Der Fluch der schwarzen Hexe - Line Kyed Knudsen - E-Book

Der Fluch der schwarzen Hexe E-Book

Line Kyed Knudsen

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Beschreibung

Nach einem Unfall liegt Frederiks Cousine Liv im Koma. Als er und seine Familie die Verwandten auf deren abgelegenem Bauernhof in Schweden besuchen, geschehen seltsame Dinge und seine kleine Schwester Luna verhält sich sonderbar. Frederik kommen Zweifel, ob Liv tatsächlich einen Unfall hatte. Schon in der ersten Nacht auf dem Hof geraten die Dinge außer Kontrolle.-

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Line Kyed Knudsen

Der Fluch der schwarzen Hexe

Übersetzt von Patrick Zöller

Saga Kids

Der Fluch der schwarzen Hexe

 

Übersetzt von Patrick Zöller

 

Titel der Originalausgabe: Heksens forbandelse

 

Originalsprache: Dänisch

 

Copyright ©2015, 2023 Line Kyed Knudsen und SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728243053

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung des Verlags gestattet.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Kapitel 1

Graue Wolken jagen über den Himmel. Braune Blätter kleben am Auto, als mein Vater vor dem Krankenhaus parkt. Meine Tante und mein Onkel warten bereits auf uns. Mama umarmt beide. Meine kleine Schwester hält meine Hand. Ich schüttle sie ab.

„Komm, Frederik“, sagt mein Vater.

Ich steige aus dem Auto, aber es fühlt sich an, als wäre ich gar nicht hier. Stattdessen sehe ich alles von oben. Ich schwebe und sehe hinunter auf das große, graue Gebäude, vor dem meine Tante und mein Onkel stehen und weinen. Meine Mutter und mein Vater trösten sie. Ich rage dort unten auf dem Parkplatz auf, mit meinem dunklen, widerspenstigen Haar und meiner schwarzen Jacke und der schwarzen Hose. Meine Mutter meinte, ich müsse ordentlich aussehen, wenn wir meine Cousine zum letzten Mal besuchen.

Die abgewetzten Nikes passen nicht zum Rest meiner Kleidung, aber ich hatte ganz einfach Lust, sie anzuziehen.

Wieder spüre ich die warme Hand meiner kleinen Schwester. Sie zittert, und das stört mich. Ich muss nicht einmal auf sie heruntersehen. Ich weiß, dass sie mich anstarrt. Fragend und mit Tränen in den Augen.

„Nimm deine Hand weg, Luna“, sage ich.

„Aber was ist denn mit ihr?“, flüstert sie.

„Sie stirbt“, sage ich tonlos und folge der Familie ins Krankenhaus.

 

Liv ist meine Cousine. Sie liegt im Koma. Die Ärzte sagen, sie wird nicht wieder aufwachen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Entweder hört ihr Herz von selbst auf zu schlagen, oder sie schalten die Maschine ab, die sie am Leben hält. Liv ging in meine Parallelklasse. Sie war gerade 14 geworden, als es zu dem Unfall kam. Es ist erst 14 Tage her, dass sie auf der anderen Seite der Hecke stand und zu uns herübersah. Meine Tante und mein Onkel wohnen im Haus nebenan. Sie waren auf dem Weg nach Schweden. Ich saß im Garten, zusammen mit meinem besten Freund Mathias. Es war schon herbstlich, aber noch einigermaßen warm. Wir sprachen über das Spiel, das wir uns nachher bei ihm anschauen wollten, Arsenal gegen Manchester. Jeder von uns würde sein Team anfeuern und den anderen ärgern, sobald ein Tor auf der einen oder anderen Seite fallen würde.

Aber das war jetzt alles vollkommen egal. Es spielt überhaupt keine Rolle mehr, wie das Match ausging. Liv winkte uns zu, und Mathias wurde feuerrot. Er war verknallt in sie. Und das war auch kein Wunder. Liv war nicht nur charmant und redete wie ein Wasserfall, sie hatte auch lange, rote Locken und sehr blaue Augen, aus denen sie Mathias ansah, der dann immer völlig den Kopf verlor.

„Na, Jungs, ihr seht ja heute wieder echt gut aus!“, rief sie herüber und schlängelte sich durch ein Loch in der Hecke zu uns in den Garten.

„Wir sehen doch immer gut aus“, sagte ich lachend und stand von meinem Liegestuhl auf. Ich ging nicht davon aus, dass Mathias im Stande war, etwas herauszubringen. Es verschlug ihm jedes Mal die Sprache, wenn Liv in der Nähe war.

Ich spannte die Brustmuskeln an, und Liv pikste mich kichernd in den Oberarm. Mathias und ich trainierten viermal pro Woche. Ziel war ein gutes Sixpack bis zum Sommer, wenn wir 15 wurden. Das war zu schaffen, wenn wir hart an uns arbeiteten.

Das ist mir inzwischen egal. Meine Muskeln wollen nicht mehr. Ich bin schlapp und müde. Es ist völlig unwichtig, wie man aussieht.

„Ich kenne eine, die ist ganz verrückt nach dir, Frederik“, sagte Liv neckisch und ging dabei weiter durch den Garten.

„Und wen?“, rief ich ihr nach.

„Das ist ein Geheimnis!“, rief sie zurück und winkte meiner Mutter zu, die in der Küche stand und sich um das Abendessen kümmerte. „Und ich bin gut darin, ein Geheimnis zu bewahren.“ Liv hob einen der Äpfel auf, die im Gras lagen, und warf ihn nach mir. „Darin bin ich sogar die Beste, wenn ich ehrlich sein soll!“

„Ja, ja“, erwiderte ich nur. Ich setzte mich, strich mir das Haar in die Stirn, wandte das Gesicht den letzten Sonnenstrahlen zu und schloss die Augen. Und überlegte, wer verrückt nach mir sein könnte.

Die Sonne schien rot und tauchte den Garten in ein goldenes Licht. Ich öffnete das eine Auge einen Spaltbreit und trat gegen Mathias' Bein.

„Du musst irgendwas machen“, sagte ich. „Es passiert nichts, wenn du ihr nicht sagst, dass du auf sie stehst.“

Mathias revanchierte sich für den Tritt, und wir sprachen nicht weiter darüber.

Vielleicht war es Einbildung, aber wenn ich an diesen Tag zurückdenke, an dem ich sie zum letzten Mal lebendig sah, dann kommt es mir so vor, als sei alles aus Gold gewesen. Als wären wir ganz woanders gewesen, an einem Ort, an dem man nicht über den Tod nachdachte und an dem der Himmel blau und die eigene Bauchmuskulatur noch hart wie Stein war.

Meine Tante und mein Onkel saßen im Auto und hupten. Luna folgte Liv und sie verließen den Garten. Liv war wie eine große Schwester für sie. Sie half ihr dabei, Lesen und Schreiben zu lernen, wie man Pfannkuchen in die Luft wirft und wie man Skateboard fährt. Einmal, als Luna sich bei einer Wanderung mit der Schule den Fuß verstauchte, trug Liv sie einen halben Kilometer weit auf dem Rücken. Und am letzten Tag, als alles funkelte, umarmte Luna sie lange. Mathias sagte immer noch nichts. Hockte nur mit geschlossenen Augen in seinem Liegestuhl.

„Du darfst nicht gehen, Liv“, sagte Luna und wollte sie nicht loslassen.

„Am Sonntag sind wir wieder zu Hause“, sagte Liv und schob sie sanft von sich. „Dann sehen wir uns die ganzen Sachen an, die wir von Oma erben.“

Unsere Oma war drei Wochen zuvor gestorben. Meine Mutter war nicht besonders traurig gewesen. Nur Luna weinte mehrere Tage lang. Ich verdrückte ein paar Tränen bei der Beerdigung und dachte an die Sommerferien, die ich so oft zusammen mit Liv bei Oma verbracht hatte. Aber ich verbarg meine Tränen, als ich die schmalen Lippen meiner Mutter bemerkte, die neben dem Grab stand und zum Himmel starrte. Meine Tante tat es ihr nach, und hinterher sprachen sie darüber, dass Oma ja auch ziemlich alt geworden war. Es sei nur noch eine Frage der Zeit gewesen. Sie hatte nicht mal mehr ihre Pillen genommen, die der Arzt ihr verschrieben hatte.

Einmal waren meine Tante und mein Onkel schon in Omas Haus gewesen, um ein paar Sachen zu holen. Oma hatte auf einem großen, alten, abgelegenen Hof gewohnt, der sich seit Generationen im Besitz unserer Familie befand. Jetzt hatten wir ihn geerbt. Meine Tante, mein Onkel und Liv wollten dort einziehen. Es musste einiges geregelt werden. Meine Mutter wollte nichts damit zu tun haben.

Liv schaute mich an. Ihre Augen waren dunkler als normalerweise. „Eigentlich hab' ich überhaupt keine Lust, auf Omas Hof zu ziehen …“, sagte sie zögernd.

Ich stand auf. Normalerweise umarme ich Liv nicht, so wie Luna es immer tut, und ich tat es auch diesmal nicht, obwohl ich Lust dazu hatte.

Aber ich wünschte, ich hätte es getan.

Und ich wünschte, ich hätte zu ihr gesagt, sie solle sich einfach weigern, wegzuziehen. Sie könne bei uns bleiben. Sie musste nicht mitgehen.

„Du musst doch nicht nach da oben ziehen, in Omas Haus“, sagte Luna. Aber Liv schüttelte den Kopf. „Es ist nicht mehr Omas Haus. Es ist jetzt unser Haus.“

War ihr Lächeln anders als sonst? War da ein feuchtes Schimmern in ihren Augen?

„Übrigens schöne Grüße von Nina“, sagte sie und sah mich an.

„Danke“, sagte ich und glotzte auf meine Nikes.

Nina war Livs Freundin aus der Parallelklasse. Ein hochgewachsenes, schlankes Mädchen mit blondem Pferdeschwanz. Vor ein paar Jahren war ich mal mit ihr zum Schwimmen gegangen. Ich habe nie richtig mit ihr geredet. Liv blieb stehen und sah mich schelmisch an. Dann wurde sie nachdenklich. Die Sonne stand hinter ihr, ließ ihr Haar leuchten und tauchte ihr Gesicht in dunkle Schatten. Könnte ich die Zeit zurückdrehen, hätte ich sie gefragt, ob irgendetwas nicht in Ordnung war. Aber ich kann die Zeit nicht zurückdrehen.

Zehn Minuten nachdem sie gefahren waren, parkte ein total cooler, schwarzer Mercedes vor dem Haus meiner Tante und meines Onkels. Mit schwedischem Kennzeichen. Mathias und ich beobachteten den Mann, der ausstieg. Er trug einen Anzug und eine dunkle Sonnenbrille, klingelte ein paar Mal und fuhr wieder weg.

In der darauffolgenden Nacht träumte ich von Omas Haus. Ich kam aus dem Wald und ging darauf zu. Es regnete. Der Boden war matschig. Langsam näherte ich mich dem großen, roten Hof. Neben dem Hauptgebäude standen eine alte Scheune und ein freiliegender Erdkeller, der in die hügelige Landschaft gegraben und mit großen Steinen bedeckt worden war. Hinter dem Haus lag ein See mit schwarzem Wasser und spiegelglatter, völlig unbewegter Oberfläche. In meinem Traum brach die Dunkelheit sehr plötzlich und schnell herein, und mich beschlich das Gefühl, dass irgendetwas Seltsames vor sich ging. Ich sah hinüber zu dem Erdkeller. Öffnete man die beiden roten Türen, führte eine Steintreppe steil nach unten ins Dunkel. Im Traum standen die Türen offen, und das Dach der Scheune war teilweise eingestürzt. Ein gewaltiges Loch vermittelte den Eindruck, als habe etwas Großes und Schweres das Dach getroffen.

„Frederik …“, rief meine Cousine im Traum, und ich schreckte aus dem Schlaf hoch.

Am nächsten Tag geschah es. Es war Samstag, und es regnete. Genau wie in meinem Traum. Luna saß auf der Fensterbank und folgte mit dem Zeigefinger einem Tropfen, der die Scheibe herunterlief. Meine Mutter stand am Küchentisch und trank Kaffee. Ich hatte lange geschlafen, machte mir eins von den Brötchen, die mein Vater selbst gebacken hatte, und meckerte, weil wir nichts anderes im Haus hatten als Marmelade. Aber meine Mutter achtete nicht auf mich. Vielmehr sah sie ständig nervös hinüber zu Luna, die noch kein Wort gesagt hatte, seit ich aufgestanden war.

„Ich geh' rüber zu Mathias“, sagte ich und wollte gerade aufstehen, als Luna mit einem Schrei von der Fensterbank fiel. Einen Moment lang sah es so aus, als habe jemand sie geschubst.

„Liv!“ Verstört kroch Luna auf dem Boden herum, als wisse sie nicht, wo sie sich befand.

Zuerst lief mir ein kalter Schauer über den Rücken, und ich bekam einen Kloß im Hals. Aber dann wurde ich wütend auf Luna.

„Sei ruhig, Luna!“, rief ich und ging zu ihr, weil meine Mutter einfach nur dastand und auf sie herunterstarrte.

„Wo ist Liv?“, schrie Luna und setzte sich ruckartig auf.

„Sie sind oben in Omas Haus, in Schweden.“ Meine Mutter ließ sich neben meiner Schwester nieder und nahm sie in die Arme. Ich stierte in den Garten. Der Regen wurde stärker und prasselte auf das Gras.

„Warum hast du geschrien, Luna?“, fragte meine Mutter, nachdem Luna sich beruhigt hatte.

Ich ließ mich wieder auf meinen Stuhl fallen. Auf einmal hatte ich keine Lust mehr, zu Mathias zu gehen. Irgendetwas sagte mir, dass ich besser zu Hause bleiben sollte. Meine Beine zitterten unaufhörlich. Ich konnte den Blick nicht von Luna abwenden.

„Du bist echt ein Freak“, murmelte ich. „Schreist hier rum …“

Luna sagte nichts. Sie zeigte auf das Handy meiner Mutter, das auf dem Tisch lag. Dann sah sie mich mit ihren großen blauen Augen an. Als meinte sie, ich müsste doch wissen, was ihr einen solchen Schrecken eingejagt hatte.

„Ich habe Angst“, sagte sie mit ernster Stimme.

Ich schüttelte den Kopf und hätte sie am liebsten angeschrien, dass es nichts gab, wovor sie Angst haben musste.

Aber dann geschah es. Luna sprang auf, lief zu mir und packte meine Hand, gleichzeitig klingelte das Handy meiner Mutter. Lunas Augen füllten sich mit Tränen, und in meiner Brust bildete sich ein eiskalter Knoten.

Meine Tante war am Telefon. Ihr hysterisches Schreien drang bis zu mir. Sie klang genauso verzweifelt wie Luna. Wie in Trance kippte ich Marmelade auf mein Brötchen. Meine Mutter hatte vergessen, einen Löffel in das Glas zu stecken. Erdbeerstückchen fielen mit einem leisen Platschen auf das weiße Innere des Brötchens. Meine Mutter presste das Handy ans Ohr und wippte auf ihrem Stuhl vor und zurück, griff sich an die Brust und begann zu weinen. Luna sank wieder auf dem Boden zusammen.

Abwechselnd sah ich beide an. Es war, als spiele sich alles in Zeitlupe ab. Luna weinte und kroch auf dem Boden herum. Ich hätte ihr aufhelfen und sie trösten sollen, sie umarmen sollen, irgendetwas tun sollen. Ich war ihr großer Bruder, und es schien, als hätte meine Mutter uns vollkommen vergessen, während sie mit meiner Tante sprach.

Als das Gespräch zu Ende war, atmete meine Mutter tief ein, aber als sie ausatmete, begann sie zu schluchzen und ihr Gesicht verzog sich zur Grimasse. Sie und ich standen gleichzeitig auf. Ich bin ihr über den Kopf gewachsen, kann auf sie herunterschauen. Luna lag auf dem Boden, zusammengerollt wie eine alte Kellerassel.

„Es ist ein Unglück geschehen.“ Meine Mutter starrte mich lange an. „Liv ist sehr ernstlich zu Schaden gekommen.“

Ich fasste mir an den Hals und dachte an Livs traurigen Blick, als ich zuletzt mit ihr gesprochen hatte.

Liv im Gegenlicht der roten Sonne: Eigentlich hab' ich überhaupt keine Lust, auf Omas Hof zu ziehen …

„Sie haben sie in diesem Erdkeller gefunden“, sagte meine Mutter.

„Sie glauben, sie ist die Treppe runtergefallen und unglücklich aufgeschlagen …“ Meine Mutter blinzelte die Tränen weg. „Sehr heftig. Mit dem Kopf.“

Den Rest des Tages saßen wir herum und warteten auf Neuigkeiten aus dem Krankenhaus in Schweden. Erst am Abend rief meine Tante wieder an.

„O Gott“, sagte meine Mutter wieder und wieder. „O Gott! Gott im Himmel!“

„Liv liegt im Koma“, erklärte sie uns hinterher und versuchte, mich zu umarmen. Ich gab mich widerspenstig. Mein Körper war gespannt wie ein Flitzebogen. Am liebsten hätte ich auf irgendetwas eingeschlagen. Also hämmerte ich mit der Hand gegen die Schranktür.

„Tut sie nicht!“, schrie ich, weil ich es einfach nicht glauben wollte. Es musste ein Irrtum sein. Ich schüttelte den Kopf.

„Was ist ein Koma?“, flüsterte Luna tränenerstickt, und meine Mutter erklärte ihr, Liv habe sich so heftig den Kopf gestoßen, dass die Ärzte nicht wussten, ob sie wieder aufwachen würde. „Eine Maschine hält sie künstlich am Leben.“

„Sie wacht wieder auf!“, brüllte ich und stieß gegen einen der Küchenstühle, sodass er umfiel.

Aber meine Mutter schüttelte nur den Kopf. Beugte sich über Luna und hob sie auf. Trug sie ins Wohnzimmer und legte sie aufs Sofa. Luna rang nach Luft. Schluchzend redete meine Mutter auf sie ein, während ich allein in der Küche stand. Ich konnte nicht weinen, aber in der Nacht träumte ich wieder von dem alten Hof. Und von Liv, die nach mir rief. Wachte wie vom Schlag getroffen und schweißgebadet auf.

Ich sah auf mein Handy. Es war Sonntagmorgen. Im Haus war alles leise. Die Sonne schien wieder. Meine Eltern waren im Garten. Beide hatten ihr Handy ans Ohr geklemmt und liefen auf der Wiese hin und her. Redeten und gestikulierten. Hin und wieder blieben sie stehen und nahmen sich in die Arme. Meine Mutter stand mit dem Rücken zu mir, trotzdem sah ich, dass sie weinte und schluchzte. Aber ich konnte sie nicht hören. Ich konnte nur Lunas Murmeln auf der anderen Seite der Wand hören. Zögernd ging ich auf den Flur, um nachzusehen, mit wem sie sprach. Lauschend trat ich an die Tür zu ihrem Zimmer. Meine kleine Schwester flüsterte. Langsam drückte ich den Türgriff nach unten. Lunas Murmeln brach ab, als ich die Tür öffnete. Sie saß auf dem Boden, vor sich zwei Puppen.

„Ich habe Angst, Frederik“, sagte sie. „Ich kann sie hören.“

Ich dachte an den Traum, in dem Liv nach mir gerufen hatte. Ich hatte sie auch gehört.

Ich schüttelte den Kopf. Ging zurück in mein Zimmer. „Sie ist so gut wie tot, Luna“, schrie ich durch die Wand. „Begreif das endlich!“

Es verging eine Woche. Dann wurde Liv ins Nationalkrankenhaus nach Kopenhagen gebracht. Andere Ärzte untersuchten sie. Auch sie meinten, Liv würde nicht wieder aufwachen. Und ich träumte jede Nacht denselben Traum. Ich kam aus dem Wald und ging auf das Haus zu. Ich wollte Liv finden. Ich versuchte, ihren Namen zu rufen, aber mein Hals schnürte sich zusammen, und ich brachte keinen Ton heraus. Das Loch im Dach der Scheune war größer geworden. Der Abgang in den Erdkeller glich einem schwarzen Schlund. Kalte Luft strömte von unten heraus, und ein fauchendes Geräusch aus dem Dunkel, ließ mein Blut zu Eis gefrieren.

Gestern habe ich meine Mutter gefragt, ob das Dach der Scheune kaputt war.