Der große Erziehungsirrtum - Helene Drexler - E-Book

Der große Erziehungsirrtum E-Book

Helene Drexler

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Beschreibung

Welchen Beitrag leistet Erziehung zur Entwicklung einer narzisstischen Persönlichkeit? „Die Phänomene, die ich in meiner Praxis immer häufiger sehe, sprechen für einen erheblichen Einfluss der Erziehung“, sagt die Psychotherapeutin und Vorsitzende der Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse, Helene Drexler. „Eltern, die das Beste für ihre Kinder wollten, berichten immer häufiger – manchmal fast beschämt – von unerwarteten Eskapaden ihrer Sprösslinge. Der Nachwuchs scheint mit den gut gemeinten, edlen Vorstellungen seiner Eltern nichts am Hut zu haben, ja er scheint diese geradewegs ad absurdum führen zu wollen.“ In diesem Buch zeigt Drexler nun, nach welchem „Rezept“ der Narzissmus als Produkt eines Erziehungsirrtums entstehen kann und welche Möglichkeiten Eltern haben, um dem vorzubeugen. Sechs Zutaten für eine (sichere) Narzissmusentwicklung: Viele Eltern wollen das Beste für ihr Kind, denn es ist ihr größter Schatz. Ihm wollen sie alles ermöglichen, die Welt zu Füßen legen. In dieser einfachen, nachvollziehbaren Absicht sind auch schon unsere Zutaten für eine Entwicklung zur narzisstischen Persönlichkeit enthalten: Bedeutsamkeit: Stellen Sie Ihr Kind auf ein Podest! Grenzenlosigkeit: Alles ist erlaubt! Mächtigkeit: Tanzen Sie nach seiner Pfeife! Überlegenheit: Wir sind die Besten! Selektive Wahrnehmung: Alles ist wunderbar! Und schließlich noch: Eine kleine Prise Zweifel

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Helene Drexler

Der große Erziehungsirrtum

Wie wir unsere Kinder zu Narzissten machen

Helene Drexler ist seit mehr als dreißig Jahren als Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und Psychotherapeutin in freier Praxis tätig. Sie studierte Psychologie und Pädagogik in Wien und absolvierte die Ausbildung zur Psychotherapeutin mit Fachrichtung Logotherapie und Existenzanalyse. Seit 1993 ist sie für die Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse (GLE) als Lehrtherapeutin, Supervisorin und Ausbildnerin tätig. Drexler leitet das GLE-Institut Wien und ist seit 2021 Vorstandsvorsitzende der GLE Österreich.

Welchen Beitrag leistet Erziehung zur Entwicklung einer narzisstischen Persönlichkeit? „Die Phänomene, die ich in meiner Praxis immer häuhger sehe, sprechen für einen erheblichen Einfluss der Erziehung“, sagt die Psychotherapeutin und Vorsitzende der Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse, Helene Drexler. „Eltern, die das Beste für ihre Kinder wollten, berichten immer häufiger – manchmal fast beschämt – von unerwarteten Eskapaden ihrer Sprösslinge. Der Nachwuchs scheint mit den gut gemeinten, edlen Vorstellungen seiner Eltern nichts am Hut zu haben, ja er scheint diese geradewegs ad absurdum führen zu wollen.“

Warum ist das so?

In diesem Buch geht Drexler der Sache auf den Grund. Sie zeigt, mit welchen „Rezeptzutaten“ Narzissmus in der Erziehung entstehen kann und welche Möglichkeiten Eltern haben, um diesen ungewollten „Nebenwirkungen“ vorzubeugen.

1. Auflage 2022

ISBN: 978-3-903229-45-7

© Delta X Verlag, Wien | www.deltax.at

Lektorat: Regina Erben-Hartig

Satz und Umschlaggestaltung: atelier sieben

Coverfoto: iStock / RichVintage

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages vervielfältigt oder verbreitet werden. Das gilt insbesondere für die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie, Übersetzungen sowie für die Vervielfältigung auf elektronischen Datenträgern.

Inhaltsverzeichnis

Protagonisten

Einleitung

Teil 1 – Narzissten regieren die Welt!

Sechs Zutaten für eine (sichere) Narzissmusentwicklung

1. Zutat: Bedeutsamkeit – Stellen Sie Ihr Kind auf ein Podest!

2. Zutat: Grenzenlosigkeit – Alles ist erlaubt!

3. Zutat: Mächtigkeit – Tanzen Sie nach seiner Pfeife!

4. Zutat: Überlegenheit – Wir sind die Besten!

5. Zutat: Selektive Wahrnehmung – Alles ist wunderbar!

6. Zutat: Eine kleine Prise Zweifel

Teil 2 – Unerwünschte Nebenwirkungen

Die Ausformung des Narzissmus

Idealisierung und die Einnistung des Zweifels

Zweifel trotz Wertschätzung

Schutzmechanismen / Copingreaktionen

Wahrnehmung und Affekt im Dienste des Selbstschutzes

Kommunikation im Dienste des Selbstschutzes

Aggressive Verhaltensweisen im Dienste des Selbstschutzes

Demonstrative Souveränität im Dienste des Selbstschutzes

Werteersatz als Selbstschutz

Auswirkungen / Tragik

Teil 3 – Der Falle entgehen

Eckpfeiler der Selbstwertentwicklung

Voraussetzungen der Bezugspersonen

Respekt, Ernstnehmen und Wertschätzung als konstituierende Faktoren des Selbstwerts

Übernahme erfahrener Haltungen

Trugbilder der Selbstwertentwicklung – der kritische Blick auf Idealisierung aus existenzanalytischer Sicht

Vorbeugende Maßnahmen

Achtung/ Respekt

Grenzen

Ernstnehmen / Gerechtwerden

Wertschätzung

Bibliographie

Protagonisten

In den folgenden Kapiteln werden uns immer wieder beispielhaft Protagonisten begegnen, die aus verschiedenen Familien stammen. Sie seien hier, zum Überblick, angeführt:

1. Familie:

Lisa, Moderatorin und Roland, Wissenschaftler,

ihr Kind Amelia.

Credo: Leistung, Elite, Prominenz

2. Familie:

Marlies und Robert, Fleischerunternehmer,

ihre Kinder Miriam, Moni, Marie und Stefan.

Credo: Besitz, Heimat, Tradition

3. Familie:

Sylvia und Thomas,

ihre Kinder Jenny und Fanny.

Credo: soziales Engagement, Eintreten für Umweltschutz

Einleitung

In den letzten Jahren sind zahlreiche Bücher über den Narzissmus erschienen: Der narzisstische Mann, die narzisstische Frau, die narzisstische Gesellschaft, ja sogar das narzisstische Kind wurde zum Thema.

Narzissmus als Einzelschicksal gab es immer schon. Bereits in der griechischen Mythologie taucht das Phänomen in der Erzählung von Narzissos auf, der in Selbstverliebtheit nichts und niemanden lieben kann und schließlich in seiner Selbstverliebtheit ertrinkt. Aber ist Narzissmus tatsächlich ein gesellschaftliches Phänomen geworden? Eine Lebensform, in der die Beschäftigung mit dem Ego im Vordergrund steht und das Beste nicht gut genug ist? In der die Empfindlichkeit gegenüber anderen Sichtweisen oder Kritik überdimensional groß, Empathie und Rücksicht auf andere hingegen überdimensional klein ausgeprägt ist? Ist Narzissmus vielleicht gar Grundlage für den Erfolg in einer Welt der Konkurrenz, des Wettbewerbs?

Ein Erfolgsrezept?

Manche Phänomene der modernen Medienwelt scheinen das nahe zu legen: Influencer(innen), deren Social-Media-Auftritte fast zur Gänze aus der selbstbewussten Darstellung ihrer Gedanken oder gleich ihres ganzen Lebensstils bestehen; Talkmaster(innen), die mit ihrem selbstdarstellerischen Auftritt beweisen, dass die vorrangige Beschäftigung mit der eigenen Person zum gesellschaftlichen Erfolg führt; It-Girls und Stars, die sich im gleißenden Scheinwerferlicht und in der uneingeschränkten Bewunderung der Zuseher sonnen und bei denen oft nicht ganz klar ist, worin denn eigentlich ihre Leistung besteht; TV-Sender, die sich weniger auf die sportlichen Erfolge, sondern vielmehr auf die sensationellsten Details aus dem Leben der von allen bewunderten Olympiasiegerin konzentrieren. Und schließlich kennt man auf der ganzen Welt Politiker und Politikerinnen, die mit unglaublichen Versprechungen, aber ausgestattet mit großer Macht und einer Aura der Großartigkeit, Millionen von Menschen dazu bewegen ihnen Glauben zu schenken.

Gewiss, könnten wir sagen, das ist eine große, funkelnde Welt und auch wenn wir täglich an ihr partizipieren, so hat sie mit unserer alltäglichen, kleinen Welt, in der sich das Funkeln auf Weihnachten beschränkt und keine roten Teppiche ausgerollt werden, doch wenig zu tun. Aber ist das wirklich so?

In den letzten Jahren wuchs mein Entschluss meine psychotherapeutische Arbeit unterdiesem Fokus zu beleuchten. Auffallend war eines: Die für narzisstische Menschen typische Symptomatik einer übermäßigen Egozentrik und eines groben Mangels an Empathie sowie einer Unfähigkeit mit Kritik zurechtzukommen, fand sich in den Therapien nur in begrenztem Ausmaß.

Als ich aber in der Auseinandersetzung mit narzisstischen Denk- und Verhaltensweisen andere Facetten in den Blick nahm, änderte sich das Bild. Das Phänomen eines immens hohen Anspruchs, vor allem unter den Jüngeren, schien allgegenwärtig. Da ist die Rede vom Lebensziel „viel Geld zu verdienen“; oder alle Bedürfnisse zurückzustellen und „Karriere zu machen“, – um bewundert oder beneidet zu werden. Patientinnen – und sie sind durchwegs jüngeren Alters – zeigen mir mit verschmitzt-glücklichem Lächeln ihr neuestes Handy, das eben erst auf den Markt gekommen sei und das noch keiner ihrer Freunde besitze. Frauen wie Männer schildern mir Listen von Kriterien, die mögliche Partnerinnen und Partner erfüllen müssten, um Chancen bei ihnen zu haben: Schönheit, Körpergröße und ein trainierter Körper nehmen die obersten Ränge ein.

Doch was mir am meisten ins Auge sticht, sind die Vorstellungen und Ansprüche gegenüber bereits geborenen und auch noch nicht geborenen Kindern. Die Sehnsüchte der Eltern zeichnen ein Bild von glücklichen Kindern: Kinder, die beliebt wären und viele Freunde hätten. Kinder, die allen Anforderungen gewachsen wären und sich durchsetzen können. Kinder, die zielstrebig ihren Weg in die Zukunft gehen. Um diese Ziele zu erreichen, wollen Eltern alles für ihre Kinder tun, oft schon vor der Geburt und erst recht danach. Das gesamte Streben der Eltern wird darauf ausgerichtet, das Ziel des glücklichen Kindes zu erreichen. Weder Mühen noch Kosten werden gescheut, um ihr Kind in die bestmöglichsten Bahnen zu lenken. Auf den Punkt gebracht: „Wir geben unseren Kindern unser Bestes, damit das Beste herauskommt.“

Wenn ich Eltern von ihren Babys und Kleinkindern sprechen höre, so schwelgen sie in Worten des Glücks. Sie werden nicht müde von Ereignissen und Beobachtungen zu erzählen, die den Charme und vor allem die Klugheit ihres Nachwuchses herausstreichen. Regelmäßig erhalte ich Fotos von strahlenden Kleinen mit großer Glitzerkrone am kleinen Köpfchen.

So bin ich geneigt zu denken: Welch ein Glück für so sehr geliebte Kinder, für so beglückte Eltern!

Und wir könnten denken: Wenn das die Auswirkung des Anspruchs: „Nur das Beste für unser Kind“ darstellt, dann ist doch gegen ein solches Ansinnen nichts einzuwenden!

Die nächste Erfahrung, die ich in meiner psychotherapeutischen Praxis immer häufiger mache, widerspricht dem Bild des Glücks. Die gerade noch so euphorischen Eltern berichten – manchmal fast beschämt – von unerwarteten Eskapaden ihrer Sprösslinge. Der Nachwuchs, nun dem Baby- und Kleinkindalter entwachsen, scheint mit den gut gemeinten, edlen Vorstellungen seiner Eltern nichts am Hut zu haben, ja er scheint diese geradewegs ad absurdum führen zu wollen. Die Eltern werden in die Schule gerufen, weil „ihre Prinzessin, ihr Prinz“ plötzlich andere Kinder schlägt. Dabei sei Pazifismus doch ein Eckpfeiler ihrer Erziehung! Der Sohn, gerade in die Pubertät gekommen, erklärt mit felsenfester Überzeugung, die Schule abzubrechen. Dabei habe man ihm doch vorgelebt, welch großer Schatz in der Bildung liege! Solche Verhaltensweisen waren früher oftmals vorübergehende und in der herausfordernden Zeit des Erwachsenwerdens kein Grund zur Beunruhigung. In den letzten Jahren nehme ich allerdings wahr, dass sich die elterlichen Klagen bis ins Erwachsenenalter ihrer Kinder fortsetzen und sich zu großer Sorge wandeln. So berichten Elternteile vom Sohn, nunmehr in den 20ern, der davon träumt viel Geld zu verdienen, dabei seine Tage aber am Computer als Gamer verbringt, um dort zum Hero seiner Spiele zu werden. Im wahren Leben hat er jedoch noch keinen Job länger als zwei Monate durchgehalten. Der Versuch eines Gesprächs führe regelmäßig zur Eskalation mit krachender Tür und Beziehungsabbruch seitens des Sohnes.

Andere erzählen von ihrer nun bald 30-jährigen Tochter, die noch keine Beziehung eingegangen sei, die drei Monate überstanden habe. Sie wisse zwar sehr genau, was sie wolle, aber kein Mann hätte ihre Vorstellung bis jetzt erfüllen können. All diese Männer seien nicht „präsentierbar“: „Man muss sich genieren, wenn sie den Mund aufmachen“, „Sie müssten erst an Auftreten und Aussehen feilen“ und „Die Bildung lasse überhaupt zu wünschen übrig“.

In manchen Fällen bringen die verzagten Eltern die Werte, die sie in ihrer Erziehung vermittelt haben, in Verbindung mit dem jetzigen Dilemma, in dem sie ihr erwachsenes Kind gefangen sehen. So wenn die 35-jährige Tochter ihre ganze Leidenschaft der Verfolgung ihrer Ideale, wie zum Beispiel dem Einsatz für die Rettung der Welt, widmet, auf Demos geht und in Foren schreibt. Angesprochen darauf, wie lange sie noch vom Geld der Eltern zu leben gedenke, reagiert sie mit völligem Unverständnis. Man habe ihr doch beigebracht, wie wichtig es sei, das Wahre zu leben und die kostbare Lebenszeit nicht mit Unstimmigem zu verbringen. Sie habe aus den Unsinnigkeiten der Eltern gelernt, die sich für Geld auf Kosten ihrer Gesundheit ausgebeutet hätten. „Work Life Balance“ sei nun die Devise. Ihre Generation habe sich eben eine Stufe höher in der Menschheitsentwicklung begeben.

Mitunter schildern auch Arbeitgeber(innen) ihre Mühen mit den neuen Angestellten. Das Ansprechen eines regelmäßigen Zuspätkommens würde mit erstauntem Achselzucken quittiert, Aufträge von Vorgesetzten in Frage gestellt oder ignoriert. Schon nach kurzer Zeit würde das Gehalt als zu gering, der Arbeitsaufwand als zu hoch und der Inhalt der Tätigkeit als unerfüllend beurteilt – darauffolgende Kündigung inklusive.

Wenn ich mir diese Erzählungen so ansehe, kann ich eigentlich nur sagen: Die Kinder haben das Anspruchsdenken ihrer Eltern gut übernommen. Allerdings entnehme ich den Sorgen der Eltern auch, dass sie mit dem hohen Anspruch für ihre Kinder etwas andere Ziele im Auge hatten.

Aus meiner psychotherapeutischen Perspektive möchte ich dazu ergänzen: Zum hohen Anspruch gesellt sich nun auch der zentrale Aspekt des Narzissmus hinzu: Die Ausrichtung auf das Ego und seine Bedürfnisse, unter Ausklammerung Anderer. Andere werden nach ihrem Nutzwert beurteilt. Sie sind dazu da, die Rahmenbedingungen für die Konzentration auf sich selbst sicher zu stellen. Erkennbar sind auch die Abwertung und die Empfindsamkeit bei Kritik. Somit haben wir in den Beschreibungen der Kinder durch ihre Eltern alle narzisstischen Aspekte im Bunde. – Narzissmus erscheint nun doch als (weit) verbreitetes Phänomen.

Die Häufung solcher Erzählungen spricht für mich jedenfalls eine deutliche Sprache: Es handelt sich nicht mehr um Einzelschicksale. Wir haben es tatsächlich mit einer Verbreitung von narzisstischen Lebensweisen zu tun.

Die Frage ist: Wie konnte das geschehen?

Werfen wir einen Blick zurück: Lange Zeit war die Kindererziehung auf Anpassung, Funktionieren und Gefügigkeit ausgerichtet gewesen. Erreicht werden sollte das durch strenge Regeln, Strafen und Demütigungen. Diese Form des Umgangs mit den jungen Menschenwesen sollte zu Recht der Vergangenheit angehören. Von nun an stand das Wohl der Kinder im Mittelpunkt. Kinder sollten alle erdenkliche Liebe und Wertschätzung erhalten, um sie zu selbständigen, authentischen und glücklichen Erwachsenen werden zu lassen. Viele pädagogische Konzepte wurden entwickelt, in denen Respekt und Wertschätzung Kindern gegenüber im Zentrum stehen. Eine große Zahl an Ratgebern wurde in den letzten 30 Jahren veröffentlicht, die sich dem Erreichen dieses Ziels verschrieben haben.

Das Ergebnis dieses Bemühens aber ist auf den ersten Blick befremdlich: Wie konnten die besten Absichten, dieser große Einsatz im Dienst der Kinder den Narzissmus dermaßen befördern? Allen gemeinsam war: Eltern und pädagogische Fachleute wollten das Beste. – Offensichtlich müssen wir uns eingedenk dieser Entwicklung aber die Frage stellen: Was ist überhaupt das Beste für unsere Kinder?

Hellhörig geworden durch den sorgenvollen Blick der Eltern auf die Zukunft ihrer erwachsenen Kinder lenkte ich mein Augenmerk auf die Familien mit kleinen Kindern. Ich hörte aufmerksam den Schilderungen ihres Alltags zu. Die Phänomene, die ich wahrnahm, die übergroße Identifikation mit dem Nachwuchs, das Bemühen um die Weitergabe der eigenen edlen Werte sowie die ultimative Priorisierung der Kindeswünsche gegenüber denen der Erwachsenen hinterließen in mir zunehmend ein befremdetes Gefühl. Das Alles wirkte wie ein Zuviel, ein „Zu-sehr-das-Bestegewollt-Haben“, kurz gesagt ein „Übers Ziel geschossen“. In diesem „Zu-viel-des-Guten“ ortete ich nach und nach den Grund für die verbreitete narzisstische Entwicklung.

Zum Aufbau des Buches

In einem ersten Teil des Buches möchte ich meine Beobachtungen zur Verfügung stellen. Unter dem Motto „Sechs Zutaten für eine sichere Narzissmusentwicklung“ beschreibe ich in ironischpointierter Weise Situationen, die vielleicht an der einen oder anderen Stelle zu einem schmunzelnden Sich-Wiedererkennen führen – im Sinne von „ach ja, das kenne ich auch!“

Das solcherart vermittelte „Narzissmusrezept“ könnte durchaus über einen eigenen Anreiz verfügen. Wie schon eingangs geschildert: Es sind Narzissten, die die Welt regieren.

Im zweiten Teil des Buches verlasse ich die ironische Beschreibung der familiären Situationen. Im Fokus steht hier die psychotherapeutisch-existenzanalytische Sichtweise auf die Auslöser einer narzisstischen Entwicklung sowie deren Aufrechterhaltung durch Schutzmechanismen.

Im dritten Teil wende ich mich der gesunden Selbstwertentwicklung zu. Dabei stelle ich wesentliche Aspekte für die Entwicklung des Selbstwerts dar, wodurch eine Differenzierung zu einer oberflächlichen, ihr Ziel verfehlenden Selbstwertförderung, wie sie am Beginn des Buches illustriert wurde, gelingen kann. Den Abschluss bilden Anregungen zur Reflexion als wirkungsvolle Prophylaxe, die Eltern und pädagogischen Fachkräften dienlich sein können.

Teil 1

Narzissten regieren die Welt!

Sechs Zutaten für eine (sichere) Narzissmusentwicklung

Viele Eltern wollen das Beste für ihr Kind, denn es ist ihr größter Schatz. Ihm wollen sie alles ermöglichen, die Welt zu Füßen legen.

In dieser einfachen, nachvollziehbaren Absicht sind auch schon unsere Zutaten für eine Entwicklung zur narzisstischen Persönlichkeit enthalten:

1. Bedeutsamkeit

2. Grenzenlosigkeit

3. Mächtigkeit

4. Überlegenheit

5. Selektive Wahrnehmung Und schließlich noch:

6. Eine kleine Prise Zweifel

In einer an narzisstischen Wertmaßstäben orientierten Welt werden diese Aspekte die Weichen stellen für ein Leben in Glanz und Erfolg. Das ist wohl, was Eltern vorschwebt, wenn sie an die Zukunft ihrer Kinder denken und maximalen Einsatz im Dienst ihres Kindes leisten.

Natürlich kann es auch geschehen, dass ihr Kind im passiven Anspruch an die Welt, dominiert von Kritik an derselben und einer Unfähigkeit das eigene Leben auf Basis der realistischen Gegebenheiten zu gestalten, scheitert – so wie es uns die Schilderungen in der Einleitung illustriert haben.

Wohin die Reise gehen wird, bleibt offen.

1. Zutat: Bedeutsamkeit – Stellen Sie Ihr Kind auf ein Podest!

Natürlich lieben Sie Ihr Kind! Aber Liebe allein ist nicht so recht die Ingredienz, die es für Narzissmus braucht. Auch wenn Sie es aufgrund seiner Vorzüge als etwas ganz Besonderes empfinden, reicht das nicht aus. Um ein narzisstisches Selbstverständnis zu entwickeln, muss Ihr Kind zum Nabel der Welt werden; das heißt, das entstehende oder gerade auf diese Welt gekommene kleine Wesen wird zum Inbegriff Ihres Seins und das Zentrum all Ihres Strebens. Ihr Fokus wird jahrelang darauf liegen, dieses Kind und damit auch Sie selbst glücklich zu machen. Sie selbst? Darin liegt der Motor der ganzen Unternehmung, denn Ihr Nachwuchs steht für die Erfüllung Ihrer eigenen Wünsche, Sehnsüchte und bisher unerfüllten Erwartungen ans Leben. Wenn Sie alles, was Sie können, in den Dienst des Kindes stellen, Ihre eigenen Bedürfnisse denen des Kindes unterordnen, so haben Sie schon die ersten, wichtigen Weichen für die Entwicklung eines großartigen Selbstbewusstseins gestellt.

Welchen Sinn hat eine nur auf sich bezogene Lebens- und Karriereplanung im Vergleich dazu, alles in Ihrer Macht stehende zu tun, um einem Kind die Welt zu Füßen zu legen; egal ob Sie ihm Ihre ganze Aufmerksamkeit widmen, so viel Geld wie möglich erwirtschaften, um es in den Nachwuchs zu investieren oder ihm eine grenzenlose Welt eröffnen, in der es sich ungehindert ausdehnen kann? Was bedeutet Ihr normales Angestellten-, Beamten- oder Unternehmerdasein, wenn Sie durch Ihr Kind in den sportlichen, künstlerischen oder einen anderen der zahlreich zur Auswahl stehenden olympischen Himmel gehoben werden können? Ganz zu schweigen vom Zuwachs an Sinnhaftigkeit in Ihrem Leben durch die bloße Existenz eines Ihre Gene tragenden Lebewesens, durch das Sie an der Unsterblichkeit teilhaben dürfen! Fragen Sie sich also nach Ihren Sehnsüchten und legen Sie sie Ihrem Kind in die Wiege! Ist es der Kinderwunsch an sich? Sehen Sie in einer Mutter- / Vaterschaft die Erfüllung Ihres Menschseins? Oder wünschen Sie sich an jedem Tag Ihres Kindes nichts mehr, als dass ihm ausschließlich harmonische und großartige Erfahrungen zuteilwerden? Motiviert Sie ein tiefer, in der eigenen Kindheit erfahrener Mangel dazu, Ihrem Kind jeden Wunsch von den Lippen abzulesen oder – besser noch – ihn zu erfüllen, bevor es selbst das Bedürfnis erahnen könnte? Sitzt Ihnen der Stachel des Misserfolgs tief in der Seele, weil Sie keine Freunde finden konnten, immer ausgelacht wurden, die Schule nicht schafften, von den Eltern als deren größte Enttäuschung hingestellt wurden und deshalb all das Ihrem Kind – koste es, was es wolle – ersparen wollen? Dann verfügen Sie mit großer Wahrscheinlichkeit über die nötige Triebkraft sich für die optimale, an Superlativen orientierte Lebenserfahrung Ihres Kindes einsetzen zu wollen.

Je umfassender Ihre Sehnsucht Ihr Leben bestimmt und je leidenschaftlicher Sie für ihre Erfüllung zu kämpfen bereit sind, umso bessere Voraussetzungen schaffen Sie für die Sonderstellung Ihres Kindes.

Ist bereits die Zeugung von einem leidenschaftlichen, Alternativen ausschließenden, Kampf geprägt, so sind schon vor der Existenz dieses Babys die Chancen für eine narzisstische Entwicklung günstig. Alles haben seine Eltern versucht und gegeben, damit es den Weg ins Leben findet. Vom ersten Atemzug bzw. Herzschlag an erfährt es sich als Glückserfüller seiner Eltern. Lisas Erleben verdeutlicht uns das eindrücklich:

Endlich das lang ersehnte, hart erkämpfte, positive Ergebnis der IVF1! Zitternd umklammert Lisa das schlichte Stück Papier, das ihr das Paradies verheißt. Abwechselnd drückt sie es an die Brust und starrt im nächsten Moment auf die Buchstaben, ängstlich forschend, ob sie sich doch geirrt haben könnte.

Wie lange ersehnen sie und ihr Mann schon dieses Kind! Zuerst die finanzielle Absicherung durch eine wohlüberlegte Karriereplanung, dann der Aufbau eines sicheren, wohligen Nests und schließlich die feierliche Vereinbarung, ab nun ein Kind willkommen heißen zu wollen.

Doch dieses Kind ließ sich bitten, es kam nicht. Das Warten wurde anfangs noch mit Gelassenheit getragen, allmählich mit bemühtem Humor kommentiert, um dann in einen verkrampften Kampf um das Erwischen fruchtbarer Tage zu münden. Letztendlich der Entschluss zur künstlichen Befruchtung. Ein Horror all die vorbereitenden Maßnahmen, was Lisa nur dem als Tagebuch geführten Kalender anvertraute, aber niemals laut zu äußern wagte. Nicht zu sprechen von der unendlichen Enttäuschung, als der erste und der zweite Versuch misslangen.

Doch was soll´s? Schlagartig erscheinen all die Mühen in einem anderen Licht.

Mitunter ist es nicht die von Schwierigkeiten gekennzeichnete Zeugung selbst, die die ersehnte Entstehung des Kindes in einen Glücksrausch münden lässt, sondern das Wissen, in diesem Kind weiterzuleben, damit die Teilhabe an der Unsterblichkeit geschafft zu haben; oder auch die ungeduldige Erwartung eines Erben, der allein Garant dafür wird auf ein sinnerfülltes Leben zurückblicken zu können. Es spielt keine Rolle, ob es sich um den Bauernhof, das kleine oder große Geschäft oder den Familienbesitz handelt; auch nicht ob hart erarbeitet und unter Verzicht und Selbstkasteiung aufgebaut oder einfach nur geerbt; wesentlich ist, dass Ihr Ein und Alles Bestand hat, sicher gestellt durch den Erben. Die erlösende Bedeutung, die die Ankunft eines Sohnes haben kann und ihn in täglichen Huldigungen heranwachsen lässt, illustriert Roberts Geschichte:

Mit glänzenden Augen nimmt Robert seinen Stammhalter aus den Armen seiner Frau Marlies. Noch nie hat er sie so sehr geliebt wie in diesem Moment für dieses Geschenk. Das kleine Bündel in seinen Händen vollendet sein Glück. Endlich weiß er sein Unternehmen in starken Händen; auch wenn er zugeben muss, dass diese momentan noch recht zerbrechlich und in wenig zielgerichteten Bewegungen nach der Welt greifen. Seine Mädchen, sie sind ja süß, aber keine zeigt nach seinem flüchtigen Blick auch nur irgendwie Talent für die Berufung zum Fleischergeschäft: Miriam kämmt unentwegt die Haare ihrer Barbies, Moni, eigentlich Roberts Hoffnungsschimmer, weil gerne in Hosen und im Freien unterwegs, ekelt sich seit Neuestem entsetzlich vor Stallgeruch und Hühnerdreck; jedes Mal dieser Riesenaufruhr, wenn sie auf eine „Markierung“ tritt! Seine Tochter Marie nimmt Robert indes nur als Bücherwurm wahr. (Er hat nicht die Zeit in die Bücher zu blicken, in die sie ihn, den „Vater im Geschäft“ hineinzeichnet und Würste nachahmt.) Wie viele schlaflose Nächte hat ihn das gekostet. Vor seinem inneren Auge spielten sich Horrorszenarien ab: Fabrik und Wursttempel heruntergekommen, schuldenüberladen wie das Lebensmittelgeschäft der Eltern und zum

Schleuderpreis verkauft… Doch nun ist ihm die Rettung zuteilgeworden. Robert schwört Gott oder dem Schicksal – so genau weiß er nicht wem – ewigen Dank. Alles, was er als Vater an Wissen zu bieten hat, wird er diesem Jungen, seinem Nachfolger, zukommen lassen.

Hat sich die erste Aufregung um die Ankunft des neuen Erdenbürgers gelegt und die Kleinen sind Bestandteil der Familie geworden, so versäumen Sie nicht schon bald nach den besonderen Talenten Ihres Kindes Ausschau zu halten! Heißt es doch: „Früh übt sich, wer ein Meister werden will.“ Also beginnen Sie mit der Förderung Ihres Nachwuchses, so früh wie möglich und in welchem Bereich auch immer.

Sie merken, dass es gerne plaudert? Ein Englischkurs – für Babys, für Kleinkinder, für Kindergartenkinder ist da absolut das Richtige. Selbst wenn Sie dabei vorerst nur erfahren, dass auch auf Englisch die Kuh „Muh“ und die Katze „Miau“ macht, der Tag ist nah, an dem Ihr Kind zum ersten Mal „cow“ oder „cat“ sagen kann und sie beruhigt einschlafen, im Wissen, Ihrem Kind die frühestmögliche Förderung ermöglicht zu haben.

Vielleicht aber hüpft Ihr Kind mit Leidenschaft, springt von Sesseln, Tischen oder über Regenpfützen? Dann ab in den Gymnastikkurs! Nur wenn Sie nicht zögern, das Talent Ihres Kindes zu erkennen und die Möglichkeit ergreifen, dieses zu vertiefen, wahren Sie die Chancen auf Spitzenleistung.

Gleiches gilt für die Musikalität Ihres Vielleicht-Genies. Sobald es seine Fingerchen gezielt bewegen kann, gönnen Sie ihm die Freude sich an einem Musikinstrument zu erproben. Nicht nur Ihr Kind, die gesamte Familie wird beglückt sein, die ersten Versuche durch das Haus hallen zu hören.

Sollten Sie aber vor das Problem gestellt sein, es bei Ihrem Kind mit einem Multitalent zu tun zu haben, so verzagen Sie nicht! Die Woche dauert lang. An sieben Tagen können Sie es ohne Weiteres sieben Kurse besuchen lassen. Wie zu hören ist, passen auch locker zwei Kurse in einen Tag. Sie haben also nicht die Qual der Wahl. Kinder sind aufnahmefähig, nie wieder lernen sie so leicht wie in der Kindheit. Je mehr Ihr Kind seine Umgebung beeindruckt und Beifall erhält, umso mehr können Sie sich bestätigt fühlen, dass der Podestplatz der einzig richtige für Ihr Kind ist. Die Verfolgung dieser Ziele braucht natürlich Zeit und Aufmerksamkeit: immer sind die neuesten Erkenntnisse zu verfolgen und Angebote zu checken und vor allem braucht es ein perfektes Management. Eine Person allein ist da zu wenig. Sie brauchen einen Managementstab: am besten Partner, Großeltern und vielleicht noch die alte Freundin dazu. So werden Sie der Sonderstellung Ihres Kindes gerecht.

Seien Sie anspruchsvoll dabei; so wie Sie Ihr Bestes geben, sollen es auch Personen, die mit dem Kind zu tun haben. Ihr Kind ist etwas Besonderes, also sollten sich bitte auch die Bezugspersonen dessen bewusst sein, – am besten wäre es wohl, wenn sie sich pädagogisch schulen – oder zumindest Bücher lesen, um imstande zu sein, ihr Vorhaben mitzutragen.

Natürlich besteht auch die Möglichkeit, dass Sie nicht so sehr nach dem künstlerischen oder sportlichen Talent Ihres Kindes Ausschau halten, das es berühmt machen könnte. Vielleicht ist Ihnen mehr der wirtschaftliche Erfolg ein Anliegen, beziehungsweise dass Ihr Kind in die Welt der Mächtigen (aus Finanz, Management und Politik) eintreten kann. Dann halten Sie Ausschau nach den besten Schulen des Landes. Mit dem Sprachtraining haben Sie ja wahrscheinlich schon begonnen. Nun geht es um die umfassende Bildung. Auswahl gäbe es ja genug: von Schulen mit traditionellen Werten, die die Anleitung geben, sich auf dem glatten Parkett der Welt bewegen zu können, bis hin zu Schulen, deren Fokus auf der Stärkung des Wir-Gefühls liegt und des Einsatzes für die Anliegen der Welt.

Schule ist jedoch nicht alles. Sorgen Sie für den richtigen Umgang Ihres Kindes. Steuern sie es bei der Auswahl seiner Freunde. Wenn Sie früh damit beginnen, gestaltet sich dieses Unterfangen ohne Probleme. Es wird Ihnen nicht schwerfallen herauszufinden, welche Familien Bildung und Kultur Ihres Kindes unterstützen.