Der Herr auf der Galgenleiter - Hugo Bettauer - E-Book

Der Herr auf der Galgenleiter E-Book

Hugo Bettauer

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  • Herausgeber: SAGA Egmont
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Elegant gekleidet macht sich Lothar Leichtwag auf den Weg zu seiner Bank. Seit er bei Schwarzseher & Lustig seine winzige Erbschaft angelegt hat, ist er sorgenfrei. Bei den Börsenspekulationen sind es erst ein paar Tausender, die er gewinnt, bald eine Viertelmillionen und daraus werden fünf, dann zehn Millionen. Mit Vergnügen verlässt Leichtwag seine langweilige Stelle als Rechtsanwalt und seine Freundin Grete gleich mit – das anständige Mädchen will nicht so recht zu seinem neuen Leben passen. Auch heute sind wieder neue Käufe und Verkäufe geplant. Aber dann ist das Bankhaus geschlossen, Lustig hat sich erhängt, Schwarzseher ist mit allem Bargeld und Papieren geflohen. Und Leichtwag? Als ihm in der aufgebrachten Menschenmenge vor der Bank auch noch das Portemonnaie geklaut wird, hat er buchstäblich nichts mehr. Noch nicht einmal Kredit, denn in der Morgenzeitung steht, das auch der bekannte Millionär L. heute sein ganzes Vermögen verloren haben dürfte. Von einer Sekunde auf die andere aus der Gesellschaft ausgestoßen, läuft Leichtwag verzweifelt durch Wien. Wie weit muss er gehen, um an Geld zu kommen? Diebstahl, Zuhälterei, Mord?-

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Seitenzahl: 95

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Der Herr auf der Galgenleiter

Hugo Bettauer

SAGA Egmont

Der Herr auf der Galgenleiter

Copyright © 1923, 2018 Hugo Bettauer und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

All rights reserved

ISBN: 9788711503010

1. Ebook-Auflage, 2018

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

I. Kapitel

Die grünen Jalousien schepperten im Wind, bogen sich schief ins Zimmer hinein, so daß ein greller Sonnenstrahl sich wie ein Dolch auf das Bett werfen konnte. Die tiefen Atemzüge des Schläfers pausierten, es knackte und wälzte sich im Bett, ein Männerarm erhob sich, wie um den sengenden Strahl abzuwehren, und schlaftrunkene Augen hefteten sich halb noch im Traum auf die Uhr an der Wand gegenüber.

»Donnerwetter! Elf Uhr! Pfui Teufel!«

Eine schlanke Männergestalt in blauseidenem Pyjama erhob sich und sprang mit beiden Füßen fast gleichzeitig aus dem Bett.

Gähnend reckte und streckte sich Lothar Leichtwag, einüber das anderemal die Bekundung ausstoßend: »Donnerwetter, elf Uhr!«

Endlich ganz in das reale Leben zurückgekehrt, schlüpfte der Langschläfer in die seidenen Pantoffel, die neben dem breiten Messingbett standen, griff nach dem Zigarettenetui aus Leder auf dem Nachtkästchen, warf es, da es sich als leer erwies, beiseite und durchschritt dann das Schlafzimmer, riß die Türe zum Herrensalon auf und rief gereizt: »Paul! Donnerwetter, wo steckst du denn?«

Aber schon hatte sich Lothar Leichtwag besonnen. Richtig, Paul steckte ja im Arrest! Gestern war der Schlingel, der ihn bestohlen, seine Zigaretten schachtelweise fortgeschleppt, seidene Strümpfe und Krawatten gemaust und schließlich sogar die schöne goldene Zigarettendose zu Geld gemacht hatte, auf seine Anzeige verhaftet und abgeführt worden. Lothar sah in diesem Augenblick wieder den todblassen Burschen vor sich, fühlte den flehenden Blick aus weinenden Augen und schüttelte sich, um die unangenehme Erinnerung los zu werden.

»Verdammter Schlingel! Hat es bei mir gut genug gehabt und wirklich nicht notwendig, mich zu bestehlen. Geschieht ihm recht! Nun aber rasch rasiert und angezogen.«

Eins, zwei war der Gasofen im weiß gekachelten Badezimmer in Betrieb gesetzt, und schon brauste es kühl, lauwarm, heiß und dann kalt und kälter auf den sehnigen Körper nieder. Dicker Seifenschaum auf Backen und Kinn, eine neue Gilletteklinge eingespannt, frisch, jung und gesund lächelte Lothar sein Gesicht aus dem geschliffenen Spiegel entgegen. Ein paar Minuten später und er hatte die richtige silbergraue Krawatte aus Hunderten zum leichten blauen Cheviotanzug gewählt und stand fix und fertig zum Ausgehen bereit da. Nun nur noch die dünne Golduhr in die Westentasche geschoben und die Brieftasche eingesteckt. Lothar öffnete die kleine Tasche aus weichem schwarzem Saffianleder, machte ein verdutztes Gesicht und lachte dann hell auf.

»Abgebrannt, vollständig abgebrannt! Kein kleines und kein großes Geld! Himmel, haben die Brüder mich ausgeplündert! Richtig – nicht nur, daß ich die Million, die ich bei mir trug, im Bak verloren habe, außerdem gab ich ja meine Visitenkarte für einen recht ansehnlichen Betrag als Bon! Wieviel war es nur? Keine Spur von einer Idee! Na, werde mir das Geld schon wieder holen! Gut, daß ich noch ein paar Zehntausender in der Hosentasche hatte, sonst hätte ich mir nicht einmal mehr das Autotaxi nach Hause leisten können. Nun bin ich aber blank, wie schon seit meiner Studentenzeit nicht mehr. Na, macht nichts, hol ich mir halt bei Schwarzseher und Lustig ein paar Milliönchen. Schäbige Austrokronen nur, aber immerhin.«

Lotbar Leichtwag unterbrach den ungesprochenen Monolog und nahm das Hörrohr vom Telephon, das auf dem Schreibtisch stand.

»Bitte, Fräulein, verbinden Sie mich mit Vierhundertachtundsechzig bis Vierhundertsiebzig.«

Eine Pause, die Lothar benutzte, um im Kopf seine Fragen zu formulieren. Wie ließ sich heute die Börse an? Hatte man schon den ersten Kurs von Alpine? Und dann würde er dem Kassier sagen lassen, er möge fünf Millionen für ihn bereit halten.

Aber es meldete sich niemand, und geduldig legte er das Rohr wieder auf die Gabel.

»Hol der Teufel dieses Wiener Telephon! Na, in fünfzehn Minuten bin ich ohnedies dort und erledige alles mündlich.«

Es klopfte, und Frau Beschke, die Wirtin Lothars, von der er zwei Zimmer, Badezimmer und Dienerkammer abgemietet hatte, erschien irgendwie verlegen auf der Schwelle.

Lothar warf einen Blick auf den Abreißkalender.

»Richtig, der Erste heute und ich soll berappen, was? Müssen sich schon bis Nachmittag gedulden, vieledle Gönnerin. Wenn Sie mich umdrehen, fällt kein Heller aus meinen Taschen. Alles verjeut und verjuxt, meine Guteste!«

Frau Beschke wehrte ab. »Deshalb komm’ ich nicht, Herr Doktor, mein Geld ist mir bei Ihnen sicher genug. Nein, es ist wegen des Paul. Seine Mutter war vorhin hier und hat furchtbar gejammert und geweint. Der Polizeikommissär hat ihr gesagt, daß, wenn der Doktor die Anzeige zurückzöge, könnte man ein Auge zudrücken und ihn laufen lassen, weil er doch unbescholten ist und an seinem Fehltritt dieses schlechte Mädel schuld ist, das einen Narren aus ihm gemacht hat. Ich habe der armen alten Frau, deren Einziger der Paul ist, versprochen, ein Wort bei Ihnen einzulegen. Herr Doktor, schauen Sie, der Paul ist ja doch so jung, und wenn er erst einmal im Gefängnis war, dann ist er verloren.«

Doktor Lothar Leichtwag kniff unwillig und nervös die Augenbrauen zusammen.

»Mir tut er ja selbst leid, Frau Beschke, das können Sie mir glauben! Aber laufen lassen – das geht nicht. Das wäre ein Vergehen meinerseits gegen die Allgemeinheit, ein Vergehen, dessen ich mich als Jurist nicht schuldig machen darf. Wenn ich die Anzeige zurücknehme, so muß ich ihm noch obendrein ein Zeugnis ausstellen, und dann kann er auf dem nächsten Posten, den er bekommt, seine Diebereien fortsetzen, und ich trage die moralische Verantwortung. Nein, liebe Frau, er hat sich gegen unsere sozialen Gesetze vergangen und muß dafür büßen. Immerhin, bei der Verhandlung werde ich selbst als Zeuge Milderungsgründe vorbringen, so daß ihm nicht viel geschehen wird. Aber den Lauf der Gerechtigkeit laß ich durch die Sentimentalität eines schreibfaulen Polizeikommissärs, der gerne den Akt loswerden möchte, und durch die Tränen eines alten Weibes, das den Sohn besser hätte erziehen sollen, nicht hemmen.«

Seufzend zog sich Frau Beschke zurück, und Lothar Leichtwag tänzelte, die gelben Wildlederhandschuhe in der Rechten schwenkend, die Treppe hinab und schritt wie einer, der genau weiß, was er sich und anderen schuldig ist, die Schlösselgasse entlang nach der sonnendurchglühten Alserstraße, um, wie er launig zu sich sagte, auf nüchternen Magen ein paar Millionen aus den Kassenräumen seiner Bankiers, der Herren Schwarzseher & Lustig, zu sich zu nehmen.

II. Kapitel

Vor dem Haupttor des Landesgerichtes stieß Lothar Leichtwag mit dem Rechtsanwalt Zeisel zusammen, der in fliegender Hast, schwitzend, verstaubt, versorgt, eine mächtig angeschwollene Aktenmappe unter dem Arm, das Gebäude betrat.

»Servus, Leichtwag!«

»Servus, Zeisel!«

Ein musternder, neidischer Blick, dann war Zeisel unter dem dunklen Tor verschwunden.

»Wieder einer, der dumm genug ist, sich für nichts abzurackern und innerlich Gift und Galle gegen mich spuckt, weil ich eben nicht so dumm bin wie er. Jeder hat heutzutage die Möglichkeit, die holde Fortuna beim Schopf zu packen, wenn er nicht noch blinder ist, als die launische Göttin.«

Lothar sah einem bildhübschen Mädel nach, das ihm im Vorübergehen einen lockenden Blick zugeworfen, und blieb zögernd stehen. »Soll ich ihr nachsteigen? Ach was! Mädels gibt es genug, und ich habe noch nicht gefrühstückt, und außerdem muß ich mich beeilen, um vielleicht noch bei Schwarzseher und Lustig ein paar Schlüsse aufzugeben.«

So ging er weiter und dachte zurück an die noch gar nicht ferne Zeit, da er wie dieser Doktor Zeisel schmierige Akten zu Gericht geschleppt und im Herzen Wut und im Magen Leere gehabt hatte.

Nach dem Umsturz war er aus zweijähriger italienischer Gefangenschaft heimgekehrt und glücklich gewesen, als absolvierter Jurist bei dem Rechtsanwalt Laufer als Konzipient unterkriechen zu können. Von neun Uhr morgens bis sechs Uhr abends mußte er schuften, bekam einen wahren Schandlohn, besaß keine Zivilanzüge, so daß er in der verschlissenen, geflickten Offiziersuniform einhergehen mußte, bewohnte, da er keine Verwandten mehr in Wien besaß, eine erbärmliche Kammer irgendwo im vierten Stock mit Aussicht in den Lichthof, fühlte sich mit seinen knapp achtundzwanzig Jahren als mürbes Wrack, hatte ewig Hunger, speiste, wenn man das so nennen darf, mittags und abends in einer unsagbar schmutzigen Gemeinschaftsküche, in der es Schnitzel aus Spinat, Pudding aus Bohnen und Brot aus Kleie gab, besaß von der Mitte des Monats an nicht mehr Geld genug, um sich das Unentbehrlichste, die Zigaretten, zu kaufen und trug sich mit düsteren Gedanken, nach Brasilien oder Peru oder irgendwohin, wo der Pfeffer wächst, auszuwandern, nur um dieses europäische Kulidasein nicht länger führen zu müssen. Sein einziger Trost war Gretl gewesen, das blonde, liebe Tippmädel des Rechtsanwalts Doktor Laufer, dieses liebe, gütige Ding, das ihm die erste junge Liebe mit überquellender Freigiebigkeit schenkte, ihm Trost zusprach und schließlich doch noch immer ein paar selbstgestopfte Zigaretten hervorzauberte.

Lothar verzog das Gesicht, als er in der Erinnerungsreihe bei Grete angelangt war, und zwang sich, seine Gedanken rasch weiterspringen zu lassen.

Ein Jahr hatte das elende Dasein gedauert, als er eines Tages zu einem Notar gerufen wurde. Eine alte Tante, deren Existenz er längst vergessen, war in Weikersdorf gestorben und er allein kam als Erbe eines kleinen Vermögens, das sie hinterlassen, in Betracht. Fünfzigtausend Kronen, ein Bettel angesichts der schon damals weit fortgeschrittenen Geldentwertung, für ihn aber ein fabelhafter Glücksfall. Tolle Tage unterbrachen jäh die Monotonie seines Lebens. Ein neuer Anzug, Schuhe, Krawatten, für Grete desgleichen allerlei nette Sachen, auch die paar hundert Kronen, die sie ihm im Laufe der Monate gepumpt hatte, bekam sie zurück, abends wurde feudal gespeist, ins Kabarett oder in eine Bar gegangen, und nach knapp einer Woche waren aus den fünfzigtausend Kronen vierzigtausend geworden.

Um diese Zeit begann das unaufhörliche Sinken der Krone und die Überfremdung der einheimischen Industrien naturgemäß eine steigende Tendenz an der Börse auszulösen, und ganz Wien spielte. Im Bureau, in den Korridoren der Gerichtsgebäude, auf der Straße und im Kaffeehaus hörte man von Julisüd und Klothilde, von Siemens und Nordbahn sprechen, und sogar der mürrische, antiquierte Rechtsanwalt Laufer erzählte plötzlich mit breitem Behagen seinem Konzipienten, daß er Neusiedler soeben mit einem Profit von fünfhundert das Stück verkauft habe.

Lothar Leichtwag stutzte. Alles ringsumher sprach von Börsengewinnen, vermehrte sein Geld, entfloh der sinkenden Krone, rettete sich vor der zunehmenden Teuerung durch mühelose Einnahmen, er aber war im Begriff, sein kleines Vermögen in Gesellschaft eines netten Mädels aufzuessen, um nach ein paar Monaten wieder auf das schäbige Gehalt angewiesen zu sein, das ihm der alte Fuchs, der Laufer, an jedem Monatsersten stöhnend auszahlte.

Bin ich dümmer als die anderen? Soll ich das nicht können, was sie zustande bringen? Ist es nicht vernünftiger, alles zu riskieren, als das täglich schlechter werdende Geld in der Schublade einschrumpfen zu lassen?

Zwei Tage lang studierte Lothar die Börsenberichte, ließ sich von Kollegen in die Geheimnisse von Hausse und Baisse, von Schlüssen, Kassentagen, Deckung und Kontremine einweihen, dann begab er sich nach der Wollzeile, wo die Bankfirma Schwarzseher & Lustig ihre Kontors hatte.

Herr Gustav Schwarzseher war ein intimer Freund seines längst verstorbenen Vaters gewesen, das wußte Lothar aus zahllosen Geschichten her, die vor vielen Jahren am Mittagtisch im Kreise der Familie erzählt worden waren. Und heute war Herr Schwarzseher einer der führenden Bankiers, ein Nabob, einer der Reichsten im Lande. Und einer, dessen Glück geradezu sprichwörtlich geworden war.