Der flammende Baum - Frida Schanz - E-Book

Der flammende Baum E-Book

Frida Schanz

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Beschreibung

"Wie das Märchen vom Rattenfänger weitergeht" "Von der kleinen Meerjungfer, die falsch sang" und "Jungfer Blütenstaub" sind nur einige Geschichten im Märchenbuch von Frida und Pauline Schanz.

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Seitenzahl: 204

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Der flammende Baum

Der flammende BaumDer flammende BaumDas Bild der MutterDas Wasser der KraftAnneleRotlockeVon der kleinen Meerjungfer, die falsch sangRehaugDie Zahlen und die NullenElfentanzDer Glasbläser von MuranoDie EinzelmännchenRose und SchmetterlingDie Frau mit der AmethystketteWie das Märchen vom Rattenfänger weitergehtJungfer BlütenstaubTongeisterDie GlückserbseImpressum

Der flammende Baum

Ein Märchenbuch von Frida und Pauline Schanz

Mit Bildern von Hugo Steiner-Prag

Der flammende Baum

Es irrten einmal zwei Kinder durch einen tiefen Wald.

Die frühe Winterdämmerung sank draußen über Berg und Tal, und zwischen den Stämmen breitete sich schon schauerliche Dunkelheit.

Es galt, die alte Fahrstraße im Walde zu erreichen, von der dann ein Hohlweg nach dem Dorfe ging.

Ganz nahe musste sie doch sein! – Die Kinder waren vor ein paar Stunden von ihr ausgegangen, hatten ihre Säcke voll Zapfen gelesen und waren dann umgekehrt. Aber in der sinkenden Dunkelheit war plötzlich alles ganz verwirrt.

Unsicher und ungeduldig tappten sie sich durch den Wirrwarr der Stämme. Tastend krochen sie durchs Gestrüpp und Gebüsch.

Der Knabe, der der Führer sein wollte, schrie in seiner herrischen Art bald ein »Komm!«, bald ein »Bleib!«, bald ein »Hier! Hierher!«, bald ein »Dort! Dort!« dem Mädchen zu.

Und sacht und sanft folgte die Kleine, ohne Vorwurf, ob der Knabe sie auch immer tiefer irreführte, über Wurzeln und Steine, in Dornen hinein.

Der laute Junge, der so sicher und trotzig tat, war im größten Bangen. Und mit Recht. Denn die Kinder hatten sich wirklich ganz und gar verlaufen, sie tappten weglos umher, immer-, immerzu. Das kleine Mädchen ängstigte sich, ohne sich's merken zu lassen, heiß um seine Eltern, die es in Sorge wusste um seinetwillen.

Sie war mit dem Jungen gelaufen, wie immer, wenn der befehlshaberische Junge sie bat. Seit sie denken konnte, war's so. Von dem ersten Lebensjahr an war sie seine Spielgefährtin. Ihre Mutter hatte als Mädchen auf der Burg gedient, als es droben noch eine Herrschaft gab, – Gerds Eltern.

Die waren nicht mehr.

In einem wilden Kriege war das Schloss geplündert, verwüstet und niedergebrannt worden, die Herrschaft gemordet.

Verwandte besaß Gerd nicht.

Mit dem früheren Kastellan, einem steinalten Mann, lebte er zusammen auf Gemeindekosten im Armenhaus.

Ob er eine Stunde früher oder später zu seiner schmalzlosen Abendsuppe und seinen Prügeln dorthin kam, darum war's ihm nicht. Ihm war's nur um das Mädchen, das er immer rauer anschrie, je mehr sie ihm leidtat, und je mehr er sich um sie sorgte.

Als die Kinder so ein paar Stunden in der Not zugebracht hatten, stachen jählings ein paar scharfglitzernde Lichtstrahlen durchs Dunkel und wurden zum gleißenden Schein, der sich rasch übermächtig stark vergrößerte. Schon nach ein paar Schritten schwamm der ganze Wald in überhellem Licht.

Und dann standen sie auch schon vor dem Kernpunkt des Leuchtens – erschauernd, gebannt.

So etwas hatten sie nie gesehen!

Mitten zwischen fransigen Tannenriesen stand auf einer moosigen Waldblöße ein winziger Baum, kaum zwei Spannen hoch, ein Tannenbäumchen, das aus sich selber Flammen trug.

Hätte es damals schon die Sitte der Weihnachtsbäume gegeben, so hätte man denken müssen, ein zauberischer Christbaum sei's. Acht Zweige hatte es. Auf jedem Zweig und auf der Spitze stand je eine starke, steile Flamme und brannte ruhig und stet mit unbeschreiblicher Flammenkraft, mit unirdischer Helle! Flammen nie gesehener Art! Je mehr die Kinder hineinblickten, je mehr jauchzten ihre Herzen. Diese Flammen brannten anders als alle Flammen von Lichten und Öllampen daheim, anders als die der größten Wachskerzen in der Kirche.

Sie strahlten wie die Sonne und alle Sterne zusammen, und doch blendeten sie nicht. Die Kinder sahen mit weitoffenen, entzückten Augen klar und ruhig in ihren Glanz.

Das kleine Mädchen war ganz bleich und hatte die Hände gefaltet. Auch dem Jungen lief ein Schauer von Andacht heiß und kalt über den Rücken. Er wagte kein Glied zu rühren. Er glaubte, Gott selbst in dem Leuchten zu sehen.

Aber das war ihm beinahe unerträglich.

Und es war ja auch Unsinn!

Mit Gewalt zerriss er's, was ihn so herrlich und himmlisch überkam.

Halb verlegen, halb voll wilder Lust senkte er den Kopf an des Mädchens Ohr und raunte flüsternd:

»Du, Maide, wir wollen den Baum ausreißen und mit nach Haus nehmen! Der leuchtet uns fein!«

Indem er die Worte sagte, empfand er tief erschrocken ihren Frevel.

Denn der flammende Baum wardochwie etwas von Gott!

Herrlicher, himmlischer noch erhob sich sein Leuchten jetzt, der Glanz verstärkte sich, und jede der wunderbaren Flammen richtete sich steil und groß auf, wie ein strenges Verbot.

Voll Entsetzen hatte auch das sanfte kleine Mädchen dem Jungen zugeschrien: »Gerd, das tust du nicht!«

Aber das alles schürte gerade des Jungen aufsässigen Sinn. Ein harter Trotz bäumte sich in ihm auf.

Er hatte viel wilde Not erlitten in seinem jungen Leben, viel Furchtbares gesehen.

Ein Trieb des Auflehnens und Zerstörens war wie ein Gift in ihm.

Was da! Solch ein winziger Baum!

Keck streckte er die Hand nach ihm aus.

Nun wichen die Flammen fast waagerecht vor seiner Berührung zurück, wie in stolzem Versagen. Das reizte ihn vollends toll. Er packte mit rauem Griff den Stamm.

Da fasste ihn das Mädchen mit aller Kraft seiner kleinen kräftigen Hände zwingend am Arm.

»Tu's nicht! Tu's nicht! Widerstehe!« bat sie laut voll heißer Inbrunst. Er sah sie ganz erstaunt an. Wie seltsam sie aussah! So schön! Wie überirdisch stand sie im überirdischen Glanz des Baumes. Eine andere schien sie ihm, als die er je in ihr gesehen. Ihre mageren Zöpfchen lagen schlicht und glatt wie immer ums magere Gesicht. Ihr Jäckchen, ihr Röckchen war geflickt und alt. Aber wie fremd, wie edel sah sie dennoch aus! Wie zwangen ihn ihre schimmernden Blicke!

Er wollte sich rasch losmachen von diesen Blicken.

Aber mit einem Male fasste ihn eine heilige Angst, überkam ihn die Einsicht, dass er den flammenden Baum wirklich auf keinen Fall anrühren und schädigen dürfe, wenn er nicht das Heil seiner Seele verlieren wolle. Ein gewaltiger Kampf begann in ihm, ein Kampf, wie er nie einen gekämpft: Er wollte. Wollte nicht. Wollte – – –

Es lockte ihn wie ein wilder Zauber, den wunderbaren Baum nun erst recht an sich zu reißen.

Sein besserer Wille stemmte sich – und mit festem, selbstständigem Entschluss riss er sich wirklich zum Guten empor. Es kostete ihn die äußerste, alleräußerste Kraft. Er widerstand, er ließ die Hand mit jähem Ruck von dem flammenden Baum.

Das Mädchen an der Hand nehmend, ist er rasch aus dem Lichtkreis mit ihr zurück in den dunkeln Wald gegangen.

Siehe, der war nicht mehr so dunkel.

Weithin, viel weiter als vorher, leuchtete der flammende Baum.

Die beiden Kinder fanden rasch den rechten Pfad, kamen unter Abendläuten ins Dorf.

Und dieser Weg war der glücklichste, den der Junge bisher gegangen war. Es war ihm so wohl, so licht und leicht zu Sinn.

Die Kinder sprachen kein Wort. Sie führten sich nur an der Hand und waren froh, dass sie einander hatten.

Am Abend auf dem Stroh im dunkeln Armenhausstübchen hat Gerd die Sache flüsternd dem alten Kastellan erzählt. Der wachte auf aus seinem trübsinnigen Dämmern zu aufflackernder Lebendigkeit und kündete seltsame Dinge.

Er hatte einmal in ferner, ferner Zeit von den flammenden Bäumen im Walde erzählen gehört.

Sie seien Bäume des Glückes. Die sie sähen, seien Auserlesene, und jede Flamme bedeute für sie eine große Freude.

Da reute den Jungen fast sein standhafter Widerstand.

Er schien ihm weiter nichts für die Folgezeit genützt zu haben.

Gerd war und blieb nach wie vor des Dorfes unverschämtester Schlingel. Das ganze Dorf war voll davon, mit ihm sei es nicht auszuhalten. Von ihm, dem früher Bevorzugten, jetzt auf ihre Barmherzigkeit Angewiesenen erwarteten die Leute doppelte Demut. Aber der vermessenste, verwegenste Streich war dem Ausbund jetzt noch mehr als früher der liebste.

Er schlug zu, wenn man ihn schlug; er sprengte Bohlen und Riegel, wenn man ihn einsperrte: Des reichsten Bauern bestes Pferd fing er sich nachts von der Koppel und jagte mit ihm in wildem Ritt durch die mondhelle Welt. Statt im Armenhaus, schlief er in den höchsten Wipfeln der höchsten Eichen, einst sogar, ohne Scheu vor dem Heiligtum, auf der Kanzel der Kirche.

Er lief hinter die Schule; – – – er lief dreimal aus der Lehre, erst vom Bäcker, dann vom Schuster, dann vom Schneider weg. Er hielt es nirgends aus.

Beim Huf- und Waffenschmied hat er es dann endlich ausgehalten.

Drei Jahre lang war er dort Lehrling und stand nun nah vorm Gesellen.

Zwanzigjährig war er damals, ein starker, muskelstraffer, zornheftiger Mensch.

Da kam er in einen Streit, der schlimmer endete als die unzähligen, durch die er sich bisher, wohl oder übel, durchgeschlagen hatte.

Die Ursache dieses Streites war Maide.

Ein frecher Mund verhöhnte das Mädchen in schamlosen Worten, weil sie es immer noch mit Gerd hielt, mit Gerd ging, wenn Gerd sie darum bat.

Ja, die Bescheidene, Sittsame, die mancher im Dorf gern zu seiner Frau gemacht hätte, war die Einzige, über die gerade Gerd gebot, Gerd, der verachtetste Bursche, Gerd, der nichts galt, der nichts zu sagen hatte.

Die ganze alte Macht war's noch aus der Kinderzeit, aber auch nur bis zu genau derselben Grenze.

An der angelangt, gebot das Mädchen dem Burschen mit einem einzigen Wink ihrer Augen.

Sie hing an ihm. Sie begleitete ihn, manches Mal sogar bis ins Wilde, Gefährliche, aber auch nicht den kleinsten Schritt ins Unrecht hinein. Oft hat sie in gefährlichen Augenblicken als Warnerin vor ihm gestanden.

Dann war es wieder, als stünden sie beide nebeneinander vor dem flammenden Tannenbäumchen, wie in der Kinderzeit.

Und es reizte ihn ordentlich, sie so zu sehen! – Es reizte ihn, die Gelegenheiten herauszufordern, reizte ihn, seine wilde Natur in den Kampf mit ihrem Widerspruch zu führen und daran seine Kraft zu erproben.

Vor allem: Es reizte ihn, dann in ihr Gesicht zu spähen, heimlich zu forschen, zu suchen, ob er wohl noch einmal, einmal den Ausdruck darin finden könne, den sie an jenem Abend besessen hatte. So hatte er sie nie wieder gesehen! Nur manchmal war eine Andeutung jenes Wunderbaren auf ihren bescheidenen, stillen Zügen, ein Etwas, das ihn nicht müde werden ließ, seine Blicke auf ihr ruhen zu lassen, in ihrem Gesicht zu forschen, zu lesen, zu rätseln.

Der Zusammenhalt zwischen ihr und ihm war seiner rauen, wilden Jugend ganzes Glück. Er trug alle Verlästerungen, weil er wusste, Maide hielt doch etwas auf ihn und wisse etwas besser als alle anderen mit ihm Bescheid.

Da kam das Entsetzliche.

Im flammenden Zorn erschlug er den Burschen, der über das Mädchen und ihn ruchlose Worte gesagt hatte.

Er hatte es nicht gewollt, er hatte nicht im Traume an Mord gedacht. Sein Zorn war nur zu groß und seine Bärenkraft zu massig. Die hatte über das Maß hinaus zugeschlagen.

Ehe er sich vom Entsetzen erholte, war er eingekerkert.

Er hatte in der schwarzen Schmiede in der letzten Zeit lichte, sonnige Zukunftspläne geschmiedet. Er war nun Geselle geworden, nach harter Lehrlingsarbeit, und wollte es zum Meister bringen, sich das Gemeinde- und Heimatrecht im Dorfe erwerben, Maide sich zum Weibe verdienen.

Und nun war alles aus! Das war nun verwirkt!

Ein mit jahrelanger Kerkerhaft Bestrafter konnte nach den alten, strengen Gesetzen der Gemeindeverfassungen und Gilden nie und nimmer ein Gewerberecht im Dorf, nie ein eigen Haus, nie einen Meisterbrief bekommen.

Sein Leben war gebrochen.

Zu Boden gedrückt vom Gefühl der Schmach und Schande, verließ er nach Jahren abgebüßter Haft an einem grauen Winternachmittag seine Zelle.

Er hatte Maide Botschaft schicken wollen, sie fragen lassen, ob er sie noch einmal sehen dürfe, ehe er sich irgendwo in der weiten Welt verliere. Aber er hatte es im Gefühl seiner zu tiefen Erniedrigung nicht fertig gebracht.

Heimlich und allein schlich er sich mit seinem armseligen Packen in der Dämmerung auf die Waldstraße hinaus.

Von der ersten Tanne des Hohlweges aber, durch den er auf die Straße zu kommen gedachte, winkte ihm von ferne ein weißes Tuch.

Eine ruhige, schmale Gestalt stand da unter dem schweren fransigen Gezweige.

»Maide!«, schrie der verwahrloste Bursche mit dem herzzerreißenden Aufschrei des Glückes.

Ja, sie war es, und auch sie trug ein Päckchen in der Rechten. Es war alles ganz ruhig, ganz einfach, was sie sagte.

Es sei selbstverständlich, dass er das Dorf verließe, und ebenso selbstverständlich, dass sie mit ihm gehe.

Ihre Eltern seien gestorben.

»In der Stadt, wo du dein Brot finden wirst, will ich durch Dienen auch meines suchen. Wir wollen in Ehren zueinander halten. Wir wollen ruhig warten. Wenn Gott es uns schenkt, wollen wir in späten Jahren, nachdem wir uns den nötigen Hausrat erworben, noch Mann und Weib werden.«

Mit leiser, bescheidener Stimme sagte sie's.

Aber als Gerd das hörte, kam eine Liebe zu Maide über ihn, die nicht Maß und Grenzen mehr kannte. Wie ein Verhungerter und Verdursteter war er.

Wie hatte er sich nach Maide gesehnt in all den Jahren!

Nun wollte er sie an sich ziehen, das gute, treue, geliebte Mädchen, wollte ihr liebes Gesicht mit Liebkosungen und Küssen überdecken.

Nur dass Maide mit ausgestrecktem Arm und einer Gebärde wie eine zurückweichende Flamme ihn von sich wies!

Ihre Blicke allein hielten die seinen fest, streng, ernst.

Sie sprach Worte von beschwörender Gewalt.

Wenn er sie umfasse und küsse, sei alles, was sie geplant habe, aus, und sie kehre um.

Er solle widerstehen!

Er müsse widerstehen!

Er solle ihr's schwören in diesem Augenblick mit heiligem Schwur, dass er ihr nie wieder mit einem Kuss oder einer Liebkosung nahe, bis er ihr Mann sei.

Denn sie müsse nun tagelang mit ihm wandern, vielleicht nächtelang, bis sie irgendwo ein sicheres Unterkommen fänden.

Flehend und gebietend zugleich sah sie ihn an.

Und da kam der schwerste Kampf seines ganzen schweren Lebens über Gerd.

Wie liebte er Maide! Es wollte ihm das Herz zersprengen, den Sinn verwirren, so liebte er sie.

Er hätte sie nur einmal in wilder Zärtlichkeit küssen mögen, und wenn er dann hätte sterben müssen.

Tiefe, traumhafte Dämmerung herrschte.

So ganz, so ganz war sie in seiner Macht. Sein Herz schlug hammerhart. Aber er ließ die Arme sinken, aus freiem Entschluss.

Er ließ nur seine Blicke in ihren Blicken ruhn. Er siegte.

Er schwur ihr mit harter, trockener Stimme laut den Schwur. Sie gelobte sich auch ihm. Sie wollten nicht voneinander lassen, aber ihre Prüfungsjahre wollten sie bestehen, ohne Liebkosung, ohne Kuss – – –

Es schien ihnen nun alles leicht und lieb, was kommen sollte.

Sie gingen tastend vom Hohlweg waldein durch den Wirrwarr der Stämme. Sie wollten auf die Straße kommen, vielleicht eine Herberge erreichen für diese erste Nacht.

Und sie verirrten sich. Gerade wie damals in ihrer Kinderzeit schien's. Sie fanden nicht aus und ein!

Sie kamen wieder tappend in Moor und Gestrüpp.

Sie tasteten sich unsicher vorwärts.

Er rief sie beim Namen, bald hierhin, bald dorthin.

Er wollte ihr Führer sein und verirrte sich immer mehr.

Die tiefe, schwarze, schauerliche Dunkelheit floss über sie.

Dann aber stach mit einem Male – o, was war das? – ein jähes Spiel von langen, gleißenden Lichtstrahlen durchs Gedränge der Stämme.

Die Strahlen wurden zum lichten, überlichten Schein. Der ganze Wald schwamm in einer Lichtflut, in strahlendem, glänzendem, überirdischem Licht.

Und ehe sie beide sich besannen, kamen sie, wie damals, zum Kerne des heute noch viel mehr überwältigenden Glanzes.

Es stand wieder eine Tanne auf einer Waldblöße, eine Tanne, die aus sich selber Flammen trug.

Kein Tännlein diesmal!

Ein hoher, herrlicher Baum, dem auf jedem Zweig eine schlanke, steile Flamme stand, leuchtend wie Sonnen- und Sternenlicht zugleich!

Ein Meer von Flammen, – Flammen himmlischen, unirdischen Scheins!

Und eine Gestalt, oder ein Schimmer einer Gestalt, stand am Stamme des Flammenbaumes in all dem zauberischen, glückseligen festlichen Gleißen.

Eine Stimme, aus der des Waldes lieblichstes Wehen und mächtigstes Rauschen klang, sprach:

»Ich bin die Seele, bin die Bewohnerin, bin das Leben dieses Baumes. Ich grüße euch. Aus dem winzigen Tännchen, das du, heftiger Knabe, ausreißen wolltest, ist nun schön und still dieser Baum geworden,euerLebensbaum.

Ihr seid Auserwählte!

Denn euer Lebensbaum ist ein Flammenbaum, einer jener Bäume, die nur alle drei Menschenalter einmal im Walde stehen. Jede Flamme auf meinen Zweigen bedeutet euch ein unerschöpfliches Glück, eine tiefinnige, unaussprechliche Freude.

Danke Gott, du Wilder, Unbändiger, dass du dich bändigen gelernt, nicht voreilig und verfrüht das Tännchen mit seinen wenigen Flammen an dich rissest!

Neun waren es! Nun sind es neun mal neun mal neun!

Grabt euren Baum, nachdem seine Flammen, die nur einmal im Jahre sichtbar werden, verloschen sind, vorsichtig aus! Pflanzt ihn vor euer Haus!« – – –

Wir haben keins! wollten die beiden Leute mit wehmütigem Lachen sagen.

Aber die zauberische Gestalt oder der Hauch einer Gestalt war schon wieder im Stamme der Tanne verschwunden.

Der feurige Glanz verlosch bis auf einen freundlich nachzitternden Schein.

In dessen Schimmer haben die beiden mit dem bescheidenen Werkzeug, das sie in ihren Bündeln hatten, den Baum gemeinsam ausgegraben.

Behutsam und zart gingen sie seinem Gewurzel nach, tief – tief – immer tiefer – –

Als sie den letzten Spatenstich taten, stießen sie dicht unter der innersten Wurzelfaser auf eine rostige Truhe. Die hoben sie voll Staunen heraus.

Aber siehe, die Truhe trug das Wappen von Gerds Geschlecht. Ihr Inhalt war Gold, Geld, edles Gestein, Geschmeide in Massen, nebst wichtigen Urkunden. Ein unermesslicher Schatz!

Gerd war wieder edel und sehr reich, nach den Begriffen der Welt.

Er ließ sich die Burg seiner Väter neu aufrichten. Vor ihr Tor pflanzte er die Lebenstanne. Maide wurde in Lachen und Seligkeit sein Weib.

Er hatte im flammenden Glanze des zauberischen Lichterbaumes eigentlich nur sie, nur ihr Gesicht gesehen.

Denn es war wieder die himmlische, seltsame Schönheit von damals auf ihren Zügen. Und diese Schönheit, deren edler Glanz auch nie mehr verging, durfte er nun zu allen Stunden, allen Tagen und allen Nächten sehen!

Maide war ja sein, mit Herz und Seele, ganz sein eigen!

Das Bild der Mutter

Dem Kupferschmied war seine Frau gestorben, von den zwei Töchterchen weg, die zärtlich an der Mutter hingen.

In ihren dunklen Kleidchen, die eine Nachbarin ihnen rasch zusammengeflickt, gingen die zwei Schwestern nun immer Hand in Hand, scheu aneinandergeschmiegt, ihres Weges, voll bitteren Herzeleids.

Im ganzen Dorf sprach sich's herum: so tief, wie diese Kinder, habe man noch niemals Kinder um ihre tote Mutter trauern gesehen. Die Leute wetteiferten, ihnen etwas Gutes zu tun. Ja, es gab Witwen und etwas ältere Mädchen im Ort, die ernstlich darüber nachdachten, es lohne der Mühe, Kupferschmiedin zu werden, schon um diesen feinen treuen Kindern die verstorbene Mutter zu ersetzen.

Durch Vermittlung von Nachbarinnen bot sich nach einem guten halben Jahr eine stattliche Jungfer dem Witwer vorsichtig an. Elsbette hieß sie, und sie war wirklich so übel nicht. Sie hatte ein kleines Heiratsgut, war fleißig, sauber. Vor allem: Sie war berühmt wegen ihres guten Kochens.

Der stille Witwer wies den Wink durchaus nicht von der Hand.

Nur, meinte er: Die Hauptsache, ja das allein Ausschlaggebende in diesem Punkte, seien die Kinder.

Die Kinder hätten so zärtlich an ihrer Mutter gehangen und seien noch immer so verhärmt und so untröstlich, dass er ihnen nur dann eine zweite Mutter geben möchte, wenn sie sich selbst herzlichst eine solche wünschten.

Es wurde nun manches hin und her gesprochen, und schließlich wurde abgemacht, Elsbette solle einmal vier Wochen ins Haus des Schmiedes kommen und als Magd für ihn und seine kleinen Mädchen wirtschaften und kochen. Da war Elsbette froh und meinte, sie habe gewonnen. Die Kinder waren weiß wie die Wachslichtchen, so wenig hatte ihnen seit der Mutter Tod irgendein Bissen geschmeckt.

Nun fing die gute Elsbette an, zu backen und zu rühren, und dachte, es könne ihr nicht fehlen. Sie brachte eine Schüssel dampfender Krautklöße auf den ersten Mittagstisch – wirklich ein einziger Duft und Augenschmaus! – ein Bild für einen Maler! Und süße, lockere Heißwecken mit purpurrotem Hagebuttenguss gab es am nächsten Tag. Am Sonntag ein knuspriges, goldiges Schweinebrätchen. Und so fort. Und so fort! Vier Wochen lang jeden Tag etwas andres, eine Mahlzeit immer schöner und leckerer als die andere. Und doch dabei nichts verschwendet, sondern mit den Sachen schön hausgehalten, das musste der aufmerksame Schmied ehrlich sagen.

Mit verlegenem Schmunzeln fragte er die Kinder nach vier Wochen unter einer väterlich kräftigen Umarmung, ob ihnen Elsbette als Mutter wohl gefiele.

»Sie kocht doch gar zu gut!«, meinte er.

»O ja, sie kocht gut.« Das mussten die beiden kleinen stillen Mädchen zugeben. Sinnend sahen sie einander dabei an. Schüchtern erhoben sie dann die Köpfchen.

»Ganz gut.«

»Aber unsre Mutter«, meinten sie, »kochte dochvielbesser!«

Da war nichts zu machen! Der Schmied war vielleicht anderer Meinung. Aber er hatte geschworen, er wollte sich nach den Kindern richten. Und die Kinder wollten nun einmal Elsbette nicht gern als zweite Mutter.

Es gab ein gewaltiges Gerede, als die Stattliche unverrichteter Sache aus dem kleinen Schmiedehaus wieder abziehen musste.

Immer mehr anderen Mädchen und Frauen bewegte die Sache Kopf und Herz. Auf einem Gütchen in der Nähe des Orts wohnte eine schöne, etwas eitle, aber gutherzige Witwe, die bisher alle Freier lachend abgewiesen hatte. Den Kupferschmied und seine wählerischen Kinder zu gewinnen, das schien ihr aber nun auf einmal der Mühe wert. Sie verstand sich so schön und reizend anzuziehen wie keine und sah dann immer wunderhübsch aus. Das wusste sie.

In ihrem feinsten Staat, rauschend und glänzend, begann sie hie und da bei Kupferschmieds einzusehen und seinen Töchterchen mit Worten, Blicken und kleinen Geschenken schön zu tun.

Dem Manne gefiel die Muntere, Reizende, Bunte, Lachende ungemein.

Nach Monaten und Monaten einer immer wachsenden Freundschaft kam es zur Aussprache zwischen Witwer und Witwe.

Und nun fragte der Kupferschmied seine Kinder zum zweiten Mal: »Wollt ihr eine zweite Mutter haben? Die Frau, die immer so schön angezogen ist, die will es wohl werden.«

»Die? Hübsch angezogen?« Erstaunt sahen die kleinen Mädchen einander an.

»Nun ja!« gab die eine dann so obenhin zu.

»Nun ja!«, meinte auch die andere matt.

»Es ist ja wahr!« Bisher war es ihnen nicht aufgefallen. Aber nun mussten sie's zugestehen.

»Wirklich ganz hübsch!«

»So hübsch, wie unsere Mutter immer angezogen war, aber doch lange nicht«, sagten sie aber sofort höchst lebhaft in erregtem Tone, wie aus einem Munde.

An ihrer Mutter Stelle wollten sie die fremde Frau auf keinen Fall!

Da musste auch die sich zurückziehen.

Und der Ehrgeiz, den trauernden Kupferschmieds-Kindern eine zweite Mutter zu werden, ergriff nun die Frauen des ganzen Landes.

Eine Gräfin kam und bot sich an, den Kupferschmied zum Manne zu nehmen. Aber den Kindern war sie nicht fein genug.

»Unsre Mutter ist viel feiner gewesen!«, sagten sie. Der Kupferschmied wäre wohl ganz gern Graf geworden. Aber er musste auch der Gräfin in dem zarten Seidenkleid, das von Rosen- und Veilchenduft durchzogen war und bei jedem Schritt lieblich rauschte, den Laufpass geben.

Andere Frauen kamen. Aber an jeder hatten die verwöhnten Kinder etwas auszusetzen. Die Fromme war ihnen doch nicht fromm genug, die Kluge nicht halb so klug wie ihre Mutter, die Lustige nicht halb so lustig.

Ein Jahr und noch ein Jahr verging. Da hörte schließlich die Frau Königin von der Sache. Der Herr König war vor Jahr und Tag gestorben, und die mächtige, prächtige Frau hätte gern noch einmal ein ganz besonderes Eheglück gehabt.

Den so heiß umworbenen Kupferschmied sich zu erringen, die Herzen seiner Töchterchen sich zu erstürmen, das weckte ihren Ehrgeiz. Erst langsam, dann immer fester und bestimmter gab sie der Sehnsucht ihres Herzens Gewähr.

Und eines Tages hielt eine goldene königliche Karosse, mit zehn Schimmeln bespannt, von Heiducken und Lakaien in goldstrotzenden Livreen bedient, im Gässchen vor des Kupferschmieds Haus. Über die ausgetretene Schwelle trat huldvoll und strahlend die Königin.

Sie saß mit bei Tisch, sie schüttete ihre Gnaden nur so über den Mann und die Kinder aus.

»Ist sie nicht prächtig? Ist sie nicht herrlich? Wollt ihr sie haben zur zweiten Mutter?« fragte der Schmied zitternd und bebend vor Aufregung über das rasende Glück, das ihm widerfahren sollte, seine zwei Töchter. Denn natürlich sollte er durch seine zweite Ehe König werden über das ganze Land. –

Die Kinder mussten bejahen!

»Ungemein herrlich und prächtig!«, sagten sie. Aber wenn sie an ihre Mutter dachten – – –?

»Nein, unsre Mutter war doch viel herrlicher, viel prächtiger! Gar nicht zu vergleichen mit dieser Frau Königin.«

»Wir wollen nicht!«

»Nein, nein! Auf keinen Fall!«

Und so leid es dem Kupferschmied tat, so musste er doch unter tiefen, verlegenen Bücklingen die Frau Königin wieder aus seinem Haus hinaus komplimentieren.

Spät abends war es geworden.

Der Vollmond schien auf das Gold der Karosse und der Pferdegeschirre und Livreen, dass sie nur so von Glanz trieften.

Bleich und groß, fast verschwimmend in Rührung über die Treue der Kinder, sah der Mond die Sache mit an.

Sein ruhiges Herz wachte auf wie nie vorher.

Eine Sehnsucht überkam ihn, so tief, so weit, so seltsam mächtig.

Was der mächtigen Erdenkönigin da nicht gelungen war, ob es nicht vielleicht ihm gelänge?

Ja,erwollte die Mutter der Kinder sein. Als schöne, sanfte, silberglänzende Frau wollte er den Witwer freien und ihm und den Kindern sein ganzes unendliches, silbernes Schimmerreich, in dem nie ein lautes, grobes, heftiges Wort gesprochen wurde, in dem lauter Frieden, lauter Sanftheit und Wonne herrschte, zu Füßen legen.

Und er tat es.

Mit dem leisesten Schritt trat die zarteste, schönste Fee in die Hütte, das sanfteste Angesicht neigte sich über die Bettchen der Kinder. Die weichsten, weißesten Hände boten sich dem Mann. –

Ja, diese Liebe, Leise, diese Zarte, Sanfte, die noch dazu ein silbernes Stück Himmelreich zu verschenken hatte, die sollte aber nun wirklich die Seine werden.

Er fragte die Kinder, gleich noch in derselben Nacht, so dringende Eile hatte er. –

»Na, ist die nun nicht lieb und sanft, die heut Abend bei uns eingetreten ist? Sanft, wie sich Sanfteres nicht mehr denken lässt auf der weiten Welt? – – –«

Die Kinder saßen mit gefalteten Händen in ihren Betten, sahen die Mondfee an und sagten andächtig: »O ja! o ja!« –

»Nurunsere Mutter war noch sanfter«, rief plötzlich von einer ergreifenden Erinnerung gepackt, aus sinnendem Schweigen heraus, ganz leise das eine Mädchen.

»O, das ist wahr! Viel, viel sanfter!« stimmte leuchtenden Blickes das zweite bei.

Und es half nichts! Die Mondfrau musste gehen. Ganz lautlos ging sie aus der Stube, das süße, bleiche Gesicht in die silbernen Schleier tief verhüllt.

Es war über dem ganzen Himmel hin eine einzige Bewegung.

Die Sonne war kaum aus dem Bad gestiegen am nächsten Morgen, so wusste sie auch schon, was in der Nacht los gewesen war.

Glühend wallte ihr Herz auf.

Sehnend, verlangend.

Das war also ein Preis, den niemand weiter errang, dieser Preis, den Kupferschmieds-Kindern, die so hohe Anforderungen stellten, eine zweite Mutter zu werden? – So wollte sie ihn erringen!

Gut wie sie war ja keine!

Keine besaß ein wärmeres Herz!

Keine war freundlicher. Keine konnte segnen, lieben, sorgen und schaffen wie sie.

Keine im ganzen Weltall war so schön, so wunderschön.