Der Finger im Revolverlauf - Carlo Manzoni - E-Book

Der Finger im Revolverlauf E-Book

Manzoni Carlo

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Beschreibung

Der Finger im Revolverlauf Carlo Manzoni, dessen oft hintergründiger Humor auch in Deutschland viele Leser gefunden hat, hat in diesem Buch wieder einmal den Kriminalroman zur Zielscheibe seines Spottes gemacht. In der Geschichte eines Detektivs und seines Hundes kommen alle Elemente des Kriminalromans vor. Bei der Suche nach dem geheimnisvollen Mörder entstehen die tollsten und unwahrscheinlichsten Situationen von besonderer Komik bis hin zum Grotesken. Manzoni will in erster Linie unterhalten, menschliche Schwächen werden bloßgestellt, aber immer mit einem ironischen Unterton. Warum sollte man Ganoven überhaupt ernst nehmen?

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Seitenzahl: 189

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Carlo Manzoni

Der Finger im Revolverlauf

Ein SuperKrimi mit einem Detektiv, der den Hartgesottenen spielt, einem geschwänzten Sozius, einer kopierblauäugigen Witwe, und anderen außergewöhnlichen Persönlichkeiten. Scheinbar made in USA, aber eben nur scheinbar. Lachmuskelnspannend

LangenMüller

Titel der Originalausgabe

»Ti spacco il muso, Bimba«

(Kriegst eine auf die Klappe, Kleine!)

Aus dem Italienischen übertragen von Herberth und Marlys Herlitschka

Besuchen Sie uns im Internet unter

www.langen-mueller-verlag.de

© für das eBook: 2016 LangenMüller in der

F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

© alle Rechte für die deutsche Sprache: LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

Umschlagmotiv: Shutterstock

eBook-Produktion: F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

ISBN 978-3-7844-8267-5

Erstes Kapitel

Ich, mein Sozius und ein Kater nach einem Affen – Es ereignet sich einiges, das ich nicht verstehe, und einer, den ich nie zuvor gesehen habe, verdirbt mir beinahe meinen Schlips.

Das Klingeln des Telefons auf dem Nachttischchen weckt mich, aber es gelingt mir nicht, die Augen zu öffnen.

Ich habe den Mund wie von Mehlpapp verklebt, und sogar bei geschlossenen Augen dreht sich mir der Kopf.

Gestern abend muß ich mir einen kolossalen Affen angezüchtet haben, aber was ich sonst getan habe, davon weiß ich rein gar nichts.

Nun strecke ich die Hand aus und ergreife das Glas auf dem Tischchen. Ich sage »Hallo«, doch dann bemerke ich, daß es noch halb voll von Bourbonwhisky ist, und leere es auf einen Zug.

Mit offenen Augen sehe ich ein wenig klarer, aber ich kann mich noch immer an nichts erinnern. Unterdessen klingelt das Telefon weiter, darum hebe ich den Hörer ab.

Eine Stimme, süß wie eine noch eingewickelte Honigkaramelle, spricht meinen Namen aus:

»Chico!«

Mit einem Ruck setze ich mich im Bett auf. Ich erinnere mich nicht, je eine ähnliche Stimme gehört zu haben: sie ist wie ein von Blumenduft beladenes Frühlingslüftchen. Mein Affe verwandelt sich in einen Vogel und entflattert.

»Wer bist du, Süße?« frage ich.

»Duarda«, sagt sie. »Ich dachte, du würdest den gestrigen Abend nicht ganz so leicht vergessen.«

Ich kann beschwören, daß ich mich an nichts erinnere. Für alle Fälle laviere ich und sage ihr, durchs Telefon klinge ihre Stimme verändert.

Ich spüre, daß sie lächelt, dann sagt sie:

»Also mach schnell! Ich erwarte dich«, und legt auf.

Alle Wetter! Ich springe aus dem Bett und stürze ein randvolles Glas Bourbon auf einen Zug herunter, um zu sehen, ob mir etwas in Erinnerung kommt.

Nichts.

Doch, einiges. Ich weiß, wer ich bin und was mein Beruf ist; ich weiß, daß ich mich zu Hause befinde; ich weiß eine ganze Menge, aber nicht das, was mich in diesem Augenblick interessiert.

Gestern war gar nichts los; ein Tag wie alle andern. Ich bin die ganze Zeit gähnend an meinem Schreibtisch im Büro gesessen. Ja, denn ich besitze in meinem Büro einen Schreibtisch, zwei Büchergestelle, zwei Zettelkasten, einen grünen Lehnsessel und eine Schreibmaschine, der das T fehlt.

Und auf der Mattglasfüllung der Tür steht in Goldbuchstaben: Privatdetektivbüro Chico Pipa & Gregorio Scarta. Chico Pipa bin ich, und daß ich Chico heiße, ist nicht meine Schuld; sondern die meines Vaters, der mich Chicomanda (»der, der befiehlt«) genannt hat, um seiner Frau zu zeigen, daß er Herr im Haus sei und sie nichts zu reden habe und er den Ball an mich weitergeben werde, sobald der Augenblick dafür käme.

Gregorio Scarta ist mein Sozius; Greg, wie ich ihn nenne.

Er ist tüchtig, Greg, und ich wüßte nicht, was ich ohne ihn anfinge. Immer ist er es, der mir in schwierigen Fällen zu Hilfe kommt.

Übrigens, wo steckt er nur, der Idiot? Gestern abend müssen wir zusammengewesen sein. Vielleicht weiß er etwas von dem, was vorgefallen ist, falls nicht auch er sich vollgetippelt hat. Greg ist der einzige in der Stadt, der mit mir Schritt zu halten vermag, wenn’s um Whisky geht.

Er teilt diese kleine Wohnung mit mir, aber jetzt ist er nicht zu sehen. Ich gehe in die Küche und finde ihn unter dem Sessel, wo er schläft wie ein Murmeltier.

Ich gebe ihm mit meinem nackten Fuß einen Nasenstüber.

Er öffnet das eine Auge, stößt einen Seufzer aus und schließt es wieder.

Nichts zu machen, er ist voll wie ein Schwamm; also heißt es warten, bis sein Dampf sich verflüchtigt hat.

Er muß mehr getrunken haben als ich, um so beschmort zu sein; er rührt sich nicht einmal, als ich ihm im Vorbeigehn unversehens auf den Schwanz trete.

Verzeihung, habe ich noch nicht erwähnt, daß mein Sozius ein Hund ist? Da sieht man, daß ich richtig blau sein muß heute morgen; ich glaubte, es schon gesagt zu haben. Ja, Greg ist ein Polizeihund. Wir haben miteinander das Examen bestanden und den Entschluß gefaßt, dieses Büro aufzumachen; vor drei Jahren. Seitdem haben wir immer in schönster Eintracht miteinander gearbeitet, und ich kann beteuern, daß Greg einer der besten Detektive ist, auch wenn er sich gern die Kehle anfeuchtet. Als Gangster seinen Bruder Bud umbrachten, hat er der ganzen Verbrecherwelt den Tod geschworen.

Bud war Wächter in einer Käseschnittenfabrik, und eines Nachts haben sie ihm mit dem Sauerstoffgebläse den Garaus gemacht und den ganzen Laden ausgeräumt, ohne auch nur ein Päckchen zurückzulassen; und haben den Boden mit Wachs gebohnert und die Tapeten von den Wänden gekratzt, wie das die Gewohnheit der Bande des »großen Kehrbesens« war.

Wir haben dank Gregs Spürnase den großen Kehrbesen samt seiner ganzen Bande gefangen, und Pitou der Franze sitzt in der Müllverwertung des Kerkers noch immer seine Strafe ab.

Also, da steh ich und schwatze, und es will mir nicht einfallen, was gestern abend los war, und unterdessen erwartet mich Duarda. Himmel, Hund und Handschellen!

Ich gehe unter die Dusche und bemühe mich, die grauen Zellchen arbeiten zu lassen, aber es ist nichts zu machen. Ich muß ein schöner Dussel sein, mich nicht an ein Mädel zu erinnern, das, aus der Art zu schließen, wie sie telefoniert, eher ein einzigartiges als ein rares Exemplar zu sein scheint.

Ich werde eine Runde durch alle Bars der Stadt machen, um festzustellen, in welcher die Bourbonvorräte erschöpft sind, denn gestern nacht muß ich denen dort den Keller leergesaugt haben; unterdessen beende ich das Duschen und kleide mich an.

Während ich in die Hosen fahre, geschieht nichts; auch während ich mir das Hemd anziehe, geschieht nichts, aber als ich in die Jacke schlüpfe, bemerke ich, daß die eine Tasche ein wenig geschwollen ist.

Das muß einen Grund haben, und tatsächlich hat es einen.

Ich greife in die Tasche und ziehe ein so dickes Päckchen Zehner hervor.

Es sind wirklich Zehndollarscheine, es ist kein Zweifel möglich. Ich stehe da und betrachte das Päckchen wie ein Schwachkopf, der zum erstenmal einen doppelten Salto Mortale auf dem Trapez sieht, dann gebe ich mir einen Ruck und beginne zu zählen.

Bei hundertsiebenundzwanzig angelangt, stoße ich einen tiefen Seufzer aus und bin gezwungen, mir ein Glas Bourbon einschenken zu gehn.

Meine Kräfte kehren zurück, und ich zähle weiter. Nach zweihundert sind keine Scheine mehr da.

Zweihundert Zehner!

Donnerwetzstein!

Zweitausend Dollar! Und woher stammen sie? Ich habe noch nie eine solche Summe beisammen gesehen. Ich habe nicht einmal gewußt, daß es eine solche Summe überhaupt geben kann, und jetzt finde ich sie in meiner eigenen Tasche.

Es sind wirklich und wahrhaftig Zehndollarscheine. Von den allerbesten, beidseitig bedruckt und nicht einmal allzu neu; wären sie allzu neu, könnten es ebensogut falsche sein.

Zum Schweinsteufel nochmal, ich erinnere mich wahrhaftig an gar nichts! Es kommt mir jetzt ein wenig so vor, als hätte ich gestern abend einen Auftrag übernommen. Aber welchen Auftrag? Und von wem? Und was bedeuten diese Banknoten?

Ich zähle sie nochmals. Es sind tatsächlich zweihundert, aber sonst sagen sie mir nichts.

Wenn ich gestern abend einen Auftrag übernahm, muß ich einen Klienten haben. Aber wie soll ich ihn wiederfinden?

Duarda? Ob sie es ist?

Es ist wirklich notwendig, daß ich sie irgendwo suchen gehe.

Ich nehme die Zehndollarscheine und lege sie schön flach auf eine große ovale Schüssel, bedecke sie dann mit vielen Scheiben gekochten Schinkens, die ich zufällig im Hause habe, und schiebe die Schüssel in den Kühlschrank.

Und wenn ich die ganze Stadt auf den Kopf stellen müßte, ich werde Duarda finden, Teufel nochmal! Ich will wissen, was gestern abend geschehen ist, will wissen, warum man mir dieses viele Geld gegeben hat.

Zweihundert Zehnerscheinchen sind eine ganz hübsche Summe, und wenn es sich um einen Auftrag handelt, kann der kein geringer sein. Aber was hat Duarda mit alledem zu tun?

Die Hand in der Hosentasche, stehe ich mit nachdenklich gerunzelter Stirn da wie ein Dämlack. Dann spüre ich etwas Weiches zwischen den Fingern, etwas länger als eine Zigarette und etwas dicker.

Ich ziehe das Etwas hervor und betrachte es. Es ist ein zusammengerolltes Blatt Toilettenpapier. Ich wickle es auf. Es ist etwa fünfzehn Zentimeter lang, und in großer Schrift steht darauf: 47. Straße 432 B. Mit Lippenstift geschrieben.

Ich beschnuppere die Schrift: Zyklamen.

Ich wette meinen Fuß, daß das Mädel, das mir vor kurzem telefonierte, diese Schattierung von Rot auf den Lippen hat. Duarda. Wiederum sie!

Nun, da ich die Adresse weiß, besinne ich mich nicht lange.

Ich binde mir den Schlips »Gnadenstoß« um, denjenigen, dem kein Mädel zu widerstehn vermag, und schlüpfe in die Jacke.

Ich durchsuche alle Taschen, entdecke aber keine andern Überraschungen.

Ich gehe in die Küche. Mein Sozius schläft noch immer und schnarcht wie ein vollbeladen bergauf fahrender LKW.

Ich laufe die Treppe hinunter, gehe in die Bar unterhalb meiner Wohnung, um einen Bourbon zu trinken, denn so mit leerem Magen fühle ich mich nicht allzusehr in Form, und springe in meinen Blimbust, der auf seinem gewohnten Parkplatz steht. Ich lasse ihn an und sause raketenschnell davon.

Ich schlängle mich geschickt durch den dichten Verkehr, halte mich aber nicht damit auf, die Verkehrsampeln zu beachten. Zum Henker mit den Verstößen gegen die Vorschriften! Nun, da ich die Adresse in der Tasche habe, will ich keine Zeit mit Dummheiten verlieren.

Es sind noch keine zwei Minuten vergangen, da bemerke ich einen Wagen, der hinter mir herfährt.

Ich trete auf den Gashebel, und auch der andre Wagen fährt schneller. Ich sehe genauer hin. Es ist ein schwarzer Frolley 49 mit auffrisiertem Motor und frisch eingeschliffenen Ventilen.

Ich schwenke rechts ein, ich schwenke links ein, und der Frolley immer hinter mir her.

Ich blicke scharf in den Rückspiegel. Der Lenker ist ein Dicker mit gelben Augen, eine Art von Gorilla, der eine Schwiele auf der rechten Schulter haben muß. Ich habe ihn nie zuvor gesehen.

Ich bemerke, daß seine Jacke links ausgebuchtet ist.

Es gefällt mir nicht, daß einer mit einem Revolver unter der Achsel mir auf den Fersen ist, also biege ich in eine einsame Gasse ein und bremse plötzlich, indem ich den Blimbust quer über die Fahrbahn stelle, und springe dann hinaus.

Der andre hält seinen Wagen eineinhalb Millimeter von der rechten Tür des meinen entfernt an, aber ich lasse ihm nicht einmal Zeit, den Fuß von der Bremse zu nehmen, und schon stecke ich den Kopf in die Fensteröffnung.

»Kleiner«, sage ich, »mir mißfällt es, deinen stinkenden Atem auf meinem Nacken zu spüren. Such dir ’ne andre Straße!«

Ich fahre mit der Hand in die Tasche und entdecke, daß ich meinen Revolver zu Hause gelassen habe.

Ich senke den Blick und sehe, daß der andre mit einer Art von Kanonenrohr auf den Schlips »Gnadenstoß« zielt. Es wäre schade, wenn er ihn ruinieren würde.

Bevor er das tun kann, stecke ich blitzschnell den Zeigefinger meiner Linken, so tief es geht, in den Lauf des Revolvers, grade als er abdrückt.

Der Schuß kann nicht losgehn, weil ich das Projektil mit dem Finger blockiere.

Mit der Rechten packe ich sein linkes Ohr und reiße es ihm ab.

Er stöhnt auf und läßt den Revolver los. Das mache ich mir zunutze, um ihm mit dem Kolben eins auf den Kopf zu geben, und er schlummert ein.

Das Ohr stecke ich in die Tasche, aber es gelingt mir nicht, den Zeigefinger aus dem Revolverlauf herauszubekommen.

Sauerei! Ich darf keine Zeit verlieren. Duarda erwartet mich, und ich habe mich schon entsetzlich verspätet.

Ich springe wieder in meinen Blimbust und sause mit Vollgas davon und überlege, was zum Teufel dieser Gorilla von mir wollte, daß er so hinter mir her war. In diesem Augenblick führe ich niemandes Auftrag aus. Was also?

Ich habe eine Idee und fahre langsamer: es muß mit dem Auftrag zusammenhängen, den ich gestern abend erhalten habe. Aber wer ist der Gorilla?

Ich Trottel, warum habe ich ihm nicht die Taschen durchsucht? Ich würde am liebsten umkehren, lasse es dann aber sein: ich möchte nicht, daß es dem Mädel zu dumm wird, auf mich zu warten.

Ich gebe wiederum Vollgas und sause dahin. Es lenkt sich nicht ganz leicht, wenn man den linken Zeigefinger in einem Revolverlauf stecken hat, aber es gelingt mir gar nicht so schlecht.

Ich fahre über die Bahnüberbrückung, dann durch die Unterführung der Zehnten und biege in die Allee der Drei Wahnsinnigen ein. Die Siebenundvierzigste liegt etwas außerhalb der Stadt, in einem Wohnviertel. Es ist eine Straße, die in weitem Bogen zwischen Englischen Gärten mit hohen Tannenbäumen und blühenden Rhododendronbüschen hinführt.

Man sieht gleich, daß hier Leute einer gewissen sozialen Stufe wohnen, Leute mit einer Jacht in dem kleinen Hafen unten, das Motorboot stets mit angestelltem Motor klar zum Ausfahren, das Reservoir immer mit Benzin und Whisky gefüllt, und ein Privatflugzeug auf dem an die Villa angebauten Flugplatz immer zum Abflug bereit.

Nummer 432 B liegt genau in der Hälfte des Bogens, auf der Innenseite, ein Stück von der Straße entfernt. Vom Gehsteig bis zur Villa sind es ungefähr hundert Meter grünen, gut gepflegten, sanft ansteigenden Rasens. Dahinter die Villa, ganz weiß, mit grünen Fensterläden. Rechts eine große Veranda, und vor dem Eingang ein von Säulen getragenes Vordach.

Ich fahre weiter und halte nach der Biegung. Ich wende den Blimbust in die Richtung der Rückfahrt und versuche dann in aller Ruhe, den Zeigefinger aus dem Lauf des Revolvers zu ziehen.

Der Finger rührt sich keinen Millimeter, was immer ich auch versuche.

Ich muß es aufgeben, denn ich kann nicht noch mehr Zeit verlieren. Ich stecke den Revolver samt der Hand in die linke Hosentasche und gehe, vor mich hinpfeifend, auf die Villa zu.

Zweites Kapitel

Ein Toter, der eine Zigarette raucht, und eine Blonde mit kopierstiftblauen Augen – Leider bin ich an einem Beweisstück befestigt und lande zuletzt in der Polizeizentrale.

Die Villa scheint unbewohnt zu sein, aber ich erwartete gar nicht, eine Menschenmenge sich hinter den Fenstern drängen zu sehen. Wenn Leute zu Hause sind, pflegen sie ihre Anwesenheit den Vorübergehenden nicht zu signalisieren.

Schön. Ich drücke auf den Klingelknopf und höre es innen klingeln. Ich warte, aber niemand kommt mir öffnen.

Ich klingle noch einmal, und wieder geschieht nichts.

Ich vergleiche abermals die Nummer, die auf das Blatt Toilettenpapier mit Lippenstift geschrieben ist.

Die ist tatsächlich 432 B und stimmt mit der auf dem Schildchen neben der Eingangstür überein.

Ich klingle ein drittesmal. Möglich, daß Duarda eingeschlummert ist, während sie auf mich wartete.

Da noch immer niemand kommt, greife ich nach der Türklinke und spüre, daß die Tür sich öffnet. Ich trete langsam ein.

Ich befinde mich in einer großen, dämmerigen Halle. Stille.

Ich schließe die Tür hinter mir und gehe ein paar Schritte weiter.

Die Sache gefällt mir nicht, sie gefällt mir ganz und gar nicht.

Ich habe meinen Revolver daheim vergessen, habe aber den des Gorillas mit den gelben Augen in der Tasche … Tja, aber wie soll ich von dem Gebrauch machen, wo doch mein Zeigefinger im Lauf steckt? Ich denke nicht länger darüber nach und gehe mit angehaltenem Atem weiter.

Es hat mir ganz den Anschein, daß ich in eine Falle geraten bin. Jedenfalls halte ich die Augen offen. Ich bin gewiß nicht einer, der sich so leicht übertölpeln läßt.

Rechts befindet sich eine große Glastür. Durch die Scheiben sehe ich Armstühle, Diwane, Tischchen.

Es ist ein Wohnzimmer, und keine Menschenseele darin.

Links, neben der Eingangstür, ist eine einflügelige Tür aus massivem Holz. Ich versuche die Klinke herabzudrücken und spüre, daß sie nachgibt.

Moment mal! Nur nicht so hastig. Es wäre nicht das erstemal, daß einer eine Tür öffnet und ihm ein Sandsack auf den Kopf fällt oder ein Revolverkolben an die Schläfe saust.

Es ist Kinderspiel, sich hinter einem Türflügel zu verstecken und auf den Kopf des Eintretenden loszuschlagen. Aber ich bin kein heuriger Hase.

Ich sehe mir die Tür genauer an. Sie hat die Angeln außen. Das ist’s, was ich brauche. Ich schließe sie gut, dann gelingt es mir, mit der Rechten einen Vorsprung des Holzes zu fassen und sehr langsam die Tür zu heben. Auch mit meiner Linken komme ich zurecht, wenngleich mein Zeigefinger noch immer im Lauf des Revolvers steckt.

Es gelingt mir, die Tür so hoch zu heben, daß sie aus den Angeln ist.

So öffne ich sie bei den Angeln statt beim Schloß. Wenn sich jemand zufällig hinter der Tür versteckt hält, würde er sich wohl wundern über diese Entdeckung, aber ich würde ihm gewiß keine Zeit dazu lassen.

Ich schlüpfe also durch den Spalt und betrete eine Art von Bibliothekszimmer.

Ich sage Bibliothekszimmer, aber ich habe nicht sogleich Zeit, das festzustellen. Das erste, was ich sehe, kaum daß ich eingetreten bin, ist einer, der ausgestreckt auf dem Boden liegt, und es sieht gewiß nicht aus, als amüsierte er sich dabei.

Mir bleibt die Spucke weg, aber ich fasse mich wieder.

Er liegt auf der rechten Seite, und seine rechte Wange liegt auf dem Teppich mitten in einer großen Lache, die ich ohne Zögern als Blut erkenne.

Na freilich, es kann einem doch nicht Kaffee aus einem Loch im Kopf herausrinnen!

Sein Kopf ist zwanzig Zentimeter von meinen Füßen entfernt. Mit der Schuhspitze hebe ich eins seiner Augenlider und sehe das Weiße seines Auges.

Es ist ein Toter. Um noch toter zu sein als er, müßten schon zwei Tote hier liegen.

Gleich darauf scheint mir da etwas nicht zu stimmen. Sauerei, verdammte! Und ob da etwas nicht stimmt! Der Tote hat den rechten Arm über den Kopf gestreckt. Die halbgeöffnete Hand liegt auf dem Teppich mit der Handfläche nach unten, und zwischen Zeige- und Mittelfinger hält sie eine noch glühende Zigarette, von der ein Rauchfaden aufsteigt.

Ich sehe genau hin. Die Zigarette ist bis über die Hälfte verbrannt, aber mehr als ein Zentimeter Asche hängt noch an der Glut.

Jemand hat ihn erschossen, während er rauchte.

Gemessen an der Länge der Asche, können nicht mehr als drei, vielleicht vier Minuten vergangen sein. Also grade, als ich meinen Wagen unten in der Biegung anhielt. Ich blicke auf die Uhr.

Es ist punkt elf Uhr zwölf. Um elf Uhr acht ist er erschossen worden. Nicht früher.

Ich will es mit Sicherheit wissen. Ich reiße ein Stückchen Papier von der Hülle meines Zigarettenpäckchens und nehme das Maß des Aschenendes, aber sehr vorsichtig, damit es nicht abfällt.

Ich übertrage das Maß auf eine Zigarette, die ich meinem Päckchen entnehme und entsprechend bezeichne. Das Chronometer in der Hand, zünde ich die Zigarette an und halte sie zwischen Zeige- und Mittelfinger genau so wie der Tote. Unterdessen versendet die Zigarette des Toten mit einem leisen Knistern den letzten Rauchfaden und erlischt. Die Glut ist mit den Fingern, die die Zigarette halten, in Berührung gekommen, und diese verhindern, daß der Tabak bis zu Ende verbrennt.

Die Sekunden vergehn, und die Zigarette, die ich in der Hand halte, verbrennt langsam. Sobald die Glut mein Zeichen erreicht, sind genau viereinhalb Minuten vergangen. Elf Uhr zwölf weniger viereinhalb macht, wenn ich nicht irre, elf Uhr siebeneinhalb.

Jemand hat ihn um elf Uhr siebeneinhalb Minuten erschossen.

Ich rauche den Rest der Zigarette zu Ende, und unterdessen hebe ich, indem ich ihn an den Haaren ergreife, den Kopf des Toten, aber nur soviel, daß ich das Loch sehe, das er in der rechten Schläfe hat.

Es ist tatsächlich ein Loch, wie ich es lieber weder in der Schläfe noch anderswo hätte.

Ich habe den Eindruck, in eine faule Sache geschlittert zu sein, und ich kann mich darin nicht zurechtfinden. Wenn ich mich nur an irgend etwas von gestern abend erinnern würde!

Eine, die sich Duarda nennt, telefoniert mir und sagt, daß sie mich erwartet. Ich finde in meiner Tasche ein Blatt Toilettenpapier, auf das mit Lippenstift die Adresse geschrieben ist. Zweihundert Zehndollarscheine bezeugen, daß irgendwer mir einen wichtigen Auftrag erteilt haben muß, aber ich habe nicht die blasseste Ahnung, welchen, und auch nicht, wer mir die zweihundert Zehner gegeben hat. Könnte das dieselbe gewesen sein? Oder der da, der hier vor meinen Füßen liegt?

Und dies hier ist ihre Adresse? Und wenn, wo ist Duarda selbst? Statt ihrer finde ich einen Toten, der eine Zigarette raucht.

Mehr noch, auf dem Weg hierher gewahre ich, daß ein gelbäugiger Gorilla, der einen Frolley 49 lenkt, mir auf den Fersen ist, und bringe ihn mit dem Kolben seines eigenen Revolvers zum Einschlummern, desselben, der mir den Zeigefinger meiner linken Hand warm hält.

Ich zünde mir eine Zigarette an und blicke suchend umher. Ich muß irgend etwas trinken. Ich gehe zu der fahrbaren Hausbar und öffne sie.

Gut! Eine Flasche Bourbon ist noch zur Hälfte voll.

Ich gieße mir eine deftige Portion ein und schütte sie auf einen Zug herunter.

Ich habe das Gefühl, ich muß den Knoten rasch durchschneiden, aber, Teufel nochmal, ich wüßte gern mehr!

Wer ist der Tote? Und wo ist Duarda?

Ich beuge mich hinab, um die Taschen des Toten zu durchsuchen, und in diesem Augenblick merke ich, daß sich die Tür zum Bibliothekszimmer öffnet. Ich wende mich mit einem Ruck um und sehe grade noch, wie die Tür mit einem Riesenkrach umfällt, zwei Fingerbreit von den Füßen des Toten.

Ich wette, ich habe sie nicht in die Angeln zurückgehoben, und das Geschöpf, das da im Türrahmen steht, hat sie regelrecht geöffnet, indem es auf die Klinke drückte.

Ich sage, Geschöpf, das im Türrahmen steht, denn ich habe nicht einmal Zeit, die Umrisse abzuschätzen.

Sie wirft einen Blick auf mich, einen zweiten auf den Toten und sinkt ohnmächtig zu Boden.

»Duarda!« rufe ich und eile zu ihr hin.

Ich hebe sie auf und trage sie zu einem der Diwans im Wohnzimmer.

Mir schwant, daß da irgend etwas nicht stimmt. Die da ist ohnmächtig geworden wie eine Akrobatin, die sich auf einer hohen Stange im Gleichgewicht hält.

Ich küsse sie auf den Mund und spüre, wie sie mich wiederküßt.

Verdammt nochmal, jetzt weiß ich, daß sie simuliert! Nun habe ich den Beweis, aber die da entschließt sich nicht, die Augen zu öffnen.

»Hallo, Puppchen«, sage ich, »darf man wissen, was für eine Komödie wir da aufführen?« Schweigen.

Ich benütze es, um sie zu beäugeln.