Der Graf von Monte Christo - Alexandre Dumas - E-Book
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Der Graf von Monte Christo E-Book

Dumas Alexandre

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Beschreibung

Wer kennt sie nicht, die unvergängliche Geschichte des jungen Offiziers Edmond Dantès, der, am Anfang einer glänzenden Karriere stehend, von Neidern denunziert und auf der eigenen Hochzeit gefangengenommen wird? Man klagt den Neunzehnjährigen des Hochverrats an und verurteilt ihn zu lebenslanger Haft im Inselgefängnis von Château d’If. Doch das Schicksal gibt ihm eine zweite Chance. Nach vierzehnjähriger furchtbarer Gefangenschaft, die er nur dank seines italienischen Mithäftlings, des gelehrten Abbé Faria, überlebt, gelingt Dantès die Flucht in Farias Leichensack. Vor seinem Tod macht der Abbé ihn außerdem zum alleinigen Erben seines Familienschatzes, der auf der Insel Monte Christo vergraben liegen soll. Dantès findet den Schatz und kehrt mit neuer Identität, als der unermesslich reiche Graf von Monte Christo, nach Frankreich zurück. Sein in vierzehn Jahren nie erloschener Schwur, gnadenlos Rache zu nehmen an den Menschen, die seine Jugend und sein Glück zerstört haben, wird nun zum Leitmotiv seines Handelns ...

Der Roman wurde vielfach verfilmt, unter anderem mit Gérard Depardieu und Ornella Muti in den Hauptrollen.

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Seitenzahl: 1359

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Alexandre Dumas

Der Graf von Monte Christo

Roman

Impressum

Titel der OriginalausgabeLe Comte de Monte-CristoAus dem Französischen übersetzt

ISBN 978-3-8412-0094-5

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, 2010

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Die vorliegende Übersetzung erschien erstmals 1955 bei

Rütten & Loening; Rütten und Loening ist eine Marke der

Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z. B. über das Internet.

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Innentitel

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Impressum

Inhaltsübersicht

Ankunft in Marseille

Vater und Sohn

Das Katalonierdorf

Die Verschwörung

Das Verlobungsmahl

Der Zweite Staatsanwalt

Das Verhör

Das Château d’If

Das kleine Kabinett in den Tuilerien

Der Korse

Vater und Sohn

Die Hundert Tage

Der gefährliche Gefangene und der wahnsinnige Gefangene

Nummer 34 und Nummer 27

Ein italienischer Gelehrter

Die Zelle des Abbés

Der Plan

Der Schatz

Der dritte Anfall

Der Friedhof des Château d’If

Die Insel Tiboulen

Das Schmugglerschiff

Die Insel Monte Christo

Gold

Der Unbekannte

Die Herberge vom Pont du Gard

Der Bericht

Die Register der Gefangenen

Das Haus Morrel

Der fünfte September

Sindbad der Seefahrer

Das Erwachen

Was der Wirt erzählte: Die Geschichte Luigi Vampas

Der Graf von Monte Christo

In Paris

Die Vorstellung

Bertuccio

Das Haus in Auteuil

Die Vendetta

Der Blutregen

Der unbegrenzte Kredit

Die Apfelschimmel

Haidee

Pyramus und Thisbe

Die Lehre von den Giften

Der Major Cavalcanti und sein Sohn

Das Diner

Der Bettler

Heiratspläne

Das Arbeitszimmer des Staatsanwalts

Brot und Salz

Das Versprechen

Das Protokoll

Ali Tebelin

Die Limonade

Die Anklage

Man schreibt uns aus Janina

Der Einbruch

Die Hand Gottes

In der Pairskammer

Die Beschimpfung

Die Nacht

Auf der Walstatt

Mutter und Sohn

Der Selbstmord

Die Krankheit

Der Kontrakt

Das Gesetz

Die Erscheinung

Die Giftmischerin

Valentine

Maximilian

Die Unterschrift Danglars’

Der Friedhof Père-Lachaise

Die Teilung

Die Löwengrube

Der Richter

Vor dem Schwurgericht

Sühne

Die Abreise

Die Vergangenheit

Peppino

Luigi Vampas Speisenkarte

Die Verzeihung

Der fünfte Oktober

Alexandre Dumas

1829

Zeichnung von Achille Devéria

Ankunft in Marseille

Am 24. Februar 1815 zeigte die Hafenwache von Notre-Dame de la Garde in Marseille das Herannahen des Dreimasters »Pharao« an, der von Smyrna, Triest und Neapel kam.

Ein Küstenlotse verließ sofort den Hafen, fuhr am Château d’If vorbei und erreichte das Schiff zwischen dem Kap Morgion und der Insel Rion.

Auf der Terrasse des Forts Saint-Jean war, wie immer bei Ankunft eines Schiffes, sofort eine neugierige Menschenmenge zusammengeströmt. Jeder Marseiller erkannte den »Pharao«, da er einem Reeder der Stadt gehörte.

Das Schiff näherte sich indessen so langsam, und alles an Bord machte einen so niedergeschlagenen Eindruck, daß die Neugierigen instinktiv ein Unglück ahnten und sich fragten, was für ein Unfall sich an Bord zugetragen haben könnte. Nichtsdestoweniger erkannten die Schiffskundigen gleich, daß, wenn sich ein Unfall zugetragen hätte, dieser nicht das Schiff selbst betroffen haben konnte, denn dieses fuhr in aller Ordnung daher, und neben dem Lotsen, welcher die Leitung des »Pharao« durch die enge Einfahrt des Marseiller Hafens übernommen hatte, stand ein junger Mann, der jede Bewegung des Schiffes mit lebhaftem Auge überwachte und jeden Befehl des Lotsen schnell und sicher wiederholte.

Die unbestimmte Unruhe unter der Menge auf der Esplanade des Forts Saint-Jean hatte ganz besonders einen der Zuschauer ergriffen, der offenbar die Einfahrt des Schiffes in den Hafen nicht erwarten konnte; er sprang in eine kleine Barke und befahl, dem »Pharao« entgegenzurudern, den er gegenüber der Anse de la Réserve erreichte.

Als der junge Seemann diesen Mann kommen sah, verließ er seinen Platz an der Seite des Lotsen und trat mit dem Hute in der Hand an die Reling.

Es war ein junger Mann von achtzehn bis zwanzig Jahren, groß und schlank, mit schönen schwarzen Augen und tiefschwarzem Haar; seine ganze Person trug jenen Stempel der Ruhe und Entschlossenheit, wie er Männern, welche von Kindheit an daran gewöhnt sind, mit der Gefahr zu kämpfen, eigentümlich ist.

»Ah, Sie sind’s, Dantès!« rief der Mann in der Barke. »Was ist denn passiert, und warum trägt alles an Bord diesen Ausdruck der Trauer?«

»Ein großes Unglück, Herr Morrel«, antwortete der junge Mann, »besonders für mich! Auf der Höhe von Civitavecchia haben wir den braven Kapitän Leclère verloren.«

»Und die Ladung?« fragte rasch der Reeder.

»Die ist unversehrt, Herr Morrel, und ich glaube, daß Sie in dieser Beziehung zufrieden sein werden; aber der arme Kapitän …«

»Was ist ihm denn zugestoßen?« fragte der Reeder, sichtlich ruhiger.

»Er ist tot.«

»Ins Meer gestürzt?«

»Nein, er ist am Nervenfieber gestorben. Er hat fürchterlich gelitten.« Dann, sich zu der Mannschaft wendend, befahl er: »Holla! Jedermann an seinen Posten! Anker klar!«

Die Mannschaft gehorchte; jeder der acht bis zehn Matrosen nahm seinen Posten ein.

Der junge Mann warf einen flüchtigen Blick auf den Anfang des Manövers, und da er sah, daß seine Befehle ausgeführt wurden, wandte er sich wieder dem Reeder zu.

»Aber wie ist denn das Unglück gekommen?« nahm dieser die Unterhaltung wieder auf.

»Mein Gott, Herr Morrel, ganz unvorhergesehen: Nach einer langen Unterhaltung mit dem Hafenkommandanten verließ der Kapitän in großer Erregung Neapel; nach vierundzwanzig Stunden befiel ihn das Fieber; drei Tage darauf war er tot … Wir haben ihm die gewohnte Totenfeier bereitet, und er ruht, eingehüllt in eine Hängematte, mit einer Kugel von sechsunddreißig Pfund an den Füßen und einer am Kopf, auf der Höhe der Insel Giglio. Sein Ehrenkreuz und seinen Degen bringen wir seiner Witwe. Es war auch der Mühe wert«, fuhr der junge Mann melancholisch lächelnd fort, »sich zehn Jahre lang mit den Engländern zu schlagen, um schließlich wie jeder andere im Bett zu sterben.«

»Je nun, Herr Edmond«, entgegnete der Reeder, der sich mehr und mehr zu trösten schien, »wir sind alle sterblich, und die Alten müssen den Jungen Platz machen, wie säh’s sonst mit dem Avancement aus, und da Sie mir versichern, daß die Ladung …«

»Ist in gutem Zustande, Herr Morrel, dafür bürge ich. Die Fahrt bringt Ihnen über fünfundzwanzigtausend Franken ein.«

Dann wandte er sich wieder der Mannschaft zu und erteilte seine Befehle, die so genau ausgeführt wurden wie auf einem Kriegsschiff.

Alle Segel wurden eingezogen, und das Schiff näherte sich mit fast unmerklicher Bewegung dem Hafen.

»Und jetzt, Herr Morrel«, sagte Dantès, der die Ungeduld des Reeders sah, »können Sie an Bord kommen, wenn Sie wünschen … Da kommt Ihr Rechnungsführer, Herr Danglars, eben aus seiner Kajüte, der wird Ihnen jede gewünschte Auskunft geben. Ich meinerseits muß das Ankerwerfen überwachen und das Schiff Trauer anlegen lassen.«

Der Reeder ergriff ein Tau, das Dantès ihm zuwarf, und kletterte mit einer Gewandtheit, die einem Seemanne Ehre gemacht hätte, die Sprossen an der Seite des Schiffes hinauf, während Dantès auf seinen Posten zurückkehrte. Unterdessen ging der Rechnungsführer Danglars dem Reeder entgegen.

Danglars war ein Mann von etwa fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, von finsterem Aussehen, unterwürfig gegen seine Vorgesetzten, anmaßend gegen seine Untergebenen. Rechnungsführer werden von der Mannschaft immer scheel angesehen, aber Danglars war den Leuten auch persönlich verhaßt, ganz im Gegensatz zu Edmond Dantès, den alle liebten.

»Nun, Herr Morrel«, sagte Danglars, »Sie wissen das Unglück schon, nicht wahr?«

»Ja, ja; der arme Kapitän! Ein braver und ehrenwerter Mann!«

»Und vor allem ein ausgezeichneter Seemann, der zwischen Himmel und Wasser alt geworden war. Er verdiente es, die Interessen eines so bedeutenden Hauses wie Morrel und Sohn wahrzunehmen«, antwortete Danglars.

»Nun«, sagte der Reeder, dessen Augen Dantès folgten, welcher einen Platz zum Ankerwerfen suchte, »mir scheint, Danglars, man braucht nicht solch alter Seemann zu sein, wie Sie sagen, um sein Fach zu verstehen; unser Freund Edmond erfüllt seine Pflichten scheint’s wie ein Mann, der nicht nötig hat, einen andern um Rat zu fragen.«

»Ja«, entgegnete Danglars, indem er auf Dantès einen Seitenblick voll heimlichen Hasses warf, »ja, ein junger Mensch, der sich alles zutraut. Kaum, daß der Kapitän tot war, so übernahm er das Kommando, ohne vorher mit jemand Rücksprache zu nehmen, und er hat uns anderthalb Tage bei der Insel Elba verlieren lassen, statt direkt nach Marseille zu gehen.«

»Daß er das Kommando übernahm«, sagte der Reeder, »war seine Pflicht als Erster Offizier, daß er anderthalb Tage bei der Insel Elba verlor, war unrecht, falls das Schiff nicht irgendwelche Havarie erlitten hatte, so daß er ausbessern mußte.«

»Dem Schiff fehlte ebensowenig etwas wie Ihnen oder mir, Herr Morrel; diese anderthalb Tage haben wir bloß des Vergnügens wegen, ans Land zu gehen, verloren.«

»Dantès«, wandte sich der Reeder zu dem jungen Manne, »kommen Sie einmal her.«

»Einen Augenblick«, erwiderte Dantès, »ich bin sofort bei Ihnen.« Dann erteilte er den Befehl, den Anker zu werfen. Trotz der Anwesenheit des Lotsen blieb er auf seinem Posten, bis das Manöver ausgeführt war.

»Sehen Sie«, bemerkte Danglars, »er hält sich schon für den Kapitän.«

»Er ist’s auch tatsächlich«, entgegnete der Reeder.

»Ja, bis auf Ihre und Ihres Herrn Teilhabers Unterschrift, Herr Morrel.«

»Nun, warum sollten wir ihn nicht auf diesem Posten lassen?« fragte der Reeder. »Ich weiß wohl, er ist noch jung, aber er scheint mir dem Posten gewachsen zu sein und hat große Erfahrung in seinem Fache.«

Die Stirn Danglars’ verfinsterte sich.

»Entschuldigen Sie, Herr Morrel«, sagte Dantès näher tretend; »jetzt, da das Schiff vor Anker liegt, stehe ich vollständig zu Ihrer Verfügung.«

Danglars trat einen Schritt zurück.

»Ich wollte Sie fragen, warum Sie sich auf der Insel Elba aufgehalten haben.«

»Es geschah, Herr Morrel, um einen letzten Befehl des Kapitäns Leclère zu erfüllen, der mir sterbend ein Paket für den Großmarschall Bertrand übergeben hatte.«

»Haben Sie ihn denn gesehen, Edmond?«

»Wen?«

»Den Großmarschall?«

»Jawohl.«

Morrel sah sich um und zog Dantès beiseite.

»Und wie geht’s dem Kaiser?« fragte er lebhaft.

»Gut, wenigstens soweit ich es mit meinen Augen habe beurteilen können.«

»Sie haben also auch den Kaiser gesehen?«

»Er trat bei dem Marschall ein, während ich dort war.«

»Und Sie haben mit ihm gesprochen?«

»Das heißt, er hat mit mir gesprochen, Herr Morrel«, entgegnete Dantès lächelnd.

»Und was hat er zu Ihnen gesagt?«

»Er stellte mir Fragen über das Schiff, die Zeit der Abreise nach Marseille, den Weg, den es genommen hatte, und die Ladung. Ich glaube, wäre es leer gewesen und hätte es mir gehört, so hätte er es zu kaufen gewünscht; aber ich sagte ihm, daß ich nur der Erste Offizier wäre und das Schiff dem Hause Morrel und Sohn gehörte. – ›Aha‹, erwiderte er, das Haus ist mir bekannt; die Morrels sind Reeder vom Vater auf den Sohn, und ein Morrel diente mit mir in demselben Regiment, als ich zu Valence in Garnison stand.‹«

»Das stimmt!« rief der Reeder hocherfreut. »Das war der Hauptmann Policar Morrel, mein Onkel. Dantès, Sie müssen meinem Onkel sagen, daß der Kaiser sich seiner erinnert hat, und Sie werden den alten Soldaten weinen sehen. Ja, ja«, fuhr der Reeder fort und klopfte dem jungen Mann freundschaftlich auf die Schulter, »es war recht von Ihnen, daß Sie die Anweisung des Kapitäns befolgt haben, obgleich es Sie kompromittieren könnte, wenn man erführe, daß Sie dem Marschall ein Paket übergeben und mit dem Kaiser gesprochen haben.«

»Inwiefern könnte mich denn das kompromittieren?« entgegnete Dantès. »Ich weiß nicht einmal, was ich überbracht habe, und der Kaiser hat nur Fragen an mich gerichtet, wie er sie an den ersten besten auch gerichtet hätte. Doch entschuldigen Sie, da kommen die Sanitäts- und Zollbeamten; Sie erlauben, nicht wahr?«

»Gehen Sie, gehen Sie, mein lieber Dantès.«

Der junge Mann entfernte sich, und Danglars trat wieder näher.

»Nun«, fragte dieser, »er scheint Ihnen gute Gründe für sein Anlegen in Porto Ferrajo gegeben zu haben?«

»Ausgezeichnet, mein lieber Danglars.«

»Nun, um so besser«, antwortete dieser, »denn es ist immer peinlich, zu sehen, daß ein Kamerad nicht seine Pflicht tut.«

»Dantès hat die seinige getan«, erwiderte der Reeder, »und es trifft ihn kein Vorwurf. Kapitän Leclère hatte ihm diesen Aufenthalt befohlen.«

»Da Sie den Kapitän erwähnen – hat er Ihnen nicht einen Brief von ihm gegeben?«

»Wer?«

»Dantès.«

»Mir, nein. Hatte er denn einen?«

»Ich glaubte, daß ihm der Kapitän Leclère außer dem Paket noch einen Brief anvertraut hätte.«

»Von welchem Paket sprechen Sie, Danglars?«

»Nun, von demjenigen, welches Dantès in Porto Ferrajo abgegeben hat.«

»Woher wissen Sie, daß er dort ein Paket abgegeben hat?«

Danglars errötete.

»Ich ging an der Tür des Kapitäns vorbei, die halb offen stand, und sah ihn Dantès das Paket und den Brief übergeben.«

»Er hat mir nichts davon gesagt; wenn er aber diesen Brief hat, wird er ihn mir geben«, bemerkte der Reeder.

Danglars sann einen Augenblick nach.

»Dann bitte ich Sie, Herr Morrel, sprechen Sie mit Dantès nicht hierüber; ich werde mich getäuscht haben.«

In diesem Augenblick kam der junge Mann zurück; Danglars entfernte sich.

»Nun, mein lieber Dantès, sind Sie jetzt frei?« fragte der Reeder.

»Jawohl, Herr Morrel, alles in Ordnung.«

»Dann können Sie also mit uns speisen?«

»Entschuldigen Sie mich, Herr Morrel, nach der Ankunft gehe ich immer zuerst zu meinem Vater. Ich bin darum nicht weniger dankbar für die Ehre, die Sie mir erweisen.«

»Ganz recht, Dantès, ganz recht. Ich weiß, Sie sind ein guter Sohn.«

»Und …«, fragte Dantès etwas zögernd, »er befindet sich wohl, soviel Sie wissen?«

»Nun, ich denke doch, mein lieber Edmond, obgleich ich ihn nicht gesehen habe.«

»Ja, er hält sich in seinem Zimmerchen verschlossen.«

»Das beweist wenigstens, daß es ihm in Ihrer Abwesenheit an nichts gefehlt hat.«

Dantès lächelte.

»Mein Vater ist stolz, Herr Morrel, und wenn es ihm an allem gefehlt hätte, so zweifle ich doch, daß er von irgend jemand auf der Welt etwas verlangt hätte, außer von Gott.«

»Gut denn; aber nach dem Besuch bei Ihrem Vater rechnen wir auf Sie.«

»Entschuldigen Sie nochmals, Herr Morrel; aber nach diesem Besuche habe ich noch einen zweiten zu machen, der mir nicht weniger am Herzen liegt.«

»Ah, wahrhaftig, Dantès; ich vergaß, daß im Dorf der Katalonier jemand ist, der Sie ebenso ungeduldig erwarten muß wie Ihr Vater: die schöne Mercedes.«

Dantès lächelte wieder.

»Dreimal ist sie zu mir gekommen, um sich nach dem ›Pharao‹ zu erkundigen«, sagte der Reeder. »Wahrhaftig, Edmond, Sie können mit Ihrer Geliebten zufrieden sein, sie ist ein hübsches Kind.«

»Sie ist nicht meine Geliebte, Herr Morrel«, entgegnete der junge Seemann ernst; »sie ist meine Braut.«

»Das kommt manchmal auf eins heraus«, sagte lachend der Reeder.

»Bei uns nicht, Herr Morrel.«

»Nun, mein lieber Edmond«, fuhr der Reeder fort, »dann will ich Sie nicht länger zurückhalten. Sie haben meine Geschäfte so gut besorgt, daß ich Ihnen Zeit lasse, soviel Sie wollen, auch die Ihrigen zu besorgen. Brauchen Sie Geld?«

»Nein, ich habe meine ganze Löhnung für ein Vierteljahr.«

»Sie sind ein ordentlicher Junge, Edmond.«

»Fügen Sie hinzu, daß ich einen armen Vater habe, Herr Morrel.«

»Ja, ja, ich weiß, daß Sie ein guter Sohn sind. Gehen Sie also jetzt zu Ihrem Vater. Ich habe auch einen Sohn und würde es sehr übelnehmen, wenn ihn jemand nach dreimonatiger Abwesenheit von mir fernhielte.«

»Sie erlauben also?« fragte der junge Mann.

»Ja, wenn Sie mir nichts mehr zu sagen haben.«

»Nein.«

»Hat Ihnen der Kapitän Leclère kurz vor seinem Tode nicht einen Brief für mich gegeben?«

»Es wäre ihm unmöglich gewesen, zu schreiben; aber das erinnert mich daran, daß ich Sie um vierzehn Tage Urlaub bitten muß.«

»Um Hochzeit zu halten?«

»Einmal das, und dann, um nach Paris zu reisen.«

»Schön, schön, nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie wollen, Dantès; das Ausladen des Schiffes wird etwa sechs Wochen in Anspruch nehmen, und wir werden vor Ablauf eines Vierteljahres wohl kaum wieder in See gehen … In einem Vierteljahr müssen Sie aber da sein. Der ›Pharao‹«, fuhr der Reeder fort, indem er dem jungen Seemann auf die Schulter klopfte, »könnte ohne seinen Kapitän nicht wieder in See stechen.«

»Ohne seinen Kapitän!« rief Dantès mit vor Freude strahlenden Augen. »Sie hätten die Absicht, mich zum Kapitän des ›Pharao‹ zu ernennen?«

»Wenn ich allein zu bestimmen hätte, würde ich Ihnen die Hand reichen, mein lieber Dantès, und Ihnen sagen: Abgemacht; aber ich habe einen Teilhaber, und Sie kennen das Sprichwort: Wer einen Teilhaber hat, hat einen Befehlshaber. Aber von zwei Stimmen haben Sie wenigstens schon eine, und in betreff der andern verlassen Sie sich auf mich, ich werde das meinige tun.«

Der junge Mann, dem die Tränen in den Augen standen, ergriff die Hände des Reeders.

»O Herr Morrel«, rief er, »ich danke Ihnen im Namen meines Vaters und Mercedes’!«

»Schön, schön, Edmond; Gott läßt es einem braven Kerl nicht schlecht gehn auf der Welt. Suchen Sie Ihren Vater auf, gehen Sie zu Mercedes, und dann kommen Sie zu mir.«

»Soll ich Sie nicht an Land bringen?«

»Nein, ich danke; ich will noch die Rechnungen mit Danglars durchgehen. Sind Sie während der Reise mit ihm zufrieden gewesen?«

»Das kommt darauf an, wie Sie diese Frage meinen, Herr Morrel. Meinen Sie als Kamerad, dann nein, denn ich glaube, er kann mich nicht leiden, seit ich eines Tages die Dummheit beging, ihm infolge eines Streites, den wir miteinander hatten, den Vorschlag zu machen, zehn Minuten an der Insel Monte Christo haltzumachen, um diesen Streit auszutragen, einen Vorschlag, den ich ihm nicht hätte machen sollen und den er mit Recht zurückwies. Meinen Sie als Rechnungsführer, so glaube ich, daß nichts an ihm auszusetzen ist und daß Sie mit seinen Leistungen zufrieden sein werden.«

»Aber hören Sie, Dantès«, fragte der Reeder, »wenn Sie Kapitän des ›Pharao‹ wären, würden Sie Danglars gern behalten?«

»Ich werde stets, ob Kapitän oder Erster Offizier, diejenigen achten, die das Vertrauen meiner Reeder besitzen.«

»Nun, Dantès, ich sehe, daß Sie in jeder Beziehung ein braver Junge sind. Jetzt will ich Sie aber nicht länger aufhalten; gehen Sie, ich sehe ja, Sie stehen wie auf Kohlen.«

»Ich habe also meinen Urlaub?« fragte Dantès.

»Gehen Sie nur.«

»Sie erlauben, daß ich Ihr Boot nehme?«

»Nehmen Sie nur.«

»Auf Wiedersehen, Herr Morrel, und tausend Dank!«

»Auf Wiedersehen, mein lieber Edmond, viel Glück!«

Der junge Mann sprang in das Boot, und zwei Matrosen ruderten ihn auf seinen Befehl dem Lande zu.

Der Reeder folgte ihm lächelnd mit den Augen, sah, wie er am Kai ausstieg und sich sofort in der Menge verlor.

Als der Reeder sich umwandte, sah er Danglars hinter sich, der dem Anschein nach seine Befehle erwartete, in Wirklichkeit aber gleichfalls dem jungen Seemanne nachgeblickt hatte.

Vater und Sohn

Nachdem Dantès die Cannebière in ihrer ganzen Länge durcheilt hatte, bog er in die Rue de Noailles ein, betrat ein an der linken Seite der Allées de Meilhan gelegenes Haus, stieg klopfenden Herzens schnell eine dunkle Treppe bis zum vierten Stock hinauf und blieb vor einer angelehnten Tür stehen, durch die man bis in den Hintergrund eines kleinen Zimmers sehen konnte.

Dieses Zimmer war das seines Vaters.

Die Nachricht von der Ankunft des »Pharao« war noch nicht bis zu dem Greise gedrungen, der, auf einem Stuhle stehend, damit beschäftigt war, mit zitternder Hand einige Kapuzinerblumen und Rebwinden, die das Fenster umrankten, mit Latten zu stützen.

Plötzlich fühlte er, wie ein Paar Arme sich um ihn legten, und eine wohlbekannte Stimme rief:

»Vater, mein guter Vater!«

Der Greis stieß einen Schrei aus und wandte sich um. Als er seinen Sohn erblickte, sank er zitternd und bleich in dessen Arme.

»Was hast du denn?« rief der junge Mann beunruhigt. »Bist du krank?«

»Nein, nein, mein lieber Edmond, mein Sohn, mein Kind, nein; es ist nur die Freude über dieses unvermutete Wiedersehen – ich hatte dich nicht erwartet – o Gott, mir ist, als ob ich sterben müßte!«

»Nun, nun, fasse dich doch, Vater! Die Freude soll ja keinen Schaden tun, und deshalb bin ich hier so ohne Vorbereitung eingetreten. Komm, sei doch fröhlich, anstatt mich so mit wirren Augen anzusehen. Ich bin zurück, und wir werden glücklich sein.«

»Ah so, Junge!« entgegnete der Greis. »Aber wieso werden wir glücklich sein? Du verläßt mich also nicht mehr? Komm, erzähle mir dein Glück!«

»Gott verzeihe mir«, sagte der junge Mann, »daß ein Ereignis mein Glück ist, das Trauer über eine Familie bringt! Aber Gott weiß, daß ich dieses Glück nicht gewünscht habe; es ist nun einmal so gekommen, und ich kann nicht anders als mich darüber freuen. Der brave Kapitän Leclère ist tot, Vater, und es ist wahrscheinlich, daß ich auf Verwendung des Herrn Morrel seine Stelle erhalte. Begreifst du, Vater? Mit zwanzig Jahren Kapitän! Hundert Louisdors Gehalt und Anteil am Gewinn! Wie hätte ich armer Matrose jemals ein solches Glück erhoffen können?«

»Ja, mein Sohn, in der Tat«, antwortete der Greis, »das ist ein Glück.«

»Und von dem ersten Gelde, welches ich erhalte, sollst du ein Häuschen mit einem Garten bekommen, worin du dir deine Rebwinden, deine Kapuzinerblumen und Jelängerjelieber pflanzen kannst … Aber was ist dir denn, Vater, bist du krank?«

»Geduld, Geduld! es ist weiter nichts.«

Die Kräfte verließen den Greis, und er sank nach hinten über. »Laß sehen, ein Glas Wein, Vater; das wird dich wieder auffrischen. Wo steht dein Wein?«

»Nein, ich danke, such nicht; ich brauche keinen«, sagte der Alte.

Er versuchte seinen Sohn zurückzuhalten.

»Doch, doch, Vater, zeig mir den Platz.« Und er öffnete einige Schränke.

»Laß sein …«, bemerkte der Greis, »es ist kein Wein mehr da.«

»Wie, es ist kein Wein mehr da!« rief Dantès, seinerseits erbleichend und abwechselnd die blassen, eingefallenen Wangen des Greises und die leeren Schränke betrachtend. »Hat es dir an Geld gefehlt, Vater?«

»Es hat mir an nichts gefehlt, nun, da du da bist«, antwortete der Greis.

»Aber ich hatte dir doch zweihundert Franken zurückgelassen, als ich vor einem Vierteljahr abreiste«, sagte Dantès bestürzt.

»Ja, ja, Edmond, freilich; aber du hattest vergessen, vor der Abreise eine kleine Schuld beim Nachbar Caderousse zu bezahlen; er hat mich daran erinnert und wollte, wenn ich nicht für dich bezahlte, sich das Geld von Herrn Morrel geben lassen. Und siehst du, da ich befürchtete, daß dir das schaden könnte …«

»Nun?«

»So habe ich es bezahlt.«

»Es waren ja aber hundertvierzig Franken, die ich Caderousse schuldete!«

»Jawohl«, sagte der Greis.

»Und die hast du ihm von den zweihundert Franken ganz gegeben?«

Der Greis nickte.

»So daß du also ein Vierteljahr von sechzig Franken gelebt hast?« rief der junge Mann.

»Du weißt, wie wenig ich brauche«, sagte der Alte.

»O Gott, o mein Gott, verzeih mir!« rief Edmond, indem er sich vor seinem Vater auf die Knie warf.

»Was machst du denn?«

»Oh, du hast mir das Herz zerrissen!«

»Du bist ja da«, sagte der Greis lächelnd; »nun ist alles wieder gut.«

»Ja, ich bin da«, entgegnete der junge Mann, »und ich habe Geld mitgebracht. Da, Vater, nimm und laß sofort einholen.« Und er entleerte seine Taschen, die ein Dutzend Goldstücke, fünf oder sechs Fünffrankenstücke und kleine Münzen enthielten, auf den Tisch.

Das Gesicht des alten Dantès erheiterte sich.

»Wem gehört das?« fragte er.

»Nun mir, dir, uns! Nimm, kauf ein, sei fröhlich! Morgen gibt es mehr.«

»Sachte, sachte«, mahnte der Alte lächelnd; »mit deiner Erlaubnis werde ich deine Börse nur mäßig in Anspruch nehmen; wenn man mich zu viel auf einmal kaufen sähe, würde man denken, ich hätte bis zu deiner Rückkehr warten müssen, um Einkäufe zu machen.«

»Wie du willst, Vater; aber vor allen Dingen nimm dir jemand zur Bedienung; du sollst nicht mehr allein bleiben. Ich habe geschmuggelten Kaffee und ausgezeichneten Tabak in einem kleinen Koffer an Bord. Doch still! Da kommt jemand.«

»Das ist Caderousse. Er hat wohl gehört, daß du gekommen bist, und will dir guten Tag sagen.«

»Das ist auch so einer, der mit Worten freundlich tut und im Herzen anders denkt«, murmelte Edmond. »Doch einerlei, es ist ein Nachbar, der uns früher einen Dienst erwiesen hat, er sei willkommen.«

In der Tat sah man gleich darauf in der Flurtür den schwarzen, bärtigen Kopf des Schneiders Caderousse erscheinen. Es war ein Mann von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren.

»Ei, da bist du also zurück, Edmond?« sagte er im ausgesprochensten Marseiller Dialekt und mit einem breiten Lächeln, welches seine elfenbeinweißen Zähne sehen ließ.

»Wie Sie sehen, Nachbar Caderousse, und bereit, Ihnen in jeder Weise dienlich zu sein«, antwortete Dantès, der seinen Widerwillen nur schlecht unter diesem Anerbieten verbarg.

»Danke, danke; glücklicherweise brauche ich nichts, und es sind sogar manchmal die andern, die mich brauchen.«

Dantès machte eine Bewegung.

»Das geht nicht auf dich, Junge; ich habe dir Geld geliehen, du hast mir’s wiedergegeben, und wir sind quitt; so was kommt unter guten Nachbarsleuten vor.«

»Man ist denen gegenüber, die einem einen Dienst erwiesen haben, nie quitt«, antwortete Dantès; »denn wenn man ihnen das Geld nicht mehr schuldet, so schuldet man ihnen Dankbarkeit.«

»Wozu darüber sprechen! Was vorbei ist, ist vorbei. Sprechen wir von deiner glücklichen Rückkehr, Junge. Ich war also nach dem Hafen gegangen, um braunes Tuch zu holen, und wen treffe ich? Freund Danglars, der mir erzählte, daß du auch wieder da bist. Da komme ich denn, um einem Freunde die Hand zu drücken.«

»Der gute Caderousse«, sagte der Greis, »er liebt uns so!«

»Gewiß liebe ich Sie, da die ehrbaren Leute rar sind. Aber du scheinst ja reich zu werden, Junge«, fuhr der Schneider fort, indem er einen Seitenblick auf die Handvoll Gold und Silber warf, die Dantès auf den Tisch geschüttet hatte.

Der junge Mann bemerkte den gierigen Blick in den schwarzen Augen des Nachbarn.

»Lieber Gott«, warf er nachlässig hin, »das Geld gehört nicht mir; ich fragte meinen Vater, ob es ihm in meiner Abwesenheit auch an nichts gefehlt hat, und um mich zu beruhigen, hat er den Inhalt seiner Börse auf den Tisch geschüttet. Komm, Vater«, fuhr Dantès fort, »steck das Geld wieder in deine Sparbüchse, das heißt, wenn Nachbar Caderousse es nicht braucht, in welchem Falle es zu seiner Verfügung steht.«

»Nein, Junge«, sagte Caderousse, »ich brauche nichts. Gott sei Dank! Das Handwerk nährt seinen Mann. Behalte dein Geld, man hat nie zu viel; trotzdem bin ich dir für dein Anerbieten ebenso verbunden, als ob ich’s angenommen hätte.«

»Es war aufrichtig gemeint«, erwiderte Dantès.

»Daran zweifle ich nicht. Du stehst dich also mit Herrn Morrel sehr gut? Du verstehst es offenbar, dich beliebt zu machen.«

»Herr Morrel ist immer sehr gütig gegen mich gewesen«, antwortete Dantès.

»Dann tust du unrecht, seine Einladung zum Essen nicht anzunehmen.«

»Was?« fiel der alte Dantès ein; »er hat dich zum Essen eingeladen?«

»Ja, Vater«, antwortete Edmond, über das Staunen des Alten lächelnd.

»Und warum hast du abgelehnt, Junge?« fragte der Greis.

»Um desto eher zu dir zu kommen, Vater«, erwiderte der junge Mann. »Ich hatte Eile, dich zu sehen.«

»Das wird den guten Herrn Morrel verletzt haben«, nahm Caderousse wieder das Wort; »und wenn einer Absicht auf den Kapitänshut hat, so darf er seinen Reeder nicht vor den Kopf stoßen.«

»Ich habe ihm den Grund meiner Ablehnung erklärt«, entgegnete Dantès, »und ich hoffe, er hat Verständnis dafür gehabt.«

»Je nun, wenn man Kapitän werden will, muß man seinem Patron ein bißchen schmeicheln.«

»Ich hoffe, ohne das Kapitän zu werden.«

»Desto besser, desto besser, da werden sich alle alten Freunde freuen, und ich kenne da unten hinter der Zitadelle von Saint-Nicolas jemand, der auch nicht böse darüber sein wird.«

»Mercedes?« fragte der Greis.

»Ja, Vater«, entgegnete Dantès, »und jetzt, da ich dich gesehen habe und weiß, daß es dir gut geht und du alles hast, was du brauchst, erlaubst du wohl, daß ich im Katalonierdorf einen Besuch abstatte.«

»Geh, mein Sohn«, sagte der alte Dantès, »und Gott segne dich in deiner Frau, wie er mich in meinem Sohne gesegnet hat!«

»Seine Frau!« bemerkte Caderousse. »Wie Sie gleich losgehen, Vater Dantès! Ich dachte, sie ist es noch nicht.«

»Nein; aber sie wird es bald sein«, antwortete Edmond.

»Einerlei, einerlei«, meinte Caderousse, »es war gut, daß du dich beeilt hast, Junge.«

»Wieso?«

»Weil die Mercedes ein schönes Mädchen ist und es den schönen Mädchen nicht an Liebhabern fehlt, besonders dieser nicht; sie laufen ihr dutzendweise nach.«

»So«, sagte Edmond mit einem Lächeln, hinter dem eine leichte Unruhe bemerkbar war.

»Jawohl«, fuhr Caderousse fort, »und sogar schöne Partien, aber sieh her, du wirst Kapitän werden, und man wird sich hüten, dich abzuweisen.«

»Das heißt«, entgegnete Dantès, dessen Lächeln seine Unruhe nur schlecht verbarg, »wenn ich nicht Kapitän würde …«

»Je, nun.« Caderousse zog die Schultern hoch.

»Nun«, erwiderte der junge Mann, »ich habe eine bessere Meinung von den Frauen im allgemeinen und von Mercedes im besonderen und bin überzeugt, daß sie mir treu bleiben wird, einerlei, ob ich Kapitän bin oder nicht.«

»Um so besser, um so besser«, warf Caderousse hin; »es ist immer gut, dem Mädchen zu vertrauen, das man heiraten will; aber einerlei, glaube mir, Junge, verliere keine Zeit, zu ihr zu gehen und ihr deine Ansichten mitzuteilen.«

»Ich gehe sofort«, sagte Edmond.

Er umarmte seinen Vater, verabschiedete sich von Caderousse und ging.

Caderousse blieb noch einen Augenblick, dann verabschiedete er sich von dem alten Dantès, ging die Treppe hinunter und suchte Danglars wieder auf, der ihn an der Straßenecke erwartete.

»Nun«, fragte Danglars, »hast du ihn gesehen?«

»Ich komme direkt von ihm.«

»Und hat er gesagt, daß er Kapitän zu werden hofft?«

»Er spricht davon, als ob er’s schon wäre.«

»Geduld«, sagte Danglars. »Er scheint es etwas zu eilig zu haben.«

»Es sieht so aus, als ob Herr Morrel es ihm zugesagt hat.«

»Dann ist er wohl sehr heiter?«

»Sogar anmaßend; bietet mir seine Dienste an, als ob er was Vornehmes wäre; wollte mir Geld leihen wie ein Bankier.«

»Und du hast es zurückgewiesen?«

»Strikte weg; obschon ich’s ganz gut hätte annehmen können, zumal ich es war, der ihm die ersten Goldstücke in die Hand gegeben hat. Aber jetzt braucht Herr Dantès niemand mehr; er wird ja Kapitän.«

»Pah«, sagte Danglars, »noch ist er’s nicht.«

»Teufel auch! Gut wär’s, wenn er’s nicht würde«, entgegnete Caderousse, »denn sonst würde er unsereinen gar nicht mehr ansehen.«

»Wenn wir wollten«, warf Danglars hin, »so bliebe er, was er ist, ja würde vielleicht noch weniger.«

»Was meinst du?«

»Nichts, ich rede nur so. Und er ist noch immer in die schöne Katalonierin verliebt?«

»Wahnsinnig verliebt. Er ist hin zu ihr; aber ich müßte mich sehr täuschen, wenn ihn nicht Unannehmlichkeiten erwarteten.«

»Erkläre dich.«

»Wozu?«

»Es ist wichtiger, als du denkst. Du kannst doch Dantès nicht leiden, he?«

»Ich habe die Hochnäsigen im Magen.«

»Nun, dann sage mir, was du von der Katalonierin weißt.«

»Positives weiß ich just nichts; was ich aber gesehen habe, läßt mich glauben, daß der zukünftige Kapitän, wie gesagt, in der Gegend da Unannehmlichkeiten haben dürfte.«

»Was hast du denn gesehen? Sprich doch.«

»Nun denn, allemal wenn Mercedes nach der Stadt kommt, wird sie von einem großen Katalonier mit schwarzen Augen und roter Haut begleitet, einem brünetten, hitzigen Burschen, den sie Vetter nennt.«

»So! und glaubst du, daß dieser Vetter ihr den Hof macht?«

»Ich nehm’s an.«

»Und Dantès ist zu der Katalonierin gegangen, sagst du?«

»Er ist vor mir fortgegangen.«

»Wenn wir in die Gegend gingen, könnten wir in der ›Réserve‹ einkehren und bei einem Glase Wein Neuigkeiten abwarten.«

»Wer soll uns denn die geben?«

»Wir würden Dantès sehen, und sein Gesicht würde uns sagen, was passiert ist.«

»Komm«, sagte Caderousse; »aber du bezahlst doch?«

»Gewiß«, erwiderte Danglars.

Und beide schlugen mit schnellen Schritten den Weg nach dem bezeichneten Orte ein. Dort angekommen, ließen sie sich eine Flasche und zwei Gläser geben.

Vater Pamphile hatte Dantès vor noch nicht zehn Minuten vorübergehen sehen.

Nachdem sie sich so vergewissert hatten, daß Dantès bei der Katalonierin war, setzten sie sich unter die mit dem ersten Grün sich schmückenden Platanen, in deren Zweigen eine Schar fröhlich zwitschernder Vögel einem der ersten schönen Frühlingstage zujubelte.

Das Katalonierdorf

Hundert Schritte von dem Platze, wo die beiden Freunde, mit Auge und Ohr auf der Lauer, hinter ihren Weingläsern saßen, erhob sich hinter einem nackten, von der Sonne ausgedörrten und vom Winde mitgenommenen Hügel das Dorf der Katalonier.

Eines Tages war eine sonderbare Schar Kolonisten von Spanien aufgebrochen und an dieser Stelle ans Land gestiegen. Man wußte nicht, woher sie kamen, und sie redeten eine unbekannte Sprache. Einer der Führer, welcher provenzalisch verstand, bat die Gemeinde Marseille, ihnen dieses nackte und unfruchtbare Vorgebirge zu geben. Die Bitte wurde gewährt, und ein Vierteljahr darauf erhob sich um die zwölf bis fünfzehn Fahrzeuge, welche diese Zigeuner des Meeres mitgebracht hatten, ein kleines Dorf.

Dieses in malerischer Weise halb maurisch, halb spanisch aufgebaute Dorf ist noch heute von den Abkömmlingen jener Leute bewohnt, deren Sprache sie noch heute sprechen. Seit drei bis vier Jahrhunderten sind sie diesem kleinen Vorgebirge treu, auf welches sie, einem Schwarm Seevögel gleich, niedergefallen waren, ohne sich mit der Marseiller Bevölkerung zu vermischen; sie heirateten unter sich und bewahrten wie die Sprache auch die Sitten und die Kleidung ihres Mutterlandes.

Wir bitten den Leser, uns durch die einzige Straße dieses Dörfchens zu folgen und mit uns in eins dieser Häuser einzutreten, welchen die Sonne im Äußern jene schöne Farbe des abgestorbenen Laubes gegeben hat und die im Innern einen Anwurf von weißem Steinmörtel, die einzige Zierde der spanischen Posadas, haben.

Ein schönes junges Mädchen mit tiefschwarzem Haar und dunklen Gazellenaugen stand an eine Wand gelehnt und zerknickte mit ihren schlanken Fingern einen unschuldigen Heidestrauch, dessen Blüten schon den Boden bedeckten; ihre bis zu den Ellbogen freien, gebräunten Arme zitterten in einer Art fieberhafter Ungeduld, und sie stampfte mit dem schöngeformten Fuße auf den Boden.

Drei Schritte vor ihr saß auf einem Stuhle, den er in ruckweiser Bewegung schaukelte, den Ellbogen auf ein altes, wurmstichiges Möbel gestützt, ein großer Bursche von zwanzig bis zweiundzwanzig Jahren, der den Blick mit einem Ausdruck von Unruhe und Ärger auf sie richtete; er blickte sie scharf und fragend an, aber der feste Blick des jungen Mädchens hielt dem seinen stand.

»Höre, Mercedes«, sagte er, »Ostern ist vor der Tür; das ist die Zeit, Hochzeit zu halten, antworte mir!«

»Ich habe dir schon hundertmal geantwortet, Ferdinand, und du mußt wirklich dir selbst sehr feind sein, daß du nochmals fragst!«

»Nun, wiederhole es nochmals, ich bitte dich, damit ich endlich daran glaube. Sage mir zum hundertsten Male, daß du meine Werbung zurückweist, die deiner Mutter recht war; mache es mir recht begreiflich, daß dir nichts an mir gelegen ist, daß es dir einerlei ist, ob ich lebe oder sterbe. O Gott, mein Gott! Zehn Jahre lang zu träumen, dein Mann zu werden, Mercedes, und dann diese Hoffnung, die der einzige Zweck meines Lebens war, zu verlieren!«

»Ich habe dich zu dieser Hoffnung wenigstens nicht ermuntert, Ferdinand«, antwortete Mercedes; »du kannst mir nicht die geringste Koketterie vorwerfen. Ich habe dir stets gesagt: Ich liebe dich wie einen Bruder, aber verlange von mir nie mehr als das, denn mein Herz gehört einem andern. Ist es nicht so, Ferdinand?«

»Ja, ich weiß wohl, Mercedes«, entgegnete der junge Mann, »du bist gegen mich immer von einer grausamen Freimütigkeit gewesen; aber hast du vergessen, daß es unter den Kataloniern ein heiliges Gesetz ist, untereinander zu heiraten?«

»Du irrst dich, Ferdinand, es ist kein Gesetz, sondern eine bloße Gewohnheit, weiter nichts. Du bist ausgehoben, Ferdinand, und wenn du auch gegenwärtig frei bist, so kannst du doch jeden Augenblick einberufen werden. Und was wolltest du als Soldat mit mir machen, einer armen, verlassenen Waise, die nichts besitzt als eine fast verfallene Hütte mit einigen abgenutzten Netzen an der Wand, die mein Vater meiner Mutter und meine Mutter mir als elendes Erbteil hinterlassen hat? Seit ihrem Tode, also seit einem Jahre, Ferdinand, bedenke doch, lebe ich fast von der öffentlichen Mildtätigkeit! Manchmal tust du, als ob ich dir nützlich wäre, um das Recht zu haben, deinen Fang mit mir zu teilen, und ich nehm’s an, Ferdinand, weil du der Sohn von meines Vaters Bruder bist, weil wir zusammen aufgewachsen sind, und vor allem, weil es dich betrüben würde, wenn ich dich zurückwiese. Aber ich fühl’s wohl, Ferdinand, daß die Fische, die ich verkaufen gehe und für deren Ertrag ich den Hanf kaufe, den ich spinne, ich fühle wohl, Ferdinand, daß sie eine milde Gabe sind.«

»Was macht das alles, Mercedes? Arm und alleinstehend, wie du bist, gefällst du mir besser als die Tochter des stolzesten Reeders oder des reichsten Bankiers von Marseille! Was braucht denn unsereiner? Eine ehrbare Frau und eine gute Haushälterin. Und wo fände ich beides besser als in dir?«

»Ferdinand«, antwortete Mercedes, den Kopf schüttelnd, »man wird eine schlechte Hausfrau und kann nicht dafür bürgen, eine ehrbare Frau zu bleiben, wenn man jemand anders als seinen Gatten liebt. Begnüge dich mit meiner Freundschaft, denn, ich wiederhole dir’s, weiter kann ich dir nichts versprechen, und ich verspreche nur, was ich sicher bin, geben zu können.«

»Ja, ich verstehe«, sagte Ferdinand; »du trägst dein Elend geduldig, hast aber Furcht vor dem meinigen. Nun sieh, Mercedes, von dir geliebt, werde ich das Glück versuchen; du wirst mir Glück bringen, und ich werde reich werden. Ich kann meine Fischerei vergrößern, kann als Angestellter bei einem Kaufmann eintreten, kann selbst Kaufmann werden!«

»Das alles kannst du nicht, Ferdinand; du bist Soldat, und wenn du bei den Kataloniern bleiben darfst, so nur deshalb, weil kein Krieg ist. Bleibe also Fischer; gib dich keinen Träumen hin, die dir die Wirklichkeit nur noch schrecklicher erscheinen lassen würden, und begnüge dich mit meiner Freundschaft, da ich dir nichts anderes geben kann.«

»Gut, du hast recht, Mercedes, ich werde Seemann werden; statt der Tracht unserer Väter, die du geringschätzt, werde ich einen lackierten Hut, ein gestreiftes Hemd und eine blaue Weste mit Ankern auf den Knöpfen tragen. Muß man nicht so gekleidet sein, um dir zu gefallen?«

»Was willst du damit sagen?« fragte Mercedes mit stolzem Blick. »Ich verstehe dich nicht.«

»Ich will damit sagen, Mercedes, daß du nur so hart und grausam gegen mich bist, weil du auf jemand wartest, der so gekleidet ist. Aber der, auf den du wartest, ist vielleicht unbeständig, und wenn er’s nicht ist, so ist’s das Meer.«

»Ferdinand«, rief Mercedes, »ich hielt dich für gut, aber ich habe mich getäuscht! Ferdinand, es ist schlecht von dir, für deine Eifersucht den Zorn Gottes zu Hilfe zu rufen! Nun wohl, ja, ich verstelle mich nicht, ich erwarte und liebe den, von dem du sprichst, und wenn er nicht zurückkommt, so werde ich eher glauben, daß er gestorben ist, als daß er mir untreu geworden ist.«

Der junge Katalonier machte eine wütende Gebärde.

»Ich verstehe dich, Ferdinand; du willst ihm die Schuld dafür beimessen, daß ich dich nicht liebe; willst dein katalonisches Messer mit seinem Dolche kreuzen! Wozu würde dir das dienen? Meine Freundschaft zu verlieren, wenn du besiegt wirst, oder meine Freundschaft sich in Haß verwandeln zu sehen, wenn du Sieger bist! Glaub’s mir, Streit mit einem Manne zu suchen, ist ein schlechtes Mittel, um derjenigen zu gefallen, die diesen Mann liebt. Nein, Ferdinand, du wirst dich nicht so von deinen schlechten Gedanken hinreißen lassen. Da du mich nicht zur Frau haben kannst, wirst du dich damit begnügen, mich zur Freundin und Schwester zu haben; und übrigens«, fügte sie unruhig und mit Tränen in den Augen hinzu, »warte, warte, Ferdinand: du hast soeben gesagt, das Meer sei treulos, und es sind schon vier Monate her, daß er fort ist; seit vier Monaten habe ich viele Stürme gezählt!«

Ferdinand blieb unbewegt, während Mercedes die Tränen über die Wangen liefen. Er hätte für jede dieser Tränen ein Glas voll seines Blutes gegeben; aber diese Tränen flossen für einen andern.

Er stand auf, schritt durch die Hütte, kam zurück und blieb finstern Auges und mit krampfhaft geballten Händen vor Mercedes stehen.

»Höre, Mercedes«, sagte er, »noch einmal: ist es dein letztes Wort?«

»Ich liebe Edmond Dantès«, antwortete das junge Mädchen ruhig und bestimmt, »und keiner als Edmond wird mein Mann werden.«

»Und du wirst ihn immer lieben?«

»Solange ich lebe.«

Ferdinand ließ den Kopf sinken wie ein Verzweifelter und stieß einen Seufzer aus, der einem Stöhnen glich; dann plötzlich rief er, den Kopf erhebend, mit aufeinandergebissenen Zähnen und geöffneten Nasenlöchern:

»Wenn er aber tot ist?«

»Wenn er tot ist, werde ich sterben.«

»Aber wenn er dich vergißt?«

»Mercedes!« rief eine freudige Stimme draußen. »Mercedes!«

»Oh!« rief das junge Mädchen, vor Freude und Liebe hüpfend, »da siehst du, daß er mich nicht vergessen hat. Da ist er!« Sie stürzte zur Tür, riß sie auf und rief:

»Hier, Edmond, hier bin ich!«

Ferdinand fuhr bleich und zitternd zurück und sank auf einen Stuhl.

Edmond und Mercedes lagen sich in den Armen. Der Sonnenschein, der durch die Tür eindrang, umhüllte sie mit einer Lichtflut. In den ersten Augenblicken sahen sie nichts von dem, was sie umgab; ein unendliches Glücksgefühl trennte sie von der Welt, und sie sprachen zueinander nur in jenen abgerissenen Worten, die der Ausdruck einer unendlichen Freude sind und fast den Äußerungen des Schmerzes gleichen.

Plötzlich gewahrte Edmond das finstere Gesicht Ferdinands, das ihm bleich und drohend aus dem Schatten entgegenstarrte; mit einer Bewegung, von der er sich selbst keine Rechenschaft gab, faßte der junge Katalonier mit der Hand nach dem Messer in seinem Gürtel.

»Oh«, sagte Dantès, seinerseits die Stirn runzelnd, »ich hatte nicht bemerkt, daß wir zu dreien sind.« Dann sich an Mercedes wendend, fragte er: »Wer ist der Herr?«

»Der Herr wird dein bester Freund sein, Dantès, denn er ist mein Freund; es ist mein Vetter, mein Bruder, es ist Ferdinand, das heißt, derjenige Mann, den ich nach dir, Edmond, auf der Welt am meisten liebe. Erkennst du ihn nicht wieder?«

»O doch«, entgegnete Edmond, und ohne Mercedes loszulassen, deren Hand er fest in der seinigen hielt, reichte er mit einer herzlichen Bewegung die andere Hand dem Katalonier.

Aber Ferdinand blieb stumm und unbeweglich wie eine Bildsäule.

Da ließ Edmond seinen forschenden Blick von der bewegten und zitternden Mercedes auf den finsteren und drohenden Ferdinand gleiten. Der Zorn stieg ihm zu Kopfe.

»Das wußte ich nicht, als ich zu dir eilte, Mercedes, daß ich einen Feind hier finden würde.«

»Einen Feind!« rief Mercedes mit einem Blick des Zornes auf ihren Vetter; »einen Feind, sagst du, bei mir, Edmond! Wenn ich das glaubte, würde ich dich beim Arm nehmen und mit dir nach Marseille gehen, um dieses Haus nie wieder zu betreten.«

Das Auge Ferdinands blitzte.

»Und wenn dir ein Unglück zustieße, mein Edmond«, fuhr sie fort und zeigte damit ihrem Vetter, daß sie seine finsteren Gedanken erraten hatte, »würde ich auf das Kap Morgion steigen und mich mit dem Kopf voran auf die Felsen stürzen.« Ferdinand erblaßte.

»Aber du täuschst dich, Edmond«, sprach sie weiter, »du hast hier keinen Feind; hier ist nur Ferdinand, mein Bruder, der dir die Hand drücken wird wie einem guten Freunde.«

Und bei diesen Worten richtete das junge Mädchen ihren gebietenden Blick auf den Katalonier, der sich, als ob er unter einem Zauber stände, langsam Edmond näherte und ihm die Hand reichte.

Sein Haß hatte sich an der Gewalt, die dieses Mädchen über ihn hatte, gebrochen wie eine Welle am Gestade.

Aber kaum hatte er die Hand Edmonds berührt, so fühlte er, daß er das Äußerste getan hatte, was er zu tun vermochte, und er stürzte aus dem Hause.

»Oh«, rief er, wie ein Wahnsinniger laufend und sein Haar zerwühlend, »wer wird mich von diesem Menschen befreien? Oh, ich Unglücklicher!«

»He, Katalonier! He, Ferdinand! wohin willst du?« rief eine Stimme.

Der junge Mann blieb plötzlich stehn, blickte sich um und sah Caderousse mit Danglars in einer Laube am Tisch sitzen.

»Heda!« sagte Caderousse, »warum kommst du nicht? Hast du es so eilig, daß du keine Zeit hast, Freunden guten Tag zu sagen?«

»Besonders wenn sie noch eine fast volle Flasche vor sich haben«, fügte Danglars hinzu.

Ferdinand sah die beiden mit verstörtem Ausdruck an und erwiderte nichts.

»Er scheint ganz außer sich zu sein«, bemerkte Danglars, indem er Caderousse mit dem Knie anstieß. »Sollten wir uns getäuscht haben und Dantès doch triumphieren?«

»Na, das muß sich zeigen«, entgegnete Caderousse und wandte sich wieder an den jungen Mann: »Nun, Katalonier, willst du kommen?«

Ferdinand wischte sich den Schweiß, der ihm von der Stirn rann, und trat langsam unter die Laube, deren Schatten und Frische ihn etwas zu beruhigen schienen.

»Guten Tag«, sagte er, »habt ihr mich gerufen?«

Und er fiel mehr, als daß er sich setzte, auf eine der Bänke, welche den Tisch umgaben.

»Ich habe dich angerufen, weil du wie ein Besessener ranntest und ich Angst hatte, daß du dich ins Meer stürzen wolltest«, erwiderte Caderousse lachend. »Teufel auch, man hat seine Freunde nicht nur, um ihnen ein Glas Wein anzubieten, sondern auch, um sie zu hindern, ein Dutzend Liter Wasser zu schlucken.«

Ferdinand stieß ein Stöhnen aus, das einem Schluchzen glich, und ließ den Kopf auf seine auf den Tisch gelegten Hände sinken.

»Na, soll ich dir was sagen, Ferdinand«, nahm Caderousse wieder das Wort, »du siehst aus wie ein aus dem Felde geschlagener Liebhaber.« Und er begleitete diesen Scherz mit einem lauten Lachen.

»Pah«, erwiderte Danglars, »ein Bursche, der so aussieht, ist nicht danach gemacht, um unglücklich in der Liebe zu sein. Du spaßest, Caderousse.«

»Nein«, entgegnete dieser, »höre doch, wie er seufzt. Nun, Ferdinand, die Nase in die Höh’ und antworte uns. Es ist nicht liebenswürdig, Freunden, die sich nach unserem Befinden erkundigen, nichts zu antworten.«

»Mein Befinden ist gut«, gab Ferdinand zurück, indem er die Fäuste ballte, aber ohne den Kopf zu erheben.

»Ah, siehst du, Danglars«, meinte Caderousse, indem er seinem Freunde zuzwinkerte, »die Sache ist die: Unser guter Ferdinand, ein braver Katalonier und einer der besten Fischer von Marseille, ist in eine Schöne namens Mercedes verliebt; leider aber scheint die Schöne ihrerseits in den Ersten Offizier des ›Pharao‹ verliebt zu sein, und da der ›Pharao‹ heute in den Hafen eingelaufen ist … so verstehst du?«

»Nein, ich verstehe nicht«, antwortete Danglars.

»Der arme Ferdinand wird den Abschied bekommen haben«, fuhr Caderousse fort.

»Nun, und?« fragte Ferdinand, den Kopf erhebend und Caderousse ansehend wie jemand, der einen sucht, an dem er seinen Zorn auslassen kann. »Mercedes hängt doch von niemand ab, nicht wahr? und es steht ihr frei, zu lieben, wen sie will.«

»Wenn du die Sache so nimmst«, entgegnete Caderousse, »so ist das was anderes! Ich hielt dich für einen Katalonier, und man hat mir gesagt, die Katalonier seien nicht die Leute, die sich durch einen Nebenbuhler aus dem Feld schlagen lassen; man hat sogar hinzugesetzt, der Ferdinand sei besonders schrecklich in seiner Rache.«

Ferdinand lächelte mitleidig.

»Ein Verliebter ist nie schrecklich«, sagte er.

»Der arme Kerl!« nahm Danglars wieder das Wort, indem er sich stellte, als ob er den jungen Mann aus tiefstem Herzen beklagte. »Was willst du? Er war nicht darauf gefaßt, Dantès so plötzlich wiederkommen zu sehen; hielt ihn vielleicht für tot, untreu oder was weiß ich! Dergleichen Sachen treffen um so empfindlicher, als sie einem plötzlich über den Kopf kommen.«

»Na, auf alle Fälle«, rief Caderousse, bei dem der Wein seine Wirkung auszuüben anfing, »auf alle Fälle ist Ferdinand nicht der einzige, dem die glückliche Ankunft Dantès’ in die Quere kommt; nicht wahr, Danglars?«

»Nein, da hast du recht, und ich möchte fast sagen, daß ihm das Unglück bringen wird.«

»Einerlei aber«, entgegnete Caderousse, indem er Ferdinand einschenkte und sein eigenes Glas zum achten oder zehnten Male füllte, während Danglars das seinige kaum berührt hatte, »einerlei, inzwischen heiratet er Mercedes, die schöne Mercedes; zu dem Zwecke ist er wenigstens zurückgekommen.«

Währenddessen musterte Danglars mit scharfem Blick den jungen Mann, auf dessen Herz die Worte Caderousses wie geschmolzenes Blei fielen.

»Und wann ist die Hochzeit?« fragte er.

»Oh, die ist noch nicht gefeiert!« murmelte Ferdinand.

»Nein, aber sie wird gefeiert werden«, entgegnete Caderousse, »so wahrhaftig, wie Dantès Kapitän des ›Pharao‹ wird, nicht wahr, Danglars?«

Danglars erbebte bei diesem unerwarteten Hiebe und wandte sich gegen Caderousse, dessen Gesicht er musterte, um zu sehen, ob der Schlag mit Vorbedacht geführt sei; aber er las auf diesem durch die Trunkenheit schon fast blöden Gesicht nichts als Neid.

»Na«, sagte er, die Gläser füllend, »trinken wir also auf das Wohl des Kapitäns Edmond Dantès, des Gemahls der schönen Katalonierin!«

Caderousse führte sein Glas mit schwerer Hand an den Mund und goß es in einem Zuge hinunter. Ferdinand nahm das seinige und zerschmetterte es auf der Erde.

»He, he, he!« rief Caderousse. »Was ist denn das da hinten auf dem Hügel, dort, in der Richtung vom Katalonierdorf? Schau doch, Ferdinand, du kannst besser sehen als ich; ich glaube, mein Blick fängt an, unsicher zu werden, und du weißt, der Wein ist ein Schalk. Man möchte sagen, ein Liebespärchen, Arm in Arm und Hand in Hand. Gott verzeih mir! Sie haben keine Ahnung, daß wir sie sehen, und da, da küssen sie sich!«

Danglars beobachtete die Pein Ferdinands, dessen Gesicht sich verzog.

»Kennen Sie das Paar, Herr Ferdinand?« fragte er.

»Ja«, antwortete dieser mit dumpfer Stimme, »es ist Herr Edmond und Fräulein Mercedes.«

»Ei, sieh an!« rief Caderousse, »ich erkannte sie nicht. Heda, Dantès! heda, schönes Fräulein! kommt doch einmal her und sagt uns, wann Hochzeit ist, Herr Ferdinand hier ist eigensinnig und will es uns nicht sagen.«

»Willst du den Mund halten!« sagte Danglars, indem er tat, als ob er Caderousse, der sich mit der Hartnäckigkeit des Trunkenen aus der Laube beugte, zurückhalten wollte. »Versuch lieber, dich auf den Beinen zu halten, und laß das Pärchen in Frieden. Da sieh Herrn Ferdinand an und nimm dir ein Beispiel an ihm; der ist vernünftig.«

Vielleicht war Ferdinand, von Danglars aufs äußerste gereizt, im Begriff, vorzustürzen, denn er war aufgestanden, und sein Körper schien sich zusammenzuziehen, als ob er sich auf seinen Nebenbuhler werfen wollte; aber Mercedes, lachend und aufrecht, erhob ihren schönen Kopf und ließ ihren hellen Blick strahlen. Da erinnerte sich Ferdinand ihrer Drohung, zu sterben, wenn Edmond stürbe, und er sank entmutigt auf seinen Sitz zurück.

Danglars betrachtete nacheinander die beiden Männer, der eine durch die Trunkenheit vertiert, der andere durch die Liebe gebändigt.

»Es ist nichts anzufangen mit diesen Tröpfen«, murmelte er, »und ich fürchte sehr, ich habe es hier mit einem Trunkenbold und einem Feigling zu tun; der Neidische da betrinkt sich in Wein, während er sich in Galle berauschen sollte, und der große Einfaltspinsel, dem man die Geliebte vor der Nase weggeschnappt hat, setzt sich hin und flennt und klagt wie ein Kind. Und doch hat das flammende Augen wie diese Spanier, Sizilianer und Kalabreser, die sich so gut zu rächen wissen; das hat Fäuste, die einem Ochsen den Kopf zerschmettern könnten. Das Schicksal meint es entschieden gut mit Edmond, er heiratet das schöne Mädchen, wird Kapitän und macht uns eine lange Nase, wenn«, und dabei spielte ein fahles Lächeln um Danglars’ Lippen, »wenn ich mich nicht ins Mittel lege.«

»Heda!« fuhr Caderousse, der sich, die Hände auf den Tisch stützend, halb erhoben hatte, zu schreien fort. »Heda, Edmond! Siehst du denn deine Freunde nicht, oder bist du schon zu stolz, um mit ihnen zu sprechen?«

»Nein, mein lieber Caderousse«, antwortete Dantès, »ich bin nicht stolz, aber glücklich, und das Glück macht, glaube ich, noch blinder als der Stolz.«

»Na, diese Erklärung läßt sich hören«, entgegnete Caderousse. »Ei, guten Tag, Frau Dantès.«

Mercedes grüßte ernst.

»So heiße ich noch nicht«, sagte sie, »und in meiner Heimat glaubt man, daß es Unglück bringt, wenn ein Mädchen vor der Hochzeit mit dem Namen ihres Bräutigams genannt wird; nennen Sie mich also bitte Mercedes.«

»Man muß es dem braven Caderousse verzeihen«, bemerkte Dantès, »sein Irrtum ist so groß nicht.«

»Also wird die Hochzeit sofort stattfinden, Herr Dantès?« fragte Danglars, die beiden jungen Leute begrüßend.

»Sobald wie möglich, Herr Danglars; heute werden alle Förmlichkeiten bei Papa Dantès erledigt, und morgen oder spätestens übermorgen findet das Verlobungsmahl hier in der ›Réserve‹ statt. Die Freunde werden hoffentlich dabei sein; das heißt, daß Sie eingeladen sind, Herr Danglars, und Sie auch, Caderousse.«

»Und Ferdinand«, fragte Caderousse mit einem hinterhältigen Lachen, »ist Ferdinand auch von der Partie?«

»Der Bruder meiner Frau ist mein Bruder«, sagte Edmond, »und Mercedes und ich würden es sehr bedauern, wenn er sich in einem solchen Augenblick von uns ausschließen wollte.«

Ferdinand öffnete den Mund, um zu antworten, aber die Stimme erstarb ihm in der Kehle; er konnte kein Wort hervorbringen.

»Heute die Formalitäten, morgen oder übermorgen die Verlobung … Teufel, Sie haben’s eilig, Herr Kapitän!«

»Danglars«, entgegnete Edmond lächelnd, »ich muß Ihnen dasselbe sagen, was Mercedes eben zu Caderousse sagte: geben Sie mir nicht den Titel, der mir noch nicht zukommt; es würde mir Unglück bringen.«

»Verzeihung«, gab Danglars zurück; »ich sage also einfach, daß Sie’s sehr eilig haben. Teufel, wir haben Zeit! Der ›Pharao‹ wird vor einem Vierteljahr nicht wieder in See gehen.«

»Man hat es immer eilig mit dem Glück, Herr Danglars, denn wenn man lange gelitten hat, wird es einem schwer, ans Glück zu glauben. Aber es ist nicht bloß meinetwegen, daß ich Eile habe; ich muß nach Paris.«

»So, wirklich, nach Paris? und ist’s das erstemal, daß Sie dorthin reisen?«

»Jawohl.«

»Sie haben dort Geschäfte?«

»Nicht für mich; ich muß einen letzten Auftrag unseres armen Kapitäns erfüllen. Sie wissen, Danglars, das ist etwas Heiliges. Übrigens seien Sie unbesorgt, ich werde nicht länger fortbleiben, als zur Hin- und Rückreise nötig ist.«

»Ja, ja, ich verstehe«, antwortete Danglars laut; ganz leise aber fügte er hinzu: »Nach Paris! Jedenfalls um den Brief, den ihm der Großmarschall gegeben hat, an seine Adresse zu besorgen! Ha! Dieser Brief bringt mich auf eine Idee, eine glänzende Idee! O Freund Dantès, noch stehst du im Register des ›Pharao‹ nicht unter Nummer eins.«

»Glückliche Reise!« rief er Edmond nach, der sich schon entfernte.

»Danke«, antwortete Edmond, sich umsehend, mit freundschaftlicher Handbewegung.

Dann setzten die beiden Liebenden ruhig und heiter ihren Weg fort.

Die Verschwörung

Danglars blickte Edmond und Mercedes nach, bis die beiden Liebenden an einer Ecke des Forts Saint-Nicolas verschwunden waren.

Als er sich dann umwandte, sah er, daß Ferdinand bleich und zitternd auf seinen Sitz zurückgesunken war, während Caderousse ein Trinklied lallte.

»Nun, mein lieber Herr«, sagte Danglars zu Ferdinand, »diese Heirat, scheint’s, ist nicht nach jedermanns Geschmack.«

»Sie bringt mich zur Verzweiflung«, antwortete Ferdinand.

»Sie lieben also Mercedes?«

»Ich bete sie an!«

»Seit langem?«

»Seit wir uns kennen; ich habe sie immer geliebt.«

»Und da sitzen Sie hier und raufen sich das Haar, statt auf etwas zu sinnen, was Ihnen helfen könnte. Zum Teufel, ich glaubte, Leute Ihrer Nation handelten anders.«

»Was soll ich denn tun?« fragte Ferdinand.

»Weiß ich das? Ist es meine Sache? Ich bin doch nicht in Fräulein Mercedes verliebt, sondern Sie. Suchet, so werdet ihr finden, sagt das Evangelium.«

»Gefunden hatte ich schon was.«

»Was denn?«

»Ich wollte den Mann erdolchen, aber die Frau sagt, sie würde sich das Leben nehmen, wenn ihrem Bräutigam ein Unglück zustieße.«

»Pah! Das sagt man, tut’s aber nicht.«

»Sie kennen Mercedes nicht; sie würde ihre Drohung wahr machen.«

»Dummkopf!« murmelte Danglars. »Was schadet’s, ob sie sich das Leben nimmt oder nicht, wenn nur Dantès nicht Kapitän wird.«

»Und ehe Mercedes stirbt«, fuhr Ferdinand mit dem Tone unerschütterlicher Entschlossenheit fort, »würde ich selbst sterben.«

»Das ist die wahre Liebe!« lallte Caderousse mit weinseliger Stimme. »Oder ich verstehe mich nicht mehr darauf!«

»Hören Sie«, begann Danglars wieder, »Sie scheinen mir ein netter Kerl zu sein, und zum Kuckuck, ich möchte Sie aus der Verlegenheit ziehen, aber …«

»Ja«, warf Caderousse ein, »laß hören.«

»Lieber Freund«, entgegnete Danglars, »du bist zu Dreiviertel betrunken; mach deine Flasche leer, dann bist du’s ganz. Trink und mische dich nicht in das, was wir tun: dazu muß man einen klaren Kopf haben.«

»Ich betrunken?« rief Caderousse. »Rede doch nicht; von deinen Pullen, die nicht größer sind als Parfümfläschchen, könnte ich noch vier trinken! Vater Pamphile, Wein her!« Und um seinen Worten Nachdruck zu geben, schlug Caderousse mit seinem Glas auf den Tisch.

»Sie meinten also?« fragte Ferdinand, mit Spannung auf die Fortsetzung der unterbrochenen Rede wartend.

»Was meinte ich? Ich erinnere mich nicht mehr. Dieser Trunkenbold Caderousse hat mich ganz aus dem Text gebracht.«

»Trunkenbold, ganz wie du willst; das ist immer noch besser, als wenn man sich vor dem Wein fürchtet, weil man schlechte Gedanken hat, die einem entschlüpfen könnten.« Und Caderousse begann sein Trinklied weiterzusingen.

»Sie sagten«, fing Ferdinand wieder an, »Sie möchten mich aus der Verlegenheit ziehen; aber, meinten Sie …«

»Ja, aber, meinte ich … damit Ihnen geholfen werde, genügt es, daß Dantès Ihre Geliebte nicht heiratet; und die Heirat kann, wie mir scheint, sehr leicht verhindert werden, ohne daß Dantès ums Leben kommt.«

»Nur der Tod wird sie trennen«, warf Ferdinand ein.

»Du räsonierst wie eine Auster, lieber Freund«, mischte sich Caderousse wieder ein; »dieser Danglars ist ein pfiffiger, mit allen Hunden gehetzter, geriebener Kopf und wird dir beweisen, daß du unrecht hast. Beweise, Danglars; ich habe für dich gutgesagt. Sag ihm, daß es nicht nötig ist, daß Dantès stirbt, was übrigens schade wäre. Ein guter Kerl, der Dantès! Dein Wohl, Dantès!«

Ferdinand stand ungeduldig auf.

»Lassen Sie ihn reden«, sagte Danglars, den jungen Mann zurückhaltend, »und übrigens, so betrunken er ist, er hat nicht so unrecht. Die Trennung ist für die Liebenden so gut wie der Tod. Angenommen, es befänden sich zwischen Edmond und Mercedes die Mauern eines Gefängnisses, so wären sie ebenso getrennt wie durch einen Grabstein.«

»Ja, aber man kommt aus dem Gefängnis wieder heraus«, fiel Caderousse, der den Rest seiner Vernunft aufwandte, um der Unterhaltung zu folgen, erneut ein. »Und wenn man wieder heraus ist und Edmond Dantès heißt, so rächt man sich.«

»Was liegt daran!« murmelte Ferdinand.

»Und weshalb sollte man übrigens Dantès einstecken?« fuhr Caderousse fort. »Er hat weder gestohlen noch einen umgebracht.«

»Halt den Mund«, entgegnete Danglars.

»Ich will den Mund nicht halten«, rief Caderousse. »Ich will wissen, weshalb man Dantès einstecken sollte. Ich liebe den Dantès. Dein Wohl, Dantès!«

Und er goß wieder ein Glas hinunter. Danglars beobachtete an den matten Augen des Schneiders, wie dessen Trunkenheit fortschritt. Dann wandte er sich an Ferdinand.

»Nun, verstehen Sie, daß es nicht nötig ist, ihm ans Leben zu gehen?«

»Ja, gewiß – wenn man, wie Sie sagen, ein Mittel hätte, ihn festnehmen zu lassen. Aber haben Sie dieses Mittel?«

»Wenn man sich ordentlich bemühte«, entgegnete Danglars, »ließe es sich finden. Aber«, fuhr er fort, »in was, zum Teufel, mische ich mich da! Geht’s mich etwas an?«

»Ob es Sie etwas angeht, weiß ich nicht«, sagte Ferdinand, ihn am Arm fassend, »was ich aber weiß, ist, daß Sie einen besonderen Grund haben, Dantès zu hassen. Wer selbst haßt, täuscht sich nicht in den Gefühlen anderer.«

»Ich einen Grund, Dantès zu hassen? Durchaus nicht, auf Ehre! Ich habe gesehen, daß Sie unglücklich sind, und Ihr Unglück hat mein Mitgefühl erregt, weiter nichts; wenn Sie aber glauben, daß ich selbst ein Interesse an der Sache hätte, dann adieu, lieber Freund, helfen Sie sich selbst, so gut Sie können.« Und Danglars tat, als ob er aufstehen wollte.

»Nein«, sagte Ferdinand, ihn zurückhaltend, »bleiben Sie! Mir ist’s ja schließlich einerlei, ob Sie etwas gegen Dantès haben oder nicht; ich hasse ihn, das sage ich offen heraus. Finden Sie das Mittel, und ich führ’s aus, vorausgesetzt, daß es nicht sein Leben kostet, denn Mercedes hat gesagt, sie würde sich töten, wenn Dantès stürbe.«

Caderousse, der den Kopf hatte auf den Tisch sinken lassen, richtete ihn auf und rief, Ferdinand und Danglars mit schweren, blöden Augen ansehend:

»Dantès töten! Wer spricht hier davon, Dantès zu töten? Er soll nicht umgebracht werden; er ist mein Freund; er hat heute morgen sein Geld mit mir teilen wollen, wie ich meines mit ihm geteilt habe; ich will nicht, daß Dantès getötet wird.«

»Schafskopf! wer spricht denn davon, ihn zu töten?« sagte Danglars. »Es handelt sich um einen bloßen Scherz. Trink auf sein Wohl«, fügte er, das Glas Caderousses füllend, hinzu, »und laß uns in Ruhe.«

»Ja, ja, auf Dantès’ Wohl!« sagte Caderousse, indem er sein Glas leerte, »auf sein Wohl … auf sein Wohl … da!«

»Aber das Mittel … das Mittel?« fragte Ferdinand.

»Sie haben’s also noch nicht?«

»Nein, Sie haben’s übernommen, es zu finden.«

»Allerdings«, meinte Danglars, »die Franzosen sind den Spaniern insofern überlegen, als diese grübeln, während die Franzosen erfinden.«

»Dann erfinden Sie doch«, gab Ferdinand ungeduldig zurück.

»Kellner«, rief Danglars, »eine Feder, Tinte und Papier!«

»Eine Feder, Tinte und Papier!« murmelte Ferdinand.

»Jawohl, ich bin Rechnungsführer. Feder, Tinte und Papier sind mein Handwerkszeug, und ohne das kann ich nichts anfangen.«

»Eine Feder, Tinte und Papier!« rief nun seinerseits Ferdinand. »Dort auf dem Tisch finden Sie das Gewünschte«, sagte der Kellner.