Der goldene Schuh - Daniel Dorer - E-Book

Der goldene Schuh E-Book

Daniel Dorer

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Beschreibung

Finns größte Leidenschaft ist das Fußballspielen. Er liebt diesen Sport über alles. Er träumt den Traum vieler Jungen. Eines Tages möchte er Fußballprofi werden. Zusammen mit seinen Freunden verbringt er fast jede freie Minute damit, dem runden Leder nachzujagen. Als an allen Schulen in Deutschland ein Wettbewerb für ein Fußballturnier ausgeschrieben wird, beteiligt sich auch Finns Schule daran. Unverhofft kommt Finn in Besitz eines goldenen Fußballschuhs. Noch ahnt er nicht, dass dieser Schuh sein Leben dramatisch verändern wird. Finn entwickelt sich zum herausragenden Spieler dieses Turniers. Er hat nur noch ein Ziel vor Augen. Er will die Schulmeisterschaft gewinnen. Die Freundschaft zu seinen Mannschaftskollegen und zu seiner großen Liebe Mareike wird auf eine harte Probe gestellt. Als dann noch der geheimnisvolle Andor und kurz darauf die Hexe Leticia auftauchen, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Der goldenen Schuh birgt ein Geheimnis. Ein gefährliches Abenteuer beginnt. Kann sich Finn dem Bann des Schuhs entziehen?

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EPUB
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Seitenzahl: 414

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Daniel Dorer

Der goldene Schuh

© 2017 Daniel Dorer

Verlag und Druck: tredition GmbH, Grindelallee 188, 20144 Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7439-1879-5

Hardcover:

978-3-7439-1880-1

e-Book:

978-3-7439-1881-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Wie alles begann

Das Qualifikationsspiel

Das Rätsel des goldenen Schuhs

Der alte Mann

Die Suche nach dem Buch

Ungebetener Besuch

Was ist nur mit Finn los?

Eine unerwartete Einladung

Das Viertelfinale

Die Warnung

Aufregende Tage

Finn ist verschwunden

Der silberne Füllfederhalter

Glückliches Wiedersehen

Wieder Zuhause

Gefährliche Begegnung

Das Halbfinale

Ein schrecklicher Vorfall

Himbeerpudding

Finale

Und wie geht es weiter?

Anhang

Wie alles begann

Schweißperlen standen auf seiner Stirn, die Haare wild zerzaust. Sein Blick war starr auf die lederne Kugel vor ihm gerichtet. Langsam, ganz langsam machte er einen Schritt nach vorne. Mit beiden Händen nahm er den Ball vom Boden auf, drückte und drehte ihn zwischen seinen Fingern. Fast schien es, als ob er mit ihm sprechen würde. Für viele mochte es nur ein ganz gewöhnlicher Ball sein. Ein Spielgerät eben, mit welchem man hin und wieder Spaß haben konnte. Dieser Spieler jedoch schien die lederne Kugel zu brauchen wie die Luft zum Atmen.

Nach einigen Sekunden legte er den Ball auf den weißen Punkt vor sich. Ein-, zwei-, dreimal korrigierte er die Lage des Balls. Die Zuschauer hielten den Atem an. Es war still, unheimlich still. Mit kleinen Schritten entfernte er sich von dem runden Leder, um Anlauf zu nehmen. Der Torwart zupfte nervös an seinen Handschuhen und tänzelte abwechselnd von einem Fuß auf den anderen. Nun stand er still.

Die Szene erinnerte stark an einen dieser Cowboyfilme, in welchen sich der Held und der Bösewicht bei einem Duell gegenüberstehen. Ihre Blicke trafen sich. Der Torwart kniff die Augen zusammen und atmete tief durch. Noch einmal fuhr er sich mit seinen Handschuhen durchs Haar. Jetzt gab es kein Zurück mehr, dieser Schuss würde über Sieg oder Niederlage entscheiden. Es war die Vorentscheidung für ein Weiterkommen in der Schulmeisterschaft.

„Finn looooos … hau das Ding rein … zeig es ihnen!“, tönte es plötzlich aus der Menge der Zuschauer. Noch einmal ein tiefer Atemzug, ein kurzer Anlauf und … mit voller Wucht hämmerte er den Ball auf das Tor. Der Torwart musste die Ecke geahnt haben. Reflexartig hechtete er auf die linke Seite und schaffte es gerade noch, den Ball mit seinen Fingerspitzen am Pfosten vorbei zu lenken.

Ein Raunen ging durch die Menge. Finn hatte es vermasselt. Wie versteinert stand er jetzt da. Blickte auf den Torwart, der ein lautes „Jaaaa!“ in den Himmel schrie und gleichzeitig die geballte Faust nach oben streckte. Am liebsten wäre er jetzt am anderen Ende der Welt gewesen, wo ihn niemand kannte und wo keiner ihn fragen würde: „Warst du das, Finn, der diesen Elfmeter vermasselt hat?“ Er war schuld, dass seine Mannschaft dieses wichtige Spiel nicht gewonnen hatte. Unbedingt hatte er derjenige sein wollen, der diesen Elfmeter verwandelte. Und nun?

Finns Mannschaft hatte das Spiel verloren. Mit einem Sieg hätten sie bereits heute das Weiterkommen im Turnier gesichert. Diese Chance hatten sie jetzt jedoch verpasst.

Während die gegnerische Mannschaft ihren Sieg bejubelte, saßen Finn und seine Freunde wortlos auf dem Spielfeld. Der General war der Erste, der es wagte, diese Stille zu durchbrechen. „Kopf hoch, Jungs, es ist noch nichts verloren. Wir haben immer noch die Chance, uns für die nächste Runde zu qualifizieren!“

„Und wie soll das gehen?“, wollte Hendrik wissen.

„Indem ihr an euch glaubt und euch durch so eine Niederlage nicht entmutigen lasst.“

Wieder Schweigen. Der General war der Trainer der Mannschaft. Eigentlich hieß er Hans. Aber weil er von den Jungs im Training stets vollen Einsatz forderte und seine Anweisungen meist im Befehlston gab, hatten sie ihn kurzerhand in den „General“ umgetauft.

Mehr wollte jedoch auch der General nicht sagen. Und so machten sich alle auf den Heimweg. Die Freunde hatten vereinbart, sich am nächsten Tag wieder zu treffen, um das weitere Vorgehen zu beraten.

Am nächsten Morgen hätte sich Finn am liebsten in seinem Bett verkrochen. Es graute ihm bei dem Gedanken, in die Schule zu gehen und sich dort die Kommentare zu der Niederlage anhören zu müssen. Sollten sie doch reden. Und überhaupt würde er sowieso nicht mehr in die Schule gehen. Und Fußballspielen, pah … das war jetzt vorbei, endgültig!

Noch einmal ging er in Gedanken das gestrige Spiel durch. Dabei drehte er sich im Bett einmal um seine eigene Achse. Gerade beim Elfmeter angekommen, holte er zum entscheidenden Schuss aus und schlug sich dabei seinen großen Zeh an der Bettkante an. Auuuuu, das tat weh!

„Finn, aufstehen, das Frühstück ist fertig!“ Finn zog die Bettdecke etwas weiter über den Kopf. „Fiiinn, beeile dich!“ Dieses Mal klang Mutters Stimme schon wesentlich energischer. Es half nichts, er musste aufstehen und sich der grausamen Wahrheit stellen. Verloren und noch dazu den Elfmeter verschossen. Verschlafen zog er im Dunkeln seine Kleider an und hastete zur Tür. Dabei übersah er einen der Bälle, von denen in fast jedem Zimmer des Hauses einer zu finden war. Es kam wie es kommen musste. Er stolperte er über den Ball und befand sich für einige Sekunden in völliger Schwerelosigkeit, ehe er mit einem lauten Rums ziemlich unsanft auf dem Boden landete. Na, dieser Tag hatte ja gut begonnen.

Eigentlich war Finn ein fröhlicher Bursche und durch nichts so schnell aus der Ruhe zu bringen. Doch an diesem Morgen saß er schweigend am Frühstückstisch und knabberte lustlos an einer trockenen Brotscheibe. Weder Mutters aufmunternde Worte noch die Witze seiner kleinen Schwester konnten ihn jetzt aufheitern.

Es klingelte an der Tür. Oje, das war sein Freund Simon. Jetzt musste er sich aber wirklich beeilen, um nicht zu spät zur Schule zu kommen.

Finn besuchte die siebte Klasse des Gymnasiums in einer nahe gelegenen Kleinstadt. Zusammen mit vielen anderen Kindern aus seinem Heimatort und den umliegenden Dörfern fuhr er jeden Tag mit dem Zug zur Schule. Obwohl die Wagen immer sehr voll waren, genoss er die Fahrt. Man konnte wunderbar Karten spielen oder Musik hören, man konnte noch schnell vergessene Hausaufgaben erledigen, man konnte Mädchen ärgern oder noch für eine anstehende Prüfung lernen. Das allerwichtigste jedoch, man konnte mit seinen Freunden über Fußball philosophieren.

In der ersten Stunde hatte Finn Mathematik beim ollen Herrn Schubert. Herr Schubert hatte die Gabe, aus einer einfachen Rechenaufgabe eine höchst komplexe, wissenschaftliche Abhandlung zu machen. Gerade war er wieder voll in seinem Element und wirbelte mit Zahlen nur so um sich. Finn lauschte gebannt Herrn Schuberts Stimme. Sie erinnerte ihn stark an den General, wenn dieser auf dem Fußballplatz taktische Anweisungen gab. Immer weiter entfernte sich die Stimme, bis sie schließlich ganz weit weg war.

Finn war in Gedanken auf dem Fußballplatz. Gerade umdribbelte er einen Gegenspieler, dann noch einen und noch einen und noch einen und … hatte da nicht eben jemand seinen Namen gerufen? Ja, ohne Zweifel!

„Und wie lautet das Ergebnis … Finn?“

„Fußball!", erwiderte dieser und war im gleichen Moment selbst erschrocken über seine Antwort.

Herr Schubert brummte Finn eine Strafarbeit auf, „... zur Strafe für dein Desinteresse!", wie der Lehrer erläuterte. Zwanzigmal sollte Finn schreiben: Ich muss mich im Unterricht besser konzentrieren.

Mittlerweile war es dreizehn Uhr mittags, jeden Moment musste die Glocke das Schulende verkünden. „Riiiiiiiiiiiiiing!“ … endlich war es soweit! Schnell die Sachen zusammengepackt, und los ging es Richtung Bahnhof.

Unterwegs traf Finn einige seiner Freunde, welche ebenfalls auf dem Heimweg waren.

„Na, wie war dein Tag?", fragte Simon.

„Frag mich lieber nicht“, erwiderte Finn. „Es war nur schrecklich. Ich musste dauernd an das verlorene Spiel denken. Und in der Pause hat mich der dicke Uli auch noch gefragt, wie das denn war mit dem verschossenen Elfmeter.“

„Und was hast du geantwortet?“

„Ich hab gesagt, ich hatte so einen Hunger, da konnte ich mich nicht mehr auf den Elfmeter konzentrieren.“

„Und weiter?“

„Nichts weiter! Das konnte der dicke Uli verstehen. Er hat gesagt, wenn er Hunger hat, kann er auch nicht mehr klar denken. Dann wollte er mir noch ein Stück von seinem Pausenbrot abgeben. Das habe ich dann aber doch ausgeschlagen.“

Simon war ein halbes Jahr älter als Finn und ging bereits in die achte Klasse. Er war der Spielführer der Schulmannschaft, in welcher auch Finn spielte. Simon hatte eine ausgezeichnete Balltechnik, war schnell und immer torgefährlich. Auch aus fast aussichtslosen Spielsituationen gelang es ihm noch, Tore zu schießen. Beide wohnten im gleichen Dorf, und dort spielten sie auch zusammen in derselben Mannschaft des örtlichen Fußballvereins.

Mittlerweile saßen Finn und seine Freunde im Zug auf dem Nachhauseweg. „Vergesst nicht unser Treffen heute Nachmittag“, sagte Simon.

„Natürlich nicht“, erwiderten die anderen.

„Bei mir könnte es etwas später werden“, bemerkte Finn. „Ich muss bis morgen noch einen Aufsatz schreiben.“ Es war ja nicht unbedingt notwendig zu erwähnen, dass es sich dabei um eine Strafarbeit handelte.

Zuhause überraschte Finns Mutter ihn mit seinem Lieblingsgericht: Dampfnudeln mit Vanillesoße! „Mmmh!", was konnte es Besseres geben? Auch über die Witze seiner kleinen Schwester konnte er schon wieder lachen.

Am späten Nachmittag trafen sich die Freunde wie vereinbart in Simons Höhle. So nannten sie den Kellerraum, den sich Simon nach seinem Geschmack im Elternhaus eingerichtet hatte. Die Wände waren übersät mit Postern von Fußballern und Mannschaften aus aller Welt.

An der Eingangstüre zur Höhle hing ein groβformatiges Plakat. „Deutsche Schulmeisterschaft“ stand da in dicken Buchstaben als Überschrift. Unter dem Logo des Fuβballverbands waren dann, etwas kleiner gedruckt, die Teilnahmebedingungen aufgeführt. Daraus ging hervor, dass sich jede Schule mit einer Mannschaft an dem Turnier beteiligen konnte. Wie bei jedem groβen Fuβballturnier gab es eine Qualifikationsrunde, ein Achtelfinale, Viertelfinale, Halbfinale, tja und schlieβlich das Finale. Während die Qualifikationsrunden noch in den jeweiligen Bundesländern stattfanden, trugen anschlieβend die Gewinner aus den einzelnen Ländern die Finalspiele gegeneinander aus.

Mittlerweile begann sich die Höhle zu füllen. Fast die ganze Schulmannschaft war versammelt. Das heißt, insgesamt waren es neun Jungs. Alle im Alter zwischen zwölf und dreizehn Jahren. Und für alle gab es eigentlich nichts Schöneres als Fußball zu spielen.

Hendrik hatte sich mit gekreuzten Beinen an den Rand gesetzt und musterte seine Freunde mit zusammengezogenen Augenbrauen. Er war ein kleiner, eher ruhiger Junge – aber blitzgescheit. Er spielte Fußball weil seine Freunde dies auch taten. Genauso gern beschäftigte er sich jedoch mit Computern. Nikola war inzwischen in die Höhle gepoltert und gab Hendrik einen so freundschaftlichen Klaps auf die Schulter, dass es den Kleineren fast auf den Rücken legte.

„Oh, entschuldige bitte!" Nikola war eben ein richtiger Kämpfer. Ein Haudegen. Nichts konnte ihn so schnell aus der Ruhe bringen. Er spielte normalerweise in der Abwehr. Seine Gegner waren nicht zu beneiden, denn er gab keinen Ball verloren und ging keinem Zweikampf aus dem Weg.

Konrad und Simon saßen entspannt mit ausgestreckten Füßen auf einem alten Sofa. Beide waren hervorragende Techniker am Ball. Sie waren die Erfahrensten in der Mannschaft und spielten schon am längsten Fußball.

Tilo lag auf dem Boden und starrte an die Zimmerdecke. Mit seiner blonden Mähne sah er aus wie die Unschuld in Person. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Er hatte es faustdick hinter den Ohren. Wenn es galt, irgendeinen Blödsinn auszuhecken, war er garantiert immer ganz vorne mit dabei. Lukas kaute mit offenem Mund einen Kaugummi, formte damit eine groβe Blase, um sie gleich darauf zerplatzen zu lassen. Genüsslich schob er die klebrige Masse wieder mit der Zunge in seinen Mund. Sowohl Lukas als auch Tilo hatten neben Fußball auch noch andere Hobbys. Beide spielten Tischtennis, und Lukas engagierte sich zudem als Messdiener in der Kirche.

„Taraaaaaa, hey Jungs! Steigt hier ne Party oder was ist? Also, jetzt wo ich da bin, kann’s ja losgehen!“ Mike war der Spaßvogel in der Truppe. Immer einen Witz auf den Lippen, und nie um das letzte Wort verlegen.

Lässig am Türrahmen angelehnt stand Jonathan. Seine Baseballmütze hatte er tief in die Stirn gezogen.

„Du bist spät“, knurrte er Mike an und warf ihm einen kühlen Blick. Jonathan war in allem immer sehr korrekt. Wenn er eines nicht ausstehen konnte, dann war es dies: wenn jemand sich nicht an die vereinbarten Regeln hielt. Gerade war er dabei, einen Lehrgang für zukünftige Schiedsrichter zu absolvieren.

Auf einem Sessel, die Füβe bequem über die Lehne gelegt, saβ ein desinteressiert wirkender Junge. Seine braunen Haare hatte er pfiffig mit Gel aufgepeppt. Während er scheinbar vollkommen vertieft in einer Fuβballzeitschrift blätterte, murmelte er:

„Na, dann sind wir ja komplett. Lasst uns anfangen!“

Das war Finn. Tja, wie soll man ihn beschreiben? Finn lebte und liebte Fußball. Nichts interessierte ihn mehr als diese Sportart. Als zum Beispiel an einem heißen Frühlingstag alle seine Freunde im Schwimmbad gewesen waren, spielte er alleine Fußball auf dem Sportplatz. Finn machte immer sein Ding. Ganz gleich, was die anderen machten. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, verfolgte er es mit eisernem Willen. Für ihn war es nicht nachvollziehbar, wie jemand beim Fußballspielen nicht hundertprozentig bei der Sache sein konnte. Gerade deshalb gab es immer wieder Diskussionen mit seinen Mitspielern, wenn diese nicht genauso spielten, wie Finn sich das vorstellte. Obwohl er der Jüngste in der Truppe war, genoss er Respekt und Anerkennung. Er träumte den Traum vieler Jungen in seinem Alter: Irgendwann einmal wollte er Profifußballer werden. Talent hatte er, das stand außer Frage. Die Freunde wussten jedenfalls, dass auf Finn immer Verlass war. Der Geräuschpegel in der Höhle war inzwischen auf Partyniveau angestiegen. Nur mit Mühe war es möglich, sich seinem Nachbarn verständlich zu machen. Dann klatschte Simon zweimal kräftig in die Hände. Schlagartig erfüllte nur noch ein leises Flüstern den Raum.

„Es freut mich, dass ihr alle gekommen seid“, sagte Simon mit ernster Mine. „Ich möchte es kurz machen. Ihr wisst genau, was auf dem Spiel steht. Nicht mehr und nicht weniger als die erfolgreiche Teilnahme an der Schulmeisterschaft. Leider haben wir das letzte Qualifikationsspiel unglücklich verloren.“

„Bitte keine Details“, unterbrach Finn die Ansprache.

Simon fuhr fort: „Es sollte uns allen klar sein, dass wir nur noch eine Chance haben, uns für die Finalspiele zu qualifizieren.“ Jetzt wurde Simons Miene noch ernster, und keiner der Anwesenden wagte es, ihn zu unterbrechen. Selbst Mike, der sonst immer und zu jedem Thema etwas zu sagen hatte, war jetzt ganz still.

„Wir müssen das Spiel gegen den haushohen Favoriten, die Mannschaft von der Möller-Realschule, gewinnen. Und nicht nur das: Wir müssen deutlich gewinnen. Da das Möllerteam die bessere Tordifferenz hat, müssen wir das Spiel mit mindestens zwei Toren Unterschied zu unseren Gunsten entscheiden.“

Immer noch war es unheimlich still im Raum. Längst war das letzte Flüstern verstummt. Finn kam es vor, als ob die Fußballstars, welche von den Postern an den Wänden auf sie herabsahen, zu ihnen sagen wollten: „Kommt, Jungs, geht nach Hause, bis jetzt war es zwar ganz nett, aber das ist nun eine Nummer zu groß für euch!“

„Wir schaffen das!“, rief Hendrik. „Wir fragen einfach den General, ob er mit uns ein paar Extra-Trainingseinheiten macht“.

„Das wird nicht reichen“, meldete sich jetzt Jonathan zu Wort. „Jeder von uns weiß, wie gut die Möller-Jungs sind. Die haben eine super Abwehr, und der Sturm ist permanent torgefährlich. Alle sind sie sehr ballsicher. Und erst der Torwart …! Der spielt sogar in der Auswahlmannschaft!“

Wieder Stille.

„Nun hört mal zu, ihr Muttersöhnchen, was ist das hier eigentlich? Eine Versammlung von Mauerblümchen und Angsthasen? Wer sind wir denn eigentlich? Was ist los mit euch? Schließlich können wir auch Fußball spielen! Und gewinnen können wir auch. Immerhin haben wir es bis in die Endrunde der Qualifikation geschafft. Mir ist das alles zu blöd hier! Ich muss noch etwas für die Schule tun. Kann ja schließlich nicht jeder hier den ganzen Tag herumsitzen und quatschen.“ Mit diesen Worten stand Nikola auf und knallte wütend die Türe hinter sich zu.

„Ja, wie ihr seht, liegen die Nerven blank. Aber einfach davonlaufen, das ist auch keine Lösung“, fuhr Simon fort. „Das nächste Spiel wird verdammt schwer, soviel steht fest. Aber Hendrik hat schon recht! Wir können es schaffen! Ich glaube, für heute haben wir tatsächlich genug geredet. Wir treffen uns morgen wieder zum Training, und dann sehen wir weiter.“

Wie vereinbart trafen sich die Freunde am nächsten Tag zum Training. Der General war bestens gelaunt und machte ein Späßchen nach dem anderen. Zwischendurch pfiff er sogar fröhlich ein Lied vor sich hin und lobte die Jungs bei fast allen Aktionen. Selbst als Konrad aus nur vier Metern Entfernung, freistehend vor dem Tor, den Ball am Pfosten vorbei schoss, meinte der General nur trocken:

„Mach weiter so, Konrad, beim nächsten Mal klappt es bestimmt!“

Das war schon eigenartig. So gut gelaunt sah man den General selten. Normalerweise trainierte er die D-Jugend, in welcher auch Finn und Simon spielten. Auf Bitten der Jungs hatte er sich bereit erklärt, die Schulmannschaft des Hegau-Gymnasiums während des Wettbewerbs zu betreuen. Nach dem Training rief der General alle zusammen.

„Hört mir bitte alle einmal zu! Also, das war heute das letzte Training vor dem Spiel gegen die Möller-Realschule. Spielbeginn ist am nächsten Samstag um dreizehn Uhr auf dem Sportplatz der Realschule. Es werden sicher viele Zuschauer kommen. Außerdem wird auch ein Reporter der Regionalzeitung vor Ort sein. Aber wir dürfen uns durch all das nicht ablenken lassen. Wir müssen uns voll auf das Spiel konzentrieren. Wenn jeder von euch bis an seine Grenzen geht, dann können wir es schaffen, dann können wir die Möllers schlagen. Die Mannschaftsaufstellung wird wie folgt sein: Simon trägt die Kapitänsbinde und spielt zusammen mit Finn im Sturm. Tilo und Konrad spielen auf den Außenflügeln. Nikola und Lukas bilden die Abwehr. Jonathan wird wie immer unser Rückhalt im Tor sein. Da pro Mannschaft immer sieben Spieler spielen, werden Hendrik und Mike am Anfang Ersatzspieler sein. Noch Fragen?“

„Ja, Trainer Hans General! Haben wir eine reelle Chance?“

„Natürlich haben wir die, Mike! Aber wir müssen sie nutzen, und dazu haben wir nur zweimal dreißig Minuten Zeit. Dann ist das Spiel vorbei und alles ist entschieden!“

Plötzlich schreckte ein lautes Hupen die Jungs auf.

„Hansi, Hansilein … kommst du?“ Eine blonde, junge Frau in einem roten Sportwagen winkte heftig zum General hinüber.

„So, Freunde, wenn keine weiteren Fragen sind, dann sehen wir uns also am Samstag. Seid pünktlich und vergesst nicht, eure Zähne zu putzen.“

„Wieso das denn?“, wollte Mike wissen.

„Na, wegen dem Reporter und dem Bild in der Zeitung. Damit ihr nach eurem Sieg mit breitem Grinsen in die Kamera lächeln könnt.“ Mit diesen Worten verschwand Hansgeneraltrainer mit seiner blonden Schönheit.

„Kein Wunder, dass der so gut drauf war! Kaum hat er eine neue Flamme, schon ist die Welt wieder in Ordnung für ihn. Was aus uns wird, ist ihm doch völlig egal. Der hat doch jetzt nur noch dieses Schneewittchen im Kopf.“

„Schneewittchen war nicht blond“, stellte Jonathan trocken fest.

„Und wenn schon! Dann haben wir es jetzt eben mit einem blondhaarigen Schneewittchen zu tun.“ Nun ging die Diskussion kreuz und quer und hin und her, bis Simon schließlich rief: „Schluss jetzt, hört auf! Der General ist auf unserer Seite. Er glaubt an unseren Sieg. Und wir sollten das auch tun. Wir treffen uns am Samstag! Und denkt daran: Wir schaffen das!“

Auf dem Heimweg fiel Finn ein, dass er unbedingt seine alten Fußballschuhe noch zum Schuster bringen sollte. Am rechten Schuh war eine Naht aufgerissen. Und die wollte er noch reparieren lassen.

Finn hatte seine alten Schuhe bei jedem Spiel dabei, obwohl sie ihm eigentlich gar nicht mehr passten. Aber mit diesen Schuhen hatte er sein erstes Tor geschossen. Seither waren sie für ihn eine Art Glücksbringer. Zum Endspiel der Qualifikation wollte er sie nur in einwandfreiem Zustand mitnehmen. Zuhause schnappte er sich deshalb die guten Stücke und eilte zum alten Schuster.

Das Geschäft lag in einer abgelegenen Seitengasse. „Schumacher Benz“ stand in verwitterter Schrift auf einem Schild über dem Eingang. Finns Vater hatte oft erzählt, dass dies der älteste Laden im ganzen Dorf sei. Und wirklich, im Geschäft schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Überall standen Schuhe aller Art: Elegante Damenstiefel und rustikale Wanderschuhe, Lackschühchen für Mädchen und schwarze Männerschuhe, Kindersandalen und schmale Tanzschuhe. Im Schaufenster stand eine alte Nähmaschine, und eine Spinne war eifrig dabei, ihr Netz zu weben. Ein strenger Geruch von Leim und Leder lag in der Luft. Finn mochte diesen Geruch. Er kam gerne hierher. Wann immer sich die Gelegenheit bot, schaute er kurz in dem Laden vorbei. Und solche Gelegenheiten gab es genug. Mal war es eine lose Schuhsohle, ein gerissenes Schnürband, eine Dose Schuhcreme, ein kaputter Reissverschluβ oder eben eine aufgerissene Naht. Es gab fast nichts, was der Schumacher nicht reparieren konnte. Manchmal kam Finn auch nur hierher, um den Geschichten zu lauschen, die der alte Herr Benz erzählte. Oft waren diese Erzählungen nicht für Kinderohren geeignet. Aber wahrscheinlich war es gerade das, was sie so spannend machte.

„Miau, miau!“ Momo, die große, graue Katze des Schuhmachers schmiegte sich an Finns Füße. „Na, du alter Mäusefänger“, murmelte Finn, während er das weiche Fell streichelte.

„Ja, ja, er freut sich immer, wenn Besuch kommt! Ach, du bist es, Finn! Schön, dich mal wiederzusehen. Na, was kann ich für dich tun?“

Erst jetzt bemerkte Finn den alten Schumachermeister, der sich hinter einem Berg von Schuhen und Kisten erhob. Wie so oft, trug er einen braunen Arbeitskittel und darüber eine grüne Schürze. Hinter das linke Ohr hatte er sich einen Bleistift geklemmt und um den Hals hing ein Maβband. Graues, lichtes Haar zierte seinen Kopf und ein stoppliger Bart wucherte in seinem Gesicht.

„Ich habe hier meine alten Fußballschuhe, und der rechte Schuh müsste dringend repariert werden.“

Der Schumacher setzte seine Brille auf und begutachtete den Schuh von allen Seiten.

„Kein Problem, das kriegen wir schon hin. Du musst wissen, für den Sultan von Marokko durfte ich einmal sechs Paar Reitstiefel anfertigen. Die waren aus bestem Leder und jede Naht war dreifach gefertigt!“ Diese Geschichte erzählte Schumacher Benz immer wieder. Überhaupt war er ein wunderbarer Geschichtenerzähler.

„Einmal sollte ich sogar die Fußballschuhe von Helmut Rahn reparieren. Du kennst doch Helmut Rahn, oder?“

„Ja natürlich“, erwiderte Finn. „Er spielte im Angriff der deutschen Nationalmannschaft 1954! Beim Endspiel in Bern schoss er die beiden entscheidenden Tore gegen Ungarn. Deutschland gewann dadurch seinen ersten Weltmeistertitel.“

In Sachen Fußball wusste Finn Bescheid, da machte ihm so schnell keiner was vor. Der alte Schuhmacher grinste über beide Ohren. „Du warst schon immer ein cleveres Bürschchen. Das gefällt mir an dir. Genau den Helmut Rahn meine ich.“

Mit einer Hand griff der Alte nach einem Holzstuhl und schob ihn neben Finn. „Nimm Platz. Ich möchte dir eine Geschichte erzählen, die wird dich sicher interessieren.“

Finn setzte sich gespannt und voller Erwartung auf den wackligen Stuhl. Der Schuhmacher machte es sich auf einer Kiste vor der Theke gemütlich. Mit einer Hand klopfte er den Schleifstaub von seiner Schürze, um sich gleich darauf weit nach vorne zu beugen. Dann schielte er zuerst nach rechts, dann nach links, als ob er sichergehen wollte, dass niemand anderer im Raum war.

„Die Geschichte, die ich dir jetzt erzähle, habe ich bis heute für mich behalten.“ Der Alte hielt sich die Hand vor den Mund, als ob er Angst hätte zu sprechen. „Wo war ich stehen geblieben?“

„Bei den Schuhen von Helmut Rahn. Sie haben sie repariert.“

„Ja, die Schuhe! Also, wie gesagt, Deutschland hatte die Weltmeisterschaft gewonnen. Und weißt du, was am besten war? Ich werd es dir sagen. Der Heimweg der Meistermannschaft führte mit dem Zug vorbei an unserem Dorf. An unserem Dorf! Ist das nicht unglaublich? Überall an den Gleisen standen jubelnde Menschen. Und alle hatten sie die Hoffnung, einen kurzen Blick auf die Mannschaft werfen zu können. Und tatsächlich, der Zug hielt am Bahnhof an. Einige Spieler kamen aus dem Zug und gaben Autogramme. Du wirst es nicht glauben, aber plötzlich stand der Helmut vor mir! Als der erfuhr, dass ich Schuhmacher war, drückte er mir seine Fußballschuhe in die Hand. Eine Naht am rechten Schuh war aufgerissen; genauso wie bei deinem Schuh. Ich sollte den Schuh reparieren und ihm dann per Post zuschicken. Noch am selben Tag habe ich den Schuh repariert. Doch dann kam alles anders, denn die Schuhe waren am nächsten Tag aus meinem Geschäft verschwunden. Einfach weg!“

„Gestohlen?“, fragte Finn verwundert.

„Ich weiß es nicht“, entgegnete der Schumacher. „Ich habe dem Helmut dann einen Brief geschrieben und mich entschuldigt, dass die Schuhe verloren gegangen sind. Leider habe ich nie mehr etwas von ihm gehört.“ Gedankenverloren starrte er auf Finns Schuh in seiner Hand und fuhr dann zögernd fort.

„Aber etwas Sonderbares geschah doch noch. Am selben Abend, als ich gerade meinen Laden zuschließen wollte, stand ein junger Mann vor der Tür und fragte mich nach dem Weg zum Bahnhof. Er sprach nur gebrochen deutsch und machte einen ziemlich nervösen Eindruck. Ich bat ihn kurz herein, um ihm den Weg zu beschreiben. Dann fragte er noch nach einem Glas Wasser. Als ich jedoch mit dem Wasser aus der Küche zurückkam, war niemand mehr da.“

„Dann war das also ein Dieb, ganz klar!“, stellte Finn fest.

„Kann schon sein, aber das Beste kommt noch. Vor ein paar Wochen habe ich ein Päckchen bekommen, und was glaubst du war da drin, hmm …?“

„Die Fußballschuhe?“

„Na ja, nicht ganz. Es war nur ein Schuh darin. Aber es war der Schuh von Helmut Rahn. Der Schuh mit der aufgerissenen Naht. Ich habe ihn sofort erkannt, denn ich hatte die aufgerissene Naht mit einem goldenen Lederstreifen repariert.“

„Unglaublich! Wer hat Ihnen das Packet geschickt?“

„Es stand kein Absender darauf. Aber der Poststempel stammt offensichtlich aus Ungarn.“

„Aus Ungarn? Gibt’s doch gar nicht!“

„Ach so, und ein Zettel lag dabei.“

„Und was stand da drauf?“

„Warte mal, irgendwo habe ich doch diesen Schuhkarton.“

Der Schumacher kramte in dem Berg von Kisten und verschwand schließlich komplett darin, um dann wieder mit einem lauten Seufzer aufzutauchen. „Ah, hier ist er. Ich habe den Schuh gefunden.“

Und wirklich, im Karton lagen ein alter Fußballschuh und daneben ein zerknüllter Zettel. Bei dem Zettel handelte es sich ganz offensichtlich um eine ausgerissene Seite aus einem Buch. Finn wollte gerade den Schuh aus dem Karton nehmen, da schlug die Kirchturmglocke fünfmal.

„Oje, ich muss nach Hause“, rief Finn. „Bis wann kann ich die Schuhe abholen?“ „Morgen sind sie fertig“, erwiderte der Schuhmacher. „Also dann, tschüss bis Morgen!“

Am Abend lag Finn noch lange wach im Bett und dachte über die seltsame Geschichte des alten Schuhmachers nach. Sein Vater kam in sein Zimmer, um ihm eine gute Nacht zu wünschen. Er setzte sich an die Bettkante und stupfte Finn an die Nase.

„Papa, gibt es eigentlich Wunder?“, fragte Finn und streckte ein Bein unter der Decke hervor.

Sein Vater sah ihn erstaunt an.

„Nun, ich glaube schon, dass es Wunder geben kann. Zumindest wenn man fest daran glaubt. Aber warum fragst du?“

„Ach, ich denke nur gerade an unser Spiel am Samstag. Und wenn da kein Wunder geschieht, dann werden wir gegen die Möllers verlieren.“ Finn gähnte.

Der Vater stand auf und deckte Finns Bein wieder zu.

„Jetzt schlafe dich erst einmal aus. Es ist schon sehr spät und außerdem sind es ja auch noch ein paar Tage bis Samstag.“

Gerade wollte als er gehen wollte, murmelte Finn:

„Ich war heute beim alten Schuhmacher Benz, du weißt schon, wegen meinen alten Schuhen!“

„Und?“, fragte der Vater.

„Manchmal ist mir der alte Mann etwas unheimlich. Und diese eigenartigen Geschichten, die er manchmal erzählt.“

„Ja, Geschichten erzählen, das kann er!“, erwiderte der Vater. „Aber er weiß auch noch sehr viel von früher. Irgendwann geraten all diese alten Geschichten in Vergessenheit. Und dann erinnert sich niemand mehr daran, wie das Leben zu Zeiten unserer Großeltern einmal war. Wir können froh sein, dass wir noch einen Schuhmacher in unserem Dorf haben. So, jetzt wird aber geschlafen! Gute Nacht, Finn.“ Der Vater ging hinaus und schloss behutsam die Tür.

„Gute Nacht, bis morgen“, gähnte Finn und schlief ein.

Finn hatte in dieser Nacht wieder einmal sehr unruhig geschlafen. Immer wieder war er aufgeschreckt und hatte an den Samstag denken müssen, an das Spiel, welches sie unbedingt gewinnen wollten! Wie jeden Morgen schnappte sich Finn vor dem Frühstück zuerst die Zeitung und studierte noch völlig verschlafen die Sportnachrichten. Er las die Zeitung immer von hinten nach vorne. Das hatte den Vorteil, dass er über das sportliche Geschehen bestens informiert war und über alle anderen Nachrichten einen groben Überblick bekam.

Doch was war das? Da war doch tatsächlich ein Bild vom Rektor der Möller-Realschule abgebildet. Und in großen Buchstaben stand darüber: „Ja, wir werden gewinnen!“ In dem Text darunter zeigten sich die Möllers sehr zuversichtlich, dass sie am Samstag als Sieger den Platz verlassen würden.

Wie fast jeden Morgen musste sich Finn beeilen, damit er noch rechtzeitig den Zug zur Schule erwischte. Als er aus dem Haus eilte, rief er der verdutzten Mutter nur noch zu: „Das wird sich schon noch zeigen, wer gewinnt!“

Im Zug, auf dem Weg zur Schule, erzählte Finn seinen Freunden von dem Zeitungsbericht.

„Wenn das nicht unsportlich ist, heiße ich ab sofort Leopold“, bemerkte Mike. „Wie kommen die bloß dazu, so etwas zu drucken?“

„Spielt der Rektor denn auch mit?“, wollte Mareike wissen.

„Quatsch,“ entgegnete Simon.

„So eine Frage können auch nur Mädchen stellen. Kümmert ihr euch lieber um eure Puppen“, frotzelte Mike. „Fußball ist zu kompliziert für euch.“

„Blödmann“, entgegnete Mareike und setzte sich mit ihren Freundinnen einige Plätze weiter weg von den Jungs.

„Was mischt die sich auch ein! Wenn Männer sich unterhalten, sollten Frauen schweigen.“

„Woher hast du denn den Spruch?“, wollte Simon wissen.

„Hab ich mal in einem Buch gelesen“, entgegnete Mike.

„Auf jeden Fall war das auch unsportlich, Leopold“, sagte Finn scharf.

„Nenn mich nicht noch einmal Leopold, sonst platze ich gleich.“ Mike presste die Lippen zusammen und erhob sich halb von seinem Platz.

„Das möchte ich sehen!“, rief Hendrik.

„Kannst du haben!“, brüllte Mike aufgebracht. Längst saβ er nicht mehr auf seinem Sitz, sondern hatte sich bedrohlich vor den Jungs aufgebaut.

„Und, hat sonst noch jemand was auszusetzen? Ich warne euch: Noch ein Wort … !“ „Reg dich ab, Mike! Seit wann bist du denn so empfindlich?“

„Ich bin nicht empfindlich, ich bin nur stinksauer!“ Spätestens jetzt war auch der letzte Fahrgast im Zugabteil auf die lautstarke Auseinandersetzung aufmerksam geworden.

So dauerte es auch nicht lange, bis der Zugbegleiter vor ihnen stand und abrupt ihre Unterhaltung unterbrach: „Wenn hier nicht bald Ruhe herrscht, könnt ihr am nächsten Bahnhof aussteigen.“

Die restliche Fahrt saßen die Jungs schweigend nebeneinander. Beim Aussteigen entschuldigte sich Finn bei Mareike für das Verhalten von Mike:

„Du musst wissen, wir sind alle sehr angespannt wegen dem Spiel am Samstag.“

„Ist schon in Ordnung“, entgegnete Mareike. „Unsere Unterstützung habt ihr. Meine Freundinnen und ich werden euch beim Spiel lautstark anfeuern.“

„Ich glaube, das können wir auch gebrauchen!“

„Also dann, mach es gut.“

Finn eilte seinen Freunden hinterher, als Mareike ihm noch nachrief: „Danke, Finn!“

Er wusste zwar nicht wieso, aber irgendwie war ihm Mareike sehr sympathisch. Doch jetzt hatte er wirklich keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn heute hatte er noch viel zu tun.

Das Qualifikationsspiel

Die zurückliegenden Tage waren rasend schnell vergangen: Es war Samstagmorgen. Finn war schon um sechs Uhr aufgestanden und dribbelte seither mit einem Ball quer durch das Wohnzimmer. An verschiedenen Stellen hatte er Stühle aufgestellt. Das waren jetzt seine Gegner. Mit verschiedenen Körpertäuschungen und Tricks versuchte er immer wieder, den Ball vorbei an den Stühlen zu zirkeln. Gerade hatte er wieder einen Gegner umspielt, den nächsten getunnelt, dann ein Querpass zur Wand, welche sozusagen einen Mitspieler darstellte, der Rückpass kam hoch in den Strafraum. Finn zögerte nicht lange und schoss den Ball volley auf das Tor. Wenn da nur nicht dieser Blumentopf gestanden hätte … . Mit lautem Krachen zersprang dieser in tausend Teile. Die Blumenerde und die Scherben lagen über den ganzen Boden verstreut.

Bis dahin hatten die Eltern noch geschlafen. Spätestens jetzt waren sie jedoch hellwach. Als Finns Schwester die Bescherung sah, sagte sie nur: „Oje, oje!“

Finns Mutter schaffte es gerade noch, den Vater zu beruhigen. Es war immer das gleiche: Wenn Finn ein wichtiges Spiel oder Turnier vor sich hatte, konnte er Stunden davor nicht mehr ruhig sitzen. In seinen Gedanken, in seinem Handeln und Tun war dann nur noch Platz für Fußball. Seine Eltern wussten das mittlerweile, und so war die Verärgerung über den zertrümmerten Blumentopf auch schnell vergessen.

Nach dem Frühstück packte Finn sorgsam seine Sporttasche.

„Noch mal überlegen: Schienbein-Schoner … hab ich; Strümpfe … hab ich; Trinkflasche … ist da; Fußballschuhe … hab ich; halt, meine alten Schuhe, die sind noch beim Schuhmacher. Ich muss unbedingt noch meine alten Schuhe beim Schuhmacher abholen!“

„Worauf wartest du noch?“, entgegnete sein Vater. „In einer Stunde ist Treffpunkt beim Sportplatz.“

Finn schwang sich auf sein Fahrrad und radelte los. Völlig außer Atem erreichte er den Laden des Schuhmachers. Zum Glück war das Geschäft schon offen. Denn geregelte Öffnungszeiten gab es nicht.

„Sind meine Fußballschuhe fertig?“, rief Finn, obwohl er noch gar nicht richtig zur Tür hereingekommen war.

„Ah, du bist es“, entgegnete der Schuhmacher. „Guten Morgen, junger Mann.“

„Oh, Entschuldigung, guten Morgen, Herr Benz … aber ich bin so in Eile.“

„Ist schon gut! Deine Schuhe habe ich repariert. Warte mal, wo sind sie denn gleich?“

Zuerst kramte er in einer Kiste, dann in einem Schrank, um schließlich einen Karton aus dem Kühlschrank zu nehmen. „Ah, hier sind sie. Jetzt habe ich die Schuhe doch tatsächlich in den Kühlschrank gestellt. Na ja, man wird eben nicht jünger, nur vergesslicher.“

Er nahm die Schuhe aus dem Karton. Doch was war das? Der rechte Schuh mit der aufgeplatzten Naht war repariert mit einem hell leuchtenden Stück Leder.

„Aber das aufgenähte Leder hat ja eine andere Farbe als der Schuh“, entfuhr es Finn.

„Das stimmt“, entgegnete Herr Benz. „Ich hatte leider kein schwarzes Leder mehr, welches zu deinem Schuh gepasst hätte. Aber ich finde, diese Farbe passt doch auch ganz gut.“

„Aber es ist goldfarben!“

„Ja genau, mein Junge, um es genau zu sagen: Smaragd Gold. Allerdings kommt es mir so vor, als ob es heute noch heller leuchtete als gestern.“

Finn begutachtete den Schuh von allen Seiten. Wahrhaftig! Ein goldenes Stück Leder zog sich sauber vernäht von der Ferse bis zur Spitze quer über den schwarzen Schuh. Finn wusste, dass es der Schuhmacher nicht immer so genau nahm, wenn es darum ging, zu einem Schuh das passende Leder zu finden. Die weißen Schuhe seiner Mutter hatte er auch schon einmal mit einem braunen Leder repariert. Aber Gold!

Ach, was soll es, dachte Finn, das spielt nun auch keine Rolle mehr. Er packte die Schuhe hastig in seinen Rucksack, gab dem Schuhmacher das Geld für die Reparatur und verschwand so schnell, wie er gekommen war.

Mit fünf Minuten Verspätung erreichte er schließlich den vereinbarten Treffpunkt. Seine Mannschaftskollegen waren alle schon vollzählig.

„Wo bleibst du denn?“, fragte Simon. „Wir dachten schon, du kommst nicht mehr.“

„Ja, ich weiß, ich bin spät.“

„Jetzt aber los“, unterbrach der General. „Nicht dass die noch ohne uns anfangen!“

Mit einem Kleinbus machte sich die Mannschaft auf den Weg zum Sportgelände der Möller-Realschule. Während der einstündigen Fahrt wurde kaum gesprochen. Die Anspannung war förmlich zu spüren. Hin und wieder versuchte der General, mit ein paar aufmunternden Worten die Stimmung zu lockern. Doch es blieb beim Versuch. Denn auch dem General war eine gewisse Nervosität anzumerken. Endlich war es soweit. Die Möller-Realschule lag vor ihnen. Auf dem Gelände tummelten sich schon unzählige Menschen.

„So, Jungs, auf geht’s, jetzt gibt es kein Zurück mehr.“ Nikola war der Erste, der entschlossen aus dem Bus ausstieg und sich schnurstracks auf den Weg zu den Umkleidekabinen machte. Die anderen folgten in einigen Metern Abstand. Vor dem Eingang zu dem Gelände bildeten sich rechts und links zwei Reihen mit Anhängern der Möller-Realschule. Und durch diese Reihen mussten der General und seine Jungs jetzt hindurch laufen.

„Ah, da sind sie ja“, tönte es. „Hoffentlich habt ihr den Motor von eurem Bus gleich laufen lassen, dann könnt ihr nach dem Spiel wieder schneller abfahren. Zu feiern werdet ihr hier nämlich nichts haben. Eigentlich müsst ihr euch erst gar nicht umziehen, hat eh keinen Zweck.“

Finn und seine Freunde versuchten, die Sprüche zu ignorieren. Doch das Ganze glich schon sehr einem Spieβrutenlauf.

Plötzlich stand ein groß gewachsener, rothaariger Junge vor Finn.

„Na, Kleiner, lassen sie dich auch schon mitspielen?“

Es war der Spielführer der Möller-Mannschaft. In voller Montur, das heißt im giftgrünen Trikot mit gelber Kapitänsbinde, bäumte er sich vor Finn auf.

„Ich wusste gar nicht, dass Zwerge auch spielen dürfen.“

Zwar war Finn tatsächlich fast einen halben Kopf kleiner als seine Mitspieler, aber Zwerg, das ging jetzt wirklich zu weit! Finn wollte gerade Luft holen, da mischte sich Hendrik ein.

„Und wir wussten gar nicht, dass bei euch noch Leute von der Feuerwehr mitspielen.“ „Wieso Feuerwehr?“, fragte der Kapitän.

„Na, wenn man so rote Haare hat wie du, dann muss man ja wohl der Feuerwehr angehören.“

„Dir mach ich gleich Feuer unterm Hintern!“, erboste sich der Rotschopf und legte dabei seine Stirn in Falten.

Brust an Brust standen sich die beiden jetzt gegenüber.

„Hört sofort auf“, polterte der General. „Zeigt lieber auf dem Spielfeld und mit fairen Mitteln, wer die bessere Mannschaft ist.“

Verächtlich spuckte der Rotschopf auf den Boden, warf Finn nochmals einen bösen Blick zu und schlenderte lässig davon.

„So eine Pfeiffe, schnaubte Hendrik!

Denen werden wir es zeigen, diesen Wichtigtuern!“

In der Umkleidekabine versuchte der General, die Mannschaft auf das Spiel einzustimmen.

„Jungs, zu Beginn werden wir sie erst einmal kommen lassen. Wir müssen versuchen, ihre Taktik zu durchschauen. Und dann suchen wir ihren wunden Punkt. Wir werden unsere Chancen haben und wir werden sie auch nutzen. Also los, raus aufs Spielfeld. Zeigt ihnen, wer die bessere Mannschaft ist!“

Finn trug die Nummer Zwölf auf dem Rücken. Obwohl dies seine Glückszahl war, wirkte er nicht sonderlich optimistisch. Das Kinn auf beide Hände gestützt, saβ er noch immer auf der Bank und schien die Bodenfliesen zu zählen.

„Hallo, jemand zu Hause?“, scherzte Lukas und klopfte Finn mit den Fingerknöcheln an die Stirn. „Los, worauf wartest du? Die anderen sind schon alle drauβen!“

„Ich komme ja schon!“, antwortete Finn, während er zögernd aufstand.

Kaum kamen sie aus der Kabine, begann die Menge der Zuschauer auch schon zu grölen:

„Jetzt geht’s los, jetzt geht’s los!“

„He, ihr da, wartet noch einen Moment, wir machen noch schnell ein Bild!“

Aha, da war er also: der Reporter der Regionalzeitung.

„Hallo, alle schön lächeln!“

„Wird ihnen bald vergehen“, tönte es aus den Reihen der Möller-Anhänger. Nun wandte sich der Reporter an Simon: „Wie schätzt du denn eure Chancen auf einen Sieg ein?“ „Wir werden gewinnen“, antwortete Simon trocken.

„Und wie ist eure Taktik?“

„Augen zu und durch.“

„Aha, aha. Im Falle einer Niederlage, werdet ihr faire Verlierer sein?“

„Wir gewinnen!“

„Ich sehe schon, der Kapitän gibt sich momentan sehr wortkarg.“ Der Reporter verbreitete eine unglaubliche Hektik. Ständig zupfte er an seinem Mantel, rümpfte die Nase und zuckte mit einem Augenlid. Während er seine Fragen stellte, drehte er den Kopf in alle Richtungen. Offensichtlich wollte er sicherstellen, dass ihm ja nichts entging.

„Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen noch etwas über meine Pläne als Profifußballer erzählen“, unterbrach Mike den Reporter.

„Komm jetzt, Mike, das Spiel beginnt gleich.“

„Na gut – vielleicht später, Herr Reporter.“

Der Moment war gekommen. Beide Mannschaften liefen auf das Spielfeld ein. Nun waren auch die ersten Schlachtrufe von den Anhängern des Hegau-Teams zu hören. „Hegau vor, noch ein Tor!“ Mareike und ihre Freundinnen hatten Wort gehalten. Sie standen am Spielfeldrand und feuerten die Mannschaft lautstark an. Natürlich waren auch die Eltern, Freunde und Bekannten der Spieler gekommen. Alle wollten dabei sein. Keiner wollte das Qualifikationsspiel für den Einzug in das Achtelfinale verpassen.

Mit grimmigem Blick tauschten die Spielführer die Wimpel mit dem jeweiligen Schulwappen. Die anschließende Platzwahl gewann das Möller-Team. Natürlich entschieden sie sich, mit der Sonne im Rücken zu spielen. Jetzt war es soweit. Der Schiedsrichter blickte ein letztes Mal auf seine Uhr.

„Pfiiiii!“, endlich, das Spiel war angepfiffen. Sofort stürmten die Möllers in Richtung des gegnerischen Tors. Eine hohe Flanke kam in den Strafraum. Ein Angreifer der Möllers erreichte den Ball gerade noch mit dem Kopf und lenkte ihn nur knapp am Torpfosten vorbei. Kaum war der Ball wieder im Spiel, erfolgte die zweite Angriffswelle. Der rothaarige Kapitän der Möllers umdribbelte erst Simon, zog vorbei an Lukas und flankte dann scharf zu seinem Mitspieler. Der zögerte nicht lange und zirkelte den Ball mit dem Außenrist an Jonathan vorbei ins Tor. Eins zu Null.

Und die Angriffswellen der Möllers wurden nicht weniger, im Gegenteil: Sie erhöhten den Druck sogar noch. Wieselflink kamen die Angreifer der Möllers immer wieder gefährlich in den Strafraum. Diesmal kam der Angriff über die Außenflügel. Einer umspielte mit einer Körpertäuschung zuerst Konrad, dann spitzelte er den Ball zwischen Finns Füßen hindurch. Jonathan kam auf den Stürmer zu, um ihn abzudrängen. Der hebelte den Ball jedoch elegant über Jonathan hinweg unhaltbar ins Tor. Zwei zu Null. Die Möller Fans wurden immer euphorischer.

„Ihr könnt nach Hause fahren, ihr könnt nach Hause fahren“, tönte es aus ihren Reihen.

„Konzentriert euch“, schrie Simon seine Mitspieler an. „Lasst sie nicht so ins Spiel kommen.“

Das war jedoch leichter gesagt als getan. Aus gut fünfundzwanzig Metern Entfernung schoss der gegnerische Kapitän direkt auf das Tor. Geblendet durch die Sonne, konnte Jonathan den Ball nicht richtig einschätzen. Der Ball war im Netz. Drei zu Null.

„Reißt euch zusammen, ihr müsst endlich was tun!“, schrie der General aufgebracht von der Seitenlinie.

Endlich, der erste Angriff der Hegau-Jungs. Nikola spielte einen langen Ball auf Tilo, dieser sprintete an der Außenlinie entlang und passte dann zur Mitte. Dort stand Simon, der den Ball mit der Hacke an Finn weiterleitete. Finn umspielte einen Abwehrspieler, nun war er alleine vor dem Torwart. Finn wollte auch den noch umspielen, doch der Torwart hechtete beherzt nach dem Ball und schnappte ihn Finn von den Füßen. Es gab einfach kein Durchkommen.

„Das ist zum Mäusemelken“, maulte Jonathan.

Während Finn mit hängendem Kopf an dem rothaarigen Kapitän vorbeitrabte, rief dieser höhnisch: „He, Zwerg, kannst ja tatsächlich Fußball spielen! Aber leider nicht gut genug. Wir werden euch überrollen, Zwerg!“

Finns Mannschaft konnte nur mit Mühe verhindern, dass sie kurz vor der Halbzeit noch höher in Rückstand gerieten. Endlich der Halbzeitpfiff.

„Die sind noch stärker, als ich dachte“, bemerkte Simon niedergeschlagen. „Wir hatten bisher kaum Chancen. Und die einzige Tormöglichkeit von Finn hat der überragende Torwart der Möllers vereitelt.“

„Die spielen wirklich einen rasanten Fußball“, stimmte der General anerkennend zu. „Aber wir dürfen jetzt nicht einfach aufgeben. Lukas, Tilo, ihr müsst die Bälle schneller nach vorne spielen. Und Simon, trau dich ruhig einmal, aus der Entfernung auf das Tor zu schieβen.“

Finn lag rücklings auf dem Boden und zupfte einzelne Grashalme aus dem Rasen. „Finn! Lass den Kopf nicht so hängen. Zeig denen durch deine Körperhaltung, dass wir noch lange nicht aufgegeben haben. Sie sollen spüren, dass mit uns noch zu rechnen ist. Ihr habt nichts mehr zu verlieren, Jungs. Auf geht’s, kampflos geben wir dieses Spiel nicht verloren.“

„Darf ich jetzt auch spielen, Hans General?“

„Noch etwas Geduld, Mike. Aber du und Hendrik, ihr kommt schon noch zum Einsatz.“

Der Schiedsrichter gab das Zeichen für den Beginn der zweiten Halbzeit. Finn nahm den Ball und setzte ihn andächtig auf den Mittelpunkt. Simon tänzelte nervös am Mittelkreis. Ein greller Pfiff ertönte, die zweite Halbzeit hatte begonnen. Sofort stürmte Finn, den Ball eng am Fuß geführt, in Richtung des gegnerischen Tors. Doch ein Abwehrspieler der Möller stoppte ihn energisch. Mit dem Ellenbogen rempelte er Finn in die Seite, trat ihm gleichzeitig mit den Stollen auf die Füße und brachte ihn dadurch zu Fall. Sofort entschied der Schiedsrichter auf Freistoβ für die Hegau-Mannschaft.

Bei dieser Aktion war das Schuhband von Finns rechtem Schuh gerissen. So konnte er unmöglich weiterspielen. Was sollte er jetzt tun? Der Schiedsrichter blickte ungeduldig auf seine Uhr. Jetzt kam Finn eine Idee: Er hatte ja noch seine alten Schuhe dabei. Zwar waren ihm die ja eigentlich zu klein; aber er musste es versuchen! Jetzt noch das Schuhband zu wechseln, das dauerte einfach zu lange.

Schnell rannte er zur Seitenlinie und kramte den rechten Schuh aus der Tasche.

„Oh nein!“ Das aufgenähte goldene Leder blitzte ihm in die Augen. Egal, auch wenn er sich mit dem Schuh lächerlich machte, es half nichts, jetzt musste es schnell gehen.

Hastig zog er sich den Schuh an und rannte zurück auf das Spielfeld.

„Seht mal, der hat ja einen goldenen Schuh an. Wahrscheinlich spielt er normalerweise in der Mädchenmannschaft.“ Finn schenkte den höhnischen Bemerkungen der Gegner kein Gehör. Leicht fiel ihm das jedoch nicht.

Doch was war das! Der Schuh drückte ihn gar nicht mehr. Im Gegenteil: Er passte plötzlich hervorragend. Es fühlte sich an, als ob er noch nie einen anderen Schuh getragen hätte. Er war wie eine zweite Haut. Doch im Moment war keine Zeit, weiter darüber nachzudenken.

„Was hast denn du für einen Schuh an?“, wollte Simon wissen.

„Frag jetzt nicht, die Zeit läuft gegen uns. Wir müssen versuchen, das Spiel zu drehen. Wir werden es schaffen. Wir werden gewinnen!“

Da war sie wieder, die Entschlossenheit und der unbändige Wille, auch ein verloren geglaubtes Spiel noch zu gewinnen. Aber wie sollte das jetzt noch zu schaffen sein? Finn legte sich den Ball zurecht. Das war sein Freistoß. Höhnisch rief ihm der gegnerische Kapitän zu: „Na, Zwerg, glaubst du, mit diesem komischen Schuh läuft es nun besser?“

Mit einem Blick erfasste Finn die Position der gegnerischen Spieler. Noch einmal atmetet er tief durch; ein kurzer Anlauf, ein Schuss … Der Ball wurde immer länger. Finn hatte erst gar nicht versucht, einem Mitspieler zu flanken. Er zielte direkt auf das Tor. Kurz vor dem Tor senkte sich der Ball und drehte sich mit unglaublichem Drall und hoher Geschwindigkeit auf das linke, obere Tordreieck zu. Mit einer Hand erreichte der Torwart den Ball. Doch die Wucht war so stark, dass der Torwart samt Ball im Netz landete.

Drei zu Eins.

„Das war ein Meisterschuss“, entfuhr es dem General. Ein Raunen ging durch die Menge der Zuschauer.

Die Möllers standen verdutzt auf dem Feld.

„Was war das denn? Das gibt es doch gar nicht. Aus der Position so ein Tor zu schießen. Los Jungs, macht weiter, nicht lockerlassen!“

Jetzt waren auch wieder erste, wenn auch zaghafte, Schlachtrufe der Hegau-Fans zu hören. Allen voran Mareike, die jetzt lautstark rief: „Finn vor, noch ein Tor!“

Doch eigentlich benötigte Finn jetzt keinen Ansporn mehr. Er spürt das Feuer in sich. Er spürte eine unglaubliche Kraft und Entschlossenheit. Wir werden dieses Spiel gewinnen, egal was passiert; da war er sich jetzt ganz sicher.

Verärgert legten sich die Möllers den Ball zum erneuten Anstoß am Mittelkreis zurecht. Kaum hatte der Schiedsrichter den Ball freigegeben, nahm Finn dem Angreifer den Ball vom Fuß und stürmte in Richtung des gegnerischen Tors. Trotz des hohen Tempos kontrollierte er den Ball souverän. Es machte fast den Eindruck, als ob der Ball an Finns Fuß kleben würde. Mit ein, zwei, drei Übersteigern umspielte er einen gegnerischen Stürmer, mit wenigen Körpertäuschungen umdribbelte er die gesamte Abwehr. Wieder stand er alleine vor dem Torwart. Doch diesmal war alles anders. Er täuschte einen Schuss an, woraufhin der Torwart in die vermutete Schussbahn hechtete. Mit dem rechten Außenrist schlenzte Finn den Ball lässig in das linke Toreck.

Drei zu Zwei.

„Ihr müsst ihn besser decken!“, schrie der rothaarige Kapitän seine Mannschaftskollegen an. Das Wort Zwerg kam ihm diesmal nicht mehr über die Lippen. Nun folgte ein Angriff der Möllers. Lukas grätschte dem Angreifer dazwischen, der Ball kam zu Konrad. Konrad flankte den Ball in die Nähe des gegnerischen Strafraums. Und wieder war Finn da. Er hatte geahnt, dass der Ball kommen würde und war genau zur rechten Zeit an der richtigen Stelle. Jeder andere Spieler hätte diesen Ball vermutlich zuerst einmal zu stoppen versucht, um ihn unter Kontrolle zu bringen. Finn schoss den Ball jedoch volley und aus vollem Lauf in Richtung Tor. Krachend schlug der Ball an die Latte, traf den Torwart anschließend am Hinterkopf und prallte von da ins Tor.

Drei zu Drei.

Benommen holte der Torwart den Ball aus dem Netz.

Nun wurde auch der Trainer der Möllers sichtlich nervös.

„Was ist denn nur los mit euch? Strengt euch an! Es sind nur noch zehn Minuten zu spielen. Deckt den Jungen mit der Nummer Zwölf zu zweit und lasst ihm nicht so viel Raum.“

Doch das sollte sich als schier unlösbare Aufgabe herausstellen. Kurz nach dem Anpfiff war es wieder Finn, der nach einem Steilpass von Lukas die Abwehr der Möller umspielte. Als der Torwart der Möller sah, dass Finn wieder alleine auf ihn zukam, hätte er sich am liebsten neben das Tor gestellt. Der Angstschweiß stand ihm förmlich auf der Stirn. Fast ohne Reaktion ließ er es geschehen, dass Finn den Ball zum Drei zu Vier in das Tor schob. Die Zuschauer waren aus dem Häuschen. Sie witterten die Sensation. Ein Tor fehlte noch, und die Hegau-Mannschaft hatte die Qualifikation geschafft. Der Platzsprecher kam beim Verkünden des aktuellen Spielstandes ins Stottern, und der Reporter kam kaum nach, sich Notizen über das Spielgeschehen zu machen.

Der Trainer der Möllers biss sich vor Aufregung in die Zunge, und in seinem Aufschrei ging der Anpfiff des Schiedsrichters fast unter. Der rothaarige Kapitän setzte sich energisch und mit vollem Körpereinsatz zuerst gegen Simon, dann gegen Tilo durch. Hendrik ging jedoch dazwischen und trennte ihn fair vom Ball. Der Kapitän stolperte und versetzte Nikola im Fallen eine kräftigen Fußtritt gegen das Schienbein. Der Schiedsrichter hatte die Situation nicht richtig gesehen und entschied auf Freistoß für die Möllers. Nikola musste jedoch verletzt vom Platz humpeln.