Der Kampf der Hexen - Line Kyed Knudsen - E-Book

Der Kampf der Hexen E-Book

Line Kyed Knudsen

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Beschreibung

Frederik, Liv und Luna sind weiße Hexen. Ihre wichtigste Aufgabe besteht darin, die schwarzen Hexen zu bekämpfen, die mit allen Mitteln versuchen, die Macht über sie zu gewinnen. Aber wie sollen sie das anstellen? Wer hilft ihnen, ihre neuen Kräfte zu beherrschen und einzusetzen? Der Rest der Familie will mit Hexen und Magie nichts zu tun haben. Sie sind auf sich allein gestellt. Oder doch nicht?Jemand folgt ihnen auf Schritt und Tritt, aber wer? Warum gehen überall in ihrem Umfeld seltsame Dinge vor sich? Wer ist ihr Freund, wer ihr Feind?Genießt die Fortsetzung von Der Fluch der Hexe und spürt, wie euch das kalte Grauen unter die Haut kriecht!-

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Line Kyed Knudsen

Der Kampf der Hexen

Übersetzt von Patrick Zöller

Saga Kids

Der Kampf der Hexen

 

Übersetzt von Patrick Zöller

 

Titel der Originalausgabe: Heksenes kamp

 

Originalsprache: Dänisch

 

Copyright ©2017, 2023 Line Kyed Knudsen und SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728243060

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung des Verlags gestattet.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Kapitel 1

Der Nebel liegt wie eine schwere Decke über den Blättern im Garten. Es ist kalt. Nackt stehen die Bäume entlang der Straße. Es ist Sonntag und wir sind bei meiner Tante und meinem Onkel zum Abendessen. Ich sitze nah am Fenster und schaue immer wieder hinüber zu der Straßenlaterne, dem einzigen Licht im Dunkel hinter der Scheibe.

„Iss noch etwas“, sagt mein Onkel und reicht mir die Soße.

Meine Tante zwinkert mir freundlich lächelnd zu und tätschelt fast ununterbrochen Livs Schulter.

Die Stimmung ist gedrückt. Ich sehe erst Liv und dann Luna an.

Meine Cousine und meine kleine Schwester sehen sich sehr ähnlich. Ihre roten Locken und ihre weiße Haut stehen in starkem Kontrast zu meinen braunen, widerspenstigen Haaren. Auch bin ich kräftiger gebaut als sie und nehme immer sehr schnell eine sommerliche Bräune an, wenn die Sonne scheint. Auf den ersten Blick käme man nicht darauf, dass wir verwandt sind – und erst recht nicht darauf, dass wir ein altes, bedrückendes Geheimnis gemeinsam haben.

Vor ein paar Tagen wurde Liv aus dem Krankenhaus entlassen. Sie hatte im Koma gelegen, war aber wieder aufgewacht. Alle nennen es ein Wunder. Sie hätte tot sein müssen. Die Ärzte waren ganz kurz davor gewesen, das Beatmungsgerät abzuschalten. Niemand weiß, was ihr tatsächlich zugestoßen ist. Niemand außer mir, meiner kleinen Schwester Luna, Nina und Mathias. Und natürlich der alten Maja von dem abgelegenen Hof in Schweden. Alle glauben, Liv sei die Treppe runtergefallen, ein tragischer Unfall. Aber es war die schwarze Hexe, die versuchte, sich aus ihrer Urne und von dem Bann zu befreien. Oder besser: Ich gehe jedenfalls davon aus, dass es die schwarze Hexe war, die auf irgendeine Weise dafür gesorgt hat, dass Liv stürzte, weil sie die Urne mit den sterblichen Überresten geöffnet und das Medaillon herausgenommen hatte, das unsere Familie und andere weiße Hexen seit Jahrhunderten beschützt. Aber jetzt kenne ich das Geheimnis. Unsere Familie ist schon sehr speziell. Wir sind Hexen. Beziehungsweise ein paar von uns sind Hexen. Ich bin nicht sicher, ob meine Mutter und meine Tante Hexen sind. Es scheint, als wüssten sie von nichts. Laut Maja war meine Oma enttäuscht darüber, dass ihre Töchter keine Fähigkeiten besaßen. Im Gegensatz zu Liv und Luna.

Meine Schwester hat magische Kräfte. Ich habe es selbst gesehen. Luna hat Liv umarmt oder ihr die Hände aufgelegt oder so ähnlich, und dabei ist Liv aus dem Koma aufgewacht.

Das Handy meiner Tante klingelt. „Da gehe ich nicht ran“, sagt sie sofort, nimmt mir die Soßenschale aus der Hand und gibt reichlich davon auf Livs Teller. „Die Journalisten könnten einen ja auch irgendwann mal wieder in Ruhe lassen.“

Die Geschichte vom Wunder im Krankenhaus griff die Presse nur zu gerne auf. Und seitdem klingeln die Handys meiner Mutter und meiner Tante fast pausenlos.

„Genau“, sagt meine Mutter und reicht die Fleischplatte herum.

Zum ersten Mal seit Langem hat sich unsere Familie zum gemeinsamen Abendessen versammelt.

Nur mein Vater ist nicht dabei. Er ist auf Geschäftsreise in Deutschland und kommt erst in einer Woche zurück. Aber wir anderen feiern, dass Liv endlich wieder zu Hause ist. Ab morgen wird sie auch wieder in die Schule gehen.

Alle sitzen wir wie auf heißen Kohlen und beobachten Liv, ohne dass sie es bemerkt. Sie hat heute Abend noch nicht allzu viel gesagt, stochert eigentlich nur in ihrem Essen herum, und ich weiß auch warum: Sie ist wütend. Sowohl auf ihre Mutter als auch auf meine Mutter. Weil sie nicht akzeptieren wollen, dass unsere Familie besonders ist.

Seit sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bin ich nicht einmal allein mit Liv gewesen. Ich habe alle Artikel gelesen, die im Netz über sie erschienen sind. Dass die Ärzte sie bereits aufgegeben hatten. Das ganze Theater mit den Medien begann, weil eine Krankenschwester offenbar den Lichtschein gesehen hatte, der Liv umgab, bevor sie aufwachte. Kurz darauf rief sie bei einem Fernsehsender an, weil sie das Bild nicht mehr aus dem Kopf bekam. Sie hatte Lunas Leuchten gesehen. Luna hatte Liv geheilt, indem sie ihr die Hände auf die Brust gelegt hatte. Die Journalisten hatten die Ärzte kritisiert und ihnen einen fürchterlichen Irrtum vorgeworfen. Denn sie glaubten ja, Liv sei von selbst wieder aufgewacht.

Mehrere Tage lang war Livs Aufwachen aus dem Koma auf den Titelseiten mehrerer Zeitungen. Meine Tante und mein Onkel weigerten sich, Interviews zu geben. Und vielleicht riefen die Journalisten gerade deshalb so hartnäckig auf ihren Handys an. Nur ein Oberarzt aus dem Krankenhaus hatte sich öffentlich geäußert.

„Wunder geschehen“, hatte er zur Protokoll gegeben. „Mehr kann ich dazu nicht sagen.“

Aber einer der Journalisten hakte nach. „Eine Krankenschwester behauptet, das Zimmer habe geleuchtet, kurz bevor die Patientin aus dem Koma aufgewacht ist. Was sagen Sie dazu?“

Der Arzt schüttelte den Kopf. „Das muss wohl die Beleuchtung gewesen sein. Sie war schon seit Tagen defekt. Und dann die Doppelschichten. Das kann selbst erfahrensten Kolleginnen zu schaffen machen.“

Sogar mir waren Journalisten und Fotografen aufgelauert, auf dem Weg zur Schule, und das zweimal. Ob ich etwas zu dem Geschehen im Krankenhaus sagen könnte. Eine Frau mit feuerroten Haaren und stechendem Blick war besonders hartnäckig.

Sie fing mich vor der Schule ab und fragte ein paar Mal: „Was kannst du mir zu deiner Cousine sagen? Wie geht es ihr?“

„Gut“, sagte ich kurz angebunden.

„Ja, das glaube ich gerne“, sagte die Journalistin und folgte mir noch ein Stück. „Hast du gesehen, was im Krankenhaus passiert ist? Stimmt es, dass sie leuchtete?“

Ich antwortete nicht. Schwang mich auf mein Fahrrad und raste nach Hause. Denn ich werde unser Geheimnis niemals jemandem verraten. Die Leute würden uns für verrückt halten, wenn wir die Wahrheit sagten. Das Wunder-Mädchen nannten die Zeitungen Liv in ihren Schlagzeilen. Inzwischen war es Wochen her, dass sie aus dem Koma aufgewacht war, und zum Glück hat das Interesse inzwischen nachgelassen. Die Telefone klingeln nicht mehr so oft, und allmählich kommt unsere Familie ein wenig zur Ruhe.

Als ich einmal kurz Blickkontakt mit ihr habe, lächle ich meiner Cousine zu, nur um irgendeine Reaktion bei ihr hervorzurufen. Aber sie schaut nur auf die Tischplatte und ich dippe mein Stück Fleisch in die Soße und esse weiter. Erst beim Nachtisch wirft Liv mir einen diskreten Blick zu, als wolle sie mir zu verstehen geben, dass wir hier am Tisch nicht über das sprechen können, was passiert ist. Ich glaube nicht, dass unsere Eltern etwas von der schwarzen Hexe wissen. Maja sagte, meine Mutter und meine Tante hätten keinerlei Kräfte. Dass diese Fähigkeiten eine Generation überspringen. Nur Liv und Luna tragen das Leuchten in sich.

Unsere Mütter wissen es nicht. Einmal habe ich versucht, mit meiner Mutter darüber zu sprechen. Luna war auch dabei.

„Aber du weißt schon, dass sich Hexensymbole hinter den Bildern von Liv und Luna befinden, die in Omas Haus in Schweden hängen?“

Meine Mutter unterbrach mich sofort.

„Es gibt keinen Grund, deiner kleinen Schwester Angst zu machen.“ Meine Mutter schrie mich geradezu an. „Und ab sofort reden wir nicht mehr über Omas Haus. Es hat unserer Familie schon genug Unglück gebracht!“

Luna hatte sich dermaßen erschreckt, dass ich ihre Hand nahm und sie an mich zog. Ich war wütend auf meine Mutter, denn schließlich war sie es, die Luna Angst machte, nicht ich.

„Wir sprechen besser nicht über die weißen Hexen“, flüsterte Luna mir ins Ohr. „Mama mag das nicht.“

„Ja, das ist mir auch klar“, zischte ich ihr zu.

Meine Mutter hatte uns auf seltsame Weise angestarrt, aber nichts mehr gesagt. Jetzt schaut sie meinen Onkel an, als wolle sie ihn auffordern, etwas zu sagen. Hinter ihm hängen einige Familienfotos, alle in Schwarzweiß. Auf einem davon stehe ich zwischen Liv und Luna. Wir lächeln alle drei. Das Bild von Liv als kleines Mädchen, wie sie in die Schule kam, hängt auf dem Kopf. Das überrascht mich. Ich sehe meinen Onkel an. Ich glaube nicht, dass meine Tante und mein Onkel und meine Eltern es wissen. Dass Oma uns eine ganze Menge mehr hinterlassen hat als bloß eine Urne voller Asche. Dass Liv und Luna die Kräfte der weißen Hexen besitzen. Dass ich vielleicht auch Hexenkräfte habe.

Ich habe ein Kribbeln in den Fingern, meine Beinmuskulatur ist angespannt.

Seit dem Wochenende auf dem abgelegenen Hof in Schweden spüre ich eine neue und sonderbare Energie in mir. Es fühlt sich an, als hätte ich sowohl zu viel Cola getrunken als auch ein paar Nächte wach gelegen. Und außerdem muss ich ständig an Nina denken. Seit letzter Woche haben wir nicht miteinander geredet. Aber sie hat mir zwei Nachrichten geschickt. Sie schreibt nur, dass sie hoffe, es gehe mir gut. Und dass es Luna gut geht. Und dass sie immer noch geschockt ist wegen dem, was wir erlebt haben.

Du warst so toll, Frederik. Ich muss immer daran denken, was auf dem Hof passiert ist. Und an dich. Was DU kannst.

Fast kann ich ihre Stimme in meinem Kopf hören, wie sie diese Worte sagt. Ich lese die Nachricht wieder und wieder. Nina denkt an mich. Unruhig trommelt mein Fuß unter dem Tisch auf den Boden. Ich habe ihr nicht geantwortet. Noch nicht. Ich schaue aus dem Fenster. Die Straßenlaterne blinkt zweimal, dann geht sie aus und die Nacht wird undurchdringlich schwarz. Eine Erinnerung an die Ereignisse im Erdkeller blitzt in meinem Bewusstsein auf, wie ein schwarze, fauchende Katze. Die schwarze Hexe, die mich anspringt, um mich zu töten. Ich wende den Blick vom Fenster ab und spüre den eisigen Schauer, der mir über den Rücken läuft. Solange das magische Medaillon und die sterblichen Überreste zusammen in der Urne liegen, geschieht nichts.

Meine Mutter sieht immer noch meinen Onkel an. Und endlich bemerkt er es. Die schlechte Stimmung hängt über uns wie der Nebel draußen hinter dem Fenster, der dichter und dichter wird. Mit einem Löffel klopft er an sein Glas und steht auf.

„Ich möchte ein paar Worte sagen“, setzt er feierlich an, und meine Zehen rollen sich zusammen. „Liebe Liv, willkommen zu Hause.“ Er schnieft und schüttelt den Kopf.

Liv schaut ihn an. „Danke, Papa“, sagt sie lächelnd. „Es ist schön, wieder zu Hause zu sein …“

Es ist so peinlich, dass ich mich abwende und wieder aus dem Fenster starre. Und einen Schatten bemerke, der sich wie eine grobkörnige Masse durch den Garten auf das Haus zubewegt. Jetzt schaut auch meine Mutter aus dem Fenster.

„Erwarten wir Gäste?“, fragt sie meine Tante.

Meine Tante schüttelt den Kopf. Sie knüllt ihre Serviette zusammen. „Hoffentlich nicht schon wieder einer von diesen verdammten Journalisten!“

Eine kleingewachsene Gestalt löst sich aus dem Nebel und geht mit raschen Schritten auf die Haustür zu. Meine Mutter und meine Tante zucken erschrocken zusammen, als es klingelt. Mein Onkel steht auf, verlässt das Zimmer und öffnet die Haustür. Einen Moment später ist er zurück.

„Hast du Maja eingeladen?“, fragt er und sieht meine Tante skeptisch an.

Meine Mutter und meine Tante stehen gleichzeitig auf und werfen ihre Servietten auf den Tisch.

Maja kommt herein. Sie trägt eine riesengroße grüne Jacke mit Kapuze. An ihren Stiefeln klebt getrockneter Schlamm. Mit von der Kälte geröteten Wangen und nach Luft schnappend steht sie da.

„Du liebe Zeit, Maja“, sagt meine Mutter. „Was machst du denn hier in Dänemark?“

„Bist du den ganzen Weg von Schweden hierhergekommen?“, fragt meine Tante.

„Ja“, sagt Maja und richtet sich ein wenig auf. „Was bleibt mir übrig, wenn ihr nicht auf meine Anrufe reagiert?“, erwidert Maja in singendem Schwedisch. Sie nickt mir kurz zu, dann auch Luna und Liv.

„Hej, Maja!“, sagt Luna, läuft zu ihr und umarmt sie.

Meine Mutter, meine Tante und mein Onkel haben sich vor Maja aufgebaut, als wollten sie uns vor ihr beschützen.

Es ist deutlich spürbar, dass Maja nicht willkommen ist. Liv steht auf. „Wollt ihr Maja nicht anbieten, sich zu setzen?“, fragt sie giftig.

„Ja“, sagt Luna. „Setz dich doch, Maja.“

„Sehr gerne“, sagt Maja mit einem Lächeln, zieht ihre Jacke aus und hängt sie an die Garderobe. Mit Mühe entledigt sie sich ihrer Stiefel. „Ich könnte etwas zu essen vertragen …“ Maja sieht meine Tante an. „Ich bin stundenlang gefahren, Aslaug“, sagt sie matt, als sei sie auf das Mitleid meiner Tante aus.

Aber meine Tante gibt nur einen Laut von sich, der mehr einem höhnischen Schnauben ähnelt als einem mitleidigen Seufzer.

„Ich wärme dir die Soße auf“, sagt sie und verschwindet in der Küche.

Kurz darauf sitzt Maja am Tisch und schaufelt sich Fleisch und Kartoffeln in den Mund.

„Ja, das dachte ich mir schon, Aslaug“, lächelt Maja und gießt die restliche Soße aus der Kanne über ihren Teller. „Dass du eine gute Köchin bist.“ Dann sieht sie meine Mutter an. „Kannst du auch so gut kochen, Brynhild?“

„Selbstverständlich“, sagt meine Mutter schnippisch, ohne Maja anzusehen.

„Was führt dich nach Kopenhagen, Maja?“, fragt mein Onkel bemüht freundlich.

Maja kaut weiter. Einen nach dem anderen sieht sie uns an. Zuerst mich und meine Cousine, dann Luna, meine Mutter und meine Tante.

„Ihr könnt nicht länger ignorieren, wer ihr seid“, sagt sie schließlich.

„Ach, jetzt geht das schon wieder los“, sagt meine Mutter verärgert.

Meine Tante starrt auf ihren Dessertteller, auf dem eine Kugel Eis vor sich hinschmilzt.

„Brynhild! Aslaug! Seht mich an!“ Maja klingt jetzt aufgebracht.

„Sei still“, faucht meine Mutter. „Was soll das, hierherzukommen und Thyra zu spielen …?“

„Ich war Thyras Beschützer“, unterbricht Maja sie, „und ihr müsst endlich begreifen, dass es eure Pflicht ist, euren Kindern alles beizubringen. Es ist nicht meine Schuld, dass Thyra viel zu früh gestorben ist.“ Maja schnauft wütend. „Ihr müsst endlich Verantwortung übernehmen!“ Maja sieht mich an. Es kommt mir vor, als würde sie mir zuzwinkern.

Mein Onkel steht auf und schüttelt den Kopf. Er tritt einen Schritt zurück. „Also darum geht es mal wieder, dieses Mystische“, sagt er leise und rollt mit den Augen.

„Ich denke, du fährst besser wieder zurück nach Schweden, Maja“, sagt meine Mutter eiskalt. „Ich bin es leid mit dir. Du hast sie doch nicht alle, und wir lassen nicht zu, dass du unsere Kinder da mit reinziehst.“ Meine Mutter steht auf, als wolle sie Maja zur Tür bringen.

„Ich bin noch nicht mit dem Essen fertig“, gibt Maja trocken zurück. Dann sieht sie Liv an. „Der Nachtisch sieht lecker aus …“

„Kannst du nicht einfach verschwinden?“, fragt meine Tante leise, während sie auf ihren Teller starrt. Mein Onkel geht zu ihr und legt schützend den Arm um ihre Schultern.

Ich nehme Lunas Hand. Ich spüre, dass sie Angst hat. Meine Familie führt sich schrecklich auf, die arme Maja.

„Brynhild und Aslaug“, sagt Maja und greift nach der Packung Eis. „Ihr seid weiße Hexen, und obwohl ihr nicht daran glaubt, verstecken sich tief in euren wirren Köpfen höchstwahrscheinlich ein paar vergessene Kräfte. Thyra war nur nicht in der Lage dazu, sie bei euch zu wecken, aber eure Kinder haben ganz eindeutig enorme Kräfte, und deshalb müsst ihr auf sie aufpassen, und zwar anders als im herkömmlichen Sinn.“ Maja legt eine Kunstpause ein und deutet mit der Hand auf die Dunkelheit draußen hinter dem Fenster. „Unsere Feinde sind da draußen, und jetzt, da Thyra tot ist, wissen sie, dass wir verwundbar sind. Sie können jederzeit zuschlagen!“ Maja starrt auf ihr Eisbällchen. „Kann man vielleicht einen Löffel bekommen?“, fragt sie seelenruhig.

Liv schiebt ihr einen Löffel zu.

„Ich bin froh, dass du gekommen bist, Maja“ sagt sie dann beinahe feierlich.

„Das bin ich auch“, antwortet Maja lächelnd und schiebt sich einen Löffel Eis in den Mund. „Auch wenn es mal wieder eine schreckliche Autofahrt war.“

„Wir haben keine Ahnung, wovon du sprichst, Maja“, sagt meine Tante leise. Mit feuchten Augen sieht sie Maja an.

„Doch, habt ihr“, sagt Maja, verdreht die Augen und schnaubt beleidigt. „Und ihr solltet euch schämen, dass ihr die Linie der weißen Hexen nicht weiterführen wollt!“

„Maja!“, schreit meine Mutter plötzlich. „Ich will das Wort Hexe nicht noch einmal hören!“

Liv springt auf. Ihr Stuhl fällt nach hinten um. Abwechselnd fixiert ihr Blick meine Mutter und meine Tante.

„Aber …“, bringt sie unsicher hervor. „Versteht ihr denn nicht? Das ist ein Teil von uns! Maja hat recht. Wir müssen …“

„Halt den Mund“, zischt meine Tante mit zusammengebissenen Zähnen.

Meine Mutter breitet die Arme aus und verdreht nun ihrerseits die Augen. „Da hast du's!“, wendet sie sich an meine Tante. „Mutter hat es trotz allem geschafft, sie zu verderben …“

„Ich bin nicht verdorben“, sagt Liv schockiert. „Ihr begreift nur einfach nichts.“

Luna nimmt meine Hand. Mit großen Augen starrt sie in die Runde. Eigentlich kann sie nicht verstehen, was vor sich geht, aber ich weiß, wie klug sie ist. Obwohl sie immer noch erst acht Jahre alt ist, weiß sie ganz genau, dass meine Mutter so wütend ist, weil sie nichts mit Omas Leben zu tun haben will.

Meine Tante hebt den Blick. „Wir wissen es“, setzt sie an. „Wir wissen, dass Oma einem Hexenkult angehörte, und wir wissen, dass sie in ihrem Keller eine Urne aufbewahrte.“

Luna keucht. Maja nickt. Liv steht mit offenem Mund da. „Aber wir sind keine Hexen“, fährt meine Mutter fort. Ich sehe, dass sie innerlich kocht vor Wut. „Es gibt keine Hexen!“

„Eine schwarze Hexe ist schuld an dem, was mir passiert ist“, sagt meine Cousine leise.

„Das stimmt, Mama“, fügt Luna hinzu.

„Weil ich das Medaillon aus der Urne genommen habe, in Omas Keller“, fährt Liv fort. „Dadurch wurde die Hexe befreit, und sie wollte mich und Luna umbringen.“

Mir fällt ein, dass auch meine Mutter mit einer Verletzung aus dem Keller kam, sie blutete am Kopf und musste ins Krankenhaus.

„Dir ist sie auch begegnet, oder Mama?“, frage ich und erwidere ihren eiskalten Blick. „Die schwarze Hexe meine ich.“