Der Fluch des Fremden - Alexander Hartung - E-Book

Der Fluch des Fremden E-Book

Alexander Hartung

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Beschreibung

"Ich verfluche euch! (…) Mein Tod wird mir die Rache ermöglichen, welche mir im Leben verwehrt war." Deutschland, Anfang des 17. Jahrhunderts: Das große, jährliche Dorffest in Furtenblick endet unerwartet, als ein Fremder das Podium besteigt und den grausamen Tod von vier Bürgern ankündigt. Um seinen unheilvollen Fluch zu stärken, stürzt er sich über eine Klippe in den nahen Fluss. Am Tag danach findet man flussabwärts die zerschmetterte Leiche. Kurz darauf gibt es das erste Opfer. Genau wie im Fluch angekündigt, liegt der Tote nackt im Wald und ist von Insekten übersät. Während alle anderen vor Angst erstarrt sind, entscheiden sich die Witwe Katharina Volck und ihr Nachbar Jakob Kohlhepp, der Sache auf den Grund zu gehen. Katharina findet Spuren, die sie einen Mord und keinen Todesfluch vermuten lassen, doch ihre Annahmen finden bei den abergläubigen Menschen in Furtenblick nur wenig Gehör. Einzig Jakob vertraut ihr, während Bruder Theobald, der Priester des Dorfs, weiter die Angst der Menschen schürt. Er wirft ihnen mangelnden Glauben und die Abkehr von Gott vor. Das Dorf hat sich von dem ersten Schrecken noch nicht erholt, als die Mutter des Dorfschmieds auf offener Straße zusammenbricht. Schnell gerät der junge Holzfäller Ubald unter Verdacht, etwas mit dem Fluch zu tun zu haben. Katharina und Jakob müssen schnell handeln, um sein Leben zu beschützen. Kurz darauf wird der Weinbauer und Wohltäter Lukas Kolb, ertrunken in seinem Blut, gefunden. Katharina untersucht heimlich die Leiche des Weinbauers, um dem Mörder auf die Spur zu kommen. Sie spürt, dass hinter all dem mehr steckt, begegnet jedoch einer Mauer des Schweigens. Wem kann sie noch vertrauen? Und wer wird das nächste Opfer sein? Aberglaube, Rache, Mord und Liebe – Bestsellerautor Alexander Hartung entführt uns mit einer spannenden Mordserie ins 17. Jahrhundert!

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Alexander Hartung

Der Fluch des Fremden

Historischer Roman

 

Über das Buch

„Ich verfluche euch! (…) Mein Tod wird mir die Rache ermöglichen, welche mir im Leben verwehrt war.“

Deutschland, Anfang des 17. Jahrhunderts: Das große, jährliche Dorffest in Furtenblick endet unerwartet, als ein Fremder das Podium besteigt und den grausamen Tod von vier Bürgern ankündigt. Um seinen unheilvollen Fluch zu stärken, stürzt er sich über eine Klippe in den nahen Fluss. Am Tag danach findet man flussabwärts die zerschmetterte Leiche.

Kurz darauf gibt es das erste Opfer. Genau wie im Fluch angekündigt, liegt der Tote nackt im Wald und ist von Insekten übersät. Während alle anderen vor Angst erstarrt sind, entscheiden sich die Witwe Katharina Volck und ihr Nachbar Jakob Kohlhepp, der Sache auf den Grund zu gehen.

Katharina findet Spuren, die sie einen Mord und keinen Todesfluch vermuten lassen, doch ihre Annahmen finden bei den abergläubigen Menschen in Furtenblick nur wenig Gehör. Einzig Jakob vertraut ihr, während Bruder Theobald, der Priester des Dorfs, weiter die Angst der Menschen schürt. Er wirft ihnen mangelnden Glauben und die Abkehr von Gott vor.

Katharina spürt, dass hinter all dem mehr steckt, begegnet jedoch einer Mauer des Schweigens. Wem kann sie noch vertrauen? Und wer wird das nächste Opfer sein?

Aberglaube, Rache, Mord und Liebe – Bestsellerautor Alexander Hartung entführt uns mit einer spannenden Mordserie ins 17. Jahrhundert!

Impressum

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.

Alle Akteure des Romans sind fiktiv, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind vom Autor nicht beabsichtigt.

 

Copyright © 2022 by Maximum Verlags GmbH

Hauptstraße 33

27299 Langwedel

www.maximum-verlag.de

 

1. Auflage 2022

 

Lektorat: Bernadette Lindebacher

Korrektorat: Traudl Kupfer

Satz/Layout: Alin Mattfeldt

Umschlaggestaltung: Alin Mattfeldt

Umschlagmotiv: © SkullUp / Shutterstock, Amanda Carden / Shutterstock, Alexander Levitsky / Shutterstock

E-Book: Mirjam Hecht

 

Druck: Booksfactory

Made in Germany

ISBN: 978-3-948346-64-5

 

Inhalt

 

Über das Buch

Impressum

Widmung

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

Epilog

Der Autor Alexander Hartung

MAXIMUM: Historische Romane von Carmen Mayer

MAXIMUM: Weitere historische Romane

Widmung

Für Kacy Woodyard und ihre großartige Familie. In ewiger Dankbarkeit und Verbundenheit.

Prolog

Die Tür des Wirtshauses schlug mit einem lauten Knall auf. Zwei Soldaten zerrten einen Mann in Ketten hinter sich her. Sein dunkles Haar war schweißdurchtränkt und stand wild von seinem Kopf ab. Das noch junge Gesicht war vor Entsetzen verzerrt. Tränen liefen ihm die Wangen herunter.

„Ich bin kein Mörder“, flehte er verzweifelt. „Ihr müsst mir glauben.“

„Hängt das Schwein an den nächsten Baum“, schrie ein älterer Mann, der ihnen gefolgt war. „Der Kerker ist zu gnädig für ihn.“

„Gott ist mein Zeuge“, entgegnete der Gefangene, während er sich gegen den Griff der Soldaten stemmte.

„Ich habe keine Schuld am Tod des Mannes.“

„Giftmischer“, brüllte eine Frau und spuckte ihn an.

„Zurück“, befahl eine der Wachen und schob die wütende Menge weg. Immer mehr Männer und Frauen strömten hinter den Soldaten aus dem Wirtshaus, wo dem Gefangenen gerade der Prozess gemacht worden war. Sie reckten die Fäuste, und das wütende Glitzern in ihren Augen ließ keinen Zweifel daran, dass sie den Gefangenen in Stücke gerissen hätten, wenn die Soldaten des Vogts sie nicht zurückgehalten hätten.

Einer von ihnen nahm den Stiel seiner Hellbarde und hielt die aufgebrachte Menge zurück. „Bring ihn endlich in den Wagen“, schrie er, während er sich mit aller Kraft gegen die wütenden Dorfbewohner stemmte. Sein Kamerad rannte zu einem vergitterten Wagen. Die angespannten Pferde schnaubten und tänzelten unruhig auf der Stelle. Hätte sie der Kutscher nicht an den Zügeln gehalten, wären sie sofort losgeprescht. Es waren kräftige Gäule, die mit Leichtigkeit einen schweren Wagen ziehen konnten, aber die schreiende, aufgebrachte Menge peinigte ihr ruhiges Gemüt.

„Beeilung“, schrie der Kutscher. „Ich kann die Tiere nicht mehr lange halten.“ Der Soldat packte den Gefangenen und eilte zum Wagen. Er riss die Tür auf und stieß den jungen Mann hinein. Er legte eine Kette durch das Gitter und zog ein großes Schloss hervor. Seine Hände zitterten, und er hatte Mühe, den Bügel durch die Glieder zu ziehen, als das wütende Gebrüll der Dorfbewohner lauter wurde. Faules Obst und Steine wurden auf den Wagen geworfen. Ein verschimmelter Kohl zerplatzte an den Gitterstäben und spritzte in sein Gesicht. Eines der Pferde stieg und wieherte in Panik. Der Kutscher sprang von seinem Bock auf, stemmte die Füße gegen das Holz und hielt mit aller Kraft die Zügel straff. „Geht weg“, schrie er dem Soldaten zu.

„Die Tür ist noch nicht abgeschlossen.“

„Wir kümmern uns später darum. Ich kann diese Teufelsrösser nicht mehr halten.“

Der Soldat ließ die Kette los und sprang zur Seite. Im gleichen Moment machte die Kutsche einen Satz nach vorn und preschte aus dem Dorf hinaus. Der Soldat spürte den Windhauch des Gefährts, das mit halsbrecherischer Geschwindigkeit davonraste.

Sein Kamerad nahm seine Hellebarde herunter. Die Dorfbewohner schrien dem Verurteilten Drohungen hinterher. Einige machten sich noch auf die Verfolgung des Gefangenen, aber die Kutsche war zu schnell, als dass sie jemand einholen konnte. Erst als das Gefährt außer Sicht war, beruhigten sich die Dorfleute. Eine Zeit standen sie noch in Gruppen auf dem Marktplatz und sprachen über das Urteil, bis sie sich langsam zerstreuten und nach Hause gingen.

Der Vogt kam aus dem Wirtshaus und schüttelte einigen Männern die Hand. Er machte ein grimmiges Gesicht, als sei er mit der Verkündung des Urteils nicht zufrieden gewesen, aber der Prozess war beendet, und er hatte seine Pflicht getan. Der erste Giftmischer in der Geschichte Furtenblicks war verurteilt und auf dem Weg in den Kerker.

1. Kapitel

Johannis-Fest

Katharina nahm die frisch gebackenen krummen Krapfen aus dem Ofen und legte sie auf dem Tisch aus. Den Händen sah man die sechsundvierzig Sommer ihres Lebens an, aber sie war noch immer eine attraktive Frau, mit weichen Gesichtszügen, einer kleinen Nase und wohlgeformten Lippen. Ihre langen braunen Haare waren hochgesteckt und ihre Stirn war in Konzentration gerunzelt. In solchen Momenten schmolz ihre Welt auf die Größe ihrer Küche. Es gab nur sie und die Zutaten ihres Gebäcks.

Sie wandte sich zur Anrichte und griff nach einer Schale Himbeeren. Dabei prüfte sie jede Frucht kritisch und wählte nur die besten. Stück um Stück entnahm sie, bis die Hälfte jedes Krapfens mit Himbeeren bedeckt war. Dann ging sie einmal um den Tisch herum, ihr Werk von allen Seiten betrachtend, griff nach einer Schale mit Erdbeeren und füllte die Lücken auf. Auch hier prüfte sie jede, bevor sie diese auf den warmen Teig legte. War sie ein Stück zu groß, kürzte sie die Frucht, dass sie nicht über die Himbeeren hinausragte, zu klein, steckte sie diese in den Mund und kaute abwesend darauf, ohne ihren Blick vom Teig zu wenden. Die Tür ging auf, aber Katharina hob den Kopf nicht. Ein stattlicher Mann, mit breiten Schultern und einem grobschlächtigen Gesicht, betrat die Küche. Seine dunklen Haare waren ein wenig zu lang und fielen ihm bis über die Augenbrauen. Mit seinen großen Händen und seiner breiten Brust hätte er auf einen Fremden furchteinflößend gewirkt, aber spätestens mit seinem offenen, fast schüchternen Lächeln wäre die Angst wieder verflogen. Er spielte unsicher mit den Fingern, als er sich Katharina näherte.

„Wie immer ein Meisterwerk“, sagte er mit tiefer Stimme. Einen Augenblick hörte sie mit ihrer Arbeit auf und stellte sich neben ihn.

„In der Tat, Jakob“, erwiderte sie zufrieden und legte eine Erdbeere auf einen Krapfen. „Wie läuft es mit dem Aufbau für das Dorffest?“

„Bis heute Mittag werden wir die Tische und Bänke gerichtet haben. Danach werden wir das große Feuer vorbereiten und den Ochsen auf den Spieß ziehen. Damit uns das Fleisch nicht verbrennt, werde ich mit Albrecht die erste Nachtwache übernehmen.“

Katharina lächelte. Vor noch nicht allzu langer Zeit wäre es undenkbar gewesen, dass Jakob überhaupt zum Dorffest gekommen wäre. Er und Berta waren ein glückliches Paar gewesen, aber der Fiebertod seiner Frau hatte ihn für immer verändert. Aus dem lebensfrohen Bauern war ein zurückgezogener Einsiedler geworden. Einzig mit Katharina hatte er ab und zu gesprochen, weil sie als trauernde Witwe seinen Schmerz verstanden hatte, denn nur wenige Wochen zuvor war auch ihr Mann gestorben.

Mehr als drei Jahre waren seitdem vergangen. Obwohl Jakob jeden Tag vor Bertas Grab stand, hatte er die Vergangenheit hinter sich lassen können und war wieder ein Mitglied der Dorfgemeinschaft geworden. Er besuchte das Wirtshaus, schlenderte über den großen Markt oder setzte sich mit seiner Angel an den Fluss. Für Katharina war er ein unschätzbarer Freund, der es zu seiner Pflicht gemacht hatte, alles an ihrem Haus in Ordnung zu halten, als wäre es sein eigenes. Katharina hatte sich daran gewöhnt, dass Jakob unaufgefordert etwas an ihren Fenstern, dem Dach oder ihrem Zaun ausbesserte. Manchmal wurde sie sogar von Jakobs Hämmern geweckt. Sie fragte nicht, was er da machte, er wusste immer genau, was er tat.

„Hört sich an, als würde morgen alles bereit sein“, sagte sie.

„Ein paar Probleme gibt es noch“, wandte Jakob ein. „Lukas Kolbs Männer haben uns zu wenig Wein geliefert. Winand hat Probleme mit seinem Ofen und kann nicht ausreichend Brot backen. Die Bänke sind so schmutzig, dass die Frauen sie noch Stunden wischen müssen, bis man drauf sitzen kann. Außerdem macht mir das Wetter Sorgen.“

„Wenn du so viel zu tun hast, was führt dich dann zu mir? Auf das Essen wirst du noch warten müssen, bis die Krapfen fertig belegt sind.“

„Ich wollte eigentlich nur schauen, ob ich etwas davon abhaben kann“, antwortete Jakob mit einem unsicheren Blick zu Katharina.

„Ich bin noch längst nicht so weit“, sagte sie streng. „Es fehlen noch Nüsse. Außerdem will ich die Früchte mit Johannisbeeren ergänzen.“

Er senkte enttäuscht den Kopf.

„Aber da ich dich kenne, Jakob Kohlhepp, habe ich dir schon einen gerichtet, damit dir beim Arbeiten nicht schwach wird.“ Sie deutete zu einem Schemel, auf dem ein Teller mit einem belegten Krapfen stand. Jakobs Augen begannen zu leuchten. Er ging einen Schritt auf Katharina zu und nahm sie fest in den Arm. Sie stöhnte, als der kräftige Mann zudrückte.

Mit einem entschuldigenden Blick löste er sich von ihr, ging zum Hocker und ergriff den Krapfen. Er betrachtete die Süßigkeit mit glänzenden Augen, bevor er zaghaft hineinbiss. Sein zufriedenes Seufzen zeigte ihr, dass der Teig gelungen war.

„Danke“, sagte er kauend und verließ die Küche wieder.

Sie hob kurz die Hand zum Abschied. Dann widmete sie sich wieder dem Belegen.

Jakob schloss das Tor hinter sich und ging zurück zum Marktplatz. Er kaute langsam, damit der Geschmack der süßen Früchte noch etwas länger auf seiner Zunge verweilte. Eigentlich war er ein Mann, der gerne teilte, aber bei diesem Genuss vergaß er alle Freunde und Bindungen. Daher blieb er kurz stehen und stopfte sich das restliche Stück in den Mund. Schließlich wollte er ausgekaut haben, bis er wieder bei den Ständen war. Dort hallte das Hämmern der Zimmerleute laut über den Platz, von gelegentlichen Flüchen und derbem Lachen übertönt. Zwei Nachbarn von Katharina trugen große Tische, während deren Frauen mit Eimern umhergingen, um den Schmutz von ihnen abzuwaschen.

„Jakob“, rief ihm der Wirt des Dorfes zu. Albrecht war ein kleiner, gedrungener Mann und wegen seiner Größe Ziel so manchen Spotts. Aber mehr als einmal hatte ihn ein volltrunkener Randalierer unterschätzt und sich vor der Tür wiedergefunden, noch bevor er wusste, wie ihm geschehen war. Albrecht war ein arbeitsamer, rastloser Mann, der keinen Moment ruhig sitzen bleiben konnte und ständig beschäftigt war. Jakob hatte ihn noch nie entspannt auf einer Wiese liegen oder umherspazieren sehen. Der sonntägliche Gottesdienst musste eine wahre Qual für ihn sein. Meist saß er mit seiner Frau und seinen Töchtern in der letzten Reihe, damit er niemanden mit seiner Unruhe störte.

„Wo warst du?“, fuhr der Wirt fort.

„Ich musste nur mein Werkzeug von zu Hause holen“, redete sich Jakob raus, während er sich die vom Fruchtsaft klebrigen Hände an der Hose abwischte.

„Wir müssen den großen Spieß aufbauen. Ich habe noch die Halterungen vom letzten Jahr, aber das Holz hat einen Sprung. Nicht, dass uns der Ochse in die Glut fällt.“

Jakob betrachtete die großen Böcke aus Eiche. Sie waren aus dicken Brettern zusammengenagelt und bildeten jeweils ein Dreieck, auf dessen Spitze eine Kerbe für den Spieß war. Jakob fuhr mit seinen Fingern über das Holz und rüttelte daran. „Einer der Nägel wurde zu weit hineingetrieben“, erklärte er. „Das Holz ist gespalten.“

Albrecht fluchte leise.

„Ich werde den Nagel rausziehen, den Riss mit Harz zuschmieren und eine Leiste aufbringen. Das müsste verhindern, dass das Holz weiter springt.“

Der Wirt nickte und wollte gerade etwas bemerken, als sich ein dicklicher, gut gekleideter Mann zu ihnen gesellte.

„Guten Tag, die Herren“, sagte er und wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn, als hätte er schon den ganzen Tag geschuftet. Doch selbst Jakob wusste, dass Frederich Rump sich als Bürgermeister von Furtenblick darauf beschränkte, körperliche Tätigkeit zu vermeiden und jeden, den er traf, in ein belangloses Gespräch zu verwickeln. Mit seinem sauberen Hemd und Hut wirkte er unter den Arbeitern fehl am Platz.

Der Bürgermeister betrachtete kritisch den Riss im Holz. „Ich hoffe, das lässt sich reparieren, damit dem großen Ochsenbraten nichts im Weg steht.“

Albrecht seufzte genervt, lächelte aber, als er sich zu Frederich herumdrehte. „Wegen der Hilfe von Jakob werdet Ihr auch in diesem Jahr nicht auf den Festschmaus verzichten müssen“, sagte er mit übertriebener Freundlichkeit. „Aber habt Dank für Eure Anteilnahme.“

Jakob unterdrückte ein Lachen und beschäftigte sich weiter mit dem Holzbock.

„Das ist schön“, sagte der Bürgermeister strahlend. „Kann ich Euch irgendwie behilflich sein?“

„Das könnt Ihr tatsächlich“, antwortete Albrecht. Der Bürgermeister hob überrascht die Augenbrauen, als hätte er eine solche Antwort auf diese rhetorische Frage nicht erwartet.

„Besucht Euren Freund Lukas Kolb und erklärt ihm, dass noch Weinfässer ausstehen. Wenn wir wieder so viele Besucher wie im letzten Jahr begrüßen können, wird seine gestrige Lieferung nicht ausreichen.“ Frederich schien angestrengt nachzudenken, wie er dies bewerkstelligen sollte. „In Ordnung“, stimmte er unsicher zu. „Ich wollte heute sowieso einen Spaziergang machen. Lukas wird auf dem Weinberg sein und dort spreche ich ihn darauf an.“

Albrecht nickte und drehte sich wieder zu Jakob um. Frederich verweilte noch einen Moment und rang die Hände, bis er sich umdrehte und den Weg zu den Weinbergen einschlug.

„Das war eine gute Idee“, sagte Albrecht und atmete erleichtert aus. „Ich sollte den trägen Rump öfters mit einem Auftrag wegschicken. Dann können wir in Ruhe arbeiten und er hält uns mit seinem Gerede nicht auf.“

Jakob grinste, während er den Riss prüfte. „Ich werde noch etwas Holz und schmale Nägel holen. Ich bin bald wieder zurück“, wandte er sich an Albrecht.

Der nickte. „Ich laufe schnell zu Haug und schaue, was unser Ochse macht. Wir müssen ihn noch vor Sonnenuntergang über das Feuer hängen, sonst wird er morgen nicht gar sein.“

Jakob machte sich auf den Weg zurück zu seinem Haus. Er mochte die Arbeit, die das Dorffest mit sich brachte, war sie doch eine willkommene Abwechslung zur Feldarbeit. Er beschleunigte seinen Schritt, denn es gab noch viel zu tun, bis der Ochse endlich am Spieß hängen würde.

Frederich mühte sich die letzten Meter der Anhöhe hinauf. Der Weg war steil und steinig. Seine Schuhe waren mit Staub bedeckt, und der warme Tag ließ ihn keuchen. Als er sich den Schweiß von der Stirn wischte, ärgerte er sich, dass er sich zu dieser Wanderung hatte überreden lassen. Vielleicht war Lukas Kolb nicht in den Weinbergen. Dann müsste er sogar bis zu seinem Anwesen weiterlaufen.

Der Bürgermeister mühte sich weiter. Beim Anblick der ersten Trauben wurde ihm bewusst, wie durstig er war. Er bog in einen schmalen Weg ein, der bis zu einer kleinen Lagerhütte führte. Hier waren Werkzeuge, Körbe und andere Gerätschaften verstaut, die für die Pflege und Ernte des Weins benötigt wurden. In den Zeiten der Lese übernachteten hier auch Helfer aus weiter entfernt liegenden Dörfern, die nicht jeden Tag nach Hause gehen konnten.

Frederich ging an den langen Reihen der rahmenförmigen Gestelle vorbei, an denen die traubenbehangenen Reben emporwuchsen. Die Kammertanlage zog sich den ganzen Hügel entlang. Inmitten dieser Felder, auf einem kleinen Zwischenweg, bemerkte er einen gut gekleideten Mann, der sich mit einigen Arbeitern unterhielt. Er trug eine dunkle Hose, ein helles Hemd und eine Weste, die aus dem gleichen Stoff wie sein Beinkleid gewebt war. Die Kleidung saß perfekt und war frei von Schmutz. Seine Hände wirkten gepflegt und sauber. Ein großer goldener Ring zierte seine rechte Hand, während er in der linken einen Stock mit silbernem Knauf hielt. Das Gesicht des Mannes war von einer fast milchigen Bleiche. Die ersten Falten zeigten sich an den Augen und an der Stirn. Trotz der grauen Strähnen in den dunklen Haaren wirkte er immer noch jung.

„Dem Herrn sei Dank, dass ich Euch hier antreffe.“ Frederich atmete erleichtert aus.

„Herr Bürgermeister“, begrüßte ihn Lukas überrascht. „Was führt Euch hierher?“

„Nur eine Kleinigkeit.“ Er versuchte, wieder zu Atem zu kommen und wedelte sich etwas frische Luft zu.

„Lasst uns dort hinübergehen.“ Der Gutsbesitzer deutete auf die Holzhütte. „Bei der Baracke ist es schattig und Ihr könnt einen Schluck Wasser trinken.“

„Habt Dank.“ Dort angekommen, nahm Frederich einen Becher von einem Arbeiter entgegen. Er trank das Wasser mit einem Zug aus und seufzte zufrieden.

„Der Wirt, Albrecht Senn, hat mich gebeten, Euch aufzusuchen. Es wurde nicht genug Wein für unser Dorffest geliefert, und er bittet Euch um mehr.“

Einen Moment verzog sich das Gesicht von Lukas in Missbilligung. „Die letztjährige Ernte war nicht so ertragreich. Ich verfüge über kaum noch Wein und habe wichtige Verpflichtungen großen Händlern gegenüber. Ich fürchte, ich kann Euch nicht mehr geben.“

„Aber Euer Wein ist ein wichtiger Bestandteil unseres Festes. Es wäre undenkbar, darauf verzichten zu müssen.“

„Ihr müsst nicht darauf verzichten. Ich habe Euch vier Fässer liefern lassen.“

„Im letzten Jahr wurden aber sieben Fässer getrunken“, warf der Bürgermeister ein. „Die Menschen lieben Euren Wein.“

„Was auch damit zu tun hat, dass ich Euch für das Dorffest die Fässer für einen sehr geringen Preis überlasse“, antwortete Lukas sarkastisch.

„Niemals“, winkte der Bürgermeister ab, ohne den Spott hinter den Worten zu bemerken. „Ihr habt einfach den besten Wein.“

„Danke, Bürgermeister“, erwiderte Lukas mit einem gequälten Lächeln. „Ich werde sehen, was sich machen lässt und morgen einen meiner Arbeiter zum Dorffest schicken, um den Vorrat aufzufüllen. Wir wollen doch nicht, dass jemand dursten muss.“

„Nichts anderes habe ich von Euch erwartet.“ Frederich schlug Lukas auf die Schulter. Der Weinbauer stutzte einen Moment ob dieser Vertraulichkeit. Dann fasste er sich wieder und schüttelte seinem Gast die Hand.

„Einen schönen Tag noch.“

Frederich machte sich zufrieden auf den Weg zurück. Seine Arbeit war getan und er freute sich darauf, die frohe Kunde zu überbringen.

Lukas sah dem Bürgermeister kopfschüttelnd nach. In Momenten wie diesen bereute er seine Großzügigkeit gegenüber den Furtenblickern. Er brauchte die Männer und Frauen für die Ernte und gut ausgebaute Wege halfen ihm beim Transport des Weins. Aber manchmal fragte er sich, ob er seine Zuwendungen nicht reduzieren sollte, verdiente er doch kaum etwas an dem Fest.

Er winkte einen Arbeiter zu sich. „Nehmt ein Fass der letzten Ernte und füllt die Hälfte um. Streckt beide Behälter mit Wasser und wartet bis morgen Nachmittag. Dann fahrt den Wein ins Dorf und bringt sie dem Wirt. Die Besucher des Festes sind dann betrunken genug, um den Unterschied nicht mehr zu schmecken.“ Der Arbeiter nickte und ging zum Anwesen zurück.

Lukas rieb sich die Augen. Das Aufstehen war ihm schwer gefallen, aber er hatte heute noch die Felder zu prüfen. Müde machte er sich wieder auf den Weg durch die Reben.

Die Gefängniswache öffnete das Tor und winkte die zerlumpte Gestalt aus ihrer Zelle heraus. Die langen Haare hingen fettig über die Schultern, der dunkle Bart war mit grauen Strähnen durchzogen. Die Arme des Gefangenen waren braun vor Dreck und die Kutte nur ein löchriges Tuch. Bredelin blickte zum Himmel, als könnte er nicht glauben, dass er die Sonne ohne Gitter betrachten durfte.

„Mach schon“, drängte der Wachmann ungeduldig. „Oder willst du hierbleiben?“ Er schüttelte den Kopf und setzte einen ersten Schritt in die Freiheit, auf die große Brücke über den Neckar.

„Vielleicht solltest du dich erst einmal waschen.“ Der Wachmann rümpfte die Nase, drehte sich um und ging wieder in den Kerker hinein.

Bredelin trug als einzige Habe nur ein Bündel mit sich, gefüllt mit alter Kleidung und einem trockenen Stück Brot. Er fühlte sich verloren, als er vor dem großen Turm stand, der zweiundzwanzig Jahre sein Heim gewesen war. Er hatte jeden Tag seiner Gefangenschaft gehasst, aber jetzt erfasste ihn eine unerklärliche Sehnsucht, in seine Zelle zurückzukehren.

Nächtelang hatte er von der Freiheit geträumt, und jetzt fühlte er sich leer.

Er sah an sich herunter. Lumpen bedeckten seine schmutzigen Beine. Als junger Mann hatte er sich gerne gut gekleidet, Wein getrunken und sich an wohlschmeckendem Essen erfreut. Diese Erinnerungen waren so fern, dass Bredelin nicht wusste, ob sie aus einem anderen Leben stammten.

Sein Körper war alt, seine Familie hatte ihn verstoßen, und er besaß keinen Kreuzer. Niemand wartete auf ihn, wenn sich überhaupt noch jemand an ihn erinnerte. Er wäre gerne in die Mitte der Brücke gelaufen und hätte sich in den Fluten des Neckars ertränkt. Aber obwohl sein Leben wertlos war, wollte er nicht vergebens aus dieser Welt scheiden.

Noch einen Besuch. Dann konnte der Teufel seine Seele haben.

Katharina schmierte sich etwas Butter auf das frische Brot, während sie Jakob beim Mahl beobachtete. Wie immer ging der große Mann ganz im Essen auf. Er nahm ein Stück Braten und steckte es sich genüsslich in den Mund. Dann kaute er und schloss seufzend die Augen. Katharina kochte nun schon Jahre für ihn mit, aber sie war immer wieder überrascht, mit welchen Kleinigkeiten man Jakob zufriedenstellen konnte.

„Wie läuft es mit dem Aufbau?“, fragte Katharina.

„Gut“, antwortete er kauend. „Die Tische und Bänke stehen. Der Ochse ist auf dem Grill, und der Bürgermeister hat gesagt, dass wir morgen noch weitere Fässer mit Wein erwarten können. Die Stände sind aufgebaut, und die Händler aus den anderen Dörfern treffen ein.“ Jakob sah aus dem Fenster. „In einer Stunde wird es dunkel. Dann werde ich mit Albrecht die erste Wache beim Ochsen übernehmen, damit das Fleisch morgen gar und saftig ist.“ Er steckte sich ein Stück Braten in den Mund. „Bist du fertig geworden?“ Katharina nickte. „Die Krapfen sind belegt und stehen in der Speisekammer. Ich werde sie morgen früh an den Stand bringen, damit sie zum Frühstück verkauft werden können.“

„Ich muss sowieso mit der Sonne aufstehen, weil ich Albrecht versprochen habe, die Fässer aus dem Keller zu holen. Dann werde ich zu dir rüberkommen“, sagte Jakob grinsend.

Katharina lächelte. In Momenten wie diesen wirkte er wie ein Kind, das es kaum erwarten konnte, die Süßigkeiten auszupacken. Wie weit entfernt war die Zeit, als er seinen Lebensmut verloren hatte.

Sie wartete, bis Jakob aufgegessen hatte, stand auf und räumte die Holzteller ab. Der große Mann erhob sich und streckte sich.

„Vielen Dank für das köstliche Mahl“, sagte er. „Ich werde zum Marktplatz gehen und schauen, ob es noch was zu tun gibt. Bis Mitternacht werde ich vorm Wirtshaus sitzen.“

„Ich gehe heute früh zu Bett, damit ich ausgeruht bin. Es wird ein langer Tag.“

„Lang und anstrengend“, sagte Jakob und verzog kurz das Gesicht. „Aber das Dorffest ist die Mühe wert.“ Er schob den Stuhl an den Tisch und ging zur Tür. „Gute Nacht, Katharina.“

Sie lächelte ihn an, während sie die Teller abwusch. „Viel Spaß bei deiner Wache, Jakob. Und trink heute Nacht nicht so viel“, sagte sie mahnend.

Jakob lachte. „Nicht mehr als sonst auch in der langen Nacht vor dem Dorffest.“ Er ging hinaus und schloss die Tür.

Am nächsten Tag war es endlich so weit. Bereits am Vormittag war das Fest zu Ehren Johannes des Täufers in vollem Gange. Jakob stand vor dem Wirtshaus und hielt einen Becher mit Wein in der Hand. Er rieb sich müde die Augen und unterdrückte ein Gähnen. Ihm fehlten die Stunden Schlaf, die er mit Albrecht beim Ochsen verbracht hatte, aber die Mühe hatte sich gelohnt. Das Fleisch war knusprig und verströmte einen angenehmen Duft, der seinen Magen knurren ließ. Die Stände waren aufgebaut, und der Marktplatz gut besucht. Er hätte gerne ein Stück Braten gegessen, es mit Wein heruntergespült, bevor er sich über Katharinas Kuchen hermachte, aber das Fest musste erst vom Priester des Dorfs gesegnet werden. Daher musste er noch geduldig sein.

Bruder Theobald stand auf einem kleinen Podium neben Bürgermeister Rump und wartete, bis dieser mit seiner Begrüßungsrede geendet hatte. Solche Ansprachen langweilten Jakob, daher war er nicht traurig, dass er vom Wirtshaus aus kein Wort verstehen konnte, während sich die Bewohner des Dorfs um das Podest drängten, als könnte der Segen ihr Leben verbessern. Nicht weit davon stand Katharina mit anderen Frauen. Er konnte sie von hier aus nicht sehen, wusste aber, dass auch sie den Worten des Bürgermeisters gelangweilt folgte.

Applaus brandete auf, und die Gesichter wandten sich Bruder Theobald zu. Er hob seine Hände in die Höhe und sprach ein Gebet. Seine dunkle Kutte wirkte verschlissen und Schweiß stand auf der Glatze. Seine Stimme hallte laut über den Marktplatz. Wie immer klang sie schrill und anklagend, als würde er den Dorfbewohnern eine Strafpredigt halten wollen. Die Zuhörer senkten ehrfürchtig den Kopf und falteten die Hände. Als der Priester geendet hatte, bekreuzigte sich auch Jakob, doch ohne den Becher abzustellen.

Dann erschallte ein lauter Jubelschrei. Das Fest war eröffnet. Musik spielte auf. Flöten mischten sich in das dumpfe Dröhnen der Trommeln. Marktschreier priesen ihre Waren an und versuchten, sich über das Gelächter der Feiernden hinweg Gehör zu verschaffen.

Jakob leerte den Wein in einem Zug und zog die Schürze über, um Albrecht zu helfen, das Fleisch zu schneiden. Die ersten Menschen strömten zum Wirtshaus, um sich ein gutes Stück Ochsenbraten zu sichern. Als die ersten Hungrigen eine Schlange gebildet hatten, war die Müdigkeit von Jakob abgefallen. Der Rote hatte ihn belebt. Zufrieden ließ er sich von der Heiterkeit der Leute anstecken.

Katharina nahm einen Krapfen und reichte ihn einem jungen Mann, den sie noch nie gesehen hatte. Seine braunen Haare waren zu lang und nur schlecht geschnitten. Die Kleidung war mit Staub bedeckt und seine Sohlen abgelaufen, als wäre er lange darin unterwegs gewesen. An den Rändern waren die Stiefel geflickt, und eine lederne Schnur hielt den Schaft des linken Stiefels oben.

Als er das erste Stück des Gebäcks abbiss, weiteten sich seine Augen. „Das ist hervorragend“, sagte er schmatzend. „Was bin ich Euch dafür schuldig?“

„Seid mein Gast“, antwortete Katharina. „Ich habe Euch noch nie hier gesehen. Seht es als eine Art Begrüßungsgeschenk.“

„Habt Dank.“ Der junge Mann verneigte sich tief. „Ich werde Euch heute Nacht in meine Gebete einschließen.“

Katharina nickte. „Was führt Euch nach Furtenblick?“

„Ich stamme aus einem kleinen Dorf westlich von hier. Seit der Gutsherr seine letzte Münze verspielt hat, haben wir keine Arbeit mehr, daher musste ich mich auf Wanderschaft begeben. Hier gibt es viele Weinfelder, die sicher noch zwei starke Hände gebrauchen können. Ein Händler hat mir gesagt, dass die Glaserei zwei Dörfer weiter auch noch Arbeiter sucht. Ich bin nur auf der Durchreise, aber das Fest wollte ich mir nicht entgehen lassen.“

Katharina lächelte. Es war schön, dass sie dem jungen Mann eine kleine Freude hatte machen können. Wanderarbeiter hatten ein hartes Leben. Nicht zum ersten Mal war sie froh, dass sie in Furtenblick geboren worden war.

„Wenn Ihr noch eine Münze übrig habt, genehmigt Euch noch einen Becher Wein. Die letzte Lese hat einen guten Tropfen hervorgebracht.“

Der Mann stopfte sich den Rest des Krapfens in den Mund und verneigte sich nochmals. „Ich werde Eurem Rat folgen und danke für Eure Gastfreundschaft.“

Katharina grüßte zum Abschied und wandte sich dem nächsten Wartenden zu.

Frederich nahm einen weiteren Becher Wein entgegen. Er hob das Gefäß in die Höhe und prostete den Männern zu, die sich vor dem Stand versammelt hatten.

„Auf Furtenblick“, sagte er leicht lallend.

Lautes Johlen antwortete ihm, und der Bürgermeister trank den Becher in einem Zug aus. Dann lachte er und ließ sich vom Lärm des Festes mitreißen. Die Trommeln der Musiker dröhnten über den Platz und mischten sich in das Lachen der Feiernden. Es roch nach gebratenem Fleisch und frisch gebackenem Brot.

Die Stände waren mit bunten Wimpeln verziert und jeder trug seine beste Kleidung. Wo immer der Bürgermeister hinkam, bot man ihm etwas zu essen oder zu trinken an. Frederich sagte zu keiner dieser Verlockungen nein, daher fühlte er sich auch schon schwindelig, obwohl es erst Mittag war. Aber es gab noch so viel zu sehen. Manche Stände gehörten Händlern von außerhalb, sodass einige der kleinen Bretterverschläge etwas Neues zu bieten hatten.

Frederich gab sein Trinkgefäß zurück und ließ sich zufrieden mit der Menge der Besucher treiben.

„Auf unsere Arbeit“, schrie Rudolf Eigbrod und trank den Becher in einem Zug leer. Er hob das Trinkgefäß und rülpste laut. Die Arbeiter neben ihm lachten derbe.

Er liebte das Johannis-Fest. Endlich konnten die Leute sehen, wie gut der Wein war, für den er sich das ganze Jahr den Buckel krumm schuftete.

„Ich hole Nachschub.“ Rudolf sammelte die Becher ein. „Eigentlich unverschämt, dass wir dafür noch bezahlen müssen“, murmelte er, während er sich durch die Menge drängte. Er schob jeden zur Seite, der im Weg war. Die Verwünschungen, die man ihm nachrief, scherten ihn nicht. Er brauchte mehr Wein. Am Stand vor Albrechts Wirtshaus angekommen, stützte er sich auf den kleinen Tisch des Ausschanks. Ein großer, breitschultriger Mann stand vor ihm in der Reihe.

„Willem“, sagte Rudolf und schlug ihm auf den Rücken. Der Schmied drehte sich um.

„Na, Rudolf, wie schmeckt der Wein?“, fragte er belustigt.

„Ein guter Jahrgang“, antwortete er und prostete Willem mit einem leeren Becher zu. „Nur dauert der Nachschub zu lange.“ Er wandte sich dem Mann am Ausschank zu.

Ubald zapfte den Wein aus einem Fass und schien sichtlich Mühe mit dem Ansturm der Leute zu haben. Wie immer, wenn er unsicher war, lächelte er verlegen.

„Wer hat denn den Idioten rangelassen?“ Rudolf warf seinen Becher auf Ubald. Das Tongefäß traf den jungen Mann am Kopf. Dieser stieß einen Schmerzensschrei aus, sprang einen Schritt zurück und warf dabei eine Reihe mit Tonbechern um. Der Hahn des Fasses war noch immer offen, und der Wein ergoss sich spritzend auf den Boden.

„Schaut euch den verdammten Bastard an“, lachte Rudolf. Ubald hielt sich den Kopf und zog ein weinerliches Gesicht. „Groß wie ein Baum, aber fängt schon bei einem kleinen Tonbecher an zu greinen.“ Auch Willem konnte sich das Lachen nicht verkneifen, als er den verängstigten jungen Mann sah. „Wer hat den bloß nach Furtenblick gelassen?“, fragte der Schmied und schüttelte den Kopf.

Rudolf konnte kaum das Gleichgewicht halten und stützte sich haltsuchend am Stand ab.

„Schluss jetzt“, fuhr eine scharfe Stimme durch das Gelächter. Albrechts Frau Ida kam näher und stellte sich schützend neben Ubald. Sie drehte das Fass zu und wandte sich zu Rudolf um. „Du hast schon genug getrunken, du versoffener Weinschlauch“, herrschte sie ihn an. „Wenn du deine Scherze mit jemand treiben willst, dann suche dir jemand anderes. Hier bekommst du nichts mehr.“

„Ich arbeite das ganze Jahr, damit du und Albrecht genug Wein bekommen, daher …“

„Arbeiten nennst du das?!“, höhnte Ida. „Du bist den ganzen Tag volltrunken. Oder ist trinken jetzt schon arbeiten?“

„Ich schufte mehr, als dieser Waisenbastard jemals …“

„Verschwinde endlich und geh zu deinen Saufbrüdern.“ Ida drehte sich zu Ubald und versuchte, ihn zu trösten.

„Verdammte Vettel.“ Rudolf trat gegen den Tisch und ging zum nächsten Stand. Er brauchte etwas zu trinken. Während er sich an dem grinsenden Willem vorbeidrängte, achtete er darauf, jeden der fallen gelassenen Becher zu zertreten. Wäre Rudolf ein wenig aufmerksamer gewesen, hätte er den eigenartigen Fremden bemerkt, der sich am Wirtshaus vorbeischlich. Dessen Blick war auf die feiernde Menge gerichtet und er wirkte, als würde er jeden der Anwesenden für seine Ausgelassenheit hassen.

Jakob drängte sich die letzten Schritte zum Kuchenstand und war froh, für einen Moment der dichten Menge beim Ochsen entkommen zu können.

„Ah, ich hatte dich schon früher erwartet“, sagte Katharina und lächelte. Ihre Wangen waren gerötet. „Was kann ich für dich tun?“, fragte sie mit überschwänglicher Geste und verneigte sich tief vor ihm.

„Du hast getrunken“, bemerkte Jakob argwöhnisch.

„Nicht mehr als du.“

„Ich hatte nur einen Becher Wein“, antwortete er. „Außerdem vertrage ich mehr als du.“

Jakob blickte Katharina in die glasigen Augen. Sie trank fast nie, aber beim Dorffest bekamen selbst die Kinder einen Becher Wein, wenn er auch mit Wasser verdünnt war.

Katharina sah ihn verwirrt an. „Vielleicht hast du recht“, meinte sie zerstreut. „Ich hätte vorher etwas essen sollen.“

„Komm, wir gehen zum Wirtshaus.“ Jakob nahm ihre Hand. „Ein Stück vom Ochsen wird dir guttun.“ Sie ließ sich von dem großen Mann mitziehen, wobei sie nur langsam vorankamen. Schließlich erreichten sie das Wirtshaus. Der Ochse über dem Feuer war schon kleiner geworden, aber es war genug Fleisch am Spieß, dass es bis zum Abend reichen würde.

Jakob setzte Katharina auf eine Bank, schnitt ein Stück Hüftfleisch herunter und gab ihr den Teller. Sie wollte eine Münze aus der Tasche ziehen, aber Jakob winkte ab.

„Iss erstmal. Dann wird es dir wieder besser gehen.“

Katharina biss von dem warmen Stück Fleisch ab und kaute genüsslich.

„Das letzte Dorffest müsste dir eigentlich noch eine Lehre sein.“ Jakob nahm neben ihr Platz.

„Erinnere mich nicht daran“, antwortete sie. „Ich weiß noch, dass ich Albrecht mit einem Becher Wein zugeprostet habe. Dann bin ich zu Hause im Bett aufgewacht.“

„Das Zwischendrin war kaum der Rede wert“, bemerkte Jakob grinsend. „Du konntest sogar noch laufen, trotz einiger Schwierigkeiten, den direkten Weg zu finden.“ Seine Belustigung brachte ihm einen missbilligenden Blick von Katharina ein.

„Der Ochse ist gut“, versuchte sie das Thema zu wechseln. Jakob wollte gerade zu einer Erklärung ansetzen, als ein lauter Schrei über den Marktplatz hallte. Die Gespräche verstummten. Die Musiker hörten auf zu spielen und alle drehten sich in die Richtung. Jakob stellte sich auf die Bank und zog Katharina mit sich hoch. Über die Köpfe der Menge konnten sie einen zerlumpten Mann sehen. Er stand auf einem Holzpodest, direkt an der Klippe, die zum Fluss hin steil abfiel. Nachdem vor Jahren einmal ein Betrunkener dort hinuntergestürzt war, hatte man ein Holzgerüst mit Zaun gebaut, damit solche Unglücke künftig verhindert werden konnten. Zum Andenken an den Toten hatte man ein Kruzifix aufgestellt.

Der Mann auf dem Gerüst war schmutzig. Seine langen Haare hingen ihm in wirren, fettigen Strähnen um den Kopf. Er hatte eine eigenartig verkrümmte Haltung, als hätte er Schmerzen im Rücken. Sein linkes Bein schien er etwas anzuheben. Er stand neben dem Kruzifix und schwenkte eine Fackel.

„Ich verfluche euch“, schrie der Mann. „Ich verfluche euch alle für das Leben, das ihr mir geraubt habt. Ich rufe die dunklen Mächte des Teufels an, euch mit einem Todesfluch zu belegen! Auf dass ihr von Insekten zerfressen, im Blut ersaufen, im Feuer verbrennen und von Felsen zermalmt werden mögt.“

Jakob lief es kalt den Rücken herunter. Er war vor Angst wie gelähmt, und den übrigen Festbesuchern schien es ähnlich zu ergehen. Eine gespenstische Stille hatte sich ausgebreitet, in der nur die Worte des Fremden zu hören waren.

„Ich verfluche euch für ein Leben in Schmerzen und Leid, voller Entbehrungen, die mir diesen verkrüppelten Körper beschert haben.“ Der Mann schwenkte ein weiteres Mal die Fackel, bevor er sie an das Kruzifix hielt, das sofort Feuer fing. „Mein Tod wird mir die Rache ermöglichen, welche mir im Leben verwehrt war.“ Dann drehte er sich um und hinkte zum Rand der Klippe. Das Gehen schien ihm Schmerzen zu bereiten, aber er mühte sich dennoch den Zaun hinauf. Ein letztes Mal wandte er sich zu der gebannt starrenden Menge.

Sein Gesicht verzerrte sich zu einem bitteren Grinsen, als er sprang.

2. Kapitel

Fluch

Ein Aufschrei ging durch die Menge, als sich der Mann die Klippen hinunterstürzte. Jakob drehte sich zu Katharina um. „Bleib hier.“ Er lief los.

„Oh nein“, schrie sie und rannte ihm hinterher.

Jakob stoppte sie aufgebracht. „Wer weiß, was das zu bedeuten hat. Mir wäre es lieber, du würdest nach Hause gehen.“

„Jakob Kohlhepp“, antwortete sie mit bebender Stimme. „Ich bin alt genug, um selbst auf mich aufzupassen. Das habe ich schon getan, bevor du zum ersten Mal in dieses Dorf gekommen bist.“

Er brummte unwillig, ließ aber zu, dass sie sich weiter hinter ihm durch die Menge drängte, die wie eine Herde verschreckter Schafe vor einem herannahenden Unwetter wirkte. Es wurde sich nur im Flüsterton unterhalten.

Als Jakob den Weg zum Fluss hinunterlief, drehte er sich nach Katharina um. Sie hatte den Rock gerafft, rannte aber ohne langsamer zu werden hinter ihm her. Niemand folgte ihnen.

„Den Sturz kann er nicht überlebt haben“, sagte Jakob im Laufen. „Der Fluss ist voller Felsen und außerdem ist die Strömung dort sehr stark“, keuchte er und versuchte, auf dem steilen Weg nicht zu stolpern. „Wenn er ohnmächtig geworden ist, wird er unter Wasser gezogen und schon an uns vorbeigetrieben sein, bevor wir unten sind.“

„Hoffen wir, dass er schwimmen kann“, murmelte Katharina.

„Warum machen wir das eigentlich?“, fragte er keuchend, als sie die Hälfte des Weges hinter sich gebracht hatten.

„Was machen?“, wollte sie wissen.

„Einem Mann helfen, der das Dorf mit einem Fluch belegt und sich selbst die Klippe hinuntergestürzt hat. Wer eine solche Todsünde freiwillig begeht, will nicht gerettet werden.“

„Ich weiß nicht“, antwortete sie. „Als ich den Mann springen sah, musste ich loslaufen und ihm helfen.“

„Ich bin erleichtert, dass ich nicht der einzige Verrückte bin.“

Dann waren sie unten angekommen. Jakob rannte auf die Brücke. Das Holz war gerade erst erneuert worden, und das Geländer schimmerte glattpoliert. Der Fluss war nicht tief, aber seine Strömung war schnell und tückisch, daher hatten die Zimmerleute von Furtenblick diesen Übergang gebaut. So konnte man sicher in den Wald gelangen, ohne nass zu werden.

Er blieb einen Moment stehen und sah über das Wasser. Sein Atem ging schnell und seine Worte kamen stoßweise hervor. „Ich sehe ihn nicht.“

„Lass uns zur Klippe gehen“, schlug Katharina vor. „Vielleicht liegt er dort.“

Jakob nickte und sie liefen weiter. Doch auch am Fuß der Klippe konnten sie nichts Ungewöhnliches entdecken. Moosbewachsene Steine, Schilf und Wasser. Sie fanden weder einen Verletzten noch Blut und auch keine Kleidung.

„Da ist niemand“, rief Jakob zu Katharina.

„Hier auch nicht“, antwortete diese.

Er sah nach oben. Schaulustige hatten sich an den Zaun gelehnt und versuchten, etwas zu erkennen.

„Das sind fünfzehn Schritte bis hinunter“, schätzte er. „Selbst wenn er im Fluss gelandet ist, was bei den vielen Steinen schwierig ist, kann er den Sturz nicht überlebt haben. Das Wasser ist nicht tief genug. Er hat sich wahrscheinlich die Knochen gebrochen und ist von der Strömung mitgerissen worden.“

Katharina sah nachdenklich in das Gewässer. Nach der ersten Aufregung klärten sich ihre Gedanken. Der Freitod des Mannes hatte etwas so Fremdes, Unfassbares an sich, dass sie nicht sicher war, ob sie sich alles nur eingebildet hatte. Was trieb einen Menschen dazu, bei einem Dorffest zu erscheinen, die Anwesenden zu verfluchen und sich dann einen Felsen hinunterzustürzen? Wie verzweifelt musste er gewesen sein, seinem Leben auf eine solch grausame Art ein Ende zu setzen? Todsünde war das Wort, das ihr nicht aus dem Sinn ging.

„Wir benötigen mehr Helfer“, sagte sie schließlich. „Vielleicht hat er den Sturz überlebt und konnte sich ein Stück in den Wald schleppen. Wir zwei können nicht allein die ganze Gegend absuchen.“

Jakob nickte. „Lass uns wieder hinauf zum Marktplatz gehen. Mit zehn oder zwanzig Leuten können wir viel mehr erreichen.“

Frederich beugte sich weit über das Geländer, konnte aber nichts erkennen. Er sah Jakob und Katharina das Ufer absuchen, aber nirgends schien eine Spur von dem Verrückten zu sein. Als sich die beiden wieder nach oben begaben, drehte er sich um und blickte in eine Vielzahl von Gesichtern, die ihn aufmerksam musterten. Er wusste, dass die Furtenblicker von ihm als Bürgermeister nun eine Lösung erwarteten. Sie wollten, dass er ihnen sagte, was zu tun war. Nur hatte er noch nie so viel Angst gehabt wie in diesem Augenblick. Er wäre am liebsten nach Hause gerannt und hätte sich eingeschlossen, aber er durfte sich vor den Leuten keine Blöße geben.

Frederich hob die Hand und versuchte, die murmelnde Menge zu beschwichtigen. „Es gibt keinen Grund, ängstlich zu sein“, sagte er mit bebender Stimme. „Es gibt eine Erklärung für all das.“ Er lächelte und versuchte einen zuversichtlichen Eindruck zu machen, doch seine Hand zitterte so sehr, dass er sie hinter dem Rücken verbergen musste. Die Menschen begannen lauter zu tuscheln.

Als er Katharina und Jakob kommen sah, machte sein Herz vor Erleichterung einen Sprung. Eilig ging er auf die beiden zu.

Die Stimmung des Festes hatte sich verändert. Es waren unvermindert viele Besucher auf dem Marktplatz, aber die Musiker hatten aufgehört zu spielen und die Ausgelassenheit war verschwunden. Die Kinder tollten nicht mehr umher, und das Lachen war verstummt.

Der Bürgermeister kam auf sie zugelaufen. Frederich schwitzte stark und versuchte, seine zitternden Hände zu verbergen.

„Habt Ihr ihn gefunden?“, fragte er laut. Alle Augen der Festbesucher richteten sich auf sie. Katharina schüttelte den Kopf. „Wir brauchen noch Freiwillige, die gut zu Fuß sind“, antwortete sie.

„Vielleicht ist er verletzt und hat sich in den …“

„Seid Ihr vom Wahn befallen?“, unterbrach sie Frederich mit schriller Stimme. „Der Mann hat uns mit einem Todesfluch belegt und den Namen des Teufels ausgesprochen. Wir sollten heute keinen Fuß mehr in den Wald setzen. Wer weiß, welche finsteren Dämonen er heraufbeschworen hat.“

Die letzten Worte des Bürgermeisters gingen in einem Krachen unter. Die Anwesenden fuhren herum. Das brennende Kruzifix war umgefallen und polterte zu Boden. Für einen Moment herrschte atemlose Stille, dann drang der Schrei einer Frau durch die Menge.

„Der Fluch“, kreischte sie und viele Bürger nahmen ihre Worte auf. Entsetzte Rufe ertönten und die Menschen verließen panisch den Platz. Das Fest geriet binnen eines Augenblicks außer Kontrolle. Bänke wurden umgeworfen und Stände beschädigt. Man hörte das Bersten von Holz und das Knacken zerbrechender Tonbecher. Schreie der Angst mischten sich in das Gestöhne jener, die von der fliehenden Menschenmenge umgestoßen wurden.

Der Bürgermeister blieb neben Katharina stehen und betrachtete die aufgeschreckten Menschen mit aufgerissenen Augen. Jakob packte seine Nachbarin an der Schulter und zog sie von der Straße.

„Hier sind alle toll geworden“, raunte er ihr zu und lehnte sich an eine Häuserwand.

Katharina blickte entsetzt auf die Szenen, die sich vor ihr abspielten. Es war so unwirklich. Sie kannte die meisten dieser Menschen schon ein Leben lang und sie hätte sich niemals vorstellen können, dass diese Leute jemals so reagieren würden. Männer rempelten ihre Nachbarn zur Seite, nur um einen Schritt schneller zu sein. Mütter stießen ihre Kinder grob vor sich her, als wären sie ihnen auf ihrer Flucht lästig. Mit jedem Augenblick wurde der Marktplatz leerer. Nur die Händler blieben zurück und versuchten, ihre Waren zu retten.

Dann war es vorbei. Bänke waren umgeworfen worden, Tische zerbrochen und die einst bunten Wimpel der Stände lagen im Dreck der Straße. Jakob hatte den Arm fest um Katharina geschlungen, als wollte er sie beschützen. Diese Geste erfüllte sie mit einem eigenartigen Trost. Es war schön zu wissen, dass sie sich auf ihn verlassen konnte.

Der Bürgermeister starrte noch immer ungläubig auf den Platz. Er wandte sich zu Katharina, als erhoffte er sich eine Erklärung.

Dann erwachte er wie aus einem Traum. „Entschuldigt mich“, sagte er und rannte nach Hause.

„Mein Gott, was ist hier passiert?“, fragte Jakob fassungslos. Seine Worte holten Katharina aus ihrer Starre. Sie löste sich von ihm und ging zu dem Ort, an dem sie heute Morgen noch Gebäck verkauft hatte. Der kleine Tisch mit den Kuchen war umgerissen. Ein Fass Bier vom Stand daneben war zersprungen, und die Flüssigkeit vermischte sich mit den Backwaren zu einer unansehnlichen, klebrigen Masse.

Auf der gegenüberliegenden Seite sah sie Albrecht und Haug, wie sie die Reste des Ochsen aus der Glut zogen. Ida stieg über die zertrümmerten Holzbänke und sammelte die wenigen unversehrten Becher ein. Tränen stiegen Katharina in die Augen, als ihr die Zerstörung bewusst wurde. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter.

„Ich bringe dich nach Hause“, sagte Jakob. „Dann werde ich mit Volmar und den anderen aufräumen.“

Als sich Jakob von Katharinas Haus wieder zum Marktplatz aufmachte, zitterten seine Knie noch immer. Er hatte keine Schwäche zeigen wollen, aber die Worte des Fremden hatten ihn tief getroffen. Er unterdrückte den Drang, umzudrehen und sich in seiner Hütte einzuschließen. Nein, das war nicht möglich: Der Marktplatz war verwüstet, und er würde seinen Freund Albrecht nicht im Stich lassen. Am Rande des Festgeländes blieb Jakob einen Augenblick stehen und schüttelte den Kopf ob der Zerstörung. Die auswärtigen Händler waren geblieben und packten das zusammen, was trotz der Panik heil geblieben war. Aus Furtenblick waren ein paar standhafte Männer übrig. Außer Albrecht sah er Volmar und den Metzger Haug Bindrim. Sie hoben gerade die Reste des Ochsen auf einen großen Wagen und kehrten die Asche zusammen.

Jakob begann mit Albrecht die zerbrochenen Bänke und Tische zusammenzutragen.

„Das meiste davon ist nicht mehr zu gebrauchen“, sagte der Wirt. „Am besten machen wir ein großes Feuer auf dem Marktplatz. Dort werfen wir allen Unrat hinein und lassen ihn von den Flammen verzehren.“ Volmar hob ein großes Fass auf, dessen Rückseite geborsten war.

„Schade um den guten Tropfen“, bemerkte er bedauernd.

„Was ist nur in die Leute gefahren?“, fragte Haug. „Ich würde lügen, wenn mich die Worte des Fremden nicht auch geängstigt hätten, aber das?!“ Er deutete auf die zerstörten Stände.

Albrecht hob ein glühendes Scheit auf, trat in die Mitte des Marktplatzes und zündete die Überreste der Tische an. Das Feuer wuchs nur mit Mühe, da das Holz vom Wein feucht war, aber mit der Zeit loderten die Flammen zum Himmel.

Es war die Nacht vor dem Johannistag, der 23. Juni. Schon als Kind hatte sich Jakob auf das große Feuer gefreut, das man jedes Jahr zu Ehren Johannes des Täufers entzündete; doch heute konnte er sich nicht freuen. Das Johannisfeuer wurde von Trümmern und Schutt gespeist.

Als es dunkel geworden war, hatten sich die auswärtigen Händler längst verabschiedet, aber Jakob sammelte weiter zerbrochenes Holz ein. Die vier sprachen kaum ein Wort. Jeder hing seinen eigenen trüben Gedanken nach. Wie auf eine stille Geste hin versammelten sie sich um das Feuer und beobachteten die Flammen.