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mehrbuch-Weltliteratur! eBooks, die nie in Vergessenheit geraten sollten. "Der rötliche Schein eines herbstlichen Sonnenunterganges beleuchtete die dunkeln Ginsterbüsche und die zittern den Spitzen des purpurnen Heidekrautes, welche den Gipfel eines Hügels in der Grafschaft Sussex zierten. In der Ferne mischte sich in die leisem klagenden Töne des Septemberwindes das wie ein Wehruf klingende Tosen des weiten Ozeans. Auf einem schmalen Fußpfad, der sich den Hügel hinauf wand, schritt eine Dame in Witwenkleidung auf und ab, ohne ihre Augen von dem glutroten Horizont und der purpurnen Linie des fernen Meeres abzuwenden."
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Seitenzahl: 467
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Der gebrochene Schwur
Mary Elizabeth Braddon
Der röthliche Schein eines herbstlichen Sonnenunterganges beleuchtete die dunkeln Ginsterbüsche und die zittern den Spitzen des purpurnen Haidekrautes, welche den Gipfel eines Hügels in der Grafschaft Sussex zierten.
In der Ferne mischte sich in die leisem klagenden Töne des Septemberwindes das wie ein Weheruf klingende Tosen des weiten Oceans.
Auf einem schmalen Fußpfad, der sich den Hügel hinauf wand, schritt eine Dame in Witwenkleidung auf und ab, ohne ihre Augen von dem gluthrothen Horizont und der purpurnen Linie des fernen Meeres abzuwenden.
Ein Knabe von ungefähr sieben Jahren sprang hin und her in den Ginsterstauden, zuweilen stille stehend, um die gelben Blüthen zu pflücken, die er einige Minuten später unter seinen Füßen zertrat.
Der Rauch, der den Schornsteinen einiger Hütten am Fuße des Hügels entströmte, unterbrach allein die Oede der einförmigen Landschaft. Auf der gewundenen Straße, die sich an der Seite des Hügels hinzog, stand ein kleiner Phaëton mit einem Paar gefleckter Pony’s, welche ungeduldig auf dessen Insassen harrten. Dieser Wagen hielt schon beinahe eine Stunde, und der Kutscher war es schon müde, langsam hin und her zu fahren, und auf das Schwirren der Repphühner und das ferne Echo von eines Jägers Vogelflinte von der Düne her zu lauschen.
»Wann gehst Du nach Hause, Mama?« frug der Knabe plötzlich, zu seiner Mutter laufend.
»Bald.«
»Ich bin so müde.«
»Rupert,« sie legte ihre Hand liebkosend auf des Knaben Schulter, ohne jedoch ihre Blicke von der sinkenden Sonne und dem sich verdunkelnden Meere zu wenden, »mein Junge, Doctor Parsons sagte, Du mußtest Bewegung machen, darum führte ich Dich herauf. Springe herum, laufe herum, mein Herzchen.«
»Ich mag nicht herumlaufen Spiele mit mir, Mama. Spiele Pferdchen mit mir.«
Die Dame seufzte tief, und indem sie ihren langen Shawl fester um sich zog, bereitete sie sich vor, des Knaben Verlangen zu erfüllen. Sie war groß und schlank, beinahe zart von Ansehen, dabei blendend schön, hatte große, blaue Augen, die jedoch lieblicher an Farbe als bedeutend im Ausdruck waren, eine kleine, gerade Nase, einen Mund, der nicht das Gepräge von Energie trug, und lange, fliegende Locken vorn lichtesten Blond. Sie wäre eine schöne Puppe gewesen, war aber kein anziehendes Weib. Sie knüpfte ihren reichen Trauershawl an den Enden auf ihrem Rücken zusammen, und dieselben ihrem Sohne in die Hände gebend, begann sie den Bergrücken auf- und abzuschreiten, während der Knabe mit schwacher Stimme ihr zurief.
Dies hieß er Pferdchen spielen.
Sie ging nicht rasch, doch immer schnell genug ihrem Sohne zu Liebe, bis es ihr an Athem fehlte und sie plötzlich inne hielt, ihre beiden kleinen Hände über das klopfende Herz pressend, während der Knabe noch immer an den Fransen ihres Tuches riß.
Da — mit den letzten Strahlen des röthlichen Sonnenscheines auf seinen blassen, olivenfarbenen Zügen, mit dem sterbenden Lichte in den Tiefen seiner braunen Augen, mit seinem langen Schatten, der sich gigantisch und schreckhaft hinter ihm an der Hügelwand ausdehnte, auf dem Fußpfad ihr gerade gegenüber, stand ein Mann, den sie seit acht Jahren nicht gesehen.
»Hauptmann Walsingham!« rief sie mit einem erschrockenen Ausdrucke in ihrer Stimme, der jedoch weder einem Angstruf noch einem Schrei glich.
»Lady Lisle!«
Er lüftete seinen Hut, der Wind fuhr in die Locken seines schwarzen Haares und entfernte sie von seiner Stirne. Er war sehr hübsch, aber seine dunkle Schönheit hatte einen fremdartigen Charakter.
Stark markirte, aber vollkommen schön geformte Züge, dunkle Gesichtsfarbe und Augen, die, obschon braun, schwarz wie die Nacht unter ihren langen Wimpern hervorblickten, groß, mit breiter Brust und stattlichem Bau, stand er vor ihr.
Er hielt einen Stock in der Hand, auf dessen goldenen Knauf er sich lehnte, als er Lady Lisle gegenüberstand.
Es lag keine Ueberraschung in seinen Mienen bei dieser Begegnung, nur etwas Erregung. Nach einer Pause sagte er:
»Ich las seinen Tod aus einer Zeitung.
Sie blickte ihn mit starren, verwunderten Augen an, und murmelte:
» Ich glaubte Sie in Indien.«
»Ja, dort war ich, aber ich erfuhr seinen Tod in einem Clubhause in Calcutta, wo ich mit einigen billardspielenden Gefährten mich aufhielt. Einer derselben schob mir ein englisches Tageblatt in die Hand. Ich las dergleichen selten; doch als mein Blick darauf fiel, sah ich Sir Reginald Lisle Bart, von Lislewood-Park, Sussex, alt neunundzwanzig Jahre, unter den anderen Todesfällen. Die »Dalhaurie« segelte des andern Tages, und ich mit ihr.«
»Also noch immer —«
»Liebe ich Sie, so sehr wie sonst.«
Er nahm ihre kleine behandschuhte Hand in die seine, und drückte sie sanft an seine Lippen.
Der Knabe riß gewaltsam an den Fransen, und schrie laut:
»Wer ist er, Mama, und warum küßt er Deine Hand? Warum liebt er Dich? Er ist ja nicht mein lieber Papa.«
Hauptmann Walsingham legte seine Hand auf des Knaben Haupt, und sein blasses, kränkliches Gesichtchen gegen die matte Helle wendend, sah er ernst in dasselbe, indem er sagte:
»Du bist Deiner Mutter ähnlich, sowohl im Aeußern wie im Charakter, Sir Rupert Lisle, und wir Beide müssen Freunde werden. Ich will mit Dir Pferde spielen.«
»Dann will ich Dich recht lieb haben,« antwortete der Knabe.
»Sie waren überrascht mich zu sehen, Lady Lisle? Doch was ist natürlicher? Nachdem ich den Tod Sir Reginald’s vernommen, machte ich mich reisefertig. Tags darauf eilte ich nach England. In Dover angelangt, erfuhr ich, daß Sie noch immer in Lislewood lebten. Ich kam sogleich herüber, ohne London zu berühren, ging in’s Haus, man sagte mir, Sie seien mit dem Ponywagen ausgefahren, und kam hierher, Sie zu finden.«
»Warum hierher?« frug sie.
»Können Sie dies nicht errathen? Weil wir auf dem Gipfel dieses Hügels uns getrennt, vor acht Jahren im September, und weil ich dachte, Sie möchten wohl zuweilen diesen Ort aufsuchten.«
»Sie werden in’s Schloß kommen und da verweilen?«
»Nein. Ich will im »goldenen Löwen« in Lislewood absteigen und jeden Tag in’s Schloß hinüber reiten. Wenn ich in Ihrem Hause logierte, würden die Leute darüber reden.«
»Ach ja, Sie haben recht.«
Sie hatte so selten selbstständig gedacht, und war ihr ganzes Leben so gewohnt, nach der Meinung Anderer zu handeln, daß die naheliegendsten Ideen ihr nie freiwillig in den Sinn zu kommen schienen.
»Ich sah Ihren Ponywagen dort unten auf der Straße, und erkannte die Livrée der Lisle. Wollen Sie mich mit zurücknehmen?«
»Ja, wenn Sie mitkommen wollen. Wir speisen um Sieben, es ist zwar schon vorüber, wie ich glaube, aber ich lasse das Essen immer warten, man ist schon daran gewöhnt. Komm, Rupert.«
Sie nahm des Knaben Hand in die ihre, und sie stiegen den Hügel hinab.
Hauptmann Walsingham ihr zur Seite.
»Sie sagen nicht, daß Sie sich freuen mich zu sehen,« sagte er nach einer Pause, indem er mit der Spitze seines Stockes auf das bräunliche Haidekraut schlug.
»Sie erschreckten mich so sehr. Sie hätten schreiben sollen, um mich von Ihrem Kommen zu unterrichten. Ich bin nicht stark.«
»Nein,« sagte er, mit einem eigenthümlichem, beinahe spöttischem Lächeln, »nicht stark, niemals stark. Weder stark zu widerstehen, zu bekämpfen, noch zu dulden. Verzeiht, Lady Liste, doch Gott weiß, ob der Mangel dieser Eigenschaft in Ihrer Seele oder in Ihrer Constitution zu suchen ist. Zuweilen frage ich mich auch, ob Sie überhaupt eine Seele besitzen.«
»Sie sind grausam wie immer, Arthur,« sagte sie, indem ihre großen Augen sich mit Thränen füllten.
»Schicken Sie Ihren Sohn zum Wagen, und gehen Sie fünf Minuten mit mir allein.«
Sie gehorchte ihm sogleich, und der kleine Knabe lief den Hügel hinab zu dem Phaëton und kletterte auf seinen Sitz an der Seite des Kutschers.
»Claribel Lisle,« sagte der Offizier leidenschaftlich, »wissen Sie, daß ich vor Jahren im fernen Indien auf die Kniee fiel und Gott bat, diese heutige Begegnung mir zu gewähren? Es war eine gottlose Bitte, nicht wahr, denn sie umfaßte den Tod eines Mannes, der mich nie beleidigt hatte; doch sie ward erfüllt. Vielleicht mir zum Fluche erfüllt. Es war ein leidenschaftliches, wahnsinniges, verblendetes, ruheloses, verzweifeltes, heidnisches Gebet. »Laß’ mich sie wiederfinden als Bettlerin auf der Straße, wiederfinden von Krankheit niedergeworfen in einem Hospital, wiederfinden, verlassen und verachtet von jedem Geschöpf auf dieser weiten Erde, nur laß’ mich sie wiederfinden wie und wo immer es sein mag, und beim Lichte des Himmels, sie soll mein Weib werden!« Dies geschah vor Jahren; während dieser langen Zeit habe ich täglich dies Gebet erfleht. Es ist erhört und ich bin hier.«
»Sie Reginald meinte es gut mit mir,« sagte sie, als Antwort auf seine Rede. »Ich suchte meine Pflicht gegen ihn zu erfüllen.«
»O ja, Claribel, ich kann mir dies denken. Sie thaten auch Ihre Pflicht gegen Ihre Tante und Ihre Vormünder, als Sie vor acht Jahren mir das Herz brachen und mich verließen, um Sir Reginald Lisle zu heiraten.«
»Sie quälten mich so schrecklich, sagten so entsetzliche Dinge —«
»Ja, sie sagten ich sei in Ihr Vermögen verliebt, nicht wahr? Sie sagten, daß der mittellose Offizier nur um die verwaiste Tochter des reichen Kaufmannes werbe um der Tausende willen, die der Vater ihr hinterlassen. Das sagten sie, und Sie — Sie, die mich und meine Liebe kannten, Sie, Claribel, glaubten ihnen.«
»Ich wagte nicht meinem eigenen Urtheil zu trauen.«
»Ja, Lady Lisle, das war die, Sünde Ihres Lebens.«
Er umspannte ihre zarten Gelenke mit seinen beiden starken Händen, und hielt sie ein wenig von sich entfernt, indem er ihr ernst in’s Gesicht blickte.
»Gott im Himmel, welch ein gebrechliches, schwaches Rohr ist es, auf das ein Mann seines Lebens Glück baut! Wer kann sich wundern, wenn er Schiffbruch leidet? Meine arme, schöne, gebrechliche, seelenlose Claribel, man kann eben sowohl nach Stärke und Kraft suchen in dieser schwankenden Glockenblume, als auf Treue und Beständigkeit hoffen bei Ihnen.«
»Sie sind sehr grausam, Arthur.«
»Bin ich das? Erinnern Sie sich des Septembers vor acht Jahren? Wer war damals grausam? Claribel, wir stehen auf derselben Stelle, wo wir damals bei einander standen an jenem Trennungsabend. O, wie ergreift mich dieselbe Qual an diesem selben Ort! Wie kehren die alten Schmerzen zurück und nagen an diesem müden Herzens Nacht um Nacht, Jahr um Jahr hab’ ich geträumt von diesem Hügel und unserer Trennungsscene. Ich hörte das Rauschen Ihres Seidenkleides, als der Abendwind es über die niederen Büsche des Haidekrautes wehte; ich fühlte die leise Berührung Ihrer kleinen Hand, die auf meinem Arm ruhte, ich sah Ihre Thränen, wiederholte Ihre herzlosen Worte, nicht weniger herzlos für mich, weil sie Ihnen selbst peinlich waren. Ich drückte Sie an meine Brust in jenem letzten Abschiedsschmerz, und erwachte, um die Sterne zu sehen, die durch das Linnendach meines Lagerzeltes schimmerten, und das Geheul des hungrigen Schakals in der Ferne zu hören.«
»Auch ich litt. Ich litt so viel als Sie,« sagte sie mit bewegter Stimme.
»Nein, Claribel, Es ist ein allgemeiner Irrthum, zu glauben, daß ein Weib von solchem Kammer viel litte. Es leidet, ja, aber es leidet daheim; und der Gram hat oft in seiner tiefsten Tiefe einen verklärenden Einfluß, und macht es zu einem besseren Wesen. Mit einem Manne ist es anders. Er sieht seine Hoffnungen zerschellt und den Plan seines Lebens vernichtet, und diesem Wrack den Rücken wendend, zieht er hinaus in die Welt, um — Zerstreuung zu suchen! Ich will Ihnen nicht mittheilen, Lady Lisle, welch’ ein weites Feld das Wort »Zerstreuung« umschließt; ich will Ihnen nur sagen, daß vor acht Jahren ich Ihrer würdig war — heute bin ichs nicht mehr.«
»So lieben Sie mich nicht?« frug sie.
»Ja, Claribel, o ja. Ich hatte nie vermocht eine Andere zu lieben als Sie. Ich sah schönere und bessere Frauen, aber es war mein Wahn und mein Unglück, unvermögend zu sein, Sie zu vergessen oder aufzuhören Sie zu lieben. Ich verachtete Sie um Ihrer Falschheit willen, ich fluchte Ihnen Ihrer Treulosigkeit halber; aber durch acht verzweifelte, elende, hoffnungs- und ruhelose Jahre gedachte ich Ihrer und liebte nur Sie. Verdiene ich eine Belohnung? Sie sind Ihre eigene Herrin heute. Ihre Tante, deren Einfluß auf Sie so bedeutend war, ist längst todt. Ihre Vormünder haben keine Rechte mehr über Sie. Claribel, ich frage Sie jetzt, stehend auf der Stelle, wo vor acht Jahren ich, im leidenschaftlichen Taumel der Verzweiflung, zu Ihren Füßen sank, ich frage Sie jetzt, wo Sie frei sind, wollen Sie den Schwüren Ihrer Jugend treu sein?«
Sie war einige Augenblicke still.
Sie hatte während dieser ganzen Rede geweint, nun aber trocknete sie ihre Thränen, und sagte mit leiser Stimme:
»Ja, Arthur, wenn es Sie glücklich macht.«
Sie äußerte diese Worte mehr wie aus Furcht vor ihm als aus eigenem Antrieb.
Er schlang seinen Arm um sie, zog sie sanft an sich, küßte sie auf die Stirne, und führte sie dann schweigend den Hügel hinab zu dem Wagen.
»Mama, Mama!« rief des Knaben helle Stimme, als sie sich dem Phaëton näherten; »ich glaubte Du würdest gar nicht kommen. Ich bin so hungrig und es ist beinahe dunkel. Und Brooks mag mir keine Geschichten mehr erzählen.«
»Weil Sie sie schon alle zweimal hörten, Sir Rupert,« sagte der Diener, seinen Hut lüftend.
»So erzählt Dir Brooks Geschichten, Sir Rupert,« sagte der Hauptmann lachend. »Von Jacob, dem Riesentödter, vermuthlich und dem Däumling. Nun, ich werde Dir auch Geschichten erzählen, Geschichten von Indien.«
»O, da habe ich Sie sehr lieb, und möchte, daß Sie mein neuer Papa werden. Brooks sagt —«
»Spring’ hinein, Sir Rupert. Es ist beinahe acht Uhr und Mama will mich nach Hause fahren.«
Der leichte Phaëton flog dahin über den hügeligen Grund, und bog nach halbstündiger Fahrt in das Thor von Lislewood-Park, einem der schönsten und ausgedehntesten Edelsitze der Grafschaft Sussex.
Der kleine Baronet war entzückt über seinen neuen Bekannten, und der Hauptmann beschäftigte ihn bis neun Uhr durch Erzählungen von Feenmärchen und dergleichen zu seiner Unterhaltung. Aber zur genannten Stunde erschien die ernste Wärterin an der Thüre des Salons, und überredete Sir Rupert nicht ohne bedeutende Schwierigkeiten, sich mit ihr in sein eigenes Zimmer zu begeben.
»Sie verziehen Ihren Sohn, Claribel,« sagte der Hauptmann, als der Knabe gegangen war.
»Wie könnt ich anders? Er war Alles, was mir zu lieben geblieben war.«
»Er ist ein schöner Junge, aber er sieht nicht kräftig aus.«
»Nein, er ist auch nicht kräftig; und dies ist zum Theil auch die Ursache, weshalb ich ihm meist seinen Willen thue. Die Aerzte sagen mir, es dürfe ihm nicht widersprochen werden. Er ist ein so nervöses Kind.«
»Ist er begabt?« frug der Hauptmann.
»Nun, ich glaube kaum, daß er sehr begabt ist,« sagte Lady Lisle mit einigem Zögern; »er ist zurück in seinen Studien. Mr. Maysome, der Pfarrer, kommt jeden Morgen herüber, ihn zu unterrichten, aber ich fürchte er findet ihn lässig.«
»Klagt er über ihn?«
»Ja, zuweilen,« sagte Lady Lisle nachdenklich.
»Es thut nichts, Claribel; er wird einst ein reicher Mann und hat nicht nöthig gescheidt zu sein. Wir armen Schelme, die mit dem Leben kämpfen müssen, brauchen allen Verstand für uns.«
Der Hauptmann sagte dies mit einem bittern Lachen, und sich von seinem Sitz erhebend, ging er zum Kamin und blickte, seinen Arm aus das Marmorgesimse stützend, in die Gluth zu seinen Füßen. Der Schein des Feuers, der auf sein dunkles Gesicht fiel, beleuchtete die düstern Schatten seines braunen Auges und die scharfen Linien seines Mundes, der von einem schwarzen Schnurrbart beschattet war, den er unaufhörlich mit seiner starken Hand bearbeitete, während er brütend über dem Feuer lehnte.
Lady Lisle, welche auf der entgegengesetzten Seite an einem kleinen Tische saß, auf dem eine niedere, grünbeschirmte Lampe stand, sah mit ihren blauen Augen verwundert zu ihm auf.
»Sie sind verändert, Hauptmann Walsingham,« sagte sie nach einer Pause.
Er antwortete nicht sogleich, zuckte aber mit den Schultern und stieß den blanken Griff des Schürers mit der Fußspitze durch das Gitter hin und her. Dann sagte er:
»Sie meinen verändert? Verändert nach acht Jahren eines Lebens, wie es der Mann in Indien führt? Nach achtjährigem Genuß von Weißbier und Branntwein, nach acht Jahren Billardspiel und Ecarté, Hazard- und anderen Kartenspielen, Pferderennen, Tigerjagen, Raufen, Fechten, Hofmachen, Borgen und Spenden —- bah! Lady Lisle, ich thue wohl besser den Katalog nicht zu vollenden, Sie möchten sonst einige Punkte streichen.«
»Arthur,« sagte Claribel Lisle, ihre langen, blonden Locken nachlässig um ihre weißen, schlanken Finger rollend, »wissen Sie, daß Sie unterdessen ein wirklicher Bär geworden sind?«
»Ein Bär!« lachte er kurz und spöttisch. »Ist das die ganze Veränderung, welche Sie nach achtjähriger Trennung an mir finden? Mein Benehmen ist wohl nicht fein, ich habe ein rauhe, tiefe Stimme, ich spreche unverschämtes Zeug und lache den Leuten in’s Gesicht, ich bin ungeduldig und verstimmt, das heißt ich gebe nicht einmal vor in guter Laune zu sein, wie wohlerzogene Leute sollten, ich komme im Ueberrock und bunter Weste zur Tafel, suche eine Dame um sechs Uhr Abends auf, die mich vor acht Jahren verschmähte, und welche ich seitdem nicht wieder gesehen. Sie nicht zu Hause treffend, verfolge ich sie auf ihrem Spaziergange, belästige sie in ihrer Zurückgezogenheit, und bitte sie um ihre Hand, bevor noch ihr Witwenjahr verflossen. Kurzum, Lady Lisle, um Ihren eigenen, kräftigen Ausdruck zu gebrauchen, ich bin ein Bär geworden.«
Als er geendet, blickte er auf und begegnete seinem Spiegelbild über dem Kamin Er fuhr mit der Hand durch sein dichtes, schwarzes Haar, strich es nach einer Seite von der Stirn, und betrachtete sich einige Augenblicke mit gedankenvollem Lächeln.
Lady Lisle beobachtete ihn mit Erstaunen, sprach aber nicht. Sein Einfluß auf sie war augenscheinlich sehr groß, und in ihrem Benehmen gegen ihn machte sich stets eine gewisse Furcht bemerkbar, eine Furcht, welche dem Bewußtsein seiner Kraft und ihrer Schwäche zu entspringen schien, trotzdem aber mit der Kenntniß ihrer außerordentlichen Macht über ihn vermischt war, einer Macht, die sie nicht verfehlte in kleinlichen weiblichen Ansprüchen geltend zu machen.
»Lady Lisle, Sie finden mich verändert nach dem was ich im September vor acht Jahren war-? Wie, wenn ich sage, daß ich nicht mehr derselbe Mensch bin, der ich damals gewesen?«
»Arthur!«
»Betrachten Sie mein Gesicht im Spiegel; kommen Sie hierher, Claribel, stellen Sie sich neben mich und beschauen wir es Beide. Ich finde keine großen Veränderungen darin, nicht wahr? Einige kaum bemerkbare Falten unter den Augen, einige harte Linien um den Mund, und die Broncefarbe der indischen Sonne. Großer Gott! Wie wenig reflectiren die Gesichtszüge das Heez! Und welch’ ein narbenvolles, sturmgepeitschtes, abgebranntes Antlitz würde dies sein, wenn es die äußern Zeichen jedes inneren Kampfes trüge! Nun sehen Sie, welch eine hübsche brauchbare Maske daraus gemacht werden kann, und wie das große Räthsel — Mensch — sich dahinter verbergen kann!«
»Arthur, ich mag Sie nicht so sprechen hören.«
»Ja, es ist bärenhaft, nicht wahr? Ich sollte zu Ihren Füßen sitzen, Ihnen süße, liebliche Geschichten meines achtjährigen Aufenthaltes in Indien erzählen. Wie ich Ihnen zu Liebe nie Bier getrunken, um Ihretwillen Würfel und Spieltisch mied und die Gesellschaft der Frauen floh, um in der Erinnerung Ihrer schönen Züge zu schwelgen. Dies wäre das Rechte, nicht wahr? Aber, Claribel Lisle, ich sage Ihnen nichts dergleichen. Ich bin ein Bär, wie Sie sich ausdrückten, und sage Ihnen die Wahrheit. Hören Sie also. Ich hasse Sie eben so sehr, wie ich Sie liebe. Mein Herz ist getheilt in diese beiden Leidenschaften, und ich weiß kaum zu sagen, welche von ihnen mich aus Indien hierher und zu Ihren Füßen trieb. Sie haben durch Ihren Vorrath vor acht Jahren einen Mord begangen, und es ist der Geist des damals getödteten Arthur Walsingham, der in diesem Augenblick vor Ihnen steht. Durch Sie bin ich zum Spieler, Trunkenbold und Wüstling geworden. Das Andenken an Sie hat mich zur Flasche, zu den Karten und zu dem Lächeln herzloser Weiber getrieben, um Erleichterung meiner Qualen zu finden. Dies, Lady Lisle, mußte ich Ihnen sagen, wenn ich überhaupt sprechen wollte.«
»Arthur, es zerreißt mein Herz, Sie so reden zu hören,« sagte sie, als er sich abwandte, um sein Gesicht in seinen Händen zu verbergen. »Arthur, ich verspreche Alles zu thun, was in meinen Kräften steht, um das Vergangene wieder gut zu machen. Verspreche ichs nicht?« wiederholte sie, indem sie versuchte seinen Kopf mit ihren schwachen Händen zu erheben.
»Ja, ja, Sie sind sehr gütig, Claribel, und Sie versprechen endlich — endlich mein zu sein. O, meine Geliebte, meine Thyrannin, meine süße, meine grausame Claribel, beten Sie, daß die bittere Vergangenheit für immer vermischt werde, und daß keine traurigen Wirkungen jener trüben Zeit je Ihr liebes Haupt berühren mögen.«
Er legte ihre schönen Locken auf seine Schulter, und schaute auf sie nieder mit zärtlichem, bedauerndem aber düsterem Blick.
»Claribel, Sie haben versprochen mich zu heiraten. Bereuen Sie diesen raschen Schwur? War es Furcht, was Sie trieb meine Bitte zu gewähren? Besinne Dich, Geliebte, besinne Dich, ehe es zu spät. Ein Wort und ich verlasse diese Nacht noch diesen Ort, und bin in zwei Tagen auf dem Wege nach Indien. Ein Wort, Claribel, und Du bist frei von mir für immer.«
Sie erhob ihre thränenvollen Augen zu ihm, und ihre kleine Hand in die seine legend, sagte sie mit von Schluchzen unterbrochener Stimme:
»Ich liebte nie einen Andern als Dich. Ich war sehr schlecht, als ich Dich verschmähte und mich mit Sir Reginald Lisle vermälte, aber ich war zu feige dem Uebergewichte meiner Freunde zu widerstehen. Manchen Abend zu meines Gatten Lebzeit saß ich auf dieser Stelle ihm gegenüber, Dein gedenkend im fernen Indien, Dein gedenkend, bis der Raum um mich und meines Gatten Züge verschwanden, und ich Dich sah, verwundet in der Schlacht, oder schlafend im düstern Wald, allein, verlassen, krank, sterbend. Doch dem Himmel sei Dankt Du bist gerettet, bist zu mir zurückgekehrt, liebst mich noch.«
»Noch und immer. Ich sage Dir, es ist meine Leidenschaft, Claribel Lisle. Du willst Dich mit mir also verbinden, was auch kommen mag?«
»Was auch kommen mag, ja.«
Sie zitterte, als sie in sein dunkles Gesicht blickte, und sprach seine Worte nach, zagend und leise wie ein Kind.
Die würdigen Gemeindemitglieder von Lislewood erinnerten sich sehr wohl, wie vor acht Jahren ein gewisser Hauptmann Walsingham von der ostindischen Rekrutirungs-Compagnie zum Besuch zu Sir Reginald Lisle gekommen war, sie erinnerten sich seines hübschen brünetten Gesichtes, ungezwungenen Wesens und seiner militärischen Haltung, an das Klirren seiner Sporen, wenn er über das rauhe Pflaster der langen Dorfstraße schritt, an das Schwingen seiner Reitpeitsche, die er in der kräftigen Hand hielt, an den Glanz seines steif gewichsten Schnurrbartes (er diente in einem Cavallerie-Regiment), an sein freundliches Lächeln gegen die Kinder, wenn sie sich um ihn schaarten, um den großen Officier anzugaffen und zu bewundern, an seine klangvolle Stimme, wenn er bei dem »goldenen Löwen« einsprach, um das Ankommen der Londoner Postkutsche abzuwarten, oder wenn er zu dem Schmied schleuderte, der zugleich Thierarzt war, um ihn zu fragen, was wohl seinem Jagdhund Dragon fehle? Ein schmucker und nobler Herr! Schön von Ansehen, gut von Gemüth und offen in der Rede dachten sich die Bewohner von Lislewood. Sie erinnerten sich auch, wie er damals bis zum Wahnsinn verliebt war in Claribel Merton, die Waise und Erbin eines reichen ostindischen Kaufmannes, die sich bei ihrer Tante, einer unverheirateten Schwester des verstorbenen Pfarrers, in Lislewood aufhielt. Sie erinnerten sich dieser Liebesgeschichte, weil Hauptmann Walsingham, der keineswegs zurückhaltend war, wenigstens zwanzig Vertraute besaß, und mehr als einmal geschworen hatte, sich zu erschießen oder zu ertränken. Auch hatte Martin, sein Diener, ein braver Kerl, dem Schankmädchen im »goldenen Löwen« erzählt, daß er seines Herrn Pistolen versteckt habe, und nur bedauere, nicht auch den Fluß verbergen zu können.
Hauptmann Walsingham war also verliebt in das schöne Mädchen mit den blonden Locken, und diese Liebe verwirrte ihm den Kopf und machte ihn ruhelos und schwermüthig. Man hatte ihn in Verdacht, daß er ihres Vermögens halber um sie werbe, worauf er bat, man möge ihm Claribel ohne einen Heller geben, - und mit ihrem Reichthum ein Hospital gründen; er hatte gebeten, gedroht, geflucht, und ganz Lislewood hatte Partei für ihn genommen und sich an dem kleinen Roman betheiligt. Jede verstohlene Zusammenkunft an den sandigen Dünen oder auf den nackten Hügeln, die an das kleine Dorf stießen, wurde bekannt und besprochen. Jede Nacht, die er damit zubrachte, vor dem Hause und Gärtchen ihrer Tante auf und ab zu gehen, den matten Lichtschein bewachend, der aus ihrem Fenster drang, jedes Briefchen, welches das Dienstmädchen einschmuggelte, das Goldstück, das der Hauptmann vom Schmied hatte entzwei brechen lassen und in dessen Fragmente die Liebenden sich theilten, die schrecklichen Scenen zwischen dem Freier und des jungen Mädchens Beschützerin — alle diese Dinge waren öffentlich besprochen worden bei den Thee- und Kaffeevisiten in Lislewood, von jungen Damen, welche den hübschen Officier für viel zu gut hielten für »das einfältige Ding,« wie sie unehrerbietiger Weise Miß Merton nannten, von alten Jungfern, welche fest behaupteten, daß es ihm nur um ihr Geld zu thun sei, von jungen Männern, welche für den verzweifelten Liebhaber schwärmten, von grauköpfigen Junggesellen, die ihn einen Narren nannten mit seiner ungestümen, brausenden Leidenschaft, kurz von Jedermann wurde Arthur Walsinghams Werbung und seine Verdienste bekrittelt.
Die einzige Person, welche sich wirklich ruhig verhielt in dieser Angelegenheit, war die junge Heldin des sentimentalen Dramas Claribel Merton hatte keine Vertraute und legte auch keine Bekenntnisse ab. Nie hörte man, daß sie eine Scene gemacht, zu den Füßen ihres unerschütterlichen Vormunds in Ohnmacht gefallen, oder bei der Beantwortung einer der verzweiflungsvollen Episteln ihres Geliebten ertappt worden sei. Sie hatte ihn einige Male begegnet auf den einsamen Hügeln und Spaziergängen, die um das Dorf lagen, aber sie glaubte dies sei Zufall, während er ihr Haus beobachtet hatte und ihr gefolgt war, wenn er sah, daß sie es allein verließ. Ueberhaupt wurde sie am wenigsten in der Sache erwähnt. Schön und bleich, mit dem hellen Schein goldener Locken um ihr gesenktes Haupt, begegnete sie jeden Sonntag den Blicken der Bewohner Lislewood’s in der Dorfkirche, und Keiner sah sie jemals erröthen oder erbleichen unter dem brennenden Blick Arthur Walsingham’s, der in einem der Sitze, in Gedanken verloren, sein Gebetbuch mißhandelte. Er konnte diesen Platz behaupten, während dem Absingen der Psalmen die Ellbogen auf den Betstuhl vor sich stützend und sie unverwandt anstarren; abgehärmt, mit hohlen Augen und in der Morgensonne geisterhaft bleichen Zügen.
Er konnte aufspringen inmitten der Predigt und seine bespornten Stiefel über das Pflaster des heiligen Bodens knarren und klirren lassen, jedes Mitglied der versammelten Gemeinde störend, die Schulkinder so in Aufruhr dringend, daß sie sich in der Zerstreuung »arme Walsingham’s« in den Antworten der Litanei nannten; doch er konnte thun was er wollte, er vermochte nicht den Gleichmuth Claribel Merton’s zu stören. Wenn der Gottesdienst beendet, der Segen gesprochen war und der Organist die letzten Töne der Orgel entströmen ließ, unter welchen die Versammlung sich langsam verlief, ging Miß Merton ruhig den Fußpfad über den Kirchhof entlang an dem Hauptmann vorbei, der auf einem Grabhügel lag und verzweiflungsvoll zu ihrem sie verhüllenden Sonnenschirm aufblickte. Wenn ihr seidenes Kleid ihn streifte, ging ein Zittern durch seinen ganzen Körper, aber in ihrem ruhigen blauen Auge konnte man weder Ueberraschung noch Erregung, weder Schmerz noch Verdruß, weder Liebe noch Mitleid lesen.
»Ihr Alle haltet mich für einen Narren, weil ich um einer Wachspuppe halber verrückt werde,« rief er eines Abends im Schlosse zu Lislewood-Park aus, als er etwas zu viel getrunken hatte und seine Freunde ihn um seiner tollen Liebe willen verspotteten. »Ich weiß so gut wie Ihr, daß es ein Schulknabenbenehmen ist, aber davon wird’s nicht anders, wenn ich auch daran sterbe.«
Hatte nun Miß Merton, wie ihre Feinde aussprengten, viele Attribute gemein mit einem schönen, blauäugigen, blondhaarigen Wachsbilde, so war sie darum nicht minder eine Erbin und ein schönes Weib; und war es dieser Umstand, oder war es die auffallende, Aufsehen erregende Art und Weise von des Hauptmannes dringender Werbung, es läßt sich dies nicht ergründen, aber sechs Wochen nach der Ankunft des indischen Officiers in Lislewood-Park ward sie Mode.
Ja, sie ward Mode! Nun hätte sie mögen so häßlich wie die Sünde sein, sie hätte doch den schönsten Mann bekommen, so arm wie Hiob, sie hätte den reichsten haben können. Wäre sie hoffnungslos dumm gewesen, unglaublich unwissend, oder hätte sie rothes Haar und einen Höcker gehabt, da sie in der Mode war, so wäre sie doch bewundert, geschmeichelt, geliebt, gefreit und gesucht worden.
Claribel Merton wurde plötzlich dieses wunderthuende Zeichen aufgedrückt. und Leute, die sich vorher nicht im mindesten um sie kümmerten, starben vor Verlangen sie zu besitzen. Sie selbst war es eigentlich nicht, nach der sie strebten, sondern nach ihrer Berühmtheit. Sie wollten sich an sie fesseln, um ihren Ruhm mitzugenießen und ihr Aufsehen, ihr von sich reden machen zu theilen.
Sie war so en vogue in dem kleinen Orte Lislewood, wie Einer, der eine Novelle geschrieben hat über die arbeitende Klasse, oder der eines Mordes verdächtig, es in London ist. Man sprach nur von ihr, und zwei Monate nach der Ankunft des Hauptmannes war es Sir Reginald Lislewood — der nie etwas für sich wünschte, außer wenn er das Vergnügen haben konnte, es einem Andern damit zu entziehen — der ihr seine Hand bot, und nach einer kurzen Bedenkzeit auf Antrieb ihrer Tante angenommen ward.
Hierauf folgte jene schreckliche Scene auf der Anhöhe, genannt Beechers Ritt, und als der Hauptmann Abends nicht in’s Schloß zur Tafel kam, ward sein Diener Martin ausgeschickt ihn zu suchen, der instinctmäßig den Hügel erstieg und seinen Herrn in einer Art Ohnmacht im feuchten Grase liegend fand.
Damals war es auch, wo der Hauptmann seinen Wirth, Sir Reginald, forderte, und wo die schrecklichsten Scenen zwischen dem verschmähten und dem angenommenen Freier stattfanden. Scenen, welche damit endeten, daß der Officier den Staub von seinen Füßen schüttelte und das Schloß seines Nebenbuhlers verließ, seinem Feinde und seiner herzlosen Braut Glück wünschend, und im Galopp durch die Dorfstraße zu dem Aufnahmshause für Indien sprengte, wo er bat, man möge ihn irgend einer Expedition einreihen, wo die Feinde seines Landes so barmherzig sein würden, ihn zu erschießen.
Die Leute in Lislewood waren hierauf neugierig, zu wissen, ob Claribel Lisle wohl bedauere ihre Zustimmung zu der Abweisung dieses halb wahnsinnigen Liebhabers gegeben zu haben, aber wie gewöhnlich konnten sie nichts in ihrem Gesichte lesen. Ihre Züge verriethen kein Geheimniß, sie waren bis zur Vollkommenheit schön geformt und zart gefärbt, aber undurchdringlich, räthselhaft, ja beinahe ausdruckslos Sie heiratete Sir Reginald Lisle ohne ihn zu lieben, mit der Ruhe mit der sie ihre Musikstunden nahm, ohne ein Gehör für Melodie zu haben, und ihren Zeichnenunterricht, ohne Sinn für Formen zu besitzen. Was Andere ihr sagten, that sie; sie hätte auch den Hauptmann geheiratet auf sein Gebot, denn sie war gänzlich unfähig einem stärkeren Willen als ihrem eigenen zu widerstehen, hätte nicht der Einfluß ihrer Tante sie davon abgehalten, der durch die Macht der Gewohnheit ein Uebergewicht hatte-; so war sie gänzlich denen untergeordnet, welche sie umgaben und beherrschten. Sie sah nur durch deren Augen, dachte mit deren Gedanken und sprach mit deren Worten. Der Hauptmann mochte so wahrhaft in seiner Liebe und Treue sein wie das Licht des Himmels, nannte man ihn falsch, so fing auch sie an, an ihm zu zweifeln. Sie konnte ihm mit ihrer sanften Stimme die grausamsten Dinge sagen, welches nur Wiederholungen der Aeußerungen ihrer Tante waren. Steuer- und ankerlos, von jedem Winde getrieben, gab sie nach einigen Tagen der Ueberedung ihre Zustimmung, den Hauptmann zu verabschieden und den Baronet zu heiraten; und bevor der Transport, mit welchem der Officier und die Truppen zogen, auf ihrem Wege nach dem Orient Malta berührten, bestreuten die Dorfkinder den Weg mit Blumen für Sir Reginald und Lady Lisle.
Acht Jahre waren verstrichen seit dem hellen Octobermorgen, wo Claribel Merton ihre Hand dem jungen Baronet gegeben. Acht Jahre und Sir Reginald, Malvin, Bernard Lisle war an einer anderen feierlichen Ceremonie in der kleinen Dorfkirche betheiligt; denn die sterblichen Ueberreste des jungen Mannes lagen in dem bedeckten Sarge mit den silbernen Wappenschildern von kostbarer Arbeit unter dem sammtenen Baldachin, getragen von den Vornehmsten von Lislewood. Eine neue Tafel von Marmor und Porphir erhob sich unter den wurmbenagten Statuen von Marmaduk-Lisle, hoch geehrten Ritter und Diener Ihrer Majestät Königin Elisabeth, und Martha, seine ermalin, sich gegenüber knieend auf einem Marmorkissen; eine neue Tafel mit der Aufschrift, daß Reginald, Malvin, Bernard, Sohn des Oscar, letztem Baronet, in der Gruft unter der Kanzel beigesetzt sei, wo die Asche seiner edlen Vorfahren ruhte.
Sir Reginald starb an einer schleichenden Krankheit, welche im Hause Lisle vorherrschend war; seit drei Generationen waren die Häupter der Familie gestorben, bevor sie das dreißigste Jahr erreichten, einzige Söhne hinterlassend, den Titel und die Güter zu erben, so daß in dem Falle, wenn Sir Reginald kinderlos gestorben wäre, ein sehr entfernter Anverwandte, Liebhaber der Musik und Malerei, in Neapel residirend, sein Nachfolger in der Baronie geworden wäre. Aber Sir Reginald, wie sein Vater, Großvater und Urgroßvater vor ihm, hinterließ einen einzigen Sohn, einen blassen, zarten Knaben von sechs Jahren, seiner Mutter ähnlich sowohl äußerlich als in ihren Neigungen; still und ruhig wie sie, ohne hervorragende Talente oder Energie des Charakters. Sir Reginald und Lady Lisle waren kein unglückliches Paar gewesen. Er liebte die Jagd, Pferde und Hunde, Waffen und Wetten, und all’ jene Vergnügungen für Herren, die viel Geld und wenig zu thun haben. Er hatte eine große Oekonomie, und machte viele neue Experimente und Versuche, die viel kosteten und gewöhnlich nichts taugten, ihn aber unterhielten, und er schleppte sein junges Weib durch gepflügte Felder und über nasse Wiesen, in Regen und Sonnenschein, seine neuen Anstalten zu bewundern.
Zuweilen hielt er Rennpferde, und ganz Lislewood war dann voll Lärm von Stallmeistern und Stallburschen; aber bald ermüdete ihn dies Vergnügen, wie die andern, und eines schönen Morgens fand man den ganzen werthvollen Rennapparat, Eigenthum des Sir Reginald Lisle, Claribel, den Sieger bei dem letzten Rennen in Lislewood-Park mit eingeschlossen 2c. 2c. zum Verkaufe in einem Londoner Blatte ausgeboten.
Alles ermüdete ihn mit der Zeit, jede Unterhaltung verfehlte ihn zu beschäftigen, und es schien endlich, als ob er in die genannte Krankheit verfiele, weil er sonst nichts zu thun hatte.
Claribel war sanft und fügsam, wenn auch nicht zärtlich, sie ging mit ihm, wenn er reisen wollte, sie trank Mineralwasser in deutschen Bädern, wenn er es verlangte, sie schlenderte mit ihm durch italienische und niederländische Bildergallerien, ohne daß eines von ihnen einen Titian von einem Tenier, oder einen Salvator Rosa von einem Rubens unterscheiden konnte. Wenn er begehrt hätte, daß sie den Montblanc besteige, sie würde sich tapfer angestrengt haben, den Gipfel zu erreichen, auch wenn sie dabei umgekommen wäre. Doch war dieser stille Gehorsam kaum eine Tugend zu nennen, sondern eher die angeborene Lässigkeit eines trägen Temperaments; Alles war weniger anstrengend für sie als Widerstand. Sie hörte ihm zu, wenn er sprach, sie las ihm an Sonnabenden lange Beschreibungen aus der Zeitung vor, obgleich sie kein Wort davon verstand; sie saß in ihrem Ponhphaëton, bei einem Wettrennen in der Nacharschaft, wenn sie auch den Sieger nicht kannte, wenn er vor ihr stand, und kaum die Namen wußte von ihres Gatten Pferden. Als er krank ward, pflegte sie ihn sanft und geduldig; war er unwillig, so ertrug sie es still; war er niedergedrückt, so that sie ihr Bestes, ihn aufzurichten, und als er starb, betrauerte sie ihn nach ihrer ruhigen, stillen Weise. Sie eilte hinweg von Lislewood gleich nach der Beerdigung, und lebte zurückgezogen in einem kleinen Badeort an der Küste mit ihrem Sohne und ihrer Dienerin. Das große, leere, glänzende Haus, in das der Tod so plötzlich eingetreten, hatte etwas Fürchterliches für sie, sie schauderte bei dem Anblicke der düsteren Alleen in dem dicht bewaldeten Park. Ihre Tante war längst todt, sie hatte keine Anverwandte und wenig Bekannte, ja kaum ein Wesen, das den Namen Freund verdient hätte; ihren Sohn liebte sie jedoch leidenschaftlich, und ihm widmete sie sich gänzlich. Gedachte sie nun wohl des hübschen Offiziers, jetzt wo sie wieder frei war? Sie mochte wohl zuweilen, und vielleicht war es ein Theil ihres Schmerzes, sich erinnern, wie sie vor acht Jahren sein liebendes Herz verwundet und gequält hatte. Sie wußte nicht lebte er oder war er todt, und hatte kein Mittel sich dessen zu versichern. Sir Reginald hatte nie den Namen seines ehemaligen Freundes genannt nach dem Streit, welcher sie Beide getrennt hatte. Sie durfte seiner nicht gedenken, es schien ihr unrecht, herzlos und unweiblich, so lange die Tafel noch so neu war in der Kirche zu Lislewood und der Deckel des Sarges kaum geschlossen in der Gruft unter der Kanzel. Sie ging auf Reisen mit ihrem Sohne und ihrer Dienerin; sie zeigte dem Knaben die großen, düsteren Kirchen, in welche sie sein Vater geführt hatte; sie ging mit ihm nach Antwerpen, Köln, Brüssel und München, und kehrte nach einer sechsmonatlichen Abwesenheit nach Lislewood zurück, wo sie den Tag nach ihrer Ankunft Arthur Walsingham an derselben Stelle, an der sie sich vor acht Jahren von ihm getrennt, begegnete.
Ein halbes Jahr ist vergangen seit der Rückkehr des indischen Officiers, und der stürmische Märzwind rüttelt die Zweige der Eichen in dem stattlichen Parke von Lislewood. Eine reiche und ausgedehnte Besitzung das Erbe von Lislewood; weit über die Berge von Sussex erstrecken sich die großen Ländereien, welche dem kleinen Baronet zu eigen sind; weit über die nackten weißen Bergrücken, welche die öden Dünen begrenzen, liegen noch niedliche Wohnsitze und wohlhabende Meierhöfe, worin nach der Ernte, dem Schlachten oder der Schafschur der Pachtzins zurückgelegt ward, um ihn, wenn das Halbjahr um sei, an Sir Rupert Lisle Baronet zu zahlen. Man konnte meilenweit wandern durch beschattete Heckenwege und lange, gedehnte, weißbesandete Landstraßen, durch Wälder von niederem Nadelholz, durch kleine Dörfer, die so versteckt lagen in dem Schatten der großen Hügelkette, daß man zu ihnen hinabsah von den hoch gelegenen Gründen wie in einen Brunnen; doch frug man wo immer nach dem Eigenthümer der belaubten Wege von Haselbüschen und wilden Rosen, oder der fruchtbaren Wiesen hinter den Hecken, den kleinen, zusammengewürfelten Hütten, die aussahen als wollten sie über dem ersten besten unvorsichtigen Wanderer zusammenstürzen, der sich in ihren Schatten wagte, immer und überall hörte man den Namen Sir Rupert Lisle.
Wenn man in ein halb vergessenes Wirthshaus trat, um eine Erfrischung zu verlangen, brauchte man nur aufzublicken zu dem ländlichen Schild, glänzend in der Hochsommersonne, um das Wappen der Lisle zu erkennen oder die Chiffre Sir Rupert’s. Ging man müßig einen Bauern beobachtend, wie er seine Leute anweisend oder selbst mithelfend auf dem Heuwagen stand, oder an dem Thor einer Scheune, so war es sicher ein Pächter Sir Rupert’s. Der Name Lisle war so alt und bekannt in der Grafschaft, wie die Schlacht bei Hastings selbst, in welcher Oscar Seigneur von Lisle eine tapfere Compagnie Bogenschützen befehligte gegen den Kern der Leute von Saxon Harald’s.
Das Geschlechtsregister der Ahnen des siebenjährigen Baronets hätte die Fläche der längsten Allee in dem Park von Lislewood bedeckt, hätte man die großen Rollen der alten, staubigen Pergamente in ihrer ganzen Länge entfaltet. Die Kirche von Lislewood war angefüllt mit den Trophäen und Denkmälern dieses alten Geschlechts, Banner, bei Creßy, Harfleur und Flodden erbeutet, hingen in modernden Fetzen über den Standbildern von Rittern und Streitern, deren Gebeine unter der Kanzel ruhten.
In der gegenwärtigen Sakristei der Kirche, welche einst die Familienkapelle der Lisle’s war, hing der Priester seinen Ornat über Monumente, deren Schnitzwerk von unschätzbarem Werthe war. Wohin man blickte in der alten Kirche, begegnete man dem Namen Lisle; in altem Latein, auf den mit Denksteinen bedeckten Wänden, in verblichenen Goldbuchstaben unter der Orgel, ein Geschenk des Großvaters des gegenwärtigen Baronets, in alterthümlichen Charakteren über dem Gesimse der Eingangsthür, das allwöchentlich einmal mit Brotlaiben belegt wurde für die Armen von Lislewood, eine Stiftung des sechsten Baronets.
Es war eigenthümlich, nach dieser fortwährenden Schaustellung des alten Namens, der weiten Ausdehnung, der Größe und des Reichthums des Hauses Lisle zurückzukehren nach Schloß Lislewood, und den einzigen Besitzer solcher Güter lässig spielend zu finden in dem kleinen, steifen Blumengarten, mit blassem, kränklichem Gesichtchen und phlegmatischem Wesen. Hatte der Anführer der normanischen Bogenschützen, der hochmüthige Unterdrücker der Sachsen, die Sieger von Creßy und Flodden, die edlen Royalisten, welche unter Rupert vom Rhein gekämpft, der tapfere Edelmann, welcher Lucy Waters schönen Sohn bei Marston schlug, hatten alle diese starken, tapferen Männer nur dies schwache, blonde Kind hinterlassen, ihre Reichthümer und ihren Ruhm zu erben? Es schien beinahe, als müsse das Gewicht dieses großen Erbes, nur allein auf diese hilflose Waise fallend, ihn erdrücken und vernichten. Es lag etwas Düsteres und Unnatürliches in seiner verlassenen Größe. Kein jüngerer Bruder theilte mit ihm seine Ländereien; kein Zweig von Verwandten, die von ihm abhingen; dazu noch der Reichthum seiner Mutter, der eines Tages noch alldem hinzugefügt werden sollte was sein Vater ihm hinterlassen; abgeschlossen von der Außenwelt, von seinen ärmeren kämpfenden Mitgeschöpfen, schien er dahinzuwelken unter der Last seines Reichthums und an dem Ueberfluß von Glücksgütern zu kränkeln.
Der Märzwind schüttelte also die Zweige der alten Eichen im Parke zu Lislewood, und Lady Lisle, nun Mrs. Walsingham, wurde zurückerwartet von dem Continent, wohin sie nach ihrer Trauung mit dem indischen Officier gereist war.
An einem trüben Februarmorgen hatten sich abermals die Dorfkinder auf dem Kirchweg aufgestellt; aber diesmal gab es keine Blumen für das Brautpaar zu streuen, denn der Winter war ungewöhnlich streng gewesen, und weder ein Schneeglöckchen noch ein Krokus war zu finden in den weiten Gärten von Lislewood. Der kalte Wind fing sich in den Falten des seidenen Brautkleides und wühlte in dem dunkeln Haar des Bräutigams, der das Haupt unbedeckt trug. Dem Pfarrer klapperten die Zähne, als er die Traurede hielt; ein kalter Regen schlug gegen die Fenster und übertönte fast die monotone Stimme desselben. Die Hand der Braut zitterte so sehr von der feuchten Kälte in der Sakristei, daß sie kaum die Feder führen konnte, um ihren Namen in das Kirchenbuch einzutragen.
Gäste waren zu dieser winterlichen Hochzeit nicht geladen. Lady Lisle’s gesetzlicher Rathgeber war ihr Brautführer, und aus der Nachbarschaft war Niemand bei der Feierlichkeit anwesend. Der Wagen der Lady hielt an der Kirchhofthüre, um das neuvermälte Paar zu der einige Meilen entfernten Eisenbahnstation zu bringen, die nach Dover führt, von wo aus sie ihren Weg weiter verfolgen wollten. Claribel Lisle schien sich ihrer Verbindung mit dem einst verschmähten Liebhaber zu schämen. Sie war froh die Crremonie hinter sich zu wissen und den Ort zu verlassen, wo man sie so genau kannte. Sie kniete nieder auf den kalten Steinplatten der Sakristei, und den kleinen Baronet in ihre Arme schließend, preßte sie ihn convulsivisch an ihr Herz. Zum ersten Mal in ihrem Leben stellte sie ihre Gefühle öffentlich zur Schau, und die Anwesenden blickten erstaunt auf sie herab.
»Habe ich auch recht gehandelt gegen Dich, mein Rupert, durch diese Heirat, oder nicht, mein theures Kind?«
Der Hauptmann wandte sich ab von Mutter und Sohn, und blickte wie abwesend durch das Fenster, vor welchem die frierenden Kinder der Brautleute harrten.
Nach einer Pause frug er:
»Sind Sie bereit, Lady Lisle?«
Sie antwortete nicht, schob aber den Knaben leise von sich, heftete einen langen, ernsten Blick auf ihn, bis er mit seiner Wärterin die Sakristei verlassen hatte, um in’s Schloß zurückzukehren; noch hörte sie den Wagen, mit dem der Knabe gekommen war, davonfahren, nahm dann den Arm des Hauptmannes, sagte dem Pfarrer Lebewohl und verließ die Kirche. Die Dorfkinder bemerkten die Blässe ihrer Wangen, ihre thränenfeuchten Augen, und daß ihre langen, blonden Locken vom Regen aufgelöst und vom Winde zerzaust waren; sie sahen auch, daß das Gesicht des indischen Officiers sogar noch bleicher war als das ihre, und daß seine starke Hand zitterte, als er die kleine Kirchhofthüre öffnete.
Nun waren sechs Wochen vorüber, und das junge Paar wurde jeden Augenblick erwartet.
In allen Zimmern und Sälen des Schlosses Lislewood brannten lustige Feuer. Das Haus war neu eingerichtet worden bei der Vermählung Sir Reginald’s mit der reichen Claribel Merton. Das alte Eichengetäfel aus der Zeit eines früheren Heinrichs war neu polirt und mit Goldleisten verziert worden. Ausgezeichnet schön geformte Verzierungen in Gold und Bronce, Silber und Ebenholz, Ormolu und Stahl glänzten vor ovalen Spiegeln in Rahmen von wundervoller Arbeit. Die große Bibliothek, ganz mit dunklem Eichenholz und Gold ausgestattet, war besser erleuchtet worden durch ein Mittelfenster von bemaltem Glas. Alle Rahmen der Familienbilder in den Corridors und Treppen, die an beiden Seiten der großen Halle hinliefen und oben in einer Gallerie endeten, die quer durch das Haus ging, waren frisch vergoldet und die Bilder selbst gereinigt und ausgebessert, und der große Salon im modernen Styl eingerichtet worden. Die Vorhänge bestanden aus weißem Moiré mit zarten Rosafransen, die Wände waren vom sanftesten Grau, in Felder getheilt, und mit Carnicen und Leisten von Weiß und Silber geschmückt; den Teppich bildete ein weißer Grund, auf welchem hier und da zarte Rosenknospen gestreut schienen, die luxuriösen Möbel hatten ebenfalls einen weißen Seidenüberzug und Rosafransen. Die bequemen Fauteuils waren von polirtem weißem Holze, dem Elfenbein ähnlich, und rollten bei der leisesten Berührung von selbst auf dem sammtweichen Teppich dahin. Dieser Salon stieß an einen kleineren, der grün und Gold decorirt war, und von welchem eine Thüre nach einer geheimen Treppe sich öffnete, welche in Lady Lisle’s eigene Gemächer führte, die durch einen kleinen Gang von dem übrigen Hause getrennt waren. Das Speisezimmer war ebenfalls mit geschnitztem Eichenholz ausgestattet sammt Schänktisch und Buffet, einem türkischen Teppich und grünen Sammtvorhängen. Die Wände waren gleich den Treppen und Gallerien mit Porträts der Familie Lisle und Gemälden von italienischen Meistern geziert.
Die strahlenden Feuer reflectirten an den glänzenden Wänden der reichen Zimmer; die Wachskerzen flimmerten in den silbernen Leuchtern und waren vervielfältigt durch die Spiegel, vor welchen sie brannten; Alles zu Ehren der Rückkehr von Mr. und Mrs. Walsingham von ihrer kurzen Hochzeitsreise.
Das schneeige Linnen und glänzende Silber, die großen goldenen Tafelaufsätze auf den antiken Schänktischen im Speisezimmer, das reiche Schlafgemach mit seinen violetten Sammtvorhängen mit weißem Atlas gefüttert, das Ankleidecabinet mit seinen venetianischen Spiegeln und kostbarem Porcellan, geschützt durch Doppelfenster vor jedem Luftzug von außen; die dicken Axminster Teppiche, die wohlgeschulten Diener mit leiser Stimme, sanftem Tritt, geschickter Hand und ehrerbietigen Manieren, die köstlichen Weine in silbernen Kühlbecken, die delicaten Gerichte, welche von der Hand des französischen Kochs bereitet wurden, all’ dieser Glanz, Luxus, Reichthum und diese Behaglichkeit erwartete den zurückkehrenden indischen Officier, der sein Hauptmanns-Patent zurückgelegt hatte, man wußte nicht warum und wofür, der eben so freundlos als arm war, dessen Verbindungen selbst das Weib, das sich ihm vermält, nicht kannte, und der trotzdem das Glück gehabt hatte, wie die Leute in Lislewood sagten, gleichsam aus den Wolken in den Schoß des Reichthums und Glanzes zu fallen.
Laßt uns ihn betrachten den schönen Officier, seiner Gemalin gegenüber sitzend an der glänzenden Tafel. Er sieht nicht sehr glücklich aus unter all’ dieser Größe, er dreht den zarten Kelch des Champagnerglases in seiner kräftigen Hand, während die Perlen des brausenden Schaumweines eine um die andere zerstieben. Er trank einen guten Theil Madeira und Moselwein, aber sie haben weder seine Zunge gelöst noch seine Züge erheitert. Er ist sehr verändert seit der Zeit, wo er in dem Kirchenstuhl saß und brennende Blicke auf Claribel Merton warf. Es scheint beinahe, als ob die Sonne Indiens diese offene, glühende, sorglose Natur ausgebrannt habe, und nur noch die Asche geblieben sei.
Claribel hat sich kaum verändert seit jener thörichten Jugendzeit. Ihre zarte Schönheit hat nichts an Reinheit und Durchsichtigkeit verloren. Das klare, blaue Auge ist so glänzend wie vor acht Jahren; nur hat sie ein etwas mehr frauenhaftes Ansehen, wie sie die hell erleuchteten Räume durchschreitet, umrauscht von seidenen Gewändern und Spitzen.
»Claribel,« sagte der Hauptmann, als sie an dem Kamin im Salon saßen, »Claribel, mich erdrückt Dein Reichthum und Glanz.«
»Walsingham ! «
»Ach, Du kannst mich natürlich nicht begreifen. Es ist eine so selbstverständliche Sache, daß ein mittelloser Mann eine reiche Frau um ihres Vermögens willen heiratet, daß ich diese meine Stellung stillschweigend annehmen muß, und mich nicht über etwas beklagen darf, was weit bessere Männer vor mir ertragen haben. Aber Claribel ich sage Dir, mich erdrückt die Last dieses Prunkes, ich ersticke in diesen glänzenden Zimmern; ich sehne mich nach meiner Baracke und meiner Freiheit, meiner Weichselpfeife, meinem Kitmutghar (Diener), gegen den ich fluchen kann, wenn’s mir beliebt, wie ich gegen Deinen Bedienten nicht darf, der die Livrée meines todten Nebenbuhlers trägt; ich sehne mich, nach dem Würfelbecher, den Karten, über welchen ich saß, bis die Sterne hinter den Häusern von Calcutta verschwanden; alles Andere, nur nicht dieser Kerker von Gold und Seide. In diesem Hause, Claribel, erfuhr ich den ersten Kummer meines Lebens, und wäre dies Zimmer nicht neu eingerichtet worden bei Deiner Vermählung, so könnte ich Dir den Sessel zeigen, den ich gegen Sir Reginald erhob an jenem Abend, als ich hörte, daß Du mich um seinethalben verworfen.«
»Und trafst Du ihn?« frug Mrs. Walsingham mit der Neugierde eines Schulmädchens.
»Nein; Männer schlagen sich nicht in einem belebten Salon. Da ist immer Jemand der ruft: Walsingham, sei kein Narr! oder: Lisle was thust Du? Nein, sie rissen uns auseinander wie zwei Jungens bei einem Straßenkampf, und ich sandte ihm den nächsten Morgen eine Herausforderung.«
Sie fühlte ein kindisches Vergnügen, die Details dieses einstigen Kampfes zu hören. Doch der Hauptmann konnte kaum von diesen ehemaligen Leiden sprechen, ohne daß ihn ein quälendes Gefühl überkam.
»Wenn Reginald Lisle’s Geist in dieses Zimmer treten könnte und mich an seinem Kamine sitzen sähe, Claribel —«
Sie blickte schaudernd nach der Thüre während ihr Gatte sprach, als erwartete sie dieselbe durch die Hand seines früheren Rivalen öffnete zu sehen.
»Arthur, Du warst einst der Freund Sir Reginald’s, Du wirst es auch seinem Sohne sein um meinetwillen, nicht wahr? Sein Reichthum wird mit der Zeit falsche Freunde und schlechte Rathgeber um ihn sammeln; er hat keine nahen Verwandten — der Nächste ist der, welcher sein Vermögen und seinen Titel erbt, sollte er kinderlos sterben. Ich erlebe es vielleicht nicht, ihn erwachsen zu sehen; er ist von schwacher Gesundheit und, wie sie sagen, nicht von großem Verstande; es liegt in Deiner Macht entweder sein Freund oder Feind zu sein, doch Du wirst ihm wohlwollen, Arthur, nicht wahr Du willst?«
»So gewiß ich hoffe mich auch ferner Deiner Liebe zu erfreuen, Claribel. Ich bin kein edler Mensch, aber ich werde meine Pflicht thun an Deinem Sohne Sir Rupert Lisle.«
So düster und verstimmt wie der ehemalige Hauptmann vom Dienste der löblichen ostindischen Compagnie sein Glück trug, gab es doch Manche in dem abgelegenen sussexischen Dorfe, welche ihn um dieses Glückes willen haßten und beneideten. Der stolze Officier kümmert sich zwar wenig um diese guten Leute und das was sie von ihm denken mochten, sondern spaziert, in Gedanken verloren und anscheinend gleichgültig gegen die Meinung der Welt, im Märzsonnenscheine in der großen Allee auf und ab unter den überhängenden Zweigen der noch laublosen Bäume und raucht seine Cigarre, gefolgt von seinem großen, schwarzen Neufoundländer. Zuweilen hält er bei dem großen Eisenthore an, welches den Park von der staubigen Landstraße trennt, und blickt durch die Verzierungen des Gitters in die Welt da draußen.
Es liegt etwas von dem gefangenen Löwen in dem Blick des düsteren Kriegers, wenn er so durch das Gitter schaut, etwas ruhe- und hoffnungslos Sehnendes, das die Poeten im Auge des eingesperrten Adlers sehen wollen.
Weiß er, wenn er so da steht an dem Thore von seines Stiefsohnes Domäne, die Hände in den Taschen seines Rockes, weiß er, daß das Auge des Neides und Hasses auf ihm ruht, und daß, wenn Wünsche todbringend wären, er leblos auf der Schwelle von Lislewood-Park hinstürzen würde?
Hinter einer der achteckigen Scheiben des gothischen Thorwärterhäuschens sitzt ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, gleich dem Hauptmann brünett und farblos, gebräunt von der brennenden Sonne, von großer, breiter Gestalt und stark markirten Zügen; doch ungleich ihm durch einen unbeholfenen, schlotternden Gang, durch hohe Schultern und gebückte Haltung mit verfrühten Runzeln unter seinen tiefliegenden, lauernden Augen, und einem finsteren Ausdruck um seinen fest zuammengepreßten Mund. Wie der Hauptmann, rauchte auch er nachlässig in der Morgensonne, doch ungleich ihm schaute er durch den Dampf seiner langen Tonpfeife mit Blicken voll Haß und Bosheit und der unterdrückten Wuth eines Tigers, der die Gelegenheit zum Sprung erlauert. Sein Name ist Gilbert Arnold ; vor zehn Jahren war er, also mit zwanzig Jahren, der frechste Wildschütze in der Grafschaft Sussex. Eingesperrt und gebessert in einem Mustergefängniß und durch einen evangelischen Geistlichen, ist er jetzt ein Heuchler, der sich durch sein Weib, einer arbeitsamen, jungen Bäuerin und Thorwärterin des Haupteingangs in Lislewood-Park, ernähren läßt.
Rachel Arnold hat eine schwere Zeit durchlebt seit sie ihren Strohhut mit weißen Bändern geziert hatte, und vor sieben Jahren dem ehemaligen Wilddieb in der Kirche zu Lislewood angetraut ward. Sie hatte es mit einem mürrischen, unzufriedenen Manne zu thun, dessen Reue und Religiosität gleichsam eine Entschuldigung für sein müßiges, träges Leben sein sollten. Es war dem faulen Gatten der Thorwärterin ein Leichtes, seine grüngelben Augen in frömmelnder Weise gegen Himmel zu richten, wenn der vielbeschäftigte Pfarrer in Lislewood einsprach, um zu sehen, wie es seinem Schützlinge gehe; ein Leichtes, die biblischen Aufsätze durchzubuchstabiren, Aufsätze, die er sogar liebte, weil ihr Inhalt meist gegen die Reichen, Glücklichen, Großen und Mächtigen gerichtet war, die er mit einer geheimen Wuth haßte, die beinahe die Grenze des Wahnsinns berührte; ein Leichtes, seine einfachen und gutmüthigen Lehrer zu täuschen, die seiner Seele Wohlfahrt so ernstlich wünschten, daß sie gerne geneigt sind jene äußeren Zeichen für Beweise inneren Heils zu halten.
Ein Leichtes all’ dies zu thun, und zugleich neidisch, unzufrieden, träge und tückisch zu sein. Mürrisch gegen sein Weib, nachlässig gegen sein Kind, unzufrieden mit seiner Stellung im Leben und boshaft gesinnt gegen seine Vorgesetzten.
Kurz, es war nicht schwer für ihn ein guter Mensch nach dem einfachen Vorbild der Lislewooder zu scheinen und in Wirklichkeit ein schlechter zu sein.
Die Arnold’s hatten nur ein einziges Kind, einen schmächtigen, schwächlichen Knaben von sechs Jahren mit blonden Flachshaaren und einem blassen, scharfgeschnittenen Gesichtchen, gleich seiner Mutter und ganz unähnlich dem starkknochigen, sonnegebräunten Vater.
»Da ist er, Rachel,« sagte Gilbert, düster durch die kleinen, achteckigen Scheiben auf den Hauptmann blickend.
»Wer, Gilbert?« frug sein Weib, die am Herde mit einer häuslichen Arbeit beschäftigt war.
»Unser neuer — Herr, wie wir ihn wohl werden nennen müssen, der Hauptmann Niemandweißwer.«
»Hauptmann Walsingham?«
»Ja, Hauptmann Walsingham. Ist’s nicht ein schöner Name? Gerade wie einer aus den dreibändigen Romanen, die Mylady immer liest, und von denen der Pfarrer sagt, daß sie lauter »Eitelkeit« seien. Der Schwindler und Vagabund, vor ihm werde ich nicht den Hut abziehen und mich beugen, das kann ich ihm sagen.«
»O, Gilbert!«
Wie alle alten Diener war Rachel gut conservativ gesinnt, doch so gewohnt an ihres Gatten rauhe Art, daß sie nicht sonderlich davon berührt ward.