Der Familienschreck - Leni Behrendt - E-Book

Der Familienschreck E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Im Herrenhaus von Schönsee herrschte große Aufregung. Das gestrenge Oberhaupt der Familie wurde erwartet, und das war etwas, das diese Aufregung schon rechtfertigte. Was in dem schlechtgeführten Haushalt in einem Vierteljahr vernachlässigt worden war, das sollte an einem Tag in Ordnung gebracht werden! Das gab ein heilloses Durcheinander, in dem ein Heer von Scheuerfrauen auf und ab wogte. Fluten von Seifenwasser überschwemmten die Fußböden, Leitern standen herum, Fenster und Türen waren weit geöffnet – und inmitten dieses Chaos wirbelte die Hausherrin herum, mit ihren konfusen Befehlen mehr hemmend als nützend. »Ilsabe, Christiane, wo seid ihr bloß?« jammerte sie nach den Töchtern, die geruhsam im Wohnzimmer saßen, das als einziges von der Scheuerwut verschont geblieben war. Dort hielten sich auch der Herr und der Sohn des Hauses auf, die am liebsten ausgerückt wären, in Erwartung des hohen Gastes jedoch notgedrungen verharren mußten. Nun wurde auch diese Tür aufgerissen, und die völlig echauffierte Hausfrau ward sichtbar. »Kinder, meine Nerven! Könnt ihr denn kein bißchen darauf Rücksicht nehmen?« jammerte sie kläglich. »Hör bloß endlich mit deinen Nerven auf –!« fuhr der Hausherr unwirsch dazwischen. »Wozu das alles überhaupt, Beate?« »Da kannst du noch fragen?« empörte die Ehehälfte sich. »Da kannst du wirklich noch fragen? Du kennst doch die niederträchtig scharfen Augen der Tante Herzliebe. Wenn die auch nur eine einzige Unordnung hier entdecken –«

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Leni Behrendt Bestseller – 15 –

Der Familienschreck

Leni Behrendt

Im Herrenhaus von Schönsee herrschte große Aufregung. Das gestrenge Oberhaupt der Familie wurde erwartet, und das war etwas, das diese Aufregung schon rechtfertigte. Was in dem schlechtgeführten Haushalt in einem Vierteljahr vernachlässigt worden war, das sollte an einem Tag in Ordnung gebracht werden!

Das gab ein heilloses Durcheinander, in dem ein Heer von Scheuerfrauen auf und ab wogte. Fluten von Seifenwasser überschwemmten die Fußböden, Leitern standen herum, Fenster und Türen waren weit geöffnet – und inmitten dieses Chaos wirbelte die Hausherrin herum, mit ihren konfusen Befehlen mehr hemmend als nützend.

»Ilsabe, Christiane, wo seid ihr bloß?« jammerte sie nach den Töchtern, die geruhsam im Wohnzimmer saßen, das als einziges von der Scheuerwut verschont geblieben war. Dort hielten sich auch der Herr und der Sohn des Hauses auf, die am liebsten ausgerückt wären, in Erwartung des hohen Gastes jedoch notgedrungen verharren mußten. Nun wurde auch diese Tür aufgerissen, und die völlig echauffierte Hausfrau ward sichtbar.

»Kinder, meine Nerven! Könnt ihr denn kein bißchen darauf Rücksicht nehmen?« jammerte sie kläglich.

»Hör bloß endlich mit deinen Nerven auf –!« fuhr der Hausherr unwirsch dazwischen. »Wozu das alles überhaupt, Beate?«

»Da kannst du noch fragen?« empörte die Ehehälfte sich. »Da kannst du wirklich noch fragen? Du kennst doch die niederträchtig scharfen Augen der Tante Herzliebe. Wenn die auch nur eine einzige Unordnung hier entdecken –«

»Schlimm genug, daß du es zu einer solchen überhaupt kommen läßt.«

»Ach, der Mann, dieser rücksichtslose Mann! Und keiner nimmt mich vor ihm in Schutz. Eine schöne Familie habe ich. – Großer Gott, was ist denn das! Hört ihr nichts?«

O ja, sie hörten. Und zwar eine ihnen wohlbekannte Stimme, die alle aus ihrer Beschaulichkeit aufschreckte.

Sie stürzten zur Tür, rissen sie auf – und was sie da sahen, ließ sie fast erstarren vor Schreck. In der Halle stand eine kolossale Gestalt, von Seifenschaum umwogt. Vor ihr lag ein Eimer, den eine der Scheuerfrauen bei dem unerwarteten Anblick hatte fallen lassen.

»Tante Liebe, was hat man dir getan?« kreischte Frau Beate von Söreslan in höchstem Diskant, und die Antwort tönte gar in einem Baß, der einer Männerkehle Ehre gemacht hätte.

»Verrückte Frage. Du siehst wohl nicht, daß ich hier schwimme wie die Arche Noah bei der Sintflut? Gibt es denn in diesem Sodom und Gomorrha keinen einzigen Platz, der trocken ist –?«

»Komm mit, Tante Liebe.« Christiane trat vor, die sich als einzige an die Frau heranwagte, die wie ein grimmiger Feldherr dastand, die blitzenden Blicke hin und her schickend. »Komm nur, im Wohnzimmer ist es trocken.«

Obgleich Christiane gewiß nicht klein war, so überragte diese gewaltige Erscheinung sie doch beträchtlich. Von der Breite schon gar nicht zu reden. Brummend ließ die Tante sich zu dem Sessel führen, der schon für sie bereitstand und in den sie gerade so hineinpaßte. Ebenso brummend besah sie sich ihre klatschnassen Schuhe, die triefende Schleppe.

»Tante Liebe, du mußt aus den nassen Sachen«, jammerte Frau Beate wieder. »Aber die von uns passen dir doch nicht. Vielleicht kann dein Kutscher dir welche von Hause holen –«

»Und somit die armen Gäule noch einmal zurückjagen, was!« fuhr die Baßstimme sie an.

»Dann könnte Christiane vielleicht nach Schwansburg reiten –«

»Papperlapapp! Es wird doch hier wohl Kleidungsstücke geben, mit denen ihr mir aushelfen könnt. Ein Paar Schlorren von den Mannsleuten werde ich trotz ihrer Fräuleinfüßchen ja wohl noch ankriegen.«

»Gedulde dich ein Weilchen, Tante Liebe«, lachte Christiane fröhlich auf, und weg war sie. Sie kam nach erstaunlich kurzer Zeit wieder, hob triumphierend ein Paar Männersocken hoch, ein Paar Hausschuhe, so Größe fünfundvierzig, und einen Morgenrock dazu.

»Hier, von unserm Inspektor etwas für die Füße und von seinem Muttchen einen Talar –«

Schon kniete sie vor der Gestrengen, die es sich, knurrend zwar, aber nicht ungern gefallen ließ, daß Christiane ihr die nassen Schuhe und Strümpfe von den Füßen zog, die sie darauf mit grauwollenen Männersocken und Kamelhaarschuhen versah. Dann kam das Kleid an die Reihe, wobei die beiden Herren diskret das Zimmer verließen.

Einem Menschen ein Kleid auszuziehen, ist ja im allgemeinen keine schwierige Aufgabe. Allein bei dieser Dame war das nicht so einfach. Bis man an das Kleid überhaupt erst herankam, dauerte eine gute Weile. Da gab es Ketten abzunehmen, Broschen und Schleifen abzustecken, Tuffen und Rüschen zu öffnen, Haken, Druckknöpfe, Spangen und Schließen aller Art.

Das pompöse Schleppkleid mußte weichen, und an seine Stelle trat der Morgenrock der mehr als rundlichen Inspektorsfrau. Zwar hüllte er diesen massigen Körper gut ein, da jedoch die Besitzerin erheblich kleiner war als die Gräfin Herzliebe Schwanitz, so reichte er dieser noch nicht einmal bis zur halben Wade – und unter dem Saum sahen die grauen Männersocken und die riesigen Kamelhaarschuhe hervor.

»Na, nun lacht schon«, brummte die Tante gutmütig. »Sonst platzt ihr womöglich noch auseinander. Wie ich aussehe, das kann ich mir wohl denken. Aber ich bin trocken, das ist mir die Hauptsache.«

Gemütlich fiel sie in das nun ausbrechende Lachen ein, wobei sie sich wieder in ihren Stammsessel setzte. Ein Hausmädchen wurde herbeigerufen, das die nassen Sachen in Empfang nahm und eifrig versprach, sie so schnell wie möglich in Ordnung zu bringen.

»Na schön«, nickte die Gräfin friedfertig. »Zuerst aber bringen Sie mir etwas zu essen, Marjellchen. Und zwar was Vernünftiges. Zuallererst möchte ich jedoch einen Kognak.«

Axel, der soeben mit seinem Vater ins Zimmer zurückgekehrt war, beeilte sich, dem Wunsch der Großtante nachzukommen. Klar und aromatisch floß die belebende Flüssigkeit in ein Glas, das die Größe eines kleinen Weinglases hatte und eigens für die trinkfeste Gräfin angeschafft worden war.

Man sagte der Dame nach, daß sie nicht trinkfeste Männer mühelos unter den Tisch trank und dabei stets taktfest blieb. Das war gewiß keine böse Verleumdung, sondern es entsprach der Tatsache. Nur ihr verstorbener Gatte hatte das vermocht. Ein Riese an Größe und Körperkraft, hatte er die Gattin in allem übertrumpft und daher ihre Bewunderung und Achtung besessen.

Der Graf lebte noch zehn Jahre in alter Weise, und wenn er nicht einem tragischen Unglücksfall zum Opfer gefallen wäre, dann hätte sein Alter wohl eine biblische Höhe erreicht. Allein der morsche Baum, der während eines rasenden Gewittersturmes herniederbrach und dabei den Mann begrub, war sein Meister gewesen.

»Na schön«, hatte die Gräfin gemeint, als man ihr den treuen Lebenskameraden tot ins Haus brachte. »Es wäre für meinen Andreas auch eine Schande gewesen, im Bett zu sterben wie andere Leute.«

Damit schien der Fall für sie erledigt zu sein. Nur diejenigen, die diese Frau richtig kannten, wußten um den heißen Schmerz, den sie um das Dahinscheiden dieses Treuesten aller Treuen trug. Nach der Beisetzung war sie abgereist und erst nach einem Vierteljahr wiedergekommen. Wo sie während der Zeit geweilt, das hatte niemand gewußt.

Gestern erst war sie auf der Schwansburg, ihrem Stammsitz, angekommen und heute schon saß sie bei den Verwandten, wo ihr ein so unwürdiger Empfang zuteil geworden war.

»Nun erzählt, Kinder, wie es euch ergangen ist. Was macht die Wirtschaft?« fragte sie den Hausherrn, dem es unter dem scharfen Blick dieser hellen Augen höchst unbehaglich zu werden schien.

»Was weiß ich?« murmelte er, sein Monokel so eifrig putzend, als hinge von dieser Tätigkeit wer weiß wieviel ab. »Du hast uns ja ausgeschaltet, als du uns dieses Fräulein Warden sozusagen auf die Nase gesetzt hast. Seitdem haben wir hier nichts mehr zu sagen.«

»Ach nee.« Die Gräfin besah sich diesen Lebemann, in dem man alles andere, nur keinen Landwirt vermuten konnte. »Hättest du mein Hab und Gut so verwaltet, wie es sich gehört, dann hättet ihr dieses Fräulein Warden nicht auf der Nase sitzen.«

»Tante Liebe, du weißt doch ganz genau, daß ich kein Landwirt bin.«

»Nein, Gott sei’s geklagt. Du bist nämlich nichts, mein Sohn. Verstehst weiter nichts, als anderer Leute Geld mit vollen Händen zu vergeuden, wie deine liebe Familie – Christiane ausgenommen – es ebenso gut versteht. Das heißt, dein Sohn versteht auch noch, hübschen Mädchen nachzustellen. Aber dafür kann er nichts, da er von seinem Vater her erblich belastet ist.«

»Ich wüßte nicht, was ich in diesem elenden Kaff wohl anders anfangen sollte«, verteidigte sich der Angegriffene.

Die Gräfin kniff die Augen zusammen und besah sich ihren Großneffen angelegentlich.

»Wie wäre es, wenn du arbeiten würdest, mein Jungchen? Denn Arbeit vertreibt jede Langeweile unter Garantie.«

»Würdest du mir nicht sagen, worin diese Arbeit bestehen könnte?«

»Werde Gigolo, das Zeug dazu hast du bestimmt.«

»Tante Liebe – ich bitte dich –!« hob Frau Beate anklagend die Hände. »Quäle den armen Jungen doch nicht so. Er leidet schon schwer genug darunter, daß er so tatenlos dasitzen muß. Ihm fehlt das Geld –«

»Das soll er sich durch Arbeit verdienen. Aber dazu ist dieses Herrchen, das stets so aussieht, als wäre es dem mondänsten Modesalon entsprungen, wahrscheinlich zu fein. Es gehört auch zu den Leuten, die behaupten: ›Arbeiten sieht so arm aus‹. Es ist ja auch entschieden bequemer und amüsanter, jeder Schürze nachzulaufen.«

»Tante Herzliebe – jetzt wirst du ja direkt – direkt –«, wagte Beate ihrer Empörung Luft zu machen, kam jedoch unter dem grimmigen Blick der Gefürchteten nicht weiter.

»Direkt – was denn – direkt?« wetterte nun deren Stimme los. »Ordinär willst du sagen, was? Das habe ich bei euch auch verdammt nötig. Außerdem fasse du nur an deine eigene Nase, ebenso darf es dein verhätschelter Sprößling. Ist es etwa nicht ordinär, wenn er wie ein Wegelagerer die Asta im Park überfällt und sie zu küssen versucht – und etwa nicht ordinär, wenn du bei deinem Dazukommen dem wehrlosen Mädchen die Ohrfeige versetzt, die dieser Ritter von traurigster Gestalt mit Fug und Recht verdient hätte?«

»Möchte nur wissen, woher du das schon wieder hast«, lachte die Nichte überlaut. »Du bist doch erst gestern nach Hause gekommen.«

»Ja – ich habe eben meine Zuträger. Daher kommt es, daß ich immer so gut orientiert bin. Jedenfalls hast du dich wieder einmal von Herzen blamiert, meine liebe Beate. Die Asta wird an dieser Ohrfeige nicht zugrunde gehen, zumal sie diese ganz schuldlos bekommen hat. Aber du hast allen Grund, dich gehörig zu schämen. Ebenso dein Muttersöhnchen. Übrigens steht dessen Rechtfertigung noch aus. – Also, mein Sohn, was hast du dir dabei gedacht, als du das Mädchen in so nichtswürdiger Weise überfielst?«

Nun hob Axel den Kopf und bemühte sich, der Großtante in die durchdringenden Augen zu sehen.

»Überfallen ist wohl nicht der richtige Ausdruck, Tante Liebe. Ich habe mich Asta in keiner unlauteren Absicht genähert. Denn ich liebe sie und will sie heiraten.«

Diese freimütige Antwort überraschte Herzliebe nun doch. Dann jedoch lachte sie amüsiert auf.

»Alle Wetter, Jungchen, diese Eröffnung müßte mir eigentlich imponieren. So viel Schneid hätte ich dir bestimmt nicht zugetraut. Der gehört nämlich dazu, um im Schoße der lieben Familie so ein freimütiges Bekenntnis abzulegen. Daß du auch so wenig Rücksicht auf die armen Nerven deiner Mutter nehmen kannst! Sieh sie dir an, gleich wird sie in Ohnmacht fallen über die Ungeheuerlichkeit, die ihre empfindsamen Ohren soeben vernehmen mußten. Dem Herrn Papa ist vor Schreck fast das Monokel entglitten, während die liebe Schwester Ilsabe Miene macht, sich mit wenigen, aber um so wirkungsvolleren Worten von ihrem entarteten Bruder loszusagen. Nur Christiane lacht über das ganze Gesicht –«

»Tante Liebe, ich bitte mir aus, daß du mich ernst nimmst –«, trumpfte Axel dazwischen. »Ich bin schließlich 27 Jahre alt –«

»Daher alt genug, um die Riesendummheit, in die du dich verrannt hast, zu erkennen«, winkte sie den Protest ungerührt ab.

»Warum Riesendummheit?« fragte der junge Mann aufsässig.

»Weil du gar keine Aussicht hast, die Asta für dich zu erringen, mein Söhnchen. Denn das Mädchen wird sich bedanken, in eure verlodderte Familie hineinzureiten.«

Jetzt fuhr der Hausherr mit rotem Kopf hoch. Doch bevor er seiner Entrüstung Ausdruck geben konnte, kam ihm die Gattin dazwischen.

»Tante Herzliebe, das ist aber nun wirklich die Höhe –! Dieses Mädchen, das nichts ist und nichts hat, würde es sich zur Ehre anrechnen, Frau von Söreslan zu werden.«

Die Tante sah sie gemütlich an.

»Ach nee – wie großspurig. Meine Ansicht ist, daß wiederum eure werte Familie es sich zur Ehre anrechnen müßte, ein Prachtmädel wie die Asta zu ihr zählen zu können. Dann würde hier bald ein anderes Lüftchen wehen, und mir würde es Spaß machen, noch einige Mark in diese Lodderei hineinzuwerfen. Aber soweit ich die Asta kenne, würde sie sich über die Zumutung, die Frau dieses Biskuitjünglings werden zu sollen, halbtot lachen. Und damit ist jeder Kommentar überflüssig. Ich bitte mir aus, Axel, daß du das Mädchen als tabu betrachtest. Verstanden?«

Das war in einem Ton gesagt, den man nur zu gut kannte und gegen den man sich nicht aufzulehnen wagte. Ja, wenn man von diesem »Familienschreck« nicht abhängig gewesen wäre, dann hätte man ganz anders auftreten können!

Die kluge, menschenkundige Gräfin, die sehr wohl wußte, daß sie hier als Familienschreck galt, amüsierte sich köstlich über die so »diktatorisch Unterdrückten«, deren Empfinden sich nur zu sehr in ihren verbissenen Mienen widerspiegelte.

Dann aber betrachtete die Gräfin ihre Großnichte Christiane.

»Schmeckt’s?« schmunzelte sie.

»Es geht, Tante Liebe. Bißchen viel Brot unter Butter und Schinken. Andersrum ist es mir lieber.«

»Sag mal, du Strick, hast du denn gar keine Angst vor dem Familienschreck, weil du so kecke Antwort gibst?«

»Das wäre ja noch schöner«, lachte das Mädchen spitzbübisch. »Ich kenne dich doch, Tante Liebchen. Hunde, die viel bellen, beißen nicht.«

Da lachte die Großtante ihr tiefes, volles Lachen, während Frau Beate ihre Jüngste strafend ansah.

»Christiane, was führst du für eine Sprache –«

»Ach laß sie doch –«, winkte die Gräfin immer noch lachend ab. »Das Marjellchen ist goldrichtig. Hat Herz und Mund auf dem rechten Fleck und ist hier somit ein fremder Vogel im Nest. –

So – nun kommt der gemütliche Teil. Prost, wollen uns wieder vertragen.«

Nachdem man noch eine gute Weile einträchtig geplaudert, brachte das Hausmädchen das tadellos gebügelte Kleid des Gastes und die getrockneten Schuhe und Strümpfe, was ihm außer einem freundlichen Blick ein reichliches Trinkgeld eintrug. Bald wurde aus der komischen Gestalt wieder die gewohnte Tante Liebe, die in ihrem Schleppkleide nebst kostbarem Gehänge einen so gebietenden, hoheitsvollen Eindruck machte, daß ihre Erscheinung allein schon genügte, ihren Mitmenschen Respekt einzuflößen.

Als sie sich dann verabschiedete, kam die gewohnte versöhnliche Geste des »Familienschrecks«, der man voller Spannung entgegensah. Sie überreichte Frau Beate einen Scheck, über den diese, nach diskreter Musterung der Summe, freudig errötete.

*

Die Rentmeisterei von Schönsee befand sich in einem kleinen Hause, das etwas abseits vom Gutshof stand. Es hatte eine herrliche Lage mit dem Blick auf den See. Auf der Rückseite umstanden das Haus schöne, alte Bäume und schlossen es so von dem großen Hof ab. So richtig verträumt lag das schneeweiße Gebäude mit seinen grüngestrichenen Fenstern und Läden da, zumal die Kletterrosen, die in prächtiger Fülle emporrankten, diese Verträumtheit noch erhöhten.

Vier große Zimmer barg das Erdgeschoß. Eines davon diente als Amtszimmer, die drei andern der Rentmeisterfamilie als Wohnung. Dann gab es noch oben eine Giebelstube, die die Tochter mit Beschlag belegt hatte.

Vor dreißig Jahren hatte der Rentmeister Fritz Warden das

idyllische Haus mit seiner jungen Frau bezogen. Ihr Glück wurde vollkommen, als ihnen nach achtjähriger Ehe ein Töchterlein geboren wurde. Das Familienglück war dem stillen, feinen Mann immer ein ruhiger Hafen gewesen, nach den stürmischen Dienststunden, die es in Fülle gegeben hatte, und zwar, seitdem die Söreslan nach Schönsee gekommen waren. Obwohl ihnen das Gut gar nicht gehörte, sie nur die Nutznießung desselben besaßen, hatten sie stets dafür gesorgt, daß die Gutskasse leer war, so daß er oft hatte seine eigentliche Brotgeberin, die Gräfin Schwanitz, zur Hilfe rufen müssen, weil er nicht wußte, wie er die hohen Rechnungen, die immer wieder in der Rentmeisterei einliefen, bezahlen sollte. Dann hatte es jedesmal im Herrenhause ein heilloses Durcheinander gegeben, was man ihm, als Urheber desselben, sehr nachzutragen pflegte.

Jedenfalls hatte er es die letzten fünfzehn Jahre auf seinem Posten nicht leicht gehabt. Aber wenn er dann nach Dienstschluß in sein trautes Heim hinüberging, dann war bald aller Ärger und Verdruß vergessen. Seine rundliche, bewegliche Frau, der die Gutherzigkeit nur so aus den Augen lachte, war mit ihrer Munterkeit und ihrem frohen Naturell ein segensreicher Ausgleich für seine eigene Schwerfälligkeit und seinen Hang zur Schwermut gewesen.

Und dann war ja noch das Töchterlein da, an dem er seine helle Freude hatte. Das kleine Ding, dem die Mutter viel von ihrer Fröhlichkeit vererbt hatte, war aber auch gar zu herzig, so daß selbst die Gräfin es in ihr Herz geschlossen hatte.

Sie sorgte dafür, daß Asta Warden mit der gleichaltrigen Christiane von Söreslan unterrichtet wurde, und sie machte sehr zum Leidwesen Frau Beates keinerlei Unterschied zwischen der Großnichte und der Rentmeistertochter. Sie war für sie genauso die Tante Liebe wie für alle Verwandten. So erhielt Asta denn eine Erziehung, wie die Eltern ihr eine solche nie hätten zuteil werden lassen können. Und als Christiane die letzten beiden Schuljahre auf dem Mädchengymnasium der naheliegenden Stadt absolvierte, war es für die Gräfin selbstverständlich, daß Asta das gleiche tat. Dank ihrer guten Vorbildung bestanden die Mädchen spielend das Abitur mit achtzehn Jahren und sollten dann nach Beschluß der Gräfin in ein vornehmes Pensionat kommen. Doch dagegen erhob Asta so einen energischen Einspruch, daß die resolute Tante Liebe nichts ausrichten konnte. Brummend und knurrend über ihre Machtlosigkeit mußten sie es zulassen, daß das Mädchen sich einer Expedition anschloß und als Sekretärin des Leiters, Professor Hatjens, in die weite Welt hinauszog. Zwar wußte sie das Mädchen bei ihrem guten, alten Freund bestens aufgehoben, aber immerhin gab es Gefahren genug, denen es zum Opfer fallen konnte.

Zwei Jahre später kehrte Asta munter und wohlbehalten in die Heimat zurück. Sie hatte ein schönes Stück von der Welt gesehen und viel von der Genialität ihres Brotherrn und Gönners abbekommen. Und hätte der Tod diesen Mann nicht mitten aus seinem Wirken heraus abgerufen, so hätte das Mädchen wohl noch lange nicht nach Hause zurückgefunden, wo bereits ein neues Tätigkeitsfeld auf es wartete. Der Vater kränkelte nämlich seit einiger Zeit und konnte daher sein Amt nur noch mit Mühe versehen. Ohne viel Worte zu machen, übernahm die Tochter einen Teil seiner Pflichten und hatte sich so gut eingearbeitet, daß sie bald spielend den Hauptteil davon trug. Und als Fritz Warden nach einem Jahr starb, bestimmte die Gräfin seine Tochter als Nachfolgerin, ohne sich um den Protest der Familie Söreslan, von dem sich Christiane als einzige ausschloß, zu kümmern.

Nun schritt die Gräfin dem kleinen Hause zu, um sich von Asta Bericht erstatten zu lassen. Sie fand diese an dem Schreibtisch bei emsiger Arbeit. Beim Eintritt der alten Dame hob sie den Kopf mit dem braungoldenen Nackenhaar, und ein frohes Leuchten trat in die tiefblauen Augen. Erfreut sprang sie auf und beugte sich artig über die Hand der ihr so lieben und verehrten Frau.

»Wie schön, daß du wieder da bist, Tante Liebe. Oder muß

ich –«

Die Gräfin wußte sehr wohl, was diese stockende Frage bedeutete. Denn als Asta ihr damals nach zweijähriger Trennung gegenübergetreten, war sie mit dem formellen »Frau Gräfin« tituliert worden. Wonach sie das Mädchen bei den Ohren genommen und gefragt hatte, ob es vielleicht »von der kranken Kuh gebissen« sei. Tante Liebe bliebe Tante Liebe – und damit holla –!

»Mach bitte keine Faxen, du kleiner Aff –«, wurde sie auch heute wieder energisch. Dann wurde das Mädchen in die Arme gezogen, herzlich geküßt und dann schmunzelnd betrachtet.

»Wie mir scheint, wirst du immer hübscher. Was sagen denn die Männer zu so viel Schönheit?«

»O Tante Liebe, ich bin ein Veilchen, das im Verborgenen blüht.«

»Und dochnoch nicht verborgen genug, um einen Armen mit dem Veilchenduft zu berauschen.«

»Ach der Axel –!« lachte Asta hellauf. »Der zählt doch nicht.«

»Nun schlägt’s aber dreizehn! Ist der etwa kein Mann?«

»Für mich ist er ein dummer Junge.«

»Du, der will dich heiraten.«

»Wirklich? Wie nett! Das würde ja was Schönes werden. Er hat nichts, ich habe nichts. Der liebe Gott hat ja wohl aus Nichts die Welt erschaffen, aber für eine Ehe dürfte Nichts zu wenig sein. Außerdem wäre es zuviel Ehre für mich armes Erdenwürmchen, ein Mitglied der hochgeborenen Familie von Söreslan zu werden. Davon ganz zu schweigen, daß ich die armen Nerven meiner Schwiegermutter völlig ruinieren würde.«

»Bist doch ein Mordsbalg! Aber nun mache mir gefälligst einen Sitzplatz frei, du versäufst ja hier förmlich in Akten und Papieren.«

Hurtig wurden einige Bücher von dem einzigen Lehnstuhl entfernt, auf den die Gräfin sich stöhnend vor Behagen niederließ.

Ihre Augen wurden kugelrund vor Staunen, als Asta dem Aktenschrank eine Flasche Kognak nebst zwei Gläsern entnahm, die sie mit spitzbübischem Lächeln füllte.

»Prosit, Tante Liebe, du sollst leben! Habe ich eine Freude, daß du endlich wieder hier bist –!«

»Prosit, Marjellchen. Gut ist der Tropfen. Aber daß du heimlich säufst, das ist mir neu.«

Wieder lachte das Mädchen hellauf, und die Augen blitzten.

»Ich muß doch vor dir würdig bestehen können. Vor dem Schnaps einen Schnaps, nach dem Schnaps noch ’nen Schnaps. Das brauche ich nämlich, wenn mir hier die Haare zu Berge stehen. Komm, Tante Liebe, auf einem Bein steht es sich schlecht.«

Asta gab tapfer auch zum zweitenmal Bescheid, obgleich ihr der scharfe Trank bestimmt nicht schmeckte und sie sich am liebsten geschüttelt hätte.

»Bist doch ein Mordsmarjellchen«, lobte die Gräfin schmunzelnd. »Und nun erzähle. War das vergangene Vierteljahr sehr schlimm?«

»Manchmal noch schlimmer als schlimm, Tante Liebe. Ich habe mich mit den Söreslanchen herumschlagen müssen wie Siegfried mit dem Drachen. Aber mein Schwert war scharf und spitz. Nicht einen Pfennig ging ich über den Etat. Im Gegenteil, ich habe noch eine ganz nette Summe zur Schuldenabzahlung erübrigt.«

»Also hast du die Ohren steif gehalten, du kleines Finanzgenie?«

»Und wie! Dadurch habe ich mich wohl zur bestgehaßten Person der Söreslanchen gemacht, aber das rührt mich absolut nicht. Ich gehe stur meinen vorgeschriebenen Weg; denn Dienst ist Dienst – und Schnaps ist Schnaps.«

»Richtig. Doch um nun wieder auf ›den schlagenden Beweis‹ zurückzukommen. Hat er denn gar nicht deine Ehre angegriffen, so daß du nun auf blutige Rache sinnst?«

Das Mädchen zog eine Grimasse –

»Dann müßte ich viel zu tun haben, Tante Liebe. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier. Denn als ich noch im Flügelkleide ­–, hat so manche Ohrfeige von gleicher Hand meine zarte Wange getroffen. Nämlich für die Streiche, die ich mit Christiane zusammen ausheckte. Sie ging dabei stets leer aus – na, ein Prügelknabe für vornehme Töchter muß ja wohl immer sein.«

»Hm. Und was würdest du sagen, wenn ich dir Genugtuung verschaffte und dafür sorgte, daß du bald triumphierend als junge Herrin ins Schönseer Herrenhaus einzögest?« forschte die Gräfin eindringlich – und das Mädchen hob abwehrend beide Hände.

»Erbarm dich, Tante Liebe –! Dann müßte ich dir ja gehorchen – und das wäre gräßlich –! Denn ich habe dich schrecklich gern. Deshalb möchte ich dir nicht wieder ungehorsam sein, wie ich es schon einmal vorher sein mußte.«

Nun lachte die alte Dame herzlich auf –

»Na, so will ich dich zum Gehorsam nicht zwingen. Ich sehe schon, daß du kein bißchen darauf erpicht bist, Frau von Söreslan zu werden. Recht hast du, Mädchen – ich wäre es auch nicht. So – und nun zeige mir einmal die Bücher, damit ich mich von deinem segensreichen Wirken im verflossenen Vierteljahr überzeugen kann.«

Sie nahm am Schreibtisch Platz, und Asta beeilte sich, ihr die sorgfältig geführten Bücher vorzulegen, die nun einer gründlichen Prüfung unterzogen wurden.

Die Prüferin sprach dabei kein Wort. Nur an dem ab und zu gebrummten »Hm – hm –« merkte die Rendantin, daß sie mit ihr zufrieden war. Endlich wurden die Bücher zugeklappt –

»Alle Achtung, Kleine. Dann dürftest du in ungefähr zwei Jahren die Karre hier aus dem Dreck gezogen haben.«

Die Gräfin steckte sich eine Zigarre an.

»Betreffs des Taschengeldes für die da drüben habe ich eine Änderung getroffen«, erklärte sie nach einigen Zügen. »Du wirst fünfzig Mark davon abziehen und sie Christiane persönlich aushändigen. Das Kind läuft ja herum, daß Gott erbarm. Es soll fortan nicht mehr nötig haben, sich jeden Pfennig einzeln von der Mutter zu erbetteln.«

In Astas Augen trat ein frohes Leuchten. Impulsiv drückte sie ihre Lippen auf die Hand der gütigen Frau.

»Was bist du doch bloß für ein prächtiger Mensch, Tante Liebe –!« strahlte sie vor Freude, wurde jedoch unwirsch angefah­ren:

»Bloß keine Lobeshymnen, Kleine, die kann ich absolut nicht vertragen. Ich will schon lieber der Familienschreck sein, das behagt mir entschieden mehr.«