Der inneren Weisheit vertrauen - Ramraj U. Löwe - E-Book

Der inneren Weisheit vertrauen E-Book

Ramraj U. Löwe

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Beschreibung

Durch die Craniosacrale Therapie haben bereits sehr viele Menschen tiefe Heilung erfahren. Dennoch ist diese Methode längst nicht so bekannt und angesehen, wie es der Reichweite und Tiefe dieses faszinierenden und ganzheitlichen Therapieansatzes entspricht. Ramraj Ulrich Löwe möchte dies mit seinem Einführungsbuch ändern. Er geht auf die verschiedenen Dimensionen dieser Arbeit ein, die anatomische Körperarbeit, intuitive Energiearbeit und therapeutische Begleitung innerer Prozesse zu einem System verbindet. So wirkt die Craniosacrale Therapie als Weg zur Heil- und Ganzwerdung auf alle Aspekten unseres Seins: auf der physischen, emotionalen, mentalen und spirituellen Ebene.

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Dem Leben gewidmet

Löwe, Ramraj U.:

Umschlagmotiv: Shivananda Heinz Ackermann

Der inneren Weisheit vertrauen

Umschlag, Layout/Satz: Wilfried Klei

Lektorat: Dr. Richard Reschika

Illustrationen: F.-J.Wiewel und Brigitte Kuka

© Aurum in Kamphausen

Fotos: Maren Felgendreher und Ramraj U. Löwe

Media GmbH, Bielefeld 2020

 

[email protected]

 

www.kamphausen.media

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage 2020

ISBN Printausgabe: 978-3-95883-448-4

ISBN E-Book: 978-3-95883-449-1

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.

RAMRAJ ULRICH LÖWE

DER INNEREN WEISHEIT VERTRAUEN

Eine Einführung indie craniosacrale Methode

Vorwort

1.Allgemeines und Geschichte

2.Aspekte craniosacral-therapeutischer Arbeit

3.Craniosacral-Therapie und Osteopathie

4.Craniosacral-Therapie mit Säuglingen und Kindern

5.Weitere Anwendungsgebiete

6.Was sagt die Forschung dazu?

7.Praktische Hinweise zur Craniosacral-Therapie

Danksagung

Anhang

Quellenangaben

Literatur

Index

Über den Autor

Vorwort

Die craniosacrale Therapiemethode berührt und bewegt. Sehr viele Menschen haben bereits durch sie tiefe Heilung erfahren. Und fast alle Craniosacral-Therapeutinnen und -Therapeuten praktizieren mit großer Freude, Begeisterung und Hingabe. Dennoch ist die Craniosacral-Therapie längst nicht so bekannt und so angesehen, wie es der enormen Reichweite und Tiefe dieses faszinierenden und zutiefst ganzheitlichen Therapieansatzes entspricht. Dieses Buch möchte einen Beitrag dazu leisten, dass sich dies ändert.

Auch nach fast 30 Jahren beruflicher Erfahrung mit der craniosacralen Methode kommt bei mir nie Langeweile auf. In jeder Behandlung gibt es für mich etwas Neues zu entdecken oder dazuzulernen, – oder etwas, das in mir Staunen auslöst. Ein Tag, an dem ich einige Craniosacral-Sitzungen gebe, ist stets ein interessanter und meistens auch erholsamer Tag für mich.

Ich hoffe, in diesem kleinen Buch verständlich machen zu können, warum dies so ist. Und ich hoffe, dass die Lektüre dieses Buches genauso interessant, spannend und inspirierend ist, wie es für uns Craniosacral-Therapeuten und -Therapeutinnen ist, Behandlungen zu geben.

Ich kann mir wirklich in meinen kühnsten Träumen keinen schöneren, sinnvolleren und erfüllenderen Beruf vorstellen. Was für eine Freude, auf diese Art und Weise seinen Lebensunterhalt verdienen zu können!

An den meisten Stellen in diesem Buch habe ich sowohl die männliche als auch die weibliche Sprachform gewählt. An manchen Stellen, bei denen das jedoch den Sprachfluss erheblich beeinträchtigen würde, habe ich jeweils nur eine Form verwendet, meistens die männliche. Hier bitte ich meine Leserinnen um Nachsicht.

Außerdem habe ich mich beim Schreiben direkt am erfahrbaren Geschehen orientiert. Daher weicht meine Ausdrucksweise manchmal vom gängigen Sprachgebrauch ab. Während meiner langjährigen therapeutischen Praxis haben sich bestimmte Formulierungen bewährt, daher habe ich sie in diesem Buch ebenfalls verwendet.

Dieses Buch ist kein Fach- und auch kein Lehrbuch. Es ist für interessierte Laien geschrieben, um ihnen einen Einblick in die fantastischen Möglichkeiten der Craniosacral-Therapie zu schenken.

Für diejenigen, die diese Methode bereits erlernen oder praktizieren, bietet mein Buch „Craniosacrale Heilkunst“ – ebenfalls im Aurum-Verlag erschienen, mittlerweile in der 5. Auflage – eine eingehende detaillierte Darstellung der Methodik.

Vöckelsbach, im Mai 2019

1

Allgemeines und Geschichte

Die craniosacrale Heilmethode beschäftigt sich in erster Linie mit dem craniosacralen System. Dieses physiologische System existiert in Menschen und Tieren und erstreckt sich vom Schädel (lateinisch: Cranium) bis zum Kreuzbein (lateinisch: Sacrum). Daher kommt der Name „Craniosacral“. Das Craniosacral-System umfasst nicht nur die Schädelknochen, die Knochen der Wirbelsäule, einschließlich des Kreuzbeins, sondern auch die Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit, das Gehirn und das Rückenmark sowie die Gehirn- und Rückenmarkshäute.

Von diesen Häuten oder Membranen ist für uns die äußere Gehirn- und Rückenmarkshaut besonders wichtig. Sie ist vergleichsweise dick, derb und zäh. Deshalb wird sie auf Lateinisch Dura mater genannt, was wörtlich „harte Mutter“ bedeutet. Die Dura mater ist flüssigkeitsundurchlässig und bildet ein halbgeschlossenes Hohlraumsystem, innerhalb dessen die Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit fluktuiert.

Die Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit, die auf Lateinisch Liquor cerebrospinalis oder einfach Liquor genannt wird, ist eine Flüssigkeit, die aus dem Blut gefiltert wird. Sie ist so klar und durchsichtig wie frisches Wasser. Das liegt daran, dass die roten Blutkörperchen herausgefiltert worden sind. Im Wesentlichen ist die Zusammensetzung des Liquors ähnlich wie die des Blutplasmas. Der Liquor besteht also hauptsächlich aus Wasser, Eiweißstoffen, Salzen und Glucose – nur in etwas anderen Mengenkonzentrationen als im Blutplasma.

Eine Hauptfunktion dieser Flüssigkeit ist es, das Gehirn und Rückenmark mit Nährstoffen zu versorgen und Abfallstoffe abzutransportieren. Außerdem dient der dünne Flüssigkeitsfilm, den diese Flüssigkeit um das Gehirn herum bildet, als Stoßdämpfer für das Gehirn.

Diese Flüssigkeit fluktuiert langsam und rhythmisch, genauso wie sich auch die Schädelknochen, die Membranen, das Gehirn und andere Gewebe im ganzen Körper langsam rhythmisch bewegen.

Bevor ich darüber sprechen werde, was es mit diesen Bewegungen auf sich hat, möchte ich einen Ausflug machen in die Entstehungsgeschichte der Craniosacral-Arbeit.

Dr. Sutherlands Entdeckungen

Dabei möchte ich zurückgehen bis ans Ende des vorletzten Jahrhunderts.

Damals studierte ein junger Mann namens William Sutherland (1873–1954) Osteopathie am zu dieser Zeit weltweit einzigen College für Osteopathie in Kirksville, Missouri. Er war begeistert von der Osteopathie und hatte ihre Grundprinzipien tief verinnerlicht. Einer seiner Lehrer war Andrew Taylor Still (1828–1917), der Begründer der Osteopathie.

Eines Tages im Jahre 1898 vertiefte sich der junge Sutherland in den Anblick eines Schädelmodells, das in einer Vitrine im Korridor dieses College ausgestellt war. Die einzelnen Schädelknochen waren dabei in einem gewissen Abstand voneinander montiert, sodass die einzelnen, verschiedenartig geformten Nähte zwischen den Knochen gut erkennbar waren. Besonders faszinierte ihn die abgeschrägte Naht zwischen dem Keilbein und dem Schläfenbein. Da durchfuhr ihn ein Gedanke wie ein Blitz: „Abgeschrägt, wie die Kiemen eines Fisches, was auf gelenkartige Beweglichkeit hinweist für einen Primär Respiratorischen Mechanismus.“1 Natürlich hatte er zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, was ein Primär Respiratorischer Mechanismus sein könnte.

1: Ein modernes Schädelmodell, bei dem die einzelnen Schädelknochen mit etwas Abstand voneinander montiert sind.

2: Schädel, von der Seite gesehen mit einzelnen Schädelknochen und Nähten, besonders hervorgehoben: Naht zwischen Keilbein und Schläfenbein.

Der Gedanke, dass zwischen den Schädelknochen gelenkartige Bewegungen möglich waren, ließ ihm keine Ruhe. In seinem College hatte er gelernt, dass die Schädelknochen ab einem gewissen Alter starr knöchern miteinander verbunden sind – so wie es auch heute noch fast in der ganzen Welt an allen Universitäten gelehrt wird. Nur Italien und ein paar andere Mittelmeerländer bilden seit den 1920er-Jahren dank der Arbeit eines Anatomen namens Giuseppe Sperino eine Ausnahme.

William Sutherland vertraute seinen Lehrern und wollte die sonderbaren Gedanken aus seinem Kopf vertreiben. Er besorgte sich einen Schädel und trennte mit der kleinen Klinge seines Taschenmessers sorgfältig die einzelnen Knochen voneinander. Gemäß dem osteopathischen Prinzip, dass Struktur und Funktion in enger wechselseitiger Beziehung zueinander stehen, suchte er nach Hinweisen in der Struktur des Schädels, die seine seltsamen Ideen widerlegen sollten. Er untersuchte dabei mit äußerster Genauigkeit jedes anatomische Detail, konnte jedoch zu seinem Erstaunen keinen einzigen Hinweis darauf finden, dass eine gewisse Beweglichkeit zwischen den Schädelknochen unmöglich ist. Im Gegenteil: Je länger er forschte, desto zwingender deutete alles auf bestimmte Bewegungen der einzelnen Schädelknochen hin, die auch noch auf wunderbare Art und Weise ineinandergreifen und zusammenpassen wie all die Teile eines komplizierten Schweizer Uhrwerks. Genau die Bewegungen, die heute Zehntausende von Craniosacral-Praktizierenden in der ganzen Welt mit ihren Händen fühlen. Es hat mich sehr beeindruckt, dass sich dieser Mechanismus Sutherland nur durch genauestes Beobachten erschlossen hatte, lange bevor er die Bewegungen mit seinen Händen fühlen konnte.

Bei all seinen Forschungen hatte eines eine besondere Bedeutung: die Stille. Jeden Tag nahm sich William Sutherland Zeit, „um der Stille zuzuhören“. Heute würden wir wahrscheinlich sagen: Er hat meditiert. Und jedes Mal, wenn in seiner Arbeit neue Fragen auftauchten und er nicht weiterwusste, ging er in die Stille – so lange, bis er aus der Stille heraus die Anregung zum Weiterarbeiten empfing. Dabei war er sehr stark von dem Bibelzitat „Sei still und wisse …“ (Psalm 46,10) inspiriert.

Eine weitere Grundhaltung in seiner Arbeit war das stete Suchen nach innerem Wissen im Gegensatz zum Streben nach bloßer Information. So führte er eine Reihe von Experimenten an sich selbst durch. In seinem bekanntesten und wohl auch wichtigsten Experiment baute er in einen amerikanischen Baseballhelm Mechanismen ein, durch die Druck auf die einzelnen Schädelknochen ausgeübt werden konnte, sodass diese dadurch in ihrer Beweglichkeit behindert wurden. Er stellte an sich selbst fest, dass es je nach Ort und Intensität des Drucks zu neurologischen Symptomen und veränderten Bewusstseinszuständen kam – wie Halluzinationen, Depressionen, manischem Verhalten oder Seh- und Gleichgewichtsstörungen. Dies deutete er als einen Hinweis auf eine gewisse Unabhängigkeit der einzelnen Schädelknochen und als Fingerzeig dafür, dass solche Symptome oft aufgrund unbeweglicher Schädelknochen entstehen. Manchmal brauchte es eine ganze Weile, bis er die Schäden, die er sich selbst zugefügt hatte, beheben konnte.

Sutherlands zweite Frau, Adah Strand Sutherland, beschreibt in ihrem Buch „With thinking fingers“, wie ihr Mann die nächste Serie von Versuchen an sich selbst ankündigte, die noch viel gefährlicher sein sollten als alle zuvor. Verzweifelt versuchte sie, ihn davon abzubringen. „Ich tue dies, weil es irgendeinen Grund dafür gibt, warum ich es tun muss”, antwortete Sutherland. „Es war schon den ganzen Weg über so und dies ist nur noch ein weiterer Schritt. Für mich ist stets gesorgt gewesen und ich weiß, dass ich auch weiter geschützt sein werde. Ich bin nicht so weit gekommen, um jetzt im Stich gelassen zu werden.”2

Welch großes Gottvertrauen! Aus diesem – gepaart mit seinem Pragmatismus, seiner wissenschaftlichen Betrachtungsweise und seiner Liebe zum Detail – ergibt sich genau die Kombination von Eigenschaften, die auch für unsere Arbeit heute so wesentlich ist.

Ausgehend von seinen Entdeckungen und seiner Arbeit an sich selbst und später auch an seinen Patienten, entwickelte Sutherland schließlich ein Heilsystem, das zunächst als Craniale Osteopathie bekannt wurde, wobei er Grundprinzipien der Osteopathie auf den cranialen Mechanismus übertrug. So konnte er zum Beispiel oben genannte Symptome angehen, die seine Kollegen oft vergeblich zu behandeln versuchten, und er hatte mit seiner Methode viele erstaunliche Therapieerfolge. Dabei arbeitete er in den Anfangszeiten nicht nur mit den Händen, sondern auch mit Holzkeilen und Gummibandagen!

Steht am Anfang noch eine rein mechanistische Betrachtungsund Vorgehensweise im Vordergrund, die teilweise sogar etwas plump und grob anmutet, so werden seine Betrachtungen und seine Arbeit im Laufe der Jahre immer feiner, genauer und inspirierter.

Während Sutherland ansonsten sehr genau wissenschaftlich vorgeht und argumentiert, bietet er an einem entscheidenden Punkt eine spirituelle Erklärung: Er sagt, dass es der Atem des Lebens, die göttliche Kraft selbst sei, welche die Bewegungen der Schädelknochen und der anderen Gewebe bewirke.

Erst 1929 wagte sich Sutherland mit seinem craniosacralen Ansatz erstmals an die Öffentlichkeit. Wie Sutherlands Frau in ihrer Biografie über ihn erzählt, war er bei diesem ersten Vortrag vor Osteopathen sehr aufgeregt, auf Anfeindungen gefasst und ziemlich überrascht gewesen, dass es überhaupt keine Reaktionen gab. Sie erzählt, es wäre so gewesen, als hätte man einen Pfeil in die Luft geschossen.

Nach dem fehlenden Echo auf diesen Vortrag wagte es Sutherland in den darauffolgenden Jahren, craniale Thesen in osteopathischen Fachzeitschriften lustig und gewitzt in Versform zu veröffentlichen. Er benutzte dabei die Pseudonyme Blunt Bone Bill und Bonehead Billy. Jetzt blieben lebhafte Reaktionen unterschiedlichster Couleur nicht länger aus. Dabei behielten im Laufe der Jahre auch im Rahmen der Osteopathie die kritischen Stimmen die Oberhand.

Das hatte auch viel mit der Entwicklung der Osteopathie selbst zu tun. Ihr Begründer, Dr. Still, war inzwischen gestorben und seine Lehre wurde immer populärer. Der Schulmedizin war dies durchaus ein Dorn im Auge und die Osteopathie ihrerseits strebte nach Anerkennung. So kam es in den 1920er-Jahren zu einem Abkommen zwischen der American Medical Association, die mit der Bundesärztekammer in Deutschland vergleichbar ist, und der Osteopathie. Die Schulmedizin gab der Osteopathie die lang ersehnte Anerkennung und machte der Osteopathie gleichzeitig eine Menge Vorgaben, wie sie zu lehren und zu arbeiten hatte – und wie nicht.

Da passten die Konzepte Sutherlands vom Primär Respiratorischen Mechanismus und vom Atem des Lebens natürlich überhaupt nicht hinein. Wegen des mangelnden wissenschaftlichen Nachweises seiner Kerntheorien und der scheinbar unerklärlichen Therapieerfolge wurde die craniale Osteopathie und alles, was von Dr. Sutherland kam, von der Schulmedizin und auch vom Hauptstrom der Osteopathie als dubios, mystisch und abgehoben abgetan.

Auch nach Sutherlands Tod im Jahre 1954 blieb die craniale Osteopathie zunächst eine Außenseiterrichtung innerhalb der Osteopathie.

Dr. Upledgers großer Beitrag

Es ist vor allem Dr. John E. Upledger (1932–2012) zu verdanken, dass Craniosacral-Arbeit heute so bekannt und beliebt ist. Upledger entwickelte sie zu einer eigenständigen Therapiemethode weiter, prägte den Begriff Craniosacral-Therapie und vertrat sie über Jahrzehnte hinweg offensiv nach außen. Dr. Upledger selbst war ein osteopathischer Arzt.

Im Jahr 1970 kam er auf besondere Art und Weise mit dem craniosacralen Rhythmus in Kontakt: Er sollte bei einer Operation assistieren, bei der eine Verkalkung an der äußeren Oberfläche der Dura mater auf Höhe der unteren Halswirbelsäule entfernt werden sollte. Seine Aufgabe war es, den Duralschlauch mit einer Zange zu fixieren. Zu seinem Erstaunen bemerkte er, dass sich der Duralschlauch ständig in einer feinen langsamen Schwingung auf und ab bewegte. Das erschütterte ihn zutiefst, und die Frage, wie diese Bewegung zustande kommt, ließ ihn nicht mehr in Ruhe.

Er erinnerte sich daran, dass er in seinem Studium von Dr. Sutherlands Arbeit gehört hatte, und belegte Kurse in craniosacraler Osteopathie an der Sutherland Teaching Foundation. Mit Begeisterung und Erfolg setze er das Gelernte in seiner Praxis um. Allerdings war er mit Sutherlands Erklärung, dass der Rhythmus durch die Kraft des Atems des Lebens zustande kommen würde, nicht zufrieden. Daher suchte er nach Wegen, die Craniosacral-Arbeit auf eine rein naturwissenschaftliche Grundlage zu stellen. Als Erklärung für das Zustandekommen des craniosacralen Rhythmus stellte er wenig später das sogenannte „Druckausgleichsmodell“ vor. Auch wenn dieses Modell heute als sehr unwahrscheinlich betrachtet werden muss, gelang es ihm dadurch, eine Menge Beachtung zu finden. So bekam er die Gelegenheit, in den Jahren 1975 bis 1980 zusammen mit einem multidisziplinären Forscherteam an der Universität von East Lansing, Michigan, bedeutende Forschungsarbeiten zu leisten. Dort wurden unter anderem die Bewegungen an den Schädelnähten erstmals durch Spannungs-Plethysmografie und Laser ausgemessen und bewiesen. Außerdem konnte an zahlreichen frischen Gewebeproben nachgewiesen werden, dass sich in den Nähten feine Blutgefäße, Nervenfasern sowie elastische und kollagene Bindegewebsfasern befinden. Somit sind alle Voraussetzungen für Bewegungen in den Nähten gegeben. Der Grund dafür, dass das nicht schon vorher entdeckt worden war, liegt darin, dass zuvor nur chemisch konservierte Gewebeproben untersucht worden waren. Das feine Gewebe in den Nähten wurde auf diese Art und Weise zerstört.

Im Laufe der Zeit vereinfachte und verfeinerte Dr. Upledger Behandlungstechniken der craniosacralen Osteopathie und entwickelte etliche bedeutende neue Vorgehensweisen. Er war auch der Erste, der prozessbegleitende Arbeit als logische Fortführung in die Craniosacral-Therapie einbezog. Mit dem Begriff Prozesse sind hier alle Vorgänge bei unseren Patienten gemeint, die über die rein strukturelle und energetische Ebene hinausgehen. Es geht also um psychische sowie um körperliche Vorgänge: um Gefühle, Emotionen, Körperempfindungen und -reaktionen, innere Bilder und Ähnliches. Diese zu begleiten ist ein wesentlicher Aspekt jeder wirklich ganzheitlichen Therapie. Das gilt in besonderem Maß für die craniosacrale Methode, weil durch die Verbindung zu den tiefsten inneren Heilkräften und vor allem durch die zuhörende und mitgehende Qualität der craniosacralen Berührung innere Prozesse förmlich eingeladen werden, sich zu zeigen. Mehr zu diesem wichtigen Thema in späteren Abschnitten dieses Buches.

Außerdem bezog schon Upledger den ganzen Körper und alle Gewebearten in seine craniosacral-therapeutischen Behandlungen mit ein. Seine Lehrtätigkeit, durch die er Craniosacral-Arbeit über die begrenzten Kreise osteopathischer Ärzte hinaus verbreitete, und seine zahlreichen Veröffentlichungen machten ihn und die Craniosacral-Therapie weiter bekannt. Durch seine Arbeit wuchs die Craniosacral-Therapie zu einer eigenständigen Methode heran, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte als solche stetig weiterentwickelt hat.

Der craniosacrale Rhythmus

Beim craniosacralen oder Primär Respiratorischen Rhythmus kann man deutlich zwei Bewegungsphasen unterscheiden, die wir Inspiration und Exspiration nennen.

3: Der Schädel von oben in extremer Inspiration

4: Der Schädel von oben in extremer Exspiration

In der Inspirationsphase wird der Kopf insgesamt ein wenig breiter und flacher und in der Exspirationsphase etwas schmaler und höher.

Diese beiden Zeichnungen sollen die beiden Bewegungsphasen verdeutlichen. Dafür wurden sie stark übertrieben dargestellt. In Wirklichkeit beträgt das Bewegungsausmaß nur ein paar Zehntelmillimeter.

Am restlichen Körper geschieht an allen bilateralen Strukturen in der Inspirationsphase eine ganz kleine Außenrotationsbewegung und in der Exspirationsphase eine ganz kleine Innenrotationsbewegung.

5: Körper in extrem übertriebener Inspiration

6: Körper in extrem übertriebener Exspiration

Das Primär Respiratorische System

Der von Sutherland stammende Ausdruck Primär Respiratorischer Mechanismus impliziert, dass der primär respiratorische oder craniosacrale Rhythmus, wie er heute oftmals genannt wird, gegenüber den anderen Rhythmen im Körper wie Atem und Herzschlag primär, das heißt übergeordnet ist. Er ist nicht nur deutlich langsamer als der Herzschlag und auch als der Atemrhythmus, sondern verändert im Gegensatz zu diesen seine Frequenz weder bei körperlicher Anstrengung noch bei Gemütserregung. Daher wird der craniosacrale Rhythmus oftmals mit der langsamen und tieferen Gezeitenbewegung des Meeres verglichen, wohingegen Herzschlag und Atemrhythmus in diesem Vergleich den Wellen an der Meeresoberfläche entsprechen würden.

Nach Sutherland besteht der Primär Respiratorische Mechanismus aus fünf Elementen:

1.Die inhärente Fluktuation der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit

Fluktuation ist die Bewegung einer in einem Hohlraum enthaltenen Flüssigkeit. Nach Sutherland ist es der Atem des Lebens, der wie eine Flüssigkeit in der Flüssigkeit enthalten ist, der diese Fluktuation bewirkt.

2. Die Motilität des zentralen Nervensystems