Der entwendete Brief - Edgar Allan Poe - E-Book

Der entwendete Brief E-Book

Edgar Allan Poe

0,0
1,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Hauptperson ist, wie bereits in Der Doppelmord in der Rue Morgue, Auguste Dupin. Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive einer seiner Freunde erzählt. Dupin wird vom Pariser Polizeipräfekten um Hilfe bei der Suche nach einem Brief gebeten, der einer adligen Dame in erpresserischer Absicht gestohlen wurde. Der Täter ist zwar bekannt, trotzdem kann er nicht verhaftet werden, da eine Veröffentlichung oder Vernichtung des Dokuments großen Schaden anrichten würde. Eine Hausdurchsuchung der Polizei bleibt ohne Erfolg. Dupin kommt durch eine Charakteranalyse des Täters zu dem sich als korrekt erweisenden Schluss, dass der Brief nicht etwa aufwendig versteckt ist, sondern offen in einer Ablage liegt und gerade deswegen übersehen wurde. 

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der entwendete Brief

Edgar Allan Poe

Veröffentlicht: 1844Kategorie(n): Fiction, Short Stories
Über Poe:

Edgar Allan Poe was an American poet, short story writer, playwright, editor, critic, essayist and one of the leaders of the American Romantic Movement. Best known for his tales of the macabre and mystery, Poe was one of the early American practitioners of the short story and a progenitor of detective fiction and crime fiction. He is also credited with contributing to the emergent science fiction genre.Poe died at the age of 40. The cause of his death is undetermined and has been attributed to alcohol, drugs, cholera, rabies, suicide (although likely to be mistaken with his suicide attempt in the previous year), tuberculosis, heart disease, brain congestion and other agents. 

Nil sapientiae odiosus acumine nimio.

Seneca

 

Es war in Paris an einem stürmischen Herbstabend des Jahres 18 .. Ich saß im dritten Stockwerk des Hauses Nr. 33 der Rue Donot, Faubourg St. Germain, in dem nach hinten gelegenen Bibliothekzimmerchen bei meinem Freund August Dupin und gab mich dem zwiefachen Genuß des Nachdenkens und einer Meerschaumpfeife hin. Seit mindestens einer Stunde hatten wir beide kein Wort gesprochen. Ein zufälliger Beobachter hätte sicherlich geglaubt, wir seien einzig und allein damit beschäftigt, die kräuselnden Rauchwolken zu verfolgen, die in dichten Schwaden das Zimmer füllten. Indessen, was mich betraf, so sann ich dem Gesprächsstoff nach, mit dem wir uns zu einer früheren Stunde desselben Abends eifrig befaßt hatten; ich meine die Affäre aus der Rue Morgue und den geheimnisvollen Mordfall der Marie Rogêt. Es erschien mir daher als ein wunderbares Zusammentreffen, daß sich die Tür unseres Zimmers plötzlich öffnete und unser alter Bekannter, Herr G., der Polizeipräfekt von Paris, eintrat.

Wir begrüßten ihn herzlich; denn wenn wir den Mann auch nicht eben achteten, so war er andrerseits doch unterhaltend, und wir hatten ihn seit Jahren nicht gesehen. Wir hatten im Dunkeln gesessen, und Dupin erhob sich nun, um die Lampe anzuzünden; er unterließ es jedoch, und setzte sich wieder, als G. sagte, er sei gekommen, uns um Rat zu fragen oder vielmehr die Meinung meines Freundes zu hören in einer Amtsangelegenheit, die ihm schon viel Beschwer gemacht habe.

»Wenn es eine Sache ist, die Nachdenken erfordert«, bemerkte Dupin, indem er mit Anzünden des Dochtes innehielt, »so ist es besser, wir prüfen sie im Dunkeln.«

»Wieder so eine Ihrer sonderbaren Ansichten!« sagte der Präfekt, der alles »sonderbar« nannte, was über sein Begriffsvermögen hinausging, und sich daher von einer Legion von »Sonderbarkeiten« umgeben sah.

»Sehr wahr«, sagte Dupin, während er seinem Besuch eine Pfeife reichte und einen bequemen Sessel hinschob.

»Und um was für Schwierigkeiten handelt es sich diesmal?« fragte ich. »Hoffentlich nicht wieder eine Mordgeschichte?«

»O nein; nichts dergleichen. In der Tat – die Sache ist an sich sehr einfach, und ich bezweifle nicht, daß wir ganz gut allein damit fertig werden könnten; aber dann dachte ich, der Fall würde Dupin interessieren, denn er ist höchst sonderbar.«

»Einfach und sonderbar!« sagte Dupin.

»Nun ja; und doch wieder keins von beiden. Es hat uns nur alle so verwirrt, daß die Geschichte so einfach ist und man ihr doch nicht beikommen kann.«

»Vielleicht ist es gerade die Einfachheit der Sache, die Sie irreleitet, mein Freund.«

»Was für Unsinn Sie reden!« erwiderte der Präfekt lachend.

»Vielleicht ist das Geheimnis ein wenig zu klar«, sagte Dupin.

»O Himmel! Welche verrückte Idee!«

»Ein wenig zu durchsichtig.«

»Ha, ha, ha! – Ha, ha, ha! – Ho, ho, ho!« brüllte unser Besuch aufs höchste belustigt. »O Dupin, Sie werden noch an meinem Tod schuld sein.«

»Was für eine Sache ist es denn nun aber eigentlich?« fragte ich.

»Schön, Sie sollen es hören«, erwiderte der Präfekt und tat einen langen kräftigen und nachdenklichen Zug aus der Pfeife; dann rückte er sich im Stuhl zurecht und begann: »Ich will es Ihnen in kurzen Worten sagen; doch ehe ich anfange, muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Sache tiefstes Geheimnis ist und größte Diskretion verlangt und daß ich höchstwahrscheinlich meinen Posten verlieren würde, wenn es herauskäme, daß ich sie jemand erzählt habe.«

»Fahren Sie fort«, sagte ich.

»Oder auch nicht«, sagte Dupin.

»Also gut; ich wurde von sehr hoher Stelle benachrichtigt, daß ein Dokument von höchster Wichtigkeit aus den königlichen Gemächern entwendet worden sei. Die Person, die den Diebstahl ausführte, kennt man; das steht fest, denn sie wurde bei der Tat beobachtet. Man weiß ferner, daß sie noch im Besitz des Dokumentes ist.«

»Woher weiß man das?« fragte Dupin.

»Dies ergibt sich aus der Natur des Dokumentes selbst und daraus, daß gewisse Ergebnisse nicht eingetreten sind, die unausbleiblich erfolgen würden, wenn der Dieb das Papier aus den Händen gäbe – das heißt, wenn er es so anwendete, wie er es im Grunde beabsichtigen muß.«

»Seien Sie ein bißchen deutlicher«, sagte ich.

»Schön, ich kann so weit gehen zu sagen, daß das Papier seinem gegenwärtigen Besitzer eine gewisse Macht verleiht an einer gewissen Stelle, wo diese Macht von ungeheurem Wert ist.« Der Präfekt liebte es, sich diplomatisch auszudrücken.

»Ich verstehe noch immer nicht ganz«, sagte Dupin.

»Nicht? Also: würde der Inhalt des Dokumentes einer dritten Person, die ich hier ungenannt lassen will, eröffnet, so würde das die Ehre einer sehr hochstehenden Persönlichkeit in ein schlechtes Licht setzen, und dieser Umstand gibt dem Inhaber des Papiers ein Übergewicht über die erlauchte Person, deren Ruhe und Ehre dadurch gefährdet sind.«

»Aber dieses Übergewicht«, warf ich ein, »würde nur dann bestehen, wenn der Dieb wüßte, daß der Bestohlene selbst genaue Kenntnis von der Person des Täters hat. Wer aber könnte wagen… «

»Der Dieb«, sagte G., »ist der Minister D., der alle Dinge wagt, ob sie einem Ehrenmann nun anstehen oder nicht. Das Vorgehen des Diebes war ebenso sinnreich als kühn. Die hohe Persönlichkeit hatte das fragliche Dokument – einen Brief, frei herausgesagt – bekommen, als sie sich allein im königlichen Boudoir befand. Während sie ihn las, wurde sie plötzlich durch den Eintritt einer anderen hohen Person gestört, der nämlichen, vor der sie gerade diesen Brief geheimzuhalten wünschte. Nach einem hastigen und vergeblichen Versuch, den Brief in ein Schubfach zu werfen, war sie genötigt, ihn, offen wie er war, auf einen Tisch zu legen. Indessen lag die Adresse zuoberst, und da der Inhalt also nicht sichtbar war, fiel der Brief weiter nicht auf. So standen die Dinge, als der Minister D. eintrat. Sein Luchsauge erblickt sofort das Papier, erkennt die Handschrift der Adresse, bemerkt die Verwirrung des Adressaten und errät sein Geheimnis. Nach einigen geschäftlichen Unterhandlungen, die er in gewohnter Weise schnell abwickelt, zieht er einen Brief aus der Tasche, der dem in Frage stehenden einigermaßen gleicht, öffnet ihn, tut, als lese er ihn, und legt ihn dann dicht neben den andern nieder. Wieder spricht er etwa fünfzehn Minuten über die öffentlichen Angelegenheiten. Schließlich verabschiedet er sich und nimmt von dem Tisch den Brief, auf den er kein Anrecht hatte. Der rechtmäßige Besitzer sah dies, wagte aber natürlich nicht in Gegenwart jener dritten Person, die dicht an seiner Seite stand, die Sache zu erwähnen. Der Minister entfernte sich, seinen eigenen, ganz unwichtigen Brief auf dem Tisch zurücklassend.«