Der Fluch der Dunkelgräfin - Simona Turini - E-Book

Der Fluch der Dunkelgräfin E-Book

Simona Turini

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Beschreibung

Geister, Dämonen, finstere Götter – das gibt es doch alles nicht! Oder doch? Turini erzählt von unglücklichen Menschen, Häusern, die zum Gefängnis werden, misslungenen Fluchten und schrumpfenden Herzen. Neun Geschichten aus dem Grenzgebiet zwischen Wahnsinn und Wahrheit.

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis
Impressum
Melissa
Siechtum
Der Fluch der Dunkelgräfin
Ab ins Grüne
Zombierkalypse
Kronos
Emmi
Trip
Der lange Weg nach Hause
Danksagung

Der Fluch der

Dunkelgräfin

Simona Turini

Content Notes

Bei Triggerwarnungen oder Content Notes handelt es sich um die Benennung von sensiblen Themen, damit die Leser*innen selbst die Verantwortung ergreifen und sich entscheiden können, ob sie einen bestimmten Text (in einer bestimmten seelischen Verfassung) lesen wollen.

Drogenkonsum, Alkoholismus, Gewalt, Misshandlungen, sexuelle Gewalt, sexueller Missbrauch (angedeutet), Fehlgeburt, Kindsmissbrauch, Abtreibung, Missbildungen, Depressionen

© 2021 Amrûn Verlag Jürgen Eglseer, Traunstein17/2021

Lektorat: Carolin GmyrekUmschlaggestaltung: Mark Freier

Alle Rechte vorbehalten

ISBN TB – 978-3-95869-398-2ISBN E-Book – 978-3-95869-352-4Printed in the EU

Besuchen Sie unsere Webseite:

amrun-verlag.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar

v1/21

Für alle meine Schwestern.

Melissa - Ein Verhörprotokoll

Anmerkung der Autorin:

Manche Erzählungen, die man als junge Schriftstellerin verfasst, lässt man verschämt in der Schublade verschwinden und holt sie höchstens wieder hervor, um sie frustriert in die Tonne zu schmeißen. Aber manche andere Erzählungen gefallen auch nach Jahren noch.

Obwohl ich in der Zwischenzeit – auch durch meine Arbeit als Lektorin – gelernt habe, was ich damals alles nicht unbedingt optimal gelöst habe, gehört »Melissa« eindeutig in die zweite Kategorie.

Ja, die Geschichte gefällt mir. Ich bin sogar sehr stolz darauf.

Deshalb habe ich sie, nachdem sie erstmals 2013 im eBook »Kronos« und im folgenden Jahr als Taschenbuch (»6 Pieces – Meat & Greet« zusammen mit Sönke Hansen) erschien, nun überarbeitet und lasse sie erneut auf das geneigte Publikum los. In der bescheidenen Hoffnung, sie möge in diesem Rahmen vielleicht die Anerkennung bekommen, die sie verdient.

Gleiches gilt im Übrigen für »Kronos«, die ebenfalls überarbeitet und ergänzt in diesem Band vertreten ist.

Aus der Tageszeitung der Stadt M. vom 24. Juli 19xx

Vermischtes

In der Nacht brannte das Haus des angesehenen Arztes Dr. Clemens Bromer bis auf die Grundmauern nieder. Die Feuerwehr konnte lediglich ein Übergreifen der Flammen auf die benachbarten Häuser verhindern. Zur Stunde ist noch nicht bekannt, ob es Überlebende gibt. Dr. Bromer hatte das Haus gemeinsam mit seiner Ehefrau Maria Bromer, geborene Lüttich, bewohnt. Das Paar hatte keine Kinder.

Aus der Tageszeitung der Stadt M. vom 26. Juli 19xx

Entsetzlicher Fund in Brandruine

Nachdem in der Nacht zum Mittwoch das Haus des Arztes Dr. Clemens Bromer vollständig abbrannte (wir berichteten), machte die Feuerwehr bei der Untersuchung der Ruine eine grauenhafte Entdeckung. Neben den Leichen von Dr. Clemens Bromer und seiner Frau Maria Bromer fanden sich die Überreste von mindestens einem Dutzend Kleinkindern.

Noch gibt es keine Hinweise auf die Identität der Kinder oder die Art ihres Todes, doch scheinen die meisten von ihnen unter verschiedenen Missbildungen gelitten zu haben. Die Leichen wurden im ehemaligen Keller des Hauses gefunden. Einige von ihnen waren vom Feuer bis zur Unkenntlichkeit verbrannt oder waren noch ganz oder teilweise begraben. Die Ermittlungen dauern zur Stunde noch an.

Nach vorläufigen Angaben der Feuerwehr brach das Feuer im Wohnzimmer im Erdgeschoss des Hauses aus, wo auch die Leiche Maria Bromers aufgefunden wurde. Ihr Mann befand sich im Schlafzimmer. Brandstiftung kann nicht ausgeschlossen werden.

Protokoll der Aussage der Zeugin S. W.

M., den 28. Juli 19xx

Anwesende:

Polizeihauptkommissar Peter Bauer,

Polizeikommissar Harald Steiger,

Polizeiobermeister Arnd Pjetrowski,

Zeugin S. W.

Die Befragung wird durch PK Steiger durchgeführt, das Protokoll führt POM Pjetrowski

»Bitte nennen Sie Ihren vollständigen Namen, Ihren aktuellen Wohnort und Ihren derzeitigen Beruf.«

»Mein Name ist S. W. Ich wohne in W. und habe als Krankenschwester im Kloster St. Maria gearbeitet, aber zurzeit bin ich Hausfrau.«

»Woher kannten Sie Doktor Clemens Bromer?«

»Ich war lange die persönliche Assistentin von Dr. Bromer. Er schätzte meine große Diskretion. Es war schön, für ihn zu arbeiten, für einen so großen und klugen Mann, einen regelrechten Helden.

Dr. Bromer ist der beste Arzt der Welt. Vermutlich auch der berühmteste. Doch sein eigentliches Können ist wohl kaum einem Menschen bewusst. Es wissen wohl auch nur wenige zu schätzen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Lassen Sie es mich so sagen: Der Doktor hat schon so manche Frau glücklich gemacht, die das überhaupt nicht erwartet hätte. Oder gewünscht.«

»Werden Sie doch bitte etwas konkreter, Frau W.!«

Die Zeugin wirkt nervös.

»Bitte, erst müssen Sie mir versprechen, dass Sie meinen Namen nicht weitergeben! Ich will nicht als Verräterin dastehen. Auch, wenn jetzt alle sagen, dass es falsch war, habe ich doch nur getan, was der Doktor verlangt hat – und ich habe es gerne getan. Also versprechen Sie mir, dass Sie Stillschweigen bewahren, wenn es an meine Identität geht!«

»Streichen Sie den Namen der Zeugin aus dem Protokoll. Erzählen Sie von Ihrer Arbeit in dem Krankenhaus, Frau W.«

»Ich nahm meine Arbeit im Kloster im Jahr 19xx auf. Ich war ein junges Mädchen aus armen Verhältnissen, meine Mutter war froh, dass ich diese Anstellung gefunden hatte. Eine Ausbildung, das müssen Sie sich mal vorstellen! Das Land lag in Trümmern, man kämpfte ums Überleben, aber ich, eine einfache Bauerstochter aus dieser unbedeutenden Familie, durfte in einer der Bedienstetenkammern in diesem schönen großen Haus wohnen.

Das Kloster diente, wie so viele andere in jenen harten Zeiten, auch als Hospital, und die Ordensschwestern und wir Pflegeschülerinnen taten alles, um den Kranken und Verletzten beizustehen.

Ich lernte, was man als Pflegerin können muss. Und ich putzte, wusch die Patienten, verband ihre Wunden und verteilte die Medikamente. Ich sprach mit ihnen, wann immer ich ein wenig Zeit dafür hatte. Das ist wichtig, wissen Sie: Wenn man krank ist, braucht man jemanden, der sich kümmert. Es ist wichtig für die Heilung, dass ab und zu jemand fragt, wie man sich fühlt. Oder ob man etwas braucht. Das war meine Aufgabe: den Patienten bei der Heilung helfen.«

»Sie waren nur eine Pflegehelferin?«

»Genau, nur eine Pflegehelferin.

Dr. Bromer war ein wahrer Heiler, der beste Arzt im ganzen Hospital. Ich glaube manchmal, er war der Einzige, der wirklich etwas für die Kranken tun konnte. Er war so zärtlich, so fürsorglich und aufmerksam. Besonders zu den Frauen, die zu uns kamen.

Dr. Bromer war Gynäkologe, aber natürlich musste bei uns jeder alles können.«

»Warum das?«

»Na, weil wir so wenige waren. Es waren harte Zeiten, jeder wurde gebraucht. Es gab nicht allzu viele Ärzte, die während und nach dem Krieg arbeiten konnten.

Dr. Bromer waren die Kämpfe erspart geblieben, weil er so kurzsichtig war. Er war nahezu blind, nur mithilfe seiner dicken Brille konnte er sehen, und dann auch nur Dinge in seiner Nähe. Jeder wusste es, und Dr. Bromer wusste, dass sich alle mehr oder weniger offen darüber lustig machten. Dr. Maulwurf nannten sie ihn, oder Dr. Blindschleiche.

Dumme kleine Scherze machten sie, auf Kosten eines Genies. Ich habe nie über den Doktor gelacht, oder ihm einen solch geschmacklosen Namen gegeben. Sie wussten alle nicht, was er durchmachen musste. Sie wussten doch alle nichts!«

Die Zeugin erregt sich sehr und erhebt die Stimme.

»Wollen Sie eine Pause machen?«

Die Zeugin nickt. Zehn Minuten Pause.

»Was wissen Sie über das Privatleben von Dr. Bromer?«

»Er war verheiratet und hatte einmal eine Tochter gehabt, Melissa, die mit multiplen Fehlbildungen zur Welt gekommen war. Was für ein schlimmer Ausdruck ist das.

Ich war zu der Zeit aber noch nicht im Hospital, man hat mir nur davon erzählt.

Melissa konnte sich nicht richtig bewegen, sie hat angeblich nicht einmal geweint. Immer nur gewimmert, ganz leise. Wie ein kleines, verletztes Tier.

Man kann ja immer mehr Krankheiten behandeln, aber als Melissa geboren wurde, konnte man nichts tun, es tobte ja noch der Krieg. Man konnte nur hoffen, dass das Kind überleben und sich das Problem auswachsen würde. Aber das passierte natürlich nicht.«

»Wissen Sie, was für Fehlbildungen das Kind hatte?«

»Keiner sprach gerne über die genaue Natur von Melissas Behinderungen, aber einige der Ordensschwestern erwähnten eine der vielfältigen Prüfungen Gottes. Ich glaube, so spricht man nur über ein besonders hartes Schicksal. Nun, auf jeden Fall starb die Kleine schon nach wenigen Wochen.«

»Und zu diesem Zeitpunkt, der Geburt und dem frühen Tod der Tochter von Dr. Bromer, waren Sie noch nicht in dem Hospital?«

»Nein, damals noch nicht. Ich fing erst einige Monate später dort an.«

»Wann erfuhren Sie von den Machenschaften des Doktors?«

»Machenschaften?«

Die Zeugin runzelt die Stirn.

»Als er mich das erste Mal ins Vertrauen zog, das war 19xx, da hatten sie gerade das Untersuchungsverfahren eingestellt. Vermutlich hatte es ihn beeindruckt, dass ich ihn vor dem Ausschuss in Schutz genommen hatte.«

»Welcher Ausschuss?«

»Der Untersuchungsausschuss, wegen der Medikamente und der Bücher.

Sie müssen wissen, dass das Hospital einen hervorragenden Ruf hatte, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass es seinen Ursprung allein im Wunsch der Ordensschwestern hatte, einen mildtätigen Beitrag in Kriegszeiten zu leisten.

Nun war es so, dass seit Monaten Medikamente verschwanden. Es waren allzu viele, und es waren sehr teure darunter. Auch welche, die sich nicht ohne Probleme ersetzen ließen. Die Ausgaben für den Ersatz waren groß, es musste auffallen. Besonders, da wir ja nicht viel hatten, was wir ausgeben konnten.

Dennoch war es merkwürdig, denn auch nach Wochen sagten die Angestellten alle, dass sie nichts Ungewöhnliches gesehen hätten. Ich dagegen wusste durchaus, was los war. Sofort als die ersten Schwestern befragt wurden, war mir klar, was passiert sein musste. Ich hatte ihn nämlich gesehen.

Es war an einem Sommerabend gewesen, Juli und sehr heiß, zu Beginn meiner Nachtschicht. Wir hatten alle Fenster und auch die großen Flügeltüren zum Garten geöffnet, eine warme Brise strich durch die Flure und blähte die Vorhänge.

Es ist so himmlisch, wenn der Wind durch den dünnen Stoff fährt und ihn hochhebt, als wolle er tanzen … Ich konnte nicht widerstehen: Ich stellte mich unter den Vorhang und ließ mich von dem Stoff und dem warmen Wind streicheln.

Es wäre mir peinlich gewesen, wenn mich eine der anderen Pflegerinnen oder gar ein Arzt bei diesem unerlaubten Müßiggang erwischt hätte, aber ich war sicher, dass das nicht passieren konnte, weil ich noch wenigstens bis Mitternacht allein sein würde. Das Abendessen war längst ausgegeben und die Medikamente verteilt, also war nun nichts mehr zu tun, wenn nicht ein Patient plötzlich Probleme bekam.

Ich stand also in der Tür zum Garten und genoss die Brise und die sanfte Berührung des Vorhangs, da sah ich ihn aus dem Schwesternzimmer kommen. Dr. Bromer meine ich. Er war irgendwie merkwürdig. Vielleicht wirkte er nervös. So kannte ich ihn nicht, denn er war sonst immer so ruhig, so gelassen und … sicher.

Aber an jenem Abend war er hektisch. Er bemerkte mich nicht, vermutlich weil er so nervös war oder weil der Vorhang mich verdeckte.«

»War es normal, dass Ärzte sich im Schwesternzimmer aufhielten?«

»Nein, es ist sogar sehr verdächtig, wenn plötzlich jemand aus dem Schwesternzimmer schleicht. Ich war diejenige im Nachtdienst, die Einzige bis Mitternacht. Es war also niemand in dem Raum.

Er musste aus der Medikamentenkammer gekommen sein, einem alten Besenschrank an der hinteren Wand. Sonst gab es dort nichts.

Damals dachte ich mir nicht viel dabei, ich wunderte mich nur über sein Benehmen, denn die Ärzte pflegten uns zu sagen, was sie benötigten, und wir brachten es ihnen. Manche wussten nicht einmal, wo sich welche Medikamente befanden! Das war unsere Aufgabe.

Aber als sie uns befragten, da wurde es mir klar: Doktor Bromer hatte die Medikamente genommen. Er war es gewesen!«

»Warum haben Sie das niemandem erzählt?«

»Ich konnte ihn nicht einfach verraten. Wie hätte ich das tun können? Er war so unglaublich wichtig für das Haus! Was hätten denn seine Patientinnen ohne ihn machen sollen?

Sie werden mich dafür verurteilen, aber ich wollte ihn nicht verraten. Diese dumme Sache durfte auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen! Es hätte einen Skandal gegeben. Der Doktor hätte seine Arbeit verloren, und er hätte wohl auch keine andere mehr gefunden.

Und wir Mädchen, wir konnten doch auch nichts anderes als Kranke pflegen, es gab nicht viele Häuser, in denen wir eine Anstellung bekommen hätten.

Und ich, ich wollte auch nicht weg von ihm. Der Doktor war so klug, er brachte mir so vieles bei …

Also log ich. Behauptete, ich hätte keine Ahnung, ich hätte nichts gesehen. Obwohl … da sei doch diese neue Pflegeschülerin, dieses einfältige Ding, das nichts richtig konnte und sich auch nicht wirklich bemühte. Die sei doch einige Male gesehen worden, wie sie um das Schwesternzimmer herumschlich, obwohl man ihr andere Aufgaben zugeteilt hatte. Das war nicht einmal gelogen, denn Lena versuchte oft, sich um ihre Arbeit zu drücken. Sie wurde eingehend befragt, sagte aber nichts, weinte viel und wurde schließlich entlassen. Kein Verlust für uns.

Man war froh, einen Sündenbock gefunden zu haben, und da der Schwund anschließend zurückging, fragte auch niemand weiter nach.

Natürlich wurden noch genauso viele Medikamente entwendet wie vorher, aber es fiel nicht mehr auf.«

»Wie das?«

»Die Medikamente, die verschwanden, tauchten in den Büchern nicht mehr auf. Nicht vor dem Diebstahl, und natürlich auch nicht danach. Ich weiß das genau, denn ich war es, die die Bücher fälschte. Ich brachte die Medikamente zum Doktor, damit er sie seiner Frau bringen konnte.«

»Warum brauchte Dr. Bromers Frau Medizin? War sie krank?«

»Nein, war sie nicht. Zumindest nicht auf die Art, wie Sie glauben. Sie war eher … liebeskrank. Melissas Tod hatte ihr das Herz gebrochen.

Sie verließ das Haus nicht mehr, und sie sprach auch mit niemandem. Nicht einmal mit ihrem Mann. So sagte er jedenfalls. Sie sang den Kindern immer etwas vor. Aber sie sprach nicht. Da musste der Doktor doch etwas tun, und er tat das Einzige, das Maria helfen konnte: Er brachte ihr Melissa zurück.«

»Kinder? Hatten die Bromers doch mehr als ein Kind?«

»Was? Ach, nein. Nein, das hatten sie nicht. Sie hatten nur Melissa, immer wieder.

Bitte, darf ich ein Glas Wasser haben? Das ist alles so anstrengend.«

»Aber natürlich. Lassen Sie uns eine kleine Pause machen. Bringen Sie Frau W. bitte ein Glas Wasser.«

Pause.

»Was können Sie uns über Doktor Bromers Frau sagen?«

»Ach, Maria, die Muttergottes. Eine reinere und schönere und frommere Frau kann auch ihre Namensgeberin nicht gewesen sein. Ist es nicht ein schöner Zufall, dass ihr Mann ausgerechnet in einem Kloster Anstellung fand, das der Heiligen Maria geweiht war, sozusagen seiner Frau?

Letzten Endes hatte es alles keinen Sinn. Sie wissen schon: was wir getan haben. Aber wir mussten es einfach versuchen, es wieder und wieder versuchen. Vielleicht hätten wir ihr ja doch noch helfen können!

Wir nahmen sie nur von Frauen, die sie nicht verdient hatten. Das müssen Sie mir glauben!«

»Was meinen Sie damit?«

»Na, die Kinder. Wir nahmen sie nicht von den liebenden Müttern, den aufgeregten jungen Frauen, die mit ihren Männern kamen, die glücklich lächelten, wenn es endlich so weit war, wenn sie endlich ihr Kind in Armen halten konnten, und das nach allem, was das Land durchgemacht hatte.

Wer hätte gedacht, dass überhaupt jemand zurückkehren und Kinder zeugen würde?

Wir nahmen doch nur die, die sowieso nicht glücklich hätten leben dürfen. Die Kranken am häufigsten. Kleine Schwachköpfe, denen man schon direkt nach der Geburt ansah, dass sie niemals laufen lernen würden, oder sprechen.

Oft waren es die unschuldigen Opfer heimlicher Abtreibungsversuche. Das war damals noch streng verboten und man hielt geheim, was man darüber wusste. Manchmal glaube ich, in diesen dummen Zeiten haben die Leute einfach über die Dinge geschwiegen, die ihnen nicht gepasst haben. Wenn man nicht darüber spricht, dann existiert es nicht, und dann kann es auch niemandem schaden.

Was dachten sie sich nur? Hatten sie nicht gerade erst die schlimmsten Gräueltaten gesehen, hatten sie nicht am eigenen Leib erfahren, zu was der Mensch fähig ist? Natürlich gab es all diese schlimmen Dinge, und besonders häufig gab es böse Männer, die in dreckigen Hinterzimmern arme Frauen mit Drahtbügeln und rostigem Besteck und giftigen Kräutern zum Bluten brachten.

Aber es funktionierte eben nicht immer, und wenn die Frauen überlebten, dann kamen sie zu uns, um die ungewollten Bastarde, kaputte Babys ohne Zukunft aus ihren Leibern zu pressen.

Die verdorbenen Früchte der zahlreichen Vergewaltigungen, die die Befreier unseren Frauen antaten.

Da war es doch ein Akt der Nächstenliebe, diesen Kindern ein Leben in Elend und Schmerzen zu ersparen, und ihren Müttern die Bürde der Verantwortung für ein ewiges Kleinkind, noch dazu die immerwährende Erinnerung an die Schmach und das schreckliche Verbrechen, das an ihnen begangen worden war!

Wir nahmen auch die, deren Mütter krank waren. Die Hurenkinder und die Verbrecherkinder. Die Frauen wollten sie doch überhaupt nicht haben. Man hat ihnen angesehen, wie erleichtert die waren, wenn man ihnen sagte, dass das Kind gestorben war. Die wollten ihr Kind noch nicht einmal sehen. Nie wollten sie das.

Dann wussten wir: Das wird Marias Kind sein.«

»Gab es viele Geburten in dem Hospital?«

»Das Hospital war über die Jahre gewachsen, und natürlich hatten nach der Rückkehr der Männer, die den Krieg überlebt hatten, auch die Hochzeiten und danach die Geburten wieder zugenommen. Wir waren wenige, aber wurden viele, und unser Werk trug Früchte.«

»Erzählen Sie uns mehr über Melissa Bromer.«

»Die Geburt der kleinen Melissa war bereits ungewöhnlich schwer gewesen, aber natürlich hatte Dr. Bromer sich hervorragend um Maria gekümmert, sie überstand alles recht gut. Doch Melissa konnte er nicht helfen, sie war wie gesagt schwer krank und es gab keine Hoffnung. So sagte er mir zumindest.

Maria schien anfangs sehr gefasst, liebevoll kümmerte sie sich um ihre Tochter, versuchte, sie zu füttern, schmuste mit ihr, sang ihr Lieder vor und erzählte ihr Geschichten. Aber schon kurze Zeit später wurde das Mädchen immer schwächer und schwächer und schließlich fand der Doktor es tot in den Armen seiner verzweifelten Frau.

Vermutlich ist es verhungert, das arme kleine Ding. Etwas stimmte nicht mit seinem Mund, es konnte nicht trinken.

Maria verstand nicht, was passiert war. Sie hatte das Baby aus seinem Bett holen wollen, aber das Mädchen bewegte sich nicht, war ganz kalt und steif.

Anschließend zog sie sich in sich zurück, sie hörte zu sprechen auf und tat auch sonst nichts mehr. Den ganzen Tag saß sie in Melissas Zimmer und starrte vor sich hin, manchmal liefen ihr die Tränen über die Wangen, aber sie gab keinen Laut von sich.

Wenn sie gezwungen wurde, das Kinderzimmer zu verlassen, nahm sie eine Puppe mit, die ihrer Tochter gehört hatte, drückte sie an sich, wie sie es mit dem toten Kind gemacht hatte, und manchmal sang sie der Puppe ein Schlaflied vor.

Dr. Bromer war ratlos. Er liebte seine Frau sehr, und auch die kleine Melissa, natürlich. Er wollte helfen, wollte Maria neue Lebensfreude schenken, und so beschloss er, dass ein neues Kind hermusste.«

»Sie meinen, er wollte seine Frau erneut schwängern?«

»Richtig. Doch sie gab sich ihm nicht mehr hin. Wie auch: Sie tat ja überhaupt nichts, geschweige denn, ihre ehelichen Pflichten zu erfüllen.

Also nahm er sie sich, gegen ihren Willen offenbar, denn Maria tat sich nach dieser unheilvollen Nacht Fürchterliches an: Als wollte sie den Samen ihres Mannes aus ihrem Inneren holen, vielleicht auch eingebildete Reste ihres toten Babys, oder einfach verhindern, dass ein neues Kind in ihr entstand, auf jeden Fall traktierte sie sich mit einer Wurzelbürste, die sie in Seifenlauge getaucht hatte.«

»War das auch vor Ihrer Zeit im Hospital?«

»Ja. Resi, die dem Doktor bei der Rettung seiner Frau assistiert hatte, erzählte mir nur allzu lebhaft von den schrecklichen Verletzungen. Um ein Haar wäre Maria verblutet.«

»Was geschah dann?«

»An eine weitere Schwangerschaft war nach diesem Drama natürlich nicht mehr zu denken. Es wurde offensichtlich, dass Maria kein neues Kind wünschte, sie wollte ihr Kind wiederhaben. Also suchte der Doktor nach Wegen, ihr Melissa zu bringen.

Er fand eine Möglichkeit, als eines Nachts eine junge Frau aus der Umgebung, ich glaube, sie kam aus W., bereits in den Wehen nach St. Maria gebracht wurde. Sie flehte um Hilfe, doch ihre Begleiter ließen keinen Zweifel daran, dass zwar die Frau wieder mit ihnen nach Hause fahren würde, ihr Baby aber nicht.

Solche Fälle kamen immer wieder vor, dann benachrichtigten wir gemeinhin das Waisenhaus in N., damit jemand das Kind abholte.

In dieser Nacht rief der Doktor dort jedoch nicht an.

Er schickte die Schwestern weg und kümmerte sich persönlich um die Versorgung des Neugeborenen. Dass er das kleine Mädchen mit nach Hause nahm, statt es wie behauptet zum Waisenhaus zu bringen, sollte niemals jemand erfahren.«

»Aber Sie wussten es?«

»Nun ja, es sollte niemand erfahren, bis ich begann, ihn bei seiner Mission zu unterstützen. Natürlich informierte er mich über alles, was wichtig war. Schließlich sollte ich ihm helfen, ihm und Maria. Unsere Beziehung war etwas ganz Besonderes.

Wie dem auch sei, hier hätte alles enden können, alle hätten friedlich weiterleben können, liebendes Ehepaar, liebende Eltern, glückliches Kind. Und auch ich wäre glücklich gewesen.

Doch etwas in Maria muss mit dem Tod ihrer Tochter zerbrochen sein. Sie nahm das kleine Mädchen, das der Doktor ihr als Melissa in die Arme legte, und wiegte es, sang ihm ein Lied vor, ging mit ihm auf und ab, um es zu beruhigen.

Dennoch hätte der Doktor gewarnt sein müssen: Maria sang für die Kleine, aber sie sprach nicht mit ihr oder ihrem Mann, sie war immer noch weit, weit weg, in ihrer eigenen geheimnisvollen Welt.

So kam es, dass Dr. Bromer die beiden allein ließ. Ich weiß nicht, was er getan hat oder wo er hingegangen ist, vielleicht war er nur im Bad, aber die kurze Abwesenheit genügte, denn als er wiederkam, saß Maria im Kinderzimmer und wiegte Melissas Puppe. Das Baby war nirgendwo zu sehen. Der Doktor fragte seine Frau, wo es denn sei, warum sie es nicht bei sich habe, aber sie reagierte nicht. Er fand es schließlich in einer Waschschüssel in der Küche, unter Wasser.«

»Hat sie das Kind ertränkt?«

»Nein, es war nicht ertrunken.

Maria hatte ihm die kleinen Ärmchen verdreht, bis seine Schultern ausgekugelt waren, sie hatte sein linkes Bein am Knie gebrochen und umgedreht, sie hatte an seiner Unterlippe gezerrt, bis sie ganz dick und blau geworden war, und schließlich hatte sie wohl sein Köpfchen traktiert, denn Melissa hatte zu allem anderen auch einen unnormal platten Schädel gehabt, wie er bei Kindern ohne Gehirn vorkommt.

Die neue Melissa hatte diese Behandlung selbstverständlich nicht überlebt, und als Maria das Kind schließlich baden wollte, war es nicht mehr Kind gewesen, sondern ein blutiges kleines Ding, umgeformt zu einem Zerrbild der behinderten Tochter. Damit war sie wohl uninteressant geworden und Maria hatte sie einfach in der Wanne liegen lassen und getan, was sie immer tat: Sie setzte sich mit Melissas Puppe in Melissas Zimmer.«

»Was hat Dr. Bromer daraufhin getan?«

»Er konnte es sich natürlich nicht leisten, den Leichnam eines entführten Babys in seinen privaten Räumlichkeiten aufzubewahren, also vergrub er die Überreste in dem alten Gewölbekeller unter seinem Haus und versuchte zu vergessen, was er gesehen hatte.

Als könnte man solch ein Erlebnis vergessen! Als könnte man den Anblick eines geschundenen Kindes vergessen! Ich habe selbst einige von Marias Kindern im Arm gehalten, wenn ich neben dem Doktor gewartet habe, bis das Loch tief genug war, um es zur letzten Ruhe zu betten.«

»Was hat sie mit diesen Kindern gemacht?«

»Es war immer das Gleiche: Die verdrehten Ärmchen, die starr vom kleinen Körper abstanden, die blauen, geschwollenen Schultern, das kaputte Bein und der eingeschlagene Schädel, mit aller Kraft auf eine Tischplatte oder den Boden geschmettert, platt gedrückt, eine einzige blutige Masse.

Aber am schlimmsten waren die Gesichter: Die Gewalt, mit der Maria die Köpfe der Kinder umzuformen versuchte, drückte auch ihre Augen heraus, sodass wir ihnen im Tod oft nicht einmal die Lider schließen konnten. Blicklos starrten sie uns an, anklagend. Und ihre kleinen, puppenhaften Münder klafften auf, wenn Maria ihnen die Lippen abgerissen hatte, oder schwollen zu Schmollmündern, wenn ihr das nicht gelungen war.

Der Doktor hatte recht: Maria wollte kein neues Kind, sie wollte ihre Melissa zurück.«

»Wie konnten Sie diese grausamen Morde zulassen? Waren Sie nicht entsetzt, erschüttert?«

»Natürlich war ich das. Aber es war doch möglich, dass wir eines Tages Melissa finden würden, und dann wäre doch alles gut gewesen.

Ist das nicht ein schöner Gedanke? Wie sehr diese Mutter ihr Kind liebte, trotz all seiner Unzulänglichkeiten, trotz der schrecklichen Behinderung, die auf die meisten Menschen sicherlich abstoßend gewirkt hatte? Eine solche Mutterliebe hat etwas Heiliges, und genau deshalb versuchten wir auch weiterhin, Maria ein Kind zu bringen, eine neue Melissa, die sie umsorgen konnte.

Welch ein wundervolles Leben die Kleine hätte haben können!«

Die Zeugin beginnt zu weinen.

»Lassen Sie uns eine halbe Stunde Pause machen.«

Pause

»Ab wann waren Sie in die Verbrechen involviert?«

»Warum nennen Sie es immerzu Verbrechen? Ich habe doch versucht, Ihnen zu erklären, warum wir das taten!«

»Lassen Sie mich die Frage anders stellen. Ab wann … halfen Sie Dr. Bromer mit den Kindern?«

»Nachdem ich die Sache mit dem Diebstahl der Medikamente – das ist übrigens ein echtes Verbrechen! – vertuscht hatte, wollte ich natürlich wissen, warum das notwendig geworden war.

Ich vertraute vollkommen auf die Einschätzung des Doktors und war sicher, dass er einen guten Grund für sein Tun gehabt hatte, aber ich musste ihn mit meinen Fragen konfrontieren. Er dachte lange nach und bat mich schließlich, ihn am Abend in seinem Haus zu besuchen. Dort lernte ich Maria und Melissa kennen.«

»Melissa? Meinen Sie eines der entführten Kinder?«

»Nein, ich meine Melissa. Maria zeigte mir ihr Bild, der Doktor erzählte mir von ihr. Maria sah so glücklich aus, als wir über die Kleine sprachen.«

»Was hat Dr. Bromer Ihnen alles erzählt?«

»Er hatte nach der Katastrophe mit dem Baby, das er Maria aus dem Hospital mitgebracht hatte, lange nicht gewusst, was er nun tun sollte. Doch einige Monate später – mittlerweile hatte ich meine Arbeit in St. Maria aufgenommen – kam wieder eine Schwangere, eine Frau mittleren Alters. Sie überlebte die Geburt nicht.

Sie schien keine Verwandten in der Gegend zu haben, und da die Frau krank gewesen war, ging es dem Neugeborenen zu schlecht, um es sofort dem Waisenhaus übergeben zu können.

Dieses Kind hatte keine Chance auf ein normales Leben. Es erholte sich nur langsam von den Strapazen seines Eintritts in die Welt, konnte oder wollte nicht schreien, aß nur wenig und wuchs kaum. Eines Abends verkündete Dr. Bromer traurig, das Kleine sei gestorben, er habe es bereits abholen lassen, auf dass es in einem der Armengräber hinter dem Kloster bestattet würde.

Später erzählte er mir, dass das eine Lüge gewesen war, er hatte das Kind mit nach Hause genommen, schließlich war es offensichtlich behindert, genau wie seine kleine Melissa. Maria würde es vielleicht annehmen.«

»Das tat sie aber nicht?«

»Natürlich nicht. Das neue Kind bekam die gleiche Behandlung wie das erste, und ebenso wie das erste starb es daran.

Der Doktor wollte sich seiner Verzweiflung nicht einfach hingeben, es musste doch eine Möglichkeit geben, einem Kind mit den Beschwerden seiner Tochter ein annähernd normales Leben zu gewähren!

Diesmal dauerte es nur wenige Wochen, bis die nächste Frau bei uns ein Kind gebar, das sie nicht haben wollte. Der Doktor musste nicht einmal lügen, um es zu bekommen: Alles lief vollkommen glatt und schon nach wenigen Tagen konnte er Mutter und Kind gesund und munter nach Hause schicken.

Nun, eher nicht munter, denn offenbar hatte die Frau kein Interesse an ihrem kleinen Sohn. Dr. Bromer fand das Baby im Vorgarten unter einer Hecke, halb erfroren. Er zögerte nicht und brachte es nach Hause, gab es aber diesmal nicht seiner Frau. Nicht sofort.«

»Was tat er stattdessen?«

»Er pflegte es wieder gesund, bevor er es betäubte und an seinem Körper nach und nach all die Unzulänglichkeiten nachbildete, die Melissa umgebracht hatten.

Verstehen Sie, deshalb benötigte er so viele Medikamente: Er betäubte das Kind, verband die Wunden, die er ihm zufügen musste, gab ihm Mittel gegen Schmerzen und mögliche Entzündungen. Was den deformierten Schädel anging, versuchte er, sich die Weichheit der kindlichen Knochen und die natürlichen Öffnungen im Schädel eines Säuglings zunutze zu machen.«

»Wie sollte das funktionieren?«

»Er hat mir erklärt, dass die alten Ägypter ganz ähnliche Dinge taten. Sie haben Kindern die Schädel in feste Bandagen gewickelt und sie so verformt. Es schien ihm zu gelingen, er konnte seiner Frau endlich ein innerlich gesundes Kind bringen, das lediglich scheinbar so krank war wie ihre Tochter.

Wie entsetzt musste er gewesen sein, als er am nächsten Tag feststellte, dass all seine Mühe vergebens gewesen war! Der Sohn hatte zwar Melissas Behinderung, aber er war nun einmal ein Junge.

Anfangs war Marias Freude groß gewesen. Sie hatte das Baby gewiegt und gefüttert – Letzteres sogar endlich erfolgreich, denn der Junge konnte schlucken. Doch am nächsten Morgen, als sie es baden oder wickeln wollte, war ihr der entscheidende Unterschied zwischen diesem fremden Kind und ihrer Tochter aufgefallen, und wie schon bei den anderen Kindern zuvor hatte sie versucht, diesen Unterschied auszumerzen.

Mit einer großen Küchenschere entmannte sie den Säugling, der daraufhin elend verblutete. Das arme Kind hatte sein Leiden endlich hinter sich, und der Doktor begrub einen weiteren kleinen Leichnam in seinem Keller.

Er verfluchte sich und seine Kurzsichtigkeit. Solch ein dummer Fehler würde ihm nicht noch einmal passieren! Der Doktor hatte seine Aufgaben schon immer sehr ernst genommen, so auch diese, die Wichtigste in seinem Leben.«

»Wann genau begannen Sie ihm zu … helfen?«

»Nun, bisher hatte der Doktor alles allein durchmachen müssen, aber nun, nachdem das Fehlen der Medikamente aufgefallen war und ich den Ausschuss auf eine falsche Fährte geführt hatte, fasste er Vertrauen zu mir.

Er ließ mich Maria kennenlernen, die süßeste, schönste Frau von allen. Und er ließ mich an seinem Leben teilhaben. Mich! Ich war bereit, ihm in allen Belangen beizustehen. Es schien mir alles so schrecklich, und er tat mir so fürchterlich leid! Und Maria, die arme, traurige Maria! Auch ohne selber Mutter zu sein, konnte ich doch nachfühlen, wie es ihr gehen musste.«

»Wann halfen Sie das erste Mal bei einer Entführung?«

»Entführung! Ich glaube, Sie wollen mich überhaupt nicht verstehen! Wir entführten die Kinder nicht, wir nahmen lediglich die in Obhut, die sowieso keine Familie hatten.

Es dauerte lang, bis wir Maria ein neues Kind bringen konnten. Die Tochter eines polnischen Arbeiters, der in den Obstfeldern, die sich rings ums Dorf schmiegten, bei der Ernte half, war schwanger. Das junge Mädchen gebar eine wunderschöne Tochter, die aber nicht schreien wollte — spontan beschloss ich, diesen Umstand zu nutzen, und brachte den Säugling hastig ins Nebenzimmer.