Der geheime Brief - Maria Ernestam - E-Book

Der geheime Brief E-Book

Maria Ernestam

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Beschreibung

Ein Haus, das sein Geheimnis preisgibt. Eine Frau, die zurück ins Leben findet.

Die Welt scheint stillzustehen, als die vierzigjährige Fotografin Inga ihren Mann bei einem Autounfall verliert. Um wieder zu sich zu kommen, zieht sie sich auf die Insel Marstrand zurück, auf der ihre Familie seit Generationen ein Sommerhäuschen besitzt. Beim Aufräumen findet sie eine rätselhafte Kiste mit Briefen – adressiert an ihre Großmutter Rakel. Verfasserin ist eine Frau in Afrika, die sich dort offenbar während des ersten Weltkriegs als Missionarin aufhielt. Und je mehr Inga über die Briefeschreiberin und deren Beziehung zu ihrer Familie erfährt, desto entscheidender verändert sich auch ihr eigenes Leben ...

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Seitenzahl: 495

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Die schwedische Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Alltid hos dig« bei Forum, Stockholm.
Deutsche Erstveröffentlichung Juni 2011, btb Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Copyright © Maria Ernestam 2008
Umschlaggestaltung: semper smile, München Umschlagmotiv: © plainpicture / Mira Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin
SL · Herstellung: BB
ISBN 978-3-641-06799-1V002
www.btb-verlag.dewww.randomhouse.de

Die Welt scheint stillzustehen, als die vierzigjährige Fotografin Inga ihren Mann verliert. Um wieder zu sich zu kommen, zieht sie sich auf die Insel Marstrand zurück, auf der ihre Familie seit Generationen ein Sommerhäuschen besitzt. Beim Aufräumen findet sie eine rätselhafte Kiste mit Briefen – adressiert an ihre Großmutter Rakel. Verfasserin ist eine Frau in Afrika, die sich dort offenbar während des ersten Weltkriegs als Missionarin aufhielt. Und je mehr Inga über die Briefeschreiberin und deren Beziehung zu ihrer Familie erfährt, desto entscheidender verändert sich auch ihr eigenes Leben …

MARIA ERNESTAM, geboren 1959, begann ihre Laufbahn als Journalistin. Sie arbeitete lange Jahre als Auslandskorrespondentin für schwedische Zeitungen in Deutschland und hat außerdem eine Ausbildung als Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin absolviert. Mittlerweile sind vier hochgelobte Romane von ihr erschienen. »Der geheime Brief« stand in Schweden monatelang auf Platz eins der Bestsellerliste. Weitere Informationen: www.mariaernestam.com

MARIA ERNESTAM BEI BTB Die Röte der Jungfrau. Roman Caipirinha mit dem Tod. Roman Mord unter Freunden. Roman

Inhaltsverzeichnis

PrologKapitel 1 - 2005Kapitel 2 - 2007Kapitel 3 - 1959Kapitel 4 - 2007Kapitel 5 - 1959Kapitel 6 - 2007Kapitel 7 - 2007Kapitel 8 - 1959Kapitel 9 - 1959Kapitel 10 - 2007Kapitel 11 - 2007Kapitel 12 - 1959Kapitel 13 - 1959Kapitel 14 - 2007Kapitel 15 - 1959Kapitel 16 - 1959Kapitel 17 - 2007Kapitel 18 - 1959Kapitel 19 - Mai 2008Kapitel 20 - 1959Kapitel 21 - September 2008NachwortQuellenCopyright

»Ein riesiges Wrackteil schien geradewegs auf meinen Kopf zuzuschießen, und instinktiv duckte ich mich, um auszuweichen, und blieb so lange ich konnte unter der Wasseroberfläche, und dann tauchte ich wieder auf, und hinter mir hörte ich das hereinbrechende Wasser, das aussah wie Wellen, die sich am Strand brechen, und mir war klar, dass es sich um den Sog oder die Wellen des soeben gesunkenen Schiffes handelte. Ich konnte meine Lunge gerade noch mit Luft füllen, ehe diese Wellen über mich hereinbrachen. Es kam mir sinnlos vor, dagegen anzukämpfen, deshalb wurde ich für einen Moment ganz schlaff, dann fing ich an zu schwimmen, merkte aber, dass es nutzlos war, und sagte mir: Was bringt es denn zu kämpfen, mit dir ist es aus, und ich versuchte schon gar nicht mehr, die Wasseroberfläche zu erreichen, aber dann glaubte ich, eine leise Stimme sagen zu hören: Los, weiter.«

Ernest Francis, Unteroffizier auf dem britischen Schlachtschiff Queen Mary.

Prolog

Der Mond wandert droben am Himmel so blau, sang Vater für mich. Jetzt sehe ich den Mond durch den Vorhangspalt, aber der Mond wandert nicht mehr, er starrt mich an und teilt mir mit, dass Nacht ist. Ich höre in Gedanken Vaters Stimme und spüre seine Hand in meiner. Ich bin immer bei dir. Wenn du mich lässt.

Meine Gedanken wirbeln umher, und ich weiß nicht mehr, was Wirklichkeit ist und was Traum.

Aber der Mond zieht das Wasser an, und ich sehe vor meinem inneren Auge, wie das Meer sich hin und her bewegt, wie es die Felsen streichelt, wie die Frau den Mann streichelt und der Mann die Frau. Plötzlich ist er da, er, der wartet und den ich niemals vergessen habe, auch wenn ich das vortäuschte. Ich spüre die Wärme in meinem Körper, dem Körper, der einst ich war, was unbegreiflich ist, wenn ich sehe, was noch übrig ist.

Ich ahne seine Hände um meine Taille, und da ist wieder die Musik, und ein Tanz, obwohl ich das alles nicht darf. Jetzt führt er mich herum, eins, zwei, drei, alles dreht sich, und ich bekomme keine Luft mehr und habe keinen Boden mehr unter den Füßen, und er küsst mich …

Wasser. Ich brauche Wasser.

Ich wirbele zwischen meinen Gedanken umher. Jetzt bin ich in dem Zimmer, in dem ich ihr damals zum ersten Mal begegnet bin. Ihr, die aussieht wie ich, die jedoch ein Muttermal hat, als habe die Natur sich mit ihr einen Scherz erlaubt. Bald kommt sie, ich weiß, dass sie kommt, und sie wird meine Hand halten, so, wie ich Vaters Hand gehalten habe, wenn das Licht gelöscht wurde.

Ich friere, und es tut ein wenig weh, ich muss mich umdrehen, ich ziehe die Decke fest um mich. Dann höre ich ein Lachen, und meine Augen füllen sich mit Tränen.

Ich habe geliebt. Das kann niemand mir wegnehmen.

Nicht einmal das Meer, das das verbarg und auswarf, was die Menschen vernichtet hatten, dessen Wellen das nahmen, was ich am meisten liebte. Ich spüre, wie die Wellen sich um mich schließen, und ich will und will nicht, sehe aber ein, dass alles bald vorbei sein wird.

Die Zeit ist gekommen. Die Sünden der Väter werden dich heimsuchen, heißt es, aber das glaube ich nicht.

Wenn uns irgendwelche Sünden heimsuchen, dann unsere eigenen.

Kapitel 1

2005

Die Fotos, die vor ihr auf dem Tisch verteilt waren, hätten gute Besprechungen verdient. Sie hatte viel Zeit in sie investiert und sich alle Mühe gegeben, die Motive zu finden, die zum Motto der Ausstellung passten. Veränderung.

Es war eigentlich ein banales Thema, aber gerade deshalb eine Herausforderung. Sie mochte Herausforderungen, wenn sie ihnen gewachsen war. Anfangs konnten sie sich in Schultern oder Bauch als Spannung festsetzen. Aber Ablehnen kam für sie nicht in Frage. Im tiefsten Inneren wusste sie, dass sie die Fähigkeit besaß, das Einzigartige zu finden, das, was die Menschen berührte und sie im besten Fall mehr empfinden ließ als sonst.

Wie viele Tage hatte sie beim Zirkus verbracht? Viele, aber Zeit war nicht von Bedeutung, wenn es darum ging, die Wirklichkeit einzufangen, die sie im Sucher sah. Diese Vorstellung war für sie beruhigend und gab ihr stets das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.

Sie ergriff das oberste Foto. Die Akrobatin hatte sich einen klangvollen Künstlernamen gegeben, hieß aber eigentlich Barbara und kam aus Ostdeutschland. Jung und kräftig hatte sie ausgesehen, als sie über ein Seil balancierte, das unter dem Zeltdach gespannt war, doch die Kamera hatte eine andere Wahrheit eingefangen. Das Foto zeigte ein Gesicht, in dessen Falten sich die Schminke sammelte und sie dadurch noch tiefer wirken ließ. Der Lippenstift verschmiert, die Wimpern verklumpt. Nach einigen Wochen und vielen Gläsern Wein hatte Barbara gestanden, dass alles mit den Jahren nur noch schlimmer werde. Sie hatte von der grenzenlosen Panik berichtet, die sie vor jeder Vorstellung überkam, und dass die Angst vor dem Sturz fast zu einem Wunsch geworden war.

»Damit es einmal ein Ende hat. Verstehst du, Inga? Dieses verdammte Leben.«

Inga hatte sich um professionelle Vorsicht bemüht und den richtigen Augenblick abgewartet. Und dann endlich abgedrückt. Wenn Barbara jemals vom Seil fiele, wäre es für alle auf dem Foto erkennbar, welche Angst die scheinbar so mutige Akrobatin davor gehabt hatte. Davor, die Kontrolle zu verlieren.

Wäre es möglich gewesen, die Verzweiflung in ihren Augen zu mildern? Die Schatten über den plump gepuderten Wangen zu vertiefen? Sicher, aber das hier war absolut akzeptabel. Ihre Leica zeigte ihr das Motiv im Sucher auch in dem Bruchteil jener Sekunde, in dem das Bild belichtet wurde. Sie hatte geliefert, was sie gewollt hatte: Nähe und Präzision in perfekter Vereinigung. Die lichtstarke Optik mit dem kristallklaren Glas ohne Verunreinigungen. Sie musste die Verkrümmungen am Bildrand eben wie das Ergebnis einer bewussten Entscheidung akzeptieren. Jedenfalls hatte sie das gewünschte Resultat.

Geduld und Erfahrung hatten das Ihre bewirkt: Genauigkeit. Sie versuchte immer, mehr zu liefern als erwartet, und das verlangte sehr viel Kraft. Aber es war schwer zu akzeptieren, was »gut genug« war, und aus »ausreichend« eine Tugend zu machen. Obwohl sie wusste, dass sie das ab und zu tun müsste, um sich zu schonen.

»Möchtest du etwas trinken?« Izabella, die Besitzerin der Galerie, war aufgestanden. Ihre eng sitzenden Hosen machten es unmöglich, sich vorzustellen, dass sie schon fast siebzig war. Inga musterte die Furchen in Izabellas Gesicht. Die waren ganz anders als Barbaras. Izabellas Furchen zeugten von Lachen und Selbstvertrauen, Barbaras dagegen von Verzweiflung und Kummer.

»Ja, danke.«

Die hochmoderne Espressomaschine war noch ein Grund, warum sie so gerne in Izabellas Galerie ausstellte. Wenn ihr ein dampfendes Glas Kaffee serviert wurde, ließ die Spannung im Nacken ein wenig nach. Sie stellte das Glas vorsichtig ab, um den Fotos nicht zu schaden, und suchte das Bild, mit dem sie vielleicht am zufriedensten war. Von einem Hügel aus hatte sie eingefangen, wie die letzte Vorstellung sich dem Finale näherte, während die Zirkusleute hinter den Kulissen bereits zusammenpackten. Als die letzte Lampe gelöscht wurde und das Publikum durch den Vorderausgang das Zelt verließ, stand der Hinterausgang schon nicht mehr.

Sie wandte sich Izabella zu.

»Das hier ist Veränderung. Und dann doch wieder nicht. Ein Zirkus wird aufgebaut und abmontiert. Er zieht weiter. Aber er sieht fast genauso aus wie vor hundert Jahren. Also lebt er von Veränderung, verändert sich aber nie. Deshalb dachte ich, dieses Bild wäre für die Einladung zur Vernissage geeignet. Wenn du mir zustimmst. Barbara, die Seiltänzerin, könnte an der langen Wand hängen. Ich kann die Bilder so vergrößern, wie du sie haben willst.«

Izabella beugte sich vor und begutachtete die Fotos. Sie entschied sich immer rasch, und Inga rechnete damit, in ungefähr einer Stunde fertig zu sein. Danach wollte sie nach Hause fahren und für den Rest des Nachmittags und Abends arbeiten. Mårten würde doch erst in zwei Tagen nach Hause kommen, und sie könnte auch gleich einige Stapel aussortieren, um mehr Zeit zu haben, wenn er wieder da war. Sie sehnte sich danach, ihm die fertigen Bilder zu zeigen. Niemand konnte so gute Ratschläge geben wie er, mit dem aufrichtigen Wunsch, dass sie Erfolg haben würde. Deshalb war seine Kritik immer konstruktiv, niemals verletzend.

Sie schüttelte den Kopf, denn plötzlich ging ihr auf, dass Izabella etwas gesagt hatte.

»Verzeihung, ich hab nicht zugehört. Was …?«

»Also, ich habe gesagt, dass du ungeheuer tüchtig bist, Inga. Du hast eine unglaubliche Fähigkeit, Menschen und ihre Gefühle einzufangen. Ganz zu schweigen von deinen technischen Kenntnissen. Du bist perfekt. Und vielleicht liegt es daran, dass diese Bilder hier … dass sie mir nichts sagen.«

»Ach.«

Die Antwort kam wie ein Reflex, und sie merkte, wie eine unangenehme Ruhe sich in ihrem Körper ausbreitete.

»Das kann mehrere Ursachen haben. Die Bilder sind, wie gesagt, perfekt. Die Angst ist deutlich, und die Idee, dir einen Zirkus vorzunehmen, war natürlich großartig. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass wir die Menschen, die wir hier ansehen, nicht wirklich kennenlernen. Es sind Abbildungen von Körpern, die ihren Zweck hervorragend erfüllen, aber sie berühren mich nicht richtig.«

Izabella streckte die Hand aus und versuchte, sie auf ihren Arm zu legen. Inga wich zurück und suchte Schutz in ihrem Kaffeeglas. Sie trank, um die roten Flecken in ihrem Gesicht zu verbergen. Sie konnte sie nicht sehen, aber sie spürte sie. Meinte Izabella, sie nutze die Menschen aus, die sie fotografierte?

»Das sollte nicht negativ klingen. Ich denke an dein Können und deine Energie. Nicht an das Mitmenschliche. Ich kenne nur wenige, die so herzensgut sind wie du.«

»Aber du meinst nicht, dass die Fotos zu gebrauchen sind? Oder soll ich einfach nur etwas ändern?«

Izabella gab keine Antwort, sondern erhob sich und verschwand im Hinterzimmer. Als sie zurückkam, brachte sie einen anderen Stapel Fotografien mit. Vorsichtig nahm sie die Bilder vom Tisch. Dann verteilte sie die anderen.

Das musste ein Witz sein. Die Fotos waren so schlicht, dass sie von jemandem stammen könnten, der soeben seine erste Kamera bekommen hatte. Sie stellten lachende und weinende Menschen dar, Erwachsene und Kinder, manchmal verschwommen, manchmal angeschnitten, in planlos eingefangenen Augenblicken. Fragmente von Taufen, Schulabschlüssen. Hochzeiten und Beerdigungen. Ein Baby, das in die Arme einer alten Frau gelegt wurde. Ein Mann, der auf einem Grab eine Kerze anzündete.

»Was sagst du?« Izabella klang ehrlich interessiert.

Nicht kritisieren, als Rache für die Enttäuschung.

»Die sind gut. Richtig gut. Und ich will nicht neidisch klingen, wenn ich sage, sie hätten noch besser werden können, wenn man sich damit mehr Zeit gelassen hätte. Für die Belichtung, zum Beispiel. Aber die Motive sind spannend. Schulabschlüsse und Hochzeiten bedeuten wirklich Veränderungen. Wer immer diese Fotos gemacht hat, ist tüchtig und originell. «

Izabella schloss die Hand um den Stein, der um ihren Hals hing.

»Der diese Fotos gemacht hat, ist nicht halb so tüchtig wie du. Du bist phantastisch gut, wie ich gesagt habe, und ich bezweifle keinen Moment, dass du eines Tages als eine der besten Fotografinnen Schwedens gelten wirst. Aber manchmal kann Perfektionismus ein wenig langweilig sein. Hast du dir das schon mal überlegt? Das Vollkommene ist fast immer vollkommen, eben weil es nicht perfekt ist. Diese Bilder hier stellen nicht den Anspruch, die einzige Wahrheit zu enthalten. Sie fangen einfach ein Gefühl ein. Der Fotograf ist erst vierundzwanzig Jahre alt. Er hat nicht einmal daran gedacht, dass seine Werke auf der Einladung erwähnt werden könnten oder wo dieses oder jenes Bild hängen sollte. Aber er hat sicher ebenso lange an diesen Bildern gearbeitet wie du an deinen. Ich würde niemals eine ganze Ausstellung nur mit seinen Bildern bestücken können. Aber ich will sie haben.«

Izabella trug elegante Schuhe mit orangen Riemen. Inga betrachtete das komplizierte Handwerk, um ihrer Röte Zeit zum Verschwinden zu geben. Trotz ihrer Enttäuschung freute sie sich ehrlich darüber, dass gerade diese Schuhe Izabellas Füße schmückten. Izabella war eine gütige und kluge Frau. Ihre Aufrichtigkeit konnte nichts daran ändern. Aber jetzt sehnte Inga sich nach Mårten. Nach diesem Gespräch würde sie ihn sofort anrufen.

»Ich will auch deine Fotos dabeihaben.« Bei Izabella hörte sich das ganz selbstverständlich an. »Viele meiner Besucher würden nicht herkommen, wenn sie nicht wüssten, dass auch du hier ausstellst. Ich bekomme noch immer Anfragen nach deinen Bootsbildern. Den alten Bootsskeletten, wie du sie genannt hast. Davon hättest du unbegrenzte Mengen verkaufen können.«

Die Bootsskelette. Das war einige Jahre her. Sie war nach einer hektischen Periode voller Arbeit unten auf Marstrand gewesen. Eines Morgens wurde ihr angeboten, mit einigen Nachbarn aufs Meer hinauszufahren. Sie hatte sofort dankend angenommen, froh darüber, zu den abgelegenen kleinen Inseln zu gelangen, wo man ab und zu Wrackreste fand.

Sie griff nach ihrer zwanzig Jahre alten Canon, die sie nur wenige Monate vor ihrer ersten Begegnung mit Mårten gekauft hatte. Sie konnten noch immer darüber Witze machen, dass sie sich deshalb ineinander verliebt, geheiratet und ein Kind bekommen hatten. Mårten war damals ebenfalls stolzer Besitzer einer Canon gewesen. Nur hatte er ein Teleobjektiv von 350 Millimetern gekauft, das sie beide nicht hatten benutzen können, da sie sich nicht für das Verhalten von Vögeln interessierten. Sie hatte sich für einen 18-Millimeter-Weitwinkel entschieden, der eine Schlossfassade oder einen breiten Boulevard einfangen konnte. Zwei extreme Objektive, die sie gemeinsam durch 35- und 150-Millimeter-Objektive ergänzten, die weit mehr Anwendungsmöglichkeiten boten. So ein Zusammentreffen muss etwas bedeuten, hatten sie sich damals gesagt.

Sie nahm die Kamera und das 35-Millimeter-Objektiv, ging zum Anleger und wurde von einem viel benutzten Holzboot aufgelesen. Das Meer war still und das Licht einzigartig. Es wäre eine berufliche Sünde gewesen, wenn sie nicht versucht hätte, das einzufangen.

Draußen bei der Schäre legten die Nachbarn ihre Fischernetze aus. Inga selbst wurde auf einer der Inseln an Land gesetzt, wanderte am Wasser entlang, fand mehrere verkrümmte Holzskelette und machte ein Bild nach dem anderen. Sie dachte nicht weiter darüber nach, was sie hier tat, sondern fotografierte in einer seltsamen Mischung aus Freude über diesen Tag und Trauer beim Gedanken an alle, die ihr Leben auf See verloren hatten. Wie viele waren es wohl im Laufe der Jahre gewesen, die über Bord geschleudert worden waren, schreiend vor Panik oder in stummer Hinnahme des Todes in den Wellen? War es ein Witz oder stimmte es, dass viele Seeleute nicht schwimmen lernten, damit der Tod sich beim Ertrinken so schnell und schonend wie möglich einstellte? Sie wusste es nicht. Aber die Bilder der aufgelassenen Schiffsteile, des grauen Holzes, stellenweise überwuchert von Seegras oder Schnecken, erwiesen sich als emotionaler als gedacht. Izabella verkaufte alle Bilder einige Monate später auf einer Ausstellung.

»Waren die besser als die Zirkusbilder, was meinst du?«

Izabella seufzte ein wenig. Ihr Schlüsselbein zeichnete sich unter dem Stoff ihrer Bluse deutlicher ab als sonst.

»Du brauchst dich mit niemandem zu vergleichen. Schon gar nicht mit dir selbst. Ich sage nur, dass du zugänglicher wirst, wenn du ein wenig spontan bist. Die Bootsbilder waren von seltener Schönheit. Sie hatten eine Unschuld des Augenblicks an sich, wenn du verstehst, was ich meine. Das merken die Leute. Einige glaubten sicher, sie hätten sie auch selbst machen können, was natürlich rührend ist. Trotzdem darf man dieses Gefühl nicht unterschätzen, wenn Menschen Kunst sehen. Tänzer sind ein anderes Beispiel. Es sieht so leicht aus, dass man glaubt, es selbst zu können, wenn man nur will.«

Wie Barbara, die auf dem Seil ein Gefühl von Schwerelosigkeit vermittelte.

»Eigentlich möchte ich dir einen Rat geben. Wie wäre es, eine kreative Pause von einigen Monaten einzulegen? Um Inspiration zu sammeln oder um nichts zu tun. Manchmal habe ich das Gefühl, dass du nie ausspannst. Du arbeitest vermutlich sogar dann, wenn du ein Glas Wein trinkst.«

Die verdammte Izabella. Die ahnte, dass sie manchmal, wenn sie zum Prosten das Glas hob, daran dachte, welche Farbe der Wein hatte und welcher Film sie am besten wiedergeben würde. Die sicher der Frau zustimmen würde, die an einem sonnigen Strand in Asien ihre Schultern massiert und dabei gemurmelt hatte: Your mind is always active.

Sie stand auf. Musste einfach mit Mårten sprechen. Ihn sagen hören, dass es nicht so ernst sei, wie es wirke. Dass es eigentlich keinen Grund zur Beunruhigung gebe, solange sie, er und Peter gesund seien. Dass sie, wenn alles zum Teufel ginge, doch die Wohnung verkaufen und in ein Land übersiedeln könnten, wo die Apfelsinen billiger wären als hier. Sie würde ihm zustimmen und lachen. Und alles würde wieder seine richtigen Proportionen annehmen.

»Dann lasse ich die Bilder bei dir. Du kannst dich ja melden und sagen, wie du dich entschieden hast. Danke, Izabella. Du weißt, wie froh ich bin, dass ich dich habe.«

»Und ich bin ebenso froh darüber, dass ich mit dir arbeiten kann.« Izabella brachte sie zur Tür und umarmte sie. Und Inga bemerkte wieder das, was sie nicht hatte bemerken wollen. Izabella war magerer geworden.

Sie ging durch die Tür der Galerie und hörte, wie Izabella sie hinter ihr schloss. Die Sonne stach ihr in die Augen. Sie hielt die Hand vor ihr Gesicht und dachte, dass müsse ein rebellischer Herbst sein, der sich Kälte und Dunkelheit einfach nicht ergeben wollte. Vielleicht hätte sie versuchen sollen, diesen Altweibersommer einzufangen, statt mit einem Zirkus umherzureisen, den sie offenbar nicht so hatte fotografieren können, dass die Bilder berührten. Es war ihr eindeutig nicht gelungen. Die Selbstkritik hämmerte mit ihrem Herzen im Takt. Sie ließ keinen Platz für den Gedanken, dass möglicherweise Izabella einen Tag hatte, an dem sie künstlerisch weniger empfänglich war, und dass Izabellas Meinung sich nicht notwendigerweise mit der anderer deckte.

Sie suchte in ihrer Tasche nach ihrem Telefon und wählte Mårtens Nummer. Sie hörte das Klingeln, aber als nach einer Weile Mårtens Stimme erklang, war es die von seinem Anrufbeantworter.

Das überraschte sie, normalerweise meldete er sich fast immer selbst. Enttäuscht blieb sie an einer Straßenkreuzung stehen und fragte sich, was sie jetzt machen sollte. Ihr Vorhaben, noch zu arbeiten, kam ihr sinnlos vor. Sie würde an diesem Tag nichts mehr tun können, was nicht von Unsicherheit durchsetzt sein würde. Natürlich ließ sie sich von so etwas niemals daran hindern, etwas Nützliches zu versuchen. Sie musste Mails beantworten und Rechnungen schreiben. Und doch kam ihr die Vorstellung, allein in ihrem Arbeitszimmer zu sein, unerträglich vor.

Sie wanderte ein wenig unschlüssig die Straße entlang. Was Izabella über ihre Fotos gesagt hatte, fraß sich in ihr fest, auch wenn sie wusste, dass Izabella sie nicht hatte verletzen wollen. Das Beste braucht kleine Mängel, um geschätzt zu werden, war es nicht so? Mach eine kreative Pause von einigen Monaten. Aber Pausen lagen ihr nicht, wenn Mårten nicht mitmachte. Und hatte sie das nicht dahin gebracht, wo sie sich heute befand? Sie hatte trotz allem als freischaffende Fotografin auf einem unbeständigen Markt Erfolg gehabt.

Gleichgültig schaute sie in Schaufenster. Nichts konnte ihr Interesse erwecken, außer einem Paar Schuhe, und das eher wegen der Farbe als wegen der Form. Aber die Vorstellung, in den Laden zu gehen und die Verkäuferin zu bitten, die Schuhe anprobieren zu dürfen, verlockte sie nicht. Sie ging zum Auto, warf die Kameratasche auf den Rücksitz und fuhr nach Hause.

Dort stellte sie die Tasche auf den Dielenboden, hängte ihren Mantel auf und ließ den vertrauen Geruch in sich einsinken. In der Küche stellte sie Teewasser auf, nahm eine Apfelsine und entfernte die Schale, obwohl sie eigentlich nicht gern Apfelsinen schälte. Der Saft sickerte durch ihre Finger und sie leckte ihn ab, schmeckte die Mischung aus Süße und Sprühmittel, als die Türklingel ertönte.

Sie schaute auf die Uhr. Es konnte nicht Mårten sein, falls er sie nicht überraschen wollte. Vielleicht ein Paket. Irgendeine Sendung, die mit ihrer Arbeit zu tun hatte. Sie warf einen Blick in den Spiegel in der Diele. Blonde Haare, schulterlang. Braune Augen, dunkle Wimpern und Brauen. Eine Oberlippe, die wie ein Entenschnabel vorwärts und aufwärts strebte. Ihrer Meinung nach. Andere sprachen von einem Kussmund.

Der Mann, der vor der Tür stand, trug einen so weit offenstehenden Mantel, dass sie den Halskragen sehen konnte. Sein Blick war mitfühlend, als er die Hand ausstreckte und sich mit seinem Namen vorstellte, an den sie sich erst viel später würde erinnern können. Freundlich teilte er mit, er sei Pastor der lokalen Gemeinde, und bat, ins Haus kommen zu dürfen. In der Diele hängte er seinen Mantel neben ihren und folgte ihr ins Wohnzimmer. Sie dachte nur, dass der Apfelsinensaft um ihre Handgelenke zu Eis gefroren sein musste. Die Frage, was geschehen sei, versiegte irgendwo auf dem Weg aus ihrem Mund.

Später würde sie sich nur an Bruchstücke des Gesprächs erinnern können, daran, wie Wörter und Satzteile durch ihren Kopf gewirbelt waren. Spaziergang. Zusammengebrochen. Krankenwagen. Jemand hat angerufen.

Der letzte Satz bohrte sich wie glühendes Eisen in ihre Haut.

»Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Mann tot ist.«

Kapitel 2

2007

Die Boote, die an ihren Vertäuungen rissen. Die Fähre, die sie auf die Insel brachte. Schnitzwerk, Regen und die Illusion eines verlassenen Märchenortes. Sie selbst, die versuchte, ihren schweren Koffer zu ziehen und mit der anderen Hand die Tüten zu tragen. Ein idiotisches Unterfangen mit hohen Absätzen auf dem Kopfsteinpflaster. Beim Grand Hotel blieben die Räder des Koffers im Kies stecken. Schweiß unter den Armen, peitschende Markisen, den Hang hoch, den Hang hinunter. Geschlossene Sommerläden, geschlossene Restaurants. Aber das Meer war unverändert.

Unterwegs war eine Bäckerei geöffnet gewesen. Sie legte eine Pause ein, kaufte frisches Brot und Himbeerkrapfen. Ein wenig früher auf der Reise hatte sie Milch, Butter, Toilettenpapier und Spülmittel erstanden. Kaffee und Tee hatte sie von zu Hause mitgebracht. Aber weiter hatte sie nicht denken können. Sie konnte nicht weiter planen dahingehend, wie sie diesen Tag überstehen würde. Und den nächsten. Ganz zu schweigen von den Nächten.

Das Haus war sicher nicht kleiner als vor einigen Jahren, aber es sah einsamer aus. Die Farbe war abgeblättert, der kleine Garten überwuchert, und zwischen den Steinplatten wuchs Gras. Wenn nur die Dohlen nicht im Schornstein ihr Nest gebaut hatten. Ein Feuer im Kamin wäre jetzt wunderbar.

Sie ließ ihr Gepäck auf der Straße stehen und ging durch das Tor. Mit dem Nachbarhaus als stummem Zeugen wanderte sie durch den Garten und betrachtete das Haus von allen Seiten. Blinzelte und versuchte, die Erinnerungen in sich aufzunehmen. Das Haus gelb mit weißen Ecken, glänzend und frisch angestrichen. Alle Türen und Fenster offen, Sommerwärme und der Duft von gekochter Rote Bete. Sie selbst in der Hocke zwischen den Steinen unten am Wasser, zusammen mit der Nachbarstochter. »Jetzt hab ich einen Krebs gefunden. Und ich hab einen Krebs gefunden. Und ich hab noch einen Krebs gefunden.«

Die Menschen. Papa und Mama. Opa. Kusinen, Vettern. Verwandtschaft bis ins Unendliche. Eine Kakophonie aus Geräuschen und Stimmen. Matratzen, die herangeschleppt wurden, Ausziehsofas, die zu zusätzlichen Betten wurden, die anderen mussten im Notfall im Schuppen schlafen. Sonntags Feste. »Jetzt gehen wir alle ins Restaurant, ich lade euch ein.« Onkel Ivar, natürlich. Die ewige Kabbelei zwischen Papa und Onkel Ivar darum, wie viel Kuchen man zum Kaffee nehmen durfte, wenn ins Restaurant eingeladen wurde. Opa, der immer nach Mama suchte und fragte, warum sie sich in der Mansarde verkroch und las, statt mit den anderen zusammenzusein. Solveig, Papas Kusine, die zu erklären versuchte, dass man hier in ständiger Bewegung sein müsse. »Immer mit irgendetwas beschäftigt wirken, die ganze Zeit, auch wenn das gar nicht stimmt.«

Zwischendurch Streit. Laute Stimmen. Rendezvous, sanktioniert durch die Ehe, doch wegen der allgemeinen Enge trotzdem verstohlen. »Verzeihung, aber wo steht der Kaffee? Mach verdammt noch mal die Tür zu!« Und Lachen. In den Sommern, die nie ein Ende nahmen.

Sie fror und schlang sich die Arme um den Leib. Es war noch immer warm für November, aber trotzdem lag eine gewisse Resignation in der Luft. Die Dunkelheit war da und würde mit jedem Abend näher herankriechen. Hier unten würde man das noch deutlicher merken.

Eine ausgestreckte Hand. Ein Karton mit Habseligkeiten. Ein Trauring. In dem ihr Name stand.

Nicht daran denken. Nicht jetzt. Später.

Sie ging zur Haustür und schaute auf die Uhr, die oben in der Ecke angebracht war. Die Bronzefarbe war fast verschwunden, aber als sie an der Schnur zog, ertönte ein vorsichtiges Klingeln, wie zu einem um Jahre verspäteten Essen. Sie ließ die Schnur los, schob den Schlüssel ins Schloss und musste erst einmal drücken und pressen. Die Tür öffnete sich mit einem Ächzen, sie konnte das Haus betreten.

Ein Geruch von stickigem Sommerhaus schlug ihr entgegen, aber auch etwas anderes. Wärme. Niklas war also mit seinem alten Schlüssel im Haus gewesen und hatte die Heizung eingeschaltet. Ohne die Schuhe auszuziehen, ging sie durch die Zimmer. Es kam ihr vor, wie ein Puppenhaus zu betreten, mit dem sie als Kind gespielt hatte, und vielleicht war das ein besseres Bild ihres Lebens, als sie zugeben wollte. Sie hatte mehrere Jahre in einem Puppenhaus gelebt, ohne die große Hand zu bemerken, die die Gegenstände bewegte.

Die Küche mit Platz für einen Esstisch und viele Münder. Die Spitzengardinen vor dem Fenster. Eine geblümte Vase. Sie öffnete Schränke und entdeckte Desserttellerchen mit Goldrand. Das hellgelb gestrichene Schlafzimmer. Bibelsprüche und ein gerahmter Engel an der Wand. Zwei Betten, geschmückt mit weißen Tagesdecken.

Im Badezimmer drehte sie den Hahn auf und trat einen Schritt zurück, als das Wasser fauchend losspritzte. Niklas hatte es offenbar ebenfalls eingeschaltet. Er hatte versprochen, zu tun, was er konnte, als sie ihn angerufen hatte, hatte sie aber vorgewarnt, er sei nicht sicher, ob alles noch funktionierte. Sie hatte ihn gebeten, einen Versuch zu unternehmen, und im Grunde darauf vertraut, dass dem so war. Schließlich hatte damals sein Vater Harald das Haus betreut und die Modernisierungsarbeiten geleitet. Er lebte noch und war klar im Kopf, wenn er auch nicht mehr gut sah. Harald würde sich an das erinnern, was er nicht sehen konnte, und den Sohn richtig lotsen. Wie ein Vater eben lotst.

Das Wohnzimmer. Sofa an der Wand, offener Kamin, Regal voller Bücher und alter Zeitungen. Die Bibel. Der silberne Leuchter. Die Veranda mit dem Fenster zur Natur. Ein Stück Meer. Die Erinnerung an nackte Füße im Gras, unterhalb der Felsen, hinten bei den Klippen und im Wasser.

Sie drehte sich um. Schaute den offenen Kamin und den Korb daneben an, der mit alten Holzscheiten gefüllt war. Dann fiel sie auf die Knie und konnte keinen Schritt weitergehen.

Ab und zu entglitt ihr die Zeit, aber sie wusste , dass es ziemlich genau zwei Jahre her war, dass sie einen freundlichen Geistlichen ins Haus gelassen und dass dessen Worte ihr Leben verändert hatten. Als er ging, hatte sie sich hingesetzt und die Anrufe erledigt, die sie erledigen musste. Sie hatte das Krankenhaus angerufen, zur Bestätigung. Hatte Peter angerufen. Mårtens Eltern. Mama Louise. Noch einmal das Krankenhaus. Einige Verwandte. Mårten war an einem Herzinfarkt gestorben.

Einige Stunden später, als eine Freundin spontan zu Besuch kam, war sie zusammengebrochen. Hatte geweint, geschrien und geheult, Tee getrunken und Zwieback gegessen. Hatte geschlafen und gewacht, geschlafen und gewacht und die ganze Zeit das Gefühl gehabt, dass ein kleines Wesen mit einer Machete durch ihr Inneres lief und sie in Fetzen schnitt. Am Ende war nur noch eine matschige Masse unter der Haut übrig, eine Masse, die sich weigerte zu verstehen.

Die Fahrt zum Krankenhaus in einer Stadt, die sie noch nie besucht hatte, schweigsame Kilometer, zusammen mit Peter. Die Begegnung mit Mårtens Eltern. Mårten, weiß und kalt im Bett. Friedlich, fast mit einem Lächeln auf den Lippen und den Händen auf dem Bauch. Besticktes Bettzeug, brennende Kerzen, Bibel und Gesangbuch auf dem Nachttisch. Blumen auf der Bettdecke. Professionell fürsorgliches Personal. Fast wie bei Papa. Damals hatte sie dabei sein können. Hatte Abschied nehmen und seine Hand halten können, ehe Papa verschwunden war. Mårten war ohne Abschied gegangen.

Sie hatte sich dem Bett genähert. Dann blieb sie auf halber Strecke stehen und dachte, sie hätte ihre Brieftasche verloren. Sie hatte ihre Tasche durchwühlt und sich auf dem Boden umgesehen, als könnte die Brieftasche von selbst heruntergehüpft sein. Erst als sie das Leder zwischen den Fingern spürte, hatte sie zum Bett gehen und sich auf einen Stuhl setzen können. Schon damals hatte sie sich über ihre Reaktion gewundert. Es spielte doch keine Rolle, wo ihre Brieftasche war.

Die anderen stimmten einen Choral an, »Nur einen Tag, nur einen Augenblick getrennt«. Sie versuchte mitzusingen, aber es war ihr nicht gelungen. Dann hatte Mårtens Mutter Zuflucht beim Krankenhauspersonal gesucht und mit diesem geredet. Währenddessen suchte sie nach Mårtens Seele, ohne sie irgendwo zu finden, nicht bei ihm, nicht bei ihr selbst, nicht im freien Flug durch den Raum. Als die anderen schon gehen wollten, wollte sie eigentlich noch bleiben. Doch als die anderen daraufhin anboten, sie später abzuholen, konnte sie es nicht über sich bringen, weiter hier zu sitzen. Sie hatte Angst vor der Trauer und davor, was sie mit ihr machen würde, sobald sie allein war. Seltsamerweise hatte sie außerdem Angst davor, der weiße Mårten könne sich im Bett aufsetzen und ein Gespräch mit ihr beginnen. Ihr vielleicht die Blumen geben.

Mårten. Haare in der Farbe dänischer Butter und großzügig in seinem ganzen Wesen. Unbekümmert, was Runzeln und die Ansichten anderer anging. Das hier kann ich anbieten und alles gehört dir.

Sie fror noch immer, zwang sich aber, aufzustehen, und ging zum Sofa, wo sie eine Decke an sich zog. Die Übelkeit kam unerwartet und signalisierte ihr, dass sie wieder vergessen hatte, Nahrung nachzufüllen. Essen. Mit Mårten hatte sie die Mahlzeiten genossen und gern für besondere Genüsse gesorgt. Sie hatte sich nicht nur mit ihrer Arbeit Mühe gegeben, sondern auch mit ihrer Ehe. Die Fürsorge für Mårten war ebenso selbstverständlich gewesen wie die Wartung ihrer Kameras. Jetzt blieben ihr nur die Kameras.

Nein, das stimmte nicht ganz. Vergiss nicht, dass du Peter hast. Das hatten irgendwelche Freunde zu ihr gesagt. Andere hatten auch gesagt, sie sei doch glücklich gewesen, anders als viele andere. Und sie sei noch jung. Sie werde einen anderen kennenlernen. Worte. Aber natürlich. Sie hatte Peter. Vermutlich wäre sie ohne ihn nicht dort, wo sie heute war. Den wunderbaren, mitfühlenden, unversehens starken und viel zu erwachsenen Peter. Zwanzig Jahre alt, als es geschehen war. Zweiundzwanzig jetzt. Medizinstudent in Umeå. »Ich möchte mich nützlich machen.« Der ihr immer wieder sagte, dass er zurechtkomme. »Hauptsache ist, dass du zurechtkommst. Mama.«

Zwei Jahre her. Zwei Jahre, in denen sie es nach und nach geschafft hatte, aus dem Bett aufzustehen, durch das Zimmer zu gehen, durch die Tür, hinaus ins Leben, aber mit tieferen Furchen um den Mund. Verblühte Schönheit? Was spielte das für eine Rolle? Eine gute Ehe für mehr als zwanzig Jahre. Was hatte sie gedacht, als sie sie führte? Dass man den anderen gut behandeln müsse, um selbst gut behandelt zu werden. Und dass das Ersehnte dann für ewig vorhalten kann. Obwohl nichts für ewig vorhält.

Das Geräusch ließ sie aufspringen. Es war dunkel geworden, und Koffer und Tüten standen noch vor dem Haus. Sie schaltete die Lampe ein, ehe sie zur Haustür ging. Die Gestalt in der Türöffnung überraschte sie so sehr, dass sie aufschrie.

»Oh! Entschuldige, wenn ich dich erschreckt habe. Ich bin’s nur. Niklas.«

Sie kniff die Augen zusammen und konnte trotz des trüben Lichts den Mann ihr gegenüber identifizieren. Natürlich war es Niklas. Jetzt streckte er ihr die Arme entgegen.

»Hallo, Inga. Willkommen auf Marstrand.«

Sie ließ sich einige wenige Augenblicke umarmen und sog den Geruch seiner Jacke nach Waschmittel und Kaffee in sich ein. Unpassenderweise fragte sie sich in diesem Moment, ob Niklas noch immer so viel Zeit mit seiner Geige verbrachte wie in seiner gesamten Jugend. Obwohl er niemals Berufsmusiker geworden war. Niklas war einer aus der »Clique« gewesen. Sie konnte sie vor sich sehen, Jungen und Mädchen am Meer und im Zauberwald, Jugendliche im elternfreien Sommerraum. Niklas war der, der kein Aufhebens um sich machte, aber schneller lief als die anderen, defekte Haartrockner reparierte und andere zum Zug fuhr. Sie hatten sich einige Male geküsst, leicht beschwipst nach einem Fest. Wie viele Jahre waren vergangen, seit sie jeden Sommer miteinander verbracht hatten? An die fünfundzwanzig, sie war ja noch mit über zwanzig jeden Sommer auf Marstrand gewesen und immer zurückgekehrt, wenn auch nicht jedes Jahr.

Wann hatten sie sich zuletzt gesehen? Vermutlich bei der Beerdigung. Und wann hatten sie miteinander gesprochen? Vielleicht einmal im Monat, danach. Niklas war einer von denen, die angerufen hatten. Nicht oft, aber gelegentlich und nicht nur während der ersten Wochen.

Niklas lächelte.

»Du hast dich nicht verändert. Ich habe Wasser und Heizung in Gang gebracht, wie du siehst. Mein Alter konnte sich genau daran erinnern, wie das geht, ich brauchte mich nur an seine Anweisungen zu halten. Sogar die Arbeitshandschuhe lagen da, wo er gesagt hatte. Aber ich wollt doch mal hereinschauen und sehen, ob du irgendwas brauchst.«

»Wie geht es denn Harald?«

»Nicht so schlecht. Er sieht ja fast nichts, ist aber immer guter Laune. Klagt wirklich nie. Er kann nicht mehr viel tun. Er hört Radio. Und er kann noch immer kleine Spaziergänge auf den Wegen machen, die er gut kennt.«

Vor dem Fenster lag jetzt undurchdringliche Dunkelheit. Niklas folgte ihrem Blick.

»Dein Koffer steht draußen. Und ein paar Tüten, sehe ich. Soll ich dir irgendwas ins Haus tragen?«

»Ich habe gar nicht so viel mitgebracht. Aber wenn du vielleicht …«

Nicht um ihr Leben wollte sie zugeben, dass sie Angst davor hatte, nach draußen zu gehen und ihre gesamten Habseligkeiten selbst ins Haus zu schleppen. Sie hatte niemals Angst vor der Dunkelheit gehabt und es immer genossen, nachts auf zu sein und einen Himmel weit außerhalb der Städte zu betrachten, wo die Sterne deutlicher waren als irgendwo sonst. In einem Sommer hatte sie geglaubt, dass sie auf dem Land viel größer seien als in der Stadt. Bis sie dann in der Schule entdeckt hatten, dass sie kurzsichtig war, und bis ihr dann aufgegangen war, dass die Himmelskörper in ihren Umrissen zerliefen. Eine scheußliche Brille hatte ihnen die richtigen Proportionen zurückgegeben. Jetzt benutzte sie Kontaktlinsen.

Niklas war schon auf dem Weg durch die Tür. Er kehrte zurück und stellte den Koffer ins Schlafzimmer und die Kartons in die Küche.

»Hast du schon gegessen?«

»Unterwegs eine Kleinigkeit.«

Das war natürlich gelogen. Sie hatte nur ein paar Äpfel gegessen und in einer Raststätte einen Tee getrunken.

»Eine Kleinigkeit, hast du gesagt, und unterwegs? Das muss doch Stunden her sein. Ich hab es geahnt. Deshalb hab ich Hackfleisch und Kartoffeln mitgebracht. Wenn du auspacken und dich frischmachen willst oder so, dann kann ich Essen machen und im Kamin ein Feuer anzünden. Ich habe nachgesehen, ob der Schornstein sauber ist.«

»Hast du denn Zeit genug?«

Weitere Fragen wollte sie nicht stellen. Niklas hatte mehrere Beziehungen gehabt. Alle hatten vier, fünf Jahre gedauert, es waren schöne und intelligente Frauen gewesen. Warum ging es immer zu Ende? Sie hatten einmal darüber gesprochen. Niklas hatte gesagt, es wäre keine Katastrophe, wenn er als Junggeselle endete. Er könne sich selbst durchaus als »Onkel Niklas« sehen, hatte er gesagt. Eine ein wenig vage Gestalt, in deren Anwesenheit Kinder zum Schweigen gebracht wurden, wenn sie unschuldig fragten, warum Onkel Niklas denn keine eigene Familie habe.

»Anita ist in Göteborg und trifft sich mit irgendwelchen Freunden. Sie wird dort übernachten.«

Niklas kehrte ihr den Rücken zu, als er das sagte, und sie bohrte nicht weiter. Derzeit war es also eine Anita, die mit Niklas in dem großen schönen Haus in der Bucht auf dem Festland lebte. Und Niklas wollte Essen machen.

Das alles gab ihr genügend Kraft, um mit dem alten Staubsauger des Hauses eine kurze Runde zu drehen und im Schlafzimmer den ärgsten Staub zu wischen. Den Wischlappen hatte Niklas mit derselben Selbstverständlichkeit mitgebracht wie Putzmittel und eine Flasche Wein. Sie fand die Bettwäsche im Schrank und nahm die, an die sie sich aus ihrer Kindheit am besten erinnern konnte. Blühende Rosen auf der einen Seite, Knospen auf der anderen. Die Farben waren verschossen, aber die Baumwolle war von einer mittlerweile seltenen Qualität. Bettbezug und Kopfkissenbezug waren mit Spitzen besetzt, und in die Mitte war ein R gestickt. Alles duftete nach Lavendel und überraschend sauber.

Sie bezog das Bett, hängte einige Blusen auf und fand im Kleiderschrank die alte braune Strickjacke ihres Vaters. Sie hatte sie immer geliebt, da sie wusste, dass er für ihr gemütliches abendliches Beisammensein bereit war, wenn er sie anzog. Sie hatte vergessen, dass die Jacke hier hing, aber nun schlüpfte sie hinein und krempelte die viel zu langen Ärmel hoch. Dann wusch sie sich das Gesicht mit eiskaltem Wasser.

Niklas hatte inzwischen im Holzofen Feuer gemacht, und als sie zu ihm in die Küche kam, rührte er gerade in einer Soße. Sie sah aus, als ob sie gut schmecken werde. Sie dachte, dass Gott durchaus gütig sein könne, wenn es ihm gerade passte. Was hatte der Pastor noch gesagt, als sie ihn gefragt hatte, warum ein allmächtiger Gott Mårten nicht hätte am Leben lassen können. Etwas darüber, dass der Glaube an Gottes Allmächtigkeit auf einer Fehlübersetzung beruhe. »Gott ist nicht allmächtig«, hatte er gesagt. »Sondern gewaltig.« Das war der einzige Grund, aus dem sie sich einen Rest Glauben bewahrt hatte.

Sie trugen die Teller ins Wohnzimmer, und weil der Kamin so viel Wärme ausstrahlte, setzten sie sich auf den Boden. Sie erzählte von einigen Ausstellungen und war überrascht darüber, dass Niklas im Laufe der Jahre ihre Arbeit im Auge behalten hatte. Sie selbst musste beschämt zugeben, nicht gewusst zu haben, dass Niklas für einen seiner Stühle einen Designerpreis erhalten hatte. Aber er versicherte, das mit den Möbeln sei nur eine Nebenbeschäftigung. Die Baufirma verschlinge fast alle Zeit, und er habe mehr Aufträge, als er eigentlich bewältigen könne. Anita war eine Kundin gewesen. Inzwischen hatte sie ihre Wohnung verkauft und war zu ihm gezogen. Sie war Gymnasiallehrerin für Biologie und Chemie.

Erst als die Teller fast leer waren, brach Niklas das Schweigen, das sich immer einstellte, wenn eine Frage nach Mårten nicht beantwortet wurde.

»Du hast also vor, eine Weile hier zu wohnen.«

Das war eine Behauptung. Sie versuchte, sich zu erinnern, was sie bei ihrem Anruf gesagt hatte. Ja, sie wollte an die Westküste kommen und im Haus auf Marstrand wohnen. Sie würde einige Wochen dort bleiben, vielleicht länger. Sie brauchte Ruhe für die Arbeit und musste sich aus mehreren Gründen erholen. Peter war noch in Umeå. Und nein, sie brauche sich zeitlich nach niemandem sonst zu richten.

Sie zog an einem Faden im Jackenärmel, und ihr fiel keine passende Antwort ein, als Niklas bereits weiterredete.

»Es hat schon länger niemand von euch im Haus gewohnt. Im vorigen Sommer waren nur einige von Ivars Enkelkindern eine Weile hier. Und dann kam Solveig und hat versucht, den Garten in Ordnung zu bringen. Aber das Haus ist leider arg mitgenommen. Überall. Das Meer zehrt an den Außenwänden, und im Herbst hatten wir ziemlich heftige Stürme.«

»Wir haben wohl allesamt nicht richtig Verantwortung übernommen. Ich war nicht mehr hier, seit Mårten gestorben ist. Als wir vor einigen Jahren auf der Durchreise waren, habe ich hier übernachtet. Ich hätte mehr tun müssen, das weiß ich.«

Niklas stieß ein Holzscheit an. Sofort loderte das Feuer auf, und neue Flammen züngelten in der Luft.

»Wem gehört das Haus denn eigentlich?«

»Ich bin zusammen mit Onkel Ivar die Hauptverantwortliche. Aber ich glaube nicht, dass er jemals daran denkt. Mit neunzig sind einem sicher andere Dinge wichtig. Meine Kusinen und Vettern und ich sollten uns überlegen, was geschehen soll. Aber noch nicht jetzt. Jetzt will ich einfach nur eine Weile hier sein.«

Einfach nur sein. Was immer das bedeuten mochte.

»Soll ich Teewasser aufsetzen?« Niklas erhob sich.

»Ja, bitte. Und in der Tüte auf der Anrichte sind Himbeerkrapfen. «

Nach einigen Minuten kam er mit zwei Tassen zurück, auf denen die Krapfen balancierten.

»Du bist genauso verrückt nach Himbeeren wie deine Oma. Mein Vater hat erzählt, dass sie Himbeeren geliebt hat.«

»Das habe ich auch gehört. Dass dein Vater das wusste.«

Himbeererinnerungen. Wie sie sie auf Grashalme aufzog. Sie im Joghurt zerquetschte. Oder wie Mårten sie mit einem unerwarteten Liter überraschte.

Mårten.

»Darf ich fragen, wie es dir geht, oder willst du nicht darüber sprechen?« Niklas’ Stimme klang sachlich. Inga wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger und band daraus einen Knoten. Wollte sie reden? Es kam darauf an, wer fragte. Ob ihr Gegenüber zuhörte und gute Ratschläge vorbrachte oder einfach nur alles schrecklich fand. Ober ob sie es selbst schaffte, Dinge in Worte zu kleiden, die sich nicht beschreiben ließen.

»Ich dachte, unsere Ehe würde alles überleben. Ich war einfach davon ausgegangen, dass Mårten und ich zusammen alt werden würden. Ich habe auf irgendeine seltsame Weise das alles für selbstverständlich gehalten. Jetzt ist Mårten tot, und ich kann nichts tun, um ihn zurückzuholen. Ich kann auf den Friedhof gehen und eine Blume in die Erde stecken und hoffen, dass er es hört, wenn ich mit ihm rede. Aber ich kann nicht sicher sein.«

Abgesehen von dem Tag, als plötzlicher Regen und ebenso plötzliche Wärme jede Blume in der Umgebung aufspringen ließen. Rote Blütenblätter, Wassertropfen wie verlorene Perlen auf den Blättern, der Duft des Grüns. Mårtens Stimme von überall und nirgends her, in ihr.

Du musst mich loslassen und weiterleben, Inga.

»Ich habe versucht, mein Leben zu leben, ohne es zu ändern. Ich blieb in unserer Wohnung wohnen. Bewahrte einen Teil von Mårtens Kleidern auf. Ab und zu machte ich die Tür auf und stecke die Nase in eines seiner Hemden, aber meistens ließ ich den Schrank zu. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich traf mich mit unseren alten Freunden. Arbeitete. Mehr denn je. Nahm jeden Auftrag an. Reiste, machte Fotos für Ausstellungen, Bücher … egal wofür. Alle waren rührend um mich bemüht. Ich wurde hochgelobt und geschätzt. Nicht zuletzt, weil ich soviel ›Haltung bewahrte‹. Alle fanden, ich sei gut in Form. Vielleicht, weil ich so oft unterwegs war. Es war mir unmöglich, still zu Hause zu sitzen. Dann kamen die Gedanken, und wenn sie kamen, streifte ich die Trainingskleidung über. Und lief und lief stundenlang.«

Sie verstummte. Das Feuer brannte ruhig und stetig. Das Holz knisterte ab und zu und roch leicht nach Rauch.

»Außerdem hat ein Kollege mir sehr viel geholfen. Beruflich und privat. Er war … er war da, und wir hatten auch früher schon zusammengearbeitet. Außerdem war er mit Mårten befreundet gewesen. Wir haben eine ziemlich beachtete Ausstellung zum Thema Lebensfreude eröffnet. Klingt vielleicht ein wenig seltsam, wenn du bedenkst, was bei mir passiert war. Aber ich dachte, das könnte mir helfen. Meine Kollege macht alles sehr ordentlich, und jetzt hatte er Adler fotografiert. Frag mich nicht, wie er es geschafft hatte, ihnen so nahezukommen. Er wollte zeigen, wie Adler fliegen lernen. Wie die Eltern die Jungen aus dem Nest stoßen, wie die Jungen dann in Panik geraten, wie die Alten hinter den Kindern herfliegen und die Flügel öffnen und sie auffangen und zurück in den Horst holen, nur, um sie ein weiteres Mal aus dem Nest zu stoßen, bis die Kleinen lernen müssen …«

Ihre Stimme wurde brüchig.

»Die Bilder waren so schön. Ich habe an diesem Nachmittag etwas empfunden, das Ähnlichkeit mit Ruhe hatte. Bei der Vernissage wimmelte es nur so von Menschen, die erzählen wollten, wie beeindruckt sie waren. Ich hatte einige von Mårtens Gebäuden fotografiert, denn ich wollte … aber ich hatte auch andere Bilder. Dann kam eine Frau, die ich flüchtig kenne. Wir hatten vor vielen Jahren miteinander zu tun, aber sie hat mich immer ein wenig verunsichert. Zeitungsfotografin und im Nebenberuf Schauspielerin. Jedenfalls stand sie einfach da. Schaute mich und meinen Kollegen vielsagend an und sagte ziemlich laut: ›Das ist Ihnen ja wirklich schnell gelungen, Mårten zu vergessen.‹«

Sie brach in Zittern aus, wie immer, wenn sie an diesen Moment dachte. An diesen unerwarteten Angriff. Diese Worte, die in ihrer Absicht zu verletzen so höllisch genau getroffen hatten.

Niklas schaute sie überrascht an.

»Das hat sie gesagt?«

»Ja. Genau das hat sie gesagt. Ich weiß, ich hätte mir das nicht zu Herzen nehmen dürfen, sondern es als das nehmen müssen, was es war. Neid vielleicht. Einen Ausdruck für ihre eigene Unzufriedenheit, der rein gar nichts mit mir zu tun hatte. Vielleicht hätte sie mir sogar leidtun sollen. Ich will glauben, dass sie nicht begriff, wie sehr sie mich getroffen hatte. Aber ich hatte nicht die Kraft dazu. Es war so, als ob sie ein Messer in eine Wunde gebohrt hätte, die danach noch schlimmer eiterte. Es ist schwer zu erklären, dass ein so dummer Kommentar eine solche Wirkung haben kann, ich verstehe es nicht einmal selbst, aber so war es. Ich stellte mein Glas auf einen Tisch, öffnete die Tür und ging hinaus. Versuchte, meinen Wagen zu finden, hatte aber vergessen, wo er stand. Ich irrte umher und muss restlos verwirrt ausgesehen haben. Dann wurde ich angefahren. Es war nicht weiter schlimm, aber trotzdem. Ich kam mit einigen Schrammen im Krankenhaus zu mir und wurde mit einem Rezept für ein Antidepressivum entlassen. Es war so, als ob ich für immer den festen Boden unter den Füßen verloren hätte. Vielleicht für immer.«

Niklas sah sie an, und sofort bereute sie, das alles gesagt zu haben. Ihr würden an diesem Abend unmöglich irgendwelche Erklärungen gelingen. Sie würde es einfach nicht schaffen, von der schrecklichen Trauer, Angst und Wut der vergangenen Jahre zu erzählen, die jetzt an die Oberfläche geströmt waren, obwohl sie versucht hatte, alle Gefühle zu unterdrücken. Für einen kurzen Moment vor dem Kamin hatte sie ihre Angst betäuben können. Sie wollte sich ausruhen. Nicht an Mårten im Krankenhausbett oder ihre Erinnerungen aus dem Alltag denken, etwa wenn Peter, Mårten und sie am Küchentisch gesessen, gefrühstückt und Zeitung gelesen hatten. Oder wenn sie zusammen den Christbaum geschmückt hatten. Die hölzernen Weihnachtswichtel. Zwei Stück, Wichtelmutter und Wichtelvater.

»Hast du nur ein blödes Rezept bekommen?«

»Können wir ein andermal darüber sprechen? Ich bin jetzt müde. Danke, dass du gekommen bist, aber ich glaube, ich muss jetzt ins Bett.«

Niklas umarmte sie flüchtig, dann stand er auf. Sein Körper fühlte sich warm an, während ihrer bereits erstarrt war.

»Ich arbeite morgen zu Hause. Komm doch einfach zum Essen zu uns. Oder an einem anderen Tag. Und ruf an, wenn etwas ist. Man weiß nicht, ob die Gespenster von der Festung auf die Idee kommen, hier vorbeizuschauen, jetzt, wo das Haus endlich bewohnt wird.« Er unterbrach sich selbst. »Entschuldige. Hier passiert nichts, weißt du. Aber es wird abends dunkel, also zögere nicht. Wir haben auch ein Gästezimmer. Es kann doch vorkommen, dass das Wasser hier streikt.«

Sie musste ihn einfach anlächeln. Es war wohlgemeint und zugleich so unrealistisch. Dass sie anrufen und darum bitten könnte, bei Niklas und seiner Freundin übernachten zu dürfen.

»Wer von uns hat sich denn früher am meisten vor der Dunkelheit gefürchtet? Du etwa nicht? Du bist doch hysterisch geworden, wenn wir im Keller eingeschlossen waren.«

Niklas schüttelte den Kopf auf eine Weise, die sie kannte.

»Spielst du übrigens noch immer?«

»Nicht mehr so oft. Eine Zeit lang hatte ich fast Angst, mich fortzuspielen. Jetzt aber…«

»Du hast immer gesagt, die Geige sei wie ein Teil deines Körpers. Eine Verlängerung deines Armes. Dass du dich deshalb nie weiter als zehn Meter von ihr entfernen könntest.«

Niklas gab keine Antwort, sondern ging auf die Tür zu. Dort drehte er sich um.

»Ich habe mein Handy auf dem Nachttisch liegen lassen. Danke für den Kuchen.«

Die Tür fiel ins Schloss. Er war verschwunden.

Die Stille und Einsamkeit waren brutal. Die Geräusche der Nacht, eben noch beruhigender Hintergrund, wirkten jetzt wie eine Machtdemonstration. Der Wind drang durch die Risse in der Wand, der Kühlschrank brummte leise vor sich hin. Der Holzboden knarrte unter ihren Füßen. In der Küche sah sie in einer Ecke einige dunkle Reiskörner, was auf ungebetene Gäste hinwies.

In einem Frühling vor vielen Jahren war Mårten einmal hierhergefahren. Er hatte die Küche geputzt und dabei eine Maus gesehen, die vorüberhuschte und sich in der Ecke hinter einem Schemel und einigen Zeitungen versteckte. Mårten hatte vorsichtig die Ecke geleert. Am Ende hatte er die Maus gefunden. Aber sie hüpfte einfach in die Luft, machte eine halbe Drehung um sich selbst und fiel tot zu Boden.

Sie muss bei meinem Anblick einen Herzanfall erlitten haben.

Mårten hatte am Telefon gelacht. Sie hatten beide gelacht. Ohne zu ahnen, worüber. Ein Herz, das nicht mehr wollte.

Sie ging wieder zum Kaminfeuer und sank in sich zusammen, unfähig, klar zu denken. Bei völliger Dunkelheit stand sie auf und schloss die Haustür ab. Den Abwasch verschob sie auf den nächsten Tag. Niklas hatte für fast alles gesorgt. Es war lieb von ihm gewesen, hereinzuschauen. Sie hatte vergessen zu fragen, ob er mit der Fähre oder seinem eigenen Boot gekommen war.

Sie ging ins Badezimmer und putzte sich die Zähne. Im Schlafzimmer zog sie sich aus und kroch ins Bett, mit der Strickjacke ihres Vaters als zusätzlicher Decke. Jetzt hörte sie das Pochen. Irgendwo schlug eine Tür, aber dann nahm sie noch etwas anderes wahr. Das Herz des Hauses fing an zu schlagen. Seltsam, aber so war es. Es hatte abgewartet und jetzt wieder eingesetzt.

Nicht einmal ein Haus hat Ruhe vor seiner Vergangenheit.

»Während der ersten Phase des Kampfes folgte ein phantastischer Triumph auf den anderen. Wir hatten eine Seeschlacht in ihrer ganzen wilden Großartigkeit erlebt. Nun aber stellten sich ihre Schrecken ein.«

Georg von Hase, Erster Artillerieoffizier des deutschen Schlachtschiffes Derfflinger

Kapitel 3

1959

Auf dem Nachttisch steht ein schwarzweißes Foto. Die blonden Haare des Mädchens darauf sind mit einer Schleife hochgebunden. Sie trägt ein Kleid mit vielen Falten, Spitzenkragen und einem Gürtel um die Taille, ihre Schnürstiefel sind schwarz. In der Hand hält sie eine Papierrolle. Ihr Blick ist fromm und frech zugleich. Auf einem Stuhl liegen Rosen zur Dekoration. Vielleicht waren sie rosa. Das weiß ich nicht mehr.

Ich war dreizehn, hatte soeben mein Zeugnis erhalten und wurde vom Fotografen verewigt. Jetzt steht das Foto hier im Krankenhaus, damit die Weißkittel begreifen, dass ich einmal etwas anderes war als dieser magere Rest von heute. »Sind Sie das? Sie waren aber hübsch«, hat erst kürzlich eine von ihnen zu mir gesagt. Ja, das war ich wohl. Und die Erinnerung an jenen Tag wird auf den Wiesen umhertollen, wenn ich nicht mehr atme.

Meine früheste Erinnerung jedoch gehört den Engeln. Sie waren mein erster Anblick, wenn ich morgens die Augen aufschlug, und der letzte, den ich aus dem Wachzustand in den Schlaf mitnahm. Ich beneidete sie und ärgerte mich zugleich über sie. Ihre ordentlichen Locken sahen aus, als würden sie gerne gekämmt.

Meine Haare waren immer schon wild und üppig. Als Mutter mich herausgepresst hatte, waren alle davon fasziniert, die Hebamme und die Nachbarinnen, und natürlich Vater, als er endlich das Schlafzimmer betreten durfte. Ich hatte mir Zeit gelassen, mich während der Wehen wieder zurückgezogen. Aber als ich dann endlich da war, gesund und makellos wie die allerbeste Ware, war alles vergeben und vergessen. Der gottgegebene kräftige blonde Schopf gab mir ein engelhaftes Aussehen, und das wiederum ließ Vater und Mutter in Dankesgebete versinken für das Wunder, das ich nach der Geburt von fünf Söhnen war.

Sie tauften mich auf den Namen Rakel, nach der schönsten Schwester in der Bibel.

Meine Haare wuchsen schneller als ich. Mutter arbeitete mit Kamm und Bürste, während ich protestierte und mich davor drücken wollte. Vater ließ nicht zu, dass ich mir die Haare abschnitt, obwohl er sonst alles für mich getan hätte. Die Gebete um eine Tochter waren erhört worden, und so hängten sie Engel an die Wand neben meinem Bett. Mit ihren Flügeln konnten sie fliegen, wohin sie wollten. Anders als ich.

Aber ich hätte Gott, hieß es. Wie wir alle Gott hatten. Das sagten Mutter und Vater, die seit ihrer religiösen Erweckung alles taten, um die christliche Botschaft zu verbreiten. Das Haus, in dem sie als Jungverheiratete gelebt hatten, wurde für die wachsende Kinderschar zu klein. Vater beschloss, ein größeres Haus zu bauen und im Obergeschoss einen Saal einzurichten, der als Sonntagsschule und Andachtsraum genutzt werden konnte. Das bedeutete ein großes Opfer, da der Hof nicht allzu viel einbrachte. Aber sein Glaube war stärker als der Appetit, und das Bedürfnis nach einem Versammlungsort für Kinder und Jugendliche dringender als der Wunsch nach etwas mehr Speck an den Sonntagen. Es gab zwar eine Kapelle, aber sie war für die vielen Söhne und Töchter der Gemeinde zu abgelegen. Vor allem für die Kinder der Landarbeiter auf dem großen Herrenhof, der ein Stück von uns entfernt lag.

Ich weiß noch, wie sie sich um Vater drängten. Sie waren barfuß, hatten magere Gesichter und oft noch struppigere Haare als ich, sie hatten Hautkrankheiten und trugen verschmutzte Kleider. Vater bedachte sie mit getrockneten Apfelscheiben und einem freundlichen Wort, einem Streicheln über den Kopf und nicht selten einer schönen Melodie. Er konnte nicht nur Choräle singen, sondern auch Volkslieder aus der Gegend.

In Vaters Augen war ich als die Tochter, nach der er sich so lange gesehnt hatte, ein Segen. Er war stolz auf seine Söhne, mich verwöhnte er. Während die Jungen sich auf dem Feld abmühten, unternahm er mit mir einen Streifzug durch den Wald und zeigte auf Maiglöckchen oder Hasen. Das Göttliche war nicht nur im Himmel zu finden, sondern auch zwischen den Bäumen und im Atem der Pferde.

Eines Tages kamen wir auf eine Lichtung. Vater setzte sich ins Gras, lehnte sich an einen Baumstamm und wäre fast eingeschlafen. Ich legte mich neben ihn und musterte sein fleckiges Hemd und seine immer warmen Hände. Plötzlich hörte ich ein Geräusch und drehte den Kopf. In unserer Nähe hatten sich einige Kohlmeisen niedergelassen. Ich stupste Vater an, er wachte auf und sah dasselbe wie ich. Er lachte leise, kramte in seinen Taschen und holte einige Brotkrümel heraus.

»Komm her, Jonas, dann kriegst du was«, sagte er und lockte einen der Vögel, die am weitesten hinten saßen. Bei Vater hießen Vögel immer Jonas. Ich lernte, dass ein Menschenname für viele Schnäbel reicht. Mutter sagte immer, Vaters Liebe zu den Vögeln bedrohe ihre Beerensträucher, und er sei selbst eine Kohlmeise, so sehr, wie er Käse liebte. Und doch war es Mutter, die jeden Abend die Vogelbadewanne zwischen den Steinplatten füllte.

Am Tag, als der Gebetssaal vollendet wurde, kaufte uns Vater Stoff für neue Kleider. Der Saal hatte siebzig Sitzplätze und noch mehr Stehplätze. Bänke und ein kleines Rednerpult hatte Vater mit Hilfe des Tischlers angefertigt, und die Leute strömten herbei, um Gottes Wort zu hören. Das schlichte Rednerpult stand allen offen, von Frischbekehrten bis zu emsigen Laienpredigern. Oft hallte der Gesang über den Hofplatz bis zum Herrensitz. Ich schlich mich zwischen den Stühlen umher, setzte mich dort, wo Platz war, und versah mich mit geistiger Labsal und unschätzbarem Wissen über den menschlichen Charakter.

Für Mutter bedeutete das viel Mühsal. Jeden Sonntag füllten Saal und Wohnung sich mit Kindern und Erwachsenen, die Schmutz und Kot hereinbrachten, Schnee und Kies, und manchmal musste der Boden von unten abgestützt werden, wenn es zu viele waren. Mutter lag auf den Knien und fand es selbstverständlich, dass nicht nur ich, sondern auch meine Brüder beim Scheuern für das allgemeine Seelenheil halfen.

»Ob das Frauenarbeit ist oder nicht, ist mir egal. In Gottes Reich sind wir alle gleich«, sagte sie oft. Meine Brüder murrten, kratzten Scheunendreck von den Stühlen und schrubbten den Boden. Ich drückte mich nach Möglichkeit vor dieser leidigen Arbeit. Stattdessen schlich ich mich die Treppe zum Gebetssaal hoch, der am spannendsten war, wenn er leer war.

Eines Tages zog ich einen Schemel vor das Rednerpodium und trat einer fiktiven Gemeinde gegenüber. Ich schaute über die leeren Bankreihen hinweg, versuchte mir vorzustellen, dass alle mich ansahen. Ich fühlte mich siegesbewusst, vielleicht sogar bekehrt. Bekehrt, dieses kleine Wort, das im Gebetssaal so oft fiel und offenbar der Schlüssel zu einem anderen Leben war. Diese Bekehrung schien mir ein Gefühl zu sein, wie wenn man sich einen großen Löffel Reisbrei in den Mund schob.

Ab und zu beendete einer der glühendsten Prediger seine Rede mit einer hoffnungsvollen Aufforderung.

»Schließt alle die Augen. Und wer nun Gott begegnet ist, jetzt, wo ich für euch gepredigt habe … möge die Hand heben.«

Vermutlich sollte der Prediger auch die Augen schließen, aber da diese Aufforderung so oft wiederholt wurde, konnte ich mir schon als kleines Kind ausrechnen, wie dabei geschummelt wurde. Der einzige Grund für die Wiederholung musste doch sein, dass sich niemand gemeldet hatte.

Ab und zu erbarmte ich mich. Wenn die Aufforderung zum dritten Mal erfolgte, hob ich eifrig die Hand. Beim ersten Mal war ich wohl erst sechs, was bedeutet, dass ich häufiger meine Bekehrung gestanden habe als der schlimmste Sünder seine Sünden. Das ging immer gut, bis Mutter mir auf die Schliche kam.

»Mit Bekehrung und Erlösung darf man keine Witze machen, sondern dankbar dafür sein«, sagte sie und schickte mich auf den Hof. Vor der Tür hörte ich dann, wie sie drinnen betete, aber nicht für meine Seele, sondern um gutes Wetter, damit sie die Ernte rechtzeitig einholen könnten. Ohne Nahrung keine Erlösung. Mutter war Realistin.

Aber ich fand es lieb von Gott, dass er einen reichen Mann aus der Gegend dazu überredete, unserem Gebetssaal ein Klavier zu stiften. Als es auf einen Karren gebunden eintraf, standen wir alle daneben. Das Pferd machte vorsichtige Schritte, als sei es sich seiner Verantwortung bewusst. Meine Brüder und Vater halfen, das Klavier die Treppe hochzuschaffen.

Eine Frau vom Nachbarhof hatte von einem Wandertheater, das einige Wochen bei ihr in der Scheune hatte wohnen dürfen, ein wenig spielen gelernt. Sie konnte eine Begleitung zu den Chorälen zusammenklimpern. Das reichte aus, um unsere Andachten zu himmlischen Höhen zu erheben. Wenn ich