Der Idiotenverein - Kerstin B. Veen - E-Book

Der Idiotenverein E-Book

Kerstin B. Veen

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Beschreibung

Dem Multiversum droht die Zerstörung. Können neun Freunde, die sich selbst Idioten nennen, es retten? Oder sind sie selbst für das Durcheinander verantwortlich? Dabei wollten sie doch nur ihre 40. Geburtstage feiern. Wieso gibt es im Multiversum so viele Idiotenvereine? Können sie gemeinsam das Multiversum retten? Und wie soll die künstliche Intelligenz S.T.E.F.A.N.N. ihnen helfen, wenn sie noch nicht einmal ihre eigene Bedeutung erklären kann?

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Seitenzahl: 536

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Wenn sich mehr als drei Menschen treffen, gründen sie einen Verein.

Für S., S., S., F. und D. zum 40. Geburtstag

Geliebter,

ich habe die Lösung gefunden. Es ist alles vorbereitet. Das System ist angestoßen. Wie eine Reihe Dominosteine wird es nach und nach zusammenfallen und uns zum Ziel führen. Ich vermisse dich schon jetzt, aber wir müssen geduldig sein. Abwarten. Alles wird gut. Ich werde wieder ich sein. Wir werden zusammen sein, das verspreche ich dir.

P.

Inhaltsverzeichnis

1998

2020

MULTIVERSUMS-MAUMAU

ERDE 1 / DER IDIOTENVEREIN

ERDE X / LOADING NAME…10%

ERDE 1 / DER IDIOTENVEREIN

ERDE 9 / GANG DE LEATHCHEANN

ERDE 18 / COSCA DI IDIOTI

ERDE X / LOADING NAME…20%

ERDE 40 / GANG NAN IDYO

ERDE 9 / GANG DE LEATHCHEANN

ERDE 40 / GANG NAN IDYO

ERDE X – LOADING NAME…30%

I.Q. DAS QUARTETT

ERDE 1 / DER IDIOTENVEREIN

ERDE 15 / IDIOOTTIEN VALTAKUNTA

ERDE 33 / DIE PARTEI I

ERDE 40 / GANG NAN IDYO

ERDE 9 / GANG DE LEATHCHEANN

ERDE 33 / DIE PARTEI I

ERDE X – LOADING NAME…40%

ERDE 9 / GANG DE LEATHCHEANN

DER IDIOTENCODE

ERDE 1 / DER IDIOTENVEREIN

ERDE 22 – UNITED IDOTS

ERDE 36 – ASSOCIATION DE FOUS

ERDE 9 – GANG DE LEATHCHEANN

ERDE X – LOADING NAME…50%

ERDE 22 – UNITED IDIOTS

ERDE X – LOADING NAME…60%

ERDE 15 – IDIOOTTIEN VALTAKUNTA

ERDE X – LOADING NAME…70%

MAFIOSI

ERDE 1 – DER IDIOTENVEREIN

ERDE 11 – UNTER UNS

ERDE 9 – GANG DE LEATHCHEANN

ERDE 36 – ASSOCIATION DE FOUS

ERDE X – LOADING NAME…80%

ERDE 24 – VERENIGING VAN GEKKE MENSEN

ERDE X – LOADING NAME…90%

FREUNDE?

ERDE 11 – UNTER UNS

ERDE 1 – DER IDIOTENVEREIN

ERDE 24 – VERENIGING VAN GEKKE MENSEN

ERDE X – LOADING NAME…95 %

ERDE Y – HÁLFVITI KLÚBBUR

ERDE 11 – UNTER UNS

ERDE 15 – IDIOTTIEN VALTAKUNTA

ERDE 1 - IDIOTENVEREIN

ERDE 9 – GANG DE LEATHCHEANN

ERDE 15 – IDIOTTIEN VALTAKUNTA

ERDE 22 – UNITED IDIOTS

ERDE 40 – GANG NAN IDYO

ERDE 24 – VERENIGING VAN GEKKE MENSEN

ERDE 36 – ASSOCIATION DE FOUS

ERDE 18 – COSCA DI IDIOTI

ERDE 1 - IDIOTENVEREIN

ALLE ERDEN – IDIOTA UNIO

ERDE X – LOADING NAME…FEHLGESCHLAGEN

ALLE ERDEN – IDIOTA UNIO

EPILOG

STICHWORTERKLÄRUNG

TATSACHEN

DIE IDIOTEN DER PARALLELERDEN

1998

An einem verregneten Nachmittag, irgendwo in Ostwestfalen, sitzen Ben, Daniel, Felix und Sascha im Computerraum ihrer Schule. Außer ihnen ist niemand dort. Sie haben gerade das 9. Kapitel ihres Zehn-Finger-Schreib-Programms beendet. Der Bus nach Hause fährt erst wieder in einer Stunde. Aber keiner will so richtig nach Hause. Also sitzen sie noch ein wenig zusammen und quatschen über Dies und Das.

Nebenbei zeichnet Daniel einen neuen Comic in ein kleines Notizbüchlein. Der verplante Jesus. Sie lachen. Das Büchlein soll nun Bibel heißen.

Sollen sie nachher doch noch ins Kino gehen? Armageddon läuft. Der soll gut sein. Sagt man. Das überzeugt sie nicht. Kino? Vielleicht, aber nicht heute. Eine Stunde können sie noch hier rumhängen, bis sie rausgeworfen werden.

Der Regen will nicht aufhören. Da wollen sie jetzt nicht raus, deswegen warten sie noch. Lieber langweilen sie sich ein wenig gemeinsam. Oder was sollen vier Jungs im Computerraum sonst machen?

Sie überlegen. Da fällt Ben ein, wenn mehr als drei Menschen sich treffen, dann gründen sie einen Verein. Sie sind zu viert. Und da sie nicht wissen, was sie sonst tun sollen, gründen sie halt einen Verein.

Der Verein braucht einen Namen und einen Zweck, Vereinsstatuten, Mitgliederausweise. Schnell startet Felix das Textverarbeitungsprogramm erneut. Er tippt Name, Adresse, Mitgliedsnummer ein, natürlich mit zehn Fingern, wie sie es eben geübt haben. Nur wie soll der Verein heißen?

„Das ist geradezu verrückt, idiotisch. Wir gründen einen Verein!“, sagt einer und schüttelt den Kopf.

„Das ist es! Wir sind der Idiotenverein!“, antwortet ein anderer.

„Also sind wir Idioten?“

„Warum eigentlich nicht? Wir sind Idioten.“

Felix tippt „Idioten e.V.“, druckt die Mitgliedsausweise und schneidet sie zurecht. Sascha hat sich einen Block geschnappt. „MITGLIEDSSTATUTEN DES IDIOTENVEREINS“ schreibt er in Großbuchstaben auf die erste Seite.

Ihr Verein soll ein Männerbund sein, schließlich sind alle Versammelten Jungs. Sie trinken keinen Alkohol und nehmen keine Drogen. Natürlich haben sie alle bereits mal ein Bier getrunken, schließlich sind sie 17, aber sie wollen sich nicht besaufen wie die Coolen. Und es schmeckt einfach nicht.

Sie brauchen keine Kippen, um cool zu sein. Selbst mit Kippe wären sie das nicht. Andere bewusstseinserweiternde Drogen lehnen sie ab. Ohne Drogen fällt ihnen schon genug Blödsinn ein.

Keine Frauen. Denn sie unterhalten keine Beziehungen zu Frauen. Sie würden gerne, aber die Mädchen in ihrer Schule sind nicht an ihnen interessiert. Keiner von ihnen hatte bisher eine Freundin. So himmeln sie die Mädchen bisher nur von Weitem an.

Sie überlegen, ob sie den Verein eintragen lassen sollen, was sie aber wieder verwerfen. Zu umständlich. Zuviel Bürokratie. Der Verein soll nur für sie selbst bestehen. Sie nennen sich Idioten, ihr Verein ist der Idiotenverein.

Da ist die Stunde auch schon rum. Herr Schulze steht in der Tür. Er will abschließen und Feierabend machen. Sie müssen gehen. Es regnet noch immer, nur nicht mehr so stark.

Auf dem Weg zum Bushof biegen sie doch noch zum Kino ab. Am nächsten Tag ist sowieso schulfrei, da können sie sich heute noch Armageddon ansehen. Der erste Vereinsevent.

Ein Jahr nach der Gründung nehmen sie ihr erstes Mitglied ehrenhalber auf: Jan. Der hängt seit ein paar Monaten ständig mit ihnen im Computerraum rum und gehört einfach zu ihrer Clique dazu. Weitere Mitglieder soll es nicht geben.

Der Rest ist Geschichte… Naja, nicht ganz…

2020

Pandemie.

Ein Coronavirus verteilt sich um die ganze Welt.

Die Länder überall auf der Welt gehen verschieden damit um. Die einen beten den Virus weg, die anderen schließen alles zu und kontrollieren jeden Gang ihrer Bewohner in der Öffentlichkeit. Wieder andere tun einfach gar nichts.

In Deutschland führt die rasante Verbreitung des Virus zu einem Lockdown. Die Schulen und Kindergärten werden dicht gemacht. Nicht einmal Spielplätze darf man besuchen. Die Läden werden größtenteils geschlossen. Nur Lebensmittelläden sind noch geöffnet. Waren des täglichen Bedarfs kann man kaufen, aber nur mit Abstand und wenn man einen Mund-Nasen-Schutz trägt. Es gibt einen Mangel an Klopapier, da einige große Mengen davon kaufen.

Alle, die können und dürfen, gehen ins Home Office. Manche Chefs sehen das jedoch nicht gerne und bestehen darauf, dass die Mitarbeiter zur Arbeit kommen.

Mehr und mehr Menschen sterben an der Krankheit. Es gibt kein Gegenmittel, keine Impfung. Das einzige, das man tun kann, ist, Abstand halten. Niemanden treffen. Alleine zu Hause vereinsamen oder sich mit der Familie zoffen.

Im Juni öffnen die Schulen langsam wieder, aber nur kurz vor den Sommerferien. In den Ferien scheint alles wie immer, nur dass niemand wirklich Urlaub macht, denn in andere Länder einreisen, ist so gut wie unmöglich. In manchen Ländern muss man nach der Einreise eine zweiwöchige Quarantäne in einem Hotelzimmer absitzen. Da ist der Urlaub schon so gut wie vorbei. Also bleiben die meisten zu Hause oder reisen nur an die Ost- oder Nordsee.

Die Baumärkte machen richtig gute Umsätze, weil viele sich mit ihrem Haus oder ihrer Wohnung beschäftigen und ihre Gärten auf Vordermann bringen. Auch der Absatz an Swimming Pools steigt, da die Schwimmbäder alle geschlossen sind.

Nach den Ferien läuft die Schule einigermaßen normal, außer dass die Kinder überall Masken tragen müssen. Zum Herbst hin steigen die Infektionszahlen höher, als sie zu Beginn der Pandemie waren. Trotzdem wartet man mit einem erneuten Lockdown bis kurz vor Weihnachten. Die Ferien werden eine Woche vorverlegt und nach den Ferien bleiben die Schulen zu. Erst Ende Februar 2021 beginnt man in den Grundschulen mit Wechselunterricht. Alle, die können, sind immer noch im Home Office.

Seit Anfang 2021 gibt es aber zumindest eine Impfung und die über 80-jährigen in den Pflegeheimen werden geimpft. Auch das Pflegepersonal darf sich impfen lassen. Ende Februar ist man so weit, dass die über 80-jährigen, die noch zu Hause wohnen, auch geimpft werden. Anfang März soll damit begonnen werden, Lehrer und Erzieher zu impfen. Alle schön der Reihe nach. Es dauert natürlich länger.

Immer wieder kommt es zu Lieferengpässen und zum Aussetzen von einzelnen Impfstoffen.

Es gibt weiter Kontaktbeschränkungen. Man soll sich mit möglichst wenigen Personen aus anderen Haushalten treffen. Am besten mit niemandem. Einige schaffen das besser, andere sind nach einem Jahr Kontaktbeschränkung psychisch am Limit. Wieder andere interessieren die Beschränkung überhaupt nicht. Sie bilden sich ein, es gäbe kein Virus und dieses ganze Theater darum wäre doch nur Schikane.

Oder sie sagen sich zur Beruhigung, dass sie einander ja kennen und der andere bestimmt nicht krank ist. Leider merkt man die Krankheit erst Tage später. Da hat man vielleicht schon einige angesteckt.

Langsam sind die Zahlen so hoch, dass immer mehr Menschen irgendwen kennen, der bereits die Krankheit durchgemacht hat oder es gerade macht. Die Todeszahlen steigen und die schweren Verläufe werden durch Mutationen öfter. Immer mehr Menschen, die im Krankenhaus beatmet werden müssen. Die Impfquoten steigen bis zum Juli 2021. Dann ist ein Peak erreicht. Alle, die wollen, sind nun mindestens einmal geimpft. Allen übrigen werden Anreize geboten, dass sie sich auch impfen lassen, denn die Delta-Variante ist auf dem Vormarsch. Kinder sollen noch nicht geimpft werden.

Ende Juni und Anfang Juli ist alles wie immer. Die Menschen feiern Feste, treffen sich in größeren Gruppen und machen endlich wieder Urlaub. Doch die niedrigen Inzidenzen währen nicht lange, da bringen schon die ersten neue Infektionen mit nach Hause. Die Inzidenzen steigen wieder.

Im Herbst sind die Inzidenzen höher als jemals zuvor. Kinder unter zwölf Jahren können noch immer nicht geimpft werden. Trotzdem wird in den Schulen die Maskenpflicht gelockert. Alle erwarten den nächsten Lockdown.

Deswegen sind weder 2020 noch 2021 Jahre, in denen man entspannt feiern kann.

Schade eigentlich. Vor allem, wenn man einen runden Geburtstag zu feiern hat.

MULTIVERSUMS-MAUMAU

ERDE 1 / DER IDIOTENVEREIN

Aachen, Anfang 2021

Zu den Vereinsstatuten der Idioten gehörte ursprünglich, keinen Alkohol zu trinken und keine Drogen zu nehmen. Außerdem wollten sie alle für immer Singles bleiben, da sich sowieso keine Frau für sie interessiert.

Mit der Zeit zeigte sich, dass die Statuten zu eng gefasst waren. Denn es gab irgendwann doch Frauen, die Interesse an den Idioten hatten. Und das mit dem Alkohol: Naja, ein, zwei Bier in Gesellschaft sind schon ok, nur ein Rausch muss ja nicht sein. Lieber nicht die Kontrolle verlieren.

Bis auf Sascha sind im Jahr 2021 alle liiert oder sogar verheiratet. Sascha sehnt sich zwar nach einer Beziehung, aber irgendwie traut er sich nicht, es durchzuziehen, wenn doch einmal eine Frau mehr will.

Sein durchtrainierter Körper gefällt den Frauen. Mit seinen tiefblauen Augen und seinem charmanten Grinsen kriegt er jede rum, aber mehr als ein One-Night-Stand ist nie drin. Die meisten Frauen wollen nur schnellen Sex und sind am nächsten Morgen verschwunden.

Das ist nur kurzfristig befriedigend. Und die, die mehr wollen, interessieren ihn nicht länger als eine Nacht. Die eine große Liebe war noch nicht darunter. Irgendwie auch gut so, denn so richtig kann er sich nicht entscheiden, was er will.

Die Studentinnen stehen bei ihm Schlange, vor allem, seit er sich vor ein paar Jahren – als die Immobilienpreise noch nicht in unerreichbare Höhen geschossen waren – ein Haus im Frankenberger Viertel gekauft hat.

Die oberste Etage hat er für sich als Penthouse ausgebaut und die unteren Etagen zu Studentenzimmern umgebaut. Die einzelnen Zimmer der Riesen-WG vermietet er zu so günstigen Preisen, dass er damit gerade noch den Kredit abbezahlen und ein wenig für Reparaturen zur Seite legen kann. Das genügt ihm. Gewinn will er damit nicht machen.

Für jede Etage gibt es zwar ein Bad, eine Küche gibt es aber nur im Erdgeschoss für alle gemeinsam. Jedes Wochenende ist Party angesagt.

War es zumindest, bis die Pandemie kam. Seitdem ist es ruhig in der Riesen-WG.

Dabei wollte Sascha es in diesem Jahr so richtig krachen lassen. Schließlich wird er 40. Aber die Corona-Pandemie wütet noch immer, also wird es keine Party geben. Daher hat er sich dazu entschieden, dass er nur mit seinen Idioten feiern will. Ein bisschen Abhängen und Quatschen, mehr nicht. Hoffentlich ist der Lockdown im März vorbei.

Seine Familie will er nicht einladen. Kontakt hat er noch zu seinen Brüdern, aber nur noch sporadisch.

Als er 14 Jahre alt war, hatten sich seine Eltern getrennt. Seine drei jüngeren Brüder und er waren bei der Mutter geblieben, der Vater irgendwohin durchgebrannt. Seitdem haben sie keinen Kontakt mehr zu ihm. Keiner weiß, wo er ist und ob er überhaupt noch lebt.

Sascha hatte, in Ermangelung der Vaterfigur, als Ältester diese Rolle für seine Brüder eingenommen. Den jüngsten von ihnen traf die Trennung besonders heftig. Er stürzte in der Schule ab und machte dort so viel Blödsinn, dass er kurz davor war, der Schule verwiesen zu werden.

Sascha war anstelle seiner Mutter dort gewesen, um mit den Lehrern zu sprechen. Da war er bereits 18. Aber weil seine Mutter ihrem neuen Freund, dem Alkohol, verfallen war, war sie nicht in der Lage, das zu regeln.

Er hatte mit den Lehrern einen Deal vereinbart, damit sein Bruder eine letzte Chance bekam. Beim nächsten Schwänzen wäre er raus. Von da an nahm sein Bruder sich zurück, auch wenn er immer noch keine sonderlich guten Noten nach Hause brachte. Zumindest schaffte er seinen Abschluss und kümmerte sich danach selbst um einen Ausbildungsplatz.

Seine Brüder liegen ihm sehr am Herzen, aber immer, wenn er mit ihnen zusammen ist, kommt das alte Gefühl hoch, sich immer noch kümmern zu müssen. Er kann einfach nicht loslassen, auch, wenn sie mittlerweile alle gelernt haben, alleine klar zu kommen. Das Gefühl bleibt.

Da feiert er lieber mit seinen Freunden. Mit ihnen spürt er diesen Druck nicht. Sie sind alle, wie er, Erstgeborene und tragen ihre eigene Geschichte mit ihren kleineren Geschwistern. Das macht sie zu Verbündeten.

Am meisten freut sich Sascha auf sein Geschenk. Natürlich, Geschenke sind immer gut, aber die Geschenke, die die Idioten sich zu runden Geburtstagen ausdenken, sind besonders bekloppt. Kreativ, ausgefallen, manchmal auch ein bisschen fies. Die Idioten sind einfach Freaks, Verrückte. Und das ist auch gut so. Sie verbindet eine wunderbare Freundschaft. Jeder kann sein, wie er ist. Keiner muss sich verstellen, um in die Gruppe zu passen. Irgendwie passt es schon, auch wenn nicht jeder jede Einstellung teilt und jede Entscheidung der anderen nachvollziehen kann.

Manchmal kracht es, aber dann spricht man darüber und klärt es auf. Und hat einer ein Problem, so sind die anderen für ihn da und stehen ihm bei. So wie Freunde das eben machen.

Natürlich wird auch mal gelästert, aber immer mit dem Hintergedanken, dass man dem Betroffenen das auch ins Gesicht sagen würde und das manchmal auch tut. Die Wahrheit ist leider nicht immer nett. Dafür weiß man, woran man ist.

Jetzt wird es allerdings langsam spannend, denn Saschas Geburtstag ist bereits Anfang März. So langsam müssen die Idioten doch eine Idee für ein Geschenk haben. Erfahren wird er es sowieso erst am Geburtstag selbst. Aufgeregt ist er schon. Der Lockdown hält an.

ERDE X / LOADING NAME…10%

Alles ist vorbereitet. Sie können starten mit ihrem Plan. Die technische Ausrüstung stimmt und jeder weiß, was er tun muss. Jetzt kann nichts mehr schief gehen.

Sie hatten sich lange beraten, nachdem sie endlich die Steine zusammen und alle wichtigen Personen monatelang beobachtet hatten. Die Stärksten haben sie ausfindig gemacht. Und den Schwächsten der Stärksten, bei dem sie starten würden, damit alles zusammenbricht, lokalisiert.

Der Altar im Tempel ist fertig.

Die Steine stehen alle auf ihren Plätzen:

Der rote Stein mit dem A neben dem orangenen Stein mit dem J. Der grüne Stein mit dem M neben dem schwarzen mit dem D. Der lilafarbene Stein mit dem K neben dem rosafarbenen Stein mit dem B und der gelbe Stein mit dem T neben dem weißen Stein mit dem F.

Alle sind im Kreis angeordnet und in der Mitte steht der blaue Stein mit dem S.

Um sie zuordnen zu können, haben sie etliche Erden besucht. Ihre Bewohner beobachtet. Auf jeder Erde haben sie sich gefunden:

Die neun Menschen, deren DNA identisch ist mit denen auf den anderen Erden. Ihre Namen beginnen mit dem gleichen Buchstaben. Sie passen genau zu den Buchstaben auf den Steinen. Jeder Stein kann zugeordnet werden. Sie nennen sie Idioten.

Die Ähnlichkeit zu ihnen selbst ist verblüffend, kein Wunder, auch ihre DNA ist identisch.

Nur ihre eigenen Namen unterscheiden sich von denen. Warum? Das konnten sie nicht herausfinden. Um an die Macht zu gelangen, müssen sie dann wohl ihre Namen ändern.

Alles muss hundertprozentig passen: Person und Name. Um ihre Namen ändern zu können, müssen sie die Macht dieser Idioten schwächen, sie aus ihrer Gruppe holen. Ihr Band zerstören.

Nur dann wird es funktionieren.

Die Steine sind alle dunkel. Ihre Farben kann man kaum erkennen. Laut Vorsehung müssen sie glühen. Und sie wissen genau, wie sie das erreichen können: Sie müssen die Idioten voneinander trennen.

In schwarzen langen Kutten sitzen sie in gemütlichen Ohrensesseln um einen großen runden Tisch. Nacheinander tragen alle ihre Beobachtungen vor und besprechen ihren Plan.

Ihre Beobachtungen haben sie mit ihrer ausgereiften Technik einfach ausführen können. Ihr Dunkle-Materie-Schild hat sie selbst in Dunkle Materie verwandelt und so für ihre Untersuchungsobjekte unsichtbar gemacht. Daher verhielten sich diese sich wie immer. Sie konnten die Anwesenheit der Beobachter nicht wahrnehmen.

Technisch sind sie allen anderen Erden weit überlegen. Aus reiner Not. Ihnen bleibt nichts anderes übrig. Ihre Erde ist unbewohnbar. Sie sind die letzten ihrer Art. Die letzten neun. Nur mit Hilfe ihres Wissens und ihrer Technik können sie überleben. Nur, weil sie rechtzeitig ihren riesigen Bunker gebaut haben. Alle hielten sie für Spinner, für Idioten. Aber schnell zeigte sich, dass nicht sie die Idioten waren. Sie haben überlebt, während alle anderen Menschen gestorben sind.

Sie leben schon lange dort, zu lange. Fortpflanzung ist ihnen nicht mehr möglich und sowieso unnötig. Als sie noch jung waren, ja. Aber in ihrem Alter? Nein. Zumal sie herausgefunden haben, wie sie unsterblich werden können. Niemand kann sie mehr aufhalten.

Bei ihren Forschungen gab es einige Erfindungen, die sie vorerst fürs Überleben nicht benötigten. Trotzdem archivierten sie alles. Manches hilft ihnen nun bei der Ergreifung der Macht. So wie das Dunkle-Materie-Schild. Doch erst durch die Entwicklung der Portal-Gun haben sie einen Weg gefunden, andere Erden zu bereisen. Bis dahin war das Multiversum für sie immer nur eine Theorie gewesen. Eine Hoffnung, irgendwann noch einmal das Tageslicht erblicken zu können, die Sonne zu sehen. Irgendwann noch einmal raus zu gehen aus ihrem Bunker. Die Natur zu erleben, die auf ihrer Erde schon lange tot ist. Ihr Planet ist trist und leer. Hier lebt nichts mehr.

Und die Ergreifung der Macht. Ja, sie wollen einzigartig sein im Multiversum. Sie werden ewig leben. Auf einer anderen Erde? Als wenige unter vielen? Niemals!

Die anderen, die sollen sich ihnen unterordnen. So muss es sein, nicht umgekehrt. Sie haben den Tod besiegt, sie würden auch die anderen besiegen. Ganz bestimmt. Und dann würden sie ihre Erde neu erschaffen, ganz nach ihren Vorstellungen. So wie es früher einmal gewesen ist, bevor alles zerstört wurde.

Auf vielen Erden sind sie gewesen, um die stärksten Idioten des Multiversums zu finden und deren labilste Steinchen, die alles zum Einstürzen bringen werden. Die Personen, bei denen sie beginnen, werden ihren Plan in die Tat umzusetzen. Und sie sind fündig geworden.

Sie sind nun sicher, wo sie ansetzen müssen, um die Idioten zu trennen und deren Macht an sich zu reißen. Dieser eine, der muss ausgetauscht werden, um die anderen auf dumme Gedanken bringen zu können. Und der andere, der muss eine Möglichkeit bekommen, die übrigen zu erreichen. Die sollen sich ausprobieren. Die werden sich ausprobieren. Der Mensch ist von Natur aus neugierig. Und Idioten besonders. Sie werden es nicht ignorieren können. Es ist zu spannend, neue Welten zu entdecken.

Ihnen selbst ging es da nicht anders. Nur blieben sie immer unerkannt durch ihr Schild. Sie konnten sich frei bewegen, ohne entdeckt zu werden.

Olaf sieht aus wie der, den sie als ersten austauschen müssen. Nur, dass Olaf tief schwarze Augen hat und sehr langes Haar trägt. Das wird niemandem auffallen, denn auch dafür haben sie eine technische Lösung gefunden: den Körperscan. Man trägt ihn wie einen Ohrring und er sorgt dafür, dass die Menschen das sehen, was sie sehen sollen.

Daher könnte auch jemand anderer den Platz einnehmen, aber weil der Körperscan manchmal nicht so perfekt funktioniert, wie er sollte, wird Olaf gehen. Diese Technik ist neu und noch nicht ganz ausgereift, da sie auf ihrer Erde keine Körperscans benötigen. Sie sind schließlich die Einzigen dort.

Der Körperscan ist quasi eine für ihr Überleben dort unnötige Abfallerfindung. Falls der Körperscan ausfällt, hat Olaf weitere Utensilien dabei, wie die Pheromonbombe. Die sorgt innerhalb von Millisekunden dafür, dass die Menschen in seinem Umfeld von seinem Äußeren abgelenkt werden, weil sie plötzlich unbändige Lust auf Sex verspüren und damit ihr rationales Denken außer Kraft gesetzt wird. Ihr Gehirn kann sich nicht mehr auf Äußerlichkeiten konzentrieren.

Olaf wird also des einen Platz einnehmen und Zwietracht säen. Er hat ihn lange genug beobachtet, um die richtigen Schritte einzuleiten. Dann würden die anderen sich von ganz alleine von ihm entfernen, und der Bund der ersten neun Idioten wäre zerschnitten.

Und der andere, der muss eine Möglichkeit bekommen, die übrigen Idioten auf acht weiteren Erden zu zerreißen. Das wird nach und nach das Band der Neun zertrennen. Ganz sicher. Dann können sie endlich die Macht im Multiversum an sich reißen.

Sie sind sich einig. Der Plan wird genau so funktionieren. Da sie alle seine Schritte dokumentiert haben, wissen sie genau, wann sie wie eingreifen müssen.

Symon, Peter, André und Moritz halten sich bereit ihn zu schnappen. Das labilste Steinchen. Das wird nicht ganz einfach werden. Er ist zwar nicht sonderlich groß, aber stark und versiert in diversen Kampftechniken.

Doch das sind sie auch. Und das Überraschungsmoment ist auf ihrer Seite. Sie sind zu viert, und sie haben die Möglichkeit, ihn auf der Stelle bewusstlos zu machen.

~~~~~ ***** ~~~~~

Olaf nimmt eine Portal Gun, um sie direkt zu ihm zu führen. Julia kommt mit zur Ablenkung. Sie sieht aus wie seine Frau. Das wird ihn irritieren.

Sie landen in seiner Werkstatt. Alle sehen sich um. Olaf, Symon, Peter, André und Moritz nutzen das Dunkle-Materie-Schild, damit sie selbst nicht gesehen werden können.

Es wird bestimmt nicht lange dauern, bis er in die Werkstatt kommt. Es ist seine Zeit. Immer um diese Zeit geht er dorthin, um zu tüfteln. So bestimmt auch heute. Sie halten sich im Raum bereit. Bereit das Schild zu deaktivieren, ihn zu schnappen und mit ihm zu verschwinden.

Er wird es nicht einmal realisieren, dann wird es schon vorbei sein.

Julia schaut sich interessiert in der Werkstatt um. Da öffnet sich die Tür. Er ist es. Er schaut verdutzt. Was macht seine Frau dort. Hatte er sie nicht eben noch…?

Doch da ist es auch schon zu spät. Seine Angreifer werden plötzlich sichtbar. Zwei halten ihn fest, einer streift ihm in Windeseile einen Sack über den Kopf, und der Dritte hält ihm so etwas wie einen Elektroschocker an den Hals. Ihm wird sofort schwarz vor Augen und er sinkt in sich zusammen. Julia betätigt die Portal Gun und verschwindet mit ihrem Opfer und dessen Trägern.

Nur Olaf bleibt hier. Er ersetzt ihn jetzt. Er aktiviert den Körperscan. Lange genug hat er die Eigenheiten seines Opfers studiert und weiß nur zu gut, wie er sich bewegt, was er wann sagt und wie. Vor allem auch, wie lange er sich üblicherweise in der Werkstatt aufhält und wo sonst.

Er weiß außerdem, dass seine Frau es nicht gut findet, wenn er immerzu in der Werkstatt ist. Viel lieber würde sie die Zeit mit ihm verbringen. Deswegen hatten sie sich schon so einige Male heftig gestritten und sogar ihre Beziehung auf Eis gelegt.

Da Olaf sowieso keine Lust hat, sich in dieser einfachen Werkstatt zu beschäftigen, geht er zu ihr zurück ins Haus. Sie ist überrascht, aber freut sich sehr darüber, dass er heute einmal nicht in der Werkstatt basteln, sondern Zeit mit ihr verbringen will. Ungewöhnlich, aber schön.

Olaf schlägt vor, einen Film anzusehen. Danach will er ihr ein Abendessen zaubern. Ihr Lieblingsessen. Sie ist verzückt, aber auch etwas misstrauisch. Olaf merkt das sofort und versucht einzulenken, indem er ihr sagt, dass er sie so sehr liebt und deswegen alles für sie tun würde. Das beruhigt sie. Sie freut sich, genießt es und denkt nicht weiter über ihre Zweifel nach.

~~~~~ ***** ~~~~~

Langsam wird er wieder wach. Er sieht zwar noch verschwommen, kann aber Umrisse von Menschen erkennen. Er liegt auf dem Boden. Ist dies ein Gefängnis? Was wollen diese Leute von ihm? Warum halten sie ihn gefangen?

Er fühlt sich wie in einem schlechten Film. Was ist an ihm Besonderes, dass sie sich für ihn interessieren? So langsam kommt das Gefühl in seinen Armen und Beinen zurück. Jetzt kann er sich wieder aufsetzen.

Das bemerken die Wachen natürlich sofort. Sie kommen auf ihn zu. Der Statur nach handelt es sich um Männer, aber so richtig erkennen kann er das nicht, denn sie ihr Gesicht ist verdeckt von Masken.

„Was wollt ihr von mir?“ fragt er. Doch die beiden lachen nur. Dem Klang ihres Lachens nach sind es tatsächlich Männer. Er versucht, ihnen entgegenzugehen, doch eine unsichtbare Wand hält ihn zurück. Er schreit: „Lasst mich hier raus!“

Die Männer lachen nur wieder. Dann gehen sie und lassen ihn allein.

Er sieht sich um. Er ist nun ganz allein. Niemand außer ihm wird in diesem Raum festgehalten. Er versucht zu erkunden, wo die unsichtbare Wand entlang läuft und wieviel Platz er für sich hat. Sie verläuft offenbar von der rechten zur linken Wand, ungefähr 56 Meter lang. Davor ist ein etwa 2-3 Meter breiter Streifen und ihm gegenüber eine Tür, durch die die Wächter verschwunden sind.

Auf seiner Seite der unsichtbaren Wand hat er auch etwa 2-3 Meter bis zur Wand Platz. Der Raum ist nahezu quadratisch. Die Wände sind dunkel gestrichen. Fenster gibt es keine. In seinem Bereich steht eine Pritsche und in der Ecke ist so etwas wie eine kleine Toilette. Mehr gibt es nicht.

Das Licht in dem Raum ist hell, aber nicht grell. Er setzt sich auf die Pritsche und wartet. Nichts anderes bleibt ihm übrig. Er grübelt, was sie wohl von ihm wollen können. Und er versucht sich zu erinnern an ihre Gesichter, aber da ist nichts. Es ging alles viel zu schnell. Vor allem aber denkt er an sie, seine Frau. Er hofft, dass ihr nichts passiert ist und, dass es ihr gut geht. Sie war es, die er zuletzt gesehen hat. Ist sie auf deren Seite? Was soll das alles bloß?

~~~~~ ***** ~~~~~~

Der weiße Stein glüht noch nicht, doch er scheint heller zu sein als die anderen. Sie sind sicher, dass sie das Band zerschnitten haben. Einen Idioten haben sie eingesperrt. Solange Olaf ihn ersetzt, sind die neun auf seiner Erde vollständig.

Obschon Olaf nicht den richtigen Namen trägt, so genügt wohl doch die Anwesenheit seiner DNA auf dieser Erde, um das zerschnittene Band provisorisch an der Schnittstelle zusammenzuhalten.

Das ist gut, denn so wird niemand Verdacht schöpfen. Selbst solche Idioten nicht, die vielleicht annähernd ihr Wissen haben. Wobei ihnen solche nicht bekannt sind. Sicher ist sicher.

Wenn alle anderen Bänder zerschnitten sind, wird Olaf zurückkehren und auch der weiße Stein wird glühen. Sie sind auf dem richtigen Weg.

Jetzt folgt Schritt zwei ihres Plans. Olaf hat alles dabei, um diesen Schritt zu starten, und er weiß auch genau wie er es anstellen will, damit keiner Verdacht schöpft.

Moritz soll alles beobachten. Verdeckt durch den Dunkle-Materie-Schild.

Das Päckchen ist gepackt. Wohin es soll, weiß er. Jetzt muss er nur noch die richtigen Leute instruieren, dass sie es weiterleiten, damit es nicht auffällt.

Dann heißt es abwarten. Die nächsten Bänder werden sich wie von selbst zerschneiden.

ERDE 1 / DER IDIOTENVEREIN

Aachen, 06. März 2021

Es ist Freitag, der 06. März 2021. Es ist Saschas 40. Geburtstag. Er muss allerdings noch arbeiten. Da sein Chef immer noch nicht eingesehen hat, dass Home Office in der Pandemie sinnvoll ist, weil es Kontakte beschränkt und so Infektionsketten unterbricht, besteht er darauf, dass die Mitarbeiter weiter im Wechsel im Büro sitzen. Auch wenn sie all das problemlos auch von zu Hause erledigen könnten.

Sascha ist aber doch ganz froh, dass er hin und wieder ins Büro muss. Ihm fällt zu Hause die Decke auf den Kopf nach dem ganzen Home Office. Und da er Single ist, hat er zu Hause überhaupt keinen Kontakt mehr zu Menschen.

Die Studenten, die unter ihm wohnen, schotten sich ab, soweit sie können. Manche von ihnen sind sogar zu ihren Eltern nach Hause gezogen, weil die Uni eh nur noch online läuft und sie da wenigstens nicht ganz alleine sein müssen.

Ja, Kontakte sollen weiter beschränkt bleiben. Man darf nur eine Person aus einem anderen Haushalt treffen, am besten draußen. Aber so ein Geburtstag ganz ohne Gäste? Das will Sascha auch nicht so recht gefallen. Das ist doch kein Geburtstag. Deswegen lädt er zumindest seine Idioten ein. Für morgen, Samstag. Dann können sie sich draußen im Hof treffen und ein Stück Kuchen zusammen essen. Mit Abstand, natürlich. Und mit Maske.

Am letzten Wochenende hatte er alle nacheinander angerufen. Den ganzen Tag hat er telefoniert, weil es mit jedem das ein oder andere zu quatschen gab. Alle acht Idioten hat er eingeladen. Zu verschiedenen Zeiten natürlich, denn Treffen mit mehr als einer anderen Person sind wie gesagt verboten.

Am Morgen seines Geburtstags haben alle per Textnachricht gratuliert. Leider haben einige das Treffen am Samstag abgesagt.

Felix und Theresa fühlen sich nicht sonderlich gut und wollen lieber vorsichtshalber zu Hause bleiben. Nicht, dass sie sich doch noch mit dem Virus infiziert haben und nachher alle anderen anstecken.

Karla, Anne und Meike bleiben daheim, weil sie die Kinder nicht mitbringen wollen. Die langweilen sich bei solchen Treffen meist eh nur, weil sie nicht zu Hause mit ihren Spielsachen spielen können. Einen Babysitter bekommt man nicht, wegen der Kontaktbeschränkungen.

Also werden wohl nur Daniel, Jan und Ben zu verschiedenen Zeiten zu seiner kleinen Hof-Feier kommen. Wenigstens ein bisschen Quatsch labern. Immerhin.

Am späten Nachmittag kommt Sascha von der Arbeit nach Hause. Er hat schwer zu tragen, denn seine Kollegen haben ihm zum Geburtstag ein besonderes Geschenk gemacht: Eine Rick & Morty Portal Gun. Ein Spielzeug. Zumindest denkt Sascha das.

Er hat keine Ahnung, wie sie darauf gekommen sind. Rick & Morty hat er schon lange nicht mehr gesehen. Und woher wissen die Kollegen überhaupt, dass ihn das mal interessiert hat?

Das Teil sieht jedenfalls sehr billig gemacht aus. Ein wenig wie eine Wasserpistole aus grauem Plastik, aber schon zu schwer, um noch mit Wasser befüllt werden zu können. Obenauf ist eine längliche Ampulle eingefasst mit einer grün leuchtenden Flüssigkeit darin. Davor ist ein Display und unter diesem ein Tastenfeld. Unten am Griff gibt es einen Abzug, aber so richtig drücken kann man den nicht. Der sitzt fest.

Sascha glaubt, es sei ein Spielzeug, und beachtet es erst nicht weiter. Was soll er auch damit anstellen? Wieder so ein überflüssiges Pflichtgeschenk, das nur rumliegt und verstaubt. Wegwerfen will man das ja auch nicht. Es könnte ja mal jemand vorbeikommen und danach fragen.

Als er am Abend gegessen hat und ihm langweilig ist, spielt er dann doch ein wenig an der Portal Gun rum. Er drückt wild auf den Tasten herum und plötzlich leuchtet das Display rot auf. Es zeigt eine 1 an. Sascha wundert sich.

Da die 9 seine Lieblingszahl ist, tippt er einfach die 9 ein, die sofort auf dem Display erscheint. Die grüne Flüssigkeit scheint sich zu Glibber zu verdichten und heller zu leuchten. Sascha ist irritiert, aber er denkt sich nichts dabei. Komisches Spielzeug!

Aus Spaß zielt er auf die Tür und drückt auf den Abzug.

Erstaunt stellt er fest, dass der Abzug auf einmal ganz leicht geht. Er drückt ihn durch. Das ist gar kein Spielzeug. Denn es hat sich so etwas wie ein Portal geöffnet. Er wüßte nicht, was das sonst sein sollte, was da plötzlich so in der Tür glibbert?

Ein bisschen Angst hat er schon. Trotzdem geht er auf das Portal – oder was auch immer das ist – zu und versucht es mit seiner Hand zu greifen. Das geht nicht, er kann hindurchgreifen. Doch auf der Rückseite kommt seine Hand nicht mehr aus dem Glibber heraus.

Er nimmt seinen ganzen Mut zusammen und will durch das Portal hindurchgehen, so wie er es in so vielen Filmen gesehen hat. Er hat ja sonst nichts vor. Was soll schon groß passieren?

Einen Moment noch. Er vergewissert sich nochmal kurz, dass er die Portal Gun auch dabei hat. Er lockert den Gürtel seiner Hose und steckt die Portal-Gun zwischen Hose und Gürtel. Ohne sie würde er ja vielleicht nicht mehr zurückkommen können. Dann geht er durch das Portal.

Sein Körper wird vollständig von diesem unberührbaren Glibber bedeckt. Dann zieht es ihn ruckartig in eine Art Tunnel hinein. So muss sich Staub fühlen, der vom Staubsauger aufgesogen wird, denkt er.

Um ihn herum ist es dunkel, aber gleichzeitig hell. Er kann sehen, dass er nichts sieht. Wo ist oben? Wo ist unten? Er kann es nicht sagen. Dreht er sich in dem Tunnel? Irgendetwas zieht an seinem Körper, ansonsten scheint er zu schweben. So muss es im Weltall sein, so ganz ohne Schwerkraft.

Noch bevor er länger darüber nachsinnen kann verringert sich seine Geschwindigkeit. Er scheint im Staubsaugerbeutel anzukommen. Seine Geschwindigkeit ist nun bei Null. Er steht wieder vor Glibber, aber kann kaum etwas dahinter erkennen.

Er geht hindurch und landet in einer anderen Welt.

ERDE 9 / GANG DE LEATHCHEANN

Auf der anderen Seite des Portals kommt Sascha in einem Zimmer heraus, das einrichtungsmäßig seiner gesamten Wohnung sehr ähnelt, aber ein paar Details sind doch auffällig anders.

Um seine Gedanken zu ordnen, tauft Sascha diesen Ort, an dem er sich gerade befindet, auf „Erde 9“, denn er hat ja auf der Portal-Gun die 9 eingegeben. Die Theorie vom Multiversum scheint real zu sein. Seltsam nur, dass er mit einer Spielzeugpistole hierher gelangen konnte.

Das Zimmer, in dem er nun steht, ist größer als eines seiner drei Zimmer. Darin stehen nicht nur ein sehr breites Bett, sondern auch ein Sofa mit Couchtisch an der Wand und ein Schreibtisch mit Drehstuhl vor dem Fenster. Die Einrichtung trifft ganz seinen Geschmack.

Was ihn aber besonders irritiert ist, dass neben dem Bett Stroh auf dem Boden liegt. Und nicht nur das, auf dem Stroh ist eine kleine Decke ausgebreitet. Daneben liegt etwas frisches Gras in einer Schale und eine zweite Schale mit Wasser. Wofür soll das denn gut sein? Warum liegt hier Stroh?

Sascha kratzt sich am Kopf. Gegenüber der Couch stehen zwei Regale. Beide Regale sind vollgepackt mit DVDs. Wahrscheinlich sind es DVDs. Die Hüllen sind wesentlich kleiner, aber sehen ansonsten sehr danach aus. Nur einen Fernseher kann er nirgends entdecken. Wie geht das?

Die Filme und Serien klingen ähnlich wie die, die Sascha schaut, aber irgendwie dann doch anders. Da stehen Serien wie „Superboy“, „Enemies“, „Dr. Tent“ und „How I met your Father“. Außerdem Filme wie „Lebe schnell 1-5“, „Forward to the Past 1-3“, „Dependent Day“ und „Lied Truths - Gelogene Wahrheiten“. Sascha muss schmunzeln als er die Titel liest.

Neben dem linken Regal ist eine große Tür, die wahrscheinlich nach draußen auf einen Flur führt. Auf der anderen Seite links neben der Couch ist auch eine Tür. Diese steht einen Spalt weit offen. Dahinter offenbart sich ein kleines Bad.

Sascha muss dringend pinkeln. Daran hat er gar nicht gedacht, als er einfach so durch das Portal gegangen ist. Er schließt die Tür hinter sich und hofft, dass niemand kommen wird. Als er gerade dabei ist, seine Hände zu waschen, hört er, wie sich die andere Tür öffnet und jemand ins Zimmer kommt.

Laut singend tritt ein Mann ein, der aussieht wie er selbst, nur dass er einen grauen, spitzen Hut trägt und ein Stofftierpferd bei sich hat. Als der Mann Sascha sieht, der gerade aus dem Bad kommt, erschrickt er und schreit kurz auf. „Aaaah! Waaaas?“

Sascha versucht ihn zu beruhigen, denn wer weiß, wer oder was hinter der Tür noch auf ihn wartet. Der Mann mit dem Hut beruhigt sich schnell. Er schaut Sascha immer wieder ungläubig an. Auch Sascha kann nicht so recht glauben, was er da sieht.

Wie bei E.T. strecken sie sich ihre Zeigefinger entgegen, bis sie sich berühren. Sie leuchten nicht auf, aber beide spüren plötzlich eine enge Vertrautheit dem anderen gegenüber.

„Ich bin du. Äh, ich meine, du bist ich? Wo bin ich hier? Und wer bist du?“ fragt Sascha. Der Mann mit dem Hut ist ganz aufgeregt. Er holt tief Luft, streckt sich und beginnt zu erklären.

„Also ich bin Seppel und das ist Max.“

Er zeigt auf das Kuschelpferd in seinem Arm. Als würde er dozieren, spricht er weiter.

„Max ist mein bester Freund. Wir sind hier in Euro 1.“

„Euro 1? Was ist das?“, Sascha schaut verwundert, „Äh, ich bin übrigens Sascha. Hi.“

Obwohl er keine Ahnung hat, wo dieser Mann hergekommen ist und wieso, beginnt Seppel zu erzählen. Es fühlt sich an, als würden sie sich schon immer kennen. Er freut sich, dass er einen Vortrag halten kann. So erfährt Sascha einiges über diesen Ort.

Sie befinden sich im Haus der «Gang de Leathcheann». Sie nennen sich «Idioten». Natürlich sind sie keine. Nur jedes Haus muss eine Art Motto ausgeben, einen Namen haben. Und etwas Besseres als Idioten ist ihnen nicht eingefallen. Sie haben es in eine andere Sprache übersetzt, damit es nicht so offensichtlich klingt.

Seppel und die anderen Idioten, die mit ihm im Haus wohnen, wurden scheinbar wahllos zusammen gewürfelt. Alle finden das idiotisch. Deswegen auch der Name.

Sie leben zusammen, weil das hier so vorgesehen ist, sonst haben sie nicht viel gemein miteinander. Sie haben sich arrangiert und mittlerweile mögen sich sogar einige ein bisschen. Was bleibt ihnen auch anderes übrig? Da die anderen ganz nett sind und jeder machen kann, was er will, wofür er von den anderen nicht verurteilt wird, lässt es sich gut aushalten im Haus. Seppel würde auf keinen Fall wechseln wollen, es könnte nur schlimmer werden.

Die anderen Idioten heißen Anastasia, Davy, Fernando, Karlotta, Melody, Seppel, Bartley, Justin und Thalisa.

Seppel zeigt Sascha ein Foto von allen. Als Sascha das Foto sieht, wird er ganz blass um die Nase. Diese Leute, die kennt er doch alle. Die sehen alle aus wie seine Idioten. Aber irgendwie anders. Und die sind definitiv nicht wie seine Idioten.

Unter dem Bild stehen die Namen und die Berufe, die sie ausüben. Seppel erklärt, dass er sich dieses Bild gemacht hat, um den Überblick zu behalten und sich zu erinnern. Manchmal vergisst er nämlich von dem ein oder anderen den Namen, weil er so schusselig ist.

Dieser Seppel ist ein Unterhalter, das merkt man. Er ist in seinem Redefluss kaum zu stoppen und immer wieder spricht er sein Kuschelpferd Max an, das aber nur ihm zu antworten scheint. Ein bisschen verrückt ist Seppel wohl.

Auf Erde 9 gibt es keine Städte und keine Länder. Alles ist überall gleich bis auf das Wetter. Die Kontinente wurden von den Menschen auf eine Höhe angepasst. Mit den Gesteinen der Berge wurde das Land ins Meer erweitert.

Seppel zeigt Sascha eine Karte von Euro 1. Es erinnert nur wenig an Saschas Europa. Italien ist hier mit Griechenland und all seinen Inseln verschmolzen. Die Adria und die Ägäis sind hier Land. Sizilien, Korsika, Sardinien, Kreta und Zypern sind nicht auszumachen. Sie sind, wenn überhaupt, nur noch Halbinseln. Im übrigen Mittelmeer gibt es hier keine Inseln. Auch die Balearen sind ans spanische Festland angeschlossen. Dafür ist die Meerenge von Gibraltar vergrößert worden. Der nördliche Zipfel von Marokko, sowie der südliche von Spanien wurden abgetragen. Rabat liegt jetzt am Eingang zum Mittelmeer, genauso wie Sevilla.

Die britischen Inseln und Irland gehören zum Kontinent. Der gesamte Ärmelkanal wurde zugeschüttet. Von Plymouth bis Brest im Süden und von Norwich bis Alkmaar im Norden. Irland und Wales sind genauso verbunden, wie Nordirland und Schottland. Im Norden gibt es keine schottischen Inseln mehr.

Es gibt keine Ostsee und keinen Bottnischen Meerbusen. Skandinavien grenzt direkt und komplett an das Festland darunter. Die einzigen Inseln, die noch Inseln sind, sind Island und die Färöer Inseln. Natürlich heißen die Länder, beziehungsweise die Gebiete, hier alle anders. Alles zusammen ist Euro 1.

Das Haus, in dem sie sich befinden, liegt ganz im Westen an der Keltischen See im Sektor Cathair Mad, wo eigentlich der Ärmelkanal sein müsste. Wer weiß, wie lange noch, falls hier das Festland weiter erweitert werden sollte. Denn noch sind nicht überall die Berge abgetragen. So kann es passieren, dass der Kontinent bald bei ihnen erweitert wird. Die Küsten sind begradigt. Das gesamte Land auf dieser Karte sieht sehr eckig aus.

Die Straßen verlaufen überall in Parallelen. Alle Grundstücke sind gleich groß, alle Häuser überall auf Erde 9 sehen gleich aus. Und in jedem Haus wohnen immer 8-10 Menschen, ungefähr im gleichen Alter.

Seppel erzählt, dass in jedem Haus ein Embryonator steht, um für Nachwuchs zu sorgen. Kinder werden auf Erde 9 scheinbar nicht mehr von den Müttern ausgetragen, denkt Sascha.

Dort hinein werden Samenzellen von allen männlichen Mitbewohnern und Eizellen von den weiblichen hineingemischt. Verbinden sich die Zellen und kommt es schließlich zur Zellteilung, so wächst im Embryonator ein neuer Mensch heran. Dieser Embryonator scheint eine künstliche Gebärmutter zu sein. Ernährt wird der Fötus klassisch über eine Nabelschnur.

Der Embryonator wird traditionell immer dann angestellt, wenn einer der Erwachsenen Geburtstag feiert. Nicht immer kommt dabei ein Baby heraus. Es ist quasi ein Glücksspiel.

Wenn es jedoch klappt, brütet der Embryonator etwa sechs Monate lang, dann ist das Baby fertig. Das Haus bekommt dann vom Staat einen Bonus für die Fortpflanzung. Die Babys wachsen allerdings nicht bei ihren Eltern auf, sondern werden direkt nach ihrer Geburt abtransportiert in neue Häuser, wo sie von Ammen, Pflegern und Lehrern aufgezogen werden.

Niemand weiß, ob er Kinder hat und mit wem. Man kann es grob auf das Haus beschränken, um zu sagen, mit wem man Kinder haben könnte. Aber im Grunde ist es gar nicht gewünscht, dass man seine Kinder kennt oder überhaupt von ihnen weiß. Keiner will und soll Verantwortung tragen. Das übernehmen ausschließlich geschulte Fachkräfte.

Umgekehrt kennen die Kinder nie ihre Eltern, nur ihre Pfleger, die sich um sie kümmern, sie unterrichten und groß ziehen. Man wächst meistens nicht mit seinen Geschwistern auf, sondern mit acht bis zehn Menschen, die etwa zur gleichen Zeit geboren worden sind. Mit etwa 15 Jahren zieht man dann zusammen in ein neues Haus und ist ab dann mehr oder weniger auf sich selbst gestellt. Erwachsen.

Selten werden auch die Bewohner ausgetauscht, aber meist passen die Bewohner mit ihren Charakterzügen und Eigenheiten sehr gut zusammen. Das wird durch DNA-Analysen schon vor der Geburt im Embryonator bestimmt, damit später die weitere Fortpflanzung im Embryonator besser gelingt.

Gefühle wie Liebe sind nebensächlich und nicht gewünscht. Verbindlichkeiten gibt es keine, für niemanden. Man ist allein mit seinem Haus verbunden. Viele Menschen gehen Berufen nach. Wenn nicht, ist das nicht schlimm, denn ihr Haus fängt sie wirtschaftlich auf. Man verdient alles Geld nicht für sich, sondern für sein Haus. Das soll zusätzlich die Mitbewohner verbinden. Und selbst, wenn keiner im Haus arbeitet, gibt es eine Grundsicherung.

Damit niemand rumlungert oder verwahrlost, werden die Häuser regelmäßig kontrolliert und wenn nötig staatlich eingegriffen. Trotzdem gibt es Menschen, die kriminell werden, obwohl niemand Nöte dazu hat. Allen wird in Notlagen immer geholfen. Außer bei Langeweile, und die führt dann manchmal zur Kriminalität, die jedoch nicht lange toleriert wird. Die Kriminellen werden aus ihren Häusern entfernt, schnell vor ein Gericht gebracht und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, meist lebenslänglich.

Seppel nennt sich selbst Oberidiot. Er hat schließlich den Hut auf. Niemand sonst nennt ihn so, außer Max. Seppel sorgt im Haus für Unterhaltung, selbst wenn die anderen keine wollen. Man sieht ihn nie ohne sein Kuschelpferd Max und seinen Hut. Einen richtigen Beruf hat er nicht, zumindest nicht außerhalb des Hauses. Er sieht es als seinen Beruf auf Max aufzupassen und den Hut zu tragen. Das ist eine sehr wichtige Aufgabe.

Meistens hängt er mit Justin rum, der das Haus ebenfalls niemals verlässt. Er spielt den ganzen Tag und die ganze Nacht Videospiele. Seine Hobbys sind Bier trinken und zocken. Die anderen Bewohner arbeiten außerhalb des Hauses oder betätigen sich hier künstlerisch als Musiker oder Schriftstellerin.

Seppel zeigt auf das Gruppenfoto. Er legt sein Pferd neben sein Bett auf die kleine Decke, die auf dem Stroh liegt. Er streichelt das Pferd und sagt ihm, es solle etwas essen. Deswegen liegt das Stroh also da. Dann setzt er sich zu Sascha und erzählt weiter. Er zeigt auf das Gruppenfoto.

Anastasia – sie sieht aus wie die Anne, die Sascha kennt – ist Richterin am höchsten Gericht von Euro 1. Sie entscheidet über die Kriminellen, die Thalisa täglich festnimmt. Seppel zeigt auf eine Frau, die Theresa sein könnte. Ihr Urteilsvermögen ist unanfechtbar. Man lässt sich lieber nicht von Thalisa festnehmen, denn das bedeutet fast immer, dass man von Anastasia ins Gefängnis befördert wird. Anastasia ist eiskalt und kennt kein Erbarmen. Thalisa ist eher gelangweilt von den ganzen Kriminellen. Sie fasst sie mit Leichtigkeit. Keiner weiß genau, wie sie das immer anstellt.

Bartley, Sascha würde ihn Ben nennen, ist Mechaniker. Er repariert den ganzen Tag Zauzeuge in der Werkstatt der EuroZAU. Überall auf Erde 9 liegen Schienen. Straßen gibt es nicht wirklich, zumindest nicht für Autos, denn so etwas fährt hier nicht. Auf den Straßen sieht man nur Zweiräder und Fußgänger. Und eben die Schienen der Zauzeuge. Hin und wieder sieht Sascha draußen eines vorbeifahren.

Mit Zauzeugen bewegt man sich über Strecken, die nicht fußläufig erreichbar sind. Sie gleiten Tag und Nacht über die Gleise und werden zentral gesteuert. In eine Kapsel passen vier bis sechs Personen. Die Kapseln schließen sich während der Fahrt mit anderen zusammen und bilden Zauzeugkolonnen. Genauso wie sie sich zusammenschließen, trennen sie sich irgendwann wieder. Jede Kapsel kann ein individuelles Ziel ansteuern.

Bartley ist meist ölverschmiert, aber das stört ihn nicht weiter. Manchmal vergisst er einfach das Öl abzuwaschen. Und so richtig geht das Öl gar nicht mehr runter von seiner Haut. Selbst frisch geduscht sieht Bartley oft noch dreckig und schmierig aus.

Melody ist eine extravagante Schriftstellerin, die anspruchsvolle, philosophische Literatur verfasst. Ihre Bücher kennt jeder belesene Mensch auf Erde 9. Ihre Mitbewohner sind allerdings fernab von belesen, weswegen sie alle für eine Diva halten. Nur Seppel liest heimlich ihre Romane und versucht sie mit klugen Sprüchen daraus zu beeindrucken. Manchmal gelingt ihm das, oft scheint sie ihm aber gar nicht zuzuhören. So wie alle im Haus, aber das stört Seppel nicht. Seppel zeigt auf eine Frau, die aussieht wie Meike. Er seufzt.

Meistens spielt Melody die Unnahbare nur, wenn die anderen anwesend sind. Insgeheim versteht sie sich richtig gut mit Seppel. Oft schlafen die beiden zusammen in einem Bett. Nur will sie nicht, dass einer der anderen das erfährt. Da sich die anderen aber sowieso nur für sich selbst interessieren, bekommt das keiner mit.

Karlotta und Fernando sind belgische Zwillinge, was bedeutet, sie sind Schauspieler am Theater. Es ist kein gewöhnliches Theater, sondern eher eine Art Filmtheater. Man kann es nicht besuchen, sondern die Aufführungen als Hologramm im eigenen Haus erleben.

Die Holos von Karlotta und Fernando hat jeder auf Erde 9 schon einmal erlebt. Es gibt niemanden, der sie nicht kennt. Dabei weiß man nie genau, wer jetzt wer ist, weil sich die beiden so sehr ähneln, dass man sie ständig verwechselt.

Die beiden laufen den ganzen Tag durchs Haus und lassen sich anbeten. Sie sind extrem arrogant und glauben, sie wären die Größten. Dabei geraten sie ständig in Streit darüber, wer der Bessere ist. Immerhin tragen sie durch ihre Berühmtheit am meisten zum Verdienst des Hauses bei. Ihre Holos lassen sie sich gut bezahlen. Im Grunde müsste kein anderer im Haus arbeiten.

Diese Arroganz kann sich Sascha bei Karla und Felix, die genauso aussehen wie die belgischen Zwillinge, gar nicht vorstellen. Sie sind zwar extrovertierter als alle anderen und die einzigen, denen er Schauspielerei zutrauen würde, aber so richtig arrogant? Nein, auf keinen Fall. Eher lustig und verrückt.

Seppel findet das immer sehr spannend, wenn Karlotta und Fernando streiten. Er schließt dann mit Justin Wetten darüber ab, wer diesmal gewinnt. Meistens gewinnt keiner so richtig und sie laufen beide wutentbrannt und beleidigt in ihre Zimmer. Großes Drama! Bis sie dann kurze Zeit später wieder für das nächste Hologramm zusammen spielen. Das klappt immer einwandfrei. Da sind sie Profis.

Davy ist Musiker. Niemand hat ihn je ohne seine Maske gesehen. Die Maske ist sein Markenzeichen. Niemand weiß, wie er darunter aussieht oder warum er sie eigentlich trägt. Auch seine Mitbewohner wissen es nicht. Auf dem Bild sieht man ihn natürlich mit Maske. Daher kann Sascha nur mutmaßen, dass Davy das Pendant zu Daniel ist. Ihm ist aufgefallen, dass alle übrigen Namen mit dem gleichen Buchstaben anfangen wie die ihrer Doppelgänger auf Saschas Erde. Könnte also passen, dass Davy unter der Maske aussieht wie Daniel.

Davy ist eine 1-Mann-Band und spielt alle Instrumente für seine Songs selbst ein. Aus seinem Zimmer erklingen immer die schönsten Melodien. Man hört ihn spielen, aber niemand sieht ihn dabei. In sein Zimmer darf niemand rein. Er spielt jedoch nur, weil es ihm Spaß macht. Geld verdient er damit nicht. Dazu müsste er die Songs aufnehmen und veröffentlichen. Im Rampenlicht zu stehen oder vor Publikum aufzutreten, das will er nicht. Deswegen spielt er nicht einmal vor den anderen Bewohnern.

Mit seinen Ausführungen am Ende hat Seppel eine Idee: Er gibt Sascha seinen Hut und drückt ihm sein Pferd in die Hand. Er schlägt vor, dass er jetzt eine Runde schlafen werde und Sascha sich doch mal selbst im Haus umschauen kann.

Warum eigentlich nicht, denkt sich Sascha. Er sieht ja schließlich genauso aus wie Seppel. Also nimmt er Hut und Pferd, geht raus aus Seppels Zimmer und erkundet das Haus.

In den Fluren hört man tatsächlich überall Musik. Woher die genau kommt, kann Sascha nicht wirklich ermitteln. Doch sie hört sich gut an. Etwas melancholisch, aber melodisch.

Auf einmal schießt eine Frau an ihm vorbei und keift ihn an: „Seppel! Pass doch auf!“ Sie stiefelt wutentbrannt zu einer Tür und knallt sie hinter sich zu.

Kurz darauf stapft ein Mann an ihm vorbei. Auch der brüllt wütend: „Seppel! Steh hier nicht so blöd rum!“ Er läuft in den entgegengesetzten Gang und knallt dort eine Tür hinter sich zu.

Das müssen die belgischen Zwillinge gewesen sein, so wie die aussahen. Sascha ist verwirrt. So arrogant brüllend hatte er Felix und Karla noch nie erlebt.

Sascha geht die Treppe hinunter auf der Suche nach der Küche. So langsam bekommt er doch ein wenig Hunger. Er ist gespannt, was es hier wohl zu essen gibt. Da schlürft Justin an ihm vorbei.

„Seppel, wo warst du? Ich hol mir erstmal ein Bier. Du auch eins?“

„Nein, danke.“, entgegnet Sascha, der niemals Alkohol trinkt.

Justin bleibt kurz stehen.

„Was ist los mit dir Seppel? Seit wann säufst du nicht mehr? Alles klar bei dir? Hör mal, tut mir echt leid, dass ich neulich Max… na du weißt schon.“

Sascha weiß es nicht, aber er nickt nur.

„Ja, ne, ist ok. Alles klar. Alles gut.“

„Ok, dann, ich muss dann auch los. Die nächste Spielrunde startet gleich.“

Damit verabschiedet sich Justin ins Wohnzimmer.

In der Küche hört man Thalisa und Anastasia lautstark diskutieren. Sie sprechen wohl über irgendeinen Kriminellen, der eine Reihe von Banken überfallen hat. Thalisa ist gelangweilt. Sie kommt sich vor wie eine Putzfrau, die die Straßen von dämlichen Kleinkriminellen reinigt. Sie wünscht sich endlich mal einen großen Fall, einen Mörder oder Terroristen. Aber niemand in ganz Euro 1 traut sich das.

Anastasia redet auf sie ein, wie wichtig es doch trotzdem sei, dass sie die Straßen reinigt von dem Pack, das Anastasia ins Gunatamono-Gefängnis verfrachtet. Thalisa hört jedoch nicht mehr richtig zu, sie will endlich wieder in den Knast zum Folternachmittag. Einmal Spaß haben. Sie darf das leider nur einmal im Monat.

Mit den Idioten im Haus ist das ja nicht möglich:

Bartley lässt sich zwar hin und wieder auspeitschen, aber er verzieht keine Miene dabei. Totlangweilig.

Davy, der setzt ja nie seine Maske ab, also kann man von ihm keine Reaktion erwarten. Überhaupt ist ihm irgendwie nahe kommen sowieso nicht drin. Er lässt niemanden an sich ran. Da versucht sie das erst gar nicht.

Fernando ist am liebsten mit sich beschäftigt und Justin hängt eigentlich nur auf dem Sofa ab. Er ist für richtigen Spaß, wie Thalisa sich ihn vorstellt, nicht zu haben. Mehr Angebot gibt es in diesem Haus nicht.

Sascha errötet, aber ihm fällt gerade auch ein schwerer Stein vom Herzen. Er hat kurz Angst bekommen, dass Thalisa ihn vermöbeln wollen würde. Aber sie erwähnt Seppel nicht einmal. Als existiere er nicht oder als sei klar, dass mit ihm sowieso nichts läuft. Sascha bleibt stehen und lauscht interessiert weiter.

„Bartley steht halt mehr auf Kuscheleien, auch wenn er nicht so aussieht. Und Davy…naja, der steht nur auf Abstand.“

Anastasia grinst breit. Da wird Thalisa hellhörig.

„Nein? Hast du ihn ohne Maske gesehen? Ich glaub’s nicht!“

Anastasia grinst jetzt von einem Ohr zum anderen.

„Nicht ohne Maske, aber…“

Sascha reißt die Augen auf. Genau jetzt muss er sich natürlich räuspern.

„Seppel!“ Anastasia hat ihn sofort bemerkt.

„Lauschst du heimlich unserer Unterhaltung? Was fällt dir ein?“

Sascha stammelt nur: „Äh, nein, äh, ich habe, ich hab gar nichts gehört. Ich geh jetzt besser.“

„Ja, das würde ich auch sagen. Verschwinde hier! Sonst gibt’s Ärger!“, brüllt ihm Anastasia hinterher.

Sascha läuft schnell raus aus der Küche, auch wenn er immer noch Hunger hat. Besser weg hier. Dieser Seppel hat es wohl nicht leicht in diesem Haus. Fast alle brüllen ihn ständig an.

Da hört er einen lauten Rülps. Der schallt durch die Gänge. Kurz darauf biegt Bartley um die Ecke.

„Na, Seppel. Kommst du mit zu Justin? Ich hab Bier mitgebracht. Lass uns einen kippen!“

Er legt Sascha den Arm um die Schulter und rülpst noch einmal ohrenbetäubend laut. Das stinkt widerlich. Sascha verzieht das Gesicht und versucht den Gestank mit der Hand weg zu wedeln.

„Nein, danke.“, stammelt Sascha. „Heute lieber nicht. Ein andermal.“

Bartley lacht laut und rülpst ein weiteres Mal. Fürchterlicher Gestank. Was der wohl gegessen hat?

„Du willst mich wohl an der Nase hochziehen?“

Was soll das denn jetzt bedeuten? Ein komisches Sprichwort. Vielleicht soll es veräppeln heißen?

„Nein, äh, nein.“, stammelt Sascha weiter. „Ich, äh, ich muss, ich muss Max heute baden.“

Bartley grinst und zieht die Augenbrauen hoch. Diese Ausrede scheint zu funktionieren. Er klopft Sascha auf die Schulter.

„Na gut, mein Kleiner, aber wasch ihn diesmal nicht zu heiß. Okaaaaaay?“

Bartley zwinkert Sascha zu, dann schlendert er pfeifend und rülpsend weiter Richtung Wohnzimmer.

Sascha geht weiter durchs Haus. So langsam reicht ihm seine Expedition. Er will eigentlich nur noch zurück in Seppels Zimmer, damit er hier verschwinden kann. Da kommt ihm Melody entgegen. Sie trägt ein luftiges weißes Kleid, das ihren Körper perfekt umspielt.

„Seppel, ich suche dich schon seit Stunden. Wir müssen doch gleich noch den Embryonator anstellen", haucht sie eher, als dass sie spricht.

Sascha überlegt. Embryonator? Richtig, Seppel hat da was gesagt. Der Embryonator wird an Geburtstagen angestellt. Wer hat denn Geburtstag? Melody sieht, dass Sascha, den sie für Seppel hält, verwirrt ist. Sie tritt nah an ihn heran und flüstert:

„Seppel, hast du schon wieder deinen eigenen Geburtstag vergessen? Der ist doch heute. Komm mit in den Keller. Wir stellen den Embryonator gemeinsam an. Die anderen sind gerade sowieso viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.“

Er spürt, wie ihre Finger sanft seinen Unterarm streicheln. Melody lächelt zurückhaltend.

Da überwiegt seine Neugier. Er folgt ihr in den Keller. Wie dieses Teil wohl aussieht? Irgendwelche mit Flüssigkeit befüllten und beleuchteten Behälter mit kleinen Babys drin? Wie man das so von Science Fiction Filmen kennt? Im Keller ist aber nur eine kleine schwarze Kiste. Enttäuschend. Sascha hätte mit mehr gerechnet. Wie sollen darin Babys ausgebrütet werden? Die passen doch niemals da rein.

Melody öffnet die Kiste und holt einen kleinen Becher heraus. Scheinbar ist diese Kiste nur eine Art Steuereinheit und Befüllvorrichtung. Die Bruteinheit muss irgendwo im Verborgenen liegen. Zu gerne würde er diese sehen.

„Heute machen wir’s mal alleine, ohne die anderen. Vielleicht haben wir ja Glück und diesmal kommt unser Baby dabei raus.“

Sie lächelt und schaut ihn erwartungsvoll an, den Becher in der Hand. Sascha errötet. Ihm ist nicht ganz klar, was sie jetzt von ihm will. Soll er sich jetzt tatsächlich vor ihr einen runterholen? Ihm muss eine Ausrede einfallen. Das muss ja nun wirklich nicht sein, zumal er nicht einmal der echte Seppel ist.

„Seppel, nun komm schon. Du weißt doch, was du jetzt tun musst. Soll ich dir helfen?“

Melody stellt den Becher zur Seite und beginnt langsam Saschas Gürtel zu öffnen. Tatsächlich will sie von ihm, dass er Hand anlegt. Saschas Kopf scheint zu glühen. Wie kommt er da jetzt wieder raus?

„Äh, äh, äh“, stammelt er, „äh, es ist doch m…m… mein Geburtstag. Ich, ich, äh, ich, wünsche mir, äh. Kann ich diesmal mit Max alleine sein?“

Jetzt ist Melody verwirrt und blickt schon fast beleidigt drein. Sie verdreht die Augen. Seppel liebt Max abgöttisch, aber dass er jetzt ganz alleine nur mit Max den Embryonator füllen will, das ist neu. Normalerweise sind alle anderen ja auch noch dabei. Noch nie hatte er da Probleme.

„Bitte!“ Sascha schaut sie flehend an. „Nur diesmal!“

„Na gut“, seufzt sie dann. „Ich werde dann mal rausgehen. Aber ich bin in 10 Minuten wieder da. Das schaffst du doch, oder? Hier ist dein Becher.“

Sie drückt ihm den kleinen blauen Becher in die Hand und verschwindet kopfschüttelnd.

Sascha hat genug gesehen. Er geht lieber schnell wieder zu Seppels Zimmer. Bei dieser Embryonator-Zeremonie will er nicht wirklich gerne weiter mitmachen. So neugierig ist er dann doch nicht. Er schleicht sich aus dem Keller. Langsam und vorsichtig, damit Melody ihn nicht entdeckt.

Auf dem Weg zu Seppels Zimmer sieht er, wie Fernando und Karlotta in einer Ecke wild knutschen. Offenbar streiten sie nicht immer. Und wenn, dann vertragen sie sich wohl recht schnell. Aber Felix und Karla, die rummachen? Das hat er noch nie gesehen.

„Das sind nicht Felix und Karla! Das sind NICHT Felix und Karla!“, sagt er sich immer wieder. Er schüttelt sich und geht schnurstracks weiter in Seppels Zimmer. Zum Glück haben sie ihn nicht bemerkt. Das hätte sicher wieder Ärger gegeben.

Sascha öffnet die Tür zum Zimmer. Seppel ist tatsächlich eingeschlafen. Er legt ihm sein Pferd in den Arm und den Hut auf den Tisch. Dann weckt er ihn und sagt ihm, dass Melody im Keller auf ihn wartet, weil der Embryonator gestartet werden soll.

Er wünscht Seppel alles Gute zum Geburtstag und stellt die Portal Gun auf 18. Er will eine weitere Erde entdecken. Zwei mal neun ist 18. Das passt sehr gut.

Seppel hat das alles nicht wirklich mitbekommen. Er hat sich umgedreht und ist mit Max im Arm wieder eingeschlafen.

Sascha grinst zufrieden und schießt mit der Portal Gun auf die Tür. Das Portal öffnet sich wieder und er tritt hindurch. Bereit für das nächste Abenteuer.

Wieder wird er hineingesogen wie Staub in den Staubsauger. Langsam gewöhnt er sich daran. Die Schwerelosigkeit fühlt sich gut an. Leider ist der Flug, oder die Fahrt, oder wie man das nennen könnte, wieder nur sehr kurz. Schon steht er wieder vor dem nächsten Portal.

ERDE 18 / COSCA DI IDIOTI