Der geflügelte Tod - H. P. Lovecraft - E-Book

Der geflügelte Tod E-Book

H. P. Lovecraft

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Beschreibung

H. P. Lovecraft schrieb einige seiner faszinierendsten Erzählungen für andere, als Ghostwriter oder Mitautor. Oft, aber nicht immer, verfasste er die Geschichten ganz alleine und übernahm nur einige Grundideen. Deshalb müsste man viele davon eigentlich als seine eigenen Werke einstufen. Diese Ausgabe in drei Bänden enthält alle Erzählungen, die das dunkle Genie zusammen mit anderen Autoren schrieb: Band 1: Die geliebten Toten (1918-1929) Band 2: Das Haar der Medusa (1930-1932) Band 3: Der geflügelte Tod (1933-1936) Die Hardcover mit Leseband haben nicht nur einen schwarzen Schutzumschlag, sondern sind auch jeweils bedruckt mit einer umlaufenden farbigen Illustration des Künstlers Dean Samed aus England. Kosmischer Schrecken vom Schöpfer des Cthulhu-Mythos. Stephen King: »Der größte Horrorautor des 20. Jahrhunderts ist H. P. Lovecraft – daran gibt es keinen Zweifel.«

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Seitenzahl: 458

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Aus dem Amerikanischen von Usch Kiausch, Joachim Körber und Andreas Diesel

Impressum

Originalausgabe

© dieser Ausgabe 2017 by Festa Verlag, Leipzig

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-86552-581-9

www.Festa-Verlag.de

Inhalt

Impressum

FLÜGEL DES TODES

TÖTET DAS UNGEHEUER!

DER SCHATZ DER ZAUBER-BESTIE

AUS ÄONEN

DER ZAUBER DES APHLAR

DER FAUSTKAMPF AM ENDE DES JAHRHUNDERTS

DER BAUM AUF DEM HÜGEL

DAS BUCH

DIE VERSIEGELTE URNE

DAS GRAUEN AUF DEM FRIEDHOF

DIE EXHUMIERUNG

DIE DIENER SATANS

BIS ZUR NEIGE

STERBENDE UNIVERSEN

DIE BEDROHUNG AUS DEM WELTRAUM

DAS TAGEBUCH DES ALONZO TYPER

DAS NACHTMEER

EINE REMINISZENZ AN DR. SAMUEL JOHNSON

DIE HOLDE ERMENGARDE

ZIGARETTEN-CHARAKTERISIERUNGEN

Originaltitel und Copyrightangaben

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H. P. Lovecraft & Hazel Heald

FLÜGEL DES TODES

Das Orange Hotel in Bloemfontein, Südafrika, steht an der High Street in Bahnhofsnähe. An einem Sonntag, dem 24. Januar 1932, saßen vier von Entsetzen gepackte, erschütterte Männer in einem Zimmer der dritten Etage. Einer von ihnen war George C. Titteridge, der Hoteleigentümer, der zweite der Polizist Ian De Witt von der Hauptwache, der dritte Johannes Bogaert, der amtliche Leichenbeschauer, der vierte der Amtsarzt Dr. Cornelius Van Keulen. Der Arzt wirkte von allen am wenigsten mitgenommen.

Auf dem Fußboden lag, leider nicht zu übersehen, der Leichnam eines Mannes in der drückenden Sommerhitze. Aber es war nicht der Tote, der den Anwesenden Angst einjagte. Ihre Blicke wanderten von dem Tisch, auf dem sich eine sonderbare Mixtur von Gegenständen befand, zur Zimmerdecke, denn die glatte weiße Fläche war mit riesigen Schriftzeichen überzogen, offenbar von zitteriger Hand mit Tinte gemalt. Hin und wieder warf Dr. Van Keulen einen verstohlenen Blick auf ein abgenutztes, in Leder gebundenes Notizbuch, das er in der linken Hand hielt. Das Entsetzen der kleinen Gruppe galt offenbar in gleichem Maße dem Notizbuch, der Schrift an der Decke und einer toten Fliege von sonderbarem Aussehen. Sie schwamm in einer Flasche Ammoniak, die auf dem Tisch stand. Auf dem Tisch befanden sich außerdem ein offenes Tintenfass, ein Federhalter, eine Schreibunterlage, ein Arztkoffer und ein Krug, der zu einem Viertel mit dunklem Mangandioxid gefüllt war.

Das abgenutzte Notizbuch enthielt Aufzeichnungen des Toten auf dem Fußboden und hatte den Anwesenden sofort verraten, dass die im Hotelverzeichnis eingetragenen Personenangaben Frederick N. Mason, Bergbaugesellschaften, Toronto, Kanada falsch waren. Auch andere Dinge – schreckliche Dinge – hatte das Tagebuch offenbart. Weiteres, noch Schlimmeres und kaum Glaubhaftes, war darin nur angedeutet.

Es lag an diesem Schwanken zwischen Glauben und Skepsis – typisch für Menschen, die ihr Leben umgeben von den uralten dunklen Geheimnissen Afrikas verbrachten –, dass es die Männer trotz der sengenden Hitze des Januars schauderte.

Das Notizbuch war nicht besonders groß. Die Einträge waren mit einer zierlichen Handschrift verfasst, die auf den letzten Seiten zunehmend nervös und fahrig wirkte. Anfangs waren es nur kurze Notizen in unregelmäßigen Abständen, doch schließlich nahm der Schreiber die Einträge täglich vor. Die Bezeichnung »Tagebuch« trifft eigentlich nicht ganz zu, denn der Verfasser hielt darin nur sehr spezielle Tätigkeiten fest.

Als Dr. Van Keulen das kleine Buch aufschlug, konnte er den Namen des Toten sofort einordnen: Es war der eines berühmten Kollegen von ihm, der sich vor allem als Experte für in Afrika auftretende Krankheiten hervorgetan hatte. Gleich darauf musste er zu seinem Schrecken feststellen, dass der Mann offenbar in ein heimtückisches Verbrechen verwickelt gewesen war. Vor vier Monaten hatte es Schlagzeilen in allen Zeitungen gemacht, war bislang jedoch noch nicht aufgeklärt. Je weiter Dr. Van Keulen las, desto mehr wuchsen bei ihm Entsetzen, Abscheu, Ekel und nahezu panische Angst.

An dieser Stelle folgen die wesentlichen Teile des Textes, den der Arzt in dem düsteren und immer übler riechenden Zimmer vorlas, während seine Begleiter schwer atmeten, unruhig auf ihren Stühlen hin und her rutschten und gelegentlich ängstliche Blicke auf die Zimmerdecke, den Tisch und den Leichnam am Boden warfen oder miteinander austauschten.

TAGEBUCH VON DR. MED. THOMAS SLAUENWITE

Das Folgende betrifft die Bestrafung von Dr. Henry Sargent Moore aus Brooklyn, New York, Professor für Biologie im Fachbereich Wirbellose an der Columbia University, New York, N. Y. Zur Veröffentlichung nach meinem Tode bestimmt, damit die Durchführung meines Racheakts allgemein bekannt wird. Denn sonst würde man ihn möglicherweise niemals mir zuschreiben, selbst wenn er Erfolg haben sollte.

5. Januar 1929

Ich bin jetzt fest entschlossen, Dr. Henry Moore zu töten. Ein Vorfall aus jüngster Zeit hat mir gezeigt, wie ich dabei vorgehen kann. Von nun an werde ich mein Vorhaben konsequent verfolgen und deswegen auch ein Tagebuch führen.

Es erübrigt sich fast, noch einmal die Situation in aller Ausführlichkeit darzulegen, die mich zu diesem Vorhaben getrieben hat, denn die sach- und fachkundige Öffentlichkeit ist mit allen wichtigen Tatsachen vertraut.

Ich bin am 12. April 1885 in Trenton, New Jersey, geboren als Sohn Dr. Paul Slauenwites, früher wohnhaft in Pretoria, Transvaal, Südafrika. Wie es in unserer Familie Tradition ist, studierte ich Medizin. Auf Anraten meines Vaters (er starb 1916, als ich mit einem südafrikanischen Regiment in Frankreich stationiert war) spezialisierte ich mich auf afrikanische Fieberkrankheiten. Nach meinem Examen an der Columbia University widmete ich mich längere Zeit der Forschung und lernte dabei die Regionen von Durban in Natal bis zum Äquator kennen.

In Mombasa arbeitete ich meine neue Theorie zur Entwicklung und Übertragung zeitweilig abklingenden Fiebers aus, wobei ich mich zu einem geringen Teil auf Schriften des Regierungsarztes Sir Norman Sloane stützte, die ich in dem von mir bezogenen Haus vorfand. Nach Veröffentlichung der Ergebnisse wurde ich schlagartig als Autorität auf diesem Gebiet anerkannt und berühmt. Man stellte mir im Fall meiner Einbürgerung eine der höchsten Positionen im südafrikanischen Gesundheitswesen in Aussicht und sogar den Ritterschlag. Daraufhin unternahm ich die zur Einbürgerung notwendigen Schritte.

Bald darauf kam es zu dem Vorfall, der bei mir den Plan, Henry Moore zu töten, auslöste. Dieser Mann, der in den Vereinigten Staaten über lange Jahre mein Freund und Studienkollege gewesen war, entschied sich bewusst dafür, mir die Urheberschaft an der von mir entwickelten Theorie streitig zu machen. Er behauptete, Sir Norman Sloane habe jede wesentliche Einzelheit meiner Theorie vorweggenommen, und ließ durchblicken, ich hätte wohl weit mehr von dessen Ausarbeitungen gefunden als in meiner Veröffentlichung bei den Quellenangaben aufgeführt. Um diesen absurden Vorwurf zu untermauern, legte er sodann bestimmte persönliche Briefe Sir Normans vor. Aus diesen war in der Tat zu ersehen, dass der ältere Arzt auf ähnlichem Gebiet wie ich geforscht hatte und kurz vor der Veröffentlichung seiner Ergebnisse gestanden hatte, als er plötzlich starb. In dieser Hinsicht musste ich Henry Moore recht geben und drückte mein Bedauern darüber aus. Was ich ihm jedoch nicht verzeihen konnte, war die von Neid motivierte Unterstellung, ich hätte die ganze von mir entwickelte Theorie aus Sir Normans Aufzeichnungen abgekupfert.

Vernünftigerweise schenkte die britische Regierung diesen Verleumdungen keine Beachtung, verweigerte mir jedoch die in Aussicht gestellte Position und den Ritterschlag mit der Begründung, meine Theorie sei zwar eine eigenständige geistige Leistung, jedoch nicht neu im eigentlichen Sinne.

Bald darauf musste ich erkennen, dass meine berufliche Laufbahn in Afrika spürbar gebremst wurde, obwohl ich alle Hoffnungen darauf gesetzt und sogar meine amerikanische Staatsbürgerschaft dafür aufgegeben hatte. Die Regierungsvertreter in Mombasa, insbesondere diejenigen, die Sir Norman noch persönlich gekannt hatten, verhielten sich mir gegenüber ausgesprochen kühl und distanziert. Schon damals beschloss ich, früher oder später mit Moore abzurechnen, wenn ich auch noch nicht wusste, auf welche Weise. Aus Neid auf meinen frühen Ruhm hatte er seinen lange zurückliegenden Briefwechsel mit Sir Norman dazu benutzt, meine Karriere zu zerstören. Und das von einem Freund, dessen Interesse an Afrika ich überhaupt erst geweckt hatte, dem ich Anregungen und Hilfestellungen gegeben hatte, bis er seinen gegenwärtigen – bescheidenen – Ruhm als Experte für afrikanische Insektenkunde erworben hatte. Doch selbst jetzt noch will ich nicht abstreiten, dass er auf diesem Gebiet umfassende Kenntnisse besitzt. Ich war es, der ihm zu seiner jetzigen Position verholfen hat, und zum Dank hat er meine Karriere erfolgreich sabotiert. Und aus diesem Grund werde ich ihn nun meinerseits – irgendwann – vernichten.

Als ich merkte, dass ich in Mombasa an Boden verlor, bewarb ich mich auf meine derzeitige Stelle im Landesinneren – in M’gonga, nur 80 Kilometer von der Grenze zu Uganda entfernt. Mein Arbeitsplatz ist ein Handelsposten für Baumwolle und Elfenbein, in dem außer mir nur acht männliche Weiße leben und arbeiten. Es ist ein scheußliches Loch, fast am Äquator gelegen, in dem alle uns bekannten Fieberkrankheiten verbreitet sind. Überall gibt es Giftschlangen, Insekten und Nigger mit Krankheiten, von denen außerhalb der medizinischen Hochschulen noch kein Mensch gehört hat. Doch meine Arbeit ist nicht schwer und lässt mir genügend Zeit, mir Gedanken über meine Rache an Henry Moore zu machen.

Zu meiner eigenen Belustigung habe ich seiner Abhandlung Die Zweiflügler Zentral- und Südafrikas einen Ehrenplatz auf meinem Bücherregal eingeräumt. Offenbar gilt es inzwischen als Standardwerk auf diesem Gebiet und wird an der Columbia University, in Harvard und an der Wisconsin University als Lehrmaterial eingesetzt. Die Hälfte der aussagekräftigsten Kapitel geht jedoch auf meine Anregungen zurück.

Letzte Woche geschah etwas, das mir die Idee eingab, wie ich Moore umbringen kann. Eine Gruppe aus Uganda brachte einen Schwarzen mit einer sonderbaren Krankheit zu uns, die ich noch nicht diagnostizieren konnte. Der Mann war lethargisch, hatte eine sehr niedrige Körpertemperatur und einen auffällig schlurfenden Gang. Die meisten seiner Begleiter hatten Angst vor ihm und meinten, ein Medizinmann müsse irgendeinen Fluch über ihn verhängt haben. Doch Gobo, der Dolmetscher, erzählte, der Mann sei von einem Insekt gestochen worden. Ich habe keine Ahnung, welches es gewesen sein könnte, denn es ist nur ein winziger Einstich an seinem Arm zu sehen, der allerdings stark gerötet und von einem violetten Ring umgeben ist. Sieht irgendwie unheimlich aus. Kein Wunder, dass unsere Boys glauben, dass schwarze Magie dahintersteckt. Offenbar haben sie ähnliche Fälle schon früher gesehen. Jedenfalls behaupten sie, dagegen könne man überhaupt nichts tun.

Der alte N’Kuro, einer der schwarzen Helfer in unserem Handelsposten, Angehöriger der Gallas aus der Volksgruppe der Oromo, sagt, es müsse sich um den Stich einer Teufelsfliege handeln, der zur Auszehrung und schließlich zum Tod des Opfers führe. Falls die Fliege zu diesem Zeitpunkt noch am Leben sei, übernehme sie Seele und Persönlichkeit ihres Opfers und fliege mit dessen Wahrnehmung und Bewusstsein sowie all seinen Vorlieben und Abneigungen umher. Eine wirklich bizarre Legende. Ich selbst kenne kein derart tödliches Insekt in dieser Gegend, das Auslöser dieser Geschichte sein könnte. Dem erkrankten Schwarzen namens Mevana habe ich eine starke Dosis Chinin gespritzt und eine Blutprobe entnommen, bin mit meiner Diagnose aber kaum weitergekommen. Zweifellos ist hier ein sonderbarer Krankheitserreger am Werk, doch ich kann ihn nicht einmal ansatzweise identifizieren. Am ehesten ähnelt er dem Bazillus, den man bei Ochsen, Pferden und Hunden findet, wenn sie von Tsetsefliegen gestochen werden. Aber Tsetsefliegen infizieren keine Menschen. Außerdem kommen sie hier, so weit im Norden, gar nicht vor.

Für mich jedoch zählt vor allem, dass ich nun weiß, auf welche Weise ich Moore töten kann. Falls es hier im Landesinneren wirklich so giftige Insekten gibt, wie die Eingeborenen behaupten, werde ich dafür sorgen, dass Moore aus unverdächtiger Quelle eine Sendung mit mehreren Exemplaren dieser Insektenart erhält, und zwar mit dem ausdrücklichen Vermerk, dass sie harmlos sind. Sicher wird er alle Vorsicht außer Acht lassen und sich unverzüglich daranmachen, eine bislang unbekannte Insektenart zu untersuchen. Und dann werden wir ja sehen, wie die Natur ihren Lauf nimmt! Es dürfte eigentlich nicht schwierig sein, ein Insekt ausfindig zu machen, das den Schwarzen so große Angst macht. Aber zunächst muss ich verfolgen, wie sich die Krankheit bei dem armen Teufel entwickelt. Erst danach kann und werde ich mich auf die Suche nach meinem Todesboten begeben.

7. Januar 1929

Mevanas Zustand hat sich nicht gebessert, obwohl ich ihm alle mir bekannten Gegengifte injiziert habe. Er hat krampfartige Schüttelfrostanfälle und dann redet er stets voller Angst davon, dass seine Seele, wenn er stirbt, auf das Insekt übergehen wird, das ihn gestochen hat. Zwischen den Anfällen verharrt er in einem Zustand völliger Benommenheit. Die Herztätigkeit ist jedoch noch stabil, sodass ich ihn vielleicht doch durchbringen kann. Jedenfalls werde ich es versuchen, denn vermutlich kann er mich eher als sonst irgendjemand in die Gegend führen, wo er gestochen wurde. In der Zwischenzeit werde ich an Doktor Lincoln, meinen Vorgänger, schreiben, denn der Leiter unseres Handelspostens hat mir erzählt, er kenne sich sehr gut mit den hier auftretenden Krankheitserregern aus. Wenn überhaupt einer der Weißen etwas über die Teufelsfliege weiß, dann er. Derzeit lebt er in Nairobi. Ein schwarzer Bote müsste mir innerhalb einer Woche eine Antwort auf meine Anfrage zustellen können, sofern er die halbe Strecke mit dem Zug zurücklegt.

10. Januar 1929

Der Zustand des Patienten ist unverändert, doch mittlerweile habe ich das Gesuchte gefunden! Es stand in einer alten Sammlung örtlicher Gesundheitsunterlagen, die ich sorgfältig durchgegangen bin, während ich auf eine Antwort von Lincoln wartete. Vor 30 Jahren herrschte eine Epidemie, die Tausende von Eingeborenen in Uganda das Leben kostete. Als deren Auslöser wurde eindeutig eine seltene Fliegenart mit der Bezeichnung Glossina palpalis ausgemacht – eine Artverwandte der Glossina marsitans oder Tsetsefliege. Sie lebt an den Ufern von Seen und Flüssen im Gebüsch und ernährt sich vom Blut der Krokodile, Antilopen und dem noch größerer Säugetiere. Wenn dieses Blut mit dem Erreger der Trypanosomiasis oder Schlafkrankheit infiziert ist, nimmt die Fliege diesen auf und entwickelt nach einer Inkubationszeit von 31 Tagen akute Ansteckungsfähigkeit. Innerhalb der folgenden 75 Tage bringt ihr Stich jedem Lebewesen den Tod.

Zweifelsohne ist dieses Insekt die »Teufelsfliege«, von der die Schwarzen reden. Jetzt weiß ich, nach was ich suche. Ich hoffe, Mevana übersteht die Krankheit. In vier oder fünf Tagen müsste ich von Lincoln hören – in solchen Angelegenheiten hat er einen hervorragenden Ruf. Mein größtes Problem besteht darin, die Fliegen auf Moore anzusetzen, ohne dass er sie identifizieren kann. Bei seiner verfluchten, durch Fleiß erworbenen Gelehrsamkeit würde es ihm ähnlichsehen, dass er alles über diese Fliegen weiß. Schließlich gibt es ja schon Aufzeichnungen über diese Fliegenart.

15. Januar 1929

Habe gerade Antwort von Lincoln erhalten. Er bestätigt darin alles, was in den Unterlagen über die Glossina palpalis steht. Er verfügt über ein Mittel gegen die Schlafkrankheit, das – bei rechtzeitiger Verabreichung – in vielen Fällen zur Heilung geführt hat. Dieses Mittel besteht in intramuskulären Injektionen von Tryparsamid. Da Mevana bereits vor zwei Monaten gestochen wurde, weiß ich nicht, wie dieses Mittel bei ihm anschlagen wird. Allerdings schreibt Lincoln, es habe Fälle gegeben, die sich über 18 Monate hingezogen hätten, also ist es vielleicht noch nicht zu spät. Lincoln hat etwas von diesem Mittel mitgeschickt und ich habe Mevana soeben eine hohe Dosis gespritzt. Im Moment ist er nicht ansprechbar. Man hat seine Hauptfrau aus dem Dorf kommen lassen, doch er hat sie nicht einmal erkannt. Falls er sich erholt, kann er mir bestimmt zeigen, wo die Fliegen sind. Angeblich ist er ein großartiger Krokodiljäger und kennt sich überall in Uganda aus. Morgen gebe ich ihm eine weitere Spritze.

16. Januar 1929

Heute wirkt Mevana etwas munterer, aber sein Herzschlag hat sich etwas verlangsamt. Ich werde ihm weiter Spritzen geben, die Dosis jedoch etwas verringern.

17. Januar 1929

Jetzt kann man wirklich von einer Verbesserung seines Zustands sprechen. Nach der Injektion schlug Mevana die Augen auf und ließ Anzeichen dafür erkennen, dass er tatsächlich bei Bewusstsein war, wenn auch leicht benommen. Ich hoffe nur, dass Moore nichts von dem Tryparsamid weiß. Gut möglich, dass er das Mittel gar nicht kennt, denn mit Medizin hat er sich nie gründlich befasst. Mevanas Zunge scheint taub zu sein, doch das wird sich hoffentlich geben, wenn ich es schaffe, ihn endlich aufzuwecken. Ich könnte selbst einen erholsamen Schlaf brauchen, allerdings nicht einen dieser Art!

25. Januar 1929

Mevana ist fast wieder gesund! Noch eine Woche, dann lasse ich mich von ihm in den Dschungel führen. Als er zum ersten Mal wieder ganz bei sich war, hatte er Angst, dass sich die Fliege nach seinem Tod seine Persönlichkeit aneignen würde. Doch als ich ihm sagte, er werde wieder völlig gesunden, besserte sich seine Stimmung zusehends. Seine Frau Ugowe sorgt jetzt so gut für ihn, dass ich mich ein bisschen ausruhen kann. Und dann sind die Todesboten dran!

3. Februar 1929

Mevana ist wieder ganz gesund. Ich habe mit ihm über die Suche nach diesen Giftfliegen gesprochen. Er hat Angst davor, diesen Ort nochmals aufzusuchen, aber ich nutze seine Dankbarkeit aus. Außerdem meint er, ich könne Krankheiten nicht nur heilen, sondern auch fernhalten. Seine Tapferkeit könnte einen Weißen beschämen – ich kann mich darauf verlassen, dass er mich in dieses Gebiet führen wird. Dem Leiter unseres Handelspostens werde ich erzählen, dass dieser Ausflug wichtig für den medizinischen Dienst vor Ort ist, dann wird er mich sicher dafür beurlauben.

12. März 1929

Endlich in Uganda! Habe außer Mevana noch fünf Boys dabei, aber sie sind alle Gallas, Angehörige der Volksgruppe der Oromo. Die ortsansässigen Schwarzen waren nicht dazu zu bewegen, in diese Gegend zu gehen, denn es hat sich herumgesprochen, was Mevana dort zugestoßen ist. Dieser Dschungel ist ein wirklich verseuchter Ort – er dampft geradezu vor krank machenden Ausdünstungen. Alle Seen sehen so aus, als hätten sie keinerlei Abfluss. An einer Stelle stießen wir auf Reste gigantischer Ruinen, um die sogar die Gallas einen weiten Bogen schlugen. Sie behaupten, diese Megalithen seien älter als die Menschheit und hätten den »Fischern der Außenwelt« – wer immer diese sein mögen – und den bösen Gottheiten Tsathoggua und Cthulhu als Schlupfwinkel oder Stützpunkt gedient. Bis heute sagt man ihnen einen üblen Einfluss und eine Verbindung mit den Teufelsfliegen nach.

15. März 1929

Heute Morgen haben wir den Mlolo-See erreicht, wo Mevana gestochen wurde. Der See ist eine teuflische, mit grünlichem Schaum überzogene Kloake voller Krokodile. Mevana hat eine Fliegenfalle aus feinem Drahtgeflecht mit einem Köder aus Krokodilfleisch aufgestellt. Die Falle hat eine kleine Öffnung, und wenn die Fliege erst einmal da drinnen sitzt, findet sie nicht mehr heraus. Die Biester sind ebenso dumm wie tödlich und gieren nach frischem Fleisch oder Blut. Ich hoffe, dass uns viele Fliegen in die Falle gehen. Ich bin nämlich zu dem Schluss gekommen, dass ich mit ihnen herumexperimentieren muss, um ihr Äußeres so zu verändern, dass Moore sie nicht als das erkennt, was sie sind. Vielleicht kann ich sie so mit anderen Fliegenarten kreuzen, dass sie irgendeine Mischform bilden, ohne dass ihre Fähigkeit, die Krankheit zu übertragen, beeinträchtigt wird. Wir werden sehen. Ich muss abwarten, habe jetzt aber auch keine Eile mehr. Wenn ich so weit bin, werde ich Mevana damit beauftragen, mir infiziertes Fleisch zu besorgen, mit dem ich meine Todesboten füttern kann – und dann schicke ich sie mit ganz normaler Post auf den Weg. Dürfte keine Schwierigkeiten machen, infiziertes Fleisch aufzutreiben. Schließlich ist dieses Land ein wahrer Seuchenherd.

16. März 1929

Es hat wunderbar geklappt, zwei Fliegenfallen sind voll. Habe fünf kräftige Exemplare ergattert, deren Flügel wie Edelsteine glänzen. Mevana verfrachtet sie jetzt in eine große, mit dichtem Drahtgeflecht verschlossene Blechbüchse. Ich glaube, wir haben sie zu einem genau richtigen Zeitpunkt erwischt. Ohne jede Mühe können wir sie nach M’gonga transportieren. Nehmen viel Krokodilfleisch als Nahrung für sie mit. Zweifellos ist es vollständig oder zumindest größtenteils infiziert.

20. April 1929

Bin wieder in M’gonga und im Labor beschäftigt. Habe bei Dr. Joost in Pretoria einige Tsetsefliegen für Kreuzungsexperimente bestellt. Falls die Kreuzung überhaupt gelingt, müsste dabei etwas herauskommen, das schwer zu identifizieren, aber genauso tödlich wie die Glossina palpalis ist. Wenn das nicht klappt, werde ich es mit anderen Zweiflüglern aus dem Landesinneren versuchen. Ich habe bereits bei Dr. Vandervelde in Nyangwe Arten aus dem Kongogebiet angefordert. Muss Mevana nun doch nicht bitten, mir weiteres verseuchtes Fleisch zu besorgen. Habe nämlich festgestellt, dass ich Kulturen des Erregers Trypanosoma gambiense, den ich dem im vergangenen Monat besorgten Fleisch entnommen habe, in Reagenzgläsern auf nahezu unbegrenzte Zeit am Leben halten kann. Zu gegebener Zeit werde ich frisches Fleisch damit infizieren und meine geflügelten Boten reichlich damit füttern. Und dann: Bon voyage!

18. Juni 1929

Heute sind die bei Joost bestellten Tsetsefliegen angekommen. Die Behälter zur Züchtung sind längst fertig. Jetzt bin ich dabei, die Auswahl zu treffen. Ich habe vor, den Lebenszyklus mit Ultraviolettstrahlen zu beschleunigen. Zum Glück gehört der dazu nötige Apparat zu meiner Standardausrüstung. Natürlich verrate ich niemandem, was ich tue. Die Unwissenheit des spärlichen Personals hier erleichtert mir die Geheimhaltung meiner Pläne. Ich gebe vor, die existierenden Insektenarten lediglich zu medizinischen Zwecken zu untersuchen.

29. Juni 1929

Die Kreuzung ist reproduktionsfähig! Am vergangenen Mittwoch zufriedenstellende Ablage von Eiern registriert, und jetzt verfüge ich bereits über ausgezeichnete Larven. Falls die reifen Insekten genauso seltsam aussehen wie die Larven, brauche ich nichts weiter zu unternehmen. Bereite derzeit jeweils nummerierte Einzelbehältnisse für die verschiedenen Exemplare vor.

7. Juli 1929

Die neuen Kreuzungen sind geschlüpft! Die Tarnung ist hervorragend, soweit es den Rumpf betrifft. Allerdings weisen die glänzenden Flügel immer noch auf Glossina palpalis hin. Und der gestreifte Brustkorb erinnert entfernt an den der Tsetsefliege. Leichte Abweichungen bei den einzelnen Exemplaren. Füttere alle mit verseuchtem Krokodilfleisch. Sobald sich die Ansteckungsfähigkeit herausgebildet hat, werde ich die Fliegen an einigen Schwarzen ausprobieren – selbstverständlich so, dass die Stiche wie zufällig erscheinen müssen. Es gibt hier so viele leicht giftige Fliegenarten, dass es mühelos durchzuführen ist, ohne Verdacht zu erregen. Ich werde eine der Fliegen in meinem mit dichtem Fliegengitter gesicherten Esszimmer herauslassen, wenn Batta, mein Hausboy, mir das Frühstück bringt, und selbst sehr vorsichtig sein. Wenn die Fliege ihr Werk verrichtet hat, werde ich sie einfangen oder erschlagen – bei der Dummheit der Insekten kein Problem. Wenn das wider Erwarten nicht klappt, kann ich das Zimmer immer noch mit Chlorgas fluten, sodass sie erstickt. Falls es beim ersten Mal nicht funktioniert, werde ich es so lange probieren, bis ich Erfolg habe. Selbstverständlich halte ich für den Fall, dass ich selbst gestochen werde, Tryparsamid bereit. Allerdings werde ich einen Stich so sorgfältig wie möglich vermeiden, denn auf ein Gegenmittel ist niemals hundertprozentig Verlass.

10. August 1929

Sie sind jetzt Krankheitsüberträger. Konnte es so einrichten, dass Batta gestochen wurde. Habe die Fliege auf seiner Haut eingefangen und wieder in ihren Behälter gesetzt. Gab Batta Jod zur Linderung seiner Schmerzen, und der arme Teufel ist mir auch noch dankbar dafür! Werde morgen eine andere Variante bei Gamba, dem Boten unseres Leiters, einsetzen. Weitere Tests wage ich hier nicht durchzuführen. Sollten jedoch noch welche erforderlich sein, nehme ich einige Exemplare nach Ukala mit, um zusätzliches Material auswerten zu können.

11. August 1929

Die Fliege hat Gamba nicht erwischt, ich konnte sie jedoch wieder einfangen. Batta scheint es nach wie vor gut zu gehen. Er hat keine Schmerzen an der Einstichstelle im Rücken. Werde abwarten und es dann noch einmal mit Gamba probieren.

14. August 1929

Endlich sind die Insekten von Vandervelde eingetroffen. Sieben Exemplare unterschiedlicher Arten, einige davon mehr oder weniger giftig. Füttere sie gut für den Fall, dass die Kreuzung mit der Tsetsefliege nicht klappt. Manche sehen ganz anders aus als die Glossina palpalis, aber das Problem besteht darin, dass fruchtbare Kreuzungen mit diesen Exemplaren vielleicht nicht möglich sind.

17. August 1929

Heute Nachmittag hat die Fliege Gamba erwischt, ich musste sie jedoch auf seiner Haut erschlagen. Sie hat ihn in die linke Schulter gestochen. Habe den Stich versorgt. Gamba ist mir genauso dankbar wie seinerzeit Batta. Batta geht es immer noch gut.

20. August 1929

Keine Veränderung bei Gamba, auch keine bei Batta. Experimentiere jetzt mit einer neuen Tarnung für die Kreuzungen herum. Benutze dazu ein Farbmittel, um das verräterische Schimmern der Flügel bei der Glossina palpalis zu verändern. Am besten wäre eine bläuliche Einfärbung. Ich brauche etwas, mit dem ich einen ganzen Schwarm der Insekten einsprühen kann. Versuche es zunächst mal mit Preußischblau und dem ihm ähnlichen Turnbulls Blau – beide enthalten Eisen- und Cyansalz.

25. August 1929

Batta klagte heute über Schmerzen im Rücken. Vielleicht kommt jetzt doch noch etwas in Gang.

3. September 1929

Bin mit meinen Experimenten gut vorangekommen. Batta zeigt Anzeichen von Lethargie und sagt, sein Rücken schmerze ständig. Gamba tut die Schulter weh, in die er gestochen wurde.

24. September 1929

Battas Zustand verschlechtert sich mehr und mehr. Der Insektenstich macht ihm mittlerweile Angst, denn er hält das Insekt jetzt für eine Teufelsfliege. Er hat gesehen, wie ich sie zurück in ihren Behälter tat, und nun hat er mich so lange angefleht, sie zu töten, dass ich ihm vormachte, sie sei längst eingegangen. Er sagte, er wolle nicht, dass seine Seele nach seinem Tod auf die Fliege übergehe. Um ihn zu beruhigen, spritzte ich ihm destilliertes Wasser. Anscheinend weist die Fliege alle Eigenschaften der Glossina palpalis auf. Auch Gamba geht es nicht gut. Er hat dieselben Symptome wie Batta. Vielleicht gebe ich ihm eine Überlebenschance, indem ich ihm Tryparsamid verabreiche, denn die Wirkung des Fliegenstichs ist jetzt hinreichend bewiesen. Bei Batta werde ich das Gegenmittel jedoch nicht anwenden, denn ich will mir ein ungefähres Bild davon machen, wie lange sich die Krankheit bis zum Tod hinziehen kann.

Die Experimente mit dem Farbstoff kommen gut voran. Wenn man eine isomere Form von dem eisenhaltigen Ferricyanid mit einem Zusatz von Kalisalz in Alkohol auflöst und die Insekten damit besprüht, hat das eine verblüffende Wirkung. Es färbt die Flügel blau, ohne den dunklen Brustkorb allzu sehr zu verändern, und die Färbung verschwindet auch nicht, wenn man die Flügel Wasser aussetzt. Mithilfe dieser Tarnung kann ich wahrscheinlich die bereits vorhandenen Tsetse-Kreuzungen einsetzen und muss keine weiteren Experimente durchführen. Moore ist zwar schlau, aber eine Fliege mit blauen Flügeln und einem Brustkorb, der entfernt an die Tsetsefliege erinnert, wird er nicht identifizieren können. Selbstverständlich führe ich alle Farbexperimente unter strengster Geheimhaltung durch. Nichts darf mich später mit diesen blauen Fliegen in Verbindung bringen.

9. Oktober 1929

Batta ist lethargisch und hat sich ins Bett gelegt. Gamba habe ich zwei Wochen lang Tryparsamid gegeben. Ich gehe davon aus, dass er sich wieder erholen wird.

25. Oktober 1929

Batta geht es sehr schlecht, aber Gamba ist schon fast wieder gesund.

18. November 1929

Batta ist gestern gestorben. Dabei ist etwas Seltsames geschehen, das mich in Anbetracht der örtlichen Legenden und Battas Ängsten wirklich erschreckt hat. Als ich nach Battas Tod ins Labor zurückkehrte, hörte ich im Behälter 12 – dort ist die Fliege untergebracht, die Batta gestochen hat – ein höchst eigenartiges Summen und Flügelschlagen. Die Fliege wirkte völlig außer Rand und Band, beruhigte sich jedoch, als ich auftauchte. Sie ließ sich auf dem Drahtgitter nieder und sah mich auf sehr sonderbare Weise an. Sie streckte sogar die Beine durch das Gitter, als wäre sie völlig verwirrt. Als ich vom Abendessen mit Allen zurückkam, war sie tot. Offenbar war sie durchgedreht und so heftig an die Wände ihres Behälters geprallt, dass sie an den Verletzungen starb. Jedenfalls ist es merkwürdig, dass dies ausgerechnet nach Battas Tod geschah. Hätte das irgendein Schwarzer mitbekommen, hätte er sofort angenommen, dass die Seele des armen Teufels auf die Fliege übergegangen war.

Nun werde ich meine blau geflügelten Fliegen bald losschicken. Diese Kreuzungen scheinen noch etwas giftiger und tödlicher als die reine Glossina palpalis zu sein. Batta ist drei Monate und acht Tage nach dem Stich gestorben. Aber natürlich kann der individuelle Krankheitsverlauf je nach körperlichen Voraussetzungen verschieden ausfallen. Fast wünschte ich, ich hätte auch bei Gamba der Natur ihren Lauf gelassen.

5. Dezember 1929

Beschäftige mich derzeit mit der Frage, wie ich Moore meine Todesboten am besten zukommen lassen kann. Es muss so aussehen, als hätte irgendein wohlmeinender Insektenkundler, Kenner seines Buches Die Zweiflügler Zentral- und Südafrikas, sie ihm in der Annahme geschickt, ihn könne diese »neue und noch nicht identifizierte Insektenart« interessieren. Außerdem muss der fiktive Absender überzeugend versichern, dass diese blau geflügelten Insekten völlig harmlos sind, wie »langjährige Erfahrungen der Eingeborenen« gezeigt hätten. Dann wird Moore keinen Verdacht schöpfen, und eine der Fliegen wird ihn früher oder später erwischen, wenn der genaue Zeitpunkt auch nicht berechenbar ist.

Nur durch die Briefe von New Yorker Freunden – hin und wieder erwähnen sie Moore noch – werde ich erfahren, ob mein Vorhaben geglückt und Moore erkrankt ist. Wenn er stirbt, wird es aber sicher auch in den Zeitungen stehen. Vor allem darf ich kein Interesse an seinem Fall zeigen. Ich werde die Fliegen nicht von hier aus nach New York schicken, sondern von unterwegs aus, während ich auf einer Reise bin. Und auf keinen Fall darf mich irgendjemand dabei erkennen. Am besten nehme ich mir einen langen Urlaub, verbringe ihn im Landesinneren, lasse mir einen Bart wachsen und sende das Päckchen von Ukala aus. Dabei gebe ich mich dann als durchreisender Insektenkundler aus. Danach rasiere ich mir den Bart wieder ab und kehre hierher zurück.

12. April 1930

Nach meiner langen Reise bin ich nun wieder in M’gonga. Alles hat mit der Präzision eines Uhrwerks geklappt. Habe die Fliegen an Moore geschickt, ohne irgendeine Spur zu hinterlassen. Am 15. Dezember vergangenen Jahres nahm ich Weihnachtsurlaub und brach sofort mit der nötigen Ausrüstung auf. Hatte mir einen sehr praktischen Versandbehälter gebaut und dabei auch an genügend Platz für infiziertes Krokodilfleisch als Reiseproviant für die Todesboten gedacht. Ende Februar war mein Bart dann so dicht, dass ich völlig verändert aussah.

Machte am 9. März einen Abstecher nach Ukala, tippte dort auf einer Schreibmaschine im Handelsposten einen Brief an Moore und unterschrieb ihn mit dem Namen »Nevil Wayland-Hall«, wobei ich mich als durchreisender Insektenforscher mit Wohnsitz in London ausgab. Ich glaube, ich habe in dem Brief den genau richtigen Ton getroffen – den Ton eines interessierten Kollegen, der im selben Fachgebiet wie Moore forscht. Erwähnte auf geschickte Weise – ganz beiläufig –, es handle sich um »völlig harmlose« Exemplare. Niemand schöpfte Verdacht. Sobald ich wieder im Busch war, rasierte ich den Bart ab, damit ich bei meiner Rückkehr überall an Kopf und Hals gleichmäßig gebräunt war. Verzichtete, abgesehen von einer kurzen sumpfigen Strecke, völlig auf eingeborene Träger. Schließlich lässt sich in einem Rucksack jede Menge unterbringen, und ich habe einen guten Orientierungssinn. Zum Glück bin ich an derartige Expeditionen gewöhnt. Bei meiner Rückkehr erklärte ich das Überziehen des genehmigten Urlaubs damit, dass ich mich im Busch verirrt hätte und dort an einem Fieber erkrankt sei.

Aber jetzt kommt die schwerste psychische Belastung auf mich zu: das tägliche Warten auf Nachrichten über Moores Gesundheitszustand, ohne dass ich mir die Anspannung anmerken lassen darf! Natürlich ist es auch möglich, dass Moore erst gestochen wird, wenn das Gift nicht mehr wirksam ist. Aber in Anbetracht der für ihn typischen Nachlässigkeit stehen die Chancen 1 : 100 gegen ihn. Unter Schuldgefühlen leide ich nicht. Nach dem, was er mir angetan hat, verdient er dies alles und noch mehr.

30. Juni 1930

Hurra! Die erste Stufe ist genommen! Dyson von der Columbia University hat in seinem Brief beiläufig erwähnt, dass Moore einige neue blau geflügelte Fliegen aus Afrika zugeschickt wurden und er aus ihnen einfach nicht schlau wird! Allerdings kein Wort davon, dass er gestochen wurde. Wenn ich Moores schlampige Arbeitsweise jedoch richtig einschätze, wird das nicht lange auf sich warten lassen!

27. August 1930

Brief von Morton aus Cambridge. Er berichtet, dass Moore sich sehr schlecht fühlt und ihm mitgeteilt hat, er sei im Nacken von einem Insekt gestochen worden, und zwar von einer seltsamen neuen Art, die er etwa Mitte Juni erhalten habe.

Habe ich Erfolg gehabt? Anscheinend bringt Moore den Schwächeanfall nicht mit dem Insektenstich in Verbindung. Falls er wirklich von einer meiner Fliegen gestochen wurde, muss sie zu diesem Zeitpunkt noch Krankheitsüberträgerin gewesen sein.

12. September 1930

Sieg! In einem Brief von Dyson heißt es, dass sich Moore tatsächlich in einem erschreckenden Zustand befindet. Er führt seine Erkrankung inzwischen auf den Insektenstich zurück, den er sich am 19. Juni gegen Mittag zuzog. Er hat nach wie vor keinen Anhaltspunkt, um welches Insekt es sich handelt, und versucht nun, mit diesem »Nevil Wayland-Hall« Verbindung aufzunehmen, der ihm die Fliegen geschickt hat. Von den mehr als 100 Exemplaren, die ich ihm zugestellt habe, sind offenbar 25 lebend bei ihm eingetroffen. Manche entkamen, als er gestochen wurde, aber aus einigen Eiern, die die Fliegen seit der Verschickung gelegt haben, sind inzwischen Larven geworden. Dyson erwähnt, dass Moore das Ausbrüten jetzt sorgfältig überwacht. Wenn die Fliegen ausschlüpfen, wird er deren Kreuzung mit der Tsetsefliege vermutlich erkennen – doch das wird ihm nun auch nicht mehr viel nützen. Allerdings wird er sich bestimmt fragen, wieso die blauen Flügel nicht vererbt werden!

8. November 1930

Ein halbes Dutzend Freunde berichtet mir in den Briefen, dass Moore ernsthaft erkrankt ist. Dysons Brief ist heute eingetroffen. Er schreibt, Moore stehe vor einem Rätsel, soweit es die Kreuzungen betrifft, die aus den Larven geschlüpft sind. Mittlerweile vermutet er, dass deren Elternpaare die blauen Flügel auf künstliche Weise erworben haben. Moore muss jetzt meistens im Bett bleiben. Von dem Gegenmittel Tryparsamid erwähnt Dyson nichts.

13. Februar 1931

Nicht nur gute Nachrichten. Zwar hat sich Moores Zustand weiter verschlechtert und er scheint kein Heilmittel für diese Krankheit zu kennen. Aber ich glaube, er hat den Verdacht, dass ich hinter seiner Erkrankung stecke. Letzten Monat erhielt ich einen sehr kühlen Brief von Morton, in dem er Moore gar nicht erwähnte. Und jetzt schreibt mir Dyson – ebenfalls recht reserviert –, Moore hege bestimmte Vermutungen hinsichtlich dieser ganzen Krankheitsgeschichte. Überall ziehe er telegrafische Erkundigungen über diesen »Wayland-Hall« ein, in London, Ukala, Nairobi, Mombasa und anderen Städten. Selbstverständlich ohne jeden Erfolg. Ich schätze, Moore hat Dyson erzählt, wen er in Verdacht hat, nur glaubt Dyson ihm bislang noch nicht. Morton hingegen glaubt ihm sicher, wie ich fürchte.

Ich tue wohl besser daran, mir zu überlegen, wie ich von hier verschwinden und für alle Zeiten eine andere Identität annehmen kann. Welches Ende für eine berufliche Laufbahn, die so wunderbar begonnen hatte! Auch das ist Moores Werk – aber diesmal wird er im Voraus dafür bezahlen! Ich werde wohl nach Südafrika zurückkehren und bis dahin insgeheim Geldmittel auf den Namen meines neuen Selbst anlegen: »Frederick Nasmyth Mason aus Toronto, Kanada, Makler für Bergbaugesellschaften«. Werde auch eine neue Unterschrift einüben. Falls ich diesen Schritt doch nicht tun muss, kann ich die Geldmittel jederzeit an mich zurücküberweisen lassen.

15. August 1931

Mittlerweile ist ein halbes Jahr vergangen und die Ungewissheit hält immer noch an. Dyson, Morton und mehrere andere Freunde haben sich offenbar dazu entschlossen, den Briefverkehr mit mir abzubrechen. Dr. James in San Francisco hört hin und wieder noch von Moores Bekannten und schreibt, Moore liege fast ständig im Koma. Seit Mai kann er nicht mehr laufen. Solange er noch reden konnte, klagte er über ein andauerndes Kältegefühl. Jetzt kann er nicht mehr sprechen, allerdings vermutet man, dass er ab und zu noch kurz zu sich kommt. Er atmet flach und schnell, doch so laut, dass es auch noch aus einiger Entfernung zu vernehmen ist. Zweifellos nähren sich die Parasiten Trypanosoma gambiense von ihm, aber er hält sich besser als die Schwarzen. Batta starb nach drei Monaten und acht Tagen, und Moore lebt immer noch – ein Jahr, nachdem er gestochen wurde. Habe letzten Monat Gerüchte über eine intensive Suche nach »Wayland-Hall« in der Umgebung von Ukala gehört. Allerdings muss ich mir wahrscheinlich noch keine Sorgen machen, denn mich bringt ja nichts und niemand mit dieser Geschichte in Verbindung.

7. Oktober 1931

Endlich ist es vorbei! Nach einem Bericht in der Mombasa Gazette starb Moore am 20. September nach einer Reihe von krampfartigen Anfällen und starker Untertemperatur. Das wäre erledigt! Ich hatte mir vorgenommen, ihn zu vernichten, und das habe ich geschafft! Die Zeitung brachte einen Dreispalter über seine lange Krankheit und seinen Tod, in dem auch die vergebliche Suche nach einem »Wayland-Hall« erwähnt wird. Offensichtlich war Moore in Afrika viel bekannter, als ich dachte. Das Insekt, das ihn stach, hat man jetzt anhand der noch lebenden Exemplare und der Larven eindeutig identifiziert und auch die künstliche Einfärbung der Flügel entdeckt. Allgemein geht man davon aus, dass die Fliegen mit Tötungsvorsatz präpariert und verschickt wurden. Anscheinend hat Moore Dyson gegenüber einen bestimmten Tatverdacht geäußert, doch derzeit hält Dyson genau wie die Polizei diesen Verdacht noch geheim, weil keine Beweise vorliegen. Alle Gegner Moores werden nun unter die Lupe genommen, und die Associated Press deutet an, es werde nun bald zu Ermittlungen kommen, »die möglicherweise auch einen angesehenen, derzeit im Ausland lebenden Arzt einbeziehen werden«.

Eine Sache am Schluss des Artikels jagt mir in Anbetracht der Legenden, die unter den Schwarzen kursieren, und des verrückten Verhaltens der Fliege nach Battas Tod einen Schauer über den Rücken, obwohl sie bestimmt nichts anderes als pure Effekthascherei der Sensationspresse ist. Demnach geschah in der Nacht, in der Moore starb, etwas Sonderbares: Das Summen einer Fliege mit blauen Flügeln weckte Dyson aus dem Schlaf. Als sie gleich darauf aus dem Fenster davonflog, läutete das Telefon und die Krankenschwester in Moores meilenweit entfernter Wohnung in Brooklyn teilte ihm den Tod seines Freundes mit.

Am meisten beunruhigt mich jedoch die afrikanische Seite dieser Geschichte. Inzwischen erinnern sich manche Leute in Ukala noch an den bärtigen Fremden, der dort einen Brief tippte und eine Sendung aufgab. Die Polizei durchkämmt das Land jetzt nach schwarzen Trägern, die den Mann möglicherweise durch den Busch begleitet haben. Ich habe zwar nur selten Träger angeheuert, aber falls die Polizeibeamten die Ubandes verhören, die mich durch den N’Kini-Dschungel führten, werde ich mehr erklären müssen, als mir lieb sein kann. Sieht so aus, als wäre es nun höchste Zeit für mich zu verschwinden. Also werde ich wahrscheinlich schon morgen kündigen und mich auf den baldigen Aufbruch zu einem unbekannten Ziel vorbereiten.

9. November 1931

Zwar musste ich Druck machen, um die Bearbeitung meiner Kündigung zu beschleunigen, aber heute bekam ich endlich die Bestätigung ihrer Annahme. Ich wollte mich nicht heimlich davonmachen, das hätte nur Verdacht erregt. Letzte Woche berichtete mir James von Moores Tod, allerdings war das auch nicht mehr, als in den Zeitungen gestanden hatte. Seine Bekannten in New York halten sich mit Einzelheiten offenbar zurück, allerdings reden sie alle von einer gründlichen polizeilichen Ermittlung. Kein Wort von meinen Freunden an der Ostküste. Moore muss wohl einen gefährlichen Verdacht verbreitet haben, bevor er das Bewusstsein verlor, konnte ihn aber sicher nicht mit der Spur irgendeines Beweises untermauern.

Trotzdem gehe ich kein Risiko ein. Am Donnerstag breche ich nach Mombasa auf, und von dort aus fahre ich mit einem Dampfer die Küste entlang bis nach Durban in Südafrika. Danach verschwinde ich von der Bildfläche. Doch bald darauf wird Frederick Nasmyth Mason aus Toronto, Makler für Bergbaugesellschaften, in Johannesburg auftauchen.

Damit will ich mein Tagebuch beenden. Sollte ich wider Erwarten nicht in Verdacht geraten, wird es nach meinem Tod seinem ursprünglichen Zweck dienen und enthüllen, was sonst verborgen bliebe. Sollte sich jedoch der Verdacht gegen mich erhärten und bestehen bleiben, wird dieses Tagebuch nach meinem Ableben die vagen Anschuldigungen bestätigen, viele wesentliche, Rätsel aufgebende Beweislücken schließen und zur vollständigen Aufklärung führen. Allerdings werde ich es selbstverständlich vernichten müssen, falls mir Gefahr droht.

Nun ja, Moore ist jetzt tot, und das hat er mehr als verdient. Und nun ist auch Dr. Thomas Slauenwite gestorben. Sobald auch der Körper, der ihm gehörte, nicht mehr am Leben ist, kann die Öffentlichkeit diese Aufzeichnungen ruhig erhalten.

II

15. Januar 1932

Ein neues Jahr – und mit innerem Widerstreben setze ich dieses Tagebuch nun doch fort. Diesmal schreibe ich nur, um etwas loszuwerden, das mir auf der Seele liegt, denn sicher hat man den Fall inzwischen ohne Ergebnis zu den Akten gelegt. Es wäre Unsinn, sich etwas anderes einzubilden. Ich habe mich unter meinem neuen Namen im Vaal Hotel in Johannesburg einquartiert, und niemand hat bisher meine Identität in Zweifel gezogen. Habe hin und wieder unverbindliche Gespräche mit Geschäftsleuten geführt, um meiner Rolle als Makler von Bergbaugesellschaften gerecht zu werden. Vielleicht gelingt es mir sogar, tatsächlich in dieser Branche Fuß zu fassen. Später werde ich nach Toronto fahren und dort ein paar Beweise für meine fiktive Vergangenheit hinterlassen.

Mich beunruhigt lediglich ein Insekt, das heute gegen Mittag in mein Zimmer eindrang. Natürlich habe ich in letzter Zeit alle möglichen Albträume gehabt, in denen Fliegen mit blauen Flügeln herumschwirrten. Das war in Anbetracht meiner derzeitigen nervlichen Belastung ja auch nicht anders zu erwarten. Dieses Insekt jedoch sah ich bei vollem Bewusstsein; es war nur allzu real. Und ich habe keinerlei Erklärung dafür. Eine ganze Viertelstunde summte es um mein Bücherregal herum, und es gelang mir weder, es einzufangen, noch es zu erschlagen. Das Verrückteste daran waren Farbe und Äußeres des Insekts: Es hatte blaue Flügel und war in jeder Hinsicht ein Doppelgänger meiner künstlich gezüchteten Todesboten. Keine Ahnung, wie das möglich sein soll. Alle Neuzüchtungen – ob eingefärbt oder ungefärbt –, die ich nicht an Moore geschickt habe, habe ich vernichtet. Und ich kann mich nicht erinnern, dass mir irgendeines davon entwischt wäre. Bin ich womöglich einer Wahnvorstellung aufgesessen? Oder könnte eine der Fliegen, die in Brooklyn entkamen, als Moore gestochen wurde, nach Afrika zurückgefunden haben?

Es gab ja diese bizarre Geschichte, dass eine blaue Fliege Dyson bei Moores Tod geweckt hat. Und immerhin ist vorstellbar, dass einige der Fliegen überlebt haben und auf irgendeine Weise nach Afrika zurückgekehrt sind. Auch die Blaufärbung der Flügel könnte sich erhalten haben, denn das Farbpigment, das ich dafür eingesetzt habe, ist fast so haltbar wie eine Tätowierung, die ein Leben lang halten soll. Je mehr ich die Möglichkeiten eingrenze, desto stärker bin ich davon überzeugt, dass die Rückkehr einer überlebenden Fliege von Brooklyn nach Afrika die einzige plausible Erklärung für das Auftauchen dieses Insekts ist. Allerdings ist es schon merkwürdig, dass sich diese Fliege so weit in den Süden Afrikas verirrt hat. Vielleicht liegt es an einem Heimkehrinstinkt in der Erbanlage der Tsetsefliege. Schließlich ist die männliche Seite bei dieser Kreuzung in Südafrika beheimatet.

Vor einem Stich muss ich mich hüten. Sollte es sich tatsächlich um eine von Moores Fliegen handeln, dann ist das ursprüngliche Gift zwar längst nicht mehr wirksam, aber auf dem Rückflug von Amerika muss sich das Insekt ja von irgendetwas ernährt haben. Gut möglich, dass es durch Zentralafrika geflogen ist und sich dort erneut infiziert hat. Das ist sogar sehr wahrscheinlich, denn jene Hälfte der Erbanlagen, die von der Glossina palpalis stammt, würde die Fliege natürlich nach Uganda ziehen – und damit auch zu den dort verbreiteten Erregern der Schlafkrankheit.

Ich habe noch etwas Tryparsamid. Konnte mich nicht dazu überwinden, meinen Arzneikoffer zu beseitigen, sosehr er mich als Beweismittel auch belasten mag. Aber seitdem ich mehr über Tryparsamid gelesen habe, bin ich von der Wirkung dieses Gegenmittels nicht mehr so fest überzeugt wie früher. Es gibt einem die Chance, gegen die Krankheit anzukämpfen – mit Sicherheit hat es Gamba das Leben gerettet –, aber das Überleben ist dadurch keineswegs garantiert.

In Anbetracht des riesigen afrikanischen Kontinents ist es schon verdammt merkwürdig, dass diese Fliege ausgerechnet in mein Zimmer eingedrungen ist! An einen Zufall kann man dabei kaum glauben. Falls die Fliege hier noch einmal auftaucht, werde ich sie auf jeden Fall töten. Es verblüfft mich nach wie vor, dass sie mir heute entwischt ist, denn normalerweise sind diese Landplagen äußerst dumm und leicht zu fangen. Habe ich mir die Fliege doch nur eingebildet? Die Hitze macht mir in letzter Zeit so zu schaffen wie nie zuvor – sogar stärker als seinerzeit in Uganda.

16. Januar 1932

Bin ich dabei, den Verstand zu verlieren? Heute Mittag ist die Fliege zurückgekehrt und hat sich so ungewöhnlich aufgeführt, dass ich nicht schlau daraus werde. Das Verhalten dieses herumschwirrenden Miststücks kam mir so bizarr vor, dass ich diesen Eindruck eigentlich nur eigenen Wahnvorstellungen zuschreiben kann. Das Insekt tauchte aus dem Nirgendwo auf und flog geradewegs zu meinem Bücherregal hinüber, wo es immer wieder eine Ausgabe von Moores Die Zweiflügler Zentral- und Südafrikas umkreiste. Hin und wieder ließ es sich auf der oberen Kante des Buchs oder auf dessen Rücken nieder, zog sich aber jedes Mal zurück, ehe ich es mit einer zusammengefalteten Zeitung erschlagen konnte. Ein derart gerissenes Verhalten hat man bei diesen bekanntermaßen nicht mit Intelligenz begabten afrikanischen Zweiflüglern noch niemals beobachtet. Fast eine halbe Stunde lang versuchte ich das verdammte Biest zu erwischen, doch schließlich schoss es durch ein Loch im Fliegengitter vor dem Fenster, das ich noch gar nicht bemerkt hatte, nach draußen. Zuweilen hatte ich fast das Gefühl, dass es mich bewusst verspottete, indem es zunächst in Reichweite meiner Waffe flog und ihr dann geschickt auswich, sobald ich ausholte. Ich muss mich in geistiger und seelischer Hinsicht unbedingt im Griff behalten.

17. Januar 1932

Entweder ich bin wahnsinnig, oder die uns bekannten Gesetze der Wahrscheinlichkeit sind auf diesem Planeten plötzlich aufgehoben. Die verdammte Fliege tauchte kurz vor Mittag von irgendwoher auf und fing gleich wieder an, um Moores Zweiflügler auf meinem Bücherregal herumzuschwirren. Erneut versuchte ich sie zu fangen, genauso erfolglos wie am Vortag. Schließlich flog das Biest zu dem offenen Tintenfass auf meinem Tisch und tauchte hinein – allerdings nur mit den Beinen und dem Brustkorb, nicht mit den Flügeln. Danach flog es zur Zimmerdecke, ließ sich dort nieder und begann dort in einem Bogen so entlangzukriechen, dass es eine Tintenspur hinterließ. Etwas später machte es einen Sprung und schuf dadurch einen einzelnen Tintenpunkt, der nicht mit der Spur verbunden war. Danach ließ es sich direkt vor mein Gesicht fallen und schwirrte davon, ehe ich es erwischen konnte.

Etwas an diesem ganzen Verhalten kam mir sehr unheimlich und abartig vor – so sehr, dass ich mir dieses Gefühl selbst nicht erklären kann. Als ich die Tintenspur an der Decke aus unterschiedlichen Perspektiven musterte, kam sie mir von Sekunde zu Sekunde bekannter vor. Und plötzlich dämmerte mir, dass sie ein perfektes Fragezeichen bildete. Welcher Einfall könnte in dieser Situation hinterhältiger sein? Es ist ein Wunder, dass ich nicht ohnmächtig wurde. Bis jetzt haben die Hotelangestellten das Fragezeichen noch nicht bemerkt. Nachmittags und abends habe ich die Fliege nicht gesehen, lasse mein Tintenfass aber vorsichtshalber verschlossen. Mittlerweile glaube ich, dass mich die Vernichtung Moores so verfolgt, dass ich unter morbiden Wahnvorstellungen leide. Vielleicht existiert diese Fliege gar nicht.

18. Januar 1932

Welcher teuflische Albtraum hat hier reale Gestalt angenommen und mich in eine wahre Hölle hinuntergezogen? Was heute passiert ist, dürfte eigentlich gar nicht geschehen. Und doch hat ein Hotelangestellter die Spuren an der Zimmerdecke bemerkt und bestätigt, dass sie tatsächlich vorhanden sind. Während ich heute Vormittag gegen elf an einem Manuskript arbeitete, schoss irgendetwas kurz zu dem Tintenfass hinunter und verschwand blitzschnell wieder, ehe ich sehen konnte, was es war. Als ich aufblickte, fiel mir auf, dass diese teuflische Fliege wie am Vortag an der Zimmerdecke entlangkrabbelte, um eine weitere gewundene Tintenspur zu legen. Ich konnte nichts dagegen tun, faltete jedoch eine Zeitung zusammen, um das Biest zu erschlagen, falls es nahe genug an mich herankam. Als es mehrere Bogen an der Decke geschlagen hatte, flog es in eine dunkle Ecke und verschwand. Schließlich blickte ich zu dem nun doppelt verunstalteten weißen Putz hinauf und sah, dass die neue Tintenspur unverkennbar und in riesiger Ausführung die Ziffer 5 bildete!

Eine Zeit lang überwältigte mich ein so starkes Gefühl von Bedrohung – einer Bedrohung, die ich nicht benennen kann –, dass ich fast das Bewusstsein verloren hätte. Dann nahm ich alle Willenskraft zusammen und leitete Gegenmaßnahmen ein. In einer Apotheke besorgte ich mir Klebstoff und andere Dinge, die man zur Herstellung einer Fliegenfalle braucht, außerdem ein zweites Tintenfass. In meinem Zimmer füllte ich das neue Tintenfass mit der klebrigen Flüssigkeit, stellte es an die Stelle des alten und ließ es geöffnet. Danach versuchte ich konzentriert zu lesen. Gegen drei Uhr nachmittags hörte ich das verfluchte Insekt erneut und sah, wie es das neue Tintenfass umkreiste. Es flog bis zu dessen klebriger Oberfläche, tauchte jedoch nicht ein, sondern schoss danach direkt auf mich zu und zog sich zurück, ehe ich es erschlagen konnte. Anschließend umkreiste es erneut Moores Abhandlung auf dem Bücherregal. Es hat etwas ebenso Hintergründiges wie Teuflisches an sich, dass es diesen Eindringling immer wieder zu diesem Buch hinzieht.

Das Schlimmste kam am Schluss. Von Moores Buch aus flog das Insekt zum offenen Fenster hinüber und begann rhythmisch gegen das Fliegengitter zu stoßen. Es prallte mehrmals dagegen, pausierte kurz, prallte erneut dagegen, und das wiederholte sich ständig. Etwas an diesem Verhalten lähmte mich eine Weile, doch dann ging ich zum Fenster hinüber und versuchte das widerliche Ding zu erschlagen – auch diesmal ohne Erfolg. Es flog einfach quer durchs Zimmer zur Lampe und trommelte dort im selben Rhythmus auf den Pappschirm ein. Der Verzweiflung nahe, schloss ich alle Türen und das Fenster, dessen Fliegengitter das kaum wahrnehmbare Loch aufweist. Nun war ich wild entschlossen, dieses hartnäckige Biest zu töten, dessen Verfolgung mich völlig verrückt machte. Gleich darauf fiel mir auf – ich hatte wohl unbewusst mitgezählt –, dass der Rhythmus des Getrommels gegen den Lampenschirm jeweils genau fünf Flügelschläge umfasste.

Fünf – diese Zahl hatte das Biest am Morgen auch mit Tinte an der Zimmerdecke angebracht! Bestand da irgendein nachvollziehbarer Zusammenhang? Ein wahnsinniger Gedanke, denn das hätte ja bedeutet, der künstlich gezüchteten Fliege menschliche Intelligenz und Kenntnisse unserer Zeichensysteme zuzuschreiben. Menschliche Intelligenz – verwies das nicht auf die primitivsten Legenden der Schwarzen in Uganda? Und doch sprach auch diese teuflische Geschicklichkeit dafür, mit der mir das Biest auswich. Sie passte überhaupt nicht zu der Stupidität, die für solche Insekten typisch ist. Während ich meine gefaltete Zeitung zur Seite legte und mit wachsendem Entsetzen wieder Platz nahm, schwirrte das Insekt zur Zimmerdecke hinauf und verschwand durch ein Loch an der Stelle, wo das Heizungsrohr in das über mir liegende Zimmer führt.

Sein Verschwinden beruhigte mich jedoch nicht, denn mittlerweile gingen mir die abenteuerlichsten und grässlichsten Geschichten durch den Kopf. Falls diese Fliege menschliche Intelligenz besaß, wo kam diese Intelligenz dann her? War irgendetwas Wahres an der Vorstellung der Eingeborenen, dass diese Zweiflügler sich nach dem Tod ihrer Opfer deren Persönlichkeit zu eigen machen? Und falls ja, welche Persönlichkeit hatte diese Fliege dann in sich aufgenommen? Ich war bereits zu dem Schluss gekommen, dass diese Fliege zu denen gehören musste, die Moore zum Zeitpunkt des Stichs entkommen waren. War dies womöglich der Todesbote, der Moore gestochen hatte? Und wenn ja, was hatte er mit mir vor?

Was wollte er überhaupt von mir? Mir brach der kalte Schweiß aus, als mir einfiel, wie verrückt sich die Fliege, die Batta gestochen hatte, nach dessen Tod verhalten hatte. War die Persönlichkeit des toten Opfers seinerzeit auf die der Fliege übergegangen? Zusätzlich fiel mir der Bericht in dem billigen Boulevardblatt ein, in dem es hieß, eine Fliege habe Dyson nach Moores Tod aufgeweckt. Und was war mit dieser Fliege, die mich verfolgte? Steckte ein Mensch dahinter, der auf Rache aus war? Ständig hatte die Fliege Moores Buch umkreist! Es war mir zuwider, weiter darüber nachzudenken. Plötzlich war ich mir sicher, dass diese Fliege tatsächlich ein Krankheitsüberträger ist, und zwar der einer äußerst bösartigen Krankheit. Da ihr ganzes Verhalten unverkennbar böswillig war – vorsätzlich böswillig –, hatte sie sich bestimmt absichtlich mit den tödlichsten Bazillen in ganz Afrika infiziert. Mein Verstand war inzwischen so zerrüttet, dass ich der Fliege vorbehaltlos menschliche Eigenschaften zuschrieb.

Ich rief beim Hotelempfang an und bat, mir jemanden zu schicken, der das Loch am Heizungsrohr und andere Ritzen in meinem Zimmer stopfen könne. Meine Bitte begründete ich mit einer Fliegenplage und schien damit auf Verständnis zu stoßen. Als der Handwerker kam, zeigte ich ihm die Tintenspuren an der Zimmerdecke, die er sofort erkannte. Also hatte ich sie mir nicht eingebildet. Es faszinierte und verblüffte ihn, dass sie einem Fragezeichen und der Ziffer 5 ähnelten. Schließlich verstopfte er alle Löcher, die er finden konnte, und reparierte auch das Fliegengitter am Fenster, sodass ich jetzt beide Fenster wieder offen lassen kann. Es war dem Mann anzumerken, dass er mich für leicht exzentrisch hielt, vor allem wohl deswegen, weil während seiner Anwesenheit überhaupt kein Insekt im Zimmer zu sehen war. Doch so was kümmert mich schon längst nicht mehr.

Heute Abend ist die Fliege noch nicht wieder aufgetaucht. Weiß der Himmel, was sie ist, was sie will und was aus mir werden wird.

19. Januar 1932

Ich bin vor Entsetzen wie gelähmt. Das Ding hat mich berührt. Hier ist etwas Ungeheuerliches, Dämonisches am Werk, dem ich hilflos ausgeliefert bin. Als ich morgens vom Frühstück zurückkam, flog diese geflügelte Ausgeburt der Hölle ins Zimmer und streifte meinen Kopf. Genau wie gestern stieß sie absichtlich wieder und wieder gegen das Fliegengitter am Fenster. Diesmal war es jedoch eine Serie von vier rhythmischen Schlägen, die sie damit verursachte. Ich rannte zum Fenster, um sie einzufangen, doch wie immer entwischte sie mir, flog zu Moores Abhandlung hinüber und umkreiste sie so, als wollte sie sich über mich lustig machen. Ihre stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten sind begrenzt, aber mir fiel auf, dass sie jeweils eine Serie von vier Summtönen von sich gab.

Mittlerweile muss ich wohl völlig durchgedreht sein, denn ich schrie sie an: »Moore, Moore, was, um Himmels willen, willst du von mir?« Daraufhin hörte sie plötzlich zu kreisen auf, flog auf mich zu und schlug in der Luft einen eleganten Bogen nach unten, fast so, als wollte sie sich vor mir verbeugen. Danach kehrte sie zu Moores Buch zurück. Zumindest glaubte ich, all dieses zu sehen, allerdings kann ich meinen Sinnen nicht mehr trauen.

Und dann kam es noch viel schlimmer. In der Hoffnung, die Fliege werde verschwinden, wenn ich sie schon nicht erwischen konnte, hatte ich meine Zimmertür aufgelassen. Aber gegen halb zwölf schloss ich die Tür, da ich annahm, die Fliege sei weggeflogen. Danach setzte ich mich, um zu lesen. Um Punkt zwölf spürte ich ein Kitzeln im Nacken, doch als ich dorthin langte, war da nichts. Gleich darauf spürte ich erneut das Kitzeln. Ehe ich mich jedoch rühren konnte, schwebte dieses Biest von hinten heran, vollführte in der Luft eine weitere höhnische »Verbeugung« und verließ das Zimmer durch das Schlüsselloch in der Zimmertür. Nie hätte ich gedacht, dass die Fliege dort überhaupt hindurchpasst.

Zweifellos hat sie mich berührt, allerdings ohne mich zu stechen. Und dann fiel mir zu meinem Schrecken ein, dass Moore um die Mittagszeit in den Nacken gestochen worden war. Seither ist das Biest nicht wieder aufgetaucht. Doch sicherheitshalber habe ich nun alle Schlüssellöcher mit Papier ausgestopft und die zusammengefaltete Zeitung griffbereit, wenn ich die Zimmertür beim Hinein- oder Herausgehen aufmache.

20. Januar 1932

Ich kann zwar noch immer nicht ganz an das Übernatürliche glauben, dennoch fürchte ich, dass mein Schicksal besiegelt ist. Mit dieser Geschichte werde ich einfach nicht mehr fertig. Heute Mittag tauchte dieses Ungeheuer kurz vor zwölf vor dem Fenster auf und begann wieder, dagegenzustoßen – diesmal mit jeweils drei Schlägen. Als ich ans Fenster trat, verschwand es aus meinem Blickfeld. Meine Entschlusskraft reicht gerade noch für eine einzige weitere Abwehrmaßnahme. Ich habe nun beide Fliegengitter an den Fenstern herausgenommen, sie von innen und außen mit der klebrigen Flüssigkeit bestrichen, die ich auch ins neue Tintenfass gefüllt hatte, und danach wieder eingesetzt. Wenn dieses Ungeheuer eine neue Trommelattacke versucht, wird es seine letzte sein!

Den Rest des Tages habe ich ohne jede Störung verbracht. Aber werde ich diese Geschichte durchstehen können, ohne völlig den Verstand zu verlieren?

21. Januar 1932

Befinde mich im Zug nach Bloemfontein. Dieses Biest hat mich bezwungen. Es wird den Sieg davontragen, denn gegen seine teuflische Intelligenz kann ich nichts ausrichten. Heute Morgen tauchte es vor dem Fenster auf, berührte das klebrige Fliegengitter jedoch nicht. Stattdessen scherte es aus, ohne sich irgendwo niederzulassen, und begann summend, jeweils zwei