Der Geisterbaum - Runa Moore - E-Book

Der Geisterbaum E-Book

Runa Moore

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Beschreibung

Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Gaslicht – Neue Edition In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten, denn in der längeren Form kommen noch mehr Gefühl und Leidenschaft zur Geltung. Spannung garantiert! Sie öffnete die schwere Tür und starrte hinaus in die Dunkelheit. Gerade hatte eine große dunkle Wolke den Mond verdeckt. Der Platz vor dem Schloss lag in völliger Dunkelheit. »Robin!« schrie sie, so laut sie konnte. Als Antwort hörte sie nur das Heulen der Wölfe. Sie mussten ganz in ihrer Nähe sein. In diesem Moment gab die Wolke ein Stückchen des Mondes frei. Was sie sah, ließ Laura das Blut in den Adern gefrieren. Allein und verlassen stand eine kleine weiße Gestalt auf dem großen Viereck zwischen Schloss und Wald, die wie eine große schwarze Wand in den nächtlichen Himmel ragte. Aber dieser Wald schien in Bewegung zu geraten. Riesige schwarze Schatten traten aus dem Dunkel hervor. Im hellen Mondlicht blitzten die scharfen Zähne wie Messerklingen. Aber am schlimmsten war das Heulen. Es erschien die Luft zu erfüllen wie ein brausender Sturm, der immer näher kam und Tod und Verderben mit sich brachte. Als die ersten dunklen Wolken am Himmel heraufzogen, wurde Laura von einer düsteren Ahnung erfasst. Was war das für eine verrückte Idee gewesen, nach Schottland zu fahren! Auf ein Schloss, dessen Bewohner sie nicht kannte! Um eine Stelle anzutreten, die eher auf eine Geisterjägerin als auf eine Bibliothekarin zugeschnitten war! Kopfschüttelnd lenkte die junge Frau ihr kleines rotes Auto über die schmale Landstraße.

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Gaslicht - Neue Edition – 16 –

Der Geisterbaum

Seine Äste werden dich wie Fesselnumklammern, Laura Weaver!

Runa Moore

Sie öffnete die schwere Tür und starrte hinaus in die Dunkelheit. Gerade hatte eine große dunkle Wolke den Mond verdeckt. Der Platz vor dem Schloss lag in völliger Dunkelheit. »Robin!« schrie sie, so laut sie konnte. Als Antwort hörte sie nur das Heulen der Wölfe. Sie mussten ganz in ihrer Nähe sein. In diesem Moment gab die Wolke ein Stückchen des Mondes frei. Was sie sah, ließ Laura das Blut in den Adern gefrieren. Allein und verlassen stand eine kleine weiße Gestalt auf dem großen Viereck zwischen Schloss und Wald, die wie eine große schwarze Wand in den nächtlichen Himmel ragte. Aber dieser Wald schien in Bewegung zu geraten. Riesige schwarze Schatten traten aus dem Dunkel hervor. Im hellen Mondlicht blitzten die scharfen Zähne wie Messerklingen. Aber am schlimmsten war das Heulen. Es erschien die Luft zu erfüllen wie ein brausender Sturm, der immer näher kam und Tod und Verderben mit sich brachte.

Als die ersten dunklen Wolken am Himmel heraufzogen, wurde Laura von einer düsteren Ahnung erfasst. Was war das für eine verrückte Idee gewesen, nach Schottland zu fahren! Auf ein Schloss, dessen Bewohner sie nicht kannte! Um eine Stelle anzutreten, die eher auf eine Geisterjägerin als auf eine Bibliothekarin zugeschnitten war! Kopfschüttelnd lenkte die junge Frau ihr kleines rotes Auto über die schmale Landstraße. Rechts und links vom Straßenrand erstreckten sich wellige Hügel, die im dunklen Abendlicht wie die Leiber von schlafenden Dinosauriern aussahen. Vom Rücksitz ertönte ein klägliches Miauen. Laura warf einen raschen Blick nach hinten, wo der Katzenkorb stand. Große grüne Augen starrten sie flehend durch das kleine Gitter an. »Du brauchst keine Angst zu haben, Amica. Wir sind bald da!« sagte Laura und sah wieder nach vorn. Es kam ihr vor, als würde sie sich mit diesen Worten eher selbst Mut zusprechen. Amica, ihre dreijährige Katze, war ein mutiges Tier, und jetzt war ihr wahrscheinlich nur langweilig. Seit ihrer letzten Rast in einem einfachen Gasthaus mit einem wortkargen Wirt waren bereits mehr als zwei Stunden vergangen. Immer größere Wolken zogen am Himmel auf. Sie wirkten bedrohlich und unaufhaltsam, wie Heere einer feindlichen Armee. Laura überlegte ernsthaft, ob es nicht besser wäre, auf der Stelle umzukehren. Aber das würde im Augenblick wenig nützen. Ein kurzer Blick nach allen Seiten zeigte ihr, dass es am Himmel keinen einzigen hellen Fleck mehr gab.

Warum hatte sie nicht auf ihre Freundin Linda gehört, die ihr dringend von dieser Unternehmung abgeraten hatte? »Du bist verrückt«, hatte Linda kopfschüttelnd zu ihr gesagt. »Du solltest dich nicht in Schottland verkriechen, sondern auf die Bahamas fliegen. Die Sonne und das Meer genießen. Und gib auf keinen Fall deine Wohnung auf!«

Als wäre Laura einer inneren Stimme gefolgt und nicht dem Rat ihrer besten Freundin, auf die sie bisher immer gehört hatte, kündigte sie nicht nur ihre Stelle als Bibliothekarin, sondern gab auch noch ihre hübsche Zwei-Zimmer-Wohnung in der Nähe von London auf. Für diese Entscheidung hatte sie eigentlich nur eine Erklärung: Seit dem Tod ihres Adoptivvaters hielt sie nichts mehr in England. James Weaver war ihr immer eine Stütze gewesen und hatte ihr so viel Liebe und Zuneigung geschenkt wie sonst kein Mensch. Seit er vor vier Monaten bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, fühlte sich Laura einsam und verlassen. Es kam ihr vor, als hätte sie ihre Wurzeln verloren. Mit dem Tod ihres Adoptivvaters war die letzte Verbindung zu ihrer Vergangenheit abgeschnitten worden. James hatte zumindest ihre Mutter gekannt. Er hatte sie im Krankenhaus kennengelernt, wo er als Arzt arbeitete und hatte sich mit ihr angefreundet. Er war der einzige Mensch gewesen, zu dem ihre Mutter Vertrauen gehabt hatte. Zwei Tage nach Lauras Geburt war Sarah Mc Pherson gestorben.

*

Laura stellte die Scheinwerfer an und schaltete noch einen Gang zurück. In wenigen Minuten war der ganze Himmel ein wogendes schwarzes Meer aus wild dahinjagenden, wirbelnden Wolkenfetzen geworden, die sich in allerlei seltsame Gebilde verwandelten. Dann fielen die ersten Regentropfen, aus denen im Nu große Hagelkörner wurden, die wie Tischtennisbälle auf- und abhüpften. In kurzer Zeit war die Straße schneeweiß. Die Körner knallten gegen die Windschutzscheibe und prasselten auf das Dach des kleinen roten Autos, in dem Laura sich bisher immer sicher gefühlt hatte.

Doch jetzt fühlte sie sich hilflos einer Gefahr ausgesetzt, die sie nicht einmal genau definieren konnte. Es waren nicht nur die Hagelkörner, die sie an Maschinengewehrfeuer erinnerten, und die Blitze, die über den dunklen Himmel zuckten, sondern die ganze Atmosphäre hatte etwas Höllisches. Wenn sie auf Linda gehört hätte, läge sie jetzt auf den Bahamas in der Sonne oder würde sich einen eiskalten Drink am Hotelpool servieren lassen. Unsinn! Sie hatte sich für Schottland entschieden, und irgendwann würde dieser Hagelschauer auch wieder aufhören! Sie horchte. Amica war ganz still. Angestrengt starrte Laura durch die Windschutzscheibe. Die Bäume am Straßenrand wurden von wilden Böen hin und her geschüttelt, und bald konnte sie fast nichts mehr erkennen. Dabei war sie wohl nur noch wenige Kilometer von ihrem Ziel entfernt. Ob Amica sich beruhigt hatte? Das Prasseln des Hagels war so laut, dass Laura keinen Ton mehr hörte. Krampfhaft hielt sie das Lenkrad umfasst. Sie spürte, wie sich ihre Nackenmuskeln verspannten und ihr Herz schneller schlug.

Am Himmel zuckten immer noch Blitze. Zum Glück ließ sich der Donner Zeit. Auch der Hagel wurde allmählich schwächer und ging in Regen über, der allerdings in Strömen fiel. Als Laura endlich wieder ein lang gezogenes klagendes Miau vom Rücksitz hörte, atmete sie erleichtert auf. Zumindest war sie nicht allein. Sie nahm noch einen tiefen Atemzug, um sich zu beruhigen, und versuchte, ihre Muskeln wieder zu entspannen. Es war alles nur halb so schlimm. Sie war nur deshalb besonders aufgeregt, weil sie sich auf ein echtes Abenteuer eingelassen hatte. Sie entdeckte einen Waldweg, der von der schmalen Landstraße abzweigte, und setzte den Blinker. Sie würde eine kurze Rast einlegen, noch einmal die Karte studieren und zur Beruhigung der Nerven Amica hinter den Ohren kraulen. Dann würde sie in aller Ruhe weiterfahren. Sie würde sich doch nicht von einem Hagelschauer und ein paar dunklen Wolken von ihrem Plan abbringen lassen!

*

Laura streichelte Amicas seidiges Fell und verschloss dann das Gitter des Katzenkorbes wieder. Sie nahm die Thermosflasche und goss sich einen Tee ein, der immer noch heiß war. Sie wollte gerade den Plastikbecher mit dem wohlriechenden Tee an die Lippen setzen, als sie ein lang gezogenes Heulen hörte. Mitten in der Bewegung hielt sie inne und hätte fast den Tee verschüttet. Da! Schon wieder! Das Heulen ähnelte eher einem klagenden Singsang. Laura starrte durch die Windschutzscheibe nach draußen. Der Wind hatte sich gelegt, und die Bäume auf der mondbeschienenen Lichtung standen reglos wie stumme Riesen da.

Amica begann, am Gitter ihres Korbes zu kratzen und zu zerren. Rasch schraubte Laura die Thermoskanne wieder zu und überprüfte, ob ihr Auto verriegelt war. Ihr Herz schlug heftig. Wieder ertönte der klagende Singsang. Und in diesem Moment sah sie die rot glühenden Feueraugen in der Dunkelheit. Sie starrten sie an, kamen näher. Zuerst ein Paar, dahinter noch ein Paar.

Große schwarze Körper bewegten sich durch die Dunkelheit und kreisten im Nu ihr Auto ein. Das ganze Auto schien von rot glühenden Feueraugen umzingelt. »Mein Gott,«, murmelte Laura. »Was soll ich tun?«

Amica schrie jämmerlich und gebärdete sich wie wild. »Sind das Wölfe? Oder Hunde«, schoss es Laura durch den Kopf. Aber selbst wenn es nur Hunde wären, erschienen sie ihr ebenso gefährlich und bedrohlich wie ein Rudel Wölfe. Sie blickte in weit geöffnete Mäuler, funkelnde Glutaugen und aufblitzende, spitze Zähne. Der Mond stand hoch und hell am Himmel und beleuchtete die gespenstische Szene. Laura kam sich vor wie im Traum. Das Heulen wurde immer lauter, das Kratzen der Pfoten auf dem Auto immer heftiger. Durch die Scheiben sah sie nur wilde Tiere, die begierig darauf waren, die Scheiben zu zerbrechen und sich auf sie und Amica zu stürzen. Würde das Glas halten? Laura sah im Geiste schon das Glas splittern. Ein Geruch nach versengtem Haar drang durch die Ritzen des Wagens. Ihre Hände waren eiskalt. Hilfesuchend blickte sie sich um. Gab es irgendetwas, mit dem sie sich wehren konnte, wenn diese wilden Bestien es wirklich schaffen sollten, die Scheiben zu zerstören? Ein Messer? Ein Stock? Nichts! Lediglich ihre Thermoskanne stand auf dem Beifahrersitz. Mit einem Rest von heißem Tee. Sie hatte noch nicht einmal ein Feuerzeug. Ein Frösteln kroch ihr über den Rücken, als wehte ein eisiger Wind durch das Auto. Einen Augenblick lang schloss sie die Augen. Was war das für ein Albtraum? Wäre sie doch nie hierher gekommen! Wäre sie doch umgekehrt, als noch Zeit dafür war! Sie konnte nur beten, dass die Tiere sich von allein zurückzogen und im Wald verschwanden.

Laura drehte den Zündschlüssel. Wieso war sie nicht sofort auf die Idee gekommen, den Motor anzustellen und loszufahren! Sie trat aufs Gaspedal und ließ den Motor aufheulen. Einen Augenblick lang schienen die Bestien wie erstarrt, dann hieben sie umso fester auf die Scheiben und die Karosserie ein.

Laura legte den Gang ein und gab Gas. Doch anscheinend hatte sie zu hektisch geschaltet, denn der Motor erstarb wieder. Fieberhaft drehte sie den Zündschlüssel hin und her. Außer einem Quietschen, das die Tiere nicht im Geringsten zu stören schien, geschah nichts.

Mein Gott! Was sollte sie tun? Noch einmal drehte sie den Schlüssel um, ganz langsam. In diesem Augenblick schienen die Tiere zu erstarren. Sie reckten die zottigen Köpfe, richteten sich noch einmal hoch auf und senkten die Pfoten. Mit hängendem Kopf und eingeklemmtem Schwanz trottete ein Tier nach dem anderen auf den Waldrand zu und wurde von der Dunkelheit verschluckt. Laura konnte es zuerst nicht glauben. Hatte sie die Tiere mit ihren Versuchen, den Motor anzulassen, vertrieben? Oder war das Ganze nur ein Spuk gewesen, ein Streich, den ihr die Nerven gespielt hatten? Die dicken Kratzer auf der Motorhaube sprachen dagegen. Langsam, fast wie in Zeitlupe, legte sie den Kopf auf das Lenkrad. Ihr war so übel, dass sie sich fast übergeben hätte. Amica kratzte immer noch an ihrem Katzenkorb und stieß herzerweichende Schreie aus.

Völlig erschöpft, mit leerem Blick hob Laura den Kopf. Ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei. Große stechende Augen starrten sie durch die Windschutzscheibe an. Es waren die Augen eines Mannes, der sich über die Karosserie gebeugt hatte. Als er sah, dass sie ihn bemerkt hatte, richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und hob und senkte beschwichtigend die Arme. Laura schloss den Mund, ohne den Schrei ausgestoßen zu haben. Aber sie zitterte am ganzen Körper. Wer war der Mann? Kam er, um ihr zu helfen, oder führte er Böses im Schilde? Waren die Wölfe nur der Auftakt zu einem noch größeren Schrecken gewesen?

Mit angehaltenem Atem sah sie zu, wie der große, kräftige Mann mit dem nassen schwarzen Haar um das Auto herumkam. Am Seitenfenster blieb er stehen, beugte sich vor und klopfte an die Scheibe. »Öffnen Sie!«

Laura war wie zu Stein erstarrt. Selbst wenn sie gewollt hätte, hätte sie das Fenster nicht öffnen können. Ihre Hände waren so kalt wie Eis, ihr Atem ging flach. Von der Rückbank war kein Laut zu hören. »Öffnen Sie das Fenster!« wiederholte der Mann mit unbewegtem Gesichtsausdruck. Seine Stimme klang gedämpft, aber trotzdem ging sie Laura durch Mark und Bein. »Ich tue Ihnen nichts!« sagte der Mann.

Laura schüttelte nur stumm den Kopf. Mit zitternden Fingern drehte sie den Zündschlüssel um. »Wo wollen Sie denn hin?« rief der Mann ungeduldig. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Ich bin der Jagdaufseher von Schloss Mornac!«

Als er den Namen des Schlosses nannte, ließ Laura den Zündschlüssel los. Schloss Mornac war ihr Reiseziel! Wenn der Mann die Wahrheit sagte, konnte er ihr vielleicht wirklich helfen.

Der Mann schien zu merken, dass sie sich etwas beruhigt hatte und deutete auf ein Abzeichen an seiner dunklen uniformähnlichen Jacke. »Sehen Sie her! Das ist das Wappen von Schloss Mornac. Zwei Wölfe und ein Baum!«

Laura sah auf das Emblem. An einem dicken Baumstamm, dessen Wurzeln einen Stein umschlossen, standen zwei Wölfe mit weit geöffnetem Rachen. »Von Wölfen habe ich genug«, sagte Laura flüsternd und mit zitternder Stimme und schüttelte den Kopf.

»Ich verstehe Sie nicht. Öffnen Sie doch bitte das Fenster!«

Laura zögerte noch einen Augenblick, dann ließ sie das linke Seitenfenster ein paar Zentimeter herunter.

»Ich bin Jack Mc Kee. Es tut mir leid, wenn meine Wölfe Sie erschreckt haben. Bei Vollmond sind sie immer sehr unruhig.«

»Waren das wirklich Wölfe?« fragte Laura und sah den Mann ungläubig an.

Er nickte. »Ich versuche, sie zu zähmen. Leider gehorchen sie mir nicht immer.« Laura nickte zaghaft. »Ich … ich bin auf dem Weg nach Schloss Mornac. Bei dem Unwetter habe ich mich wohl verfahren.«

»Das glaube ich nicht«, meinte der Jagdaufseher. »Sie sind nur noch einen halben Kilometer vom Schloss entfernt. Wenn Sie wollen, kann ich vorausfahren.«

»Das … wäre … sehr nett!« murmelte Laura. Sie wollte endlich aus diesem Waldstück heraus und unter Menschen sein, die sie freundlich begrüßten. Mc Kee entfernte sich von dem Auto und ging auf einen Landrover zu, der unter einem Baum stand. Laura wunderte sich. Sie hatte den Wagen gar nicht kommen hören. Wie auch! Sie war von einer Horde heulender Wölfe umgeben gewesen und hatte geglaubt, ihr letztes Stündlein habe geschlagen.

»Amica, jetzt sind wir wirklich bald da«, sagte sie aufatmend. »Das hoffe ich zumindest.«

Mc Kee schaltete die Scheinwerfer ein, wendete den Wagen und bog auf die Landstraße ein. Laura ließ den Motor an und folgte dem Landrover. Der Schreck saß ihr immer noch in den Gliedern. Die Rücklichter an dem Landrover erinnerten sie an die funkelnden Glutaugen der Wölfe.

*

Als die schwere Eichentür knarrend hinter ihr ins Schloss fiel, stand Laura allein in der großen düsteren Halle des Schlosses. Mc Kee hatte ihren Koffer und den Katzenkorb in den Eingang gestellt und sich dann entschuldigt. Unsicher blickte Laura um sich. An den Wänden hingen ein paar Leuchter, die ein trübes Licht verbreiteten. Ein muffiger Geruch lag in der Luft. Als sich Lauras Augen an das dämmrige Licht gewöhnt hatten, erkannte sie eine breite Treppe mit einem dunkel gezimmerten Geländer, dessen Enden aus geschnitzten Wolfsköpfen bestanden. Durch eine halbgeöffnete Tür sah sie in einen großen Raum, in dem große Gemälde hingen.

Sie wollte gerade ihren Koffer und den Korb nehmen, als sie hörte, wie neben der Treppe eine Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Ein Mann erschien und sah Laura erstaunt an. Er war groß, schlank und hatte dunkelbraunes, leicht gelocktes Haar. Aus dem schmal geschnittenen Gesicht blickten sie braune Augen fragend an. Langsam kam der Mann näher. Laura glaubte schon, er wolle ihr die Hand reichen, aber der Mann stützte sich nur auf das Holzgeländer. Die Finger waren auffallend schmal und langgliedrig. »Das sind Künstlerhände«, dachte Laura und löste den Blick von der Hand, die sich nervös um den Wolfskopf des Geländerpfostens schloss.