Der buddhistische Lebensberater für jeden Tag - Dolpo Rinpoche - E-Book

Der buddhistische Lebensberater für jeden Tag E-Book

Dolpo Rinpoche

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Beschreibung

Der Alltag als Quell der Weisheit.

Sherap Sangpo war ein gewöhnlicher Hirtenjunge in Nepal. Nach einer Begegnung mit dem Dalai Lama beschließt er, Mönch zu werden. Er geht in ein Kloster nach Kathmandu, wo sich sein Leben drastisch verändert: Er wird als Reinkarnation eines hochstehenden Lamas, eines Dolpo Tulku, erkannt. Heute wirkt der charismatische buddhistische Lehrer auf der ganzen Welt. Sehr alltagsnah und modern gibt Tulku psychologische Hilfestellung für sämtliche Lebenslagen. Der Leser taucht in eine Welt ein, die von Güte, tiefem Verständnis und Liebe zum Menschen und zur Schöpfung durchdrungen ist.

Dieses Buch erschien ursprünglich unter dem Titel "Der kleine buddhistische Lebensberater" im Kailash Verlag.

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Seitenzahl: 266

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Buch

Die gelassene Weisheit des Buddhismus lässt sich nicht nur in der Abgeschiedenheit eines asiatischen Bergklosters verinnerlichen. Der große buddhistische Lehrer Dolpo Tulku Rinpoche zeigt, wie uns die Lehren des Buddha auch im hektischen Alltag inspirieren können. Durch praktische Tipps und anschauliche Geschichten entwickeln wir ein tiefes Verständnis für schwierige Lebenslagen wie Eifersucht oder Trauer. So tauchen wir ein in eine Welt, die von der Liebe zum Menschen und zur Schöpfung durchdrungen ist.

Autor

Dolpo Tulku, auch Tulku Sherap Zangpo genannt, wurde 1982 in eine Lama Familie in Dho Tarap, Dolpo, geboren. Im Alter von neun Jahren wurde er Mönch im Kanying Shedrub Ling Kloster, Nepal. Dort erkannte ihn Dilgo Khyentse Rinpoche als Reinkarnation des dritten Dolpo Nyingchung Rinpoche Drubthob an. 1997, mit nur 15 Jahren, begann er seine höheren buddhistischen Studien am Nyingma Ngagyur Institut, die hochangesehene monastische Universität des Namdroling Klosters. Heute reist er durch Asien und Europa, um buddhistische Philosophie zu lehren, Vorträge und Seminare zum Thema Stress und Burn-out abzuhalten und über die Situation in seiner Heimatregion aufmerksam zu machen.

DOLPO TULKU RINPOCHE

Der buddhistische Lebensberater für jeden Tag

Von A wie Ärger bis Z wie Zufriedenheit

Dieses Buch erschien erstmals 2015 unter dem Titel »Der kleine buddhistische Lebensberater. Von A wie Ärger bis Z wie Zufriedenheit« im Kailash Verlag, Verlagsgruppe Random House GmbH, München.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

1. Auflage

Vollständige erweiterte Taschenbuchausgabe März 2018

© 2018 Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

© 2015 Kailash Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Lektorat: Michaela Perkounigg

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München, unter Verwendung eines Fotos von © Ya Noya

fm ∙ Herstellung: cb

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-22108-9V001

www.goldmann-verlag.de

Religionen haben die Funktion, unser natürliches Mitgefühl zu stärken, das uns allen als Menschen eigen ist. Verringert die Anwendung und Ausübung von Religion unser Mitgefühl, ist ihr wahrer Kern verloren gegangen.

INHALT

Einleitung

A – Ärger

B – Buddha

C – Charakter

D – Dharma

E – Eifersucht

F – Freigebigkeit

G – Glück

H – Helfen

I – Intention

J – Jammern

K – Karma

L – Lernen

M – Meditation

N – Natur (der Phänomene)

O – Offenheit des Herzens

P – Praxis

Q – Quelle des Leidens

R – Respekt

S – Selbstvertrauen

T – Tod

U – Unwissenheit

V – Vergänglichkeit

W – Wettbewerb

X – Xenophobie

Y – Yoga

Z – Zufriedenheit

Danksagung

Über den Autor

Kontakt

Quellennachweis

EINLEITUNG

Denken wir heutzutage an Buddhismus, tauchen meist Bilder von asiatischen Tempeln, Mönchsroben und einsamen Plätzen in schönster Natur vor unserem inneren Auge auf. Dazu stellen wir uns Stille, inneren Frieden und eine besinnliche Stimmung vor, eingetaucht im Duft von Räucherwerk. Wie soll diese Idylle in den hektischen Alltag passen, der bis zum Rand angefüllt ist mit den Anforderungen von Familie und Beruf, in dem Stress herrscht und wir nur allzu oft die Fassung verlieren? Diese beiden Welten scheinen unvereinbar. Bestenfalls schaffen wir es, einmal die Woche einen Meditationsabend oder Yogakurs zu besuchen – unsere spirituellen Auszeiten –, doch dann geht es gleich wieder zurück in die wahre Welt, fernab jeder Ruhe und Besinnlichkeit.

Ich möchte in diesem Buch zeigen, dass die Trennung von Alltag und spiritueller Praxis eine Illusion ist, ja mehr noch, dass sie grundlegend falsch ist. Die Lehren Buddhas wollen unseren Geist schulen, mit sämtlichen Lebenslagen so umgehen zu lernen, dass wir unseren inneren Frieden bewahren, Liebe und Mitgefühl entwickeln und fähig werden, Glück zu erfahren. Meditation und der Rückzug in die Abgeschiedenheit sind lediglich Mittel, um unseren Geist zu stärken, damit wir anschließend in all unseren täglichen Verrichtungen besser zurechtkommen. Keinesfalls sollten wir also zwei getrennte, voneinander unabhängige Welten schaffen.

So spreche ich in meinem kleinen Lebensberater verschiedene Alltagsthemen an, mit denen jeder von uns regelmäßig konfrontiert ist. Seien es Ärger, Eifersucht oder Jammern, die wir überwinden wollen, oder Glück, Selbstvertrauen und Zufriedenheit, die wir gerne stärken würden, oder Themen wie Tod und Vergänglichkeit, die uns tief im Innern bewegen.

Jedes der nun folgenden Kapitel beginnt mit einer kurzen Definition des Begriffs und beleuchtet dann die Möglichkeiten, mit diesen verschiedenen Aspekten im Leben konstruktiv umzugehen.

Natürlich greife ich dabei hauptsächlich auf mein buddhistisches Wissen zurück, das ich in meinem siebzehnjährigen Studium im Kloster erlernt habe, aber auch auf meine persönlichen Erfahrungen als Yakhirte im Himalaya oder als buddhistischer Lehrer in den verschiedenen Ländern der Welt. Viele Einsichten gewann ich zusätzlich aus den zahlreichen Gesprächen mit Ärzten, Psychologen, Wissenschaftlern oder Gelehrten unterschiedlicher Religionen. Auch diese Perspektiven wollte ich einfließen lassen, um dem Leser einen möglichst weitgreifenden Eindruck zu vermitteln.

Ich hoffe, dass all das, was hier zusammengefasst wurde, vielen Menschen ein wenig helfen kann, ihr Leben positiver anzugehen, aber auch Hindernisse und Schwierigkeiten besser zu meistern. Das ist zumindest mein großer Wunsch und meine Motivation beim Schreiben und Lehren.

Kathmandu, Nepal

Januar 2015

Dolpo Tulku Rinpoche

A

ÄRGER

Was ist Ärger?

Ärger ist ein aufgewühlter Geisteszustand, der uns peinigt und keinen inneren Frieden zulässt. Wir ärgern uns über Dinge, von denen wir glauben, dass sie uns schaden und uns leiden lassen. Wir alle merken genau, wann wir wütend sind. Doch wenn wir uns wieder beruhigt haben, untersuchen wir dieses Gefühl meist nicht mehr genauer. Wir könnten zum Beispiel erforschen, welche Funktion die Wut übernimmt und welche Umstände unseren Geisteszustand verändern. Dies wäre sehr hilfreich. Denn dadurch erfahren wir nicht nur, warum wir eigentlich ärgerlich wurden, sondern erhalten mit der Zeit auch ein umfassendes Verständnis der Situationen, die uns Schwierigkeiten bereiten.

Wenn wir Ärger analysieren, zeigt sich, dass die feinstofflichen Bahnen unseres Körpers, seine Energien und Essenzen aus der Balance geraten sind. So wie Joggen unseren Blutkreislauf beschleunigt, beschleunigt ihn auch unser Ärger. Beides erweitert die Blutgefäße und erhöht den Puls. Der große Unterschied liegt in der Unruhe unseres Geistes. Medizinische Untersuchungen zeigen einen deutlich höheren Blutdruck als in entspanntem Zustand. Menschen, die eine spirituelle Praxis ausüben, schwächen durch Ärger ihre Praxis und die aus ihr erwachsenden Qualitäten. Ein aufgewühlter Geisteszustand lässt uns zudem Dinge fehlerhaft wahrnehmen und ignoriert meist das Gute.

Einige Wissenschaftler behaupten, Wut beinhalte auch positive Aspekte. Befinden sich beispielsweise zwei Personen in Auseinandersetzung, in der einer ruhig und gelassen bleibt, glaubt womöglich der andere: »Ah, den kann ich leicht rumkriegen!«, und fängt an, ihn zu provozieren. Der anfangs Ruhigere wird allmählich doch ärgerlich, da er beginnt, sich um seine eigenen Interessen zu sorgen. Er möchte keinesfalls den Kürzeren ziehen. In solchen Fällen, heißt es, sei es angebracht, Wut zu empfinden, um sich zu verteidigen. Ich persönlich glaube, dass wir uns da täuschen. Verhalten wir uns anderen gegenüber aggressiv, werden sie mit der Zeit ähnlich reagieren. Greifen sich zwei Parteien gegenseitig an, wird die Auseinandersetzung wohl erst beigelegt, wenn eine Seite gewonnen hat oder die andere sich geschlagen gibt. Doch selbst dann können wir nicht sicher sein, ob der Konflikt für denjenigen, dessen Bedürfnisse nicht gestillt wurden, wirklich beendet ist. Wir glauben oft, Wut helfe uns allein schon dadurch weiter, dass wir sie empfinden. Doch da irren wir, denn sowohl das Gefühl an sich wie auch seine Manifestation und sein Ergebnis führen letztendlich nicht zu unserem ursprünglichen Ziel, dem Selbstschutz.

Dennoch glauben wir, Ärger würde uns schützen. Wir wollen uns partout nicht unterkriegen lassen, wir wollen, dass nicht wir, sondern die anderen verlieren. In diesen Momenten unterscheiden wir nicht mehr zwischen gut und schlecht. Unsere Achtsamkeit, die normalerweise unser Verhalten bestimmt, tritt in den Hintergrund. Doch anschließend, wenn wir uns beruhigt haben, verwandelt sich der vermeintliche Schutz oft in sein Gegenteil: Wir schämen uns, bereuen unsere Handlungen und spüren, dass wir uns entschuldigen sollten. Wut mag sich zwar als Bodyguard geben, doch sie raubt uns das Juwel des inneren Friedens. Sie zerstört unsere Beziehungen zu den Menschen, die uns am wichtigsten sind. Tauchen gleichwohl Situationen auf, in denen wir uns vor anderen schützen müssen, sollten wir eine Methode wählen, die uns und anderen wirklich hilft – und nicht unsere innere Ruhe verlieren oder anderen Menschen schaden.

Blicken wir in unseren Bekanntenkreis, finden sich immer Menschen, die schnell ärgerlich werden – vielleicht, weil sie einen schwierigen Charakter haben oder negative Veranlagungen. Jedenfalls sind sie nie zufrieden, blicken meist griesgrämig drein, verderben anderen die Laune und wirken nicht besonders liebenswürdig. Es gibt auch jene, die leicht wütend werden, aber erklären, dies sei nicht weiter schlimm, da sie ja nicht in böser Absicht handelten. Dennoch machen wir andere unglücklich, wenn wir unsere Wut ausleben. Sich anschließend zu entschuldigen ist nicht einfach und macht Geschehenes nicht rückgängig. Selbst wenn es nicht unsere Absicht ist, jemanden zu verletzen, verdunkelt sich doch unser Gesichtsausdruck, und wir sagen Dinge, die anderen wehtun. Wir sollten also stets unseren Geist beobachten und im Zaum halten. So fällt es leichter, besonnen zu handeln, und wir haben anschließend nichts zu bereuen.

Umgang mit Ärger im Alltag

Wir können uns ärgern aufgrund unserer Vorstellungen und unseres begrifflichen Denkens oder aufgrund unserer Gefühle.

Wie Ärger entsteht

Kleine Kinder, die intellektuell noch nicht ausgereift sind, können sehr zornig werden, wenn ihnen zu kalt oder zu heiß ist, sie Hunger haben oder keine Süßigkeiten bekommen. Darüber hinaus machen sie sich kaum Gedanken. Das Kind ärgert sich nicht deshalb, weil etwas seinen Überzeugungen widerspricht, es reagiert vielmehr unmittelbar wütend, weil es sich unwohl fühlt – ganz ohne gedankliche Umwege.

Wesentliche Faktoren für Wut sind, wenn sich Glück, eine gute Stellung, guter Ruf und Ruhm einerseits und Unglück, eine unbedeutende Stellung, geringes Ansehen und mangelnder Bekanntheitsgrad andererseits gegenüberstehen. Treffen die ersten vier Punkte auf uns zu, geht es uns gut, und wir sind glücklich und zufrieden. Unter diesen Umständen fällt es leicht, anderen zu helfen. Dennoch basieren die meisten Auseinandersetzungen auf eben diesen vier Punkten. Psychologisch lässt sich das so begründen: Erfahren unsere Gegenspieler und jene, die ihnen nahestehen, Glück und so fort, reagieren wir mit Neid und Ärger. Verhindert hingegen jemand, dass wir oder Menschen, die uns nahestehen, Glück erfahren und so fort, reagieren wir ebenfalls wütend. Dies ist das Spiel der Leid verursachenden Emotionen.

Das Gegenmittel – Geduld üben

Der Buddhismus betrachtet das Vermeiden und Überwinden von Wut als unerlässlich. Die verschiedenen buddhistischen Übungen werden immer stufenweise gelehrt, so auch Geduld. Doch um Geduld zu entwickeln, braucht man nicht eigentlich Buddhist zu sein oder einem spirituellen Pfad zu folgen. Genauso wie wir Wasser benötigen, um Feuer zu löschen, brauchen wir Geduld, um Ärger zu überwinden. Geduld ist ein ruhiger Geisteszustand, frei von Aggressivität und somit das Gegenteil von Wut. Sich in Geduld üben heißt, sich mit ihr vertraut zu machen. Und je vertrauter wir damit werden, desto weniger müssen wir uns anstrengen. Der Ärger nimmt ganz von selber ab, und schließlich werden wir in jeder Situation besonnen reagieren können. Wie ein Sprichwort sagt: In was auch immer wir uns üben, darin werden wir Experten; womit auch immer wir uns vertraut machen, das wird zu unserem natürlichen Verhalten.

Der Buddhismus lehrt drei Arten von Geduld:

Geduld mit leidvollen ErfahrungenGeduld mit Wesen, die uns schadenGeduld mit anderen Religionen

Geduld mit leidvollen Erfahrungen

Geduld mit leidvollen Erfahrungen heißt, schwierige Situationen akzeptieren zu können. Es bedeutet nicht, unnötiges, ungewolltes oder bedeutungsloses Leiden einfach nur über sich ergehen zu lassen. Es geht hier um das Maß an innerer Stärke. Wenn jemand nicht genug Stärke besitzt, anderen wirklich zu helfen, und sich so ärgert, dass er regelmäßig seinen inneren Frieden verliert, ist es wichtig, einen Weg zu finden, um innere Ruhe bewahren zu können. Darin liegt unsere größte Verantwortung. Sind wir zu dünnhäutig, können wir mit schwierigen Situationen nicht gut umgehen; unser Wohlbefinden ist sofort zerstört, sobald ein Problem auftaucht. Aus jeder kleinen Angelegenheit wird eine große Sache. Wir sollten darum als ersten Schritt unseren eigenen Geist zähmen. Erscheinen uns die Dinge gewohnheitsmäßig feindselig, fällt es schwer, das Positive in ihnen zu erkennen. Das macht psychisch krank und lässt uns die Freude am Leben verlieren. Es führt dazu, dass wir auf alle schwierigen Umstände gereizt reagieren. Wir glauben, wir müssten andere Menschen oder gar ganze Gruppen ändern, um unser Wohlbefinden wiederzuerlangen. Diese Haltung ist einer der Hauptgründe, weshalb wir unzufrieden werden und unseren Ärger weiter nähren. Es ist, als würden wir es darauf anlegen, in Zukunft wieder und wieder wütend zu sein. Wir werden uns ärgern, weil wir unseren Partner, unsere Kinder, die Menschen in unserem Umfeld nicht verändern können. Deshalb sollten wir Abschied nehmen von dem Wunsch, Menschen und Situationen ändern zu wollen. Stattdessen müssen wir unseren eigenen Geist und unsere Gereiztheit wandeln. Werden wir gelassener, nehmen wir die vielen Kleinigkeiten in unserem Umfeld, die uns zuvor ärgerten, nicht länger als störend wahr, und es wird uns möglich, mit größeren Herausforderungen besser umzugehen.

Vor Kurzem fragte mich ein Bekannter, wie man sich geistig so trainieren könne, dass man seine Ängstlichkeit verliere und entspannter werde. Ich antwortete, dafür müsse man sich selbst beobachten, Verständnis entwickeln sowie Erfahrung und Wissen ansammeln. Mit diesen Voraussetzungen könnten wir die Herausforderungen des Lebens meistern. Diese Entwicklung kann ich aus eigener Erfahrung definitiv bestätigen.

Durch wachsende innere Stärke werden wir nicht nur geistig belastbarer, sondern außerdem fähig, uns um das Wohlbefinden anderer zu kümmern. Mit mehr Gelassenheit und Ruhe können wir anderen besser zur Seite stehen. Die Lebensgeschichten von Nelson Mandela oder Mahatma Gandhi können hier als Beispiel dienen. Wir mögen uns vielleicht fragen, weshalb diese Menschen nicht zu Recht Zorn empfanden angesichts des großen Leids, das ihnen widerfuhr? Doch Persönlichkeiten wie sie erkannten, dass Wut einzig und allein unseren inneren Frieden zerstört und Situationen nicht wirklich verbessert.

Wollen wir uns in Geduld üben, müssen wir als Erstes unsere Wut bändigen. Als Nächstes müssen wir uns mit unserem Umfeld vertraut machen, die darin gegebenen Umstände richtig einschätzen lernen und dann entsprechend handeln. Und schließlich sollten wir uns damit abfinden, dass unsere Mitmenschen Verhaltensweisen zeigen, die völlig anders sind als unsere. Je mehr wir dies akzeptieren, desto stärker wächst unsere innere Kraft, wir beginnen, umfassender zu denken, und werden ganz natürlich geduldiger. Plötzlich erleben wir, dass Ereignisse, die uns vordem ärgerten, gar keinen Anlass mehr bieten. Es geht also nicht darum, die Objekte unserer Wut zu ändern, sondern unseren Geist durch Übung zu beruhigen. Deshalb sprechen wir vom Einüben der Geduld.

Geduld mit Wesen, die uns schaden

Es gibt immer Menschen, die uns nicht wohlgesinnt sind. Durch ihr Auftreten und ihre Stellung können sie uns in Frage stellen oder unser Leben erschweren. Versuchen wir, uns zu wehren, indem wir ihnen schaden, reagieren wir unbesonnen. Durchtrennen wir solch negatives Verhalten nicht gleich an seiner Wurzel und ersetzen es durch eine konstruktive Haltung, ist weder uns noch anderen geholfen.

Ärgern wir uns beispielsweise über unseren Chef, haben wir drei Möglichkeiten, mit der Situation umzugehen: Wir können (1) die Situation akzeptieren, nachdem wir sie untersucht haben; (2) die Arbeit aufgeben oder (3), falls sich mit beidem das Problem nicht lösen lässt, Gelassenheit üben. Gelingt es uns weder die Situation so anzunehmen, wie sie ist, noch den Job zu wechseln oder gelassen zu reagieren, werden wir mehr oder weniger acht Stunden am Tag, fünf Tage die Woche und Jahr für Jahr Ärger erleiden, so lange, wie wir dort unseren Lebensunterhalt verdienen. Gelingt es uns aber, entspannt zu bleiben und uns nicht zu ärgern, wenn unser Chef nörgelt oder unzufrieden ist, gelingt es uns auch, uns während der gesamten Arbeitszeit wohlzufühlen.

Sein eigenes Glück durch das Unglück anderer zu finden ist letztlich unmöglich. Pflegen wir unseren Groll, entwickeln wir mit der Zeit nur noch mehr Ärger. Wir glauben dann, wir wären im Recht und hätten keine andere Wahl, als uns zu verteidigen oder andere anzugreifen. Doch das Fundament ist unser Zorn, der nur immer weiter genährt wird. Ist dieses Fundament erst einmal gelegt, verdunkelt sich unser Geist so lange, bis sich Freunde, Familien, Dörfer und ganze Nationen entzweien oder Kriege führen.

Normalerweise glauben wir, die Personen, die uns Probleme bereiten, täten dies wissentlich und gern. Deshalb ist es wichtig herauszufinden: Wie ist die Situation tatsächlich, um die es mir und dem anderen geht? Haben wir uns wirklich verstanden? Wollte der andere mir wirklich wehtun? Dies sollten wir genau untersuchen. Wir nennen das analytische Meditation. Während dieser Betrachtung sollten wir unsere Gefühle außen vor lassen. Meist entdecken wir, dass uns selten jemand bewusst oder gerne schadet. Niemand möchte seinem Partner oder seinen Kindern wirklich schaden, doch ausgelöst durch bestimmte Umstände verhalten wir uns vielleicht dennoch lieblos und kränkend.

Nehmen wir eine Person, die normalerweise offen und nett ist, sich aber plötzlich unfreundlich verhält. Sind wir unaufmerksam, könnten wir denken: »Ah, der schaut mich so grimmig an, obwohl ich gar nichts getan habe. Warum ist der sauer auf mich? Wenn er schlechte Laune hat, braucht er sie nicht an mir auszulassen.« Mit dieser Haltung werden wir nur selber ärgerlich. Gelingt es uns dagegen, Verständnis für den anderen aufzubringen, könnten wir denken: »Vielleicht geht es ihm heute nicht gut. Was er gerade sagt, brauche ich mir nicht so zu Herzen zu nehmen.« Bleiben wir also offen und überlegen, wie wir den anderen unterstützen können, werden wir mehr Mitgefühl entwickeln und Glück erfahren.

Geduld mit anderen Religionen

Wut entspringt zweierlei: Emotionen und intellektuellen Konzepten. Sich über andere religiöse Systeme zu ärgern gehört zu Letzteren, da sich die Ansichten anderer von den unseren unterscheiden.

Es gibt zahllose Beispiele von Konflikten, die darauf basieren, dass Menschen nicht akzeptieren wollen, dass es verschiedene Kulturen und Religionen mit unterschiedlichen Hintergründen, Sichtweisen und vielfältigem Nutzen gibt und geben muss. Doch letztlich ist das Ziel aller Religionen, Frieden zu schaffen. Ohne diese grundlegende Einsicht werden Unverständnis, Wut und Aggression immer wieder aufs Neue entbrennen. Üben wir uns also nicht in Geduld anderen Religionen gegenüber auf der Grundlage unserer eigenen religiösen Sicht, schaffen wir auch kein Fundament für Frieden. Die Anhänger unterschiedlicher Religionen und Menschen, die Religion für sich ablehnen, sollten einander deshalb tolerieren. In jeder Religion gibt es Aspekte, die wir gutheißen können. Diejenigen Anteile nun, mit denen wir nicht übereinstimmen wie zum Beispiel die Annahme oder Ablehnung eines Schöpfergottes, können wir akzeptieren lernen, wenn wir uns Folgendes vergegenwärtigen: Jede Religion beinhaltet Elemente, die wir auch in der eigenen Religion schätzen. Nehmen wir diese Haltung ein, werden wir echtes Interesse und Respekt für andere religiöse Traditionen entwickeln.

Haben Menschen die gleiche Sichtweise, fällt es leicht, Toleranz zu üben. Wenn uns aber bewusst ist, dass alle Religionen im Grunde ein ähnliches Ziel haben, können wir leichter über diejenigen Punkte hinwegsehen, mit denen wir nicht übereinstimmen. Respekt und Anerkennung aufzubringen für Sichtweisen, die unserem Weltbild nicht entsprechen, ist eine echte Heldentat und eine Entscheidung für den Frieden. Begriffe wie Gleichwertigkeit, Herzensgüte und Weltfrieden werden dann bedeutungslos, wenn wir jede Abweichung von unserer eigenen Sicht nicht ertragen. Eine der Grundregeln innerhalb der buddhistischen Praxis ist deshalb, anderen Religionen Respekt zu erweisen und sich an ihren Qualitäten zu erfreuen. Erkennen wir dennoch einen Missstand, sollten wir nicht unreflektiert und unbedacht kritisieren. Aus buddhistischer Sicht gilt es als negativ, Schlechtes über andere Religionen zu sagen. Das heißt aber nicht, Unstimmigkeiten einfach zu übersehen.

Fassen wir abschließend alle Punkte zusammen, können wir sagen: Wesentlich ist, die zerstörerische Kraft von Ärger zu verstehen und unseren Geist durch Geduld und Verständnis zu transformieren.

B

BUDDHA

Wer war Buddha?

Der historische Buddha, damals noch Prinz Siddhartha genannt, wurde 623 vor Christus in Lumbini, im heutigen Nepal nahe der indischen Grenze, geboren und verstarb 543 vor Christus. (Diese Zeitrechnung wurde im Jahr 1950 von der Weltvereinigung der Buddhisten in Sri Lanka während der ersten Vollversammlung festgelegt.) Zu jener Zeit entstanden in Indien viele neue Glaubenssysteme, während andere verschwanden, und so war es ein günstiger Zeitpunkt für die Entwicklung einer neuartigen Religion. Jede philosophisch begründete Religion, die auf Logik basierte und sich für die Menschen im Alltag als nützlich erwies, besaß gute Chancen, innerhalb der vorwiegend hinduistischen Gesellschaft anerkannt zu werden. Die buddhistische Lehre, neben anderen wie die der Jains, beinhaltete diese Aspekte und konnte sich aus diesem Grund bei den damals üblichen öffentlichen Debatten durchsetzen und schließlich als eigenständige Religion verbreiten.

Mit den Jahrhunderten dehnte sich der Buddhismus über die Grenzen Indiens aus und fand Eingang in zahlreiche, meist asiatische Länder. Seit etwa dem 19. Jahrhundert nimmt das Interesse verstärkt auch in den westlichen Ländern zu. Das Forschungszentrum Pew beispielsweise veröffentlichte 2007 einen Bericht, aus dem hervorgeht, dass der Buddhismus in den Vereinigten Staaten von Amerika – nach Christentum und Judentum – bereits die drittgrößte Religion ausmacht.1 Dies zeigt, dass sich diese über 2.550 Jahre alte Weisheitstradition mittlerweile zu einer modernen Weltreligion entwickelt hat.

Ist Buddha Gott oder Mensch?

Folgt man den Gelehrten unter den Buddhisten, wird Buddha Shakyamuni nicht als Gott, sondern als ein Lehrer betrachtet, der Befreiung erlangte und auf der Basis seiner authentischen Erfahrung und Erkenntnis den Weg hierzu lehrte. Dies ist ein Grund, weshalb sich zunehmend auch mehr westliche Menschen für seine Weisheitslehren interessieren. Weitere Gründe sind die Herangehensweise der logischen Beweisführung, die spezielle Sicht des abhängigen Entstehens, die prinzipielle Gleichwertigkeit aller Menschen und eine demokratische Entscheidungsfindung innerhalb der buddhistischen Gemeinschaften. Große Anziehungskraft liegt auch darin, dass Buddha Shakyamuni als Mensch durch die Praxis seines spirituellen Pfades vollkommene Weisheit erlangte und daraus unendliches Mitgefühl verwirklichte. Da wir in unserem Menschsein alle gleich sind, können wir diesem Weg folgen und ebenfalls Buddhaschaft erlangen. Die Lebensgeschichte Buddhas verdeutlicht sein Menschsein: Die Texte beschreiben, wie er sich im Mutterleib entwickelte, geboren wurde, verschiedene Fähigkeiten erlernte, heiratete, sich als Mönch ordinieren ließ, meditierte, seine negativen Geisteszustände überwand, Erleuchtung erlangte, schließlich den Dharma lehrte und ins Nirvana einging. Keines dieser Stadien überschreitet die Grenzen des Menschlichen. Er war keine magische Erscheinung, kein überirdisches Wesen oder Überbringer göttlicher Nachrichten in menschlicher Form.

Im Hinduismus dagegen wird Buddha als die neunte von zehn Erscheinungsformen des Gottes Vishnu2 verstanden, der inkarnierte, um den Pfad des Friedens zu lehren. Die Lehren Buddhas werden darum als Teil der hinduistischen Lehren anerkannt. Es gibt noch weitere Beispiele für die Verbindung Buddha Shakyamunis mit anderen Religionen. Die Ahmadiyya-Muslime3 zum Beispiel erkennen ihn als einen der Propheten an; eine Gruppe früher chinesischer Tao-Buddhisten nahm an, Buddha sei eine Reinkarnation Laotses4; und die Geschichte des christlichen Heiligen Josaphat5 soll auf der Lebensgeschichte Buddhas beruhen.

Betrachten wir nun, wie Buddha selbst sich sah, so beschrieb er sich weder als eine Art Gott oder Gesandten Gottes noch dass er im Besitz von Schöpferkraft sei. Er sagte vielmehr: »Die Buddhas können unheilsame Taten nicht wegwaschen. Sie können das Leiden derWesen nicht mit einem Handstreich beseitigen. Sie können ihre Erkenntnis nicht auf andere übertragen. Sie zeigen einzig die friedvolle Natur der Wirklichkeit, wodurch Befreiung erlangt werden kann.«

Buddha sagte außerdem: »Jeder ist sein eigener Beschützer. Niemand sonst kann der Beschützer sein.«

All dies deutet darauf, dass die Lehren und deren Bedeutung von jedem selbst erfahren und überprüft werden müssen, aber gleichzeitig auch für jeden erfahrbar sind.

Buddha im Alltag

Wir alle benötigen Lehrer in Bereichen, in denen uns Wissen und Erfahrung fehlen. So sind die ersten Lehrer und Wegweiser unsere Eltern, danach unsere Schullehrer, die unsere intellektuelle Entwicklung bis ins Erwachsenenalter begleiten. Lehrer formen unser Wissen und unsere Sicht auf die Welt und bilden zugleich eine Brücke zwischen den verschiedenen Abschnitten des Lebens.

Brauchen wir einen Lehrer wie Buddha?

Welche aber sind unsere wichtigsten Lehrer, und wie verhalten wir uns ihnen gegenüber angemessen? Aus meiner Sicht brauchen wir vor allem Lehrer, die uns einen Weg zu Glück und Zufriedenheit zeigen. Solche Lehrer müssen gleichzeitig Lehrer der Wahrheit sein. Und der Respekt, den wir ihnen entgegenbringen, richtet sich nach ihren Qualitäten. Dann sprechen wir von authentischen Lehrern.

Als ich zu Beginn meiner Ausbildung im Namdroling-Kloster in die Obhut meiner ersten Lehrer kam, besaß ich noch keine rechte Vorstellung davon, was ein Lehrer wirklich ist. Doch nach einiger Zeit und mit mehr Wissen erkannte ich die unterschiedlichen Qualitäten; meine Lehrer, allen voran Penor Rinpoche, vermittelten nicht nur die Bedeutung der Lerninhalte, sondern zugleich gütiges und wohlwollendes Verhalten sowie Geduld und Hingabe. Das erkannte ich allerdings nicht von heute auf morgen, sondern durch stetes Ansammeln von Erfahrungen, was mein Vertrauen zunehmend stärkte.

Wir alle brauchen Lehrer, die uns zusätzlich zur Wissensvermittlung zeigen, wie wir körperliches und mentales Wohlbefinden erlangen. Hierzu möchte ich eine Geschichte erzählen: Es trafen sich drei Schüler verschiedener Meister, von denen jeder behauptete, sein Meister sei der erstaunlichste. Der erste sagte: »Mein Lehrer kann eine Woche meditieren, ohne zu schlafen.« Daraufhin erzählt der zweite Schüler: »Mein Meister ist noch wundersamer. Er kann, ohne zu essen, eine Woche lang meditieren.« Der dritte schließlich warf ein: »Mein Lehrer ist euren bei Weitem überlegen.« Die beiden fragten erstaunt: »Ohne was kann denn dein Lehrer auskommen?« Der dritte Schüler antwortete daraufhin: »Mein Lehrer kann nicht nur eine Woche lang meditieren, er isst auch, wenn er Hunger hat, und schläft, wenn er müde ist.«

Der dritte Schüler betont in der Geschichte, was für unser tägliches Leben wichtig ist. Wir brauchen einen bodenständigen Lehrer, der, statt Wunder zu vollbringen, zeigt, was uns physisch wie seelisch erfüllt und uns geistigen Frieden bringt.

Wer ist ein Lehrer der Wahrheit?

Der indische Gelehrte Dharmakirti lebte im 7. Jahrhundert nach Christus und lehrte in Indien an der berühmten buddhistischen Nalanda-Universität. Er beschrieb in seiner Abhandlung über gültige Erkenntnis die Merkmale, die ein authentischer Lehrer aufweisen muss. Gültige Erkenntnis meint hier auf Logik basierende Erkenntnis. Ob gültige Erkenntnis in Verbindung mit dem Wort Lehrer im Deutschen ebenso verwendet werden kann und es die gleiche Bedeutung hat wie im Sanskrit und Tibetischen (Sanskrit pramana; Tibetisch tshad ma rigs pa), vermag ich nicht zu sagen. Deshalb verwende ich hier lieber die etwas verständlicheren Worte wahr und Wahrheit.

Der Ausdruck Lehrer der Wahrheit beinhaltet drei Aspekte: (1) Der Begriff Wahrheit meint das korrekte Erfassen der Dinge ohne jeden Irrtum; (2) der Schüler wird mit dieser Wahrheit nicht getäuscht; und (3) die Geschicklichkeit des Lehrers in der Anwendung seiner Methoden. Diese drei Faktoren nun können als Orientierung dienen und sollten im Prinzip allen religiösen, spirituellen oder politischen Leitfiguren zu eigen sein.

Wahrheit als ein korrektes Erfassen ohne jeden Irrtum

Dies bedeutet, der Lehrer besitzt ein fehlerfreies Verständnis der Wirklichkeit. Wird uns ein Pfad gezeigt, der auf einem falschen Verständnis gründet, wird er nicht zum Ziel führen, ganz egal, wie groß das Mitgefühl unseres Lehrers sein mag. Erklärungen, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen, sind nicht gültig begründbar, und ohne klare Begründung können die Zweifel der Schüler nicht beseitigt werden. Folglich wird es schwerfallen, Vertrauen in diese Lehren zu fassen. Kennt ein Lehrer nicht die psychischen und alltäglichen Probleme, unter denen wir leiden, wird er uns nicht wirklich weiterhelfen können.

Vergleichen wir dies mit einer liebenden Mutter, deren Kind erkrankt ist: Ihre Liebe allein lässt sie die Krankheit nicht verstehen und so das Kind nicht gesund werden. Darum braucht es einen Arzt, der die Krankheit zweifelsfrei diagnostizieren kann. In gleicher Weise ist es notwendig, dass wir in wichtigen Situationen keinen Irrtümern erliegen. Was wir also brauchen, ist eine klare und auf Logik begründete Erkenntnis der Wirklichkeit, die nicht auf blindem Vertrauen ruht, sondern auf einer exakten Analyse und einem sorgfältigem Studium.

Wie Jamg-on Mipham Rinpoche, ein tibetischer Gelehrter (1846-1912), in seiner Abhandlung Lampe der Gewissheit feststellt: »Als Erstes ist die Untersuchung wichtig. Denn wie kann ohne Untersuchung klare Gewissheit entstehen, die nicht interpretiert werden muss? Wenn keine klare Gewissheit herrscht, wie kann falsches Verständnis beseitigt werden?«

Wahrheit, die den Schüler nicht täuscht

Unter den vielen möglichen Gründen, andere zu täuschen, möchte ich nur einige nennen: das Verlangen, die eigenen Ziele zu erreichen, im Wettstreit zu gewinnen, reich und berühmt zu werden, Anhänger um sich zu sammeln. Aus all diesen Gründen führen Politiker, religiöse Leitfiguren, Lehrer oder Liebespartner einander in die Irre. Sie wollen ihren eigenen Vorteil sichern und zeigen damit, dass sie andere nicht ausreichend respektieren. Demgegenüber wird jemand, der verständnisvoll und mitfühlend ist, mit Wahrheit so umgehen, dass er ihm anvertraute Menschen achtet und nicht in die Irre führt.

Geschick in der Anwendung der Methoden

Geschicklichkeit ist für jede Art von Aktivität wichtig, vor allem aber, wenn wir Menschen führen und anleiten wollen. Wenn ein Lehrer nicht weiß, wie er seine Einsichten vermitteln soll, wird er seine Ziele schwerlich erreichen.

In den Himalaya-Regionen gibt es dazu ein Sprichwort: »Dreißig Menschen haben dreißig verschiedene Vorstellungen. Dreißig Yaks haben sechzig unterschiedliche Hörner«, das heißt, es gibt mindestens so viele Interessen, wie es Wesen gibt; und es ist schwer möglich, alle zufriedenzustellen. Darum ist es für jede Art Lehrer unabdingbar, die Vielfalt der Menschen mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten und mannigfaltigen Neigungen zu berücksichtigen sowie deren Lebensumstände innerhalb einer Gesellschaft zu kennen. Erwächst daraus ein klares Verständnis, flexible Methoden und das Ziel sowie die aufrichtige Motivation, unvoreingenommen zu helfen, sprechen wir von einem geschickten und auch vertrauenswürdigen Lehrer. Er oder sie beherrscht mühelos verschiedenste Methoden und wendet sie gewandt sowie in Einklang mit den unterschiedlichen Interessen, Bedürfnissen oder Nöten seiner Schüler an.

Beziehen wir diese drei Punkte nun auf den Buddha. In einem der Sutren, dessen Name Das gekürzte Sutra lautet, heißt es: »Wie können Myriaden von führerlosen Blinden, die den Weg nicht kennen, in ein Dorf gelangen? Ohne Weisheit sind die fünf augenlosen Tugenden vergleichbar Blinden ohne Blindenführer, nicht fähig, Erleuchtung zu berühren. Nur wenn vollständige Erkenntnis durch Weisheit erlangt ist, erhalten sie Augen und den Namen transzendentale Weisheit.«

Bezogen auf den Pfad der Weisheit, der auf logischer Beweisführung beruht, sagte Buddha: »Mönche und Gelehrte, so wie Gold geschmolzen, geformt und gerieben wird, so untersucht meine Worte sorgfältig; nicht allein aus Respekt mir gegenüber sollt ihr sie übernehmen.«

Ein Lehrer kann die Wahrheit nur aufzeigen. Das, was wirklich ist, muss jeder selbst untersuchen, erforschen und letztendlich erfahren. Bezogen auf Punkt zwei nun, die Wirklichkeit korrekt zu lehren und den Schüler nicht zu täuschen, möchte ich etwas ausholen. Als Buddha Shakyamuni entschied, das Königreich seines Vaters nicht zu übernehmen und alles aufzugeben, ließ er nicht aus Eigeninteresse alles hinter sich, sondern weil er auf der Suche nach Wahrheit und einem Weg war, der die Leiden von Geburt, Altern, Krankheit und Tod sowie die mentalen Leiden aller Wesen beenden kann. Es war Mitgefühl angesichts des Leids, das ihn veranlasste, sich dem Wunsch seines Vaters zu widersetzen. Er widersetzte sich aber nicht nur seiner Bestimmung als König, sondern handelte auch sonst vollkommen frei und unvoreingenommen. Gesellschaftliche Klassen, verschiedene Religionen und Länder, sie alle erachtete er als gleichwertig in dem Wunsch, frei zu sein von Leiden und Glück zu erfahren. Als König wäre es seine Aufgabe, das Reich vor Feinden zu sichern und dessen Grenzen zu erweitern. Dazu hätte er andere besiegen und Methoden anwenden müssen, die notgedrungen Leiden hervorrufen.

Buddha besaß also die Weisheit, die Wirklichkeit so zu erkennen, wie sie ist; er hatte unermessliches Mitgefühl und die innere Stärke, seine Anhänger nicht zu täuschen, und war frei von Stolz, andere von der Wahrheit seiner Lehren überzeugen zu müssen. Sein Geschick bestand darin, in Verbindung mit den Objekten und Inhalten, der jeweiligen Zeit und den unterschiedlichen Interessen der Schüler so zu lehren, dass jeder sich angesprochen fühlen konnte, während er zugleich die Fähigkeiten eines jeden Einzelnen berücksichtigte. Den jeweiligen Umständen angemessen lehrte Buddha mit dem letztendlichen Ziel zu zeigen, dass alle negativen Geisteszustände und damit sämtliches Leid überwunden werden kann.