Der Fremde vom See - Kathleen O'Reilly - E-Book

Der Fremde vom See E-Book

KATHLEEN O'REILLY

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Beschreibung

Oh, was für ein toller, nackter Mann! Jennifer kann den Blick nicht von dem breitschultrigen Fremden abwenden, der auf der anderen Seite des Sees langsam ins Wasser steigt. Nie war es so erregend für das City-Girl, die freie Natur zu beobachten …

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Seitenzahl: 200

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IMPRESSUM

Der Fremde vom See erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2010 by Kathleen Panov Originaltitel: „Long Summer Nights“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY SEXYBand 76 - 2011 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Dorothee Halves

Umschlagsmotive: Dmytro Voinalovyc / shutterstock

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2023.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751522915

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Die Ferienhütte war ein winziges Kabuff voller Spinnweben. Ein Überbleibsel aus einer Ära vor der Zeit von Klimaanlagen und Sprungfedern. Jennifer Dade sah sich in der Behausung um. Ja, es fehlten auch die heutzutage üblichen sanitären Einrichtungen.

Es war ja nicht so, dass sie zum Meckern neigte, aber dieser Dreck …

Jenn wand sich innerlich. Was sollte sie tun?

Die Vermieterin bemerkte ihr Zögern und tätschelte den Kopf des kleinen Mädchens, das sich an ihre Hüfte schmiegte.

„Besuchen Sie das Summer Nights Festival?“, fragte sie, und fügte hinzu, als Jenn nickte: „Weiter oben an der Straße sind mehrere Pensionen. Das ‚Wildrose Inn‘ ist die hübscheste. Ich hab gehört, dass dort jemand abgesagt hat. Wenn Sie vor dem Lunch hingehen, bekommen Sie das Zimmer vielleicht noch.“

„Wildrose Inn?“ Jenn hauchte die Worte, hingerissen von der Vorstellung einer viktorianischen Villa mit üppigen Rosenbüschen auf dem Rasen. Tee auf einem Silbertablett – und eine Toilette mit Wasserspülung. Es erschien ihr himmlisch und äußerst reizvoll hinsichtlich ihres Auftrags.

Das kleine Mädchen sah mit seinen großen blauen Augen zu seiner Mutter hoch. „Ist schon gut, Momma. Bald kommt jemand anders und mietet die Hütte. Das weiß ich.“

Als Jenn die Kleine betrachtete, fühlte sie ein Ziehen in ihrem Herzen und fragte sich erschrocken, ob das die ersten mütterlichen Regungen waren. Was auch immer es sein mochte, sie musste diese Gefühle bekämpfen, wenn sie den Job ihrer Träume behalten wollte. Sie war beruflich hier, und ihr Computer brauchte Strom, sonst konnte sie nicht arbeiten.

Ihr Blick fiel auf die Steckdose in der Wand. Okay, es gab Strom.

Trotzdem würden die Leser das „Wildrose Inn“ lieben. Wahrscheinlich hatten dort schon Präsidenten übernachtet. Bestimmt gab es eine bezaubernde Liebesgeschichte über Geister, die einst in den Korridoren gespukt hatten. Einen Gourmetkoch gab es sicher auch. Das würde die Kritiker begeistern.

Das kleine Mädchen mit dem traurigen Gesicht drückte sich enger an die Seite seiner Mum. Jenn entschlüpfte ein Seufzer. Nein. Sei stark.

„Es ist nicht genau das, was ich mir vorgestellt hatte. Ich wollte etwas …“

„… Schickes“, half die Frau aus, die den Verlauf solcher Gespräche offenbar kannte.

Zeit für eine andere Taktik, entschied Jenn – für eine, die ihr keine Schuldgefühle verursachte. „Das hier ist doch die Luxushütte, oder?“, fragte sie hoffnungsvoll. Vielleicht hatte die Reiseabteilung der Zeitung einen Fehler gemacht und versehentlich die Sparunterkunft gebucht.

„Die Hütten unterscheiden sich nicht sehr voneinander“, erklärte die Frau. „Mein Ex war ein Naturfreak, wissen Sie. Er hat diese Anlage für ‚n Appel und ‚n Ei gekauft. Und dann ist er über alle Berge und hat es mir überlassen, den Laden zu schmeißen. Nicht dass ich schlecht über Emilys Vater reden will …“, sie hielt ihrer Tochter die Ohren zu, „… aber er ist ein egoistischer Mistkerl.“

Jenn schüttelte bekümmert den Kopf. „Ich weiß, wovon Sie reden. Wir sind ein leichtgläubiges Geschlecht. Zu weich, um für das zu kämpfen, was für uns am besten ist. Wir bringen immer nur Opfer, Opfer, Opfer.“

Das war eine Gewohnheit von ihr. Kameraderie zu schaffen, Einigkeit und Vertrautheit. Es war der Schlüssel zu ihren Reportagen, der Weg, in kurzer Zeit die Herzen Fremder zu erreichen.

„Sie werden sich in der Pension wohler fühlen. Es ist dort wirklich nett. Die haben da diese tollen Daunendecken, und nachmittags kommt Mario und massiert die Gäste. Er hat wundervolle Hände.“

Ihre Wangen färbten sich rot, und Jennifer vermutete, dass die Frau Marios Hände auf die intimste Art und Weise kannte.

Sentimentalität und Gewissensbisse kämpften mit ihrem Wunsch, ihre Story gut hinzukriegen. Sie schaute Emily an, deren große Augen jetzt in Tränen schwammen.

Das Mädchen sah aus wie eine kleine Meryl Streep, und Jenn war eine große Bewunderin der Filmschauspielerin, die mit einem einzigen Blick tiefe Melancholie hervorrufen konnte.

Ach, zum Teufel!

Jennifer fasste ihren Entschluss und nickte. „Ich nehme die Hütte. Mir gefällt es hier. Manchmal ist es wichtig, von den Zerstreuungen des Alltags wegzukommen.“

„Fernsehen gibt’s hier nicht“, sagte die Frau.

„Prima. Und mein Handy werfe ich in den See, wenn das Klingeln mich zu sehr nervt.“

Nun lachte die Frau. „Das ist nicht nötig. Hier gibt’s meilenweit keinen Empfang für Handys.“

Meilenweit? Meilenweit? Sehnsüchtig streichelte Jenn das nagelneue iPhone in ihrer Jeanstasche. Niemals würde sie das Ding in den See werfen können. Ihr elektronisches Spielzeug würde ihr fehlen.

Ja, du bist und bleibst ein Dummkopf, dachte sie. Die nächsten zwei Wochen würde sie ein urwüchsiger Outdoor-Dummkopf sein.

„Willkommen in Harmony Springs. Ich bin Carolyn, und das hier ist Emily.“

Nun, da Jenn beschlossen hatte, auf alle Bequemlichkeiten der nachindustriellen Gesellschaft zu verzichten, stellte sie ihren Koffer ab. „Und was benutzt man hier als Toilette?“

Carolyn lachte. „So primitiv leben wir nun auch wieder nicht. Dieser Weg hier führt zu den Waschräumen. Nachts sollten Sie immer eine Taschenlampe bereithalten. Bettzeug und Seife haben Sie doch mitgebracht, ja?“

„Ich hab alles dabei.“

„Prima. So, jetzt lassen wir Sie erst mal in Ruhe. In der großen Lodge wird jeden Abend ein Film gezeigt, und es gibt einen Wettkampf im Hufeisenwerfen.“

„Wow“, sagte Jenn lahm.

„Sind Sie sicher, dass sie bleiben wollen?“

„Ich glaube, dass ich das prima wuppen kann.“ Auch ohne dreilagiges Toilettenpapier.

Wirklich? fragte die höhnische kleine Stimme in ihrem Kopf.

„Oh, da wäre noch etwas – wir achten sehr darauf, dass es hier ruhig ist. Momentan haben wir nur zwei Gäste, aber Hütte Nummer drei legt großen Wert auf Privatsphäre.“

„Er mag keine Kinder“, murmelte Emily, und Jenn verkniff sich ein Lächeln.

„Das wissen wir doch gar nicht, Emily“, schimpfte Carolyn.

„Doch! Er sagt es mir andauernd.“

„Ich werde mich bemühen, ihm aus dem Weg zu gehen“, versicherte Jenn den beiden, während Hütte Nummer drei ihr immer sympathischer wurde.

Nun, da Emilys Vermietungsjob vollbracht war, stieß das Mädchen die Holztür auf und hüpfte die Stufen hinab. Jenn beneidete sie um ihren Übermut, um die Freiheit, mit offenen Schnürsenkeln über das Gelände zu rennen, ohne an mögliche Folgen wie etwa ein aufgeschlagenes Knie zu denken oder an den Verlust des Traumjobs.

„Darf ich Sie etwas fragen?“, wandte sie sich an Carolyn und sagte, als die nickte: „Warum ziehen Sie nicht weg, wenn Sie hier nicht glücklich sind?“

„Ich habe es erwogen, noch mal von vorn anzufangen“, antwortete Carolyn, „aber noch bin ich nicht so weit. Irgendwann werde ich morgens aufwachen und wissen, dass ein Neuanfang fällig ist. Jetzt wache ich auf und gehe an die Arbeit. Das genügt momentan.“

„Wie kommt es, dass Sie nicht mehr wollen? Haben Sie nicht das Gefühl, dass Sie feststecken?“ Genau davor hatte Jenn Angst. Festzustecken, nach dem Motto: Eine Frau muss erfolgreich sein und sich mittels finanzieller Werte Anerkennung verschaffen.

„Warum interessiert Sie das so sehr?“, fragte Carolyn, die offenbar die Panik in Jenns Stimme bemerkt hatte. Panik, die von ihrer persönlichen und beruflichen Unsicherheit herrührte.

Jenn beschloss, ihre Karten auf den Tisch zu legen. „Ich bin Journalistin und habe vor, über diese Stadt und über das Summer Nights Festival zu schreiben. Dabei muss ich um meinen Job kämpfen, und zwar gegen eine Frau, die mit dem Boss schläft. Ich muss hier also eine super Story zustande bringen. Eine Story, die den Chefredakteur weit stärker begeistert als der Anblick von Miss Nolitas Brüsten.“

Offensichtlich wusste Carolyn, was Verzweiflung war. „Wollen Sie nicht vielleicht doch in die Pension gehen? Die haben da einen fantastischen Koch. Genauer gesagt ist er …“

Heldenhaft hielt Jenn eine Hand hoch. „Vergessen wir mal kurz den Koch, ja? Was würden Sie machen, wenn Sie nicht hier wären?“

„Ich erlaube es mir nicht, so weit vorauszudenken.“

„Warum nicht?“

„Weil es nicht gut ist und weil ich gern glücklich bin. Wenn ich nicht zu viel über morgen nachdenke, bin ich glücklich.“

Die meisten jungen New Yorkerinnen wollten irgendeinen glamourösen Beruf ergreifen. Carolyn hingegen wollte einfach nur glücklich sein. Dieses Lebenskonzept fand Jenn so interessant, dass sie sich vornahm, es näher zu untersuchen. Frauen, die den Erwartungen der Welt den Rücken kehrten und sich für das Glücklichsein entschieden? Also das war eine Story.

Aaron Barksdale trommelte mit den Fingern auf die Mahagoni-Tischplatte und sah zum hundertsten Mal auf seine Armbanduhr. Er wollte in dieser durchgestylten feminin wirkenden Umgebung nicht ungeduldig aussehen, aber als Schriftsteller schwor er auf absolute Ehrlichkeit, und ja, er war ungeduldig.

Nicht ohne Grund. Der Speiseraum der Pension „Wildrose Inn“ war mit Blumen überladen und roch nach Haarspray und Parfum.

Er hasste Parfum und war auch nicht gerade durch Schnittblumen zu begeistern. Und Frauenhaar war noch immer im Naturzustand am schönsten, weich und unverklebt. Missmutig lehnte er sich auf seinem schmalen Stuhl zurück.

Wo steckte Didi bloß?

„Entschuldigen Sie bitte, dass ich störe, aber könnten Sie mit Ihrem Stuhl vielleicht ein wenig zur Seite rücken?“

Beim Klang der weiblichen Stimme hörte er auf, die Tischplatte mit seinen Fingern zu malträtieren, und drehte sich zu dem neuen Ärgernis um. Er verzog den Mund zu einem obligatorischen höflichen Lächeln, doch es fiel ihm nicht so schwer wie sonst.

Die Frau hatte große braune Augen, die dieses erstaunte Entzücken ausdrückten, das man so oft in Zeitschriftenanzeigen für Reinigungsmittel sah. Ihr Gesicht war schmal, mit einer scharfen Nase, die dazu geschaffen schien, sich in Dinge zu stecken, die sie nichts angingen. Ihr Haar war hübsch, das musste er zugeben. Herbstgoldene Wellen, die ihr über die Schultern fielen, schimmernd und natürlich.

„Ihr Stuhl“, wiederholte sie in angenehm sachlichem Ton.

Er rückte nach links, bis er mit den Knien an den benachbarten Stuhl stieß. Nachdem er seine gesellschaftlichen Pflichten erfüllt hatte, nickte er der Frau kurz zu.

„Brauchen Sie so viel Platz?“, fragte sie, offenbar noch nicht zufrieden. „Ich muss arbeiten“, fügte sie hinzu, als sei es selbstverständlich, dass jeder sein Privatbüro in Speiseräumen einrichtete. Er bemerkte mehrere elektronische Geräte auf der Tischfläche vor ihr – kein Wunder, dass sie zusätzlichen Platz benötigte.

„Die Stühle sind nicht besonders groß“, argumentierte er. „Noch weiter kann ich nicht rücken.“

Sie musterte ihn von oben bis unten und lächelte – ein gekonnt künstliches Lächeln.

„Sie sehen nicht dick aus.“

Dick? Also das ist doch … Nun bemerkte er den belustigten Ausdruck in ihren Augen. „Werden Sie jetzt nicht gehässig“, antwortete er gereizt.

„Wie ich schon sagte, möchte ich hier arbeiten, aber ich kann meine Ellenbogen nicht bewegen. Und ich muss meine Ellenbogen bewegen“, erklärte sie resolut.

„Müssen wir das nicht alle?“, murmelte er, bevor er widerwillig noch ein Stück zur Seite rutschte. Um den Rest der Welt auszublenden, begann er wieder, mit den Fingern auf die Tischplatte zu trommeln.

Sie blickte stirnrunzelnd auf seine Hand.

„Ich irritiere Sie, nicht wahr?“, fragte er, und irgendwie freute er sich darüber.

Kaum hatte er das ausgesprochen, starrte eine stark parfümierte Matrone am Nebentisch tadelnd zu ihm hinüber.

Griesgrämige alte Zicke, dachte er. Hat wahrscheinlich Katzen.

„Sorry“, entschuldigte sich seine Tischnachbarin und nickte zum Tisch neben ihnen. Er hätte fast gelächelt, als die Matrone entrüstet schniefte.

Aaron merkte, dass ihm gleich der Kragen platzte. Es musste an der Umgebung liegen, an dem Übermaß an Dekorationsgegenständen und Goldrahmen. Wenn er mit Lärm konfrontiert war, mit zu viel Gold und zu vielen Blicken, die auf ihn gerichtet waren, überkam ihn immer ein überwältigendes Bedürfnis zu flüchten.

„Ich bin nicht gern in Menschenmengen“, erklärte er, „vor allem nicht unter Leuten mit Gurken-Sandwiches, Perlenketten und geblümten Kleidern.“

„Sie gehen wohl nicht oft aus, wie?“

„Oh doch“, log er. Er ging sehr selten aus, und jedes Mal, wenn er es tat, bereute er es hinterher. Er bevorzugte die Isolation. Er bevorzugte die Stimmen in seinem Kopf, die Welt, die er selbst schuf, die vollkommene Sprache.

Aaron liebte das Alleinsein.

„Warum sind Sie hier?“, fragte sie unverblümt – offenbar hatte sie seine Lüge durchschaut.

„Um zu essen.“

„Hat jemand den Drachen aus seiner Höhle gelockt? Muss ja ‚ne tolle Freundin sein.“

Er kicherte bei der Vorstellung. „Didi ist keine Freundin.“

„Oh“, antwortete sie, und dieser eine Laut sprach Bände. „Entschuldigen Sie bitte. Ich muss wieder an die Arbeit.“

„Lassen Sie sich nicht davon abhalten“, sagte er, als sie sich fortdrehte. Nach einigen Minuten bewegte sie sich wieder, wobei sie ihn anstieß.

„Ich kann eine schreckliche Aufschieberin sein. Obwohl ich weiß, dass ich arbeiten müsste, drücke ich mich oft mit dem Vorwand, keine Zeit zu haben. Und wenn ich mir klarmache, dass ich Zeit habe, dann ist es wie Zähneziehen.“

„Sie sollten disziplinierter sein.“ Er vermutete, dass sie tatsächlich mehr Platz zum Arbeiten brauchte, und setzte sich auf den freien Stuhl neben seinem. Das war etwas besser. Sie würden sich nicht mehr so oft berühren.

„So diszipliniert wie Sie?“, fragte sie mit einem Blick auf seine undisziplinierten Finger.

Er verspürte eine seltsame Hitze in seinem Gesicht aufsteigen. Leicht zu erklären mit der Wärme im Raum, mit der Anwesenheit von Chemikalien und dem daraus resultierenden Sauerstoffmangel.

„Ich habe nicht behauptet, ein gutes Beispiel zu sein“, murmelte er, und sie lächelte.

Schweißperlen rannen seinen Nacken hinab, denn er mochte ihr Lächeln. Es erfüllte ihn mit Wärme und machte ihn lethargisch. Aber er wollte sich nicht lethargisch fühlen. Deshalb konzentrierte er sich auf das Lilienmassaker in der Vase auf dem Tisch.

Aus dem Augenwinkel konnte er dennoch sehen, wie der Kugelschreiber über die Seite ihres Schreibblocks huschte. Locker, doch energisch. Das gefiel ihm.

Beim Schreiben sprach sie mit sich selbst, und er begriff, dass sie ihren Text laut las. Er war gar nicht so schlecht. Ein paar überflüssige Adjektive, einige Verben hätten treffender sein können, aber im Großen und Ganzen war er recht ordentlich.

Aaron beobachtete die Bewegungen ihrer Lippen und entschied, dass ihr Mund auch nicht übel war. Weich und ausdrucksvoll.

Seltsam fasziniert, vergaß er die durchdringenden Gerüche und die krampfartigen Schmerzen in seinen Knien. Nicht, dass diese Frau besonders hübsch war, aber ihr Gesicht nahm ihn gefangen. Eine vibrierende Energie strahlte von ihr aus, nicht entspannend oder wohltuend, aber magisch. Wenn sie bei ihrer Arbeit eine Pause machte, strich sie sich mit der Hand durchs Haar und bauschte es dabei immer stärker auf. Jedes Mal, wenn sie die Hand hob, starrte die Matrone grimmig herüber. Aaron mochte diese ärgerlichen Blicke nicht und schenkte der Frau sein gefährlichstes Krokodilslächeln. Augenblicklich endete die Gafferei.

Das Drama des Lebens wurde um die junge Frau herum aufgeführt, doch sie schien dagegen immun zu sein. Diese Fähigkeit, alles auszublenden, war ihm rätselhaft. Er konnte nur staunen.

Viel zu früh kam der Kellner und reichte ihr die Rechnung. Sie blickte nicht in seine Richtung, während sie einige Scheine aus ihrer Tasche zog. Das fand er erleichternd, denn schließlich hasste er es, gestört zu werden. Als sie aufstand, fühlte er sich sogar extrem gestört. Er wollte sie ignorieren, wollte ihren Körper nicht anglotzen wie ein sexuell unterversorgter Teenager, aber das war unmöglich. Sie hatte Brüste, deren Anblick in jedem Mann Begehren geweckt hätte. Üppige Rundungen, die perfekt in seine Hände passten.

Er wurde hart, in seinem Glied pochte es schmerzhaft. Es war zu lange her, seit er das letzte Mal Sex gehabt hatte. Sein sexueller Appetit war einmal legendär gewesen, und es war beschämend zu erkennen, dass er zu einem gewöhnlichen Mann mit einem gewöhnlichen Geschmack geworden war, der fast erschrak, wenn er eine Erektion hatte.

Um seine Energie in eine andere Richtung zu lenken, trommelte er wie wild auf die Tischplatte ein.

Gott sei Dank sah es keiner.

Außer ihr.

Als sie ging, warf sie einen Blick auf seine trommelnden Finger und lächelte ihn an. Es war ein kurzes, nervöses Lächeln, keine sexuelle Aufforderung – nicht dass sein Körper den Unterschied kannte. Aaron starrte sie dümmlich an. Von allen menschlichen Schwächen hasste er Dummheit am meisten, aber er konnte nicht anders. Ihre Augen weiteten sich, als ahnte sie, was in ihm vorging.

Hastig blickte er fort. Ein einziges harmloses Lächeln, und er hatte sie in Gedanken geküsst, sie ausgezogen und gestöhnte Laute aus ihrem Mund gehört, mit dem sie seinen Namen flüsterte.

Als sie gegangen war, beruhigte sich sein aufgewühlter Körper. Er lehnte sich zurück und atmete den Rosenduft ein wie Riechsalz. In wenigen Minuten hatte sich sein üblicher unangenehmer Zustand wieder eingestellt.

Eine Stunde nach der verabredeten Zeit kreuzte Didi endlich auf. Diese enorme Verspätung überraschte ihn nicht. Es gab viele Worte, um Didi Ziegler zu beschreiben, aber „Pünktlichkeit“ gehörte nicht dazu. Gekleidet in flammendes Rot sah Didi durch ihre große Brille in die Welt. Es wurde getuschelt, dass Demenz der Grund dafür war, dass sie mit über siebzig noch immer Rot trug. Didi, die ein halbes Jahrhundert lang regelmäßig Männerherzen gebrochen hatte, ignorierte das Getuschel und ging fröhlich ihrer Wege.

„Du kommst zu spät“, sagte er brummig und hielt gehorsam den Kopf hoch, als Didi irgendwo neben seinem Ohr die Luft küsste.

„Ich sehe dich gern wütend, Darling. Was für eine Literatur-Agentin wäre ich, wenn ich meine Klienten nicht quälte?“

„Eine menschliche.“

„Du willst doch gar keine menschliche Agentin. Du willst eine Schlange, das wissen wir beide. Spar dir die Lügen für deine Schreiberei auf. Apropos Schreiberei …“ Sie hob ihre strichdünnen Brauen, bis sie fast ihre silbergrauen Locken berührten. „Haben wir inzwischen Fortschritte gemacht, oder drehst du noch immer Däumchen? Bei dieser Isolation in der Wildnis nehme ich das Schlimmste an.“

Didi hatte großartige Methoden, um ihn wieder ins Gleichgewicht zu bringen, und er warf ihr ein dankbares Lächeln zu. „Bevor du mit deinem Verhör beginnst, würde ich gern essen. Wenn die Teller abgeräumt sind, wirst du mir diverse Neuigkeiten erzählen, denen ich mit vorgetäuschtem Interesse lauschen werde. Danach werde ich über den Zustand der Welt jammern, über die schmelzenden Pole und das traurige Schicksal von Seehundbabys.“

Didi warf den Kopf zurück und lachte, ein volltönendes Lachen, das um sie herum irritierte Blicke hervorrief. „Ich denke, ich werde dich demnächst feuern, du unnützer Witzbold.“

Aarons Mund zuckte vor Belustigung. „Ich bin dein Klient, Didi.“

„Und das musst du immer wieder betonen. Es trübt unsere ohnehin schon kränkelnde Geschäftsbeziehung.“

„Wenn du mich beißen willst, nur zu“, sagte er ohne eine Spur von Bosheit.

„Dein Glück, dass ich kein richtiges Gebiss mehr habe, sondern diese riesigen Monde, die man Kronen nennt. Kannst du mir sagen, was mit den echten Zähnen passiert ist, mit den echten Brüsten und den natürlichen Falten? Hässlichkeit ist eine sterbende Kunstform“, sagte sie und strich bedeutungsvoll über ihre hübsche Frisur.

„Du bist immer wundervoll, Didi.“ Das stimmte. In Aarons Augen verkörperte Didi das Beste des weiblichen Geschlechts. Sie war intelligent, loyal und großherzig.

„Ich bin nicht wundervoll, sondern exzentrisch und egoistisch. Darauf sind früher zig Männer hereingefallen.“

„Sie tun es noch immer“, sagte er, und Didi strahlte.

Während sie aßen, tischte sie ihm das Neueste aus der Verlagswelt auf. Einige alte Namen fielen und viele neue, und wieder einmal war er froh, dass er nicht mehr dazugehörte. In den Norden des Staates New York zu ziehen, zu flüchten, wie Didi es nannte, war die beste Entscheidung seines Lebens gewesen. Leider sah sie es nicht so.

„Ich hab deinen Vater getroffen.“

„Ach ja?“, fragte er und streute Pfeffer über seinen Teller, ohne darauf zu achten, wie viel es war oder wo der Pfeffer landete.

„Ja. Er hat sich nach dir erkundigt. Wird alt und mager, so wie das Hähnchen, das du gerade in eine gepfefferte Hölle schickst. Er sah unglücklich aus. Ich dachte mir, dass du das vielleicht wissen willst.“

„Es liegt am Whiskey.“

„Ich könnte ihm eine Nachricht übermitteln, obwohl das eine furchtbare Verschwendung meiner Zeit wäre, aber ich bin eine außergewöhnliche Agentin, die sich voll und ganz den Bedürfnissen ihrer Klienten widmet.“

Aaron säbelte grob an seinem Hähnchen herum. „Sag ihm das Übliche.“

„Es macht mich immer glücklich, Obszönitäten auszuspeien und seine Augen zu beobachten, wenn sie zu Schlitzen werden.“ Didi stocherte in ihrem Salat herum. „Martin wartet auf das Manuskript“, fügte sie hinzu, womit sie von einem unerfreulichen Thema zum nächsten überging.

„Ich bin noch nicht so weit, wieder zu schreiben.“

„Ich weiß. Du bist emotional erfroren, ohne Empfindungen und ohne Herz. Bla, bla, bla. Allmählich wirst du langweilig.“

Er starrte sie wortlos an, so, wie jeder herzlose, emotional erfrorene Mann, der noch genug Selbstachtung besaß, es getan hätte.

Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„Ich brauche mehr Zeit“, log er. Tatsache war, dass zehn fertige Manuskripte unter seinem Bett lagen. Was Literatur betraf, war er für absolute Aufrichtigkeit. Im Leben nicht so sehr.

„Das erzähle ich Martin seit acht Jahren. Er wird immer älter und wird irgendwann sterben, und du wirst deine Chance vertan haben. Nicht, dass es mich kümmert.“

Aaron zuckte mit den Schultern, obwohl Gewissensbisse an ihm nagten. Er hasste Schuldgefühle. Auf seiner Liste menschlicher Schwächen kamen Schuldgefühle direkt nach Dummheit. „Ich werde etwas haben, wenn ich etwas habe.“ Es war eine leere Phrase, und Didi wusste es. Sie schob die Vase beiseite, damit er ihr ärgerliches Gesicht besser sehen konnte.

„Gib mir wenigstens ein Fitzelchen, Aaron. Etwas, das ich vor Martins habgierigen Augen baumeln lassen kann, damit er sich an das sagenhafte Talent erinnert, das du besitzt.“

Es schmerzte ihn, dass er Didi enttäuschen musste. „Wenn ich so weit bin. Der perfekte Roman braucht Zeit. Es ist nahezu unmöglich, zweimal im Leben etwas Perfektes hinzukriegen.“

„Du wirst nie so weit sein, wenn du deine ganze Zeit in diesem öden Kaff verbringst. Du gehörst in die Stadt.“

Sie sprach mit der Arroganz seines Vaters, die sie sich in den zwei Jahren als Cecil Barksdales Geliebte zugelegt hatte. Es gab jedoch einen bedeutenden Unterschied zwischen den beiden – Didi betrachtete ihn mit Zuneigung, während sein Vater nur sich selbst mit Zuneigung betrachtete, nämlich im Spiegel. Das war der Grund, weshalb sie ihn beide verlassen hatten.

„Da deine Willenskraft zu etwas Scheußlichem versteinert ist, das man normalerweise nur in Museen findet, habe ich keine andere Wahl. Nächste Woche werde ich hier für einen kurzen Urlaub campieren.“ Didi hustete nicht besonders damenhaft. „Wenn du einen warmen, unaufhörlichen Wind im Nacken spürst, der dich antreibt, dann werde ich das bei der Ausübung meines Jobs sein.“

Bei der Vorstellung, dass jemand dasitzen und ihn bedrängen würde zu schreiben, begann Aaron wieder, auf die Tischplatte zu trommeln. Sein Vater hatte immer gesagt, dass echte Genialität sich nicht herbeizwingen ließ. Das war so ziemlich das Einzige, worin er und Cecil sich einig waren.

Didis entschlossene Miene sagte ihm, dass er ihr reinen Wein einschenken musste.

„Oh, oh, du listiger Schwindler“, murmelte sie, und ihr Mund verzog sich zu einem triumphalen Grinsen. „Du hast doch geschrieben, das sehe ich dir an. Ich sehe es an deinem Gesicht und an deinen rastlosen Fingern.“ Angesichts seines schockierten Ausdrucks rieb sie sich die Hände. „Jetzt weiß ich, was wir tun werden. Wir lunchen jeden Tag zusammen, und du wirst mir über deine Fortschritte berichten.“

„Du kannst zu mittagessen, wo immer du möchtest, und zwar allein.“

„Würdest du mich so schäbig behandeln, Aaron?“ Sie musterte ihn mit ihren durchdringenden schwarzen Augen.