Der glückliche Prinz - Oscar Wilde - E-Book

Der glückliche Prinz E-Book

Oscar Wilde

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Beschreibung

Die Prosasammlung enthält moderne Märchen von Oscar Wilde: Der glückliche Prinz, Die Nachtigall und die Rose, Der selbstsüchtige Riese, Der ergebene Freund, Die bedeutende Rakete. Der glückliche Prinz: Die Statue eines Prinzen ragt hoch über einer Stadt auf. Sie ist mit Blattgold überzogen, ihre Augen sind Saphire und ein Rubin ihr Schwertknauf. Zu Lebzeiten war der Prinz glücklich, doch als Statue wird ihm das Elend der Stadt bewusst. Er bittet eine Schwalbe, seine Reichtümer – das Gold, die Saphire und Rubine – unter Bedürftigen zu verteilen.

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LUNATA

Der glückliche Prinz

und andere Märchen

Oskar Wilde

Der glückliche Prinz

und andere Märchen

© 1888 by Oscar Wilde

Originaltitel The Happy Prince and Other Tales

Aus dem Englischen von Wilhelm Cremer

Illustrationen von Heinrich Vogler

Umschlagbild Lucian Zabel

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Der glückliche Prinz

Die Nachtigall und die Rose

Der selbstsüchtige Riese

Der ergebene Freund

Die bedeutende Rakete

Der glückliche Prinz

Hoch über der Stadt auf einer schlanken Säule stand die Statue des glücklichen Prinzen. Er war ganz und gar mit dünnen Blättern von reinem Gold überzogen, als Augen hatte er zwei strahlende Saphire, und ein großer roter Rubin glühte auf seinem Schwertgriff.

Er wurde auch wirklich sehr bewundert. »Er ist so schön wie ein Wetterhahn,« bemerkte einer der Ratsherren, der nach dem Ruf strebte, künstlerischen Geschmack zu besitzen; »nur nicht ganz so nützlich,« fügte er hinzu, denn er fürchtete, die Leute könnten ihn für unpraktisch halten, und das war er wirklich nicht.

»Warum kannst du nicht wie der glückliche Prinz sein?« fragte eine vernünftige Mutter ihren kleinen Jungen, der verlangend nach dem Mond schrie. »Der glückliche Prinz denkt nicht im Traum daran, nach etwas zu schreien.«

»Gott sei Dank, es gibt wenigstens einen Menschen auf der Welt, der ganz glücklich ist,« murrte ein enttäuschter Mann, als er einen Blick auf die wundervolle Statue warf. »Er sieht ganz aus wie ein Engel,« sagten die Waisenkinder, als sie in ihren, hellroten Mänteln und den reinen, weißen Lätzchen aus dem Dom kamen.

»Woher wißt ihr das?« fragte der Mathematikprofessor, »ihr habt doch nie einen Engel gesehen.«

»O doch, in unseren Träumen,« antworteten die Kinder; und der Mathematikprofessor runzelte die Stirne und blickte sehr strenge drein, denn er billigte es nicht, daß Kinder träumten. Eines Abends flog eine kleine Schwalbe über die Stadt. Ihre Freunde waren schon vor sechs Wochen nach Ägypten geflogen, aber sie war zurückgeblieben, denn sie liebte das allerschönste Schilfrohr. Sie hatte es zu Anfang des Frühlings getroffen, als sie hinter einer dicken, gelben Motte den Fluß hinabflog, und sie war so durch seinen schlanken Wuchs angezogen worden, daß sie halt gemacht hatte, um mit ihm zu reden.

»Soll ich dich lieben?« fragte die Schwalbe, die gern sofort zur Sache kam, und das Schilfrohr machte ihr eine tiefe Verneigung. So flog sie immerfort um das Rohr herum, indem sie mit ihren Flügeln das Wasser berührte und kleine silberne Wellen machte. Das war ihr Liebeswerben, und es dauerte den ganzen Sommer.

»Es ist ein lächerliches Verhältnis,« zwitscherten die andern Schwalben; »das Rohr hat kein Geld und eine viel zu große Verwandtschaft,« und wirklich war der Fluß ganz voll von Schilfrohr. Dann, als der Herbst kam, flogen sie alle davon. Als sie verschwunden waren, fühlte die Schwalbe sich einsam und begann, seiner Geliebten müde zu werden. »Es weiß sich nicht zu unterhalten,« sagte sie, »und ich fürchte, es ist kokett, denn es liebäugelt immer nach dem Wind.« Und in der Tat, so oft der Wind wehte, machte das Schilfrohr die anmutigsten Verneigungen. »Ich gebe zu, daß es häuslich ist,« fuhr die Schwalbe fort, »aber ich liebe das Reisen, und meine Frau sollte infolgedessen auch das Reisen lieben.«

»Willst du mit mir kommen?« fragte sie schließlich; aber das Schilfrohr schüttelte seinen Kopf, es hing zu sehr an seinem Heim.

»Du hast mit mir gescherzt,« rief die Schwalbe. »Ich reise nach den Pyramiden. Lebe wohl!« und sie flog davon.

Sie flog den ganzen Tag über, und gegen Abend langte sie in der Stadt an. »Wo soll ich einkehren?« fragte sie; »hoffentlich hat die Stadt Vorkehrungen getroffen.«

Dann sah sie die Statue auf der schlanken Säule.

»Dort will ich einkehren,« rief sie; »es ist eine hübsche Lage mit recht viel frischer Luft.« So ließ sie sich gerade zwischen den Füßen des glücklichen Prinzen nieder.

»Ich habe ein goldenes Schlafzimmer,« sprach sie sanft zu sich selbst, als sie sich umsah, und sie schickte sich an, einzuschlafen; aber gerade, als sie ihren Kopf unter ihren Flügel steckte, fiel ein großer Tropfen Wasser auf sie herab. »Wie seltsam!« rief sie; »nicht eine einzige Wolke ist am Himmel, die Sterne sind ganz hell und klar, und doch regnet es. Das Klima im nördlichen Europa ist wirklich schrecklich. Das Schilfrohr pflegte zwar den Regen zu lieben, aber das war nur seine Selbstsucht.«

Wieder fiel ein Tropfen.

»Was hat man von einer Statue, wenn sie nicht gegen den Regen schützt?« meinte die Schwalbe; »ich muß mir einen guten Kamin suchen,« und sie beschloß, fortzufliegen.

Aber bevor sie ihre Flügel geöffnet hatte, fiel ein dritter Tropfen, sie blickte auf und sah – – ja, was sah sie wohl? Die Augen des glücklichen Prinzen waren mit Tränen gefüllt, und Tränen rannen über seine goldenen Wangen hinab. Sein Gesicht war so schön im Mondlicht, daß die kleine Schwalbe von Mitleid ergriffen wurde.

»Wer bist du?« fragte sie.

»Ich bin der glückliche Prinz.«

»Warum weinst du dann?« fragte die Schwalbe; »du hast mich ganz naß gemacht.«

»Als ich noch lebte und ein menschliches Herz hatte,« antwortete die Statue, »da wußte ich nicht, was Tränen waren, denn ich lebte im Palast Sorgenfrei, wo dem Leid der Eintritt verboten ist. Den Tag über spielte ich mit meinen Gefährten im Garten, und des Abends führte ich den Tanz an im Großen Saal. Rund um den Garten zog sich eine ganz hohe Mauer, aber ich hielt es nie für der Mühe wert, danach zu fragen, was wohl dahinter lag, denn um mich herum war alles so schön. Meine Höflinge nannten mich den glücklichen Prinzen, und glücklich war ich auch wirklich, wenn Vergnügen ein Glück ist. So lebte ich, und so starb ich. Und jetzt, da ich tot bin, haben sie mich hier so hoch aufgestellt, daß ich alle Häßlichkeit und alles Elend meiner Stadt sehen kann, und wenn auch mein Herz aus Blei gemacht ist, so muß ich doch immerzu weinen.«

»Wie! Er ist nicht aus gediegenem Gold?« sagte die Schwalbe zu sich selbst. Sie war zu höflich, laut irgendeine Anspielung zu machen.

»Weit von hier,« fuhr die Statue mit leiser, wohlklingender Stimme fort, »weit von hier in einer kleinen Straße steht ein ärmliches Haus. Eins von den Fenstern ist offen, und ich kann eine Frau sehen, die an einem Tisch sitzt. Ihr Gesicht ist mager und müde, und sie hat grobe, rote Hände, die ganz von Nadeln zerstochen sind, denn sie ist eine Näherin. Sie stickt Passionsblumen auf ein seidenes Kleid, das die lieblichste der Ehrendamen der Königin auf dem nächsten Hofball tragen soll. In der Ecke des Zimmers liegt ihr kleiner Junge krank in einem Bett. Er hat Fieber und verlangt nach Apfelsinen. Seine Mutter kann ihm nur Flußwasser geben, deshalb weint er. Schwalbe, Schwalbe, kleine Schwalbe, willst du ihr nicht den Rubin aus meinem Schwertgriff bringen? Meine Füße sind auf diesem Postament befestigt, und ich kann mich nicht bewegen.«

»Ich werde in Ägypten erwartet,« sagte die Schwalbe. »Meine Freunde fliegen den Nil hinauf und hinab und sprechen mit den großen Lotosblumen. Bald werden sie in dem Grab des großen Königs schlafen gehen. Der König liegt dort in seinem bemalten Sarg. Er ist in gelbe Leinwand gehüllt und mit Spezereien einbalsamiert. Um seinen Hals hängt eine Kette von bleichen, grünen Jadesteinen, und seine Hände sind wie verwelkte Blätter.«

»Schwalbe, Schwalbe, kleine Schwalbe,« sagte der Prinz, »willst du nicht eine Nacht bei mir bleiben und mein Bote sein? Der Knabe ist so durstig und seine Mutter so traurig.« »Ich liebe eigentlich Knaben nicht,« antwortete die Schwalbe. »Letzten Sommer, als ich mich an dem Flusse aufhielt, da waren dort zwei rohe Knaben, die Söhne des Müllers, die immerfort Steine nach mir warfen. Sie trafen mich natürlich nie, dafür fliegen wir Schwalben viel zu gut, und ich stamme auch außerdem aus einer Familie, die berühmt ist wegen ihrer Gewandtheit; aber immerhin war es ein Zeichen von Respektlosigkeit.«

Aber der glückliche Prinz machte ein so trauriges Gesicht, daß er der kleinen Schwalbe leid tat. »Es ist hier sehr kalt,« sagte sie; »aber eine Nacht will ich bei dir bleiben und dein Bote sein.«

»Ich danke dir, kleine Schwalbe,« sagte der Prinz.

So pickte denn die Schwalbe den großen Rubin von des Prinzen Schwert herab und trug ihn im Schnabel über die Dächer der Stadt.

Sie kam an den Domtürmen vorbei, wo die weißen Marmorengel ausgemeißelt waren. Sie kam am Palast vorüber und hörte, wie man drinnen tanzte. Ein schönes Mädchen trat mit ihrem Geliebten auf den Balkon heraus. »Wie wundervoll sind die Sterne,« sagte er zu ihr, »und wie wundervoll ist die Macht der Liebe!«

»Hoffentlich wird mein Kleid rechtzeitig zum Hofball fertig,« antwortete sie; »ich habe bestellt, daß es mit Passionsblumen bestickt wird; aber die Näherinnen sind so faul.«

Die Schwalbe flog über den Fluß und sah die Laternen an den Schiffsmasten hängen. Sie flog über das Ghetto und sah, wie die alten Juden miteinander handelten und in kupfernen Waagschalen Geld abwogen. Schließlich kam sie zu dem ärmlichen Hause und blickte hinein. Der Knabe hustete fiebrig in seinem Bett, und die Mutter war vor Müdigkeit eingeschlafen. Die Schwalbe hüpfte hinein und legte den großen Rubin neben den Fingerhut der Frau. Dann flog sie leise um das Bett, indem sie die Stirne des Knaben mit ihren Flügeln fächelte. »Wie kühl ist es mir,« sagte der Knabe, »ich glaube, es geht mir besser,« und er sank in einen erquickenden Schlummer.