aber versteckt sich hinter der kühlen Fassade nicht ein wahrhaft romantisches Herz? Auch ich habe meinen Mann geliebt. Der brave Adalbert war mir Zeit seines Lebens ein vorbildlicher Ehemann. Doch erst als ich den Fürsten kennenlernte, habe ich zum ersten Mal …«

Die Tür ging auf und Nanette trat ein. Sie kredenzte die Schokolade in Porzellanbechern mit kleinen Untertassen aus Schildpatt auf einem silbernen Tablett.

»Danke, Nanette«, nickte Louise. »Du kannst gehen, das ist alles.« Sie wartete, bis das Mädchen die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann sprach sie weiter. »Was soll ich sagen? Es war Liebe auf den ersten Blick. Meine Knie wurden weich, alles begann sich um mich zu drehen, und ich wusste, er ist es. Er ist der Mann meiner Träume, auf den ich mein ganzes Leben lang gewartet habe.« Erregt erhob sie sich. »Und selbst wenn du mir jetzt diesen gewissen Blick zuwirfst, aus dem ich Amüsement, Skepsis und Erstaunen lese – ich verzeihe dir, ich selbst hätte in deinem jugendlichen Alter nicht anders darüber gedacht –, so muss ich dir sagen, ich weiß keine geistreicheren Worte für diesen Augenblick zu finden. Es ist die Wahrheit. Und wer diese Gefühlsregungen, die mit nichts auf dieser Welt vergleichbar sind, als romantische Verirrungen eines überspannten Gemüts abtut, der hat sich nie Hals über Kopf verliebt.« Ganz in Gedanken versunken blickte sie aus dem Fenster.

Sophie schwieg.

Minuten später drehte ihre Tante sich um und fuhr fort: »Ich sage ja nicht, dass außerordentliche Augenblicke wie diese zwangsweise zu einer glücklichen Ehe führen. Im Gegenteil. Wahrscheinlich ist zu viel Leidenschaft der erquicklichen Labsal einer harmonischen Ehe durchaus abträglich. Und dennoch …« Sie seufzte und ergriff Sophies Hand. »Dennoch würde ich mir wünschen, ein Mal im Leben dieses Leuchten in deinen Augen zu sehen, das nur die große Liebe zu entfachen vermag.«

Unwillig entzog ihr Sophie die Hand. »Tante, ich weiß Eure offenen Worte durchaus zu schätzen. Aber ich bin hier, um mit Euch über meinen Verlobten zu sprechen und darüber, wie sehr ich um ihn trauere. Weil dieser Brief meine letzte Hoffnung begraben hat.« Sie hob ihre Tasse und nahm einen Schluck der bittersüßen Schokolade. »Diese Art von romantischer Schwärmerei, von der Ihr sprecht, ist mir fremd. Und ich halte sie auch für ganz und gar nicht erstrebenswert. Sagt man nicht, dass Gefühlsregungen dieser Art eher den niedrigen Ständen vorbehalten sind? Eine Dame sollte sich deutlich zurückhaltender zeigen und ist in allen Lebenslagen gut beraten, ihre Contenance nicht zu verlieren.«

Louise musterte sie verärgert. »Kind, jetzt gehst du aber entschieden zu weit!«, tadelte sie ihre Nichte. »Du sprichst schon wie deine Mutter.«

Sophie nickte verlegen. »Ich weiß, verzeiht, Tante, ich hab es nicht so gemeint. Aber manchmal glaube ich, dass etwas mit mir nicht stimmt. Alle reden von Liebe – ich weiß damit einfach nichts anzufangen. Es gibt viel wichtigere und interessantere Dinge im Leben, finde ich. Und Ihr habt recht. Mama wird nicht müde zu betonen, dass die beste Ehe auf Vernunft beruht. Wenn man sich im Lauf der Jahre aneinander gewöhnt habe, mag daraus durchaus Liebe werden, sagt sie immer. Betrachtet man meine Eltern, scheint ihre Maxime ihre Richtigkeit zu haben. Ludwig jedenfalls war für mich immer ein wirklich guter Freund, und ich denke, dass es keine bessere Basis für eine Ehe gibt. Mama und Papa waren über unsere Verbindung überaus glücklich, weil sie mich für die Zukunft gut versorgt sahen und die Verbindung zu einer fürstlichen Familie allen zum Vorteil gereichte. Dass Ludwigs Eltern von seiner Wahl zuerst nicht angetan waren«, Sophie ignorierte den indignierten Blick ihrer Tante geflissentlich, »sei dahingestellt. Ludwig verfügte über eine sehr offene Gesinnung, manchmal hatte ich sogar den Eindruck, dass er mich aus genau diesem Grund erwählt hat.« Sie räusperte sich. »Wie Ihr seht, trauere ich wahrhaftig um ihn. Ich vermisse ihn schrecklich. Das ist der Grund, warum ich hier bin.« Sie machte eine wirkungsvolle Pause.

Ihre Tante, sichtlich immer noch ein wenig verstimmt, reagierte nicht.

Sophie seufzte, fuhr aber tapfer fort: »Nun, da jeder Funken Hoffnung darauf, dass Ludwig noch lebt, erloschen ist, möchte Mama mich so rasch wie möglich verheiraten, was angesichts meines Alters nicht verwunderlich ist. Aber ich will etwas aus meinem Leben machen. Ich möchte die Welt kennenlernen, es gibt so viel, was ich nicht weiß.« Zögernd hielt sie inne, dann gab sie sich einen Ruck. »Tante, nehmt mich mit auf Reisen, öffnet mir die Tür zu Eurem Salon! Ihr führt ein abwechslungsreiches Leben, lasst mich daran teilhaben. Bitte! Ich langweile mich noch zu Tode!«

Dieser letzte verzweifelte Ausruf schien ihre Tante nun doch versöhnlich zu stimmen. Sie lachte schallend. »Sophie«, Louise holte tief Luft, »das muss ich dir sagen. Du bist mit Abstand die ungewöhnlichste junge Dame, die ich kenne.« Energisch klingelte sie dem Dienstmädchen. »Nanette, meinen Lieblingschampagner. Und zwei Gläser!«

Sie lachte erneut auf. »Mein liebes Kind, auch wenn ich nicht immer einer Meinung mit dir bin, so klingt das nach einem interessanten Lebenskonzept. Das gefällt mir. Wir sind offensichtlich beide – jede auf ihre Art – nicht für das Mittelmaß bestimmt. Aber ich muss dich warnen, du machst es dir damit nicht leicht. Du weißt selbst, was von einer jungen Dame deines Alters und deines Standes erwartet wird. Das, was du dir vom Leben wünschst, mit Sicherheit nicht. Nun«, sie schenkte sich und ihrer Nichte ein Glas Champagner ein, den sie, wie sie kurz bemerkte, stets bereithielt, um überraschende Gäste zu bewirten oder aber – wie Sophie angesichts der Geschwindigkeit, mit der Nanette das kostbare Getränk serviert hatte, mutmaßte – um auch sich selbst ab und zu ein kleines Schlückchen zu gönnen. »Lass uns anstoßen. Auf deine kühnen Pläne und ein aufregendes Leben!«

Sophie umarmte sie stürmisch. »Ich wusste, Tante, dass Ihr mich versteht.«