Der Champion der Dörfer - Franz T. Fischbacher - E-Book

Der Champion der Dörfer E-Book

Franz T. Fischbacher

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Beschreibung

Quer durch Zeit und Raum bestreiten Individuen konträrer Gesellschaftsschichten den ewigen Kampf um ihr persönliches Schicksal. Der vermeintlich Unterlegene kann mit List und Mut seinen Untergang abwenden. Diese Geschichten bestechen mit einem Mix aus Abenteuer, Kabale, Liebe, sowie Humor der speziellen Art. Obwohl es einzelne Geschichten sind, möchte man das Buch nicht mehr aus der Hand legen, wenn man mit dem Lesen einmal begonnen hat!

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Seitenzahl: 378

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Inhaltsverzeichnis

Impressum 2

Ein paar Worte zum Beginn 3

Der Champion der Dörfer 4

Die Gazelle und der Bär 19

Zivilcourage (ein modernes Heldenepos) 37

Phantom im Nebel 45

Keine Zeit für Träume 62

God bless America 71

Option inakzeptabel? 83

Frohe Ostern 95

Der Teufel kehrt zurück 103

Mum 112

Gorm, der Wühler 123

Der Mann im Mond 137

Traumgespinste 151

Die Guten ins Töpfchen 168

Virusalarm 179

Beschwerdemanagement (Eine Episode in meinem Berufsleben) 188

Diebsgesindel (Ein Castor-und-Pollux-Fall) 194

Spielplatz der Dämonen 214

Reise ins Glück 225

Kohlköpfe al dente 238

Einige Worte zum Abschied 247

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2022Vindobona Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-949263-69-9

ISBN e-book: 978-3-949263-70-5

Lektorat: Juliane Johannsen

Umschlagfoto: Rudall30, Eriksvoboda, Muhammad Arifin | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: Vindobona Verlag

www.vindobonaverlag.com

Ein paar Worte zum Beginn

Verehrte Leseratten. Falls einer in diesem Band nicht fündig wird, bzw. rein gar nichts drinnen steht, welches ihm zusagt, dann ist er einfach nur heikel und übersättigt. Alle anderen aber, welche gerne Abwechslung bei ihrer Lektüre zu schätzen wissen, werden sich freuen, wieder einen Band aus meiner Feder in ihren Händen zu halten. Es enthält ein Sammelsurium an Kurzgeschichten, wie es sich nur ein boshaftes, aber auch ein wenig durcheinander gewirbeltes Gehirn ausdenken kann. Oder ein überbelichtetes? Das Urteil darüber überlasse ich den Lesern. Nun genug geschwafelt und weiterblättern.

Viel Vergnügen, Euer

Franz T. Fischbacher

Der Champion der Dörfer

Die letzten Strahlen der sich für diesen Tag zurückziehenden Sonne spiegeln sich im leichten Wellengang des schmalen langgezogenen Gewässers. Die silberglänzende Oberfläche zuckt in dauernder Bewegung. Von Myriaden ängstlicher Kleinfische verursacht, welche in Angst und Panik vor ihren gefräßigen Verwandten in wilder Flucht dahinjagen und oftmals die Wasseroberfläche durchbrechen. Noch vor kurzem gingen an diesen Orten brave Fischersleute ihrer Profession nach. Ihr kleines Dorf wurde abgebrannt und sie flohen in andere, weiter weg gelegene Dörfer. Zu Verwandten und Freunden. Die neuen Herren verboten den Fischfang im See und entzogen damit ihre Lebensbasis.

Ein gutes Stück oberhalb der verkohlten Balken der ehemaligen Ansiedlung hockt ein Junge von etwa zwölf Jahren im Schatten eines grauen Findlings. Gord arbeitete als Hüter für die Kleinbauern der Dörfer. Mit seinem Partner Borok beschützte er die verstreut grasenden Ziegen und Schafe vor Wölfen, Adlern sowie Diebesgesindel. Vor Boroks großen Zähnen sowie seinem grimmigen Gebell hatten diese Gesellen rechten Respekt. Gord blickt über das Tal zu den dort aufragenden Bergen. Am Fuß eines steilen Kalkfelsens brennt unheilvoll das flackernde Feuer einer Pechfackel. Es beleuchtet die Fassade der wehrhaften Burg der Herren dieser Ländereien. Auf den Zinnen patrouilliert die Wachmannschaft in unregelmäßigen Abständen. Tiefer Hass lodert in der Seele des Hirtenjungen. Seit drei Monden terrorisieren die Usurpatoren dieses einst friedliche Gebiet. Fernab der wichtigen Handelsrouten, arm an Bodenschätzen sowie nur spärlich besiedelt, ließ der Hochkönig bislang keine Reaktionen erkennen, dieses zu seinem Hoheitsgebiet gehörende Grenzland zu befrieden. Kein Heer oder nur ein Aufklärungstrupp erschien bisher. Eine vom Ältestenrat der Dörfer an den Hof entsandte Abordnung reiste in die Hauptstadt. Sie kam niemals zurück. Gord erschauert unter seinem Schaffellmantel. An der einsetzenden Abendkühle alleine liegt es nicht. Sein Vater war Mitglied der Delegation. Verschollen oder nicht mehr am Leben. Von dieser Ungewissheit aufgewühlt klammert sich der Junge an den mächtigen, trostspendenden Leib des Hundes.

Gords fliegende Gedanken eilen zurück. Die Anfänge des heraufziehenden Unheils erscheinen vor seinem geistigen Auge. Aus den unwirtlichen Wüsten und Steppen hinter der Südgrenze tauchten vereinzelte Räuberbanden blitzartig im Alltag der friedlichen Bauerndörfer in Erscheinung. Sie plünderten und töteten manchmal einen der Bewohner, der sein Hab und Gut oder seine Familie beschützen wollte. Solche Übergriffe waren zwar selten, kamen jedoch schon immer vor. In diesen Fällen verließ der Burgherr seine Festung, sammelte seine berittenen Krieger und verfolgte die Räuberbanden. Er ließ jeden bei einer Untat gefassten Banditen unverzüglich hängen und sorgte für Recht und Ordnung. Auch dieses Mal versammelte er einen stattlichen Trupp ausgewählter Krieger unter die Fahne des Königs und verfolgte die fliehenden Eindringlinge weit über die Grenze ins Wüstenland. Dort verloren sich die Spuren der Verteidiger. Keiner von ihnen kehrte in die Heimat zurück. Dafür eine gut bewaffnete Horde von Wüstenräubern. Erfahrene Kämpfer mit Schwert und Lanze. Zudem exzellente Bogenschützen. Unaufhaltsam und ohne Gegenwehr marschierten sie durch die fruchtbare Ebene am Fluss und nahmen die verwaiste Burg in Besitz. Tombur der Eroberer hieß ihr Anführer. Um den verdutzten Einwohnern die Lage klarzustellen, ließ er zugleich einige Dörfer niederbrennen. Seine Truppen bedienten sich am Eigentum der Bevölkerung schamlos und stahlen alles, was nicht niet- und nagelfest war! „Auf Befehl der neuen Herrschaft! Tombur des Eroberers!“, brüllten die verwilderten, primitiven Eindringlinge.

Seither lebt das wehrlose Volk in dauernder Furcht und Not. Viele hungern und wissen nicht mehr ein noch aus. Lähmende Hoffnungslosigkeit bedeckt den einstmals wohlhabenden Landstrich. Die Bauern ducken sich unter der Knute der neuen Herrscher. Apathisch gehen sie ihren gewohnten Tätigkeiten nach, wohlwissend, dass ihnen der Ertrag der Arbeit wieder brutal entrissen wird. Mord und Frauenraub sind an der Tagesordnung. Einige wenige verließen ihre Heimatstätten und leisteten Widerstand. Schlecht bewaffnet, ohne Reitpferde sowie keine besonderen Kenntnisse in der Kriegskunst. Diese braven Leute erzielten nur sehr bescheidene Erfolge im Kampf gegen den Feind und stellten keinerlei Gefahr für Tombur, den Eroberer dar. Hinter vorgehaltener Hand meist Tombur, das Arschloch genannt! Der Anführer der Wüstensöhne richtete sich in der in Besitz genommenen Festung ein. Tagsüber besorgten seine Raubtruppen die nötigen Lebensmittel und des Nachts feierten sie ausgelassen ihren Sieg! Tombur blieb seinen Wurzeln treu. Der Räuber blieb ein Dieb, Mörder und Plünderer. Ein erobertes Land zum Nutzen aller zu regieren widerspricht all seinen Instinkten. Der Starke bleibt am Leben, die anderen sterben! Eine einfache Devise für einen primitiven Leuteschinder. Bisher störten ihn die Überfälle der Partisanen nicht. Jedoch vorige Woche steckte ein Pfeil im Halse seines Lieblingspferdes. Eine versuchte Brandstiftung im Wirtschaftsgebäude der Festung konnte nur knapp verhindert werden. Die Übergriffe auf vereinzelte reitende Krieger jedoch nicht. Die Partisanen waren ortskundig und wurden nur selten gefasst.

Aus diesem Grunde kniet heute einer der Ältesten der Dörfer in der Halle der Festung. Im reich mit Schnitzereien verzierten ehemals als Thron dienenden Stuhl seines Vorgängers sitzt ein ergrimmter Räuberhäuptling, böse Blicke auf den verzagten Dorfschulzen werfend. „Hast du mich verstanden? Du Wurm! Für jeden Kratzer, den meine Pferde oder Leute erleiden, werde ich hundert Menschen köpfen lassen! Bei den Göttern!“ Ein grausames Grinsen begleitet die harschen und ernst gemeinten Worte des Despoten. Der Dorfälteste breitet ergeben die abgearbeiteten Hände wider den Herrscherstuhl. „Oh Göttlicher! Dein Wille geschehe! Ich und meine Amtskollegen, wir sind ohne Macht. Über Befehlsgewalt haben wir niemals verfügt. Die aufständischen jungen Männer hören nicht auf unsere mahnenden Worte. Unser vergangener Herr war in diesem Lande die einzige Autorität von Range. Da jedoch dieser von uns gegangen ist, fehlt eine vom Volke anerkannte Symbolfigur!“ „Dann sollte ich wohl dem Drängen meiner Männer nachgeben und das Land endgültig befreien. Von Euch Aufwieglern restlos säubern! Du Wanze!“ „Oh Himmlischer! Davon ist abzuraten! Ohne die fleißigen Arbeiter gingen Euch bald die Nahrungsmittel zur Neige. Weiter in die Lande des Königs zu ziehen, wäre nicht zu empfehlen. Dort herrschen mächtige Fürsten mit riesigen Heerscharen und mächtiger Kriegsmaschinerie. Euch bliebe nur der Weg zurück in die weiten Wüsten und kargen Steppen Eurer Heimat. So etwas ist keine Option für Eure Herrlichkeit. In einem Zelt hocken, statt diese bequeme Burg bewohnen!“ Der Dörfler schüttelt energisch den kahlen Schädel. „Nein! Da besitze ich einen besseren Rat. Die Erreichung des Status als legitimer Beherrscher des Landes. Diesen würden, nein müssten alle Bewohner uneingeschränkt akzeptieren. Die beste Wahl wäre in diesem Falle eine Entscheidung der Götter. Einem Gottesurteil widerspricht kein Sterblicher!“ Der Dorfobere hockt nun aufrecht vor dem nun aufmerksam lauschenden Kriegshäuptling. „Du sprichst schöne Töne, einfältiger Floh! Bist du auch in der Lage, aus diesen Tönen einen Gesang zu formulieren, einen durchführbaren Plan zu konstruieren?“ „Jawohl, oh Unbesiegbarer! Einen ziemlich einfach gestrickten sogar! Entweder Ihr schickt einen Kämpfer oder zieht selbst das Schwert! Im ehrlichen Zweikampf gegen den von uns geschickten Gegner. Wir auf unserer Seite verfügen zwar nicht über einen geübten Soldaten. Das macht jedoch gar nichts, da bei einen Gottesurteil die Götter entscheiden! Der mächtigste Krieger der Welt würde den Kampf gegen einen Bauernsohn nicht gewinnen, sollten die Götter anders entscheiden! Beide Parteien dürfen das Ergebnis der Launen der überirdischen Herren nicht in Frage stellen! Nach dem Kampfe seid Ihr im Besitz der höchsten Legitimation für das Amt des Landesfürsten. Die Aufrührer kehren beschämt zurück in ihre Heimatdörfer und bestellen die brachliegenden Felder. Zum Wohle aller! Auch der große König in seiner weit entfernten Residenz würde die Entscheidung nicht verwerfen! Lang lebe unser Landesherr, Tombur, der von den Göttern Auserwählte!“ Der Dorfälteste hält kurz inne. Der Räuberhäuptling kratzt sich nachdenklich das bärtige Kinn. Die Aussicht auf einen Zweikampf erregt ihn wie alles, bei dem es sich um Blut und Streit handelt. „Du bist ja eine schlaue Mücke“, nickt er anerkennend. „Oh von den Göttern Gesalbter! Lass mich nun enteilen. Der Champion der Dörfer lebt abgeschieden in den Höhlen eines einige Tagesreisen entfernten Hochtales. In sieben Tagen wird er bei Euch vorstellig sein. Alle Übergriffe der Partisanen ruhen bis zum Ende des Kampfes. Gebt ihm bitte ein paar Tage Zeit, sich von den Strapazen der Reise zu erholen. Um jeden Zweifel am Ausgang des Wettstreites im Keim zu ersticken! Füttert ihn gut, schließlich ist er nicht mehr allzu jung. In den Tälern des Hochgebirges wird einer nicht fett!“ Der Dorfabgesandte atmet erleichtert auf. Mit tiefen Verbeugungen verlässt er die Halle. Die in Gruppen beieinander stehenden Wüstennomaden beachten den dünnen Mann nicht mehr. Ein Duell um die Herrscherwürde bedeutet gebratenes Fleisch, Ströme von Wein und Bier. Dazu willfährige Liebesdienerinnen, sowie Spaß und Kurzweil für die Zuschauer! Vorfreude schafft sich Platz in den schwarzen Herzen der im Saal zurückbleibenden Männer.

Tombur, der Regent des Landstriches, dreht seine tägliche Kontrollrunde am Burgtor. Über den Laufgang zu der zinnenbewehrten Festungsmauer erreicht der Anführer der wilden Gesellen die Kasematte der Wachmannschaft. „Gibt es endlich etwas Neues? Dieser Champion der Dörfer lässt sich aber viel Zeit! Der ist bereits um zwei Tage überfällig!“ „Nein Tombur, nichts Verdächtiges zu erkennen!“ „Werden wir immer noch beobachtet?“, erkundigt sich der Burgherr beiläufig. „Ja, Herr! Seit einigen Wochen. Ein Junge und sein Hund. Ein Riesenvieh! Es ist vermutlich dieser Bengel, den wir von seiner Herde befreit haben. Wenn du befiehlst, stöbern wir ihn auf!“ „Nein! Wozu denn? So haben wir einen unbestechlichen Zeugen, dass wir einen ehrlichen Kampf abgeliefert haben. Seine Jugend kommt uns später zugute. Er wird sein Leben lang für uns arbeiten. Zum Wohle der Dörfer! Ha, ha, ha!“ Tombur besitzt feinen Humor und lacht schallend. Der Wächter stimmt ihm zu und grinst ebenfalls breit. „Ansonsten herrscht eine verdächtige Ruhe im Land, Herr. Keine nächtlichen Störungen oder Überfälle auf unsere Vorposten. Die Leute lächeln und zeigen nichts von der sonstigen Widerspenstigkeit. Sehr gespenstisch, wenn du mich fragst!“ „Dies wurde mir auch von den Patrouillen berichtet. Es hat den Anschein, als rechneten die Bauern mit einem Sieg ihres sogenannten Champions. Eine verwegene Hoffnung! Auf den Drachentöter bin ich inzwischen wirklich gespannt. Möglicherweise steht in den Reihen der Dörfer ein Riese. Einerlei! Die Anführerschaft über die Wüstensöhne habe ich mit dem Schwert und mit Mut erreicht. Ich haue auch einen Elefanten in Stücke!“ Der Burgherr blickt über den See. Dort verläuft eine schmale Straße. Jeder, welcher zur Burg gelangen will, muss diese benutzen. Sofern er nicht heimlich über die schroffen Klippen der umliegenden Berge klettert. Dort gibt es nur wenige von den Hirten genutzte Bergpfade. „Zeit für ein zweites Frühstück! Gib mir ohne Umschweife Bescheid, wenn mein Herausforderer an das Tor klopft!“ Tombur schlägt dem Hauptmann der Burgwache seine behandschuhte Schwerthand auf die Schulter und eilt die steinerne Treppe zum Burghof hinab. Eine Gruppe von Bogenschützen hat sich versammelt und unter der Aufsicht des Stellvertreters des Despoten verbessern sie ihre Fertigkeiten. Teils um nicht einzurosten, teils um die Zeit totzuschlagen. Plünderungen sind zurzeit verboten. Um bei den Dörflern den Eindruck zu erwecken, Tombur spiele ein ehrliches Spiel. Zufrieden beobachtet Tombur die Schießkünste seiner Leute. Wüstennomaden sind als die besten Bogenschützen dieser Weltgegend berühmt. Stolz über diese hervorragenden Eigenschaften seiner Truppe schlendert Tombur an den jeden Treffer bejubelnden Kriegern vorbei zur Treppe. In der gewaltigen Festhalle nimmt er im Herrscherstuhl Platz. Gelassen und absolut sorglos. Seiner Fähigkeiten im Kampf Mann gegen Mann bewusst. Unbesiegbar!

Tombur gähnt und schlummert, von Mord und Totschlag träumend, unversehens ein. Eine starke Hand legt sich auf seine Schulter und schüttelt ihn unsanft. Tombur erwacht, die Hand blitzschnell am Schwertgriff. Vor ihm steht eine der Wachen. „Herr! Der Kämpfer der Dörfer ist angekommen! Das hat er zumindest behauptet. Meiner Meinung nach ist dieses halbe Hemd kein Landsknecht. Und wenn doch, dann eine gehörige Schande für die Zunft. Aber sieh ihn dir selber an“, der grinsende Wachmann deutet zum von einer Fackel nur unzureichend unbeleuchteten Hallentor, wo eine schlanke Gestalt bescheiden und regungslos wartet. Von zwei Hünen flankiert. Misstrauisch beäugen diese den angekündigten Gast, was ihnen keiner übelnehmen kann. „Komm näher und nimm Platz! Ich will dich in ganzer Pracht und Stärke sehen!“, befiehlt Tombur gespannt. Langsam setzt sich die undeutliche Gestalt in Bewegung. An der langen Festtafel angekommen, verbeugt sich der Ankömmling tief und ehrerbietig. Unter erleichterten Seufzern nimmt er ungeniert Platz, wie befohlen. Überrascht beugt sich der Burgherr vor. Der Champion der Dörfer erweist sich als für diese Bezeichnung recht ungewöhnliches Exemplar. Der verdutzte Kriegsherr reibt ungläubig seine verschlafenen Augen. Jedoch der Anblick verändert sich keineswegs. Am Ende der Tafel hockt ein müder, klein gewachsener älterer Mann! Verschwitzt, staubig sowie erschöpft. Die Strapazen der Reise sind unübersehbar. Der kleine Mann hebt zögernd einen dünnen Arm. „Verzeiht, mein Herr! Darf ich um einem Becher Wasser bitten? Ich bin am Verdursten! Außerdem habe ich seit zwei Tagen keinen Bissen zu mir genommen!“ Ein schüchternes Lächeln im faltigen Greisengesicht bittet um Milde. Tombur nickt gnädig, worauf der Wachmann in die Küche läuft. Statt eines Dienstmädchens übernimmt die Köchin persönlich die Aufgabe, den neuen Gast zu bedienen. Neugier besiegt Faulheit. Der Gast greift wacker zu. Diese Gestalt einer Haselmaus entwickelt den Appetit eines hungrigen Bergwolfes. Derweil der hungrige Mann mit vollen Backen eine große Holzplatte voll mit Fleisch, Brot und Käse verspeist, unterhält sich sein Gastgeber angeregt mit ihm. „Kommst du von weit her?“ „Aus den Bergen. Ungefähr 30 Meilen entfernt.“ Der Nimmersatt gibt bereitwillig Auskunft. „Wie kommt es, dass du für diesen Katzensprung so lange unterwegs warst? Du hattest wohl Angst und hast gebummelt!“ „Oh nein, Herr! Für einen Reitersmann mag es ein kurzer Weg sein. Ich habe jedoch den ganzen Weg auf Schusters Rappen zurückgelegt. Ihr als Angehöriger eines Reitervolkes seid mit Euren Pferden direkt verwachsen. Ich leider mit meinen Sandalen!“ Der Champion der Dörfer reibt seine schmerzenden Beine mit gequälter Miene. „Die Vorsteher der Dörfer versicherten mir, dass ich bei Euch drei Tage ausruhen dürfte. Sowie genug zu essen bekäme, um wieder besser in Form zu kommen.“ Der müde Wanderer blickt besorgt zum Hausherren. „Keine Sorge, mein Freund. Abgemacht ist abgemacht. Die Söhne der Wüste halten immer Wort. Im Guten wie im Bösen. Wo sind übrigens deine Waffen?“ „Waffen? Die habe ich nicht dabei. Außer einem Messer und Pfeil mit Bogen besaß ich im Leben keine Waffe. Zum Schutz meiner kleinen Ziegen und Schafherde reichten mir diese. Wolf und Adler wehrte ich damit ab. In meiner menschenleeren Einöde ist ein Schwert doch überflüssiger Ballast. Die Ältesten waren der Ansicht, ich könnte mir bei Euch problemlos eine Waffe ausborgen!“ „Selbstverständlich! An Kriegsgerät herrscht bei uns kein Mangel! Sag mir nur, womit dich die Dörfler überredet haben, für sie zu kämpfen. Wofür setzt du dein Leben auf das Spiel?“ „Sie mussten mich nicht überreden. Ich schulde den braven Leuten viel. Jeden Frühling schicken die Dörfler mir einige große Säcke Salz. Diese sichern mein überleben. Sowie genügend Korn für mein tägliches Brot. Heute benötigen meine Gönner Hilfe. Es gab kein Zögern von meiner Seite. Ich begleiche nur eine Ehrenschuld!“ Der ältere Einsiedler entdeckt ein Stück saftigen Topfenkuchen am Rande des Speisetellers und beißt mit Genuss eine Ecke davon ab. Tombur amüsiert sich inzwischen köstlich. „Und für eine Handvoll Getreide und etwas Salz bist du bereit dein Leben zu geben? Schön blöd, meiner Ansicht nach! Gut denn! Du hast drei Tage, um dich zu erholen. Gehe in der Burg, wohin du möchtest. Iss und trink, so viel du möchtest und such dir einen Platz zum Schlafen. Frag einfach die Köchin oder eine der Wachen, falls etwas dein Begehr erweckt. Bei Sonnenuntergang treffen wir uns in dieser Halle. Meine besten Krieger versammeln sich zum Speisen und ordentlich Bechern. Die sind recht neugierig und wollen meinen Gegner im Gottesurteil natürlich noch vor seinem Tode kennenlernen und mit ihm sprechen, solange er noch Zähne im Mund besitzt.“ Tombur schlägt sich lachend auf die Schenkel. Der Champion der Dörfer erhebt sich gemächlich mit steifen Gliedern. „Ich danke für Eure Freundlichkeit! Ich möchte mich nun zurückziehen. Mit Eurer Erlaubnis, ein derartiges Festmahl bin ich nicht gewöhnt und es bereitet mir eine ungebührliche Müdigkeit! Bei Sonnenuntergang werde ich wieder auftauchen!“ Der müde Wanderer verbeugt sich tief und verlässt den Saal. Kaum ist die hölzerne Türe geschlossen, bricht ein heftiges Geschnatter unter den zurückgebliebenen Wüstenräubern aus. Der Kämpfer der Dörfer erweist sich zwar als alt, schwächlich und völlig chancenlos im Zweikampfe, jedoch auch als geheimnisvoll und interessant. Seine Furchtlosigkeit weckt die Bewunderung der Krieger.

Der große Tag der Entscheidung bricht unaufhaltsam an! Der große unfruchtbare Platz vor der Burganlage füllt sich stetig mit den Zusehern. Es stehen ausschließlich Wüstenkrieger in Gruppen zusammen. Von den Dörflern lässt sich niemand blicken, etwas welches keinem der Eindringlinge großes Kopfzerbrechen bereitet. Ihrer Lebensanschauung gemäß war jedes Wesen, das kein Schwert führte, nur ein Tier. Auf diesem sandigen Feld übten die Reiter ihre Kriegsspiele. Vom Rücken ihrer Pferde schossen sie mit Pfeil und Bogen auf aufgestellte Ziele. In jeder Lage, jedem Tempo. Ihre Pfeile trafen mit tödlicher Präzision. Für den Kampf blieb ihnen gar keine andere Stätte. Nur hier fanden die Schaulustigen den nötigen Platz. Alle erschienen ausnahmslos, um ihren Führer anzufeuern. Zudem wetten die Männer aus der Wüste um ihr Leben gerne. Da sich niemand fand, der auch nur ein Kupferstück auf den Champion setzte, änderten die Wetter ihr System. Eine Sanduhr wurde aufgestellt. Begutachtet von drei Schiedsrichtern. Da am Ergebnis keine Zweifel bestanden, wetteten die begeisterten Schlachtenbummler auf die Zeit. Die Minuten und Sekunden, in denen der Herausforderer sein Leben aushauchte. Ein am Rande der Kampfstätte aufgestelltes Zelt diente den beiden Hauptakteuren als einstweiliges Wartehäuschen.

Tombur und sein Gegner teilen sich die Sitzfläche einer niedrigen Bank. Der Kriegsherr beobachtet seinen Kontrahenten unter halb geschlossenen Lidern. Jener sitzt ungerührt und schweigsam in Gedanken versunken neben ihm. Tombur denkt über diese drei Tage mit gemischten Gefühlen nach. In denen er seinen Gast nach Strich und Faden ausgehorcht hat. Über sein Leben in den Bergen. Wichtiges sowie nichtiges. Er setzte das Puzzle mühsam zusammen und ärgerte sich des Ergebnisses halber. Neben ihm sitzt ein simpler Viehhirt, welcher in seinem Leben niemals die engen Grenzen der Heimatdörfer überschritten hat. Tombur hätte sein gesamtes Vermögen darauf gewettet, dass dieses Unikum im Leben keine Fechtwaffe zu Gesicht bekommen hat. Trotzdem behauptet er steif und fest, dass ein Sieg über den Herrn der Räuber unausweichlich sei.

„Ich habe den Auftrag schließlich nicht angenommen, um die Dörfler zu enttäuschen, oh Herr! In diesem Falle hätte ich meine Heimatstatt bestimmt nicht verlassen!“ „Du bist ein Hammel, mein Alter!“ „Damit liegst du gar nicht einmal falsch, Herr! Du bist meiner Meinung nach ein Tiger. Bei einer erfolgreichen Tigerjagd nützt der schlaue Jagdmann eine Ziege. Oder einen ausgelaugten Hammel ohne großen Wert. Der Tiger geht dem Köder auf den Leim. Seine Beutelust macht ihn selbst zur Beute!“ Der alte Hirte lächelt freundlich. „Ich bin gekommen um zu siegen! Wenn ich auch vielleicht sterben muss. Ein Champion der Dörfer ist unbesiegbar. Da Ihr mir meine Worte nicht glaubt, werde ich es Euch beweisen! Keine Feindschaft deswegen! So wahr ich Tanos vom Clan der Bergziegen genannt werde!“

Tombur bestaunt den Optimismus des Kontrahenten. Anstatt wenigstens ein bisschen mit dem Schwert zu trainieren, Tombur stellte ihm sogar den besten Fechter seiner Garde zur Verfügung, trieb sich der Einsiedler die meiste Zeit in der Burg herum, schäkerte mit der Köchin und den weiblichen Dienstboten, schwatzte mit den Wachen und den Getreuen von Tombur. So nebenbei aß er für drei, auch am für ihn ungewohnten Weine fand er bald Geschmack. Seine Wangen wurden voller, sein Bäuchlein runder. Dazu stellte er ein unglaubliches Selbstbewusstsein zur Schau. Nichts und niemand vermochte es zu erschüttern. Tombur hegte bisweilen den Verdacht, er hätte es mit einem Verrückten oder leicht Schwachsinnigen zu tun.

Er legt dem alten Manne die behandschuhte Hand bedauernd auf die schmalen Schultern. „Es wird Zeit! Die Männer haben ihre Wetten abgeschlossen und werden ungeduldig. Die Blutlust fließt durch ihre Sinne. Darum dürfen wir sie nicht länger warten lassen!“

Der Kriegsherr tritt aus dem Rundzelt, den Hirten im Gefolge. Beide schreiten zur Mitte der improvisierten Arena. Dort wartet ungeduldig der Fechtmeister und reicht Tanos vom Clan der Bergziegen ein schlankes, gut ausgewogenes Schwert. „Diese Klinge ist tödlich und flink wie der Steppenwind, mach ihr keine Schande“, flüstert der Krieger. Tanos dankt mit einer Verbeugung. Tombur zieht ebenfalls blank. Die beiden Gegner umkreisen einander. „Als mein Gast gebührt dir der erste Schlag!“ Der erfahrene Kriegersmann verwandelt sich blitzschnell in eine Kampfmaschine. Mit lodernden Augen erwartet er den Angriff des Champions. Dieser zuckt nur die Achseln, blickt ein letztes Mal über die Zuseher zu den Bergen. Seiner geliebten Heimat. Er fasst den Griff der Waffe mit fester Faust. Das Schwert über den Kopf schwingend läuft er geradewegs zu seinem Gegner und schlägt zu. Tombur pariert mühelos, sein Gegenhieb trifft Tanos tödlich. Die Klinge fetzt durch die Rippen, Fleisch und Haut. Ein Blutschwall bespritzt alle beide. Der Champion der Dörfer sinkt zu Boden, die Waffe entgleitet seinen kraftlosen Fingern. Die Menge murrt ängstlich. Einen Zweikampf dieser Güte hätten sie nicht erwartet. Genauso gut hätten sie ihrem Häuptling beim Köpfen eines Huhnes zusehen können. Einer aus dem Publikum reibt sich jedoch die Hände. Er hat diesen Champion von Anfang an durchschaut und darauf gesetzt, dass dieser Schafhirte den ersten Hieb nicht überlebt. Darum ist er mit der Vorstellung überaus zufrieden.

Tombur wischt sein blutiges Schwert an der Hose des Champions sauber. Über den langsam verblutenden Gegner gebeugt, spricht er mit ungewohnt belegter Stimme: „Glück gehabt, alter Knabe. Verbluten ist ein schmerzloser Tod. Ich gönne ihn dir! Wir wussten beide, wer als Gewinner vom Felde geht. Stimmt doch?“ „Ja, Herr!“ Die Stimme des Champions der Dörfer wird leiser. Seine Lunge ist halb abgesoffen und rasselt hörbar. „Mach dir keine Vorwürfe, Herr!“ Die blutbefleckte Hand umklammert den Arm des Burgherrn. „Du warst von Anfang an verloren! Gegen den Champion der Dörfer kämpfen die berühmtesten Helden und Schwertmeister ohne den Funken einer Chance einen aussichtslosen Kampf. Somit ist es keine Schande, gegen mich zu verlieren. Ich möchte nicht versäumen, mich nochmal für Speise und Trank bei dir zu bedanken. In den letzten drei Tagen genoss ich ein Wohlleben, welches ich im ganzen Leben nicht erleben durfte. Darum weine ich um dich! Wärest du doch mit deiner Horde in den unendlichen Steppen geblieben! Ich hätte dich nicht vernichten müssen!“

Mit dem tödlich Verwundeten geht es schnell zu Ende. Der Schwertmeister und der Sieger des ungleichen Kampfes schütteln ungläubig ihre Köpfe. „Wovon faselte er denn? Liegt im Dreck und beansprucht den Sieg für sich? Am Ende verließ ihn wohl endgültig sein Verstand!“ Tombur erhebt sich rasch und taumelnd. Ungewohnter Schwindel lässt ihn schwanken und er stützt sich an der massiven Gestalt seines Schwertkameraden. „Hängt den alten Narren über dem Burgtor auf. So können ihn die Dörfler ansehen sowie ihre Träume begraben! Nachher begießen wir unseren Sieg bis zum Morgengrauen, wie es die guten Sitten erfordern!“, brüllt Tombur seinen Leuten zu. Diese schlagen mit den Klängen an die blechbeschlagenen Schilde. Die Aussicht auf das Gelage mildert die Enttäuschung über den langweiligen Zweikampf. Tombur wendet sich flüsternd an den Schwertmeister. „Und morgen nimmst Du seinen Leichnam ab und lässt ihn beerdigen! Ich war niemals nachtragend. Ein Mann, der stirbt, hat alle seine Schulden bezahlt! Trotzdem bin ich so gar nicht befriedigt und fühle mich betrogen. Als hätte uns der alte Kerl hineingelegt und lacht insgeheim in der Hölle über mich!“ Tombur folgt seinen Männern in die Burg. „Sentimentales Geschwätz! Ich brauche jetzt nur eiligst einen Humpen starken Bieres!“

Gord, der arbeitslose Hütejunge kaut nachdenklich an einem Grashalm. Den Kampf sowie sein enttäuschendes Ende verfolgte er mit heimlichem Grausen. Borok schleppte anderen Tags eine verletzte Ziege zu seinem Lagerplatz. Von dieser unerwarteten Mahlzeit lebten beide und hielten weiterhin Wache. Eine Bewegung auf der schmalen Straße erregt seine Aufmerksamkeit. Ein einsamer Wanderer nähert sich zögernd der Burganlage. Gord kneift seine scharfen jungen Augen zu schmalen Schlitzen. Er erkennt in der Gestalt bekannte Gesichtszüge und eilt zum Wege den Hügel hinab. Es ist der Vorsteher des nächstgelegenen Dorfes. Gord stammt ebenfalls von dort. Beide sind um wenige Ecken miteinander verwandt. Der Dorfobere atmet erleichtert auf. „Hier steckst Du also! Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht. Verschollen und alleine in der Wildnis.“ Nun bemerkt er Borok, der sich schwanzwedelnd und zögerlich nähert. „Den Hund haben wir völlig vergessen. Wir hätten uns die Sorgen ersparen können. Der ist ein prächtiger Partner und Beschützer!“ Er streichelt den bepelzten Riesen. „Nun, raus mit der Sprache! Hat der Champion seine Aufgabe erfüllt? Sprich, mein Junge!“ Gord zuckt nur bedauernd mit den Achseln. „Aufgabe erfüllt? Den großen Champion der Dörfer hat Tombur, das Arschloch, mit einem Hieb gefällt. Die Wachen trugen seine Leiche zum Tor und hängten diesen Versager zum Gaudium aller Krieger ohne Umstände darüber auf. Die ganze Nacht wurde gelärmt und gesoffen. Seither ist mir keiner der Bande vor die Augen gekommen. Immerhin sind drei Tage verstrichen. Kein Rauch schwebt durch den Schornstein, die Wachen patrouillieren nicht und kein Ton dringt durch die Mauern. Die Banditen schlafen wohl den größten Rausch ihres Lebens aus!“ Gord verstummt verdrossen. Der Dorfobere indessen strahlt vor lauter Glück und Zufriedenheit. „Falsch, mein Junge! Den letzten Rausch ihres Lebens! In der Burg ist keine Menschenseele mehr am Leben! Der Champion der Dörfer war sehr wohl erfolgreich! Bringe mich zu Eurem Lagerplatz und ich verrate dir ein Geheimnis. Nur wenige Leute haben heutzutage noch Kenntnis davon!“

Am erloschenen Lagerfeuer der beiden Beobachter angekommen, nimmt der Neuankömmling einen dicken, mit Moos bedeckten Stein in Beschlag. „Vor unzähligen Jahren erfasste der Tod eines unserer Dörfer. Eine unbekannte grauenhafte Krankheit löschte das Leben aus. Sehr ansteckend und unheilbar. Absolut tödlich für jedermann. Unser damaliger Herr war ein kluger und weitgereister Mann. Diese Seuche erkannte er sofort und ließ das Dorf abriegeln. Die Einwohner erhielten genug Lebensmittel, um wenigstens nicht Hunger erleiden zu müssen. Heraus durfte jedoch niemand. Bogenschützen umstellten die Siedlung. Jeder der flüchten wollte, wurde erschossen. Das war hart, aber richtig. In kurzer Zeit lebte niemand mehr der Bewohner. Bis auf einen jungen Mann. Die Seuche schien erloschen und der Junge anscheinend immun dagegen. Unser Herr jedoch traute dem Frieden nicht. Ein verurteilter Verbrecher wurde ins Dorf geschickt. Nach wenigen Tagen starb er. Dieses Experiment wiederholte unser Gebieter noch einige Male mit demselben Ergebnis. Katzen, Hunde, Vögel sowie unsere anderen Tiere wurden von der Seuche nicht erfasst und konnten somit auch niemanden gefährden. Der anscheinend völlig immune Junge jedoch war der lebende Tod. Wer ihm zu nahe kam, starb unausweichlich. Der damalige Beherrscher der Dörfer war ein harter, jedoch gerechter Mann. Anstatt den Todesbringer zu töten, verbannte er ihn in die Berge. Ein gut verborgenes Gebirgstal, welches nur durch eine schmale Klamm erreicht werden konnte. Die Dörfler sammelten eine kleine Ziegenherde, dazu noch einige Schafe, sowie zwei kräftige Widder. Der überlebende junge Mann war zudem einsichtig genug, um sich an die Anordnungen des Herrn zu halten. Salz und Korn stellten die dazu eingeteilten Bauern vor dem Felsspalt ab. Nur selten bemerkten die Bewohner der Ebenen seine Existenz. In den Nächten brannte manchmal eine Fackel auf den Bergzinnen. Daran habe ich mich vor kurzem erinnert. Wir fingen einen der Räuber und brachten ihn zur Klamm, wo ihn der inzwischen ergraute Todesengel ins Tal führte. Nach vier Tagen ringte die Seuche den zähen Wüstensohn zu Boden. Daraufhin bat ich den Einsiedler um seine Hilfe. Ohne zu zögern stimmte er zu. Aus lauter Ehrgefühl und Dankbarkeit über unsere bescheidenen Gaben. Der Usurpator ließ sich leicht überlisten. Dieser Mörder und Übeltäter hatte die Charakterzüge eines wilden Tieres. Halte einem Wolf ein Stück Fleisch unter die Nase und er schnappt zu. Der Köder ist eben unwiderstehlich. Die Natur obsiegt über die Vorsicht. Wölfe bleiben immer wilde Tiere. Das gilt ebenso für böse Menschen!“ Der Älteste springt unvermittelt auf die Beine. „Nun werde ich heimkehren und den braven Leuten die frohe Botschaft überbringen. Du bewachst inzwischen die Grabstätte der Wölfe. Niemand darf in ihre Nähe geraten. Ich schicke dir in Bälde eine Jurte sowie reichlich Mittel zum Leben. Es dauert einige Weile bis der Hauch des Todes vergeht. Ihr beide sollt es in dieser Zeit bequem und des Nachts warm haben. Ich weiß, dass Ihr zwei verlässliche Wächter seid. Noch eines! Denke niemals wieder abfällig über Tanos vom Clan der Bergziegen. Er vernichtete einen übermächtigen Feind und war ein gewaltiger Held. Ehre sein Andenken und preise seinen Mut. Er war der Einsamste von allen und doch ein Teil der Welt der Dörfer. Der unbesiegbare Champion der Dörfer!“

Die Gazelle und der Bär

Die milde Herbstsonne schickt ihre sanften Strahlen über die von den Touristen verlassene Gebirgslandschaft. Abgesehen von einigen wenigen Nachzüglern gehört diese abgelegene, jedoch wunderschöne Gegend für einige Zeit wieder den ortsansässigen Einwohnern. Das Ausseerland, wie diese Weltgegend genannt wird, besticht mit einer atemberaubenden Kulisse. Hohe Berge, sanfte Hügel, versteckte Seitentäler und tiefe, glasklare Bergseen. Hier lebt ein selbstbewusster, aber freundlicher Menschenschlag. Alte Traditionen verbinden sich mit unverblendeter Weltoffenheit. Daneben wird vermutlich genauso viel gestritten wie in aller Welt. Aber man grüßt sich trotzdem mit angeborener Gelassenheit. Manche der aus aller Welt einfallenden Besucher reagieren auf ein unerwartetes ‚Grüß Gott‘ oder ‚Griaß Di‘ aus dem Munde eines vorbeigehenden Einheimischen zuerst leicht verdutzt, erwidern den Gruß aber meist sofort. Das Gefühl, hier willkommen zu sein, streichelt die Seelen der Erholungssuchenden. Urlaub unter unbekannten Freunden sozusagen. Dazu besitzt diese Region einen touristischen Extrabonus. Wer mit einem Zirkel bewaffnet einen Kreis über das Land zieht, erkennt, dass er sich genau in der Mitte des Landes Österreichs befindet. Das gibt dem Aufenthalt eine pikante Note und erweckt Neugierde. Nun aber weitergeschwommen im Fluss der dahineilenden Zeiten! Der von schroffen Bergflanken umrahmte See lädt zum gemütlichen Spazierengehen ein. Das Himmelsgestirn vermittelt die Illusion von Wärme, die sofort verfliegt, wenn einer in den Schatten der mächtigen Bäume gerät und die wohlgefütterten Jacken und Röcke der einsam dahinstreifenden Leute ergeben plötzlich Sinn. Eine dieser gemächlich flanierenden Gestalten entdeckt eine leerstehende Rastbank und nimmt diese in Beschlag. Betrachten wir sie etwas genauer! Ihre Windjacke zeugt von Qualität und beweist Geschmack in Modeangelegenheiten. Schlank, trotzdem wohlgeformt. Unverkennbar weiblich und trotz des herrlichen Herbstwetters leicht ungehalten. Ein strenger Zug liegt über ihrem fein gezeichneten Antlitz. Jawohl! Ein Antlitz, kein gewöhnliches Gesicht, wie bei vielen anderen Damen. Gewohnheitsmäßig blickt dieses einsame Geschöpf in die Runde. Kein anderer Mensch ist gegenwärtig auszumachen. Nur einige kleine Singvögel besehen gerade einen ziemlich großen Vogelbeerbaum und ihre nimmersatten Schnäbel picken die roten Früchte von demselben. Einer dieser Gesellen hält unauffällig Wache und blickt ab und zu zur menschlichen Gestalt am Ufer. Diese wird als ungefährlich eingestuft. Davon überzeugt, dass niemand in Hörweite herumstromert, öffnet die elegante Dame ihren rotgeschminkten Mund und über ihre Lippen kommt ein doch unerwartetes Wort: „Scheiße! Verdammte Scheiße!“ Ungehemmt wiederholt sie diese für eine feine Dame äußerst unerhörte Unflätigkeit immer wieder und auch lauter. Mit einem Schluchzen beendet sie ihren Gefühlsausbruch, eine einzelne Träne sucht den Weg über ihre Wange und tropft auf die lederne Jacke. Unkontrolliertes Zucken lässt den schlanken Körper erbeben. Der geflügelte Wächter der Vogelschar beobachtet das Menschenwesen unbehaglich. Dieses bemerkt ihn nicht einmal. Ihre tränenden Augen sehen wie durch dichten Nebel gebremst über die klare Wasserfläche. Ohne von ihrem ansonsten pragmatischen und sehr vernünftigen Charakter gezügelt zu sein, fliegen die Gedanken durch ihr arg strapaziertes Gehirn. Dies jedoch nicht allzu lange. Mit der ihr angeborenen Selbstdisziplin unterdrückt sie diesen Gefühlausbruch. Frau Margarete Althaus ist eine studierte Frau und Lehrerin in der nächsten Kleinstadt. Sie geht am liebsten nach Plan vor und hasst Unordnung jeder Art. Ob im Beruf oder im Privatleben. Den Lehrplan der Schule sowie ihren Lebensplan hält sie eisern ein. Eine andere Vorgangsweise bedeutet für sie das schiere Chaos und käme niemals in Frage! Diesen Weg ging sie bisher schnurgerade und ohne die kleinsten Abweichungen. Also zusammenreißen und klar überlegen. Sich nach den Fakten orientieren. „Nimm dich zusammen, altes Mädchen“, flüstert sie fast unhörbar. Margarete atmet tief durch und zieht die reine gesunde Gebirgsluft in ihre Lungen, greift nach ihrem Taschentuch und nachdem sie die Tränen vom Gesicht entfernt hat, schnäuzt sie ihre Nase ausgiebig.

„Also und nun zum 100. Male eine Bestandsaufnahme! Diesmal die reinen Fakten ohne Gefühlsduselei. Laut der Diagnose von Doktor Martin habe ich Krebs. Lymphdrüsenkrebs. Der hat sich von mir völlig unbemerkt ausgebreitet und ist bereits in einem unheilbaren Stadium. Fakt! Auch eine Chemotherapie ist nach medizinischem Ermessen zu 99 Prozent wirkungslos. Fakt! Doktor Martin ist ein ehrlicher Mensch und gab mir einen absolut unmedizinischen Rat. Ich soll den Rest meiner Lebenstage einfach nur noch genießen und somit das Beste aus der Situation machen. Bei genauem Besehen und Einbeziehen aller Optionen muss ich dem guten Doktor beipflichten. Wo er Recht hat, da hat er nun mal Recht. Fakt! Immerhin werde ich nicht in meiner kleinen, beengten Wohnung in der Stadt dahinvegetieren müssen. Dank meiner kürzlich und unverhofft eingetretenen Erbschaft. Onkel Harald hat mir seinen Besitz vermacht. Das schöne Landhaus, unweit von diesem See gelegen. Immer gut in Schuss gehalten und mit allem modernen Komfort ausgestattet. Inmitten eines größeren Grundstückes. Da brauche ich nicht die Lautstärke des Fernsehapparates reduzieren. Von wegen dem Ärger mit den Nachbarn. Sogar ein kleiner, eingezäunter Gemüsegarten ist vorhanden. Selbstangebaute Lebensmittel sind besser und gesünder. Ach du liebes Lieschen. Gesunde Ernährung und trotzdem den Tod im Nacken. Typisch Mensch! Die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Aber sie stirbt. Fakt! Immerhin muss ich Onkel Harald dankbar sein, dass er auf mich nicht vergessen hat. Nach dem frühen Ableben seiner Gattin hätte er seine Habe genauso gut jemand anderem vermachen können. Er hat sich wohl daran erinnert, dass er meiner Familie gegenüber eine Schuld einzulösen hat. Meine Eltern halfen ihm schließlich vor vielen Jahren aus der Patsche. Er geriet in gesellschaftliche Turbulenzen und stand kurz vor dem Ruin. Einzig die finanzielle Hilfe unsererseits rettete seine Existenz. Dabei gerieten auch wir in eine schiefe Finanzlage. Nur mit viel Glück und harter Arbeit bügelte mein Vater das Fiasko wieder glatt. Onkel Harald konnte seine Schulden bei uns niemals tilgen. Ich war damals noch recht klein und jung. Richtig schlau wurde ich über die damaligen Angelegenheiten nicht. Einzig Mama sprach manchmal über Onkel Harald. Ihrer Meinung nach war ihr Bruder ein im Grunde recht netter und charmanter Mann. Und ein Gauner, dem man in keinem Falle nur den kleinen Finger reichen sollte. Außer es will eine die ganze Hand bis zu den Achseln verlieren. Fakt!“ Ein leises Lächeln legt sich über das gerötete Antlitz der einsamen Spaziergängerin. „Schluss nun mit den Fakten. Sowie den Faxen. Der selige Onkel konnte wie so viele andere Leute eben nicht aus seiner Haut schlüpfen. Letztendlich hat er immerhin den damaligen Schaden wieder gutgemacht. Nur schade, dass meine verblichenen Eltern es nicht mehr erleben dürfen. Vater wäre erfreut gewesen. Mama zumindest erstaunt. Immerhin! Der Besitz ist gerade zur rechten Zeit gekommen. Ich bin nun eine vermögende Frau geworden. Lieber reich und krank als arm und krank! Nach Einschätzung meines Arztes habe ich noch einige Monate ohne Beschwerden. Darüber darf ich nicht undankbar sein. Sondern die restliche Zeit als bezahlten Urlaub betrachten. Eine wegen Krankheit außer Dienst gestellte Oberschulrätin muss sich über ihre Finanzen keine allzu großen Sorgen machen. Die Wohnung in der Stadt ist bereits verkauft und der Erlös auf meinem Bankkonto. Onkel Haralds Besitz dazu schuldenfrei. Sogar ein hübsches Sümmchen lag auf seinem Sparbuch. Alles in allem kein Grund zu lamentieren. Außer über meine Krankheit! Das ist wohl Kismet. Dieses Schicksal teile ich jedoch mit tausenden Mitmenschen, denen es nicht so gut geht wie mir! Darum vorwärts blicken, abwarten und den Rat des Doktors so gut es geht befolgen!“ Margaretes pragmatische Seite schiebt die verzeihliche Verzweiflung wieder in den Hintergrund und beschließt resolut, diese dort versauern zu lassen. Es ist einfach zu schade um die Zeit. Zeit ist plötzlich zu einem raren Gut geworden. „Carpe diem, Margarete!“ Frau Althaus erhebt sich mit neuem Elan. „Nachdenken ist bei mir eben die richtige Therapie. Es muss nur das Rechte gedacht werden. Fakt!“

Von den felsigen Bergflanken strömt ein kühles Lüftchen. Fast schon eine Brise. Die Vorboten des noch weit entfernten Beginnes der Herrschaft von König Winter machen sich bereits etwas wichtig. Margarete schließt sorgsam die Knöpfe ihrer eleganten Wanderjacke. „Das fehlte mir noch. Eine Verkühlung und den Krebs! Allzuviel ist tödlich, Margarete! Mal nachsehen, ob das Seehotel geöffnet hat. Eine Tasse Schokolade und eine Topfengolatsche genehmige ich mir. Nun wo die Scharen von Touristen und Ausflüglern wieder weg sind, haben Leute wie ich wieder etwas Platz und werden von den hiesigen Wirten etwas mehr geschätzt.“ Ein boshaftes Lächeln verschönt die ohnehin ausgesprochen attraktive Miene der aufs Abstellgleis verfrachteten Pädagogin. Nun bemerkt sie die ungeniert schmausenden Vögel im Gebüsch, winkt ihnen einen Abschiedsgruß zu und strebt mit gelassenem Schritt über den unbefestigten Uferweg in Richtung Seehotel. Ihr bisher leicht gekrümmter Rücken steht wieder gerade. Wie eine Schulnote, eine Eins!

Vor Margaretes nun klaren Augen taucht die Silhouette eines mächtigen Gebäudes aus dem Schatten der waldbesetzten Hänge dieses von Gott gesegneten Teiles ihrer Heimat auf. Im Gegensatz zu vielen anderen Hotelburgen verschandelt es die Gegend nicht allzu sehr. Hier wurde viel mit Holz verkleidet der hässliche Beton größtenteils gut verborgen. Margarete betritt die bis ans Ufer des Sees reichende Terrasse und blickt sich argwöhnisch um. Neben den die Fläche begrenzenden Glaswänden ist der immer stärker auftretende Wind am besten auszuhalten. Eine Familie mit kleinen Kindern besetzt die Südseite. Ihnen gegenüber sitzt ein mittelalter, bärtiger Mann und steckt seine Nase in ein kleines Buch. Ansonsten sind alle Tische unbesetzt. Margarete zieht den Leser der Familie vor. Jede erfahrene Lehrerin würde so handeln. Margarete nimmt Platz und gibt bei der vorbeieilenden Kellnerin ihre Bestellung auf. Ein leichtes Hungergefühl macht sich in ihr bemerkbar und wartet auf Linderung. In freudiger Erwartung entnimmt Margarete ihrer Seitentasche ein Päckchen Zigaretten. Wenigstens im Freien darf man noch rauchen. Eigentlich hat sie dieses Laster bereits hinter sich gelassen. Der Gesundheit wegen. Sie war auch kein Vielraucher, nur ein paar Zigaretten pro Tag. Zum Genuss, nicht aus Sucht. Nun sieht sie keinen Grund dazu, sich um ihre Lunge größere Sorgen zu machen. „Genießen Sie Ihr Leben.“ So hat der Herr Doktor gesagt und so tut sie es. Genussvoll zieht sie den leichten, aber würzigen Rauch in die Lungenflügel. Derweil serviert die Hotelangestellte gekonnt die bestellten Köstlichkeiten. Margarete schenkt ihr ein freundliches Lächeln und beißt heißhungrig in das gefüllte Gebäck. Aha! In der Mikrowelle erhitzt bzw. aufgewärmt. Passt prima zum Wetter! Die Schokolade gerade richtig heiß und nicht allzu süß. Wohlig räkelt sich die ansonsten geplagte Pädagogin außer Dienst im bequemen Gartenmöbel. Windgeschützt und gutes Essen vor der Nase. Was will einer mehr?

Urplötzlich schiebt sich ein Gedanke in die Gehirnwindungen und verursacht Unwohlsein. „Pinkus! Den habe ich völlig vergessen und den Fressnapf nicht aufgefüllt. Das wird bei meiner Heimkunft ein gehöriges Geraunze geben! Bei seiner Kost ist er heikel und besteht auf genaue Essenszeiten.“ Pinkus ist Margaretes Lebenspartner. Ein schwarzer Kater von enormen Ausmaß und mit gewaltigem Ego. Er ist zwar schon über zwölf Jahre alt, aber fit wie ein Turnschuh. Der Umzug aus der Stadt ins freie Landleben fiel ihm zu Margaretes Erleichterung nicht schwer. Er ist immer noch eifrig dabei, Haus und Garten zu erkunden. Bisher hat er nichts Unerträgliches entdeckt und fühlt sich augenscheinlich recht wohl in der neuen, exotischen Gegend. „Ach du liebe Güte! Pinkus! Was soll aus ihm werden, wenn ich nicht mehr hier bin? Ein Testament habe ich auch nicht gemacht. Großer Fehler! Das gibt ein Nicht Genügend, Frau Oberschulrat. Nun heißt es nachsitzen und aufschreiben!“ Aus einer Innentasche entnimmt Margarete ein kleines Notizbuch mit integriertem Stift. „Gut! Dabei kann ich gleich auch die Einkaufsliste für Montag anlegen. Unsere Ortschaft hat zwar gerade mal 1 500 Einwohner, jedoch trotzdem einen Supermarkt am Ortsrand. Der ist wohl den vielen Gästen und Zweitwohnungsbesitzern geschuldet. Das macht ihre Anwesenheit wieder erträglicher. Wie ich immer sage: Es gibt nur wenig Schlechtes, wo nicht auch etwas Gutes dabei ist. Also! Erstens einen Termin bei einem Notar besorgen. Und die nächste Verwandtschaft und den Freundeskreis nach jemandem durchforsten, dem ich Pinkus zumuten würde. Und umgekehrt. Katzenfutter nicht vergessen!“

Befriedigt überprüft Margarete ihre Notizen, nimmt einen letzten Zug ihrer Zigarette und blickt über den Tisch in die amüsierten Pupillen des Herrn mit Buch und Bart. „Hoffentlich habe ich nicht laut gesprochen! Das passiert mir in letzter Zeit immer öfter!“ Margarete blickt nun streng in das Gesicht des Störenfriedes. Sie besinnt sich aber auf ihren Status. Sie ist die Lehrerin, der Rest besteht aus Schülern, egal wie alt einer sein mag. „Finden Sie es nicht etwas unhöflich, eine fremde Frau derart ungeniert anzustarren?“, fährt sie den bisher angenehm schweigsamen Fremden an. Dieser lächelt unbeeindruckt. Er ist kein heuriger Hase mehr und viel in der Welt herumgekommen. „Nein! Gnädige Frau, nach meinen Erfahrungen ist es sicherer, sein Gegenüber im Auge zu behalten.“ Seine sonore, tragende, tiefe Stimme überwindet die Distanz zwischen ihnen mühelos, obwohl er leise spricht. „Und weil Sie mich schon ansprechen, nütze ich die Gelegenheit, um eine Auskunft zu erhalten. Ihre Erlaubnis vorausgesetzt und falls Sie eine Einwohnerin dieses Ortes sind.“ Margarete bereut ihre barschen Worte. Die gelassene und höfliche Entgegnung des Fremden beeindrucken sie unbewusst und glätten ihre permanent unter Druck stehende Gefühlswelt. Für die Krankheit kann der Mann schließlich nichts und weiß auch nichts davon. „Entschuldigen Sie meine barschen Worte. Was wollen Sie denn wissen?“ „Nun! Ich wohne in diesem Etablissement. Leider ist die Saison vorüber und es wird nächste Woche geschlossen. Kennen Sie vielleicht jemanden, der ein Zimmer vermieten würde? Ich bin nicht sonderlich anspruchsvoll. Eine einfache Schlafgelegenheit würde mir vollauf genügen. Tagsüber treibe ich mich gerne herum. Diese abgeschiedene Ecke steckt voller Überraschungen für ein geschultes Auge. Nichts steht über der Natur und ihren verschiedenen Offenbarungen. Darin geben Sie mir möglicherweise recht.“ Margarete lauscht der bestrickenden Stimme und gerät unversehens ins Träumen. Irritiert räuspert sie sich und schluckt: „Tja! Ich bin zwar hier wohnhaft, aber auch erst seit kurzem. Trotzdem werde ich mich bei meinen Nachbarn kundig machen. Die sind hier geboren und wissen alles. Falls ich etwas erfahre, gebe ich Ihnen Bescheid. Morgen um dieselbe Zeit? Am selben Ort?“ Der Fremde nickt gleichmütig. Margarete steht nun auf und winkt der Kellnerin. „Dann also bis morgen, mein Herr!“ Margaretes letzte Worte klingen leicht unsicher und das wurmt sie gewaltig. Das reife aber noch recht schöne Mädchen bezahlt eilig und verlässt fluchtartig das Hotelgelände. Um eine Erfahrung reicher. Manche Männer sind doch keine Schulbuben!

Tiefe Stille liegt über dem Obstgarten des imposanten Anwesens. Mehrere mittelgroße Bäume spenden willkommenen Schatten und Kühle. Zumeist sind es Obstbäume, deren Laub bereits zu welken beginnt. Dieses leuchtet in den schönsten Farben von blassgelb bis dunkelrot. Das letzte Woche auch für die Meteorologen überraschend eingelangte Aufbäumen des Herbstes gegen die Tyrannei des Winters bescherte den Bewohnern des Gebirgstales angenehm warme Tage und Nächte. Umrahmt von einer niedrigen Ligusterhecke lädt ein hölzerner Pavillon zum Verweilen und Nachdenken ein. Dorthin hat sich heute Margarete zurückgezogen. Ein Glas Sekt und ein paar Zigaretten zur Verstärkung ihrer geistigen Kräfte inklusive. Pinkus hat es sich auf der Balustrade bequem gemacht und beobachtet interessiert die zwitschernden Vögel. Wohl wissend, dass diese Brüder nicht zu erwischen sind. Margaretes Blick nimmt das Dach ihres Heimes ins Visier. In den halbrunden Dachgauben blitzen blanke Fensterscheiben. Der Dachstuhl wurde voll ausgebaut. Eine der letzten Unternehmungen von Onkel Harald. Erreichen kann einer dieses luftige Domizil durch eine steile, jedoch komfortable Außentreppe aus solidem, schwarz gestrichenem Eisen bzw. Stahl. Die hat den Vorteil, dass der Bewohner der Wohnung nicht durch das ganze Haus gehen muss, um es zu verlassen. Ideal für Untermieter und nicht zur Familie gehörende Personen. Margarete genießt ein Schlückchen Schaumwein und denkt sich ein paar Tage in die Vergangenheit.