Der Jäger - Marc Pain - E-Book

Der Jäger E-Book

Marc Pain

0,0

Beschreibung

Sie vertrauen ihm, sie glauben ihm, sie folgen ihm – bis in den Tod. Er tötet Mädchen, junge Frauen und lässt ihre Körper spurlos verschwinden. Über ein Jahrzehnt lang schlägt er ungesühnt zu. Erst durch den Instinkt eines erfahrenen Ermittlers und dem Einfallsreichtum seines jungen Assistenten, kann der Täter allmählich eingekreist werden. Was ihm bleibt: Die Flucht nach vorn. Ein spannender etwas anderer Kriminalroman . Der erste Fall für das Ermittlergespann Dunn&Kuhn aus Hamburg . Für Freunde der Kriminalliteratur und Liebhaber von packenden Thrillern.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 595

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Marc Pain

Der Jäger

 

 

 

 

Sie vertrauen ihm, sie glauben ihm, sie folgen ihm – bis in den Tod.

Er tötet Mädchen, junge Frauen und lässt ihre Körper spurlos verschwinden. Über ein Jahrzehnt lang schlägt er ungesühnt zu.

Erst durch den Instinkt eines erfahrenen Ermittlers und dem Einfallsreichtum seines jungen Assistenten, kann der Täter allmählich eingekreist werden.

Was ihm bleibt: Die Flucht nach vorn.

Zum Autor:

Marc Pain, geboren in Schleswig-Holstein, lebt und arbeitet in Hamburg. Von Kindesbein an spielt das Schreiben eine bedeutende Rolle in seinem Leben. 2014 hat er sich dazu entschieden, seine ersten Werke als Selfpublisher zu veröffentlichen. Seit Anfang 2017 ist er mit seiner Krimireihe um das Ermittlergespann Dunn & Kuhn beim JustTales Verlag.

Ausführliche Information

über unsere Autoren und Bücher erhalten Sie auf

www.JustTales.de

Thriller

Von Marc Pain

zur Reihe Dunn & Kuhn

Band 1 – Der Jäger

1. Auflage 2017

Ungekürzte Taschenbuchausgabe

August 2017

JustTales Verlag, Bremen

Geschäftsführer Andreas Eisermann

Copyright © 2017 JustTales

Dunn & Kuhn: Copyright © 2017 JustTales

An diesem Buch haben viele mitgewirkt, insbesondere:

Manuskript: Marc Pain

Lektorat: Anja Lott, Britta-Chr. Engel

Korrektorat: Britta-Chr. Engel

Einbandgestaltung: Marc Pain unter Verwendung

der Fotos von Fotografie Ramona Barth

Buchsatz: Stefan Stern

E-Book (ISBN 978-3-947221-01-1)

Auch erhältlich als

Taschenbuch (ISBN 978-3-947221-00-4)

 

Marc Pain

Der Jäger

Die Toten aus der Palinger Heide

Der erste Fall für Dunn & Kuhn

Lieber Leser!

Der JustTales Verlag dankt für den Kauf dieses Print-Exemplars.

In Zeiten der Digitalisierung fällt es kleinen Sortimentsbuchhandlungen immer schwerer, Ihnen eine Vielfalt an Büchern zu präsentieren. Daher freuen wir uns, dass Sie mit dem Kauf eines Print-Exemplars den Deutschen Buchhandel unterstützt haben und wünschen Ihnen ebenso viel Freude beim Lesen, wie wir hatten beim Erstellen des Buches.

Ihr Team vom JustTales Verlag

Inhaltsverzeichnis

Der Jäger

Prolog

Hauptteil

Epilog

Epilog 2

Danksagung und Leseprobe

Prolog

Robert lief nicht schnell. Bewusst ließ er den Abstand zwischen sich und Carolin nicht allzu groß werden, gewährte ihr aber einen gewissen Vorsprung. Zu jedem Zeitpunkt hätte er in wenigen Sekunden zu ihr aufschließen, es augenblicklich beenden können, wenn er gewollt hätte. Noch war es ein ungefährliches Spiel. Ein Spiel zwischen zwei Kindern – zwei Klassenkameraden.

„Los, fang mich, wenn du kannst!“, hatte Carolin ihm noch zugerufen, bevor sie aufgesprungen und losgerannt war.

Sie hatten gemeinsam unter einer Weide gesessen. Die langen Äste des Baumes reichten fast bis zum Boden. Wie eine grüne Glocke stülpte sich die Baumkrone über den Stamm. In einem Radius von knapp sechs Metern verdrängte die Blätterkuppel nicht nur das Sonnenlicht, sondern auch alles, was größer als ein Strauch war. Ein schöner Platz, den Robert da ausgesucht hatte.

Carolin, alle nannten sie bloß Caro, hatte ein abgefallenes Ahornblatt vom Boden aufgehoben, das der Wind von einem benachbarten Baum unter die Weide geweht hatte. Sie hatte es eingehend betrachtet, in der Hand gedreht und den Kopf geneigt. Schließlich hatte sie gelächelt und es ihrem Gegenüber entgegengestreckt.

„Hier, Bob, für dich.“ Freudestrahlend. „Erkennst du, was das ist?“

Robert nahm das halb vertrocknete Blatt. Die charakteristischen Spitzen krümmten sich nach oben und wirkten wie eine Hand, die einen Gegenstand wog. Das Chlorophyll hatte sich in die Blattmitte zurückgezogen und wanderte von dort weiter in Richtung Stiel hinab. Mit reichlich Fantasie, der Fantasie eines Kindes, zeichnete das Blattgrün ein deutliches Bild auf das Stück Laub.

„Ein Herz“, sagte Bob und sah vom Blatt auf, das er beiläufig in die Bauchtasche seines Hoodies schob, in der er seine Hände verbarg.

Er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Als Carolin das Wort „Liebe“ ins Spiel gebracht hatte, begann es, Robert zu überfordern. Keiner von beiden wusste, was Liebe ist, doch hätten die Gründe dafür nicht unterschiedlicher sein können. Sie, ein zwölfjähriges Mädchen, wusste nicht, wovon sie sprach. Nur ein Leben voller Erfahrungen hätte ihr ermöglichen können zu verstehen, was wahre Liebe ausmachte. Er, ein gleichaltriger Junge, war verdammt, niemals dasselbe empfinden zu können wie sie. Nicht auf die gleiche Art. Nicht, ohne ihr dabei zu schaden.

Als das Schweigen zwischen den beiden eine peinliche Länge erreicht hatte, war sie aufgesprungen und losgerannt. Robert hätte keinen besseren Augenblick dafür wählen können. Sie waren füreinander bestimmt.

Robert ließ das Mädchen tiefer in den Wald laufen, weg von ihrem Elternhaus. Ihr war nicht klar, dass er die Richtung vorgab, sie bewusst lenkte und in die entlegene Natur trieb. Noch war er unsicher, wann er aus dem harmlosen Fangspiel tödlichen Ernst werden lassen würde. Unsagbar oft hatte er sich dieses Szenario vorgestellt; das Jagen und Töten an Tieren erprobt.

Dieser Teil des Waldes befand sich in einem Naturschutzgebiet. Hierhin verirrten sich nur selten Wanderer; und den Revierjägern war es nur unter großen Auflagen erlaubt, ihren Dienst zu versehen. Die Bäume waren ausschließlich alt und groß. An diesem Ort herrschte die Natur. Hier schlug er zu.

Drei weite Schritte, dann war er an ihr dran. Er schlang seinen linken Arm von hinten um ihre Schulter und den Hals. Das Messer befand sich in der Bauchtasche seines Pullovers. Dort störte es beim Laufen nicht und konnte ihn nicht verletzen, sollte die Klinge unverhofft hervorspringen. Er zog es mit der Rechten … er zögerte kurz. Immerhin wollte er es richtig machen. Es war nun mal nicht dasselbe, wie wenn man einer Ratte, einem Hund oder einem anderen Tier den Hals durchschnitt.

„Du kannst mich loslassen, Bob.“ Caro hielt es noch für einen Spaß, das verschaffte ihm weitere Sekunden. Er drehte sie zu sich um. Von dem Messer hatte sie nicht einmal Notiz genommen, jedoch fiel ihr sein verändertes Wesen auf. Er war aufgeregter, als er gedacht hätte, beinahe nervös. Mit seinem Blick fixierte er ihren Hals.

„Was ist mit dir?“

War das Angst, die er in ihrer Stimme hörte?

„Du hast gewonnen, hast mich gefangen! Kannst mich wieder loslassen, Bob.“

Ja, es war Angst. Er presste seine schwitzige Hand gewaltsam zusammen, um das Messer bloß nicht zu verlieren. Dann holte er aus.

Von links nach rechts. Ein Hieb. Eine kraftvolle, fließende Bewegung und es war getan. Augenblicklich verschwand der Druck. Sein Hals fühlte sich nicht mehr wie zugeschnürt an. Robert war völlig konzentriert und fokussiert.

Carolines Mund stand offen. Ihr Unterkiefer bewegte sich auf und ab. Sie versuchte, etwas zu sagen, doch brachte sie keinen Ton hervor. Erst ging sie vor Robert auf die Knie; ihr Oberkörper wankte. Einen Moment hielt sie sich, wie ein gefällter Baum im schwachen Wind. Dann kippte sie vornüber, zuckte krampfartig und blieb letztendlich auf der Seite liegen.

Blut lief aus der breiten Halswunde und das Mädchen röchelte. Robert legte sich neben sie, sodass ihre Gesichter gegenüber lagen. Carolin riss die Augen dermaßen weit auf, dass sie drohten aus ihren Höhlen zu treten.

„Pssst!“ Er legte den ausgestreckten Zeigefinger auf Caros zitternde Lippen. Er blickte ihr tief in die hellblauen Augen. Das, was er beim Überreichen des Blattes nicht konnte, etwas Passendes empfinden, fiel ihm jetzt ganz leicht.

Sie strampelte mit den Beinen, verkrampfte alle Glieder und japste elendig.

„Lass jetzt los“, redete er beruhigend auf sie ein und strich ihr sanft über die Lippen. „Du wirst für immer meine Erste sein.“

Caro war tot. Er rollte sie auf den Rücken, holte mit dem Messer aus und stach zu. Immer und immer wieder ließ er die Klinge auf den unschuldigen Körper niederrasen. Er arbeitete sich in Rage und verstümmelte sie nach und nach. Vom Bauch, über Brust und sogar ihre Oberschenkel. Jeder Hieb war wie eine Befreiung für ihn. Diese Grausamkeit erlöste ihn von seinem Schmerz.

Vorerst.

01|2015

Vor der moosgrünen Tür des Hauses Nummer 13 mit Rotklinkerfassade klappte Christian seinen Regenschirm zusammen. Er drückte die Klingel neben dem Schild mit der Aufschrift „Kuhn“, die wie beiläufig und beinahe unleserlich auf einem kleinen Papierfetzen gekritzelt stand.

Er wartete, doch es passierte nichts. Erneut drückte er die Klingel, bis ihm auffiel, dass die Haustür lediglich angelehnt war und sich von außen aufstoßen ließ.

Im Inneren des Altbaus war es kühl. Der Boden war aus Stein und die Wände im Untergeschoss bis auf halber Höhe mit dunkelbraunen Fliesen gekachelt. Chris‘ Erachtens nach sahen sie einfach nur potthässlich aus und hatte ihre beste Zeit längst gehabt. Dazu passte, dass die Treppenstufen quietschten und ächzten, als er in den vierten Stock ging.

Christian Dunn befand sich auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch. Ein entfernter Freund hatte diese Gelegenheit arrangiert.

„Holger Kuhn benötigt einen Computercrack – einen Nerd“, hatte Terry am Telefon gemeint. Chris glaubte, herausgehört zu haben, dass es als Kompliment zu verstehen war. „Ich musste da sofort an dich denken. Du solltest unbedingt vorbeischauen. Er ist eine Ikone, schlag im Internet nach: „Holger Kuhn, Mordermittler aus Hamburg“. Schau am besten gleich morgen, so gegen siebzehn Uhr, bei ihm vorbei!“

Nachdem er am Telefon zugesagt, die Adresse notiert und aufgelegt hatte, checkte er umgehend, was das Internet über diesen Mann zu sagen hatte.

In der Tat, Holger Kuhn war bei der Aufklärung von Tötungsdelikten so etwas wie eine Ikone. In den meisten Berichten und Beiträgen ging es um die sogenannten „Wattmorde“, einer Mordserie aus den Achtzigern. In einem Zeitraum von drei Jahren hatte man neun Opfer erst gefoltert, danach betäubt und anschließend bei zunehmender Flut im Watt ausgesetzt. Holger wies eine Menge weiterer nennenswerter Erfolge auf, doch Chris hatte genug gelesen. Er rechnete sich keine allzu großen Chancen aus, wollte es aber auf einen Versuch ankommen lassen.

Es war kurz vor fünf Uhr am Dienstagabend. Schnaufend im vierten Stockwerk angekommen, sah er sich um. Zwei Türen gingen in die jeweiligen Wohnungen, beide waren geschlossen. Chris überlegte, ob er überhaupt richtig war. Die Tür direkt neben ihm hatte kein Namensschild. Gegenüber gab es eine weitere Tür. Mit drei Schritten war er auf der anderen Seite und hielt nach einem Namensschild Ausschau. Unter dem Türspion war ein kleines Plastikschild angebracht, auf dem „Meier“ eingestanzt war.

Chris machte kehrt und versuchte sein Glück erneut an der vorherigen Tür, die nach wie vor geschlossen war. Diesmal erkannte er unter dem Spion die Abdrücke eines abmontierten Schildes. Es war ein kleines, helles Rechteck; der Bereich, der noch nicht verdreckt und verblasst war.

Chris ballte die Hand zur Faust und klopfte zweimal. Er wartete. Nichts passierte. Erneut schlug er gegen die Tür, die in demselben dunklen Grün gestrichen worden war wie die Haustür, der Handlauf und die Wände im Treppenhaus. Etwas tat sich hinter der Tür. Endlich öffnete jemand. Ein Mann, doppelt so alt wie er, stand vor ihm.

„Ja?“ Es war das Einzige, was der Mann zur Begrüßung hervorbrachte, ohne dabei den Blick von der Akte in seiner Hand abzuwenden. Chris erkannte das Gesicht aus den Internetberichten. Das also war Holger Kuhn.

„Mein Name ist Christian Dunn.“ Er streckte Holger Kuhn seine Hand entgegen. Dieser winkte jedoch ab, brummte und gab mit einem Nicken zu verstehen, dass Chris eintreten durfte.

„Schließ die Tür hinter dir!“

Immerhin einen vollständigen Satz hatte er jetzt von der „Ikone“ zu hören bekommen. Er folgte Holger in das Zimmer, das hinter der ersten Tür auf der linken Seite des Flurs lag. Holger deutete auf einen Stuhl, der direkt neben dem Eingang vor einem klapprigen Tisch stand; das Möbelstück erinnerte Chris an seine Schulzeit. Unter dem Gewicht eines alten Röhrenmonitors, der bereits vor über einem Jahrzehnt aus der Mode gekommen war, bog sich die Tischplatte bedenklich durch.

Chris nahm Platz. Ein schneller Rundblick offenbarte, dass der Rechner unter dem Tisch kaum moderner war als das restliche Equipment in diesem Raum.

„Du kennst dich mit Computern aus? Kannst Videoaufnahmen analysieren, Tonaufnahmen machen und gegebenenfalls etwas herausfiltern?“

Skeptisch sah Chris den Rechner an, wagte aber nicht, sich über das Modell zu beschweren.

„Die Technik ist nicht mein Freund, musst du wissen“, fuhr Holger Kuhn fort. „Ich benötige jemanden, der sich mit diesem Schnickschnack auskennt. Und Terry hat gesagt, das sei kein Problem für dich. Akten zu digitalisieren, soll für dich ein Kinderspiel sein – so in etwa hat er sich ausgedrückt.“

Christian nickte. Er war ein Schrauber. Um sein Budget aufzubessern, programmierte er gelegentlich Internetseiten und Apps für Kunden. Gemeinsam mit einem Freund entwickelte er seit Jahren ein Computerspiel. Er kannte sich mit Kameras, Mikrofonen, Handys und dergleichen aus, doch mit Kriminalfällen hatte er keinerlei reale Erfahrungen. Ihm gefiel der Gedanke nicht, dass an seiner Arbeit, inwiefern auch immer, Leben hängen könnten.

Deshalb schluckte er, bevor er antwortete: „Ja, damit kenne ich mich aus.“

„Gut“, freute sich Holger Kuhn und klopfte eine Zigarette aus einer Schachtel. Zwischen die Zähne geklemmt zog er sie am Filter heraus und zündete sie mit einem Sturmfeuerzeug an. 

02|Nicht nur, dass die Stelle eine besondere Tätigkeit in Aussicht stellte, das Vorstellungsgespräch lief zudem vollkommen ungewöhnlich ab, denn Holger stellte keine weiteren Fragen. Chris war eingestellt. Dreitausend brutto; da blieb netto noch ordentlich viel hängen und das Geld konnte er gut gebrauchen. So unterschrieb er den Vertrag ohne zu Zögern noch vor Ort.

„Du kannst gerne noch bleiben, jedoch gibt es gerade nicht viel zu tun. Das Internet geht nicht, darum solltest du dich als Erstes kümmern.“

Flüchtig sah Chris den Kabeln nach, die von den beiden Computern, unter Holgers Schreibtisch stand ein ebenso museumsreifes Modell, zu verschiedenen Stellen hinführten. Die Rechner waren jeder für sich über eine Steckerleiste mit dem Strom verbunden. Alle anderen Kabel führten entweder von den PCs zu den Monitoren, Tastaturen und Mäusen oder, in Christians Fall, zu einem Multifunktionsdrucker – Fax, Drucker, Scanner und Kopierer in einem. Für den Papierkram sollte er wohl zuständig sein. Ein Sekretär in spe.

Holger war den Blicken seines neuen Angestellten gefolgt und deutete auf das All-in-one-Gerät. „Das Ding solltest du unbedingt ausprobieren. Hab es günstig geschossen, keine Ahnung, ob es was taugt.“

„Werde ich machen … doch, wegen des Internets …“

„Papier ist hier“, unterbrach Holger und legte die linke Hand auf eine Packung Kopierpapier auf seinem Tisch. Danach hielt er einen USB-Stick in die Luft. „Hier sind ein paar Sachen drauf, die ich gern ausgedruckt und kopiert haben möchte. Außerdem gibt es im Nebenraum genug Platz für unser Archiv.“

Er deutete auf eine geschlossene Durchgangstür, die in der Nähe der Fenster, schräg gegenüber der Eingangstür, direkt neben Holgers Arbeitsplatz, lag. „Wir brauchen später noch Aktenschränke. Ich habe dieses Büro seit drei Wochen und das ist alles, an dem sie mich ermitteln lassen!“

Er deutete auf einen niedrigen Stoß Akten. „Sie geben mir den letzten Mist. An Mordfälle darf ich derzeit nicht ran.“

„Entschuldigen Sie“, ergriff Chris das Wort.

„Sag „du“ zu mir!“, fuhr Holger dazwischen.

„Ich habe zwar ein wenig recherchiert, aber ich konnte nicht in Erfahrung bringen, was Sie … ich meine, was du derzeit machst. Bei welchen Dingen brauchst du meine Hilfe?“

„Was ich aktuell mache, wissen noch nicht viele. Ich bin Deutschlands erster „Privatermittler“.“ Das letzte Wort setzte er in spöttische Anführungszeichen. „Einer der bei Mordfällen ermitteln darf. Zumindest sollte ich das dürfen.“ Holger schob die Akten angewidert von sich in Richtung Schreibtischecke.

„Warum bist du nicht bei der Polizei geblieben?“, fragte Chris nach einer Weile.

„Um mir den Traum einer eigenen Detektei und einem festen Team zu erfüllen. Dafür habe ich extra knapp zehn Jahre vor der Pension den Dienst quittiert, bin ausgeschieden aus dem Polizeidienst. Nach wie vor bin ich aber auf die Unterstützung des Kommissariats angewiesen, weshalb meine Detektei diesem auch unterstellt ist. Bevor ich wieder richtig an die Arbeit gehen kann, wollen sie sehen, wie ich alleine klarkomme. Ich soll die Detektei aufbauen und ihnen bei diesem Müll helfen.“ Er deutete erneut auf den kläglichen Aktenstapel.

„Du fragst dich sicherlich, warum ich mir das alles antue? Ich könnte dir jetzt lang und breit erklären, was meine Gründe dafür sind, aber ich versuche, mich kurzzufassen. Ich habe viel bei der Polizei gelernt und bin durch die Arbeit zu dem Ermittler geworden, der ich heute bin. Doch ich befinde mich an einem Punkt, an dem ich mich unter den herrschenden Umständen nicht weiterentwickeln kann. Ich benötige meinen Freiraum und mir fehlt außerdem ein fester Partner. Ständig werden die Teams neu gemischt; früher kam ich damit irgendwie besser zurecht. Am meisten stören mich das Konkurrenzdenken unter den Ermittlern und der zusätzliche Druck, den die Chefetage ausübt. Ich musste ständig an zwei Fronten kämpfen und darunter litt in erster Linie die Ermittlungsarbeit. So konnte es nicht weitergehen.“ Holger zog die Augenbrauen hoch. „Ich muss in aller Ruhe und nach meinem System arbeiten können. Die Kollegen auf der Dienststelle und die Regeln während der Streife stören mich bei der Arbeit.“

Holger holte kurz Luft. Chris konnte direkt fühlen, wie nahe die Situation Holger gegangen war.

Etwas ruhiger fuhr Holger fort: „Ich wollte schon immer Privatermittler werden, doch kommt man so für gewöhnlich an keine Mordfälle ran. Jahrelange harte Arbeit hat mir diesen Traum ermöglicht, zumindest inoffiziell. Und jetzt muss ich mich mit Vermisstenfällen, Einbruch und Brandstiftung beschäftigen. Erst, wenn ich mich „bewiesen“ habe, wird das Budget gehoben und ich bekomme die richtigen Fälle auf den Tisch.“

Dass Holger die genannten Fälle als „nicht richtig“ oder gar „Müll“ bezeichnete, kam Christian recht merkwürdig vor. Er verstand nicht, dass dem Ermittler die Mordfälle so wichtig waren. Doch gehörte wohl eine gewisse Abgeklärtheit und Versiertheit zur Notwendigkeit, wenn man diesen Beruf ausübte.

„Du hast was von Videoanalyse gesagt“, wechselte Chris das Thema. „Von der Sache her ist das kein Problem, nur, die alten Rechner hier…“ Er deutete auf das Equipment.

„Ich weiß, ich habe aus dem Kommissariat die abgelegten Akten und schrottreifen Computer bekommen. Sie machen es mir nicht leicht, aber mehr haben wir im Moment nicht.“ Holger schlug die Hände über dem Kopf zusammen, danach nickte er zu seinem PC. „Vielleicht kannst du mit dem hier mehr anfangen – ich verwende dieses Ding nur äußerst selten.“

Skeptisch prüfte Chris die Rückseite des Computers. „Ich bezweifle zwar, dass der mehr auf dem Kasten hat, als es den Anschein macht, aber ich schau ihn mir nachher mal an.“ Chris machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: „Hier gibt es kein Modem, lediglich die Telefonbuchse dort in der Ecke. Hast du schon mit einem Internetanbieter gesprochen?“

„Ich habe keine Ahnung davon, dafür bist du zuständig.“ Holger holte sein Portemonnaie hervor und zückte drei grüne Scheine, die er auf die Packung Kopierpapier legte. „Kauf das Zeug, rede mit diesem Anbieter und schaff uns das Internet ran! Vorher kannst du das Gerät einweihen und alles ausdrucken, was auf diesem Stick ist.“

03|Wie zu erwarten war, gab die Leistung von Holgers Rechner nicht viel her. Die beiden Geräte auszutauschen würde somit keinen Sinn ergeben. Mit diesen Relikten aus der frühen Jugend des Computerzeitalters war nichts anzufangen.

„Mach uns doch erst mal einen Kaffee!“, schlug Holger vor. „In der Küche solltest du alles dafür finden.“

Chris ging in die Küche und nach kurzem Suchen füllte er das Pulver aus einer roten Dose mit dem hamburgischen Wappen in den Dauerfilter der Maschine. Währenddessen wurde ihm einmal mehr deutlich bewusst, dass seine Arbeit wohl eher der eines Sekretärs oder Buchhalters gleichkommen würde. Unweigerlich musste er an eine Weisheit denken, die ihm seit eh und je sauer aufstoßen ließ: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre!“ Sein Vater hatte diesen Spruch gern benutzt. Wahrscheinlich war es das Erste gewesen, das er in fließendem Deutsch richtig hatte aussprechen können, als er vor rund vierzig Jahren für sein Studium aus Edinburgh nach München gekommen war, wo er Chris’ Mutter kennengelernt hatte.

Da musst du jetzt wohl durch, dachte er und kramte zwei Becher aus den gähnend leeren Hängeschränken der Einbauküche. Während der Kaffee durchlief, ging Chris zurück in den Wohnungsflur.

„Wie trinkst du deinen Kaffee?“, fragte er auf der Schwelle zum Büro stehend.

„Schwarz“, erwiderte Holger, „ohne Zucker oder Süßstoff.“

Wenige Minuten später betrat Chris mit zwei dampfenden Tassen bewaffnet erneut das Büro und stellte eine davon seinem Chef an den Platz, die andere auf die Ecke des zweiten Schreibtisches. Zurück in der Küche untersuchte er den Kühlschrank und die Schränke, fand aber weder Milch noch Zucker, und Süßstoff mochte er nicht.

„Ich gehe mal eben zum Supermarkt, Milch und Zucker kaufen. Soll ich dir was mitbringen?“

„Hol’ uns doch was für später! Ein paar Franzbrötchen oder Schnecken.“

Chris bejahte den Wunsch und verließ die Detektei.

Weit musste er nicht gehen, bis er auf einen Supermarkt stieß. Einen kleinen Kiosk, der im Untergeschoss des Gebäudes mit der Hausnummer 13 lag, hatte er bewusst gemieden. Die Preise hätten ihm vermutlich nur die Schamesröte ins Gesicht getrieben. Die Filiale eines großen Discounters lag zwischen der eines Autohändlers und einem weiteren Gebäude aus Rotklinker-Steinen, dem vorherrschenden Häusertyp in dem Arbeiterviertel an der Grenze zum Stadtteil Steilshoop. Zehn Minuten später verließ er den Supermarkt mit einer Packung Würfelzucker, zwei Litern Milch und einer Tüte Franzbrötchen vom Bäcker gegenüber der Kasse.

Zurück in der Detektei verstaute er die Sachen in der Küche. Viel Besteck war nicht vorhanden. Zwei Buttermesser, eine Gabel sowie ein Ess- und zwei Teelöffel lagen verloren in der Schublade mit Plastikeinsatz. Mit einem Teelöffel kehrte er an seinen Platz zurück. Inzwischen hatte sein Kaffee die ideale Trinktemperatur, woraufhin er nur einen Schuss Milch und drei Würfel Zucker zugeben musste.

„Wenn du deinen Kaffee ausgetrunken hast, solltest du den Drucker testen. Ich habe darauf eine Garantie und ein Umtauschrecht. Sollte damit etwas nicht stimmen … In meiner Brieftasche ist der Kassenbeleg.“

„Werde ich gleich machen, Chef.“

„Für die ganze Zettelwirtschaft werden wir uns noch jemanden ins Boot holen müssen.“

Ein Lichtblick.

Chris trank seinen Becher rasch aus und schnappte sich den USB-Stick.

04|2004

Ein Jahr verging, bevor Bob ein zweites Mal zuschlug. Erneut traf es eine Freundin aus der Schule. Mit dem üblichen Charme, der für einen Jungen seines Alters alles andere als gewöhnlich war, hatte er ihr Vertrauen erschlichen. Er konnte blitzschnell umschalten, wenn er es für nötig hielt.

Robert war sich bewusst darüber, wie er sich vor Erwachsenen oder gleichaltrigen Kindern zeigen musste. Sein gesamtes Leben glich einer Schachpartie. Jeder seiner Züge musste gut durchdacht sein und Fehler durfte er keine machen, wenn er nicht verlieren wollte. Manchmal ähnelte der Umgang mit seiner Umwelt auch einer Runde Poker. Seine Absichten versteckte er hinter einem vertrauenswürdigen Gesichtsausdruck, während es kaum jemanden gab, den er nicht umgehend durchleuchtet hatte und zu manipulieren wusste.

Das Gesicht, sein wahres Gesicht, das seine Opfer zu sehen bekamen, war ausschließlich für sie. Es war das Letzte, was ihnen bestimmt war.

An Caro hatte er häufig zurückgedacht und lange suchen müssen, bis er ein Mädchen gefunden hatte, das seiner Ersten in nichts nachstand. Bis auf die blonden Haare, die bei Caro nicht ansatzweise so lang gewesen waren, hatte Sandra wenig mit seiner „Ersten“ gemeinsam. Es waren auch keine Äußerlichkeiten, nach denen Robert selektierte. Seine Opfer mussten etwas in ihm auslösen. Sie mussten ihn an etwas erinnern.

Es war ein kalter Septembertag. Ein Sonntag. Der Wald lag nicht weit von Roberts Zuhause entfernt, und bisher war noch jeder bereitwillig auf das Angebot, dort spielen zu gehen, eingegangen.

Immer tiefer drangen die beiden vor. Von Wanderern oder Jägern, anderen Kindern oder Verirrten, war weit und breit nichts zu sehen. In Robert stieg die Gewissheit – nein, er war der festen Überzeugung – dass der Wald den Körper von Sandra ebenso gut versteckt halten würde, wie er es mit den Überresten von Carolin tat. Bis zum heutigen Tage galt sie als vermisst und Bob bezweifelte, dass sich daran jemals etwas ändern würde.

„Bist du häufiger hier?“, fragte Sandra.

„Täglich“, lautete Bobs Antwort.

„Also muss ich keine Angst haben, dass wir uns hier verlaufen, ja?“

Robert nickte. „Hier sind selten Menschen und ich bin einer der wenigen, die sich hier zurechtfinden. Komm, da lang!“ Er sprach mit gedämpfter Stimme.

Sandra bemerkte dies und drehte sich zu ihrem Klassenkameraden um. „Ist was mit dir?“, wollte sie wissen. Bob schwieg.

„Gleich sind wir da“, sagte Bob und deutete nordwärts.

„Wo?“ Er hatte ihr Interesse geweckt.

„Dort, wo ich jeden Tag hingehe … an einen ganz besonderen Ort!“

„Bob, du machst mir Angst!“ Sandra blieb stehen. „Ich mag es nicht, erschreckt zu werden! Du willst mich doch erschrecken, oder? Warten dort Freunde von dir, mit Masken oder so?“

„Warum sollte ich das tun? Ich dachte, wir sind Freunde, und dass ich dir diesen Ort zeigen kann. Er ist mein Geheimversteck, weil ich hier allein sein kann; nur ganz wenige kennen es. Ich hatte gehofft, du freust dich, wenn ich dir diesen Ort zeige.“

Jetzt lächelte Sandra. „Scheint ja ein „ganz“ besonderer Ort für dich zu sein. Jetzt will ich ihn unbedingt sehen.“

Robert lächelte ebenfalls und ging weiter.

Wie vor einem Jahr lag er neben ihr, nachdem ihre Kehle durchtrennt war. Sandra zuckte, gab erstickte Laute von sich und kämpfte wie eine Verrückte. Sie wollte nicht sterben, das machte sie unmissverständlich klar. Doch hatte sie keine Wahl. Robert bereitete es Freude, Zeuge dieses Kampfes zu sein. Er fühlte sich mächtig, bestätigt und unantastbar.

Schließlich, mit geweiteten Augen und aufgerissenem Kiefer, lag sie regungslos vor ihm. Sie war tot.

Robert rollte sich von der Seite auf den Rücken und schaute verträumt in den Himmel. Die Erleichterung überkam ihn. Er war glücklich. Doch war es noch nicht vorbei. Nach einer kurzen Entspannung, dem Sonnen im Glanz seiner Tat, machte er sich an den zweiten Akt.

Er betrachtete ihren Körper lange und eingehend. Sandra lag auf dem Rücken. Sie war nackt. Er hatte es für besser gehalten, sie zu entkleiden; das machte er anders als bei Caro. Er wollte sehen, wie die Klinge die Haut durchstechen würde. Robert wollte sehen, wie das tote Fleisch, die Knochen und die Innereien aus den Wunden heraustreten würden.

Er hob das Messer über den Kopf und stach zu. Der erste Stich ging in ihr Herz, oder zumindest in dessen Nähe. Er musste noch mehr Erfahrungen sammeln, mehr lernen und sein Handwerk verbessern. Erst dann würde er zur Perfektion heranreifen können.

Die Klinge ließ er eine Weile im Fleisch stecken, bewegte das Messer dabei hin und her. In ihm musste die Lust erst zu Hochtouren auflaufen. Er stach ein zweites und kurz darauf ein drittes Mal zu. Er arbeitete sich in Rage, bis er wie von Sinnen auf die Tote einstach, immer und immer wieder.

Blut spritzte keines mehr, wie auch? Einen Blutdruck hatte Sandra nicht mehr. In Ektase machte er sich wie ein wildes Tier über den zierlichen Körper her.

Er war völlig außer Atem, als er von ihr abließ. Zufrieden blickte er auf die durchlöcherte Haut. Vor ihm lag ein entstelltes Wesen, das nichts mehr von der Unschuld einer Vierzehnjährigen hatte. Mit zwanzig oder gar dreißig Messerstichen hatte er den leblosen Körper verstümmelt. Vom Hals hinunter bis zu den Oberschenkeln.

Nach der Tat ging er zu einem Baum, unter dessen Wurzeln ein Hohlraum entstanden war. Darin lag eine verschlissene Sporttasche, in der sich Kleidung zum Wechseln befand. Er hatte genug Zeit gehabt, das Vorhaben zu planen, es im Geiste durchzuspielen, weiterzuspinnen und umzudenken. Für seinen Teil war es ein voller Erfolg gewesen. Es hatte sich großartig angefühlt. Er bezweifelte, noch einmal so lange warten zu können, bis es von vorn losgehen würde.

Beim Betrachten seiner Kleidung entschied er, zukünftig auch sich selbst auszuziehen. Er würde sich seinem Opfer dadurch noch näher fühlen und auf das Wechseln und Waschen seiner Kleidung fortan verzichten können.

Zuerst zog er sich das blutige T-Shirt aus und wusch sich Gesicht, Hände und Arme sowie die Haare mit dem Wasser aus einer PET-Flasche. Zuhause würde er duschen – lange und gründlich – so wie beim letzten Mal. Seine Klamotten befanden sich, zusammen mit denen von Sandra, in einer Plastiktüte. Schuhe und Hose hatte er ebenfalls ausgezogen, selbst die Socken. Barfuß schlüpfte er in Jogginghose und Sportschuhe aus der Tasche. Als Letztes zog er sich das Fußballtrikot über. Er ließ Wasser aus einer zweiten Flasche über den Kopf laufen und verstrubbelte sein mittellanges Haar, damit es den Eindruck erwecken würde, er käme gerade vom Sport. Er packte die Plastiktüte mit den blutigen Klamotten in die Sporttasche, schloss den Reißverschluss und machte sich auf den Rückweg.

Die Leichenentsorgung hatte auch diesmal reibungslos funktioniert und Robert glaubte nicht, dass irgendetwas schieflaufen könnte.

Er verließ den Mischwald über eine leer stehende Nutzwiese. Am Horizont war die Silhouette eines Unterstandes zu sehen, der für Kühe oder Schafe gedacht war; diesen steuerte er an. Der Unterstand hatte drei geschlossene Seiten und lag weit entfernt von bewohntem Gebiet. Dort würde er die Klamotten und die Tasche verbrennen. Außer das Himmel-und-Hölle-Faltspiel mit Sandras eigener Schrift. Das würde er behalten. Er hatte ihr beim Falten geholfen. So waren sie sich näher gekommen.

Den Flummi und ein klobiges, altes Handy würde er mitverbrennen. Das alles waren Dinge, die Sandra bei sich gehabt hatte. Das Handy ihres Vaters sollte für Notfälle sein. Er hatte es sofort ausgemacht, nachdem er es in ihrer Tasche fand. Es besaß eine Prepaidkarte, doch Sandra war zu überrascht, um es noch aus der Hosentasche zu ziehen und eine Nummer zu wählen, geschweige denn jemanden um Hilfe zu bitten. Es war zu schnell gegangen.

Viel gesprochen hatte er nicht; das schien ihm überflüssig. Nur wenige Worte waren nötig gewesen, dann war die Veränderung in Sandras Blick eingetreten und ein warmes Gefühl hatte Roberts Körper durchströmt. Er hatte das Messer gezückt und ihr die Kehle durchtrennt.

Das war es gewesen. Das war Sandra.

Im Unterstand angekommen schmiss er die blutbefleckte Kleidung auf einen Haufen und zerpflückte etwas herumliegendes Stroh, um es darüber zu streuen. Es war nicht klamm, weil es an einer geschützten Stelle gelegen hatte. Er übergoss alles mit reichlich Feuerzeugbenzin. Drei Fläschchen hatte er dabei. Eines davon entleerte er über dem Haufen, danach zündete er ihn mit einem Streichholz an. Die übrigen Sachen, die Handtasche, das Handy und – so gut es ging – der Flummi, wurden ebenfalls mit Benzin übergossen und in das Feuer geworfen. Die Utensilien zur Vernichtung hatte Robert aus der heimischen Garage. Dort lagen sie mehr oder weniger fahrlässig und frei zugänglich herum.

Es dauerte eine Weile und roch ekelhaft, doch zerstörten die Flammen, was sie sollten. Das Handy erwies sich als besonders hartnäckig. Wiederholt spritzte Robert Benzin darauf, bis es zur Unkenntlichkeit geschmolzen war. Die SIM-Karte hatte er zuvor entfernt und zerbrochen.

Die Überreste ließ er abkühlen und verteilte sie danach mit dem Fuß. Er streute Stroh darüber und vermischte es, bis es wie gewöhnlicher alter Tiermist aussah.

05|2015

Zwei Wochen später hatten sie in der Sylter-Straße, im Hamburger Stadtteil Barmbek, den gewünschten Internetanschluss. Das Modem war in der Vorwoche auf dem Postweg eingetroffen und ein Techniker bereits da gewesen, um die Leitung freizuschalten. Kabel und Router hatte Chris längst besorgt, und bis auf die Leistungen der Computer gab es nun nichts mehr zu bemängeln.

Es lagen Ausdrucke aller Dateien vom USB-Stick und Kopien der wenigen Akten vor. Diese stapelten sich zu allen Seiten und die Detektei Kuhn glich einer Abstellkammer. Oder dem Keller einer Bibliothek.

„Räum die ganzen Dokumente schon mal ins Nebenzimmer! Leg sie auf die Fensterbänke oder auf ein Stück Pappe auf den Boden vor der Heizung. Hauptsache sie kommen hier raus. So kann ich keine Klienten empfangen; die machen sonst auf dem Absatz kehrt. Die Dienststelle in Altona hat mir übrigens sechs Aktenschränke zugesprochen. Hast du einen Führerschein, Chris?“ Holger blickte von seinem Monitor auf, den er bislang allenfalls fragend angeblickt oder ihm gelegentlich Flüche entgegengeschleudert hatte.

„Nein, ich besitze keinen Führerschein. Und ein Auto habe ich auch nicht“, antwortete Chris.

„In meinem Wagen bekommen wir höchstens zwei oder drei dieser Schränke transportiert und ich habe jetzt keine Zeit, mich um einen Mietwagen zu kümmern. Also schaff die Dinger in den Nebenraum!“

Christian nickte und machte sich an die Arbeit.

In den vergangenen Wochen war nicht viel passiert. Er hatte seine Arbeit erledigt, zu der auch Putzen zählte. Am zweiten Tag der ersten Woche war Holger mit einem Staubsauger zur Arbeit gekommen. Er hatte ihn Chris in die Hand gedrückt, der ihn die Treppe hinaufschleppen und alle Räume vom Staub befreien durfte. Dabei hatte Chris einen genaueren Blick in die anderen Zimmer werfen können. Das kleine Badezimmer ohne Badewanne und das Archiv kannte er bereits. Die erstaunlich geräumige Küche wischte er nass durch. Gegenüber dem Büro lag ein knapp sechzehn Quadratmeter großer Raum. Im Flur und in den Zimmern gab es weder Teppiche noch vergleichbare Bodenbeläge. Man lief ständig auf lauten, stark verzogenen und knarrenden Dielenbrettern. Küche und Bad waren in einem schlichten Weiß gefliest. Die Kacheln waren teilweise stark verschlissen, aber ansonsten gut in Schuss.

Nach einer Dreiviertelstunde waren alle Dokumente in ein Dutzend Papierstapel aufgeteilt und in das Archiv gewandert. In dieser Zeit hatte Holger seine Meinung jedoch geändert.

„Du kannst doch über das Internet nach so einer Mietwagenvermietung schauen, oder?“

Chris nickte. „Du kannst das auch, du musst nur danach suchen. Gib es in die Suchleiste deines Browsers ein.“

Holger winkte ab, bevor er Christians Vortrag unterbrach. „Es geht viel schneller, wenn du das machst! Dafür bist du ja schließlich hier.“

Ein Verleiher war umgehend rausgesucht. Mit dem Auto von Holger, einem dunkelblauen Ford, machten sie sich auf den Weg.

„Ich weiß zwar nicht, wann jemand von der Chefetage, den Obrigkeiten oder vom Kommissariat vorbeikommen wird, um nach dem Rechten zu sehen, aber besser ist es, wenn wir die Akten bis dahin ordentlich wegsortiert haben.“

„Wieso holen wir die Schränke nicht mit deinem Auto ab?“ Chris deutete durch das Fenster in seinem Rücken zur Ladefläche des Wagens.

„Ich befürchte, dass wir dort nicht alle rauf bekommen. Außerdem habe ich nichts zum Befestigen.“ Holger drehte das Radio lauter. Ein Oldie-Sender war eingeschaltet. Für den Rest der Fahrt bis zur Autoverleihung schwiegen sie.

Sie mieteten einen 7,5 t-Laster für zwei Stunden. Mit dem Einwand, das sei zu wenig Zeit, stieß Chris auf taube Ohren.

Allein für den Weg von der Autovermietung bis zum Kommissariat nach Altona benötigten sie beinahe eine Stunde. Das Einladen der Aktenschränke und die Plaudereien unter Kollegen nahmen weitere vierzig Minuten in Anspruch.

Bereits an der ersten roten Ampel, nach dem Verlassen des Parkplatzes vor dem Revier, fluchte Holger, während er auf die Uhr des Autoradios blickte. „Ich hätte auf dich hören sollen“, gestand er seinen Fehler ein.

In der Detektei stand der anstrengendste Teil an. Jeder der sperrigen Schränke wog rund fünfzehn Kilo und diese mussten ohne Fahrstuhl in den vierten Stock gebracht werden. Das war Schwerstarbeit. Die enge Treppe und das hohe Geländer trieben Chris zur Verzweiflung.

Dreieinhalb Stunden später standen alle sechs Schränke im Nebenzimmer, das mit einem Mal klein und beklemmend wirkte.

Während Holger den Mietwagen zurückbrachte, sortierte Chris die Dokumente aus dem Archiv ein. Das ging recht flott, und als er über die Schwelle ins Büro trat, fiel sein Blick auf zwei Akten, die auf Holgers Schreibtisch lagen. In diesem Moment klickte das Schloss der Haustür. Mit dem typischen Knarren der Dielenbretter und dem Quietschen der Türscharniere trat Holger ein. Als Chris den Arm ausstreckte, um die beiden verbliebenen Papierstapel an sich zu nehmen, betrat sein Chef das Büro.

„Halt, was machst du da?“

Chris zuckte zurück und schaute Holger mit unschuldigem Blick an. „Ich wollte sie zu den anderen …“ Er deutete zur Zwischentür.

„Diese nicht!“

„In Ordnung. Alle anderen habe ich abgeordnet.“ Chris fragte sich, was an diesen Fällen, die Holger bislang als Mist bezeichnet hatte, so interessant war. War er auf etwas gestoßen?

„Für heute gibt es nichts mehr zu tun. Meinetwegen kannst du Feierabend machen.“ Holger deutete auf die Uhr über der Tür zum Flur. Es war fast acht Uhr abends.

„Der Kaffee ist so gut wie leer; soll ich neuen besorgen?“ In Chris war das Interesse an den Fallakten geweckt. So etwas hatte er bislang nicht verspürt. Er war sich sicher, dass Holger glaubte, auf etwas gestoßen zu sein. Er wollte unbedingt wissen, was das war.

„Kaffee hole ich morgen früh“, entgegnete Holger. „Gut, dass du das erwähnst. Ich hätte es doch glatt vergessen.“

„Warum kann ich die Akten nicht zu den anderen bringen? Ich bin mir sicher, dass ich von denen nicht mal Kopien gemacht habe. Das sollte ich vorher erledigen. Dauert ja nicht lange.“

„Das kann ich später machen. Du hast mir heute schon genug geholfen“, warf Holger rasch ein.

„Aber was bei mir zehn Minuten dauert, dafür brauchst du doch … ich meine …!“ Chris hörte auf zu reden und ordnete seine Worte. „Weißt du, wie du damit umgehen sollst?“ Chris zeigte auf den Drucker.

„Das eilt nicht, Chris.“

„Du hast mir doch selbst gesagt, wie wichtig es ist, Kopien der Fallakten zu erstellen.“

Holger ließ sich hinter seinem Schreibtisch auf dem Bürostuhl nieder. Er stieß Luft aus und deutete auf den Stuhl von Chris.

„Was ist los, Holger?“ Er blieb stehen, damit sein Blick nicht von den Monitoren versperrt wurde.

„Diese Fälle …“, begann Holger und deutete auf die Akten. Chris’ Puls schnellte hoch. „Das sind keine gewöhnlichen Vermisstenfälle. Und die Brandstiftung … Die sollten wir uns vor Ort anschauen, wenn du mich fragst.“

„Wie meinst du das?“ Es fiel Chris sichtlich schwer, seine Neugier zu verbergen.

„Ich weiß nicht, wie viel ich dir erzählen kann.“ Holger machte eine kurze Pause. „Letzten Monat bekam ich einen Anruf aus der Chefetage. Die sind nicht erfreut darüber, dass ich einen wie dich engagiert habe.“

„Einen wie mich?“

„Ja, einen Außenstehenden. Einen normalen Bürger, der das Ganze nicht verkraften könnte. Ich musste ihnen versichern, dich nicht mit in die Ermittlungen einzubeziehen. Du dürftest rein theoretisch nicht einmal die Akten ordnen, weil du so einen freien Zugriff auf sensible Daten bekämst. Verstehst du, Chris? Ich komme da in Schwierigkeiten.“

„Was sollte ich nicht verkraften? Ich verkrafte so einiges“, log er übermütig. „Ich verrate auch niemandem etwas. Selbstverständlich bleibt alles hier in der Detektei. Aber manchmal ist es wichtig, seine Gedanken mit jemandem zu teilen, um mal einen anderen Blickwinkel zu bekommen.“

Holger nickte stumm. Er verzog den Mund zu einem Lächeln, das Chris bisher noch nicht bei ihm gesehen hatte und deshalb nicht einzuordnen wusste.

„Du erinnerst mich daran, wie ich in deinem Alter war. Also, hör zu!“ Er setzte sich auf. Chris’ Herzschlag erhöhte sich abermals. „In der einen Akte geht es um insgesamt fünf Fälle, bei denen fünf junge Mädchen verschwanden. Spurlos. Sie verschwanden in einem Zeitraum von sechs Jahren, zwischen 2003 und 2009. Es wurden keine Leichen gefunden; niemand stellte Forderungen. Von einem Tag auf den anderen waren sie verschwunden, tauchten nie wieder auf.“

Holger machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr.

„Was mir zunächst auffiel: Je länger die Meldungen der Vermissten zurückreichen, umso jünger werden die Opfer. Das erste Opfer war zwölf, das zweite vierzehn. Sie verschwanden in den Jahren 2003 und 2004. Zwei Jahre später, 2006, verschwand – ich meine, sie hieß Marie – im Alter von sechzehn Jahren. Die letzten beiden Mädchen, beziehungsweise jungen Frauen, verschwanden 2008 und ein halbes Jahr darauf, Anfang ’09. Die erste war siebzehn, die andere neunzehn Jahre alt.“

Wieder machte Holger eine Pause. Diesmal eine längere.

„Was verrät uns das, Chris?“

Er hatte aufmerksam zugehört, wusste aber nicht, worauf er aus diesen Informationen schließen sollte. „Ich weiß nicht. Das Alter ist dem Entführer egal?“

„Nein, nein. Das Alter steigt mit den Jahren“, stellte Holger richtig.

„Das habe ich schon verstanden.“ Chris klang ein wenig eingeschnappt.

„Was verrät uns das Verhältnis, in dem das Alter der Opfer steigt?“

Bevor er antwortete, dachte Chris diesmal gründlicher nach.

„Hat sich der Geschmack des Täters verändert?“

Holger nickte: „Verändert – ja, aber das ist doch normal, oder nicht?“ Er lächelte. Offensichtlich hatte er Spaß.

Chris fand auch immer mehr Gefallen daran.

„Was sagt es uns noch?“

Chris dachte weiter nach. „Dass der Täter den Kreis geändert hat, aus dem er seine Opfer aussucht?“

„Ja, klar, aber warum?“

Chris schüttelte resigniert den Kopf. „Ich weiß nicht, worauf du hinaus willst, Holger.“

„Der Täter sucht sich Opfer in seinem Alter aus.“ Mehr sagte er nicht.

„Es ist immer die gleiche Person?“

„Ganz recht. Ein Serienkiller. Der Jäger.“

Pause.

„Der Jäger?“

„Für die Mordkommission ist „der Jäger“ ein Phantom, da er ungeschoren morden kann. Letztes Jahr brachte er zwei Frauen in einem Waldstück im Norden der Stadt um. Er schneidet den Opfern die Hälse durch, wahrscheinlich mit einem Jagdmesser. Anschließend zieht er sie aus und sticht wie ein Irrer auf die Leblosen ein. Die Stichverletzungen wurden post mortem beigefügt, nach dem Eintreten des Todes. Wie dem auch sei …“, kürzte Holger seine Ausschweifungen ab, „dieser Fall müsste mir gehören und stattdessen bekomme ich die alten Fälle. Die, bei denen die Kollegen nicht weiterkommen. Aber ich glaube, genau hier ist ihnen ein Fehler unterlaufen.“

Chris schaute ihn verwirrt an. „Wieso ein Fehler? Was hat der Jäger mit den Vermisstenfällen oder der Brandstiftung zu tun?“

„Etwas sagt mir, dass die fünf Mädchen die ersten Opfer des Jägers sind. Wenn ich damit recht behalten sollte … wenn meine Vermutungen stimmen, und nichts sagt mir, dass ich falsch damit liege, werde ich schon bald den Fall des Jägers auf meinem Tisch liegen haben!“ Er klopfte dreimal mit der flachen Hand auf die Tischplatte.

In Holgers Augen war ganz kurz ein Leuchten zu sehen. „Ja, mit dem Brandfall hat der Jäger auch was zu tun, aber das wird jetzt zu viel. Verstehst du?“

„Falls deine Vermutung richtig ist, warum sollte das niemand vor dir erkannt haben?“ Chris konnte seine Neugier nicht mehr verbergen.

„Ich denke, die Kollegen der Mordkommission haben es übersehen, weil ihnen die Organisation im Weg steht. Weißt du, ein Vermisster wird von einer anderen Abteilung gesucht. Und ohne Leiche ist es nur schwer, einen Mord nachzuweisen. Durch die Zuordnung zu einer anderen Stelle haben sie so den Überblick verloren. Ich glaube, dass ihnen deshalb bei den Vermisstenfällen ein Fehler unterlaufen ist.“

Holger holte tief Luft. „Ich sehe die Möglichkeit, dass mir der wichtigste Fall seit Langem zugeteilt wird. Fortan darf absolut nichts schiefgehen. Dieser Fall muss mir gehören. Aber bevor ich das nicht beweisen kann, darf kein Wort dieses Büro verlassen.“ Er sah Chris mit zusammengezogenen Brauen an und der nickte eingeschüchtert. „Glaub mir, Chris! Wir holen uns den Jäger!“

06|In der folgenden Woche erfuhr Chris noch ein wenig mehr über den Jäger. Wenn Holger mit seinen Vermutungen recht behalten sollte, war er an etwas Großem dran. Mit den drei Mordfällen, die offiziell dem Jäger zugeschrieben wurden, wären es acht Morde, die auf das Konto dieses Serienkillers gehen würden. Einer weniger als bei den berühmt-berüchtigten Wattmorden.

Chris war damit beschäftigt die Dokumente aus dem Archiv, Akte für Akte, in eine digitale Datenbank einzugeben. Das war seine Idee gewesen. So würde Holger später schnell und zuverlässig auf alle Daten zugreifen können, ohne jedes Mal aufstehen beziehungsweise seinen Assistenten losschicken zu müssen. Ihm musste es nur gelingen, dem Technikmuffel Holger den Umgang mit der Datenbank zu lehren. Als er die zweite Fallakte digitalisiert hatte, schepperte die Türklingel. Es war ein fürchterlich schriller Ton, der an ein altes Telefon erinnerte. Er war jedoch erheblich lauter, weshalb er durch Mark und Bein ging.

„Machst du auf?“ Was nach einer Frage klang, war eine höfliche Aufforderung, der Chris umgehend nachkam. Er betätigte den Türsummer.

Der funktioniert ja nicht, schoss es ihm durch den Kopf. Chris öffnete die Tür, um in den Hausflur zu horchen. Als er jemanden die Treppe hinaufgehen hörte, lehnte er die Wohnungstür an und kehrte an seinen Platz zurück, um sich die nächste Akte vorzunehmen.

Zum Glück muss ich nicht hinunterlaufen!, freute er sich.

„Ob das mein erster Mandant ist?“, mutmaßte Holger.

Christian zuckte mit den Schultern. „Wenn du niemanden erwartest? Wer sollte es sonst sein? Andererseits ist deine Detektei noch nicht bekannt, sie hat ja nicht ma’ eine Internetseite.“

„Das ist deine Aufgabe!“ Während Holger dies sagte, dabei auf Chris deutete und sich aus seinem Stuhl erhob, trat der Besuch ein. Die Dielenbretter knarrten und Holger warf einen Blick um die Ecke in den Hausflur.

„Verdammt!“, fluchte er mit gepressten Lippen und nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz.

Chris warf seinem Chef einen fragenden Blick zu, doch dieser schüttelte abweisend den Kopf.

„Kuhn? Privatermittler Kuhn!“ Der Mann, der das Büro betrat, war etwa zehn Jahre älter als Holger. Er hatte graues und, auf den ersten Blick, dichtes Haar. Seinen Blick richtete er starr auf den nervös wirkenden Holger. Von Chris hatte er keine Notiz genommen.

„Was treibt dich in meine bescheidene Detektei?“, fragte Holger. Er stand auf und reichte dem Mann seine Hand über den Tisch, während er sich mit der anderen darauf abstützte.

„Bescheiden, das hast du schön umschrieben. Das ist ein Loch, wenn du mich fragst.“ Erst jetzt sah sich der elegant Gekleidete bewusst im Raum um. Erst an die Decke, dann zu den Fenstern. Zuletzt begutachtete er die Wände, von denen sich der Putz löste. Als er Chris hinter dem Schreibtisch entdeckte, der automatisch im Stuhl versank und hoffte, hinter dem Monitor verschwinden zu können, drehte sich der Mann rasch zu Holger um.

„Ich habe einige Dinge mit dir zu besprechen, können wir dazu in dein Büro gehen?“

„Das hier ist mein Büro, Bäcker“, betonte Holger.

Herr Bäcker sagte nichts mehr. Den Blick, den er Holger zuwarf, konnte Chris zwar nicht sehen, dafür aber das Kopfnicken, das in seine Richtung ging.

Holger nahm die auf dem Schreibtisch verteilten Blätter und klopfte sie zu einem Stoß zusammen. Er legte den Papierstapel auf die beiden Fallakten und streckte alles am Monitor vorbei über den Tisch.

„Chris, bringst du das mal ins Archiv? Und danach setz doch bitte einen Kaffee auf, ja? Danke.“

Sein Assistent stand auf, schnappte sich die Papiere und verließ das Büro, ohne den Blick mit Herrn Bäcker zu kreuzen. Die Tür zum Archiv zog Chris hinter sich ran, lehnte sie aber nur an. Er legte die Papiere auf den Schrank direkt neben der Tür. Ihm war klar, dass er sie nicht wegordnen sollte. Direkt nach Herrn Bäckers Verschwinden, würde Holger die Akten zurückverlangen. Chris stützte sich mit seinem Arm am Aktenschrank ab und lauschte dem Gespräch im Nebenraum.

„Was ist mit den Fällen, die wir dir überlassen haben? Hast du dich einarbeiten können?“

„Soll das ein Witz sein? Das sind uralte Fälle! Bei euch sind sie in den Kellerräumen verstaubt! Alle Jubeljahre hättet ihr sie hervorgeholt, um sie letztendlich doch wieder zu den anderen Karteileichen zu legen.“

„Wir müssen uns sicher sein, dass du der Richtige bist. Noch hast du keine Genehmigung, um an Mordfällen zu ermitteln. Du weißt, wie wichtig das für die Statistik ist, wenn alte Fälle voran gebracht werden.“

„Statistiken!“, rief Holger aus. „Was interessieren mich Statistiken?“

„Die dort oben interessieren sich dafür! Und nur mit deren Wohlwollen wirst du die Genehmigung zur Ermittlung bei Tötungsdelikten bekommen. Du kommst um diese Arbeit nicht herum, Holger!“

„Und das ist eine Unverschämtheit. Warum soll ich mich mit eurem Müll beschäftigen? Das ist Zeitverschwendung!“

„Holger, wenn du nicht einmal die alten Fälle wiederbeleben kannst, wird dir die Regierung wohl kaum einen Freischein für Mordermittlungen gewähren. Ich gebe das nur weiter. Entscheiden werden das andere. Sieh es als Prüfung. Du hattest es in deiner Laufbahn schon mit allem Möglichen zu tun. Bisher hast du doch noch jedes Mal eine Lösung gefunden. Da sollten diese Fälle ein Leichtes für dich sein.“

Mit Schmeicheleien kam Herr Bäcker bei dem altgedienten Ermittler nicht weit. „Ich habe mich etliche Male unter Beweis gestellt. Für Spielchen mit der Chefetage habe ich keine Zeit. Deshalb habe ich mich gegen die Arbeit auf dem Revier entschieden! Mann, Bäcker!“ Holger schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte.

„In einem zehn Jahre alten Fall habe auch ich nicht innerhalb weniger Wochen einen Durchbruch. Ich muss doch erst mal alles zum Laufen bekommen.“

„Das bringt mich zu einem weiteren Punkt“, lenkte Herr Bäcker auf ein anderes Thema. „Dein Assistent – wir haben schon am Telefon darüber gesprochen.“

„Soll ich alles alleine machen?“, fuhr Holger dazwischen, der sich gerade erst in Rage zu reden schien.

„Natürlich nicht, doch sind wir mit deiner Wahl alles andere als zufrieden.“

Christian spitzte die Ohren und hielt die Luft an. Das Folgende wollte er um keinen Preis verpassen.

„Was hat es euch zu interessieren, mit wem ich zusammenarbeite? Das ist ganz allein meine Entscheidung! Ohne die richtigen Leute kann ich nicht ermitteln. Wenn das Budget erhöht wird, brauche ich sogar noch eine Sekretärin. Wollt ihr mich dann auch wieder auf den Pott setzen? Ich sage es gern noch mal, Bäcker, diese Spielchen sind bei mir nicht drin.“

„Beruhige dich, Holger, du kannst arbeiten, mit wem du willst, doch gibt es da etwas, was du über deinen Assistenten vermutlich nicht weißt.“

Ruhe. Herr Bäcker wusste Spannung zu erzeugen.

„Na, nun rück’ raus mit der Sprache!“, drängte Holger im gelassenen Ton.

„Er ist vorbestraft.“

Diese Worte schnürten Chris die Kehle zu. Sein Kopf wurde heiß. Dass ihm diese Geschichte noch einmal begegnen würde, hätte er eigentlich kommen sehen müssen. Der neue Job würde noch heute zu Ende sein, darüber war er sich im Klaren. Er schluckte schwer und ging mit dem Ohr etwas dichter an den Türspalt heran.

„Muss ich dir jetzt jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen? Sag mir, was er angestellt hat!“

„Es ist schon eine Weile her.“

Über elf Jahre, dachte Chris.

„Er war nicht allein daran beteiligt. Zusammen mit zwei Freunden haben sie sich in einen Rechner der Polizei in Berlin gehackt. Alle Täter waren minderjährig, deshalb ging es glimpflich für sie aus.“

„Ist das ein Scherz?“, fragte Holger monoton.

„Er ist ein Krimineller, Holger, mit so jemandem kannst du nicht zusammenarbeiten wollen.“

„Er hat sich in die Computer der Polizei gehackt?“

„Ganz recht, und das als Teenager!“, bestätigte Herr Bäcker prompt.

„Was willst du dann von mir? Wegen diesem Talent habe ich ihn engagiert, und wer von uns hat sich nicht schon mal daneben benommen? Das ist Jahre her und außerdem war er zu dem Zeitpunkt minderjährig – was soll’s?“

„Er hat sich nicht nur daneben benommen, Holger, da sind kriminelle Energien vorhanden! Er hat das zusammen mit Freunden geplant und sie sind bei der Ausführung hochprofessionell vorgegangen. Außerdem scheint es so, als sei „er“ der Drahtzieher gewesen. Es war sein Wissen, das zum Erfolg geführt hat. Dein Assistent ist kein unbeschriebenes Blatt, Holger.“

„Schluss jetzt, was gibt es noch? Ich darf nicht an Morden ermitteln; derzeit bin ich nur euer Mülleimer; ihr habt ein Problem mit meinem Assistenten…“, zählte Holger auf. „Hab ich etwas vergessen? Hast du noch etwas? Wollt ihr mich als Verkehrspolizisten ausleihen oder soll ich mal eure Kellerräume durchwischen?“

„Holger, es reicht!“ Herr Bäcker erhob die Stimme. „Du bist nicht mehr auf dem Revier, das heißt aber noch lange nicht, dass du so mit mir reden kannst.“ Er schwieg kurz, schien sich zu sammeln und den Puls herunterzufahren. „Es sind nicht meine Entscheidungen“, versuchte er zu erklären, doch er wurde umgehend von seinem ehemaligen Untergebenen unterbrochen.

„Ja, ich weiß, du gibst das nur weiter.“ Holger seufzte. „Also, war’s das jetzt?“

Eine Weile herrschte Ruhe. Chris schnappte sich die Akten und stahl sich unauffällig in die Küche. Dazu verließ er das Archiv durch die Tür zum Flur. Die Küche lag gleich auf der gegenüberliegenden Seite und so kam er dort ungesehen an. Während er Kaffeepulver in den wiederverwendbaren Filter der Maschine schüttete, hörte er, wie sich der Besucher verabschiedete.

„Denke über meine Worte nach und begehe keinen Fehler!“, appellierte Herr Bäcker zum Abschied. Der Privatermittler brummte etwas und schloss die Wohnungstür hinter ihm.

„Der Kaffee läuft jetzt durch, Chef“, sagte Chris, zurück im Büro.

„Ich muss mit dir reden.“ Holger deutete auf den Platz seines Assistenten. Chris kam der Bitte nach und setzte sich auf den Stuhl.

Scheiße!, war alles, was ihm in diesem Augenblick durch den Kopf ging. 

07|In einer verkürzten Version gab Holger all das wieder, was ihm der „Erste Kriminalhauptkommissar Rolf Bäcker“ zuvor mitgeteilt hatte. Dass Chris gelauscht hatte, traute er sich nicht zuzugeben. Bereits jetzt bangte er um seine Arbeit.

„Ich hätte dir das sagen müssen, Chef. Mir hätte klar sein müssen, dass so etwas überprüft wird, wenn man für die Polizei oder eben für einen Mann wie dich arbeitet. Ich habe darüber nicht wirklich nachgedacht.“

Holger hob die Hand und würgte weitere Erklärungen ab.

„Hör zu, Chris. Die Geschichte ist durch und mich interessiert das nicht. Mir ist wichtig, dass du jetzt keine Scheiße mehr baust. Mir ist es wichtig, dass ich mich zu einhundert Prozent auf dich verlassen kann. Hacke dich nirgendwo rein, rede über nichts, was du hier erfährst, und sag mir von nun an alles, was ich wissen muss. Ausnahmslos!“

Mehr hatte sein Chef zu diesem Thema nicht zu sagen. Er ließ sich noch eine Weile über die Schwachköpfe der Chefetage aus. Erst, als Chris ihm einen vollen Kaffeebecher auf den Tisch stellte, hatte er sich genug Luft gemacht. Zum Trinken lehnte er sich in seinem Stuhl zurück.

„Ich glaube“, begann Holger aus heiterem Himmel, Chris in seine Gedanken mit einzubeziehen, „dass der Fall mit der Brandstiftung eine schiefgelaufene Beweismittelvernichtung war. Der Täter wollte nicht das Haus in Brand setzen. Er ist kein Pyromane. Das hatte andere Gründe.“

„Wie kommst du darauf?“ Chris war erfreut, dass er nach wie vor das Vertrauen von Holger Kuhn genoss. Er schrieb am Script zur künftigen Internetseite der Detektei Kuhn, daher speicherte er schnell die HTML-Datei ab bevor er sich Holger zuwandte.

„Das Feuer wurde im Keller eines Hauses gelegt, in einem Bereich, der frei zugänglich für jedermann ist. Es konnte nachgewiesen werden, dass es sich bei dem Material, das verbrannt wurde, um Stoff handelte. Die Farbe oder welche Stoffstücke das waren, konnte man den Überresten leider nicht entnehmen.“ Holger machte eine kurze Pause. „Ich bin mir nicht sicher, gut möglich, dass ich mich irre …“

Chris holte Luft, setzte an, um etwas zu sagen, aber Holger war noch nicht fertig.

„Doch kommen wir noch mal unseren letzten Überlegungen.“ Holger Kuhn wechselte so schnell das Thema, dass Chris erst lernen musste, den Gedankengängen seines Chefs auch folgen zu können.

„Vor Kurzem haben wir darüber gesprochen, dass das Alter der Opfer in einem ähnlichen Verhältnis wie die Jahreszahlen steigt.“

Chris nickte zustimmend.

„Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass sich der Täter Opfer in seinem Alter aussucht – plus minus zwei oder drei Jahre. Mitunter vergehen zwei Jahre, bevor er wieder zuschlägt. Warum?“

„Er will, dass Gras über die Sache wächst“, antwortete Chris, diesmal recht schnell.

„Richtig. Und was verrät uns das über den Täter?“

„Dass er Angst hat?“

„Nein. Er ist eiskalt. Wenn diese fünf Fälle wirklich dem Jäger zugeschrieben werden können, haben wir es mit einem brutalen Serienmörder zu tun. Er wartet so lange, weil er ganz genau weiß, was er tut. Ihm gelingt es, seinen Trieb eine gewisse Zeit lang zu kontrollieren. Es muss ihm möglich sein, effektiv zwischen dem Jäger und dem Privatmenschen zu unterscheiden. Er scheint nichts durcheinanderzubringen. Wenn du mich fragst, mordet er nur dann, wenn er nicht mehr anders kann. Dann, wenn der Druck zu groß ist, oder dann, wenn er sich sicher fühlt. Das sind die Bedingungen. Außerdem vermute ich, dass er ein charmantes Auftreten hat, das bei den Frauen gut ankommt. Es traf ausschließlich junge, hübsche Mädchen und Frauen. Wir werden ihm diese Entführungen erst dann zuschreiben können, wenn wir die Opfer gefunden haben! Nach all den Jahren sind die Chancen gleich null, sie lebend zu finden. Doch wo sind die Leichen? Was hat er bei den ersten fünf Opfern besser gemacht als bei den letzten beiden?“

Holger erwartete keine Antworten auf all die Fragen. Er musste sich lediglich mitteilen und Chris war ein aufmerksamer Zuhörer.

„Durch die zwei jüngsten Fälle, über die ich nicht genug weiß, geht hervor, dass die jeweiligen Opfer nicht weit entfernt von ihrem Zuhause starben. In welchem Zusammenhang stehen sie mit dem Jäger? Woher kennen sich Täter und Opfer? Befragungen und Untersuchungen im direkten Umfeld der Opfer konnten die Ermittlungen bislang nicht voranbringen. Es wurden keine Fingerabdrücke oder DNA-Spuren an den Leichen gefunden. Uns bleiben also nur die Verletzungen zum Vergleich. Und sollten wir eines der Mädchen finden und es einem Mord zum Opfer gefallen sein, dann wird uns nur ein Skelett zur Verfügung stehen.“

Holger faltete die Hände. Die Zeigefinger streckte er aus und presste sie sich an die Lippen. Von dort an schwieg er. Er dachte nach. Da es nicht so aussah, als ginge das Gespräch weiter, wandte sich Chris wieder seinem Script zu.

Draußen war es bereits dunkel, als Holger wieder ins Gespräch einstieg. „Wenn ich eines der Opfer finde und eine Verbindung zum Jäger herstellen kann, dann müssen sie mir den Fall übergeben!“

Chris war müde. Er hatte den ganzen Tag an den Textdateien der Internetseite programmiert und lud sie gerade auf einen Server.

„Warum klammerst du dich so daran? Lass mich die Sachen kopieren, abheften und zu den Akten legen. Nimm dir für’s Erste einen der anderen Fälle vor. Mach die Bosse zufrieden!“

„Du verstehst mich nicht, Chris. Ich hab es – wie man so schön sagt – im Urin, dass es sich bei den Vermisstenfällen um die frühen Taten des Jägers handelt. Er ist zu gut, begeht zu wenig Fehler. Dieses Können hat er nicht durch zwei Morde erlangt. Gravierende Fehler hat er während seiner frühen Taten begangen, bei den Taten, von denen noch niemand etwas weiß!“

„Aber dann war er damals ja besser als heute. Demnach hat er fünfmal den perfekten Mord begangen“, gab Chris zu bedenken.

„Es fehlen die Leichen, ein sehr wichtiges Beweismittel, das gebe ich zu. Doch wurden die beiden Frauen aus Hamburg nicht gefunden, weil er geschlampt hat, nein! Ich glaube – nein, ich bin der festen Überzeugung –, dass er wollte, dass die Toten gefunden werden.“

„Warum sollte er das wollen?“ Chris fiel es schwer, sich in die Gedanken eines Mörders zu begeben. Natürlich hatte er schon mal jemanden mit Todesflüchen belegt, aber niemals ernsthaft über ein solches Vorhaben nachgedacht. Holger schien in diesen Dingen weitaus geübter zu sein, und das, ohne ein schlechtes Gefühl dabei zu empfinden.

„Der Jäger kann morden, die Leichen zurücklassen, und muss nicht mal befürchten, geschnappt zu werden. Er weiß, wie man tötet und anschließend seine Spuren verwischt. So was kann man nicht einfach so. Diese Vorgehensweise hat er sich angeeignet. Wenn wir davon ausgehen, dass sich der Jäger in seiner Jugend im Morden erprobt hat, dann wird er zu dieser Zeit die meisten Fehler gemacht haben. Vielleicht hat er eines der Mädchen, alle fünf oder noch mehr auf dem Gewissen.“

„Wo sind dann die Leichen?“

„So unerfahren er einst auch gewesen sein mag“, führte Holger weiter aus, „davon, sich einer Leiche zu entledigen, hatte er schon immer was verstanden.“

„Ich verstehe aber immer noch nicht, warum er sie plötzlich nicht mehr … entsorgt.“ Das letzte Wort kam nur zögerlich über Chris’ Lippen.

„Weil er, wie du so treffend gesagt hast, mehrfach den perfekten Mord begangen hat. Jedenfalls denkt er das. Es wird für ihn nicht länger befriedigend sein, seine Opfer nur zu töten. Er will, dass alle wissen, was diesen Frauen zugestoßen ist. Ihm ist wichtig, dass in der Öffentlichkeit von Morden und nicht von Vermissten geredet wird.“

„Das ist doch krank!“

„Wir haben es hier mit einem Serienkiller zu tun, vergiss das niemals!“

„Gut. Sagen wir, die fünf Mädchen wurden umgebracht, und des Weiteren gehen wir davon aus, dass irgendwelche Überreste gefunden werden können und alles dem Jäger zugeschrieben werden kann. Was hast „Du“ davon? Dann sind es doch keine Vermisstenfälle mehr, sondern Morde, und an denen darfst du ja noch nicht ermitteln.“

„Wenn durch meine Ermittlung aus fünf Vermisstenfällen fünf Morde werden sollten, dürfte das Beweis genug sein, dass ich der Richtige für den Sonderstatus bin.“

„Aber du musst es nicht jetzt gleich lösen!“ Chris rieb sich die müden Lider. „Außerdem verstehe ich das mit dem Sonderstatus irgendwie nicht.“

„Was gibt es da nicht zu verstehen?“, fuhr Holger seinen Assistenten barsch an. „Ohne den habe ich momentan nicht mehr Rechte als ein gewöhnlicher Privatdetektiv. Es gefällt nicht jedem, dass ich an die Arbeit der Mordkommission ’ran will.

Chris hatte nicht den blassesten Schimmer, was Holger damit meinte, aber er war zu müde, um weiter zu diskutieren.

„Niemand hetzt dich! Kümmere dich doch erst um die kleineren Delikte. Wie hast du dich ausgedrückt? Du bist jetzt der Mülleimer vom Revier oder so ähnlich? Die haben dir diese Fälle überlassen; sie gehen nicht davon aus, dass sie etwas mit den Morden zu tun haben. Du kannst dich also in aller Ruhe einem der anderen Fälle widmen, den Kopf freibekommen.“ Chris speicherte seine Arbeit ab.

„Die Internetseite ist online“, verkündete er. „Ich habe dir den Link per E-Mail gesendet.“ Er fuhr den Rechner hinunter und erhob sich. „Ich bin k.o., Chef. Werde mich auf den Heimweg machen.“

„Du hast zugehört!“

Verwundert blickte Chris seinem Chef in die dunkelgrünen Augen. Er verstand nur Bahnhof.