Der Goldkäfer - Edgar Allan Poe - E-Book

Der Goldkäfer E-Book

Edgar Allan Poe

4,8

Beschreibung

"Der Goldkäfer" ist eine der weniger bekannten Erzählungen von Edgar Allan Poe. Der Band enthält außerdem die kurzen Erzählungen: Die längliche Kiste Der Untergang des Hauses Usher Metzengerstein Wassergrube und Pendel Das schwatzende Herz Die schwarze Katze Das Fass Amontillado William Wilson Hopp-Frosch Ligeia

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Der Goldkäfer

Der GoldkäferDie längliche KisteDer Untergang des Hauses UsherMetzengersteinWassergrube und PendelDas schwatzende HerzDie schwarze KatzeDas Fass AmontilladoWilliam WilsonHopp-FroschLigeiaImpressum

Der Goldkäfer

Schau her! Schau her! Der Kerl dort tanzt wie toll!

Von der Tarantel gift'gem Biss getrieben.

All in the wrong.

1

Vor vielen Jahren unterhielt ich mit einem gewissen Herrn William Legrand engere Beziehungen. Er stammte aus einer alten Hugenottenfamilie und war früher sehr vermögend gewesen, doch hatte eine Reihe von Unglücksfällen ihn zum bedürftigen Manne gemacht. Um all den Unannehmlichkeiten, die ein solch plötzliches Verarmen nach sich zieht, zu entgehen, verließ er New Orleans, die Stadt seiner Vorfahren, und schlug seinen Wohnsitz auf der Sullivans-Insel bei Charleston in Süd-Carolina auf.

Diese Insel ist ein sehr merkwürdiges Stück Land. Sie besteht fast nur aus Seesand und ist ungefähr drei Meilen lang und an keiner Stelle über eine Viertelmeile breit. Vom Festland ist sie durch eine kaum wahrnehmbare Bucht getrennt, die sich durch eine Wildnis von Ried und Sumpfboden hindurchwindet und zahllosen Marschhühnern ausgezeichnete Schlupfwinkel gewährt. Die Vegetation ist, wie aus dem Vorhergesagten leicht verständlich, höchst dürftig und verkrüppelt. Größere Bäume sieht man nirgendwo. Zwar gedeiht hin und wieder am Westende der Insel, in der Nähe der wenigen elenden Holzhäuser, die sich ein paar Leute erbaut haben, um im Sommer den Fiebern und dem Staub der Stadt zu entfliehen, der stachlige Palmetto. Der Boden der ganzen Insel mit Ausnahme jenes westlichen Teiles und des weißen harten Streifens um die Küste ist mit der wuchernden, süßduftenden Myrte bedeckt, die von den englischen Gärtnern so sehr geschätzt wird. Das Myrtengestrüpp erreicht oft eine Höhe von fünfzehn bis zwanzig Fuß und bildet ein fast undurchdringliches Dickicht, das die Luft mit schwerem Wohlgeruch belädt.

In dem innersten Schlupfwinkel eines solchen Dickichts am östlichen Ende des Eilandes hatte sich Legrand eine kleine Hütte erbaut, die er, als ich durch Zufall mit ihm bekannt wurde, im Sommer und Winter bewohnte. Unsere Beziehungen vertieften sich bald zu einer Freundschaft, denn viele Züge im Wesen des Einsiedlers erweckten mein Interesse und erfüllten mich mit Hochachtung für ihn. Ich fand in ihm einen gebildeten Mann von ganz ungewöhnlichen Geistesgaben; doch litt er an Misanthropie und war abwechselnd krankhaften Ausbrüchen von Begeisterung und Trübsinn ausgesetzt. Er besaß eine große Menge Bücher, las jedoch nur sehr selten in ihnen. Sein Hauptvergnügen bestand im Jagen und Fischen oder in ziellosem Umherstreifen durch das Myrtengestrüpp und am Ufer entlang, wo er Muscheln und Insekten für seine höchst reichhaltige Sammlung suchte. Bei diesen Ausflügen begleitete ihn gewöhnlich ein alter Neger namens Jupiter, der, bevor die Familie verarmte, seine Freiheit erhalten hatte, jedoch weder durch Drohungen noch durch Versprechen zu bewegen gewesen war, sein Recht, über jeden Schritt seines jungen ›Massa Will‹ zu wachen, aufzugeben.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Verwandten Legrands die Hartnäckigkeit Jupiters noch bestärkten, damit sein Herr, den sie für nicht ganz zurechnungsfähig hielten, keinen Augenblick ohne Aufsicht und Schutz sei.

Der Winter ist auf der Sullivans-Insel gewöhnlich sehr milde, und selbst im tiefen Herbst kommt es nur sehr selten vor, dass man heizen muss. Mitte Oktober 18.. jedoch hatte man auf der Insel einen ungewöhnlich kalten Tag. Kurz vor Sonnenuntergang bahnte ich mir mühsam meinen Weg durch das Immergrün zu der Hütte meines Freundes, den ich seit mehreren Wochen nicht besucht hatte. Ich wohnte zu jener Zeit in Charleston, also etwa neun Meilen von der Insel entfernt, und die Gelegenheiten, vom Festland auf die Insel und wieder zurückzukommen, waren weit weniger häufig als heutzutage. Als ich an der Hütte angelangt war, klopfte ich wie gewöhnlich an, und als ich keine Antwort bekam, holte ich den Schlüssel aus seinem mir bekannten Versteck und schloss auf. Im Kamin brannte ein lustiges Feuer. Das war etwas Neues, aber durchaus nichts Unangenehmes. Ich legte meinen Überrock ab, warf mich recht nahe bei den knisternden Holzblöcken in einen Armstuhl und erwartete die Ankunft meines Wirtes.

Es war eben dunkel geworden, als er mit seinem Diener zurückkam und mich herzlichst bewillkommnete. Jupiter grinste von einem Ohr zum anderen und beeilte sich, ein paar Marschhühner zum Abendessen zurecht zu machen. Legrand litt wieder unter einem Anfall – anders kann man die Sache wohl kaum benennen – von Begeisterung. Er hatte ein ihm bisher unbekanntes zweischaliges Tier gefunden und außerdem mit Jupiters Hilfe einen Käfer gefangen, den er für noch absolut unentdeckt hielt und über den ich ihm am nächsten Morgen meine Meinung sagen sollte.

»Weshalb nicht schon heute Abend?«, fragte ich, während ich meine Hände über dem hell brennenden Feuer rieb und das ganze Geschlecht der Käfer zum Teufel wünschte.

»Ach, wenn ich nur gewusst hätte, dass Sie hier sind!«, sagte Legrand, »aber es ist so lange her, dass ich Sie zum letzten Male gesehen habe, und wie konnte ich denn ahnen, dass Sie mich gerade heute Abend besuchen würden? Auf dem Heimweg begegnete mir Leutnant G. – und ich habe ihm, Tor, der ich bin, den Käfer geliehen. Ich kann Ihnen meinen Fund also unmöglich vor morgen früh zeigen. Bleiben Sie die Nacht über hier, ich werde ihn durch Jupiter sofort nach Sonnenaufgang holen lassen. Er ist das reizendste Ding auf der Erde.«

»Was? Der Sonnenaufgang?«

»Unsinn! Der Käfer. Er ist von glänzend goldener Farbe – etwa so groß wie eine Walnuss – und hat an dem einen Ende des Rückens zwei gagatschwarze Flecken und an dem anderen einen einzelnen, etwas längeren. Die Fühlhörner sind –«

»Hat kein Horn, Massa Will, hab es schon oft gesagt«, fiel ihm hier Jupiter in das Wort, »der Käfer ist Goldkäfer, alles, alles Gold, inwendig und alles, Flügel auch Gold, hab noch nie so schweren Käfer getragen in mein Leben.«

»Nun, wie du willst, Jupiter«, erwiderte Legrand, wie mir schien in ernsterem Tone, als die Sache erforderte, »aber das ist doch kein Grund, um die Hühner anbrennen zu lassen? Die Farbe« – hier wandte er sich wieder an mich – »ist allerdings dazu angetan, um Jupiter auf solche Gedanken zu bringen. Man hat gewiss nie einen prächtigeren Metallglanz als den seiner Flügel gesehen; doch ich vergesse, dass Sie darüber erst morgen zu urteilen vermögen. Einstweilen kann ich Ihnen nur eine Vorstellung von seiner Gestalt geben.« Mit diesen Worten setzte er sich an einen kleinen Tisch, auf dem ich Tinte und Feder, jedoch kein Papier erblickte. Er suchte in einer Schublade herum, fand jedoch auch dort keins.

»Das schadet nichts!«, meinte er endlich. »Dies genügt auch.« Dabei zog er einen Fetzen aus seiner Westentasche, den ich für schmutziges Pro-Patria-Papier hielt, und zeichnete mit der Feder flüchtig etwas darauf hin. Während er dies tat, blieb ich noch immer in meinem Armstuhl beim Feuer sitzen, denn mich fröstelte noch. Als die Zeichnung fertig war, reichte er sie mir, ohne von seinem Stuhl aufzustehen, herüber. Ich nahm sie entgegen und hörte zu gleicher Zeit ein Knurren an der Tür, dem bald ein heftiges Kratzen folgte. Jupiter öffnete, und ein großer Neufundländer, Legrands Eigentum, stürzte herein, sprang an mir empor und überhäufte mich mit Liebkosungen. Ich hatte mich bei meinen früheren Besuchen sehr viel mit dem Tier beschäftigt, und es schien mich nun voller Freuden wiederzuerkennen. Als sich seine frohen Sprünge etwas mäßigten, betrachtete ich das Papier und muss gestehen, dass ich aus dem, was mein Freund da gezeichnet hatte, nicht recht klug zu werden vermochte.

»Allerdings«, sagte ich nach ein paar Minuten, »das muss ein sonderbarer Käfer sein. Ich habe wahrhaftig nie etwas Ähnliches gesehen – vielleicht Schädel oder Totenköpfe ausgenommen, denn denen sieht meiner Ansicht nach Ihr Käfer ähnlicher als sonst einem Ding auf Gottes Welt.«

»Ein Totenkopf«, wiederholte Legrand. »O ja – allerdings – auf dem Papier gleicht er einem solchen ein klein wenig. Die zwei oberen schwarzen Punkte könnten wohl die Augen sein und der längere unten der Mund – das Ganze ist ja auch oval.«

»Vielleicht ja«, sagte ich, »doch ich fürchte, Legrand, Sie sind kein großer Künstler. Wenn ich mir eine Vorstellung von dem Aussehen des Käfers machen soll, muss ich wohl warten, bis ich ihn selbst sehe.«

»Das weiß ich nicht!«, entgegnete er ein wenig pikiert, »ich zeichne doch eigentlich erträglich, wenigstens sollte ich es tun, denn ich habe gute Lehrer gehabt und schmeichle mir, kein direkter Dummkopf zu sein.«

»Aber lieber Kerl, dann wollen Sie wohl scherzen«, antwortete ich ihm. »Das ist ein recht passabler, ja sogar ein ausgezeichneter Schädel, wenigstens nach den Anforderungen, die das große Publikum an dergleichen anatomische Abbildungen stellt – und Ihr Käfer muss der sonderbarste Käfer von der Welt sein, wenn er ihm ähnlich sieht. Wir können ja ein recht schönes, aufregendes Stück Aberglauben auf ihm aufbauen. Nennen Sie den Käfer doch Scarabaeus caput hominis oder so ähnlich – die Naturgeschichte ist ja reich an solchen Titeln. Doch wo sind die Fühlhörner, von denen Sie eben sprachen?«

»Die Fühlhörner«, rief Legrand mit einer Wärme, die ich mir nicht zu erklären wusste, »die Fühlhörner müssen Sie doch gesehen haben. Ich habe sie so deutlich hingezeichnet, wie sie an dem Tier selbst zu sehen sind, und ich glaube, das genügt.«

»Nun«, sagte ich, »vielleicht haben Sie diese hingezeichnet, doch sehe ich sie nicht«, und reichte ihm das Papier ohne weitere Bemerkung zurück, da ich ihn nicht in üble Laune bringen wollte. Doch war ich über die Wendung der Sache sehr verwundert; die Aufregung meines Freundes war mir absolut unerklärlich, und was die Zeichnung anbetraf, so waren keine Fühlhörner auf ihr zu sehen, doch glich sie bis ins kleinste der bekannten Abbildung eines Totenkopfes.

Mürrisch nahm Legrand das Papier entgegen, wollte es schon zerknittern und wahrscheinlich ins Feuer werfen, als ein zufälliger Blick auf die Zeichnung seine Aufmerksamkeit zu fesseln schien. Im selben Augenblick wurde sein Gesicht von glühendem Rot übergossen, gleich darauf wurde er totenbleich. Während einiger Augenblicke betrachtete er die Zeichnung auf das genaueste, dann nahm er eine Kerze vom Tisch und ließ sich auf einer Kiste nieder, die in der entferntesten Ecke des Zimmers stand. Hier betrachtete er das Papier noch einmal mit angstvoller Aufmerksamkeit von allen Seiten. Dabei sprach er kein Wort, und obwohl mich sein Betragen aufs höchste überraschte, hielt ich es doch nicht für ratsam, seine wachsende Verstimmung durch irgendeine Bemerkung zu erhöhen. Endlich zog er ein kleines Schreibheft aus seiner Rocktasche, legte das Papier sorgfältig hinein und verschloss beides in seinem Schreibpult. Nun wurde er allmählich ruhiger, doch war seine anfängliche Begeisterung ganz geschwunden. Er schien weniger verdrießlich als vollständig in Gedanken versunken zu sein. Je mehr der Abend vorschritt, desto tiefer vergrub er sich in seine Träumereien, aus denen ihn auch scherzhafte Bemerkungen nicht aufzurütteln vermochten. Ich hatte die Absicht gehabt, wie schon oft vorher die Nacht in der Hütte zuzubringen, doch da ich meinen Wirt in dieser Stimmung fand, hielt ich es für angebracht, mich zu verabschieden. Er drängte mich auch nicht zum Bleiben, doch schüttelte er mir beim Abschied die Hand mit ungewöhnlicher Herzlichkeit.

2

Einen Monat später – ich hatte Legrand während der ganzen Zeit nicht mehr besucht – suchte mich sein Diener Jupiter in Charleston auf. Ich hatte den guten alten Neger noch nie so niedergeschlagen gesehen und fürchtete, dass seinem Herrn ein ernstliches Unglück zugestoßen sei.

»Nun, Jup?«, fragte ich, »was gibt's? Was macht dein Herr?«

»Soll ich sagen die Wahrheit, Massa, er nicht so wohl, als er sollte.«

»Dein Herr befindet sich nicht wohl? Das tut mir wahrhaftig leid; worüber klagt er denn?«

»Ja, das ist es – er klagen nie – aber sein doch sehr krank!«

»Sehr krank, Jupiter? Warum hast du das nicht gleich gesagt? Liegt er zu Bett?«

»Nein, er nicht liegen – er nicht wissen, wo der Schuh drückt; mein Herz schwer sein, für arme Massa Will.«

»Ich bitte dich, Jupiter, drücke dich deutlicher aus. Du sagst, dein Herr sei krank; hat er dir denn nie gesagt, was ihm fehlt?«

»Nun, Massa nicht brauchen sich aufregen darüber. Massa Will sagen, dass ihm gar nichts fehlen; aber was denn machen ihn so den Kopf hängenlassen und dann wieder dastehen steif wie ein Soldat und weiß im Gesicht wie eine Gans? Und was machen ihn immer die Figuren ansehen auf die Tafel – die tollsten Figuren, die ich gesehen in mein Leben? Muss jetzt immer ein scharfes Auge haben auf ihn. Vor ein paar Tagen er fortgelaufen, ehe die Sonne aufgegangen, und nicht zurückkehren den ganzen lieben Tag. Ich einen dicken Stock geschnitten, um ihm verdammte Schläge zu geben, wenn er kommen zurück; ich doch nicht getan haben, weil er aussehen so elend und krank.«

»Wie? Was? Aber ja, du hast recht, sei nur nicht streng mit dem armen Mann; schlag ihn ja nicht; er kann Schläge nicht ertragen. Aber kannst du dir denn gar nicht denken, was diese Krankheit oder vielmehr diese Veränderung in seinem Benehmen verursacht hat? Ist ihm denn, seit ich ihn zuletzt gesehen habe, irgendetwas Missliches zugestoßen?«

»Nein, Massa, nichts Schlimmes seit damals – ich fürchten, es vor damals – es war am selben Abend, an dem Sie bei uns gewesen sein.«

»Wie? Was meinst du?«

»Nun, Massa, ich meinen den Käfer – das ist's.«

»Wen?«

»Den Käfer! Ich sicher wissen, dass Massa Will gebissen worden an Kopf von dem Goldkäfer.«

»Und woher willst du das wissen?«

»Krallen genug, Massa, und Maul auch. Ich nie gesehen solch verdammten Käfer; er kratzen und beißen alles, was zu ihm hinkommen. Massa Will ihn rasch gefangen und mächtig rasch ihn wieder laufen lassen; da muss Massa Will Biss bekommen haben. Ich nicht mochte Käfer anfassen mit mein Finger, hab ihn gefangen mit ein Stück Papier, das ich hab gefunden. Ich ihn hab gewickelt in das Papier und ihm davon gesteckt ein Stück in das Maul – das war recht.«

»Und du glaubst also, dein Herr sei wirklich von dem Käfer gebissen und infolge des Bisses krank geworden?«

»Ich gar nix glauben – ich es wissen. Warum träumen er so viel von Gold, wenn ihn nicht gebissen der Goldkäfer? Ich schon oft gehört von Goldkäfer!«

»Wie weißt du denn, dass er von Gold träumt?«

»Wie ich es wissen? Er immer sprechen davon in sein Schlaf. So ich es wissen.«

»Nun, Jup, vielleicht hast du recht, aber welch glücklichem Umstand verdanke ich die Ehre deines Besuches?«

»Was Massa meinen?«

»Hast du mir von Herrn Legrand irgendetwas auszurichten?«

»Nein, Massa, ich bringen bloß diesen Brief.«

Hier überreichte mir Jupiter ein Billett folgenden Inhaltes:

›Mein Lieber!

Wie kommt es, dass wir uns so lange nicht mehr gesehen haben? Hoffentlich haben Sie mir mein zerstreutes Wesen bei unserem letzten Zusammensein nicht übel genommen. Ich glaube es wenigstens nicht. Seit Ihrem letzten Hiersein hatte ich oftmals Grund, unruhig zu sein. Ich habe Ihnen etwas zu sagen und weiß doch kaum wie, ja, ob ich es überhaupt sagen soll.

Ich befinde mich schon seit ein paar Tagen nicht ganz wohl, und der arme alte Jupiter plagt mich ganz unerträglich mit seiner wohlgemeinten Beaufsichtigung. Würden Sie es für möglich halten – er hatte sich neulich einen dicken Stock geschnitten, mit dem er mich züchtigen wollte, weil ich ohne ihn den ganzen Tag allein auf dem Festland in den Bergen umhergestreift war. Ich glaube, nur meinem jämmerlichen Aussehen habe ich es zu verdanken, dass ich ohne Prügel davonkam. Meine Sammlung hat sich seit unserem letzten Beisammensein nicht vergrößert.

Wenn es Ihnen irgendwie möglich ist, so kommen Sie mit Jupiter herüber. Bitte, kommen Sie doch! Ich möchte Sie noch heute Abend in einer wichtigen Angelegenheit sprechen. Ich versichere Ihnen, dass das, was ich Ihnen mitteilen will, von außerordentlicherWichtigkeit ist. Ganz der Ihrige.

William Legrand.‹

In dem Ton dieses Briefes lag etwas, das mich unruhig machte. Ich erkannte Legrands gewohnten Stil absolut nicht wieder. Worüber mochte er nur wieder nachgrübeln? Welche neue Grille spukte in seinem leicht erregbaren Hirn? Was konnte das für eine ›außerordentlich wichtige‹ Angelegenheit sein, die er mit mir besprechen wollte? Jupiters Bericht ließ auf nichts Gutes schließen. Ich fürchtete schon, das andauernde Missgeschick hätte meinen Freund um den letzten Rest seines Verstandes gebracht. Ohne einen Augenblick zu zögern, machte ich mich bereit, dem Neger zu folgen.

Als wir das Ufer erreichten, bemerkte ich auf dem Boden des Kahnes, den wir besteigen mussten, eine Sense und drei Spaten, alles dem Anschein nach ganz neu.

»Was soll das, Jup?«, fragte ich.

»Die Sense, Massa, und die Spaten?«

»Ja, was tun die hier?«

»Die Sense und die Spaten, ich haben gekauft in der Stadt für Massa Will und haben geben müssen dafür verteufelt viel Geld.«

»Aber so sag mir doch im Namen alles Geheimnisvollen, was denn dein Massa Will mit den Spaten und der Sense vorhat?«

»Das sein mehr, als ich weiß, und der Teufel soll mich holen, wenn Massa Will es selbst wissen. Aber alles gekommen von dem Käfer.«

Da ich sah, dass aus dem Alten nichts herauszubringen war, weil all seine Gedanken um den Käfer zu kreisen schienen, stieg ich ins Boot und zog das Segel auf. Mit günstigem starken Wind liefen wir bald in die kleine Bucht nördlich vom Fort Moultrie ein und erreichten von dort zu Fuß nach zwei Meilen die Hütte.

Es war ungefähr drei Uhr nachmittags, als wir ankamen. Legrand hatte uns mit verzehrender Ungeduld erwartet. Er ergriff meine Hand mit einem nervösen Eifer, der mich beunruhigte und meine Meinung über seinen Gesundheitszustand nur bestärkte. Eine geisterhafte Blässe lag über seinen Zügen, und seine tiefliegenden Augen sprühten in unnatürlichem Glanz. Nachdem ich mich nach seinem Befinden erkundigt hatte, fragte ich, da mir nichts Besseres einfiel, ob er den Käfer schon von Leutnant G. zurückerhalten habe.

»O ja«, antwortete er, und ein heftiges Rot stieg in sein Gesicht. »Ich bekam ihn am folgenden Morgen zurück. Von diesem Käfer würde ich mich niemals wieder trennen. Wissen Sie auch, dass Jupiter mit seiner Ansicht vollkommen recht hatte?«

»Mit welcher Ansicht?«, fragte ich, von traurigen Ahnungen erfüllt.

»Dass der Käfer von wirklichem Gold sei«, entgegnete er mir mit solch tiefem, ernstem Ton, dass mir unaussprechlich bange dabei wurde. »Dieser Käfer wird mich zum reichen Mann machen«, fuhr er mit triumphierendem Lächeln fort, »er wird mir wieder zu den Besitzungen meiner Familie verhelfen. Ist es also zu verwundern, dass ich ihn so hochschätze? Ich brauche ihn bloß richtig anzuwenden, um all das Gold, das er andeutet, zu bekommen. Jupiter, geh und hole den Käfer.«

»Was? Den Käfer, Massa? Will nix haben zu tun mit dem Käfer, Massa müssen ihn holen selbst.«

Darauf stand Legrand ernst und würdevoll auf und brachte den Käfer, den er in einem Glasbehälter eingeschlossen gehalten hatte.

Es war ein wundervolles Insekt, zu jener Zeit in der Naturgeschichte noch unbekannt und deshalb vom wissenschaftlichen Standpunkt aus von hohem Wert. An dem einen Ende des Rückens befanden sich zwei runde Flecken, am entgegengesetzten ein länglicher. Die Flügeldecken waren ungemein hart und glänzend und glichen brüniertem Golde. Das Insekt hatte ein ganz beträchtliches Gewicht, und als ich alle diese Umstände erwog, musste ich mir sagen, dass Jupiters Ansicht nur zu erklärlich sei; wie jedoch Legrand dazu kam, diese zu teilen, war mir absolut unverständlich.

»Ich habe zu Ihnen geschickt«, fuhr er, als ich den Käfer genug betrachtet hatte, in stolzer Beredsamkeit fort, »um Sie um Ihren Rat und Beistand zu bitten, Wenn ich dem Wink des Schicksals und des Käfers folge ... «

»Mein lieber Legrand«, unterbrach ich ihn rasch, »Sie fühlen sich gewiss unwohl und täten besser daran, sich ein wenig zu schonen. Legen Sie sich zu Bett; ich werde ein paar Tage bei Ihnen bleiben, bis Sie wieder hergestellt sind. Sie fiebern ja und …«

»Fühlen Sie mir doch nur einmal den Puls«, sagte er.

Ich tat es und fand wirklich keine Spur von Fieber.

»Aber Sie können auch ohne Fieber krank sein. Erlauben Sie mir doch, Ihnen etwas zu verschreiben. Fürs erste legen Sie sich zu Bett. Dann wollen wir ...«

»Sie irren sich«, fiel er mir ins Wort. »Ich befinde mich so wohl, wie es bei der Aufregung, unter der ich leide, nur möglich ist. Wenn Sie mir wirklich wohlwollen, so befreien Sie mich von der Aufregung.«

»Und wodurch könnte ich es?«

»Durch eine Kleinigkeit. Jupiter und ich wollen einen Ausflug in die Berge auf dem Festland unternehmen und bedürfen dabei der Hilfe einer Person, der wir vertrauen können. Sie sind der einzige, zu dem ich Zutrauen habe. Und ob unsere Bemühungen erfolgreich sein werden oder nicht, jedenfalls würde sich die Aufregung, die Sie jetzt an mir bemerken, legen.«

»Es soll mir eine Freude sein, Ihnen jeden Gefallen zu erweisen«, erwiderte ich, »aber wollten Sie vielleicht sagen, dass jener unglückselige Käfer mit dem Ausflug in die Berge in irgendeiner Verbindung steht?«

»Allerdings!«

»Dann muss ich Ihnen leider erklären, Legrand, dass ich mit einer solch absurden Geschichte nichts zu tun haben will!«

»Das tut mir leid – sehr leid, denn so müssen wir die Sache allein ausführen.«

Allein ausführen, dachte ich, der Mann ist ganz von Sinnen.

»Wie lange wird wohl Ihre Abwesenheit dauern?«, fragte ich dann.

»Wahrscheinlich die ganze Nacht. Wir werden sogleich aufbrechen und unter allen Umständen bei Sonnenaufgang wieder zurücksein.«

»Und wollen Sie mir auf Ihr Ehrenwort versprechen, dass Sie, wenn Sie diese Grille befriedigt und die ganze Käferaffäre erledigt haben, nach Hause zurückkehren und meinem Rat als dem eines Arztes unbedingt Folge leisten werden?«

»Ja, ich verspreche es; aber nun wollen wir aufbrechen und keine Minute Zeit verlieren.«

Mit schwerem Herzen entschloss ich mich, meinen Freund zu begleiten.

3

Es mochte gegen vier Uhr sein, als wir uns auf den Weg machten, Legrand, Jupiter, der Hund und ich. Jupiter führte die Sense und die beiden Spaten mit und bestand darauf, alles allein zu tragen, allerdings, wie mir schien, mehr aus Furcht, sein Herr könne mit den Werkzeugen irgendein Unheil anrichten als aus einem Übermaß von Fleiß und Gefälligkeit. Er sah im höchsten Grade bissig aus, und auf dem ganzen Weg kam kein anderes Wort über seine Lippen als hin und wieder der Fluch: »Der verdammter Käfer!«

Ich selbst trug ein paar Blendlaternen, während sich Legrand nur mit dem Käfer beschäftigte, den er an das Ende einer Peitschenschnur gebunden hatte und mit der Miene eines Beschwörers hin und her drehte. Als ich diesen letzten klaren Beweis von der Geistesverwirrung meines Freundes erhielt, konnte ich mich der Tränen fast nicht mehr erwehren. Ich hielt es jedoch für das Beste, einstweilen auf seine Ideen einzugehen, bis sich mir Gelegenheit bot, energischere Maßregeln anzuwenden. Mittlerweile versuchte ich, jedoch vergebens, den Zweck dieses Ausfluges aus ihm herauszulocken. Nachdem es ihm einmal gelungen war, mich zum Mitgehen zu bewegen, schien er nicht geneigt, über irgendeinen unwichtigeren Gegenstand zu reden und antwortete auf alle meine Fragen nur mit den Worten: »Werden schon sehen.«

Am oberen Ende der Insel setzten wir in einem Kahn über die Bucht, erkletterten das hohe Ufer des Festlandes und schritten in nordwestlicher Richtung durch eine ungemein wilde und öde Gegend weiter, in der auch nicht eine einzige menschliche Fußspur zu entdecken war. Legrand führte uns sicher und blieb nur dann und wann einen Augenblick stehen, um nach Wegzeichen zu spähen, die er offenbar selbst bei einem seiner früheren Ausflüge gemacht hatte.

Wir waren ungefähr zwei Stunden geschritten, und die Sonne neigte sich schon dem Untergang zu, als wir in eine Gegend gelangten, wie ich sie trauriger und trüber noch nie gesehen hatte. Es war eine Art Tafelland nahe dem Gipfel eines anscheinend unzugänglichen Berges, der vom Fuß bis zur Spitze bewaldet und mit riesigen Felsblöcken dicht besät war, die lose umher zu liegen schienen und manchmal nur deshalb nicht in die Tiefe hinabrollten, weil sie zufälligerweise gegen einen Baum lehnten. Wilde Schluchten, die den Berg nach allen Seiten hin durchfurchten, erhöhten noch die starre Feierlichkeit der Landschaft.

Die natürliche Plattform, die wir mit vieler Mühe erklommen, war so dicht mit Brombeergebüsch bewachsen, dass wir uns nur mit Hilfe der Sense einen Weg hindurchbahnen konnten. Jupiter ging voran und ebnete uns nach Anweisung seines Herrn den Pfad zu einem ungeheuer hohen Tulpenbaum, der mit acht oder zehn Eichen auf einer ebenen Fläche stand und sie alle sowie alle anderen Bäume, die ich je in meinem Leben gesehen, an Schönheit seines Laubwerks, Majestät der Form und Ausdehnung seiner Zweige bei weitem übertraf.

Als wir zu diesem Baum gekommen waren, wandte sich Legrand an Jupiter und fragte, ob er sich hinaufzuklimmen getraue? Den alten Mann schien diese Frage etwas zu befremden, denn es verstrichen einige Augenblicke, ehe er antwortete. Endlich näherte er sich dem ungeheuren Stamm, ging langsam um ihn herum und prüfte ihn aufs eingehendste. Als er damit fertig war, sagte er bloß:  »Ja, Massa, Jup klettern auf jeden Baum, den er sehen in sein Leben.«

»Dann hinauf mit dir, so schnell wie möglich; es wird sowieso bald zu dunkel sein für unsere Angelegenheit.«

»Wie weit ich müssen hinauf?«, fragte Jup.

»Klettere zuerst den Hauptstamm hinauf, dann sage ich dir, welche Richtung du einschlagen sollst und hier – warte – nimm den Käfer mit!«

»Den Käfer, Massa Will? – Den Goldkäfer?«, rief der Neger und wich entsetzt zurück. »Warum müssen der Käfer auf den Baum? Will sein verdammt, wenn ich das tun!«

»Wenn du zu bange bist, Jup, du großer, starker Neger, einen harmlosen, toten kleinen Käfer in die Hand zu nehmen, dann kannst du ihn ja an der Schnur halten. Wenn du ihn aber auch dann nicht mitnehmen willst, bleibt mir nichts anderes übrig, als dir mit dieser Schaufel den Schädel einzuschlagen.«

»Was denn zornig, Massa?«, sagte nun Jupiter, offenbar beschämt und willens, zu gehorchen. »Massa immer müssen zanken mit alten Neger. Jup haben gemacht Spaß. Jup nicht fürchten Käfer. Jup nicht scheren um Käfer.« Und vorsichtig nahm er das äußerste Ende der Schnur in die Hand, hielt das Insekt, soweit es nur die Umstände gestatteten, von seinem Körper entfernt und machte sich bereit, den Baum zu erklettern.

Der Tulpenbaum, Liriodendron tulipiferum, der schönste aller amerikanischen Bäume, hat, wenn er noch jung ist, einen eigentümlich glatten Stamm, von dem sich die Seitenäste erst in ziemlicher Höhe abzweigen. Wird er älter, so wird seine Rinde uneben und rau, und viele kleine Ästchen schießen aus dem Stamm hervor. Seine Ersteigung bietet dann eigentlich eine mehr scheinbare als wirkliche Schwierigkeit. Jupiter klammerte sich mit seinen Armen und Knien möglichst fest an den ungeheuren Zylinder, ergriff mit den Händen die Vorsprünge, ließ dann und wann seine nackten Zehen auf einigen anderen ausruhen, zog sich so bis zur ersten Gabel hinauf und schien nun seine Aufgabe in der Hauptsache für vollendet zu halten. Das Gefährlichste hatte er in der Tat auch überstanden, obschon der Kletterer einige sechzig oder siebzig Fuß über dem Boden schwebte.

»Welchen Weg müssen ich gehen, Massa Will?«, fragte er.

»Den größten Ast hinauf – an dieser Seite!«, rief ihm Legrand zu.

Der Neger vollführte den Befehl anscheinend ohne allzu große Anstrengung. Er stieg höher und höher, bis man keinen Zoll seiner zusammengekauerten Gestalt durch das dichte Laubwerk mehr erblicken konnte.

Nach einer kurzen Zeit vernahmen wir ein kurzes »Hallo!« von ihm.

»Wie weit müssen ich noch gehen?«

»Wie hoch bist du?«, fragte Legrand zurück.

»Ganz ganz hoch!«, rief der Neger herunter, »kann sehen die Himmel von die Spitze von der Baum.«

»Lass den Himmel zufrieden und tu, was ich dir sage. Blick einmal den Baum entlang nach unten und zähl die Äste, die du unter dir hast. Über wie viele bist du geklettert?«

»Eins, zwei, drei, vier, fünf – ich geklettert über fünf große Äste an diese Seite.«

»So klettere noch einen Ast höher.«

Nach einigen Minuten hörten wir die Stimme abermals, die uns meldete, dass der siebente Ast erreicht sei.

»Und nun, Jup«, schrie Legrand, offenbar in höchster Erregung, »musst du auf diesen Ast hinausklettern, soweit du nur kannst, und sobald du etwas Seltsames siehst, lass es mich wissen.«

Hatte ich bis jetzt noch etwa gezweifelt, dass mein armer Freund wirklich wahnsinnig sei, so musste mich sein Benehmen in diesen letzten Augenblicken vollständig davon überzeugen. Ich dachte mit Schrecken daran, was ich beginnen sollte, um ihn in seine Hütte zurückzuführen, als ich Jupiters Stimme von neuem vernahm.

»Jup fürchten, weit herauszuklettern auf diesen Ast – ist tot, ganz tot.«

»Sagtest du, der Ast ist tot?«, fragte Legrand mit zitternder Stimme.

»Ja, Massa, tot wie ein Türnagel, ganz tot, nie mehr wachsen in sein Leben!«

»Was um Himmels willen soll ich tun?«, fragte Legrand, anscheinend in größter Verlegenheit.

»Was Sie tun sollen?«, rief ich, froh darüber, endlich Gelegenheit zu haben, einen Rat anzubringen. »Lassen Sie uns nach Hause gehen, damit Sie sich zu Bett legen können. Kommen Sie, Sie sind doch ein vernünftiger Mensch! Es wird spät, und überdies erinnern Sie sich an Ihr Versprechen.«

»Jupiter«, schrie er, ohne sich im geringsten um meine Worte zu kümmern, »verstehst du mich?«

»Ja, Massa, ich verstehen ganz deutlich.«

»So prüfe das Holz mit deinem Messer genau und sieh zu, ob es sehr verfault ist.«

»Holz verfault, Massa, gewiss verfault«, erwiderte der Neger nach einigen Augenblicken, »aber doch nicht ganz verfault – will allein hinausklettern auf den Ast.«

»Allein? Was soll das heißen?«

»Nun, Jup meinen den Käfer, den schweren Käfer. Will ihn herunterfallen lassen, dann wird Ast nicht brechen mit alten Neger.«

»Du höllischer Schurke«, schrie Legrand, augenscheinlich höchlichst erleichtert, »was soll dieser Unsinn bedeuten? Wenn du den Käfer fallen lässt, breche ich dir das Genick. Schau her, Jupiter, hörst du mich?«

»Ja, Massa brauchen nicht so zu schreien über armen Neger.«

»Also hör zu. Wenn du auf den Ast hinauskletterst, soweit du eben glaubst, dass er dich trägt, so schenke ich dir einen Silberdollar, sobald du wieder herunterkommst.«

»Ich tun es, Massa Will«, antwortete der Neger prompt, »bin jetzt ganz am Ende.«

»Ganz am Ende?«, schrie hier Legrand aus Leibeskräften. »Sagst du die Wahrheit? Bist du ganz am Ende?«

»Jetzt am Ende, Massa – oh, oh, oh: meine Güte, was ist das da auf dem Baum?«

»Nun«, rief Legrand, wie freudig erschrocken, »was ist es?«

»Nix als ein Schädel, Massa – hat einer Kopf gelassen auf dem Baum, haben Krähen alles Fleisch abgebissen von.«

»Ein Schädel, sagst du? Sehr gut, wie ist er an dem Zweig befestigt? Was hält ihn fest?«

»Jupiter müssen nachsehen – das sein aber kurios, sehr kurios, wahrhaftig! Großer Nagel sein in Schädel und halten es fest an die Ast.«

»Nun pass auf, Jupiter, und tue alles genau so, wie ich es dir sage. Hörst du?«

»Jawohl, Massa.«

»Also – such das linke Auge des Schädels.«

»Hu hu! Das sein gut! Aber da sein nicht mehr Auge.«

»Verfluchter Dummkopf, weißt du denn nicht, was rechts und links ist?«

»Ja, Jupiter das wissen – wissen das alles – Jupiter hauen Holz mit seine linke Hand.«

»Ganz recht, du arbeitest linkshändig; dein linkes Auge ist auf derselben Seite wie deine linke Hand. Nun wirst du auch das linke Auge des Schädels finden oder wenigstens die Stelle, wo es gewesen ist. Hast du es gefunden?«

Hier trat eine lange Pause ein. Endlich fragte der Neger: »Ist linkes Auge auf die Seite wie linke Hand von Schädel? Jupiter fragen, weil Schädel hat kein Stück von einer Hand. Aber tut nix, hab jetzt gefunden linkes Auge; hier ist linkes Auge; was müssen Jupiter tun damit?«

»Lass den Käfer durch die Höhlung hinabfallen, soweit die Schnur reicht – aber gib Obacht und lass nicht etwa die Schnur selbst fallen.«

»Alles getan, Massa Will. Mächtig leichtes Ding, Käfer durch das Loch stecken. Sehen ihn schon unten!«

Während dieses Zwiegesprächs war von Jupiters Person nicht das geringste zu sehen gewesen; doch der Käfer, den er an der Schnur herabgelassen hatte, wurde nun sichtbar und schimmerte in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne wie eine kleine Kugel brünierten Goldes. Er hing ganz frei und wäre, wenn man losgelassen hätte, dicht vor unseren Füßen niedergefallen.

Legrand ergriff nun unverzüglich die Sense und mähte einen Kreis von drei bis vier Ellen im Durchmesser, gerade unter dem Insekt, frei. Dann befahl er dem Neger, die Schnur fallen zu lassen und von dem Baum herabzukommen.

Mein Freund schlug nun mit vieler Sorgfalt, genau an der Stelle, auf welche der Käfer niedergefallen war, einen Pflock in den Boden und zog ein Maß aus Zwirnband aus seiner Tasche. Eines der Enden des Maßes befestigte er an dem Punkt des Stammes, der dem Pflock am nächsten war, und entfaltete es dann so lange, bis es an den Pflock reichte, und vom Pflock ab in der durch Baum und Pflock nun einmal angezeichneten Richtung noch etwa fünfzig Fuß weiter – Jupiter musste das dabei im Wege stehende Brombeergebüsch abmähen. An dem so erreichten Ort wurde ein zweiter Pflock in die Erde geschlagen und um diesen als Mittelpunkt ein roher Kreis von ungefähr vier Fuß Durchmesser gezogen. Legrand ergriff nun selbst einen Spaten, gab Jupiter und mir ebenfalls einen in die Hand und bat uns, so rasch wie nur möglich zu graben.

Ich habe nie in meinem Leben Vergnügen an dergleichen Arbeit gehabt und hätte in diesem Augenblick ganz besonders gern auf sie verzichtet, denn die Nacht kam heran, und ich war von den voraufgegangenen Anstrengungen ziemlich müde geworden. Doch fand ich keine Ausrede und fürchtete, meinen armen Freund durch eine einfache Weigerung in unnötige Aufregung zu versetzen.

Hätte ich mich auf Jupiter verlassen können, so hätte ich keinen Augenblick gezögert, den Irrsinnigen mit Gewalt nach Hause zu bringen, doch kannte ich den alten Neger zu gut, um hoffen zu dürfen, dass er mir unter irgendwelchen Umständen gegen