Der Duft von Sommer und Oliven - Barbara Noack - E-Book

Der Duft von Sommer und Oliven E-Book

Barbara Noack

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Beschreibung

Wein, Spaghetti – und jede Menge Trubel: Der gefühlvolle Roman »Der Duft von Sommer und Oliven« von Bestseller-Autorin Barbara Noack jetzt als eBook bei dotbooks. Ein unvergesslicher Urlaub! Model Jou reist nach Italien, um guten Wein und laue Sommernächte zu genießen. Mit dabei: dreißig muntere Urlauber – und Robert, der attraktive Reiseleiter. Das sieht Jous Freund Hans gar nicht gerne und reist aus Eifersucht hinterher. Kreuz und quer geht es durch Italien auf eine Reise voller Missverständnisse und Verwirrungen. Als Jou sich gerade die Frage stellt, ob sie Robert tatsächlich interessant findet, steht plötzlich Hans vor der Tür – und das Chaos ist perfekt … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der bewegende Roman »Der Duft von Sommer und Oliven« – ehemals unter dem Titel »Italienreise – Liebe inbegriffen« erfolgreich – von Bestseller-Autorin Barbara Noack. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 221

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Über dieses Buch:

Ein unvergesslicher Urlaub! Model Jou reist nach Italien, um guten Wein und laue Sommernächte zu genießen. Mit dabei: dreißig muntere Urlauber – und Robert, der attraktive Reiseleiter. Das sieht Jous Freund Hans gar nicht gerne und reist aus Eifersucht hinterher. Kreuz und quer geht es durch Italien auf eine Reise voller Missverständnisse und Verwirrungen. Als Jou sich gerade die Frage stellt, ob sie Robert tatsächlich interessant findet, steht plötzlich Hans vor der Tür – und das Chaos ist perfekt …

Über die Autorin:

Barbara Noack, geboren 1924, hat mit ihren fröhlichen und humorvollen Bestsellern deutsche Unterhaltungsgeschichte geschrieben. In einer Zeit, in der die Männer meist die Alleinverdiener waren, beschritt sie bereits ihren eigenen Weg als berufstätige und alleinerziehende Mutter. Diese Erfahrungen wie auch die Erlebnisse mit ihrem Sohn und dessen Freunden inspirierten sie zu vieler ihrer Geschichten.

Ihr erster Roman Die Zürcher Verlobung wurde zweimal verfilmt und besitzt noch heute Kultstatus. Auch die TV-Serien Der Bastian und Drei sind einer zu viel, deren Drehbücher die Autorin verfasste, brachen in Deutschland alle Rekorde und verhalfen Horst Janson und Jutta Speidel zu großer Popularität.

Barbara Noack veröffentlichte bei dotbooks bereits Die Zürcher Verlobung, Der Bastian, Danziger Liebesgeschichte,Drei sind einer zuviel und Valentine heißt man nicht.

***

eBook-Neuausgabe August 2016

Copyright © der Originalausgabe 1957 by Lothar Blanvalet

Verlag, Berlin

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Gaspar Janos

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-761-1

***

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Barbara Noack

Italienreise – Liebe inbegriffen

Roman

dotbooks.

1. Kapitel Der Reiseleiter

Er ist so unerwartet brünett und elegant, wie sich die weiblichen Mitglieder der Busbesatzung niemals einen Reiseleiter erhofft haben.

Seine Wirkung wäre mit der eines neuen, hübschen Zeichenlehrers in der Mädchenschule zu vergleichen: man wird von Stund an weniger randalieren, aufmerksamer zuhören – und heimlich schwärmen.

Aber es gab auch einen Mann, der etwas besonders Reizendes in Blond zum Autobus brachte und unseren Reiseleiter mit einem eindeutigen Blick bedachte: So einer wie Sie müßte als Aufseher über alleinreisende junge Damen glatt verboten werden, jawohl!

Jetzt – nach den ersten zwanzig Kilometern Autobahn – denkt der schöne Reiseleiter an nichts Blondes, das hinter ihm im Busparkett den Polstersitz 7 auf seine Bequemlichkeit hin ausprobiert. Er hat die Augen zum regenschweren Himmel erhoben und betet inbrünstig: »Lieber Gott, schütze unsern Bus vor Unfällen und Pannen. Gib mir die nötige Geduld – dies ist die vierte Herde, die ich in diesem Jahre nach Italien führe! Und bitte, lieber Gott, gib mir die vorbestellte Anzahl Einzelzimmer. Amen.«

Drauf zieht er die Mikrophonschlange an den Mund, schluckt zweimal ergeben und beginnt:

»Meine Damen und Herren. Ich begrüße Sie im Namen des Reisebüros, in meinem eigenen – Robert Florian heiße ich – und selbstverständlich auch im Namen unseres Fahrers Krause. Er hat gerade vor acht Tagen seinen Führerschein gemacht.«

»Oho«, lacht man. »Das kann ja noch gut werden.« Und Robert Florian denkt: Die alten Witze haben jetzt, im dritten Jahr, noch immer Erfolg.

»Sie wählten Italien als Ihr Reiseziel, und Italien – hat mir versprochen, Sie nicht zu enttäuschen. Es wird Ihnen während der nächsten drei Wochen unendlich viel bieten, und ich hoffe, es ist für jeden von Ihnen etwas Erfreuliches dabei: berühmte Stätten der Christenheit, römische Ausgrabungen, bewegte Renaissance, südliche Nächte, billige Weine, Santa Lucia-Sentimentalität und echte Romantik. Wie bitte?«

»Es zieht! Von links zieht es am Kopf!«

»Ich bitte die linken Herrschaften, die Fenster zu schließen.« Er wischt über sein Mikrophon und fährt fort: »Vielleicht kennen Sie die Meinung, die im Ausland über den deutschen Touristen besteht?! – Danach soll er sofort erkennbar sein an seiner stabilen, wetterfesten Wanderkleidung, seinem Hang zum sangesfrohen Schunkeln und der oft und laut gebrauchten Redewendung ›Kommse mal zu uns. Bei uns ist das alles viel sauberer, ehrlicher und haltbarer. Kurz, man sagt uns im Ausland einen provozierend zur Schau getragenen Patriotismus nach, den wir im eigenen Lande allzuoft vermissen lassen. Sagt man.

Sie, meine dreißig Damen und Herren, gehören selbstverständlich nicht zu diesem Typus. Sie wissen, daß Italien das Land des Weines und der Spaghetti ist, in dem Bier und Bockwurst seltener Vorkommen als bei uns. Sie wissen, daß der Italiener die Schönheit intensiver als die Ordnung liebt und die absolute Ehrlichkeit großmütig nördlicheren Völkerstämmen überläßt.

Sie fahren nach Italien so, wie man ins Ausland eben fahren muß: um Land und Leute kennenzulernen, nicht, um Land und Leute mit den eigenen heimischen Vorzügen zu vergleichen. Ihr persönlicher Charme, Ihr untadeliges Auftreten, Ihr bewundernswertes Einfühlungsvermögen in fremde Länder und Sitten wird die Italiener verblüffen.

Und wenn unser Bus auf der Rückfahrt die Grenze überschreitet, so lassen wir ein staunend Volk zurück, das verwundert rufen wird: Aber der deutsche Tourist ist ja ein ganz entzückender Mensch und viel angenehmer als die übrigen ausländischen Reisenden. Und sehen Sie, meine Damen und Herren, das wird Ihr Verdienst sein.

Nun zu uns selbst. Uns verbindet bisher nur die gleiche Reiseidee. Wir kommen aus allen Gegenden Berlins, aus verschiedenen Interessenwelten und Generationen und frieren noch vornehm im Eise unserer eigenen Zurückhaltung vor uns hin.

Aber recht bald, so hoffe ich, werden wir eine große, herzliche Familie sein. Ohne verwandtschaftliche Zwistigkeiten.

Jetzt wünsche ich denen, die seit dem ersten Kilometer unserer Reise ununterbrochen Wurstbrot, Pfirsiche, Eier und Schokolade durcheinandergegessen haben, einen gesegneten Schulausflugsmagen, und denen, die schlafen möchten, eine gute Nacht. Es tritt eine Redepause von unbestimmter Zeit ein, die wir mit Musik ausfüllen werden. Mit den besten Wünschen für gute Laune und Unterhaltung – Ihr sehr ergebener, stets zu Ihren Diensten stehender Reiseleiter und Kunsthistoriker Robert Florian.«

2. Kapitel Das Busparkett

Bei jenem biegsamen, weizenblonden Geschöpf auf Platz Nummer 7, das dem Reiseleiter gleich als besonders reizend auffiel, handelt es sich um das Fotomodell Jou.

Ihre großen Augen voll schwermütiger Rätselhaftigkeit büßen leider an orientalischem Zauber ein, sobald Jou den Mund aufmacht: sie spricht nämlich eindeutigen Hamburger Tonfall.

Jou reist nach Italien, weil sie endlich einmal mitreden möchte, wenn das Gespräch unter ihren Kolleginnen auf dieses Land kommt.

Der Herr, mit dem sich ihre Füße den Gang teilen, heißt Gustav C. Kümmel. Her Kümmel ist genauso gemütlich wie der Anblick seines stattlichen Leibesumfangs, er besitzt die lächelnde Weisheit eines alten Weintrinkers und ein eigenes Auto. Aber mit dem geht er nicht auf Reisen. »I, wie werd ich denn!

Will doch was von der Landschaft haben, und das darf ich nicht, wenn ich selber fahre!«

Er erklärt Jou auch, was er unter Landschaft – in diesem Falle italienischer – versteht, nämlich Asti Spumante, Frascati, Lacrimae Christi, Bardolino… und sie denkt, das kann ja noch lustig mit Herrn Kümmel werden.

Jenes griesgrämige Bulligesicht auf dem Fensterplatz neben ihm gehört Herrn Eduard Schnell, der von seinem Nachbarn alsbald »Primus« getauft wird. »Weil er wie unser ehemaliger Klassenprimus aussieht. Klimmzüge konnte er nicht, aber den Caesar auswendig, auch das, was wir nicht von ihm aufhatten, stellen Sie sich so was vor!«

Der Primus, unser Allesbesserwisser, unternimmt diese Reise, weil er einmal auf eine Frage keine Antwort gewußt hatte. Eine Frage, die er sich an seinem fünfzigsten Geburtstag nach Büroschluß in seinem einsamen Junggesellenzimmer stellte: »Wofür lebst du eigentlich?« Der Primus beschloß darauf, weniger zu schuften und mehr zu leben. Er kaufte sich als ersten Leichtsinn eine Schmalfilmkamera und einen Fotoapparat. Um diese kostspieligen technischen Errungenschaften nützlich einzusetzen, unternahm er eine Reise – jene, auf der wir ihn kennenlernen. Primus will nachholen – sich selbst, die Welt und auch die Frauen. (Eben hat er Jou einen halben Pfirsich geschenkt.)

Hinter ihm döst ein korrekt gealtertes Fräulein im strengen Schneiderkostüm, dem man ohne Bedenken seinen Ehemann, Schmuck und Bargeld anvertrauen würde: Elisabeth Herzberg.

Vor Kümmel und dem Primus schlafen Elfi Duvenage und Rudi Staubschläger, beide sind ringverlobt. Rudi besitzt ein ungewöhnliches Profil, das – dank einem kühn entwickelten Adamsapfel – erst unterhalb der Kinnlinie als ein solches zu bezeichnen ist.

Der ältere Herr, der diesem kernigen jungen Mann über den Gang hinweg einen verächtlichen Blick nach dem andern zuwirft, ist sein Schwiegervater Emil Duvenage – ein hugenottischer Name, der Düvenasch ausgesprochen wird. Rudi nennt den grimmigen Herrn »Papachen«, was alle sehr mutig finden. »Papachen«, sagt er, »Elfi läßt fragen, ob du ein kleines Käsestüllchen möchtest?«

Neben Düvenasch sitzt »die Feldherrin«, Frau Behrend. Kümmel prägte diese Bezeichnung, weil Frau Behrend so selbstbewußt und monumental wie die Marmorbüste eines ruhmvollen Militaristen auf dem zweisäuligen Sockel ihrer kurzen Beine ruht. Stark, bärtig, gutmütig lärmend und immer guter Laune, ist sie die Unverwüstlichste von allen und sehr tierlieb: all ihre Nerze hat sie mit auf die Reise genommen. Die schlenkern während der Fahrt aus dem Gepäcknetz und glotzen mit ihren starren Glasäugen Herrn Düvenasch an – was diesem ungemein mißfällt.

In der ersten Reihe sehen Sie ein älteres Ehepaar, unauffällig, bieder und feierlich steif wie auf einem Jubiläumsfoto. Das sind Herr und Frau Josef Radke auf ihrer verspäteten Hochzeitsreise. Einer Hochzeitsreise, die vor fünfunddreißig Jahren, als sie sich füreinander entschlossen, von Oma Radke geplant wurde, für die das Geld nie reichte, weil sie das Gesparte immer wieder ausgeben mußten, um eine Arztrechnung zu bezahlen, Mobiliar zu kaufen oder eine Tochter auszusteuern.

Darüber sind sie zu mehrfachen Großeltern geworden. Jetzt haben sie endlich die nötige Summe für eine Italienreise zusammen. Opa Radke hätte sie zwar lieber zur Anschaffung von neuem Werkzeug verwandt, aber Oma bestand auf der Erfüllung ihres Jugendwunsches… und ihm blieb nichts anderes übrig, als mitzufahren.

Im Hintergrund sehen Sie noch mehrere Ohren, Haarlocken, Brillen und Zigarettenschwaden. Die gehören zu den jungen, unternehmungslustigen Neumanns, zur schwerhörigen Frau Küßnich, zur üppigen Frau Peters und zu jenen »ferner Mitfahrenden«, die alle vorzustellen zuviel Geduld von Ihnen fordern hieße.

Der Fensterplatz neben Jou ist leer. Sein Besitzer wird erst in München zusteigen.

3. Kapitel Jous Platznachbar

Die Polster eines Busses müssen Mohnsamen enthalten. Anders ist die unersättliche Schlummerlust seiner Insassen gar nicht zu erklären.

Einzig Jou kann nicht schlafen. Ihre Gedanken laufen sich wunde Füße auf dem Wege nach Berlin zurück. Sie beschäftigen sich mit dem Tierarzt Hans Fichte und seinem Dackel Erwin. Beide bilden seit einem Jahr das einzige Stückchen Solidität in ihrem überaus modischen Leben, in dem sie nicht unter ihrem reiztötenden bürgerlichen Namen Sieglinde Knopf, sondern als »rätselhafte Jou« bekannt ist. Sie wünschte, Hans Fichte säße jetzt neben ihr. Aber er wollte sie partout nicht nach Italien begleiten.

»Kindchen, ich kann meine Praxis nicht allein lassen. Und außerdem, wozu soll ich mir für teures Geld und etliche Strapazen angucken, wie die Zitronen von unserem Kaufmann aussahen, als sie noch auf italienischen Bäumen hingen? Nee, nee, laß mich man hier. Fahr allein, aber such dir eine Reise aus, bei der du ständig auf der Achse bist, damit kein Mann Gelegenheit findet, dich intensiver zu umbalzen.«

Er brachte sie heute früh zum Bus. Als er den gutaussehenden Reiseleiter sah, radierte ein plötzliches Mißtrauen alle Fröhlichkeit aus seinem Gesicht.

»Fährt der Kerl da etwa auch mit?«

»Er scheint unser Führer zu sein«, flüsterte sie.

»Ach…« Und seine Miene verriet, daß er sich einen Reiseleiter bedeutend anders vorgestellt hatte: weniger brünett, mehr mausgrau.

Und dann fuhren sie ab. Hans Fichte stand zwischen den winkenden Zurückbleibenden. Regen rann über sein ehrlich besorgtes Gesicht, und in der Hand hielt er einige Tüten, in denen sich Reiseproviant für Jou befinden mochte.

Lieber, lieber Hans… Aber das bißchen Besorgnis schadete ihm gar nichts. Warum hat er sie nicht nach Italien begleiten wollen!? Warum ist ihm seine Praxis wichtiger gewesen!?

Es gießt in Strömen, als sie das laternen- und reklameglitzernde München einnehmen. Herr Florian greift zum Mikrophon und zerreißt die Träume der Schlafenden mit der Bemerkung: »Am Hauptbahnhof halten wir etwa eine Viertelstunde. Dort steigt unser Hamburger Komplice zu.«

Aus Hamburg also stammt ihr Platznachbar. Jou freut sich, denn sie selbst ist in Altona aufgewachsen. Ihre Eltern und ihr Bruder wohnen noch heute dort.

Der Bus hält mit sanftem Ruck und Innenlicht. Gerappel und zerknitterte, verschlafene Töne auf allen Sitzen. Florian schlingt sich einen sandfarbenen Schal um den Hals und springt in den Schnürlregen auf der Suche nach dem Zusteiger.

Dieser steht mit hochgezogenen Schultern unter einer Laterne, Koffer und Aktentasche an seine Schienbeine gelehnt – nach dem schmalen Rücken zu urteilen, ein sehr junger Mann, das heißt: mehr noch eine Schaufensterpuppe aus dem Warenhaus. So steif und funkelnagelneu wirkt seine Kleidung.

Florian spricht ihn an. Der junge Mann nickt, zieht seine Schirmmütze aus hellem Popeline von einem Bürstenhaarschnitt – und Herr Kümmel erschrickt über Jous totenbleiches Gesicht.

»Was haben Sie denn, Fräulein Knopf? Ist Ihnen plötzlich nicht gut?«

»Nein«, sagt sie leidenschaftlich, »nein, nein, nein. Üüüberhaupt nicht.«

»Das Beste ist frische Luft«, rät Fräulein Herzberg. »Soll ich Sie hinausbegleiten?«

»Danke«, sagt Jou, »dagegen hilft keine frische Luft.«

In diesem Augenblick erklettert der Neue die Vorderstiege des Busses und schaukelt verlegen-forsch durch die Sitzreihen. »Hei, Siegi«, winkt er in Jous starres, bleiches Gesicht. »Ischa woll eine Überraschung, noch?«

Sie ist ein gutmütiger, geduldiger, stets freundlicher Mensch. Manche behaupten sogar, sie sei ein Schaf. Es gibt nur einen Menschen auf dieser Welt, dem es bisher gelungen ist, das gutmütige Schaf Sieglinde in eine Tarantel zu verwandeln. Und das ist ihr achtzehnjähriger Bruder Giselher, der letzte Namensträger des Stammes Knopf aus Altona.

»Gisel«, knurrt sie, »ausgerechnet du! Und ich habe mich so auf diese Reise gefreut!«

»Du wirst lachen, ich auch«, sagt er und knetet sich an ihren eisernen Knien vorbei zum Fensterplatz, hängt seinen Mantel auf, tastet die Taschen seiner senfgelben, imitiert ledernen Jacke ab und fragt: »Hast du eine Zigarette für mich?«, fragt so lange und so laut, bis Herr Kümmel ihm sein Etui reicht.

»Er ist mein Bruder«, sagt Jou und bufft in Giselhers Rücken. »Stell dich gefälligst dem Herrn vor!«

»Angenehm. Knopf, Hamburg. – Na, denn woll’n wir mal sehen, was uns dieses Italien zu bieten hat!« Es gelingt ihm, seine Magerkeit so weit auszubreiten, daß sie noch ein Viertel des schwesterlichen Sitzes mitbelegt.

Sobald sich der Bus in Bewegung setzt und sein Brummen das vielohrige, neugierige Schweigen um sie her geschluckt hat, beginnt Jou mit dem Verhör. »Nun sag bloß mal – so gemein kann doch ein Zufall gar nicht sein. Also, wie kommst du ausgerechnet in diesen Bus?«

»Mein Schwager hat mich dazu eingeladen«, grinst er, seinen Sitz in Liegestellung kippend.

»Was für ein Schwager?« Jou guckt verständnislos.

»Dumme Frage. Dein Freund Fichte aus Berlin. Ich denke, ihr–«

»Mein Hans?«

Jou hat plötzlich böse, rote Funken vor den Augen.

Giselher beugt sich vor und tastet die Taschen seines aufgehängten Mantels ab, zieht endlich einen zerknitterten Brief hervor und reicht ihn ihr zusammen mit seiner Stablampe.

»Lieber Giselher«, liest sie. »Wir kennen uns zwar noch nicht, aber Siegi hat mir schon viel Humorvolles von Dir erzählt. Da ich sie leider nicht nach Italien begleiten kann, aber auch nicht möchte, daß sie allein fährt, wollte ich Dich bitten: Sei am 7. September, abends 8 Uhr, in München vor dem Hauptbahnhof. Im Reisebüro ist man davon unterrichtet, daß du dort in den Bus aus Berlin zusteigen wirst. Sei aber pünktlich, Junge! Anbei das bezahlte Gutscheinheft für die Reise und hundert Mark extra. Paß gut auf Sieglinde auf, damit erweist Du mir einen großen Dienst. Sie hat natürlich keine Ahnung, daß Du mitfahren wirst. Zeig ihr auf keinen Fall diesen Brief.

Alsdann – viel Spaß

Dein Hans Fichte.«

Jou knipst die Lampe aus und verbraucht all ihre Vorräte an Selbstbeherrschung bis zum letzten Gramm. Sie reichen gerade aus, um sie vor einem die anderen Fahrgäste irritierenden Zornesausbruch zu bewahren. Sie sagt nur:

»Giselher, warum hat dir dein Meister bloß Urlaub gegeben!«

»Hat er gaa nich, ich hab kündigen müssen. Es findet sich eher eine neue Lehrstelle wie ein Dummer, wo mich umsonst nach Italien einlädt.«

Danach schweigen sie mehrere Kilometer lang. Giselhers Zigarette zieht großartige Glutarabesken durch die Dunkelheit.

Nachdem er sie aufgeraucht hat, holt er sein Taschentuch hervor, entfaltet es schlenkernd und…

»Giselher!«

»Na, und?«

»Was riechst du denn? Hast du dich parfümiert?«

Er schnüffelt wohlgefällig an seinem Taschentuch und an den Aufschlägen seiner Jacke. »Merkt man das?«

In diesem Augenblick wendet sich Elfi Düvenasch nach ihnen um. »Ihr Brüderchen, Fräulein? Und Sie haben nichts davon gewußt, daß er mitfahren wird? Aber das ist doch sicher eine Freude, was?«

»O ja–«

Um Mitternacht meldet Jou vom Garmischer Hotel ein Gespräch nach Berlin an. Hans Fichte findet dabei keine Gelegenheit, zu Worte zu kommen. Am Schluß ihrer zornigen Rede sagt sie: »Wenn du glaubst, ich hätte einen moralischen Aufpasser nötig, werde ich dafür sorgen, daß der Aufpasser auch zu tun kriegt. Seine Fahrkarte wäre ja sonst rausgeschmissenes Geld. Unser Reiseleiter ist wirklich ein gutaussehender Mann. Gute Nacht.«

Etwas später, in der Dunkelheit des nach Heu und Regen und Sauberkeit duftenden Hotelzimmers, tut ihr der Anruf bereits leid. Es tut einem immer hinterher leid, wenn man das beschimpft hat, was man am meisten liebt… aber nichts auf der Welt beschimpft man meistens so sehr wie das, was man liebt. Außerdem hat sie vergessen, sich nach Erwin zu erkundigen. Das tut ihr auch leid.

In Berlin hängt Hans Fichte zögernd den Hörer ein. Jous fernmündliche Drohung aber klirrt in seinem Ohr fort – und er fühlt sich über die Maßen bedrückt.

»Tja, Erwin«, sagt er zu dem Dackel, der vor ihm auf dem blankgebohnerten Boden des Sprechzimmers hockt. »Da hat sich dein Papi aber was Kluges eingebrockt!«

Der Dackel wedelt, weil Wedeln immer das Günstigste ist, wenn man nicht begreift, warum der große, zweibeinige Leithund plötzlich in ernstem Tonfall mit einem spricht.

»Was machen wir nun?«

Aber Erwin weiß es auch nicht. Vielleicht Spazierengehen oder Ringspielen? Er holt seinen zerkauten, blauen Gummireifen vom Flur und erlebt eine Abfuhr. »Laß mich in Frieden, Kleiner, ich muß nachdenken.«

›Wenn du glaubst, ich hätte einen moralischen Aufpasser nötig, werde ich dafür sorgen, daß der Aufpasser auch zu tun kriegt. Unser Reiseleiter ist wirklich ein gutaussehender Mann.‹

»Oijehoijeh –«, seufzt Hans, zehnfingrig und in vollendeter Ratlosigkeit seinen Kopf kratzend. Er ist zwar nicht unerfahren im Umgang mit Frauen, aber naiv genug, um jede ihrer Drohungen für bare Münze zu nehmen, ganz besonders dann, wenn es sich um diejenige einer Frau handelt, die er lieb genug hat, um ihr einmal sein kostbares Junggesellentum zu opfern.

Plötzlich springt er auf. Alle Flaschen, Instrumente und Scheiben der weißen Schränke klirren gestört. Er läuft zur Tür, schliddert den Gang entlang zur Küche, zerrt den verstaubten Koffer aus seinem jahrelangen Ruhestand auf dem Besenschrank, stolpert über Erwin, der ihm gefolgt ist, stößt einen Stuhl um, erschrickt vor seinem eigenen ungeahnten Temperament, mit dem er Schranktüren aufreißt und Kleidungsstücke samt Bügel um sich streut, und verharrt endlich in düsterer Hilflosigkeit, auf das schüchterne Aufflackern seines Verstandes wartend, denn – sooo geht es wohl nicht.

»Vater muß logisch denken, Erwin«, sagt er und sieht sich suchend nach ihm um. »Wo steckst du denn?«

Der Hund kommt hinter der Couch hervor. An seinem mißtrauischen Zögern kann Hans ermessen, wie sehr er selbst während der letzten Minuten gewütet haben muß. »Ja, sieh mal, Dackel, dein armer Papi muß nämlich leider nach Italien reisen, unsere Zukunft retten.«

Er geht in die Knie und betrachtet nachdenklich das bißchen rauhe Fell mit den blanken Korinthenaugen. Seit vier Jahren folgt ihm Erwin in kritikloser, unerschütterlicher Sancho-Pansa-Treue.

»Kleiner«, sagt er bedrückt, »wo soll ich dich bloß hingeben, während ich in Italien bin?«

4. Kapitel Man fährt sich langsam ein

Petrus muß seinem Himmel den Rat gegeben haben, den sonst gute Freundinnen betrübten Freundinnen zu geben pflegen: »Heul dich man tüchtig aus, dann wird dir besser.«

Der Himmel über Bayern und Österreich heult seit dem Morgen. Ohne Schnupfpause. Unser Bus rollt durch tiefverhangene, sauber aufgeräumte Landschaft mit viel nassem Rindvieh und durch geranienumblühte, barockbeschwingte, tröpfelnde Spielzeuglieblichkeit. Von den Bergen rechts und links sind nur die bewaldeten Zehen und in sehr lichten Momenten auch einmal die Knie zu sehen. (Nur auf Ansichtskarten ist das Panorama immer vollzählig versammelt.)

Während der Wagen zwischen schluchtenreichen, eng ineinandergeschobenen Kulissen über die Brennerstraße aufwärts brummt, weht lauer Tauwind durch sein Inneres und schmilzt die letzten Eisschollen der Fremdheit. Man tauscht bereits die Fotos der zurückgelassenen Kinder, Vierbeiner und Piepmätze. Zu Jous großem Erstaunen zückt auch Giselher seine kunstlederne Brieftasche und reicht ein Bild herum, auf dem vorn ein Rhesusäffchen auf der Schulter eines Matrosen und im Hintergrund das mit lässigem Bordleben angefüllte Oberdeck eines Schiffes zu sehen ist.

»Christoph Columbus hieß der Affe und war das Maskottchen auf dem Übersee-Luxusdampfer meines Vaters. Das Foto wurde kurz vor Ausbruch des Krieges gemacht«, erklärt er laut und eindrucksvoll.

»Ach«, staunt der Primus, »Ihr Herr Vater war Reeder?«

Giselher entzieht sich einer Antwort, indem er vorgibt, etwas auf dem Boden zu suchen. Er spürt wohl allzu deutlich Jous Ellbogen zwischen seinen Rippen.

Auf einmal holen die Umsitzenden außer Radkes und Kümmel einen feinen Verwandten hervor, mit dem sie sich gegenseitig imponieren können.

»Ein Onkel von mir war Schiffsingenieur bei der Hapag und fünfmal in Amerika«, sagt der Primus mit erhobenem Zeigefinger.

Frau Küßnich, die sich ob ihrer Schwerhörigkeit mehr von den optischen als den akustischen Dingen beeinflussen läßt, ruft, erschrocken auf des Primus’ Finger weisend: »Aber Sie müssen was gegen Ihre Warzen tun, mein Herr.«

Er zieht verschämt und sehr plötzlich seine Hand ein.

»Ich weiß ein Mittel, das wirkt garantiert«, sagt Frau Küßnich eifrig. »Sie brauchen bloß bei abnehmendem Mond einen Heringskopf zu verbuddeln und drei Kreuze über Ihren Warzen zu machen, schon gehen sie weg!«

»So’n Quatsch«, brummt Düvenasch, und im gleichen Augenblick ruft Herr Neumann aus der letzten Busreihe:

»Wir wollen ein Lied singen!«

»Am liebsten ›Das muntere Rehlein«, schlägt die üppige Frau Peters vor.

»Nein. Wir singen ›Was ist des Deutschen Vaterland?‹«, verlangt Düvenasch und räuspert bereits seine Kehle frei.

In der hinteren Busreihe hat man sich jedoch einmütig für »Mariechen« entschlossen und, das Einverständnis der anderen gar nicht erst einholend, mit dem Singen begonnen.

»Mariechen saß auf einem Stein, einem Stein,

einem Stein…«

»In München stieg Herr Knopf dann ein, mit viel Gepäck«, kräht Herr Neumann, und man sieht ihm an, wieviel Konzentration ihn das rasche Dichten kostet.

»Vater im Himmel!« stöhnt Düvenasch, seine Schläfen mit beiden Handflächen stützend.

»Knopf und Mariechen fuhr’n zu Bus, mit Florian,

ei, welch Genuß!

Und Düvenasch war auch dabei–im Bus, im Bus.

Heißt hier übrigens jemand Mariechen?«

Gleich drei weibliche Zeigefinger schnellen in die Höhe. Sie gehören Frau Peters, Oma Radke und der Feldherrin.

»Gut«, sagt Neumann, »dann wird ›Mariechen‹ zu unserem Bus-Blues ernannt.«

***

Währenddessen beugt sich Jou zu ihrem Bruder und zischt: »Giselher! Du bist mir ein ganz dammlicher Angeber! Wie kannst du so tun, als ob unser Vater ein Schiff und einen Affen gehabt hätte. Warum sagst du denn nicht die Wahrheit? Warum sagst du nicht, daß er Schiffskoch war? Ist da vielleicht was bei?«

»Nöö, da ist nix bei, und ich hab ja auch gaa nich gesagt, daß er es nich gewesen ist! Oder?«

»Nein, aber du hast so getan…«

»Man muß immer so tun, als ob man mehr is, wie man is«, erklärt er weise. Sie möchte ihm im Namen ihres prächtigen Vaters eins links und rechts auf die pickligen Backen geben, damit ihm der Hochmut im weiten Bogen aus dem Gesicht fliegt, aber sie sind ja leider nicht allein. »Bluff ist das halbe Leben, Sieglinde. Meerk dir das man.«

Primus nutzt den kurzen Aufenthalt am Brenner, um seine Schmalfilmkamera gleich einem Maschinengewehr über die von kaltem Paßwind durchwehte Grenzstation knattern zu lassen, und Bruder Giselher, dies bemerkend, lehnt sich wie zufällig gegen den schlanken Kühler eines Lancia, wobei er sich so gebärdet, wie er glaubt, daß sich ein gelernter Weltreisender vor seinem Auto gebärden würde.

Am gegenüberliegenden Ufer einer großen Pfütze lauscht Florian mit höflichem Ohr und abgelenktem Auge den Seefelder Urlaubserlebnissen der Frau Küßnich aus dem Jahre Einunddreißig.

Sein abgelenktes Auge ruht übrigens auf Jou. Was für ein reizendes, helles, unkompliziertes Geschöpf sie ist – vielleicht zu hell, zu unkompliziert, um ihn auf die Dauer fesseln zu können. Aber was weiß er denn schon von ihr?

Sie haben kaum drei Worte bisher miteinander gesprochen. Fremdheit, die starke Erinnerung an ihr Zuhause, das sie erst gestern früh verließen – und eine große Pfütze trennen sie noch voneinander.

Wie zufällig fängt Jou seinen Blick auf. Sie lächeln sich rasch zu, und erst beim Fortgucken bemerken beide, daß in ihrem Blick eine unbestimmte Ahnung zitterte.

Uff! denkt Jou besorgt, ich hatte Hans mit unserem Reiseleiter doch nur drohen wollen!

***

Zur gleichen Zeit, da der Bus aus der Grenzstation rollt und sich von riesigen Agip-Gas-, Wein- und Nähmaschinenreklamen im sonnigen Italien begrüßen läßt, wird Fichtes Auto, dem er beim Kauf aus dritter Hand, von Vaterstolz erfüllt, den Namen »Herzlieb« gab, in einer Grunewalder Tankstelle auf seine Reisefähigkeit untersucht, telefoniert Hans nach einem Vertreter für die Praxis, beschnüffelt der Dackel Erwin voll Unruhe zwei gedankenlos vollgestopfte Koffer, und Fichtes Assistentin spricht ganz offen von »Wahnsinn, Herr Doktor!«.

5. Kapitel Ein Hirte und einunddreißig muntere Schafe in Venedig

»Empfiehlt der Republik Venedig, sie möge nie wieder einem Feldherrn so eine unbeschränkte Macht einräumen wie mir. – Erstaunlich einsichtige Feststellung für einen Feldherrn«, sagt Florian, während sie zum drittenmal, den Kopf im schmerzenden Nacken, um das erzene Reiterstandbild des finsteren Colleoni herumtrotten. »Allerdings verliert diese Feststellung an charakterlicher Wucht, wenn man erfährt, daß dieser Condottiere sie nicht während seiner Macht- und Mannesblüte, sondern erst auf dem Sterbebett traf. Sein Reiterstandbild gehört zu den großartigsten, die es gibt, und ist auf Verrocchio zurückzuführen. Schnaubendes Roß und grimmig blickender Colleoni sind ein stolzes, energiegeladenes Eins, sind niederstampfende Rücksichtslosigkeit und – wie bitte, Herr Krause?«

»Wetten, daß sich keina traut, diß Pferd Zucker zu jeben?«

Mit dieser Bemerkung hat der Fahrer genau auf Florians kunsthistorisches Feuer gespuckt, und Kümmel bringt es gänzlich zum Verlöschen, indem er sagt: »Wenn man sich Rüstung und Pferd wegdenkt, dann wird die Ähnlichkeit noch verblüffender. Mit wem wohl?«

»Mit Schwiegerpapachen«, jubelt Rudi, und die Feldherrin ruft:

»Aber genau! So sieht Düvenasch aus, wenn er mit seinen Spaghetti kämpft.«

»Gehn wir weiter«, sagt Florian und marschiert, den wißbegierigen Primus neben sich, vom Platz.