Der Geizige - Jean-Baptiste Molière - E-Book

Der Geizige E-Book

Jean Baptiste Molière

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Beschreibung

Das Stück karikiert den Typ des reich gewordenen, aber engstirnig und geizig gebliebenen Bürgers, der seine lebensfrohen und konsumfreudigen Kinder fast erstickt. Die Geschichte spielt sich in Paris ab. Der reiche und geizige Harpagon hat zwei Kinder: Élise, die in Valère verliebt ist, einen ehrenwerten Neapolitaner, der als Intendant im Dienst ihres Vaters steht, und Cléanthe, der sich danach sehnt, Mariane zu heiraten, ein junges und besitzloses Mädchen. Harpagon ist angsterfüllt, weil er im Garten eine Geldkassette mit 10.000 Goldécus vergraben hat und diese entdeckt und gestohlen werden könnte. Argwöhnisch misstraut er jedem, sogar seinen Kindern. Am Ende enthüllt er seine Absichten: Er will Mariane heiraten, Élise wird ohne Mitgift Anselm versprochen, einem Greis, und Cléanthe ist für eine Witwe bestimmt.

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Seitenzahl: 108

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LUNATA

Der Geizige

Komödie in fünf Akten

Molière

Der Geizige

© 1668 Molière

Originaltitel L’Avare ou l’École du mensonge

Aus dem Französischen von Wolf Heinrich Graf von Baudissin

Umschlagbild Friedrich Weise

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Personen

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Fünfter Akt

Personen

Harpagon

Cléanthe, sein Sohn

Elise, seine Tochter

Valère, Elisens Liebhaber

Marianne, Cléanthes Geliebte, in die auch Harpagon verliebt ist

Anselmé, Valères und Mariannens Vater

Frosine, eine Gelegenheitsmacherin

Simon, ein Mäkler

Jacques, Harpagons Koch und Kutscher

Frau Claude, Harpagons Haushälterin

La Fléche, Cléanthes Diener

Brind’avoine, Harpagons Lakai

La Merluche, Harpagons Lakai

Ein Kommissar und sein Schreiber

Schauplatz: Paris, in Harpagons Haus

Erster Akt

Erster Auftritt

Valère. Elise.

Valère. Wie, meine teure Elise, ich sehe Euch nachdenklich und sorgenvoll, nachdem Ihr eben die Großmut hattet, mich Eurer Treue zu versichern? Muß ich Euch, – ach! – mitten in meiner Freude seufzen sehn? Ist's Euch leid, mich glücklich gemacht zu haben? Und bereut Ihr das Versprechen, zu dem meine Leidenschaft euch überredet hat?

Elise. Nein, Valère, ich kann nichts bereuen, was ich für Euch getan habe; ich fühle mich durch eine zu sanfte Gewalt dazu hingezogen, und kann nicht einmal wünschen, daß dies alles nicht geschehen wäre. Aber wenn ich Euch die Wahrheit gestehn soll, unser bisheriger Erfolg beunruhigt mich, und ich fürchte zuweilen, ich liebe Euch mehr als ich sollte.

Valère. Aber, geliebte Elise, was könnt Ihr von Eurer Güte gegen mich besorgen?

Elise. Ach, hunderterlei: den Zorn meines Vaters, die Vorwürfe der Familie, das Urteil der Welt: mehr aber als dies alles, Valère, die Wandelbarkeit Eures Herzens, und die schnöde Kälte, mit der ihr Männer so oft die zu warmen Äußerungen einer unschuldigen Neigung vergeltet.

Valère. Um alles in der Welt, tut mir nicht das Unrecht an, mich nach andern zu beurteilen. Traut mir alles Mögliche zu, teure Elise, nur nicht, daß ich meine Pflicht gegen Euch vergessen könnte. Dazu liebe ich Euch zu sehr, und meine Liebe wird nur mit meinem Leben erlöschen!

Elise. Ach, Valère, das sagt jeder. Alle Männer gleichen sich in ihren Reden, und nur ihre Taten unterscheiden sie.

Valère. Wenn wir denn nur an unsern Taten erkannt werden, so wartet wenigstens, bis Ihr mein Herz nach meinem Tun beurteilen könnt, und laßt Eure ungerechte Furcht, die nur auf einer melancholischen Voraussicht beruht, mir nicht Verbrechen andichten, die meiner Seele fern liegen. Erspart mir, ich bitte Euch, die tödlichen Dolchstiche eines kränkenden Verdachts, und gönnt mir Zeit, Euch durch tausend und aber tausend Beweise von der Aufrichtigkeit meiner Liebe zu überzeugen.

Elise. Wie leicht läßt man sich überreden, wenn man liebt! Ja, Valère, ich halte Euch für unfähig, mich zu betrügen; ich glaube, daß Ihr mich wirklich liebt, und mir treu bleiben werdet, ich will nicht länger zweifeln, und meinen Kummer auf die Furcht vor dem Tadel beschränken, der mich treffen wird.

Valère. Was aber habt Ihr zu fürchten?

Elise. Nichts, Valère, wenn die ganze Welt Euch mit meinen Augen ansähe; und ich finde in Eurem Wesen die beste Berechtigung für mich, zu handeln, wie ich's tue. Meine Herzenswahl wird gerechtfertigt durch Euer Verdienst, und stützt sich überdem auf eine Dankbarkeit, zu der der Himmel selbst mich gegen Euch verpflichtet hat. Jede Stunde denke ich an die entsetzliche Gefahr, in der wir uns zuerst einander begegneten; an die bewunderungswürdige Großmut, mit der Ihr Euer Leben wagtet, um das meinige den tobenden Wellen zu entreißen; an die zärtliche Sorgfalt, die Ihr mir erwies't, nachdem Ihr mich aus den Fluten gerettet, und an die fortdauernd dargebrachte Huldigung Eurer Liebe, die weder Zeit noch Schwierigkeiten erschüttern konnten, und die Euch dazu gebracht hat, Eltern und Heimat zu verlassen, und hier zu verweilen. Seid Ihr doch, um mich sehn zu können, so weit gegangen, einen Dienst im Hause meines Vaters anzunehmen! Das alles mußte einen unwiderstehlichen Eindruck auf mich machen, und ist in meinen Augen mehr als hinreichend, um das Versprechen zu rechtfertigen, das ich gestern eingegangen bin: aber es genügt vielleicht nicht für die übrige Welt, und ich bin nicht sicher, ob diese meine Gesinnungen billigen wird.

Valère. Von allem, was Ihr eben angeführt habt, ist es nur meine Liebe, durch die ich hoffe etwas bei Euch zu gelten; und was Eure sonstigen Zweifel betrifft, sorgt leider Euer Vater selbst am besten dafür, Euch vor der ganzen Welt zu rechtfertigen; denn sein übertriebener Geiz und die Strenge, mit der er seine Kinder behandelt, könnten noch ganz andre Dinge entschuldigen. Verzeiht mir, geliebte Elise, wenn ich so vor seiner Tochter spreche; Ihr wißt, man kann ihn in dieser Beziehung nicht loben. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, meine Eltern wieder zu finden, und wenn mir das gelingt, wird es nicht schwer sein, ihn für uns zu gewinnen. Ich erwarte mit Ungeduld Nachrichten von ihnen, und will, wenn diese nicht bald eintreffen, mich selbst aufmachen, um sie mir zu holen.

Elise. Ach, Valère, ich bitte Euch, verlaßt mich nicht und denkt nur darauf, Euch bei meinem Vater in Gunst zu erhalten.

Valère. Ihr seht ja, wie mir's bisher gelungen ist, und durch welche geschickte Nachgiebigkeit ich es durchgesetzt habe, in seinen Dienst zu kommen; wie ich unter der Maske gleicher Neigungen und Gesinnungen es dahin gebracht habe, ihm zu gefallen, und welche Rolle ich täglich spiele, um mir seine Gewogenheit zu sichern. Ich habe auch schon die überraschendsten Fortschritte in seiner Gunst gemacht und überzeuge mich, daß es kein besseres Mittel gibt sich bei den Menschen beliebt zu machen, als mit ihren eignen Ansichten vor ihnen schön zu tun, ihre Grundsätze zu verteidigen, ihren Fehlern zu huldigen und alles zu bewundern, was Sie tun. Man braucht nicht zu fürchten, diese Geschmeidigkeit könnte ihnen übertrieben erscheinen; die Art, wie man sie zum besten hat, mag noch so augenscheinlich sein, – selbst die Klügsten sind einem Schmeichler gegenüber die Allerverblendetsten, und es gibt nichts so Widersinniges und Abgeschmacktes, das sie nicht verschlucken, wenn man es mit Lob zu würzen versteht. Freilich kommt die Ehrlichkeit ein wenig zu kurz bei dem Handwerk, das ich jetzt treibe; aber wenn man die Leute braucht, muß man sich schon nach ihnen richten; und da man sie nur auf diese Weise gewinnen kann, sind nicht die Schmeichler die Schuldigen sondern sie selbst, die geschmeichelt sein wollen.

Elise. Warum bemüht ihr Euch aber nicht auch um den Beistand meines Bruders für den Fall, daß Frau Claude unser Geheimnis verraten sollte?

Valère. Das läßt sich nicht vereinigen; Vater und Sohn sind in ihrer Gesinnung so gründlich verschieden, daß es mir unmöglich scheint, sich mit beiden gut zu stehn. Ihr aber, teure Elise, tut das Eurige bei Eurem Bruder, und benutzt seine Freundschaft für Euch, um ihn in unser Interesse zu ziehn. Er kommt und ich entferne mich. Der Augenblick ist günstig; sprecht mit ihm, und entdeckt ihm von unserm Verhältnis so viel Euch ratsam scheint.

Elise. Ich weiß noch nicht, ob ich den Mut haben werde, mich ihm anzuvertrauen.

Zweiter Auftritt

Cléanthe. Elise.

Cléanthe. Es ist mir lieb dich allein zu treffen, Schwester, denn ich konnte es nicht erwarten mit dir zu sprechen, um dir ein Geheimnis mitzuteilen.

Elise. Ich bin ganz Ohr, lieber Bruder. Was hast du mir zu sagen?

Cléanthe. Sehr viel, Schwester. Und doch umschließt das alles ein einziges Wort: ich liebe.

Elise. Du liebst?

Cléanthe. Ja, ich liebe. Ehe ich aber fortfahre – ich weiß, daß ich einen Vater habe, von dem ich abhänge, und daß der Name Sohn mich seinem Willen unterwirft; daß wir unser Herz nicht ohne die Einwilligung uns'rer Eltern verschenken dürfen; daß der Himmel sie als Gebieter über uns're Wünsche eingesetzt hat, und daß es uns're Pflicht ist, uns ihrer Führung zu überlassen; daß sie, von seiner törichten Leidenschaft beherrscht, in der Lage sind, sich weit weniger als wir selbst zu täuschen, und viel besser zu beurteilen, was uns frommt; daß wir uns sicherer auf ihre Einsicht und ihr Urteil verlassen können, als auf uns're Leidenschaft, und daß die stürmische Heftigkeit der Tugend uns nur zu oft in die gefährlichsten Abgründe stürzt. Das alles sage ich dir, meine gute Schwester, damit ich dir die Mühe erspare, es mir zu sagen, – denn meine Liebe will nichts hören, und ich bitte dich, mich mit allen Gegenvorstellungen zu verschonen.

Elise. Hast du dich schon mit deiner Geliebten verlobt, Bruder?

Cléanthe. Nein, aber ich bin dazu entschlossen, und ich beschwöre dich noch einmal, komme mir nicht mit Gründen, um mir's auszureden.

Elise. Hältst du mich denn für so wunderlich?

Cléanthe. Nein, Schwester; aber du liebst nicht; du weißt nichts von der süßen Gewalt, die eine zärtliche Neigung über unser Herz hat, und ich fürchte dein besonnenes Urteil.

Elise. Ach, Bruder, sprechen wir nicht von meiner Besonnenheit; es gibt niemand, den sie nicht einmal im Stich ließe, und wenn ich dir mein Herz eröffnen wollte, würde ich dir vielleicht sehr viel unbesonnener vorkommen als du dir selbst.

Cléanthe. O, wollte doch Gott, deine Seele, wie die meinige, wäre …

Elise. Sprechen wir nur zuerst von deinen Angelegenheiten, und sage mir, wen du liebst?

Cléanthe. Ein junges Mädchen, das erst seit kurzem in dieser Gegend wohnt und ganz dazu geschaffen scheint, jedem, der sie erblickt, Liebe einzuflößen. Nie hat die Natur etwas Reizenderes hervorgebracht und ich war vom ersten Augenblick an bezaubert von ihrer Schönheit. Sie heißt Marianne und lebt unter der Obhut einer guten ehrlichen Mutter, die fast immer krank ist, und für welche das liebe Mädchen die rührende Sorgfalt an den Tag legt. Sie pflegt sie, tröstet sie, und bemitleidet sie in einer Weise, die dein ganzes Herz gewinnen würde. Alles, was sie tut, ist anmutig, jeder Bewegung leiht sie einen neuen Reiz, und zeigt eine so liebenswürdige Sanftmut, eine so unwiderstehliche Güte, eine so entzückende Sittsamkeit, ein … Ach, Schwester, ich wünschte nur, du könntest sie sehn!

Elise. Ich sehe schon genug, Bruder, aus allem, was du mir von ihr sagst; und um ihren Wert zu erkennen, brauche ich nur zu wissen, daß du sie liebst.

Cléanthe. Ich habe unter der Hand erfahren, daß sie nicht wohlhabend sind, und daß sie trotz ihrer Eingezogenheit Mühe haben, ihre wenigen Ausgaben zu bestreiten. Denke nur, Schwester, welche Freude es sein müßte, die Lage eines geliebten Wesens zu verbessern, auf seine Weise dem bescheidnen Bedarf einer tugendhaften Familie zu Hilfe zu kommen, und du wirst einsehn, wie schmerzlich es für mich sein muß, mich durch den Geiz uns'res Vaters außerstande zu sehn, mir dies Glück zu verschaffen, und meiner Geliebten irgend einen Beweis meiner Zärtlichkeit zu geben.

Elise. Ja, ich begreife ganz, Bruder, welchen Kummer du dabei empfinden mußt.

Cléanthe. Ach, Schwester, er ist größer als du ihn dir vorstellen kannst. Sag selbst, kann man sich etwas Grausameres denken als die harte Sparsamkeit, die man gegen uns ausübt, und die unerhörte Dürftigkeit, in der wir schmachten müssen? – Wozu hilft uns unser Vermögen, wenn es uns erst in einer Zeit zufällt, wo wir nicht mehr in den schönen Jahren sind, es genießen zu können? wenn ich jetzt, um nur zu bestehn, nach allen Seiten Schulden machen muß und so wie du gezwungen bin, täglich die Gefälligkeit der Kaufleute in Anspruch zu nehmen, um mir nur einigermaßen anständige Kleider zu verschaffen? – Ich habe dich bitten wollen, liebste Schwester, mir unsern Vater über meine Neigung ausforschen zu helfen; und wenn ich sehe, daß er taub für meine Wünsche bleibt, bin ich entschlossen, mir eine andere Heimat zu suchen, und mit dem geliebten Mädchen mein Schicksal dem Himmel anheimzustellen. Ich bemühe mich deshalb wo ich kann Geld aufzunehmen, und wenn deine Lage, liebste Schwester, der meinigen gleichen sollte, und unser Vater sich dir ebenso widersetzt wie mir, so laß uns ihm beide entfliehen und uns von der Tyrannei frei machen, in der sein unerträglicher Geiz uns schon so lange gekettet hält.

Elise. Es ist wahr, daß er uns täglich mehr und mehr Ursache gibt, den Tod uns'rer Mutter aufs neue zu beweinen.

Cléanthe. Ich höre seine Stimme: laß uns in dein Zimmer gehn, um unsere Geständnisse weiter auszutauschen, und dann mit vereinten Kräften einen Angriff auf seinen harten Sinn versuchen.

Dritter Auftritt

Harpagon. La Fléche.

Harpagon. Hinaus, sage ich! Mir aus den Augen, du Erztagedieb! den Augenblick aus meinem Hause, du Galgenstrick!

La Fléche(Beiseite). Habe ich je einen so boshaften alten Kerl gesehn! Ich glaube meiner Treu, er hat den Teufel im Leibe.

Harpagon. Du murrst noch?

La Fléche. Warum jagt Ihr mich denn fort?

Harpagon. Als ob dir's zukäme, du Schlingel, mich noch nach Gründen zu fragen! Drum marsch fort, sonst werfe ich dich hinaus.

La Fléche. Was habe ich Euch nur getan?

Harpagon. Grade genug, damit ich dich los sein will.

La Fléche. Mein junger Herr hat mir befohlen, ihn hier zu erwarten.

Harpagon.