Der heilige Born - Wilhelm Raabe - E-Book

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Wilhelm Raabe

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Beschreibung

Anno 1556 ist die Weser bei Holzminden eine Grenze zwischen Katholiken und Lutheranern. In dem Dorf Stahle am linken Weserufer sitzt der junge Vikar Festus in dem katholischen Pfarrhaus und am rechten Ufer gegenüber in Holzminden schreibt der gestrenge lutherische Pastor Magister Valentin Fichtner an seinem Werk "De Daemonibus". Der Katholik Festus und der junge Lutheraner Klaus Eckenbrecher lieben des Pastors 17-jähriges Töchterlein Monika Fichtner. Monikas Mutter ist verstorben. Während sich Festus seiner verbotenen Liebe bewusst ist, diese also geheim hält, bekennt sich Klaus offen zu seiner starken Neigung und stößt auf den erbitterten Widerstand des Vaters. Pastor Fichtner will keine mittellose Waise mit fragwürdigem Elternhaus zum Schwiegersohn. Der Vater Klaus Eckenbrechers war Stadttrompeter von Holzminden und die Mutter Alheit Leifheit war die Witwe eines Enthaupteten gewesen. Klaus sieht ein, bevor er Monika heimführen darf, muss er es erst zu etwas bringen. Der junge Bursche hat Glück. Der 26-jährige Philipp von Spiegelberg, Graf zu Pyrmont, nimmt ihn als Reisiger auf. Nicht weit vom gräflichen Schloss, nahe bei Lügde, liegt Der heilige Born, eine Quelle, deren Wasser gegen Leibesgebrechen Wunder wirken soll. Es geht das Gerücht, der "Wunderbronn" wirke sogar als Jungbrunnen. Wilhelm Raabe (1831-1910) war ein deutscher Schriftsteller. Er war ein Vertreter des poetischen Realismus, bekannt für seine gesellschaftskritischen Erzählungen, Novellen und Romane.

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Wilhelm Raabe

Der heilige Born

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Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel

Erstes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Das Jahr nach der Geburt unseres Herrn Jesus Christus eintausendfünfhundertsechsundfünfzig fing auf eine klugen Leuten und Einfaltspinseln gleich bedenkliche Weise an.

Seit dem achtundzwanzigsten Februar nämlich blickte alles Volk, alt und jung, vornehm und gering, gelehrt und ungelehrt – mit Grausen und Entsetzen allabendlich, wenn die Sterne aufgingen, nach einem großen Himmelswunder, welches um diese Zeit mit den gewohnten freundlichen Lichtern im himmlischen Saal emporstieg und, von Nacht zu Nacht gewaltiger und dräuender werdend, seinen Weg dem mitternächtlichen Meerstern zu nahm.

Dieses greuliche Wunderzeichen und Schrecknis war von weißer und bleicher Farbe, als ob ein Stern gestorben sei und nun wegen der Sünden, so auf ihm geschehen, als ein Totengespenst umgehen müsse, die andern, noch in Leben und Licht wandelnden Geschöpfe Gottes zu schrecken. Es zog einen grausamen Schwanz hinter sich her durch den Luftraum, nach der Meinung und Rechnung der Sternkundigen wohl hundertundachtzig oder noch mehr Meilen lang.

Viele arme Kindlein lagen dazumal krank an der schweren Not und starben ohne Hülfe haufenweise. Unglück aller Art – Teuerung und Krieg – wurde vorhergesagt und traf auch in Hülle und Fülle ein.

Erst am letzten April glitt das letzte Stücklein des feurigen Sternschweifes hinter den Horizont hinab, und wurde von da an nichts mehr gesehen am Nachthimmel als der gewohnten Sterne »Lauf, Licht und Figur«; und wenn auch auf diesen Kometen nach altem Recht ein gar heißer, schwerer Sommer erfolgte, so tat das doch dem nahen Frühling fürs erste nichts.

Im Gegenteil rückte derselbe recht fröhlich und prächtig ein in das Land. Die Frösche hüpften vor aus ihren Schlupflöchern und sonnten sich auf den Wegen und hatten durchaus nicht die geringste Ahnung davon, daß es besser für sie gewesen wäre, wenn sie in ihren Winterwinkeln geblieben wären. Bäume und Büsche entfalteten wie gewöhnlich ihre großen Blattknospen und begrünten sich, die Vögel sangen ihre Loblieder, die Eichkätzchen rieben sich den Schlaf aus den klugen Äuglein, erzählten sich ihre Winterträume und fingen an, muntere Jagden zu halten um die Stämme der Buchen und Eichen. Alles Tierleben regte sich allgemach, munter und guter Dinge, und zuletzt fingen die Menschen auch wieder an freier zu atmen, da sie nur allein die gewöhnlichen lieben Sternbilder, den großen Bär und den kleinen, den Orion und die andern alle, so viel sie Namen haben oder nicht haben, am nächtlichen Himmelszelt erblickten, ehe sie schlafen gingen, nicht aber mehr das gräßliche geschweifte Ungetüm, dessen Art noch niemals der Menschheit viel des Guten gebracht hat und bringen wird.

Doch so weit sind wir noch nicht!

Am fünfundzwanzigsten März abends, wo unsere Geschichte ihren Anfang nimmt, steht der Komet noch schrecklich am schwarzen Himmel und durchzieht gleich einem alles verschlingen wollenden Drachen die Herde der übrigen silbernen Lichter.

Die Unruhe und Angst ist noch groß in der Welt, also auch groß in dem Städtlein Holzminden an der Weser, allwo der lutherische Pastor Herr Magister Valentin Fichtner über seinen Studiertisch weg und seinen Garten, welcher sich gegen den Fluß hin erstreckt, den drohenden Boten Gottes gerade vor Augen hat – recht bequem, um über das Manuskript seines großen Werkes: De Daemonibus von Zeit zu Zeit durch das Fenster zu ihm auflugen zu können.

Ein geistlicher Herr des neunzehnten Jahrhunderts würde dabei jedenfalls sehr nachdenkliche Rauchwolken aus seiner Tabakspfeife gesogen haben; Ehrn Valentin Fichtner tat das aber nicht. Zwar rauchte man bereits um diese Zeit in England das neue virginische Kraut, und nach Portugal schwamm eben über den Atlantischen Ozean das Schiff, welches den Leibarzt des spanischen Königs, Philipps des Zweiten, Don Francesco Hernandez, welcher den Tabak nach Portugal brachte, trug; im deutschen Reich kannte man jedoch dieses tröstende Labsal in jeglicher Bekümmernis und Bedrängnis, dieses Stärkungsmittel bei jeglicher Arbeit noch nicht. So mußte es denn auch der Pastor Fichtner entbehren, obgleich es ihm gewiß die besten Dienste geleistet haben würde bei der Abfassung des unheimlichen Kapitels seines Werkes, an welchem er eben schrieb: »Von den vielen und mancherlei Naturen der Teufel«, bei der Betrachtung des unheimlichen Sternes, welcher ob seinem Studium leuchtete.

Viele dickleibige und schweinslederne Folianten und Quartanten hatte der wackere Mann nachgeschlagen, vieler hochgelehrten und frommen Männer Zeugnis hatte er treulich und ordentlich erforscht; und so wollen wir ihm über die Schulter schauen und seine Klassifikation des bösen Prinzips ablesen von dem Blatte vor ihm.

Da hat er gefunden:

»Zuerst – die Pseudothei, hoc est falsi Dei, das ist, falsche Götzen und abgöttische Teufel, welche sich Gottes allmächtigen Namen anmaßen und wie Gott selbst verehrt werden wollen. Der Fürst dieser Ordnung heißt: Beel-Zebub, ein Gott der Teufel.«

»Zum andern – Spiriti mendaciorum, Lügengeister, wie deren einer aus dem Munde des Propheten Ahab ging. Der Fürst dieser Ordnung ist Python, die Schlange, von welcher der heidnische Abgott Apollo, Epythius genannt wird.«

»In der dritten Ordnung stehen die Geister, so man vasa iniquitatis nennt: Instrumente, Werkzeuge und Gefäße aller Sünden, Laster und Schanden. Ihr Fürst ist Belial, ein ungehorsamer, schändlicher und verderblicher Geist.«

»Der vierten Art sind die Rachegeister, ultores scelerum; deren Fürst wird Asmodeus genannt. V. Tob. 3.«

»In der fünften Ordnung sind die Prestigiatores, die Zaubergeister. Ihr Fürst ist Satan, das ist: Feind und Widersacher Gottes.«

»Zum sechsten stehen die acreae potestates, die Luftgeister. Dieser Fürsten nennen sie Meririm.«

»Im siebenten Gliede sind zu zählen die Furiae, die unruhigen Geister, durch welche in der Welt greulicher Aufruhr, Zwietracht, Haß, Neid, Mord, Empörung und allerlei Uneinigkeit angerichtet wird. Diesen setzen sie zum Fürsten Abadonna, davon in der Offenbarung Johannis am neunten Kapitel gemeldet wird.«

»Zum achten folgen die Criminatores, die Schmähgeister, deren Fürst ist Diabolus, ein Lästerer. Es tun etliche Gelehrte aber hinzu die Daemones exploratores, welcher Fürst Astaroth sein soll, ein Erforscher und Verführer.«

»In der neunten und letzten Ordnung sind die Tentatores et insidiatores, die Verführer und arglistigen Geister, welche dafür gehalten werden, daß ein jeder insonderheit einen Menschen zu verführen in die Hand nehme. Sie werden auch genii mali, das ist: böse Engel genannt. Den Fürsten unter ihnen nennen sie Mammon.«

Das war nun in der Tat eine diabolische Nomenklatur, bei deren Abfassung ein Theologe des sechzehnten Jahrhunderts wohl scheue Blicke nach dem dunklen Nachthimmel, allwo die Zornrute des allmächtigen zürnenden Gottes, der große Komet, in furchtbarlichster Schrecklichkeit brannte, werfen konnte.

Von Zeit zu Zeit erhob sich der Alte auch unruhig genug aus seinem umfangreichen, gradlehnigen, schwarzbeschlagenen Lehnsessel und trat, die Feder in der Hand, an das niedere Fenster seiner Studierstube. Dann schüttelte er jedesmal bedächtig, sorgenvoll das ergrauende Haupt und hatte seine zweifelnden Gedanken, ob der im vorigen Jahre zwischen Kaiserlicher Majestät und den protestierenden Ständen zu Augsburg abgeschlossene Religionsfriede wohl stichhaltig und von Dauer sein werde.

»Was Gott nicht hält, das geht zu Grund, Wenn’s gleich auf eisern Mauern stund!«

murmelte er mehr als einmal, wenn er so stand und die sorgengefurchte Stirn gegen die kalten Glasscheiben drückte.

Jedesmal ging er schwer seufzend zurück zu seinem Tisch und seiner Arbeit, und die stumpfe Feder nahm ihren abgebrochenen Weg wieder auf über das handfeste Papier jener Zeiten.

Wahrlich, es mußte das Papier damals handfester sein als das unsrige!

Sie schrieben mit gar gewichtiger Faust, die alten Kämpfer im Chorrock und Mönchsgewand, die Kämpfer in ritterlicher Rüstung!

Und die gewaltigen Folianten, die riesenhaften Dintenfässer paßten ganz zu dem Papier und den Handschriften. Wohl waren diese Dintenfässer geeignet, dem Gegner wie dem Teufel damit ein Loch in den widerborstigen Kopf zu werfen!

Und wie das Rüstzeug, so waren auch die Leibesgestalten. Schaut diesen grübelnden Streiter des neuen Glaubens!

Wie vierschrötig, gediegen steht der Mann auf seinen Füßen! Es gehört ein tüchtiger Sturm dazu, diese knorrige Eiche umzuwerfen. Auf dem kurzen Halse über den breiten Schultern hebt sich ein Kopf, wie man ihn sich nicht charakteristischer vorstellen kann. Breite Stirn und breites Kinn, graue, kluge, leuchtende Augen, kurz geschnittenes, graues, sprödes Haar und ein Bart von gleicher Art und Farbe – sind äußere Merkmale: wer kann das innerliche Feuer des wunderbaren Jahrhunderts, welches aus diesen Augen glüht, malen? ist nicht dieser lutherische Pastor zu Holzminden ein prächtiges Beispiel dieses Geschlechtes, welches so gewaltig war in seinen Siegen wie in seinem Unterliegen, in seinen Leiden wie in seinen Freuden, in seinem Haß wie in seiner Demut, in seinem Stolz wie in seiner Liebe?

Seht ihn euch an, wie er da sitzt in dem schwarzen, pelzbesetzten Gewande seiner Zeit – tausend und aber tausend Bilder euerer Vorfahren in euren alten Bürgerhäusern zeigen ihn euch! – –

Und jetzt legte Ehrn Valentin Fichtner, der Prediger der Kirche Gottes zu Holzminden, seine Feder zum letztenmal an diesem Abend nieder und trat wiederum an das Fenster.

»Jawohl, tentatores et insidiatores!« murmelte er. »O wie ist die Welt voll davon in jeglicher Gestalt! O wie ist ihrer Zahl Legion!«

Rückwärts über die Schulter blickte er auf das lebensgroße Bildnis des großen Doktors und teuren Mannes Gottes, Martin Luther, welches neben dem Ofen von der Wand herabschaute und neben welchem das Schwert hing, welches Johannes Fichtner, der einzige Sohn des Alten, so wacker geführt hatte vor Ingolstadt, bei Rochlitz und in den bösen Unglücksschlachten bei Mühlberg, wo der Johannes den Ritter-und Märtyrertod für den reinen Glauben starb, wo der Kurfürst gefangen wurde und der Schmalkaldische Bund, wie die Zeitgenossen sagten, wirklich zu einem »schmalen« und »kalten« Bunde ward.

Das Bild, die Bibel, das Schwert und – die Monika, das waren die vier Schätze, an welchen das Herz des alten Pastors hing in dem Jammertale dieser Welt.

Das Bild, die Bibel und das Schwert des toten Sohnes befanden sich an ihrem gewohnten Platze: wo aber war das Töchterlein, die Monika?

»Was hat sie noch zu schaffen im Garten zu solcher nächtlichen Zeit, wenn solche unheimlichen Zeichen am Himmelsgewölbe einherziehen?« fragte sich der Pastor Fichtner, welcher plötzlich durch das Knarren einer Tür aus seinen tiefen Gedanken aufgeschreckt wurde und welcher gleich darauf einen Schatten durch den Garten gleiten sah.

Er nahm sich vor, sein holdes Kind darüber auszufragen während der Abendmahlzeit, und schritt zu dem Ofen, um neues Holz auf die erlöschende Glut zu werfen; denn man spürte den abziehenden Winter doch noch recht gut an solchem Märzabend, und draußen ging ein gar kühles Wehen. –

Wir lassen den von der Arbeit und dem Nachdenken und der Sorge ermüdeten Prediger seinen Sessel vor die Glut rücken und übergeben ihn bei den aufknatternden Flammen seinen Träumereien. Wir steigen die enge Treppe hinunter, welche in die untern Räume des Hauses führt, und gelangen durch den Hausflur, vorüber an dem großen Schranke, in welchem die fleißige Monika langsam ihre selbstgesponnenen Schätze an Leinen und feinen Tüchern sammelt und aufhäuft und allerlei allerliebste und heimliche Gedanken dazu legt, – durch einen abschüssigen, dunklen, engen Gang in den Garten.

Die jungen, eben sich erschließenden Blattknospen des niedern Gebüsches sind mit Tautropfen behängt, einige frühe weiße und gelbe Blümchen leuchten von den Beeten matt durch die dämmerige Nacht, unter der Mauer des Gartens rauscht und murrt der alte Fluß, und, an die Brüstung gegen den Fluß zu gelehnt, steht die Monika Fichtner und blickt träumerisch scheu über den Spiegel der Weser, in welchem die Sterne und der große Komet ihr tausendfach gebrochenes Bild beschauen. Am gegenüberliegenden Ufer im Dorfe Stahle leuchten einige helle Hüttenfenster unter dem Wirenberge, auf welchem die Kapelle der holdseligen Jungfrau Maria steht, durch die Nacht. Der hellste Lichtschein fällt aus dem ebenfalls dicht am Ufer gelegenen katholischen Pfarrhause, wo der junge Vikarius Festus über seinem Breviarium sitzt, aber ohne darin zu lesen. Der uralte, halb blinde Pfarrer Chrysostomus hat bereits das Lager gesucht; er ist jetzt immer so leicht müde und weiß recht wohl, daß die Stunde nicht mehr fern sein kann, wo er der weckenden Hand und dem leisen Zuruf seines jungen Vikars nicht mehr antworten wird, wo sein Schlummer zu einem ewigen geworden ist. Er fürchtet diese Stunde durchaus nicht, er hofft sogar auf sie. – –

Die Gärten der Bürger von Holzminden erheben sich terrassenförmig in ziemlicher Höhe über dem Flusse und werden durch schräge, tüchtige Mauern, die aber doch sehr oft nicht ausreichen, gegen die anstürmende Wut der Frühlingswasser geschützt. Zwischen diesen Gartenmauern und dem Strome läuft ein abschüssiger Kieselweg hin, zertreten von den Schiffern und Schifferpferden. Allerlei verwelkte Wassergewächse des vergangenen Jahres, Narrenkolben, Weiden, Rohr und Schilf flüstern und säuseln und rascheln am Ufer entlang, und dazwischen erschallt jetzt, kaum vernehmbar, ein elastischer Schritt. Ein Schatten schlüpft über den Pfad gegen die Mauer des Pfarrgartens heran; höher und ängstlicher beginnt das furchtsame Herz des jungen Mädchens auf der Höhe zu klopfen.

Jetzt drückt sich eine jugendliche Männergestalt in den Schatten der Mauer, und leise ruft’s empor:

»Monika, liebe Monika! Bist du da, liebe Monika?«

Das junge Mädchen kannte diese bittende, fragende Stimme sehr gut, und wenn es bei ihrem Klang auch noch mehr zusammenschrak, so beugte es sich dessenungeachtet schnell vor. Im nächsten Augenblick griff eine Hand über die Brüstung der Mauer, und eine halbe Sekunde später stand der jugendliche Nachtwandler vor dem Töchterlein des Pastors und hielt ihre Hände in den seinigen.

Die Lippen der beiden begegneten sich im Kusse, fuhren aber sogleich, wie im höchsten Schrecken über solch ein ungeheuerliches Wagstück, schnell auseinander, und die Maid schob die ganze Schuld auf den Buben und rief leise:

»Ach böser Klaus! Wie konntest du …«

Sie sprach nicht weiter, denn der Knabe zog sie tiefer in den Schatten; sie schob nur, wie gesagt, die Schuld des süßen Wagstückes dem Klaus allein zu, und das war ihr Mädchenrecht, und der Klaus nahm auch alle Verantwortung auf sich.

In dem katholischen Pfarrhause drüben erlosch in demselben Momente das Licht. Der Vikar Festus trat aus der Tür, schritt langsam gegen den Fluß hinab, tauchte die heiße Hand in die kalte Flut und benetzte damit die glühende Stirn. Er erzitterte dabei, richtete das dunkle Auge auf und sagte ebenfalls: »Monika!«

Wiederum erzitterte er am ganzen Körper. Seine Zähne schlugen zusammen wie im Fieberfrost. Er wußte, daß er sündige, indem er den Namen eines Mädchens auf solche Weise aussprach – und doch wiederholte er: »Monika!«

»O du böser Klaus«, flüsterte auf der andern Seite der Weser das ängstliche Kind, »ich habe es also doch wieder gewagt?«

»Wieder gewagt? Was gewagt? Hieher zu kommen? mich zu sehen? Ach Monika, wie du wieder sprichst!«

»Ich fürchte mich so sehr! Wenn der Vater es merkte, der Vater, den du so sehr gekränkt hast? Und schau nur den Stern, den Schweifstern da oben. Sie sagen, er bedeute so viel Unheil. Ach Klaus, wenn er uns nur nicht auch Unheil und Schmerzen droht!«

»Ach, laß nur den Vater und den Stern. Was können sie uns tun, wenn wir uns nicht auseinander bringen lassen? Und da ist keine Not; denn wir haben uns ja tausendmal versprochen, daß nur der bittere Tod uns scheiden soll. Freilich würde mich der Vater schön vornehmen und aushunzen, wenn er mich hier auf seiner Gartenmauer ertappte; aber er sitzt ja ruhig über seinen dicken Büchern, um welche wir in Unfried auseinander kommen sind. Und was den Stern angeht – na, da sind alle die alten Weiber noch schlimmer, welche so viel Böses und so viele Lügen über mich umtragen und sagen, ich sei ein Taugenichts, ein Nichtsnutz, ein Galgenstrick und noch viel was Schlimmeres! Aber dafür kann ich doch nichts und – ach Monika, ich wäre noch viel – viel böser, wenn, wenn – du – du nicht so gut wärst!«

»Was böse? Was gut?« fragte urplötzlich eine wohlbekannte Stimme hinter den beiden jungen Leuten. Monika stieß einen Schrei des Schreckens aus; der Jüngling fuhr unwillkürlich drei Schritte zurück, bis an die Mauer: Ehrn Valentin Fichtnerus, der gestrenge Pastor von Holzminden, stand zwischen den beiden Liebenden und griff erzürnt nach der Hand seiner Tochter.

»Was gut? Was böse?« wiederholte er und fuhr fort: »O Gott, heiliger Gott im Himmel! ist es denn eine Wahrheit, daß mein eigen Kind mein graues Haar zum Gespött der Welt machen will und mit einem solchen Buben buhlt in dunkler Nacht?«

»Halt«, rief hier der junge Mann in die Rede des Alten und trat die drei Schritte, welche er zurückgewichen war, wieder vor. »Haltet, Ehrwürden! Eure Tochter, meine liebe, liebe Monika treibt nicht Spott mit Euren weißen Haaren, und ich bin auch kein loser Bube, wenn ich gleich das Latein nicht bei Euch erlernen konnt und mich nicht zum Schulmeisterlein machen lassen wollt, wozu ich schon im Mutterleib verdorben gewesen bin, allwo ich schon nicht hab stillsitzen können. Ich will sprechen – Monika – Monika, sage du ihm, daß du mich lieb hast und mich lieb haben wirst bis zum letzten Gerichtstage und drüber hinaus! Sage du ihm, daß ich gut sein und gut tun will –«

Mit ganz veränderter Stimme fuhr der alte Pastor in die sich überstürzenden Beteuerungen des jungen Mannes hinein. Der Zorn, welcher ihn ob der Aufdeckung des längst geahnten verstohlenen Liebeshandels überkommen hatte, war bereits verraucht; der Pastor griff die Sache jetzt beim rechten Zipfel an. »Und ich sage dir, Klaus Eckenbrecher, daß meine Tochter, die Monika Fichtnerin – mit mir – in das Haus gehet und dich jungen Naseweis und Hansaffen, welchem noch nicht das Gelbe vom Schnabel gewischet ist, hier stehenläßt auf einem fremden Grundstück, bis der Flurschütz dich mitnimmt als einen Gartendieb und dir frei Losament im Turme anweist. Vale, wenn du’s kannst, du ungeratener Knabe! He, du Dummkopf willst wohl deine Frau ernähren mit deinem Fischfang und Vogelfang? Gedenk an den alten Spruch:

Drei Jäger, drei Fischer, drei Vogelsteller Könn’n nicht ernähren ein’ Müßiggänger.

Genug davon – und nun fort ins Haus mit dir, du Gänselein, daß nicht ein Schnupfen auf dich falle in der Nachtkühle. Ich will dir auch ein Sprüchlein sagen:

Halt dich rein und acht dich klein, Sei gern mit Gott und dir allein, Mach dich nicht gar zu gemein, So bist ein frommes Jungfräulein!

Ergo, laß den Burschen stehen, bis er hinter den Ohren trocken worden ist! Ins Haus mit dir!«

»O haltet, haltet, Herr Pastore!« rief Klaus Eckenbrecher. »Höret mich erst an; denn ich verspreche Euch, Ihr sollt mich nicht wieder anschauen in langer, langer Zeit.«

»O Klaus?!« flüsterte die arme Monika.

»Halt den Schnabel, junges Ding!« sprach aber der Alte und wandte sich noch einmal halb zurück gegen den Knaben: »Deine Bedingung ließe sich hören. So sprich denn!«

»Nun also, sehet, ehrwürdiger Herr, Euer Töchterlein, die Monika, die hole ich mir heim, das stehet so fest als Gottes Erde – das ist das erste! Und nun sehet, dort oben zieht der grimmige Stern, welcher Mord, Brand, Krieg und wieder Krieg ankündigt, – und nun schauet hier meinen Arm, welchen der stärkste Mann nicht biegt, wenn ich’s nicht will, welchen ich mir aber abhacke, wenn die Monika es verlangt und darum bittet – und hier meine Hand sehet. Mit diesem Arm und mit dieser Hand will ich mir meine holde Braut, die Monika, erobern, und der liebe Gott wird mir dazu helfen, denn ich bin wahrlich nicht so schlimm, als man mich hält hier in Holzminden, allwo ich’s auch satt, übersatt habe. Das ist das zweite.«

»O Klaus, Klaus!« rief schluchzend Monika; aber der Pastor lachte:

»Lirum, larum, das ist alles Wäscherei. Da also läuft’s hinaus? Recht, folge nur des Teufels Heertrummel, denn das ist doch der langen Rede kurzer Sinn! Merke dir aber, daß ein allzu großes Maul noch niemalen was Rechtes erschrieen hat. Ich will nichts weiter hören, – komm Monika. Das ist das dritte und letzte.« Damit faßte der Pastor sein händeringendes Töchterlein, welches noch einmal gegen den Geliebten zueilen wollte, bei den Schultern und schob es vor sich her, dem Haus zu, wobei er sagte:

»Geh, geh, du dummes, einfältiges Dirnlein. Laß den Buben laufen, der nur im großen Teich gut zu fischen vermeint. Hei, mit seiner starken Hand will er dich erobern. Laß es ihn versuchen; es ist wieder ein altes Wort:

Wer nach ein’m güldnen Wagen ringet, Vielleicht davon ein Rad erzwinget.

Verlier den Mut nicht, Monika; aber voran mit dir und sorge für das Nachtmahl und bitte Gott, daß er dich und den Burschen erleuchte und euch zeige, was für Kinder ihr seid, alle beide.«

Damit verschwand der Pastor samt seinem weinenden schönen Kinde im Hause. Klaus Eckenbrecher hörte mit wirbelndem Kopf und Herzen, wie der Türriegel vorgeschoben wurde, und stieß dann einen gewaltigen Seufzer aus. Ein Schwindel ergriff ihn, er mußte sich niedersetzen auf die Gartenmauer. Er ließ die Beine baumelnd herabhängen und hatte trotz seinem großen Mute die allergrößte Lust, bitterlich zu heulen, und mußte sich sehr zusammennehmen, daß er nicht durch einen raschen Sprung in die Weser seinem Kummer ein Ende machte und sich auf immer abkühlte von Liebesglut und Liebespein.

Drüben am linken Ufer ging noch immer der Bruder Festus auf und ab, seufzte und sagte:

»Monika!«

Der große Komet aber stieg immer höher am dunklen Nachthimmel, und die Wasser unten rauschten und murmelten, als ob auch sie zu seufzen und zu klagen hätten, aber ebenfalls ihre Seufzer und Klagen ersticken und unterdrücken müßten.

Zweites Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Auf dem Rathause der Stadt Holzminden befinden sich wenige Dokumente, Urkunden und Belege über die Stadt selbst und noch weniger oder vielmehr gar keine über den Klaus. Wir haben aber trotz dem Zahn der Zeit und den Zähnen der Ratten und Mäuse durch unermeßlichen, fabelhaften Fleiß und nächtliches Studium mancherlei in Erfahrung gebracht, wofür wir uns den Dank der Gelehrten, welchen wir hier auf diesem Feld den ersten Pfad durch den Urwald bahnten, bei Gelegenheit ausbitten.

Wir beginnen mit der Geschichte der Stadt, sagen, wo sie gelegen ist, was für ein Volk sie bewohnt, und gelangen dadurch endlich auch zu der Vorgeschichte unseres Klaus, der eine »historische Figur« ist und wohl wert, ein wenig aus der Nacht der Vergessenheit ans Licht und unter die Augen und Brillen des deutschen Publikums gehoben zu werden.

Holtesminne oder Holtesmeni oder auch Holtesminnethun hieß bereits zur Zeit Karls des Großen dieser vergessene Erdenfleck. Die erste Benamsung steht auf dem alten Stadtsiegel.

Was Minne ist, weiß ein jeder, oder sollte wenigstens ein jeder wissen, und Holtesminnethun bedeutet ein gar angenehmes, liebliches, minnigliches Ding und Örtchen am Holze – ein Winkelchen im grünen Walde, versteckt zwischen Berg und Tal – ein Eckchen gemacht für ein glückliches weltvergessenes Dasein! Und wahrlich, es ist gar kein übel gewählter Name für das Nestchen!

Der große Wald, der Solling, zieht sich von Osten und Süden gegen die Feldmark der Stadt hinab, und hübschgeformte Berge blicken über die Stifter Corvey und Paderborn herein. Im Westen erheben sich der Ziegenberg und der Brunsberg über der Stadt Höxter, dann folgt der hohe Köterberg, welcher mit dem alten Brocken die zweifelhafte Ehre teilt, ein Lieblingsaufenthalt, Absteigequartier und Tanzplatz des bösen Feindes und des verruchten, schadenfrohen Volkes der Hexen zu sein. Gegen Nordwest bespült die Weser den Fuß der Klippen des Kiekensteins, welcher mit dem Knapp, der Graupenburg, dem Borrberg und dem Eberstein im Nordosten jenen Teil des Oggegaus – pagus Auga – , in welchem die Stadt Holzminden liegt, schließt.

Römische Kohorten sind hier durch den schreckenvollen, geheimnisvollen Urwald gezogen und haben die gebleichten Gebeine vorangegangener Kriegsgenossen unter Schaudern vor den unbekannten Wäldern, Göttern und Menschen bestattet. Sie haben auch versucht, Siegeszeichen hier aufzurichten wie überall; es ist ihnen jedoch nicht gelungen.

Cherusker und Sachsen haben hier gehaust, und letztere hausen hier noch. Die Sachsen hatten auch eine Feste auf dem Brunsberge, einen Ringwall, welchen der große Kaiser Karl mit gewaltiger Heersmacht belagerte und welchen Wittekind »de Heertog« entsetzen wollte, wobei aber ein großer Teil seines Volkes von den Franken in die gelben Fluten der Weser getrieben wurde und elendiglich umkam, die alten Götter anrufend.

Viel könnte ich erzählen von dem Kaiser Ludwig dem Frommen, welcher das Stift Corvey gründete, die Gebeine des heiligen Märtyrers Stephan dahin führte und darauf mit unendlichem Gefolge von Pfaffen und Laien, singend, betend und sich geißelnd, die Reliquien des heiligen Vitus, dessen Bild noch zu sehen ist in der Abteikirche, allwo es steht und den abgeschlagenen Kopf in dem Arm trägt.

Viel könnte ich sagen von den schrecklichen Einfällen und der grausamen Tyrannei der Hunnen, von dem großen Abt Saracho und den berühmten Grafen von Eberstein, deren letzter am Altar der Klosterkirche zu Amelungsborn erschlagen wurde und begraben liegt und denen die Stadt Holzminden vor undenklichen Zeiten zugehörig war. Ich bescheide mich aber und sage nur noch, daß die Grafen den Flecken Holtesminne schon im zwölften Jahrhundert zur Stadt machten und daß die Stadt im grausigen Jahr eintausendvierhundertsiebenundvierzig viel litt, als hier dreißigtausend Hussiten über die Weser gingen, nachdem sie eine blutige, brandschwarze Spur durch das deutsche Land gezogen hatten.

Ich bescheide mich und versetze mich samt meinem großgünstigen Leser sogleich in das Jahr eintausendfünfhundertneunzehn, von welchem Jahre der Vers geht:

»Dusend Fivhundert un Negentein Ward Dassel leider allto rein.«

Das hat seine Bezüge auf unsern Klaus Eckenbrecher, und läuft der Faden davon also:

Die großen Herren damaliger Zeit, Pfaffen und Laien, faßten sich und ihre Untertanen in ihren Mißhelligkeiten gegenseitig nicht mit Sammethandschuhen an, sondern zerzausten sich und ihnen so oft als möglich weidlich auf eine Art, welche eben nicht die allerchristlichste und gelindeste war, das Fell. So war nun in der berühmten und berüchtigten Hildesheimschen Stiftsfehde der Flecken Dassel am Sollinge, der gut bischöflich war, von den Braunschweigschen übel behandelt und ausgeplündert worden. Als nun im obengemeldeten Jahre des Herrn 1519 die hildesheimschen Herren und Obersten, Bischof Johann, Herzog Heinrich von Lüneburg, Karl von Geldern auf der Soltauerhaide so wacker dreingeschlagen hatten, daß sie nicht nur das Heer der Herzoge Erich und Wilhelm samt dem Zuzug eines ehrbaren Rates der Stadt Braunschweig vollständig zersprengten, sondern auch die beiden feindlichen Kriegsherren selbst gefangennahmen, da gedachten die Einwohner von Dassel sich rächen und ihren Schaden ungestraft gleichmachen zu können. Sie überfielen unversehens die feindlichen Dörfer Vorwohle und Bevern, trieben großen Unfug darin und zogen, nachdem sie ihr Mütlein gekühlt hatten, mit tüchtiger Beute wieder ab. Aber – übel gewonnen, übel zerronnen! – die Sturmglocken riefen die Geschichte bald aus im Lande, und was einen Harnisch, einen rostigen Schild, einen Flamberg, einen Spieß, eine alte Luntenbüchse oder nur eine Mistgabel, einen Dreschflegel, eine Holzaxt aufbieten konnte, war damit bereit und zog unter großem Geschrei aus, den »Pfaffenknechten« ihren Lohn heimzuzahlen und ihnen die Hellebarden, Kraut und Lot zu kosten zu geben.

Zuerst waren die ergrimmten Bürger von Stadtoldendorf, das Volk der Leinweber, auf den Beinen; ihnen folgten die von Holzminden. Die umhersitzenden Edlen und Ritter, gleich den Wespen und Hornissen, die einen Honigtopf wittern, sattelten ebenfalls und zogen mit ihren Hintersassen den Städtern zu.

Nun kam das Unheil den Leuten von Dassel auf die ungekämmten Köpfe!

Unvermutet wurden sie mitten in ihrem Triumphe überfallen. Die Feinde stießen die eben erst wieder aufgebauten Häuser des Fleckens mit Brand an und machten so lustigen Kehraus, daß keine Wurst, keine Speckseite, kein Schinken, kein Huhn, keine Gans und Ente, kein Kuh-und Pferdeschwanz im Orte blieb.

Die Chronisten streiten sich über die Kopfzahl des weggeführten Viehes; aber darin sind sie allesamt einig, daß Johann von Grone, Ritter, allein fünfhundert Malter Getreide ausdreschen und nach Jühnde im Göttingschen führen ließ.

Ausnahmsweise ging aber das Fest ohne viel Verstürzung von Menschenblut ab. Hans Holtegel, ein Bürger von Dassel, wurde im ersten Anlauf erschossen, und einem andern, von dem sogleich die Rede sein wird, ward der Prozeß gemacht. Das war alles, und das war wenig.

Das Rathaus des Fleckens stand in Flammen; Weiber und Kinder schrieen und heulten zwischen den schreienden und heulenden Angreifern; die waffenfähigen Bürger hatten sich in ihrer Not in die Kirche und auf den Turm der Kirche gerettet. Aber auch an dieses heilige Gebäude hielten nun die Sieger in ihrer Wut die Brandfackel und ließen johlend und brüllend von allen Seiten ihre Hakenbüchsen darauf abgehen, bis sie die unglücklichen Eingeschlossenen auf Ehrenwort: ihnen solle nichts an Leib und Leben geschehen – herausgeräuchert hatten.

Halbgebraten krochen die Männer von Dassel hervor, und man hielt ihnen Wort bis auf ein Bruchteil, indem man dem Rädelsführer und Haupthahnen beim übelberatenen Beutezug, Lüdike Leifheit, den Kopf auf der Stelle vor die Füße legte.

In diesen Wirrwarr versetzen wir uns nun.

Noch brannte es lichterloh rings um die Kirche: die Schafe, Rinder, Kühe, Ochsen blökten, die Schweine quiekten, die Pferde wieherten, die Menschen jammerten und jubelten.

Um die Beute und die Gefangenen tanzten die betrunkenen Sieger gleich Besessenen in der Berserkerwut ihrer gloriosen Heldentat, und ruhig hielt sich nur ein Reiter in all dem Spektakel.

Mann und Roß sind wohl einer Beschreibung wert.

Der Mann trug einen arg vom Rost zerfressenen Brustharnisch über einem langgedienten, abgeschabten, hellgrünen Wams, einen eingedrückten, grünen Spitzhut mit einer roten Hahnenfeder, an welcher Ratten genagt zu haben schienen. Ein Faustrohr hatte er vor sich quer über den schäbigen, mit einem Schaffell überzogenen Sattel gelegt, und ein breites, kurzes Schwert hing an einem breiten Bandelier an seiner linken Seite. Auch fehlte nicht ein tüchtiges Dolchmesser im Gürtel an der Rechten. In der rechten Hand hielt er eine Trompete, welche eigentlich seine Hauptwaffe war, – er nannte sich Tileke Eckenbrecher und war Stadttrompeter von Holzminden.

Kleine, schwimmende, blinzelnde Augen blickten lustig und verwegen über eine große, rote, versoffene Nase, unter welcher ein verwahrloster Schnauzbart struppig über einen sehr respektablen Mund herabhing.

Eine gewisse zwanglose Ungebundenheit sprach sich in allen Bewegungen des Mannes aus und schien sogar sich auf gewisse Weise dem Reittier desselben, welches ganz zu seinem Reiter paßte, mitzuteilen.

Hochbeinig, hager, das Knochengestell behangen mit einem schlotternden, viel zu weiten, abgetragenen fuchsfarbenen Fell, stand es da und schien gleich seinem Herrn sein Seelengaudium an dem vorgehenden Spaß der Plünderung von Dassel zu haben und die ganze Sache für eine höchst angenehme Abwechselung des Alltagslebens zu nehmen. Für gewöhnlich ging es nämlich neben einer schwarzbunten Kuh einträchtiglich vor dem Pfluge oder dem Mistwagen und

dulce est desipere in loco. –

Seit man die unglücklichen Burschen von Dassel aus ihrer qualmenden Kirche hervorgezogen hatte, hatte Tileke Eckenbrecher seine ganze Aufmerksamkeit einem jungen Weibe zugewandt, welches bis zum letzten Augenblick mit großem Geschrei sich dem kurzen Prozesse widersetzte, den man mit dem armen Teufel Lüdike Leifheit machte.

Dem gutmütigen Bürgermeister von Holzminden hatte dieses Weib die Gewährung der Gnade abgefleht und abgejammert; aber leider waren der Bürgermeister von Stadtoldendorf, die Ritter und das wüste, grimmige Volk aus den Bergen unerbittlich geblieben. Der Bürgermeister von Holzminden mußte also das Ding laufen lassen, wie es lief, so daß der armen Alheit Leifheit endlich nichts mehr übrig war, als sich die Haare zu raufen über dem kopflosen Tölpel Lüdike, ihrem – seligen Manne.

Der Stadtzinkenist von Holzminden schüttelte bedachtsam das würdige Haupt, schneuzte sich mit dem Daumen und dem Zeigefinger und strich mit dem spiegelblanken Ärmel unter der Nase her – alles aus Rührung! Sein Fuchs schüttelte natürlich ebenfalls den verwegenen Kopf und blickte grade so seltsam verstört unter dem kurzen Stirnhaar hervor wie sein Herr unter seinem in die Stirn gezogenen Hute.

»Alle Hageldonnerwetter – ist das ein Vergnügen!« sagte der Stadtzinkenist von Holzminden. –

Als nun zuletzt keine Häuser mehr zu verbrennen, keine Töpfe und Pfannen mehr den unglücklichen Weibern vor der Nase zu zerschlagen waren, als alles Vieh und sonstige Wertvolle unter die Plünderer verteilt war, Holtegel und Leifheit nach besten Können und Kräften abgetan waren, fing die Heldenschar an, auf den Abmarsch aus dem verwüsteten Flecken zu denken, und fand, daß dem nichts mehr im Wege stand.

Man knebelte also zum Beschlusse sechzehn der angesehensten Einwohner von Dassel die Hände auf dem Rücken zusammen, um womöglich späterhin noch Lösegelder von ihnen zu erpressen, teilte sich auch darin, und dann zogen Ritter, Bürger und Bauern, sehr zufrieden mit ihrem Tagewerk, am Martinsabend eintausendfünfhundertundneunzehn von dannen, ein jeglicher in seine Heimat.

Das war die fünfte Verheerung, welche Dassel im Laufe des gesegneten sechzehnten Jahrhunderts auszustehen hatte!

Einige Weiber nahm man ebenfalls als gute Beute mit, und der Bürgermeister von Holzminden, wie gesagt, ein weichherziger Herr, welcher in seinem Heimwesen bedeutend unter dem Pantoffel stand, hatte nichts gegen die Bitte seines Stadtpfeifers, sich der Alheit Leifheit annehmen zu dürfen, einzuwenden.

»Bei Gott und Sankt Georgens Gaul«, sagte Meister Eckenbrecher, »es soll nichts Unehrenhaftes damit gemeint sein, Euer Gestrengen! ‘s ist mir nur von wegen der Einsamkeit in meinem Haus. Zu Holzminden will sich keine meiner erbarmen, und so mag das arme Ding mir das Wesen führen und mich zur Ordnung anhalten.«

»Und das letztere ist Euch so notwendig wie das liebe Brot! Na, setzt nur das arme Geschöpf auf den Wagen dort und sprecht ihr ein wenig Trost zu und sagt ihr: ich könne nichts dafür, daß die Geschichte vorhin so übel ausgelaufen sei.«

»Soll geschehen, Euer Gestrengen!« sprach der Stadttrompeter und tat, wie ihm geheißen war.

Man brach auf.

Nun gab es auf dem Wege durch den Sollinger Wald genug Gelegenheiten für den Trompeter, dessen sich keine mitleidige weibliche Seele in seiner Heimatsstadt annehmen wollte, die blutjunge Witwe von Dassel über den Verlust ihres rotköpfigen Ehemannes zu trösten, und es ist historisch zu beweisen, daß Meister Tileke Eckenbrecher keine einzige dieser Gelegenheiten unbenutzt vorübergehen ließ. Fort und fort trabte der Fuchs im Hahnentritt dicht neben dem Wagen her, auf dem die Alheit auf einer bunten Kiste, welche einst ihren Brautschatz enthalten hatte, saß. Es ist ebenfalls erwiesen, daß die Witwe nur auf der Hälfte des Weges ihr Gesicht weinend in der Schürze verbarg, daß sie dann anfing, von Zeit zu Zeit prüfende Seitenblicke auf die drollige Gestalt ihres Beschützers zu werfen, und daß sie sich zuletzt sogar in ein Gespräch mit demselben einließ und seine Tröstungen seufzend, aber ganz bereitwillig annahm.

Im allerbesten Einvernehmen langte das Paar in Holzminden an, wo Glockenklang und weißgekleidete Jungfrauen und ein Lobgedicht die tapfern Sieger empfing und wo der Zinkenist der Marodeurswitwe bald darauf den annehmbaren Vorschlag tat, nach einem anständigen Trauerjahr seine eheliche Hausfrau zu werden.

So etwas wäre gottlob jetzt freilich nicht mehr möglich; aber im Jahre fünfzehnhundertneunzehn waren die Herzen noch lange nicht so zart besaitet wie heutzutage.

Damals stand die Zeit der ewigen Prügeleien in ihrer Blüte. Wer keine Püffe und Knüffe vertragen oder sie nicht mit Zinsen wieder heimzahlen konnte, der war übel beraten, verloren und verkauft und wurde unter die vom Weltschmerz Erfaßten gerechnet. Eine regelmäßig und unaufhörlich fortgesetzte Bearbeitung der Epidermis bleibt denn auch nicht ohne Einfluß auf die seelischen Zustände der Menschheit und stärkt nicht nur den Körper, sondern auch den Geist.

So hatte es durchaus nichts Auffälliges, daß ein Jahr nach der Verbrennung von Dassel Tileke Eckenbrecher, der Stadttrompeter von Holzminden, und Alheit Leifheit, die Witwe des enthaupteten Lüdike, durch einen Benediktinermönch aus Corvey für die Zeitlichkeit und die Ewigkeit zusammengegeben und -genietet wurden. Der selige Gatte mochte darüber oben im blauen Himmel soviel oder sowenig Betrachtungen anstellen, als ihm gut dünkte.

Die neue Ehe wurde bis zum Jahre 1530 in kürzern oder längern Zwischenräumen mit einem Kinde gesegnet, welches aber jedesmal, nachdem es kaum die Wände beschrieen hatte, der Welt wieder Valet sagte. Dann trat hierin ein Stillstand ein bis zum Jahre 1535, wo ein allerletzter Versuch, die Erde zu bevölkern, mit Erfolg gekrönt wurde, indem er unserm Klaus Eckenbrecher das Leben gab, seiner Mutter jedoch das ihrige kostete.

Der Vater Tileke hatte auf diesen letzten Sprößling eigentlich gar nicht mehr gerechnet und durchaus nicht Anstand genommen, seine einstigen Erben soviel als möglich um ihre Freude wegen seines etwaigen Abscheidens zu betrügen. Sein ganzes Hab und Gut fast hatte er als ein lustiger Kauz zu seinem eigenen Vergnügen verjubelt trotz der wiederholten Einsprache seiner Hausehre, die manch liebes Mal über das schöne Sprichwort:

»Liebschläge fallen wie Rosenblätter«

zu seufzen hatte.

Musikanten waren schon in jener Zeit ihres grenzenlosen Durstes wegen bekannt, und Hof und Haus, Kuh und Pferd glitten noch leichter, als jenes Kamel durch das Nadelöhr, die Gurgel des Trompeters hinab. Darob färbte sich die Nase des Wackern röter und röter, als schäme sie sich des übrigen Kerls. Sonnenuntergangsfärbig beleuchtete sie im Jahre 1540 Tileke Eckenbrechers Übertritt in die ewige Seligkeit, an deren Eingangstür der heilige Peter beim Anmarsch des Trompeters jedenfalls höchst verwundert und zweifelnd auf dem Schlüssel blies. –

Somit haben wir gezeigt, daß es eine Stadt Holzminden gibt, und bitten unsere Leser, die Existenz unseres jetzigen Helden Klaus Eckenbrechers anzuerkennen.

Wir lassen denn auch zur Belohnung den Vorhang fallen und ziehen ihn erst wieder im folgenden Kapitel auf, wo sich die Welt verändert hat, wie noch nie in so kurzem Zeitraum auf Erden, wo mancherlei, was vorher oben gestanden hat, nach unten gekommen ist und umgekehrt, wo aber Klaus Eckenbrecher als ein zwanzigjähriger Bursch in Wehmut und Kummer noch immer auf der Mauer des Pfarrgartens sitzen wird! –

Drittes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Ja, was war alles in dem kurzen Zeitraum von 1519-1556, dem Jahre des großen Kometen, geschehen in der Welt!

Welche Namen hat während dieser Spanne Zeit die Geschichte eingegraben auf ihre ehernen Tafeln!

Was knüpft sich alles an die leuchtenden Zeichen: Karl der Fünfte – Franz der Erste – Soliman der Große – Luther – Melanchthon – Zwingli – Calvin – Ulrich Hutten – Albrecht Dürer – Cortez – Magalhaens – Thomas Münzer – Fiesco – Ariosto – Raffael – Michelangelo – Theophrastus Paracelsus – Lucas Cranach – Kopernikus – Holbein! Hundert mindere nicht zu nennen!

Die Bibel war übersetzt, der Jesuitenorden gegründet, und der Zwiespalt der deutschen Nation war zum Besten der Welt, zum Jammer des Vaterlandes aber, von nun an auf lange, lange schwere, sich mühende, ringende Zeiten ein Faktum geworden!

Und diese Teilung des Volkes in die zwei großen geistigen Heerlager war auch auf den kleinen Schauplatz unseres stillen Wesertals nicht ohne Wirkung geblieben. Von dem rechten Ufer des Stromes war der Katholizismus ziemlich vollständig verdrängt worden durch das Licht der neuen Lehre. Die gelben Fluten rauschten hier nun als Grenzmarke der beiden Glaubensparteien, in welche sich die Nation geschieden hatte.

Doch was schwatzt der Geschichtenerzähler davon?

Möge er sich genügen lassen, von dem zu sagen, was er versteht, und möge er seine Nase nicht in Dinge stecken, welche sehr kluge Leute viel besser verstehen als er. –

Jetzt zogen nicht mehr die Zisterziensermönche von Amelungsborn, die Benediktiner von Corvey, die Franziskaner aus den Paderbornschen Klöstern auf der rechten Seite der Weser umher, zu taufen, zu trauen, zu firmeln und zu begraben. Überall saßen hier die lutherischen Pastöre bereits fest genug in den lutherischen Pfarrhäusern neben den lutherischen Kirchen, deren Turmhähne nach wie vor nur nach dem Wind sich drehten und nicht nach den großen Weltbegebenheiten.

In Holzminden aber saß Ehrn Valentin Fichtner, predigte das unverfälschte, reine Wort Gottes und schrieb an seinem gelehrten Werke: De Daemonibus. Ehrn Valentin hatte noch den großen Doktor zu Wittenberg lehren hören und war ihm mit aller Glut der Seele zugefallen. Er war auf derselben Universität zum Magister gemacht worden und hatte bald darauf eine Nonne aus einem aufgehobenen und ausgeflogenen Kloster geheiratet. Katharina hieß diese treue Gefährtin, welche ihm den Johannes und die Monika geboren hatte und dadurch selig wurde, wie Katharina von Bora, deren Bildnis Meister Lucas Cranach zu Wittenberg mit der Inschrift gemalt hat: K. von Bora salvabitur per filiorum generationem, d. i. Katharina von Bora wird selig werden durch Kindergebären.

Längst ruhte nun die Gute auf dem Stadtkirchhof zu Holzminden dicht neben der Kirche unter einem schmucklosen Leichenstein, auf welchem nur das Jahr ihrer Geburt und ihres Todes eingegraben war, auf welchem aber ebensogut wie auf jenem römischen Stein hätte stehen können:

Fuit lanifica pia, pudica, frugi, casta, domiseda.

Katharina Fichtnerin ahmte nicht jener dritten Katharina, dem Ehegespons des guten Philipp Melanchthon, nach, von der Camerarius leider schreiben muß, sie sei et victus et cultus negligens gewesen. Katharina Fichtnerin war fromm, eine gute Hausfrau und Mutter, sandte mit blutendem, aber ergebenem Herzen den einzigen Sohn in den heiligen Krieg, beweinte ihn und starb drei Jahre nach der Geburt der kleinen Monika, welche im Jahre 1556 kaum achtzehn Jahre alt war und welche der Taugenichts Klaus Eckenbrecher mit seinem starken Arm erobern wollte.

Wir lassen die Toten und schauen wieder nach, wie die Lebendigen mit den Verwickelungen des Lebens fertig werden!

Mancherlei trieb sich unter den wirren, blonden Locken und der harten Hirnschale Klaus Heinrich Eckenbrechers im Kreis, wie er in seinem Kummer auf der Mauer des Pastorengartens saß und, wie man zu sagen pflegt, mit den Beinen den Esel ausläutete. Mit dem, was ihm sein Vater als Erbteil hinterlassen hatte, war er ohne große Mühe bald genug fertig geworden. Von hundert Bürgern und Bürgerinnen Holzmindens haßten und fürchteten ihn neunundneunzig wie das Wildfeuer, den Brand im Getreide oder den Fuchs im Hühnerstall und den Marder auf dem Taubenschlag. Er war verrufen wie der Türke und der Papst, und sämtliche Hausväter der Stadt hätten ihn, seiner Streiche und Eulenspiegeleien wegen, nur allzugern zu Brei geklopft, wenn sie es gewagt hätten. Aber ein jeder hütete sich wohl, in ein Wespennest zu schlagen, und ein jeder kratzte sich gar bedenklich und trübselig hinter dem Ohr, wenn er des Schwanzes gedachte, den der Klaus, als ein Anführer und Häuptling aller wilden, unbändigen Gesellen des Gemeinwesens, hinter sich herzog.

Die Monika aus dem Pfarrhause war bis jetzt fast das einzige Menschenwesen gewesen, welches den Tollkopf bändigen konnte. Und Tränen, bittere Tränen rannen eben diesem Tollkopf jetzt über die Wangen, wie er daran dachte, daß die gute Maid ihn nun nicht mehr ausschelten und nachher, hinter dem Rücken des Vaters, streicheln und küssen werde, sintemalen der »Alte« nun gar scharfe Wacht halten werde mit seinen scharfen Augen und Fußangeln und Selbstschüsse legen werde durch den ganzen Garten und rund um das Haus und rund um das holde Töchterlein her.

Eben dieser Alte hatte es versucht, sich einen Gotteslohn an dem verwaisten Klaus zu verdienen, indem er denselben nach dem Tode des Trompeters, als niemand sonst sich um die junge Brut kümmern wollte, ins Haus nahm. Er gedachte dabei seiner eigenen hungrigen, durstigen, frierenden Jugend, seines Gesanges vor den Türen mildherziger Leute, und wie er zuletzt doch ein stattlicher, wohlangesehener Mann und Pastor zu Holzminden geworden sei mit Gottes Hülfe durch Gebet und Arbeit. Er hatte sich vorgenommen, aus dem Jungen etwas Rechtes zu machen – einen Lateiner, einen Gelehrten, ein Licht der evangelischen Kirche. Aber er hatte die Rechnung abgeschlossen, ohne das Musikantenblut und das Dasselsche Räuberblut, welches in den Adern seines Zöglings floß, als Faktoren aufzustellen. Je gedeihlicher der Bube an Körper aufwuchs, desto weniger wollte er mit den Büchern zu schaffen haben, und er fürchtete dieselben fast so sehr, wie die Nachbarn ihn fürchteten. Am liebsten strich er in Wald und Feld umher auf der Jagd nach Vogelnestern und dergleichen. Wie ein Fisch konnte er schwimmen, laufen wie ein Rehbock, klettern und springen wie ein Eichhorn. Körperliche Schmerzen und Anstrengungen achtete er nicht, um desto mehr aber geistige. Wie viele Prügel bekam er! Wieviel Gleichnisse, gute Lehren und Exempel ließ er zum rechten Ohr hinein, zum linken hinaus gehen!

Gutmütig war der Bursch, eine frische, helle Stimme hatte ihm die Natur ebenfalls gegeben, mit ihr auch ein feines Gefühl für jede Musik, sei es, daß sie hervorgebracht wurde durch herumziehende Sänger und Pfeifer oder durch die Vögel im grünen Wald oder durch die Orgel in der feierlichen Kirche. Sein Lieblingsinstrument blieb aber das ganze Leben hindurch die Zinke – das hing ihm an wie die Erbsünde.

Die Jahre kamen und gingen: der Knabe wuchs heran gleich einer jungen Tanne, welche einen guten Stand hat. Was er wollte, lernte er, und der Pastor Valentin Fichtner hielt es für sehr wenig. Er sagte deshalb auch seinem Zögling öfters voraus, daß er ihn einmal aus dem Hause werfen müsse und werde. Und – dictum, factum! – nach einer große Klage sämtlicher Nachbarn und Nachbarinnen trat das Vorhergesagte ein.

»So geh, wenn du es nicht besser haben willst, du verlorener Sohn. Geh, und komm mir nicht wieder vor die Augen; in Unschuld wasch ich meine Hände!«

Und der Klaus ging.

Beim Abschiednehmen wurde ihm zum erstenmal klar, daß er die kleine Monika doch recht lieb habe und daß er wirklich ein recht großer Schlingel sei.

Aber er ging doch, seine Reuetränen herunterschluckend, und lief mit einem Geleitbrief des guten Pastors zu einem Förster im Solling, dessen Freundschaft er schon lange erworben hatte und der ihn in seinem halbwilden Waldleben gern aufnahm. Hier, im düstern Forst, bildete er sich in allen den Künsten, an welchen sein Herz hing, mit größerm Eifer aus, als er in dem stillen Studierstüblein des geistlichen Herrn zu Holzminden an den Tag gelegt hatte. Er lernte mit der Armbrust und der Büchse umgehen, lernte jeden Laut und Ton der Vögel und Vierfüßler des Waldes nachahmen, so daß ihm der Jäger in Hellenthal bald das Zeugnis geben mußte: es stecke ein weidgerechter Jägersmann in ihm.

Auf allerlei Kreuz-und Querwegen schlug sich Klaus Eckenbrecher durch die Welt bis zum fünfundzwanzigsten März des Kometenjahres 1556, wo er uns zum erstenmal vor die Augen trat. Wie alle im wilden Wald ohne Gnade, dem Erdenleben, von einem Mißgeschick Betroffenen gab er sich, nachdem der Pfarrherr sein weinendes Töchterlein fortgeführt hatte, einem etwas verworrenen Selbstgespräch hin, welches endlich in folgenden Worten zum Abschluß gelangte:

»Ja, ich muß fort! Hier ist’s vorbei für mich! Ich muß in die weite Welt; ich halte es hier nicht mehr aus. Wahrlich, ich will sehen – bei Sankt Georgen Gaul! wie mein Vater sagte – ob es hinter den Bergen auch noch Menschen gibt oder ob da wirklich alles mit Brettern vernagelt ist, wie die Dummköpfe meinen. Ja, in der weiten Welt will ich mir die schöne Braut erobern. Ach Gott, wenn ich sie nur gleich mitnehmen könnte, die Monika! O du lieber Gott, warum hab ich doch keinen Sinn und Schick gehabt fürs Lernen und für die grausamen Bücher! Wenn der Alte nur wollte, so könnte sich wohl alles machen; aber der Alte will ja nicht! – ach, der Alte, der Alte!«

Der Redner stand plötzlich auf den Füßen und schlug die Arme übereinander: »In die weite Welt!«

Der Nachtwind, welcher in seinen Haaren wühlte, schien ihm zuflüstern und auseinandersetzen zu wollen, daß die weite Welt, welche er aus Erfahrung kenne, wohl das Beste für ihn – den Klaus – sein werde.

»Aber wohin, wohin?«

Klaus rieb sich die Stirn, biß die Zähne aufeinander und war eben daran zu beschließen, die Sache sich während eines ruhigen Schlafes in der Dachkammer eines seiner Kameraden zu überlegen, als eine ungewöhnliche Lichterscheinung am Horizont seine ganze Aufmerksamkeit erregte und ihn fürs erste noch festbannte auf der Mauer des Pfarrgartens.

In der Biegung, welche die Weser in der Nähe der Tonenburg macht, schlug plötzlich ein roter Schein empor wie von vielen Fackeln oder von einer Feuersbrunst. Zugleich glaubte Klaus den Klang ferner Trompeten und Hörner zu vernehmen.

Er täuschte sich auch nicht. Die Töne näherten sich, und bald wurde es ihm deutlich, daß der Feuerschein ebenfalls nicht an einer Stelle hafte, sondern sich langsam den Fluß hinunter bewege.

Nach einiger Zeit vernahm der aufmerksam Horchende zwischen dem Hörnerklang deutlich jubelnde Menschenstimmen und lauten, fröhlichen Gesang.

»Holla! Was gibt’s da? Alle Teufel, was ist das?« …

Das war Herr Philipp von Spiegelberg, der Graf zu Pyrmont, welcher von einem Besuche beim Abt von Corvey, einem sehr liebenswürdigen und gastfreundlichen Herrn, zurückkehrte nach seinem Schloß am heiligen Born und seiner Grafschaft, nachdem er einen sehr dringenden Brief von seiner ältesten Schwester Ursula erhalten hatte und dadurch zu seinem höchsten Ärger und zu größester Unruhe aus dem angenehmen Leben der reichen Abtei aufgestört worden war.

Der Brief, geschrieben in der Orthographie der Damen jener Zeit, welche – ich meine die Rechtschreibung – noch ein klein wenig schlechter war als die, in welcher die weiblichen Gemüter heutiger Ära ihren Herzchen in Schimpf und Glimpf Luft machen, lautete, nachdem der junge Graf mit Hülfe des Abtes die »Uilen un Apen« – Eulen und Affen – , welche das Papier bedeckten, mühsam zu Buchstaben und Worten umgesetzt hatte, folgendermaßen:

»Viel und sehr geliebter Herr Bruder!

Der Walburg und meinen besten Gruß allzuvoran Euch und unserm Herrn Abt von Corvey, dessen geistlichen Segen wir allhier in Ehrfurcht erbitten. – Kehrt doch, geliebter Bruder, nachdem Euch dieses zu Händen geworden ist, sobald heim, als es angehen wird; denn wir finden uns allhier in großer Verlegenheit, und schwindelt uns armen Weiblein der Kopf mächtiglich. Es hat sich auf einmal angefangen das bresthafte Volk um unsern heiligen Born zu sammeln, daß nun eine fast große Vergadderung daraus worden ist und niemand hier weiß, was noch daraus werden wird. Erst kam es einzeln wie Tropfen vor dem Platzregen, dann immer mehr und mehr, gleich dem Platzregen selbst, in ganzen Strömen. In hellen Haufen hat sich urplötzlich das Volk versammelt, und jetzt liegt in allen unsern Dörfern und in Lügde und weit ins geistliche Land hinein alles voll. Ja, sie haben in den Gehölzen umbher ein ordentlich Heerlager aufgeschlagen, tun großen Schaden an Wild und Wald, und ist ihnen nicht zu wehren und zu steuern.

Liebster Bruder, fahret doch heim; es tut weidlich not, daß Ihr zu Land und Leuten sehet!

Die Knechte sitzen Tag und Nacht zu Pferde, Ordnung zu halten. Sie kommen aber nicht dazu, weil der Herr im Haus fehlt. – Viel Gaukler und fahrend, liederlich Gesindel hat sich allbereits auch schon angesammelt und treibet ein bös, gottlos Wesen. Lieber Bruder, kommet doch gleich, das Volk hat nichts zu essen, denn es ist ja nicht vorgesehen und vorgesorgt. Kommet doch ja bald, Philippe; kommet gleich!

Sonst sind wir mit Gottes Hülfe hier allesamt wohl und heil, aber sehr unruhig in dem großen, schreckhaften Lärm und Getümmel.

Es sind auch Briefe für Euch ankommen, geliebter Bruder, welche wir nicht geöffnet haben, sintemalen sie so große Siegel tragen, von Brandenburg und von Koburg.

Der Herr nehme Euch und unsern lieben Herrn Abt und Gastfreund in seinen Schutz!

Eure Schwester Ursula von Spiegelberg.

Nachgeschrift: Wir haben viel geschlagen Holz verkauft an die geistlichen Herren zu Paderborn, und der Walburg weiße Stute hat geworfen ein schwarz Füllen.

Ursula und Walburg.«

Weidlich hatte der junge Graf zu Pyrmont geflucht, und sehr nachdenklich und bedächtig hatte der Abt von Corvey das ehrwürdige tonsurierte Haupt geschüttelt und das milde, glänzende Gesicht in düstere Falten gelegt, als beide über der Mittagstafel das schwesterliche Notschreiben zwischen den geleerten und vollen Flaschen und Humpen, den geleerten und vollen Schüsseln studierten, während der kotbespritzte Bote an der Tür wartete und das abgejagte Roß desselben im Schloßhofe auf und ab geführt wurde.

Dann hatten beide Herren – der geistliche und der weltliche – diesen Boten weitläufig ausgefragt, und derselbe hatte eine umständliche Beschreibung von dem »seltsamen, tollen, unerhörten« Leben und Wesen in dem grünen Waldtal von Pyrmont geliefert.

Darauf hatte der Abt betrübt gesagt:

»Da ist nichts weiter zu machen, Philippe! Die armen Weiblein scheinen in der Tat drunten in großer Not zu sein. Also – macht, daß Ihr nach Haus kommt, Philippe!«

Und der Herr von Spiegelberg, welcher den gastlichen geistlichen Herd gar ungern so bald verließ, fluchte noch ingrimmiger als zuvor und schlug mit der geballten Hand auf den Tisch, daß alles Geschirr klirrend hoch aufhüpfte.

»Bei des Teufels Schnupftuch, das hat man nur von dem heilsamen Wasser, der allzu gesunden Gottesgabe! Nichts als Ärger und Not und Schaden! Der böse Feind hole den Spaß – wartet, ich will euch auskehren, wenn ich heimkehre!«

Ob solcher bösen, unbedachten Worte bekreuzigte sich jedoch der Abt, verwies sie ernstlich seinem jungen Gaste in einer zierlich gesetzten Rede und hob die Tafel auf. Daraufhin hielt er dem Grafen eine zweite, noch eindringlichere Rede über seine gottlose Ansicht von der Sache, daß endlich Herr Philipp, wenn auch mit Widerstreben, einsah, der alte Herr habe recht.

Die Abreise des Gastfreundes wurde schon auf denselben Abend festgesetzt. –

Wohl war es unangenehm genug, dem behaglichen Leben, dem guten Keller, der vortrefflichen Küche der berühmten Abtei auf so schnöde, schnelle Weise den Rücken wenden zu müssen! Wer konnte es dem jungen Grafen verdenken, daß er, nachdem sich der Abt entfernt, seinen Gefühlen doch noch nach Herzenslust Luft machte?

Nichtsdestoweniger aber befahl er seinem Gefolge, sich zur Abreise bereitzuhalten.

Auch in die große Halle des Klosters schlug die unerwartete Nachricht ein gleich einem Blitzstrahl aus heiterem Himmel. Rosse und Reiter schüttelten darob traurig entsagend die Köpfe, und gewaltiges Getöse bewegte die Gewölbe und Höfe der sonst so stillen Abtei. Schon wurden auf Befehl des Abtes die Schiffe des Stiftes gerüstet und die Ruderer aufgeboten; denn der Graf zu Pyrmont wollte seine Heimfahrt wenigstens so lustig als möglich machen und zog die Wasserfahrt dem Ritte quer durch das Land vor.

Gegen fünf Uhr des Nachmittags war alles bereit zur Fahrt die Weser hinunter.

Drei große Kähne lagen unter den hohen, noch kahlen Kastanienbäumen am Ufer des Flusses und nahmen gegen sechs Uhr die Mannen von Pyrmont auf.

Der erste Kahn trug ein Zelt, geziert mit den Farben der Abtei. In dieses stieg gestiefelt und gespornt, äußerlich beruhigt, aber innerlich grollend, Herr Philipp samt seinen Adelbursen, seinem Bannerträger, seinem Stallmeister und zwei Hornbläsern. In den beiden andern, größeren richteten sich die Knechte ein. Neben jedem Reiter stand das aufgezäumte Roß.

Jetzt wurden Fässer mit Getränken, gut gegen die kühle Nachtluft, herbeigetragen und ebenfalls in die Schiffe gebracht. Der Abt samt seinen Mönchen gab den scheidenden Gästen das Geleit bis ans Ufer. Noch einmal entstand ein bedeutendes Händeschütteln zwischen Laien und Pfaffen, Beteuerungen, Freundschafts-und Dienstversicherungen aller Art mischten sich darein; dann stießen die Ruderer ab vom Lande, und unter lautem Zuruf glitten die Schiffe in die Mitte des Flusses.

Die Hörner bliesen der gastlichen Abtei und ihren frommen Bewohnern zu Ehren zum Abschied ein lustiges Stücklein, die Reisigen riefen: Hallo und Vivat – die Rosse wieherten und ließen sich kaum bändigen, die Pagen schrieen: Heil dem Bruder Kellermeister! Heil dem Küchenmeister! Dreimal Heil dem Herrn Abt von Corvey!

Die guten Benediktiner aber, mit ihrem freundlichen Abt an der Spitze, winkten vom Ufer mit den Händen und den Sacktüchlein und lachten fröhlich in geistlicher Dezenz ob dem unverhohlenen Unmut, mit welchem die Gäste schieden. Die Hintersassen der Abtei drängten sich ebenfalls an das Ufer von den Klosterfeldern her und schrieen ebenfalls aus vollem Halse: Vivat! Vivat! Heil! Heil!

Aber schon ward die Dämmerung zur Nacht. Die Sterne und der große Komet mitten unter ihnen traten hervor am Himmelsgewölbe. Auf den drei Kähnen zündete man die mitgenommenen Fackeln an. Lustig spiegelte sich der Feuerschein im Strom, in den Brustharnischen der Reisigen, in den Bechern, in den Augen und allem, was sonst noch glänzen konnte.

Jetzt riefen die Glocken der in Nebel und Dämmerung schwindenden Abtei zur Abendmette, und aus der Ferne drang leise das Geläut der Stadt Höxter herüber, während das protestantische Ufer stumm liegenblieb.

Vorüber glitten die Berge und die Ebenen, die Dörfer und die einzelnen Gehöfte und Häuser,

»Ho, ho, immer donne, immer donne!« erklang der Ruf der Ruderer, wie sie sich kräftig an die Ruder legten. In den beiden letzten Schiffen stimmten die Männer mit rauhen, unharmonischen Kehlen ein Wanderlied an, welches gar keine üble Wirkung machte.

Nun lief der Schein der Fackeln an der Tonenburg herauf. Aus Albaxen strömten die aufgeschreckten und neugierigen Bauern haufenweise an das Ufer – nun war der Augenblick gekommen, wo Klaus Eckenbrecher von der Mauer des Pfarrgartens verwundert nach dem seltsamen Lichterglanz auf dem Flusse ausschaute.

Aber nicht allein die Aufmerksamkeit der Albaxener Bauern und des Klaus wurde erregt, sondern ein jäher Alarm lief blitzschnell durch das ganze Städtlein Holzminden. Boten eilten zum Bürgermeister Herrn Henning Uhlenhut und zum fürstlichen Amtmann.

Das Volk stürzte aus den Häusern in die Gassen und hinunter zum Fluß, und manch eine Abendsuppe wurde kalt darob, und manch ein Krug voll Bier wurde schal und stand ab.

Die wackeren Bürger, nun schon wochenlang durch den greulichen Kometen in großer Aufregung gehalten, witterten in dieser ungewöhnlichen Lichterscheinung das verderbenbringende Geschick, welches der Schweifstern verkündigt hatte. Sie waren der Meinung, nun nahe das Schrecknis, nun komme Krieg, Mord und Brand, nun seien die bösen Zeiten des Glaubenskrieges von neuem vor der Tür.

Mit unbegreiflicher Schnelligkeit hatte sich die Panik durch die Stadt verbreitet. Es wurde ein Leben in den Gassen, wie wenn der Ruf durchs Dorf erschallt: Der Weih kommt, der Weih kommt!, ein schwarzer Punkt, kaum bemerkbar dem unbewaffneten Auge, in der blauen Luft schwebt und Weiber und Hühner vor Angst und Not nicht wissen, wohin.

Die Mutigsten der Bürger langten die verrosteten Hakenbüchsen von den Wänden und sahen sich nach Pulver, Kugeln und Lunten um; Spieße und Hellebarden wurden aus den Winkeln gerissen, die alten Schwerter umgeschnallt oder auf die Schulter gelegt, wenn die Mäuse das Lederwerk zerfressen hatten. Pickelhauben wurden auf gekämmte und ungekämmte Köpfe gestülpt, Brustharnische wurden umgeschnallt. –

Die Hasenherzen dagegen und die Weiber warfen trostlose Blicke auf die Tapfern und auf ihre Habseligkeiten, ließen das Wertvolle unbeachtet und suchten mit zitternden Händen allerlei Rumpelei zusammen, um sich im Notfall damit zu retten aus der hereinbrechenden Verwüstung und dem Weltuntergang.

Der Bürgermeister Uhlenhut, der Amtmann, die Ratsleute und alles Federvieh samt Ferkeln, Hunden, Katzen und Kindern war befehlend, rufend, gackernd, schnatternd, quietschend, bellend, miauzend, kreischend urplötzlich auf den Beinen.

Wer konnte wissen, was da feurig die Weser herabschwimme, ob der Kaiser, der Teufel, der Papst oder der Türke? Alle vier gleich gefürchtet zu jener Zeit von den Anhängern Martin Luthers.

Auf dem von der alten Burg der Grafen von Eberstein allein noch übriggebliebenen festen, runden Turme brachten die strategischen Genies des Gemeinwesens die einzige, verrostete Kartaune, welche die Stadt besaß, in solche Lage gegen den Spiegel des Flusses, daß wenigstens sein Schuß – wenn es Gottes Wille sein sollte und das alte Ding losging – ein Boot voll Übeltäter und Raubgesindel treffen und in den Grund bohren könne.

Reisig häuften andere Kriegskundige an der Fähre zusammen, um es beim Näherkommen des Abenteuers in Brand zu setzen, damit man doch sehen könne, mit wem man es eigentlich zu tun habe.

Hinter den Holzhaufen, welche zum Verflößen am Ufer bereit lagen, postierten sich die besten Schützen der Stadt, die Männer, welche gewöhnlich den Vogel auf dem Schützenhofe abschossen, und eifrig bliesen sie ihre Lunten an.

Der Pfarrer Fichtner, welcher den Chorrock übergeworfen, die Bibel in die Tasche gesteckt und das Schwert seines Johannes unter den Arm genommen hatte, schritt hin und wider durch die Menge, ermutigend, tröstend, beruhigend, wie es einem mutigen, echten Seelenhirten zukam; denn überall herrschte Verwirrung und Not, und der einzige Gleichmütige und Sorglose in diesem wimmelnden und aufgestörten Ameisenhaufen war Klaus Eckenbrecher. Er sah sogar den kommenden Schrecknissen mit einem gewissen kitzelnden Behagen entgegen. Zu verlieren hatte er nichts, und vielleicht konnte er alles gewinnen, wenn ihm das Schicksal wohlwollte und ihm eine Gelegenheit gab, die holde Monika aus hundert Fährlichkeiten zu retten.

Wie vortrefflich würde es dann sein, wenn der »Alte« nun einsähe und eingestände, der Klaus sei doch ein ganz ausgezeichneter Bursche! Wie hübsch würde es sein, wenn er – der Alte – aus Dankbarkeit ihn – den Klaus – auf der Stelle mit der holden Monika kopuliere und alles Volk von Holzminden dabeistünde mit abgezogenen Hüten und jämmerlich dem Klaus das angetane Unrecht abbitte!

Mochte der Feuerschein bringen, was er wollte, dem Klaus Eckenbrecher sollte es nicht zum Schlechten ausschlagen!

Der Bube hatte längst seinen Lugaus auf der Mauer des Pastorengebäudes aufgegeben und trieb sich nun, die Hände in den Taschen, das kohlblattähnliche Barett mit der Falkenfeder verwegen zur Seite gerückt, am Ufer der Weser umher, um das nahende Abenteuer aus der ersten Hand zu haben. Den Bürgermeister Uhlenhut, welcher in zitternder Hast, obgleich er vollkommen nüchtern war, einherwackelte gleich einem alten Bacchanten oder einem Leinweber – trat er auf den Fuß, ohne sich nur zu entschuldigen, ja, der abscheuliche Bösewicht lachte sogar noch hämisch über den Würdigen, welcher sich kaum regen konnte unter seinem Panzer und seiner Sturmhaube. Noch unverschämter aber gebärdete sich der Eckenbrecher, als der Vater der Stadt verlangte, Klaus möge ihm das gewichtige Schwert tragen, bis es zur Schlacht komme.