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Die Bestie lebt unter uns Ein nackter Körper, die Kehle von Bissen zerfetzt: Der Tod eines Familienvaters löst im Spreewald eine Welle der Angst aus. Ist es die Tat eines Wolfs oder eines bestialischen Mörders? Die örtliche Polizei steht unter Druck und fordert die Hilfe der Fallanalytiker-Sondereinheit um Nova Winter an. Sehr zum Leidwesen des jungen Kommissars Felix Remus, der am liebsten allein im Rampenlicht der Ermittlungen stehen würde. Als ein zweites Opfer auftaucht, führt die Spur zu einem Mann, der wegen Totschlags an seiner Freundin vor Gericht stand – und freigesprochen wurde. Das explosive Ermittler-Duo muss zusammenfinden, bevor der Jäger ein weiteres Mal zuschlägt … Der neue brutale und blutige Thriller von Svenja Diel
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Der Jäger
SVENJA DIEL, Jahrgang 1985, ist in Aschaffenburg aufgewachsen. In ihren Thrillern erschafft sie komplexe Charaktere, die einem so nahekommen, dass man sie nicht mehr loslassen will. Sie lebt und arbeitet in Köln, wo sie unter anderem für eine bekannte deutsche TV-Serie schreibt.
Die Angst vor Wölfen ist groß, aber deine Angst vor Menschen sollte größer seinEin nackter Körper, die Kehle von Bissen zerfetzt: Der Tod eines Familienvaters löst im Spreewald eine Welle der Angst aus. Ist es die Tat eines Wolfs oder eines bestialischen Mörders? Die örtliche Polizei steht unter Druck und fordert die Hilfe der Fallanalytiker-Sondereinheit um Nova Winter an. Sehr zum Leidwesen des jungen Kommissars Felix Remus, der am liebsten allein im Rampenlicht der Ermittlungen stehen würde. Als ein zweites Opfer auftaucht, führt die Spur zu einem Mann, der wegen Totschlags an seiner Freundin vor Gericht stand – und freigesprochen wurde. Das explosive Ermittler-Duo muss zusammenfinden, bevor der Jäger ein weiteres Mal zuschlägt …
Svenja Diel
Thriller
Ullstein
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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Januar 2025© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2025Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Umschlaggestaltung: Cornelia Niere, MünchenTitelabbildung: 123rf / © we3yanieFoto der Autorin: © Christoph KronsederE-Book-Konvertierung powered by pepyrusISBN: 978-3-8437-3288-8
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Das Buch
Titelseite
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80
Kapitel 81
Kapitel 82
Kapitel 83
Kapitel 84
Kapitel 85
Kapitel 86
Kapitel 87
Kapitel 88
Kapitel 89
Kapitel 90
Kapitel 91
Kapitel 92
Kapitel 93
Kapitel 94
Kapitel 95
Kapitel 96
Kapitel 97
Kapitel 98
Leseprobe: Der Mentor
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Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Kapitel 1
Der Wasserstrahl trifft mich eiskalt im Nacken.
Shit.
Ich reiße die Augen auf. Mein Herz macht einen gewaltigen Sprung, doch ich bleibe regungslos stehen.
Jetzt wie ein Hühnchen zur Seite zu hüpfen und zu warten, bis das Wasser warm wird, da kann ich mich den anderen gleich zum Fraß vorwerfen. Außerdem werde ich mich schnell daran gewöhnen. Es ist ja nicht meine erste kalte Dusche.
Ich löse mich aus der Starre und drehe mich unter dem Wasserstrahl rasch einmal um die eigene Achse, bis ich komplett abgebraust bin.
Wenn ich mich schon nicht unsichtbar machen kann, muss ich mich wenigstens beeilen.
Um mich herum schreien meine Klassenkameraden gegen das laufende Wasser an, lachen, reden durcheinander, schubsen sich. In der Gemeinschaftsdusche der Grundschule steht der Dampf bis unter die Decke. Sechs Duschen für zwanzig Jungs. Die meisten sind schon durch und in der Umkleide.
Also, nur kurz einseifen und dann raus, schnell Klamotten anziehen und in die Pause, um hier nicht länger zu bleiben als unbedingt nötig.
»Hey!«, die Stimme unseres Sportlehrers schneidet durch den Lärm. Er scannt den Raum, bis er an Sam hängen bleibt.
»Schneider! Badehose!«, befiehlt er und bleibt so lange, bis Sam unter den feixenden Blicken der anderen blankgezogen hat. Dann nickt er und deutet mit dem Zeigefinger auf Sam.
»Alles andere ist unhygienisch, also stellt euch nicht so an!«
Ich halte den Blick abgewandt, habe aber alles genau mitgeschnitten. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Carlos und Finn nur darauf warten, dass der Lehrer sich verzieht.
Dann reißt Finn Sam die Badehose aus der Hand und schleudert sie ihm klatschend ins Gesicht. Brüllendes Lachen flutet den Raum. Für einen Augenblick überlege ich, Sam zur Seite zu springen und irgendwas zu sagen, entscheide mich aber dagegen. Unauffällig bleiben, damit bin ich in den letzten Wochen am besten gefahren.
Ich drehe die Dusche aus.
Nicht mehr lang, dann sind Ferien, und ich kann die Tage im Wald verbringen. Danach nur noch drei Monate, bis ich die vierte Klasse geschafft habe. Ich werde auf eine Grundschule in Potsdam wechseln. Dort kennt mich keiner.
Ich schnappe mein Handtuch, schlinge es mir um den Körper und gehe in die Umkleide.
Im Grunde habe ich jederzeit mit dem gerechnet, was dann kommt. Aber dass es an diesem Tag und auf diese Art passieren würde … Für ein paar Sekunden bin ich sogar ehrlich irritiert, als ich meine Kleider nicht an ihrem Platz finde. Sind sie runtergerutscht? Ich sehe unter der Bank nach. Und dann dämmert es mir. Natürlich. Als ich mich umdrehe, trifft mein Blick den von Raffy.
»Wo sind meine Klamotten?«
Raffy grinst. Es ist immer er. Carlos und Finn sind zwar genauso ätzend, aber ohne ihn sind sie nichts.
»Weiß ich doch nicht«, sagt er und schlüpft in seine Jeans, die an den Oberschenkeln spannt. Er muss den Bauch einziehen, um den Hosenstall zu schließen.
»Ich mein’s ernst, rück die Klamotten raus!«
Ich hasse es, wie meine Stimme zittert.
Raffy legt den Kopf schief.
»Kann sein, dass ich da was im Klo hab schwimmen sehen.«
Und tatsächlich. Sie haben meine Hose und mein T-Shirt in die Toilette gestopft. Dass sie draufgepinkelt haben, kann ich riechen.
Als ich mit dem triefenden Bündel in die Umkleide zurückkehre, lachen die drei. Sie tragen mittlerweile alle ihre Jeans, sind aber noch oberkörperfrei. Ein paar Jungs, die damit genauso wenig zu tun haben wollen wie ich mit Sams Geschichte, verlassen den Raum.
»Viel Spaß mit Mogli«, sagt einer im Rausgehen.
Mogli, Waldwichtel, Heckenzwerg. Sie haben viele Namen für mich, sind sich aber in einer Sache einig: Ich bin komisch und passe nicht rein.
Ich spüre die Wut in mir aufsteigen wie Rauch, nachdem sich der erste Funke in Feuer verwandelt hat. Ich vermeide Blickkontakt, wringe Hose und T-Shirt über dem Waschbecken aus.
»Ach komm, jetzt sei nicht sauer!« Raffy tritt näher an mich heran. »In eurer Bretterbude im Wald, da gibt’s doch auch keine Waschmaschine.«
Ich versuche, ihn zu ignorieren, obwohl Raffy mittlerweile so dicht neben mir steht, dass ich seinen Zwiebel-Atem riechen kann.
»Wehr dich!«, hat mein Onkel nach der letzten Aktion gesagt. Nachdem sie mir auf dem Nachhauseweg aufgelauert, mich verprügelt und mir mein Fahrrad geklaut haben.
Dagegen ist das hier doch harmlos. Trotzdem.
Wenn ich in nassen Klamotten nach Hause komme …
Wehr dich!
Neben mir wird Raffy ungeduldig.
»Ignorierst du mich jetzt, oder hat’s dir einfach nur die Sprache verschlagen?«
Ich schaue Raffy ins Gesicht. Unter seiner glänzenden Stirn leuchten seine Augen angriffslustig, und seine Wangen glühen. Eine Etage tiefer pumpt seine Faust.
»Schon okay, kein Problem«, antworte ich. Ich wringe die Jeans ein letztes Mal aus und versuche hineinzuschlüpfen. Was sich schwieriger gestaltet als gedacht, weil der feuchte Stoff an meinen Beinen klebt wie ein aufdringlicher Duschvorhang.
Finn und Carlos lachen, als ich strauchle und mit dem Po auf der Bank lande. Irgendwie schaffe ich es, mir die Hose hochzuziehen, und bücke mich nach meinen Schuhen. Aber Raffy lässt nicht locker.
»Was soll das heißen, kein Problem? Spinnst du? Schau dich doch mal an! Willst du so da rausgehen?« Er verzieht das Gesicht. »Puh, und du stinkst, Junge!«
Raffy will nach dem Bund meiner Jeans greifen, aber ich weiche aus. Die Stimmung kippt. Finn und Carlos kommen näher. Ich will meine Tasche schultern und gehen, aber die beiden stellen sich mir in den Weg. Ich kann mich nicht wieder schlagen lassen. Das ist keine Option. Mein Blick fliegt durch die Umkleide. Es ist niemand mehr da. Keiner, den ich bitten kann zu helfen. Auch wenn das ohnehin aussichtslos wäre. Und ich weiß, dass nichts, was ich noch sagen kann, die Jungs stoppen wird.
Raffy grinst.
»Und jetzt? Schreist du nach Papi?«
Kurze Pause. Seine Augen funkeln böse.
»Ach nee, warte … Der ist ja tot!«
Was als Nächstes geschieht, daran werde ich mich im Nachhinein nur noch wie durch den Wasserdampf in der Dusche erinnern. Zu meinem Onkel werde ich sagen, ich habe mich gewehrt.
Ich ziehe das kleine Jagdmesser, das mir mein Vater geschenkt hat, aus meinem Rucksack und mache einen schnellen Schritt auf Raffy zu. Die Klinge gleitet in seinen Bauch wie in ein warmes Stück Butter. Dann drehe ich sie mit einer raschen Bewegung um.
Raffy schreit wie ein Schwein. Als ich das Messer wieder rausziehe, quillt das Blut dickflüssig aus der Wunde.
Nach dieser Sache wird sich das mit Mogli erledigt haben. Die Kinder aus meiner Schule werden mir einen anderen, noch viel schlimmeren Namen geben und werden schließlich komplett aufhören, mit mir zu sprechen.
»Es war jemand da und hat nach dir gefragt, als du im Großmarkt warst. Ein Journalist.«
Simon Schönfeld blieb abrupt stehen und trat zu seiner Tochter auf die Koppel. Paula streckte sich, um Lila das Halfter anzulegen. Dann tätschelte sie der bildhübschen Schimmelstute den Hals.
»Ein Journalist? Was wollte er denn?« Simons Brustkorb hob und senkte sich schnell. Er hatte gerade seine abendliche Laufrunde begonnen, die ihn an der Pferdekoppel vorbeiführte. Nachdem die Temperaturen tagsüber an der Dreißig-Grad-Marke gekratzt hatten, war es endlich kühler geworden.
Paula kam mit Lila ein paar Schritte auf ihn zu.
»Er hat sich nach dem Vorfall mit den Wölfen erkundigt. Wollte wissen, wie es den Pferden geht.«
Der Angriff war jetzt fast vier Monate her.
»Er war ungefähr in deinem Alter, vielleicht ein bisschen jünger«, schob Paula hinterher. »Vielleicht ist in der Gegend wieder etwas passiert. Aber davon habe ich eigentlich nichts gehört.«
»Ich auch nicht. Die drei Schafe waren meiner Meinung nach der letzte Riss. Und das ist jetzt auch schon Wochen her.«
Simon überlegte.
»Und seinen Namen hat der Journalist nicht genannt?«
Paula schüttelte den Kopf. »Er hat nur gesagt, er erwischt dich schon noch. Dann ist er gegangen.«
Simon wurde flau im Magen. Irgendwas an dieser Geschichte stimmte nicht.
»Aber eigentlich ist es ja gut, wenn wieder über die Wolfsangriffe berichtet wird«, sagte Paula. »Die Leute müssen lernen, wie sie ihre Tiere schützen können. Und Papa, vielleicht denken wir auch noch mal über die Hunde nach. Ich hab manchmal ein komisches Gefühl, wenn ich in der Schule bin. Auch wenn es heißt, die Wölfe jagen nur nachts oder in der Dämmerung.«
»Hmm«, machte Simon. Er war längst in seine eigenen Gedanken abgetaucht.
Hatte jemand geredet? Er musste nachdenken.
»Du bringst heute die Pferde in den Stall, oder?«
Paula nickte. »Lila als Erstes. Mama kommt gleich noch und hilft.«
Simon drückte seiner Tochter einen Kuss auf die Wange und verabschiedete sich.
Seine Laufroute führte an der Koppel entlang, bis er auf den Weg stieß, der am Wald entlanglief. Von hier waren die zwei Wölfe gekommen, die Lila und Moritz angegriffen hatten.
Sie waren in die Koppel eingedrungen und hatten die Pferde umhergehetzt. Zum Glück war er vom panischen Wiehern aufgewacht und hatte so noch Schlimmeres verhindern können. Sein lautes Rufen hatte die Wölfe vertrieben. Er sah sie jetzt noch vor sich, wie sie unter dem Gatter wie geschmeidige Katzen hindurchgeschlüpft und in Richtung Wald davongetrottet waren.
Für Moritz war es trotzdem zu spät gewesen. Das Shetlandpony hatten sie am Bauch erwischt, und es war kurz darauf seinen schweren Verletzungen erlegen. Lila hatte eine Bisswunde am rechten Hinterlauf, die genäht wurde und die sie mit Antibiotika in den Griff bekamen. Zwei Tage später hatte sie ihre Fehlgeburt. Simon fand den kleinen Hengst im Morgengrauen in Lilas Box im Stroh. Sie war sechs Monate trächtig gewesen, und an dem winzigen Fohlen war bereits alles dran, was dazugehörte. Die Wolfsattacke hatte sein Leben beendet, bevor es richtig begonnen hatte.
Nach dem Riss hatten sie die Zäune verstärkt und brachten die Pferde nachts zur Sicherheit in den Stall. Auch wenn es für die Tiere viel schöner war, draußen zu schlafen. Vor allem im Sommer.
Simon hatte den ersten Kilometer zurückgelegt, als seine Gedanken zu dem Journalisten zurückwanderten. Wieso fragte er nach vier Monaten noch einmal nach? Womöglich arbeitete er an einem großen Artikel über die Wolfsangriffe. Aber etwas sagte ihm, dass es das nicht war. Vielleicht sprach seine Angst aus ihm. Vielleicht aber auch nicht. Er wurde das Gefühl nicht los, dass da etwas faul war. Der Mann hatte explizit nach ihm verlangt. Er sollte später ein paar Anrufe tätigen.
Simon zwang sich, einen Gang runterzuschalten. Er war so schnell unterwegs, dass sich seine Pulsuhr meldete. Achtung, Achtung. Du bist schon bei einhundertsiebzig Beats pro Minute.
Da hörte er Schritte hinter sich. Er drehte den Kopf. Wo kam der andere Jogger denn plötzlich her? Wie aus dem Nichts war er aufgetaucht. Und wer war das? Hier draußen kannten sich die Läufer untereinander. Aber diesen Mann hatte Simon noch nie gesehen.
Wieder dieses komische Gefühl im Bauch. Dreh um.
So ein Quatsch. Simon versuchte, den Gedanken abzuschütteln. Er würde sich seine ersehnte Abendrunde nicht nehmen lassen. Wahrscheinlich war es ein Tourist, der mit seiner Familie auf einem der umliegenden Ferienhöfe Urlaub machte.
Also lief er weiter. Gleich würde er rechts in den Wald abbiegen. Zweihundert Meter weiter geradeaus lag ein Parkplatz. Vermutlich würde der andere dorthin weiterlaufen.
Kam er näher? Simon warf einen Blick zurück. Der Mann war groß, bestimmt über eins achtzig. Er trug eine Jogginghose, die nicht allzu praktisch zum Joggen schien. Trotzdem hatte er ein gutes Tempo drauf, und seine Füße steckten in professionellen Laufschuhen. Den Blick hielt er gesenkt. Er hatte Stöpsel in den Ohren. Simon beschleunigte, um Abstand zu schaffen. Der Jogger fiel zurück. Als die Abzweigung in Sicht kam, zögerte er einen Moment, gab sich dann aber einen Ruck. Er zog nach rechts und lief in den Wald hinein. Genau wie der andere.
Jetzt hielt es Simon nicht mehr aus. Aus einem Impuls heraus blieb er stehen und drehte sich um. Um zu sehen, was passierte und auf die Gefahr hin, sich zum Idioten zu machen, wenn der Mann einfach an ihm vorbeilief. Aber er blieb ebenfalls stehen. Und starrte ihm ins Gesicht. Shit. Erst jetzt fiel Simon auf, dass sein Gesicht ganz weiß war. Wie angemalt.
Kalter Schweiß brach ihm aus.
»Hey, Mann, was wird das? Verfolgst du mich?«
Der Typ machte einen stummen Schritt auf ihn zu. Verdammt, was sollte das werden? Simon wich zurück.
»Ich, ich hab keine Wertsachen dabei oder so …«
Ein weiterer Schritt. Der Mann hielt den Blick auf ihn gerichtet und nahm jetzt die Stöpsel aus den Ohren. Wieso trug er weiße Handschuhe?
Der Wald lag still da.
Was sollte er tun?
Aber dann wurde ihm die Entscheidung abgenommen. Mit einem Mal sprintete der Jogger auf ihn zu. Simon rannte los. Erst den Weg entlang, weiter in den Wald hinein. Was dumm war, aber die einzige Möglichkeit, wenn er dem Wahnsinnigen nicht direkt in die Arme laufen wollte.
Scheiße, wieso hatte er das gemacht? Wieso war er nicht weiter zum Parkplatz gelaufen? Simon rannte, so schnell er konnte. Aber der andere hatte längere Beine und die Ausdauer eines Langstreckenläufers. Plötzlich eine Eingebung. Simon brach vom Weg aus ins Unterholz.
Wenn er einen Bogen schlug, würde er zurück aufs freie Feld gelangen. Wo Menschen mit Fahrrädern unterwegs waren und seine Nachbarn mit ihren Hunden spazieren gingen. Schnelle, kraftvolle Schritte hinter ihm. Äste knackten. Simon zog das Tempo an. Den am Boden liegenden Stamm sah er zu spät. Er blieb mit der Schuhspitze daran hängen und fiel. Im nächsten Moment packte ihn eine kräftige Hand am Knöchel, und dann wurde alles schwarz.
Als er langsam wieder zu sich kam, erinnerte er sich zuerst an den süßlichen Geruch in seiner Nase. Simons Kopf hing schwer nach vorn. Das Kinn streifte seine Brust. Unter Schmerzen schaffte er es, den Kopf zu heben. Dann traf ihn die Erinnerung wie ein Blitz. Der Jogger. Der Sturz. Der harte Griff um seinen Knöchel. Und dann war ihm ein Stück Stoff auf Mund und Nase gepresst worden.
Sein Körper wollte einen Satz machen, da schnitt ihm etwas ins Fleisch. Er war gefesselt. Simon brauchte einen Moment, um das Ausmaß zu erfassen. Er stand aufrecht, den Rücken an etwas gepresst, das sich anfühlte wie ein Pfahl. Knapp unter seinen Schultern führte ein erstes Seil eng geschnürt um seinen Körper. Seine Arme schlangen sich rückwärts um den Pfahl, und seine Hände waren ebenfalls gefesselt. Wahrscheinlich mit einem Kabelbinder.
Ein zweites Seil fixierte ihn auf Höhe der Hüfte, das dritte war um seine Oberschenkel geschlungen. Er war so stramm an den Pfahl gebunden, dass er sogar in bewusstlosem Zustand aufrecht gestanden hatte.
Simon musste schlucken. Seine Kehle war so trocken, dass sie brannte. Er hatte Durst. Jetzt, wo sich seine Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnt hatten, versuchte er zu erkennen, wo er sich überhaupt befand. Die Wände waren aus Beton, der Raum komplett leer. Es roch nach feuchter Erde und Laub. War er in einer Hütte im Wald? Er kannte das Gebiet gut und hatte trotzdem keine Ahnung, wohin er verschleppt worden war.
Erst jetzt fiel ihm auf, dass er zwar gefesselt war, aber keinen Knebel im Mund hatte. Waren sie unter der Erde? Wo ihn sowieso niemand hören konnte?
Simon drehte den Kopf. Versuchte, eine Tür auszumachen oder ein Fenster. Aber da war nichts. Und der Mann, der ihn hergebracht hatte – wo war er?
»Hallo?«, rief er. »Was soll das hier? Hallo?«
Es vergingen einige Minuten, ehe in seinem Rücken ein Lichtstrahl in den Raum drang. Dann hörte er zwei Schritte und eine Tür, die schwer ins Schloss fiel. Ein Klicken und der Raum wurde in schummriges Licht getaucht.
Simons Herz schlug bis zum Hals. Die Schritte kamen so nah, dass er den Atem des anderen hören konnte. Er stand hinter ihm.
»Was wollen Sie von mir? Was soll das werden?«
Simon bemühte sich, stark zu klingen.
Der Mann antwortete nicht. Er schien einfach abzuwarten. Simon suchte krampfhaft nach einer Strategie. Er war doch gut darin, andere zu überzeugen. Er musste einen Weg finden, hier rauszukommen. Was konnte er ihm anbieten? Simon ging nicht davon aus, dass es um Geld ging. Er war kein reicher Mann, seine Familie nicht wohlhabend. Das zu realisieren war noch viel beängstigender. Denn das konnte nur bedeuten, dass sein Entführer Schlimmeres mit ihm vorhatte.
»Hören Sie. Ich weiß nicht, was Sie vorhaben. Aber an dieser Stelle können wir es noch abbrechen. Ich habe Ihr Gesicht nicht erkannt. Ich kann der Polizei keine brauchbaren Hinweise geben. Lassen Sie mich gehen! Von mir aus verbinden Sie mir die Augen und schaffen mich irgendwo hin, wo ich gefunden werde.«
Hinter ihm dehnte sich das Schweigen aus.
Aber jetzt bewegte sich der Mann. Simon hörte Schritte. Eine Schranktür öffnete sich leise knarzend. Kleine Gegenstände, die über Holz geschoben wurden. Suchte er etwas?
»Ich würde Ihnen gern mehr bieten. Aber viel Geld habe ich nicht. Meine Familie betreibt den Ferienhof Schönfeld. Vielleicht kennen Sie ihn ja. Wir haben dreizehn Pferde, vier Esel und jede Menge Enten. Wir bieten Reiterferien an.«
Das Schweigen wurde lauter.
»Aber ich könnte Geld beschaffen. Mein Schwiegervater war Chefarzt in der Charité. Bitte.«
Hinter ihm klackerte es.
Simon versuchte, sich zusammenzureißen, aber seine Angst wuchs von Minute zu Minute. Er musste an Paula denken. Und an Katharina, seine Frau. Seine Brust zog sich zusammen.
»Lassen Sie mich einfach gehen, und wir vereinbaren einen Ablageort für das Geld.«
»Ich will dein Geld nicht.«
Die Stimme des Mannes klang sanft und so leise wie ein Flüstern. Simon erstarrte. Eine Gänsehaut kroch ihm in den Nacken. Er schluckte, obwohl es längst keinen Speichel mehr zu schlucken gab.
»Gibt es etwas anderes? Vielleicht kann ich Ihnen anders von Vorteil sein. Ich habe viele Kontakte.«
Simons Unterlippe zitterte.
»Bitte, lassen Sie mich gehen. Ich habe eine Tochter. Paula ist erst fünfzehn. Sie geht in die neunte Klasse und kümmert sich in ihrer Freizeit am liebsten um die Pferde. Sie ist ein tolles Mädchen. Bitte, Sie können ihr nicht ihren Vater wegnehmen.«
»Das habe nicht ich entschieden.«
Wieder nur ein Flüstern.
»Was soll das heißen? Wer denn dann? Hat das irgendjemand in Auftrag gegeben?«
Er konnte sich keinen Reim darauf machen.
»Du hast das entschieden. Du ganz allein.«
Simons Magen verknotete sich.
»Gleich wirst du es verstehen«, versprach das Flüstern.
Simons Gedanken begannen, wirr umherzuirren.
»Wo sind wir hier? Noch im Wald? Sie haben mich nicht geknebelt. Haben Sie keine Angst, dass mich jemand hört? Ich könnte schreien.«
»Oh, das wirst du. Darauf freuen wir uns schon den ganzen Tag.«
Wir. Er war also nicht allein. Simon hörte Schritte, und jetzt trat der Mann vor ihn.
Sein Gesicht war immer noch weiß. Nur erkannte Simon jetzt, dass das keine Farbe war. Es war eine Maske, die wie eine dünne Silikonschicht auf seinem Gesicht lag. Allein Augen und Mund waren ausgespart.
Die Augen des Mannes lagen tief und schimmerten in einem gelblichen Karamellton. Der harte Blick grub sich direkt in Simons Magen. Er hatte das Gefühl, als würde sein Herz jeden Moment stehen bleiben. Als würde dieser Mann ihm mit seinem Blick das Leben aussaugen. Simon atmete nur noch stoßweise.
Hier kam er nicht mehr lebend raus.
Etwas Warmes lief seine Beine hinunter, und dann stach ihm der Geruch von Urin in die Nase.
Der Mann sah ein paar Atemzüge dabei zu, wie sich Simons Laufhose dunkel färbte.
Dann schaute er ihm wieder ins Gesicht. Er stand einfach nur da. Noch eine ganze Weile. Oder vielleicht auch nur ein paar Sekunden.
Und dann passierte es.
Wie aus dem Nichts flog er auf ihn zu. Simon verstand noch nicht, was los war.
Bis er Zähne spürte, die sich in seine Kehle gruben. Er fing an zu schreien.
Der nächste Morgen
Paula war mit einem Schlag hellwach. Ihre Finger krallten sich ins Bettlaken, und sie schnappte mit hämmerndem Herzen nach Luft, als wäre sie zu lange unter Wasser gewesen. Sie brauchte einen Augenblick, bis sie verstand, dass alles gut war. Sie war zu Hause, saß in ihrem Bett, und es waren Ferien.
Langsam ließen ihre feuchten Hände das Laken los. Da kehrten schlagartig die Bilder des Albtraums zurück.
Sie stand nachts an der Koppel und konnte schon von Weitem sehen, wie die Wölfe aus dem Wald auf die Lichtung traten und auf das Grundstück eindrangen. Der Anblick ließ ihren Körper versteifen, und ihre Kehle wurde trocken.
Die Wölfe schlichen im Rudel und mit gesenkten Köpfen um die Koppel herum, bis einer den ersten Schritt machte und unter dem Zaun hindurch schlüpfte. Die Jagd begann. Sie hetzten Lila und kreisten sie ein. Bald schon griff der erste an, biss sich mit seinen scharfen Zähnen in ihr fest.
Die Stute wieherte laut. Ein panisches Schreien, das Paula wie eine Stricknadel ins Ohr stach und ihr durch den ganzen Körper fuhr. Lila trat aus, versuchte, den Wolf abzuschütteln, aber da kam schon der nächste. Er schlug seine Zähne in ihren Hinterlauf. Entschlossen, nicht wieder loszulassen, trotzte er all ihren kraftvollen Tritten.
Paula wollte schreien und die Wölfe vertreiben, so wie ihr Vater es getan hatte. Aber sie konnte sich nicht bewegen, war wie in ihrem Körper gefangen. Sie riss den Mund auf, stieß aber nur stummen Horror aus. Kein Ton, egal, wie sehr sie sich anstrengte.
Hilflos musste sie mit ansehen, wie ein dritter Wolf Lila umkreiste. Er war der Anführer, das erkannte Paula an seinem konzentrierten, stolzen Gang. Er kam, wenn seine Soldaten die Vorarbeit geleistet hatten. Mit einem gezielten, kräftigen Sprung attackierte er Lila und biss zu. Blut quoll aus der Wunde an Lilas Bauch. Trotzdem wehrte sie sich noch, versuchte, sich zu retten, wollte nicht sterben. Im letzten Moment, bevor sie aufgab, drehte sich die Stute noch einmal zu Paula um. Dann riss das Rudel ihr Pferd in Fetzen.
Alles nur ein Traum, sagte sich Paula jetzt. Auch wenn er Teile der Wirklichkeit enthielt. Sie atmete durch und ließ die Bilder los. Draußen war es um kurz vor sieben schon lange hell. Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster auf die alten Holzdielen ihres Zimmers. Obwohl Ferien waren, stand sie immer zeitig auf, um ihrem Vater beim Versorgen der Pferde zu helfen.
Eine Viertelstunde könnte sie trotzdem noch liegen bleiben … Paula ließ sich zurück in die Kissen sinken, da bemerkte sie das mulmige Gefühl in ihrem Bauch. Nicht wegen des Traums. Da war etwas anderes. Eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf flüsterte ihr zu, dass sie lieber nach Lila sehen sollten.
Hatte sie die Box richtig geschlossen?
Der Gedanke ließ Paula hochschrecken, und diesmal sprang sie aus dem Bett. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, ob sie den Riegel gestern wirklich umgelegt hatte. Weil es eine Aktion ist, die dir so in Fleisch und Blut übergangen ist, dass du sie gar nicht mehr bemerkst, sagte sie sich. Aber nachsehen musste sie trotzdem.
Rasch schlüpfte sie in ihre Jogginghose und lief die knarzende Holztreppe hinunter. Im Erdgeschoss roch es nach frischem Kaffee und dem Nusskuchen, den ihre Mutter für die Teezeit der Feriengäste am Nachmittag buk. Als sie in ihre Turnschuhe schlüpfte, steckte ihre Mutter den Kopf in die Diele.
»Hey, Pauli, schon wach? Alles okay?«
»Ja, ich will nur schnell nach Lila gucken.«
Da ihre Mutter die Stirn runzelte, fügte sie hinzu. »Ich hatte einen Albtraum, die Wölfe … Ich will nur sehen, dass es ihr gut geht.«
Die Gesichtszüge ihrer Mutter entspannten sich.
»Okay. Sag deinem Vater, in einer halben Stunde kann er frühstücken kommen.«
Da war Paula schon draußen. Sie überquerte den Hof mit großen Schritten, grüßte eine junge Frau, die mit ihrer kleinen Tochter an der Hand auf dem Weg zum Sandkasten war, und steuerte auf den Stall zu.
Zu ihrer Erleichterung war dort alles in Ordnung. Lilas Box war geschlossen, und die Stute blickte sie durch die Gitterstäbe freundlich an.
»Guten Morgen, meine Süße!«
Paula griff hindurch und strich Lila über den Nasenrücken. Die schnaubte leise, und Paula musste lachen, als die Stute anfing, ihre Hand abzuschnuppern, als würde sie nach einem Leckerli suchen.
»Hey, was ist los, war das Frühstück nicht genug?«
Frühstück. Paulas Blick flog nach rechts zu der Blechtonne, in der sich das Kraftfutter der Pferde befand. Einer Eingebung folgend hob sie den Deckel – die Tonne war noch genauso prall gefüllt wie gestern Abend. Paula stutzte. Um diese Uhrzeit hatte ihr Vater doch längst die Pferde gefüttert.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie allein im Stall war und dass ihr Vater nicht, wie angenommen, in einer der anderen Boxen beschäftigt war. Bis auf das hungrige Scharren und Schnauben der Pferde war es vollkommen still. Paula sah sich um.
»Papa?«
Keine Antwort. Langsam ging sie von Box zu Box. Das mulmige Gefühl in ihrem Innern wurde mit jedem Schritt stärker und breitete sich in ihrem Bauch aus wie eine dunkle Wolke. Ihr Körper wusste schon vor ihrem Verstand, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Die letzte Box hinten rechts war Moritz’ Box gewesen. Seit seinem Tod war sie leer. Jetzt sah Paula, dass die Tür einen Spalt offen stand. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Das war ungewöhnlich.
»Papa?«
Zwei Meter vor der Box blieb sie stehen und hob den Blick zur Decke, wo ein Seil um einen Dachbalken geschlungen war und straff herunterhing. Das, was daran befestigt war, befand sich im Innern der Box und war für sie noch nicht zu sehen. Paulas Mund wurde trocken, und wie im Traum versteifte sich ihr Körper. Doch diesmal kam sie dagegen an. Das, nein … Mit zitternden Knien trat sie zur Box und schob die Tür schwungvoll bis zum Anschlag auf.
Ihr Atem stockte.
An dem Seil hing ihr Vater. Kopfüber.
Der Horror erfasste sie mit voller Wucht, und sie schrie sich die Seele aus dem Leib.
Tag 1 der Ermittlungen
Ein schmaler Lichtstrahl fiel durch die Vorhänge ins Schlafzimmer, kroch über den dunklen Holzboden auf das Bett und legte sich über Nikes nackten Rücken. Felix beobachtete noch einen Moment, wie sie schlief, wie sich ihre Schultern langsam hoben und senkten. Sie lag ihm zugewandt, die rechte Gesichtshälfte auf das weiche Kopfkissen gebettet. Dann kam Bewegung in ihre Gesichtszüge. Sie kräuselte die Nase, als hätte sich eine unsichtbare Fliege darauf gesetzt, und blinzelte.
Bevor sie die Augen aufschlug, wandte sich Felix ab und begann, sich anzuziehen.
»Du bist schon wach?«
Er liebte es, wenn ihre Stimme morgens so klang. Kratzig und rau.
»Es ist kurz nach sieben.«
Er knöpfte seine Jeans zu und zog ein frisches T-Shirt aus der Kommode.
»Ja, ich will heute zeitig aufs Revier.«
Er warf ihr einen flüchtigen Blick zu, während sie sich langsam aufsetzte. Dieses Bett hatte schon in seinem Jugendzimmer gestanden, und auch wenn der Anbau, in dem sie sich gerade befanden, eine Einliegerwohnung und sein eigenes Reich war, hatte er jedes Mal ein bisschen das Gefühl, er würde seine Freundin mit in sein Kinderzimmer nehmen.
Nur, dass es kein Kinderzimmer war. Und Nike nicht seine Freundin.
Sie band sich die langen, schwarzen Haare zusammen und schwang die Beine aus dem Bett.
»Na gut, dann mach ich mich auch auf den Weg. Eigentlich wollte ich ja gar nicht hier übernachten.«
Sie suchte nach ihrem T-Shirt und fand es auf dem Fensterbrett. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen.
»Hast du aber!«
Er konnte sich selbst ein Grinsen nicht verkneifen. Ihre Blicke trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde, und er hätte sie jetzt wirklich gern umarmt, sie geküsst und auf ein schnelles Frühstück eingeladen, aber er wusste es besser.
Dass er mehr von ihr wollte als die regelmäßigen Treffen, war ihnen beiden klar, genau wie die Tatsache, dass Nike zwar mit ihm schlafen, sich aber nicht binden wollte. Er nahm es sportlich. Die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt. Und seit er wieder zu Hause im Spreewald wohnte, sahen sie sich so regelmäßig, als wäre er all die Jahre nie weg gewesen. Sie hatte ihn schon in der Schule wahnsinnig gemacht.
Felix begleitete Nike nach draußen. Im Vergleich zu den letzten Tagen hatte es etwas abgekühlt. Die Luft war frisch und ein bisschen feucht, als hätte es in der Nacht geregnet. Der Rasen vor dem Anbau leuchtete saftig grün. Nike rieb sich auf dem Weg zum Auto die Arme.
»Mach’s gut, Sheldon«, sagte sie und küsste ihn zum Abschied auf die Wange, ehe sie ins Auto stieg.
»Fahr vorsichtig, Amy.«
Sie zog die Fahrertür zu, und er öffnete das Tor. Der Wagen rollte langsam über den von Birken gesäumten Kiesweg vom Grundstück.
Felix blieb stehen, bis er das Auto nicht mehr hören konnte. Dann schloss er das Tor und drehte sich um. In der Küche im Haupthaus brannte Licht. Eine unbewegliche Gestalt stand am Fenster und starrte ihn an. Sein Vater.
Felix konnte nicht verhindern, dass sich eine Schwere auf seine Schultern legte und das Herz ein Stück tiefer rutschte. Er hob die Hand zum Gruß und ging auf den Eingang zu. Als er in die Küche trat, stand sein Vater noch immer am Fenster. Er trug eine graue Jogginghose und Schlappen und beachtete ihn nicht.
»Hallo, Papa. Na, hast du gut geschlafen?«
Die Antwort war ein missbilligendes Schnaufen, gefolgt von einer scharfen Gegenfrage.
»Wieso bist du noch nicht bei der Arbeit?«
»Es ist erst kurz nach sieben.«
Felix füllte den Wasserkocher und schaltete ihn ein.
»Ich war immer der Erste auf der Arbeit.«
»Ja, das weiß ich.«
Sein Vater war in einer Arbeiterfamilie groß geworden und hatte sich allein nach oben gekämpft. Hatte Pharmazie studiert und am Ende drei Apotheken im Landkreis Oberspreewald-Lausitz besessen. Sein beruflicher Erfolg war sein ganzer Stolz, und am liebsten hätte er seinem Sohn die Geschäfte übergeben. Dass Felix andere Pläne gehabt hatte und nicht Pharmazie studieren, sondern zur Polizei gehen wollte, hatte er schließlich akzeptiert. Unter einer Bedingung: dass er sein Bestes gab, sich nicht ausruhte und so erfolgreich wurde, wie es ihm möglich war.
»Möchtest du lieber Pfefferminz- oder Waldbeerentee?«
Felix beobachtete, wie sein Vater die Arme vor der Brust verschränkte. Er hatte ihm immer noch den Rücken zugewandt und antwortete nicht.
Da hörte er Schritte im Flur. Michaela kam im Bademantel in die Küche, legte Felix einen Arm um die Schultern und drückte ihn an sich.
»Na, du bist aber früh wach!«
»Nicht früh genug«, kam es von seinem Vater. Während Felix einen Beutel Waldbeerentee in eine Tasse hängte, warf Michaela ihm einen besänftigenden Blick zu. Seine Stiefmutter konnte mit den aggressiven Seitenhieben besser umgehen als er. Auch wenn er natürlich wusste, woher sie kamen.
»Du bist zu lasch, du hast keinen Ehrgeiz. Du kannst doch nicht mit fünfundzwanzig noch zu Hause wohnen.«
Genaugenommen war er im Februar zweiunddreißig geworden, und seine Pläne hatten nicht vorgesehen, nach Burg zurückzukehren und sein Lager in der Einliegerwohnung seines Vaters aufzuschlagen.
Er war im engeren Auswahlverfahren für eine Stelle beim LKA Berlin gewesen, nachdem er das Studium mit Auszeichnung abgeschlossen hatte. Aber dann war sein Vater vor zwei Jahren krank geworden, und er hatte sich für einen anderen Weg entschieden.
»Ich hab einen guten Job, Papa, das weißt du doch. Ich bin bei der Kripo Lübben. Du musst dir keine Sorgen machen.«
»Keine Sorgen?«, jetzt drehte er sich um und sah ihn mit glasigen Augen an. »Hier in dem Kaff? Was willst du hier machen? Falschparker aufschreiben? Du bist wie deine Mutter, kriegst nichts auf die Reihe!«
Felix wandte den Blick ab und versuchte, ruhig zu atmen und die Worte an sich abprallen zu lassen. Das gelang ihm in solchen Situationen mal mehr und mal weniger. Heute war so ein Tag, an dem er einen Anflug von Wut verspürte. »Ich bin doch nur wegen dir hier!«, wollte er seinem Vater entgegenschleudern, aber er biss sich auf die Zunge, und sofort kamen die Schuldgefühle um die Ecke. Denn er wusste ja, dass die harten Worte seines Vaters aus verqueren Gedankengängen kamen, die nichts mit der Realität zu tun hatten. Fast nichts.
Unterdessen machte sein Vater zwei stramme Schritte auf ihn zu. Er wollte nach der Teetasse greifen, verfehlte sie aber. Stattdessen schubsten seine Finger sie von der Arbeitsfläche.
Die Tasse fiel krachend zu Boden.
Für einen Moment waren sie alle drei so erschrocken, dass keiner ein Wort sagte. Roter Waldbeerentee breitete sich zu einer großen, dampfenden Pfütze auf dem Boden aus.
Dann landete die schwere Hand seines Vaters auf seiner Schulter, und Felix sah auf. Sein Blick hatte sich geklärt. Manchmal ging das von einer Sekunde auf die andere. Dann war er mit einem Fingerschnipsen wieder da. Auch seine Stimme hatte die Schärfe verloren und klang so, wie Felix sie kannte. Fest und warm.
»Tut mir leid, Junge, das wollte ich nicht.«
»Ich weiß doch, Papa, alles gut.«
Sie gingen in eine ungelenke Umarmung und schlugen sich wie zwei Fußballspieler aus gegnerischen Mannschaften auf den Rücken. Dann schnappte sich Felix ein Kehrblech. Michaela ging mit einem Lappen neben ihm in die Hocke und wischte den Tee auf.
»Er ist sehr stolz auf dich«, flüsterte sie ihm zu. »Und froh, dass du hier bist. Du bist ein toller Sohn.«
Felix nickte, obwohl er sich da an manchen Tagen nicht so sicher war.
Nachdem er die Scherben in den Müll gekippt hatte, vibrierte sein Handy in der Hosentasche. Ein Kollege von der Leitstelle meldete sich.
»Tut mir leid, dass ich dich schon so früh störe, Felix. Aber wir haben eine Leiche auf dem Schönfeld-Hof. Sieht nach Mord aus.«
»Ich fahre sofort los«, versprach Felix. Der Hof lag nur wenige Kilometer von Burg entfernt. Am anderen Ende der Leitung geriet der Kollege ins Stocken, als wollte er noch etwas sagen, wusste aber nicht, wie.
»Alles in Ordnung?«, hakte Felix nach. »Muss ich noch was wissen?«
»Nein, na ja. Sei auf jeden Fall gewarnt. Das ist kein schöner Anblick.«
Zehn Minuten später fuhr Felix vor dem Ferienhof der Familie Schönfeld vor. Der Reiterhof lag neben einem riesigen Kürbisfeld, und soweit er das erkennen konnte, grenzte das Grundstück mit der Pferdekoppel Richtung Norden an ein Waldstück, dessen erste Reihe aus dunklen Nadelbäumen bestand.
Gerade führte ein junger Mann zwei Ponys auf die Weide, den Blick starr geradeaus gerichtet, als wolle er um keinen Preis sehen, was auf dem Hof passierte. Mehrere Streifenwagen versperrten den Eingang zum Gelände, Absperrband tat den Rest. Und das zu Recht, denn es hatten sich bereits die ersten Schaulustigen versammelt. Daneben begleiteten Beamte Menschen mit Koffern zu ihren Autos.
»Feriengäste«, erklärte die junge Streifenpolizistin, die schnellen Schrittes auf Felix zukam. »Die können ihren Urlaub jetzt erst mal knicken.«
»Hallo, Elena«, sagte Felix. Sie waren sich schon mehrfach begegnet, seit er in den Spreewald zurückgekehrt war, und er konnte ihre direkte Art gut leiden. Kein Small Talk, gleich zur Sache.
»Du bist der Erste. Sogar vor der Spurensicherung.«
»Ich wohne um die Ecke«, erklärte Felix, während sie nun gemeinsam auf den Pferdestall zusteuerten, der sich gegenüber vom Wohnhaus befand, einem zweieinhalbgeschossigen Backsteingebäude mit weiß gestrichenen Sprossenfenstern. Erst jetzt realisierte Felix, wie groß das Gelände war. Neben dem Haupthaus gab es noch ein weiteres, kleineres Backsteinhaus, in dem er die Zimmer der Feriengäste vermutete, eine Reithalle und mehrere Geräteschuppen. Dazwischen viel Grünfläche mit Sitzgelegenheiten, einem kleinen Spielplatz und Grillstellen.
Der Pferdestall befand sich in einer Satteldachhalle mit großen Fenstern und einem riesigen, dunklen Holztor, das weit offen stand.
»Die fünfzehnjährige Tochter hat ihn gefunden«, sagte Elena, als sie vor dem Tor stehen blieben.
Scheiße. Ausgerechnet.
Während Felix Einmalhandschuhe und Schuhüberzieher aus seiner Jackentasche zog, betrachtete er das Schloss. Keine Einbruchsspuren.
»War der Stall abgeschlossen?«
»Die Ehefrau sagt, dass sie gestern Abend abgeschlossen hat. Heute Morgen war der Stall laut der Tochter offen. Sie dachte, ihr Vater sei bereits bei den Tieren.«
Als Felix den Stall betrat, wehte ihm sofort der typische Geruch nach Pferd und Stroh entgegen. In manchen Boxen warteten die Tiere noch auf ihren Auslauf, blähten die Nüstern und schnaubten, als er an ihnen vorbei zur letzten Box auf der rechten Seite ging.
Schon von Weitem fiel ihm das Seil auf, das straff von einem Dachbalken hing.
Er blieb im Eingang der Box stehen und brauchte einen Moment, um das Bild zu verarbeiten, das sich ihm bot.
Simon Schönfeld hing kopfüber von der Decke. Jemand hatte ihm die Füße gefesselt und ihn dann hinaufgezogen.
Was für eine Kraft dafür nötig gewesen sein musste …
Die Arme waren ihm eng auf dem Rücken fixiert, und sein Kopf schwebte nur wenige Zentimeter über dem Boden. Der Gedanke, dass die Tochter ihren Vater so gefunden hatte, machte Felix krank. Übelkeit breitete sich in seinem Bauch aus, wollte ihm die Kehle hinaufklettern. Er starrte den blassen Körper an und fühlte sich einen Moment wie betäubt. Dann versetzte sich sein Verstand in den Arbeitsmodus und verdrängte jedes Gefühl. Mit fokussiertem Blick erfasste er die Szene aufs Neue und begann, jedes Detail abzuspeichern.
Trotz des frühen Morgens war es in dem Stall angenehm warm, was dafür sorgte, dass sich zu Stroh und Pferdeäpfeln der eindringlich süße Geruch der Verwesung mischte. Wie lange hing der Mann schon dort? Drei Stunden? Länger? Seine Haut schimmerte weißlich blass, Leichenflecken konnte er bislang keine erkennen. Seltsam, da diese sich normalerweise bereits zwanzig Minuten nach Todeseintritt bildeten.
Felix näherte sich der Leiche und ging in die Hocke. Der Körper hing in der Ecke der Box, das Gesicht schräg von ihm abgewandt. Zunächst sah er nur die rechte Wange und Ansätze von Mund und Augenhöhle, wo in diesem Moment eine dicke Fliege landete. Nachdem sie die hinteren Beinchen aneinandergerieben hatte, wanderte sie zielstrebig in Richtung Nase.
Felix berührte mit den Fingerspitzen vorsichtig das Kinn des Mannes. Obwohl sie nur wenige Kilometer voneinander entfernt wohnten und das hier auf dem Land ein Katzensprung war, hatte er Simon Schönfeld nie kennengelernt. Aber vielleicht waren sie sich doch einmal über den Weg gelaufen, und er kannte ihn vom Sehen? Langsam drehte Felix das Gesicht zu sich. Und sein Herz setzte einen Schlag aus. Der Tote hatte die Augen weit aufgerissen. Der Horror stand ihm noch im Blick, blank und eindringlich. Als wäre er im Moment seiner größten Angst gestorben.
Aber das war noch nicht alles. An seinem Hals …
Felix rang reflexartig nach Luft, spürte das Herz in seiner Brust hämmern.
Die Seite des Halses, die er vom Eingang aus nicht gesehen hatte, war nahezu zerfetzt. Eine ausgefranste, klaffende Wunde, die das Fleisch offenlegte. Gerissene Sehnen hingen heraus.
Hier krabbelten die Fliegen bereits in einer ganzen Mannschaft herum.
Felix musste sich kurz abwenden. Er atmete durch und betrachtete dann das Gesicht des Mannes erneut. Simon Schönfeld hatte kurze, dunkle Haare, einen Dreitagebart und war schätzungsweise Mitte vierzig. Gesehen hatte Felix ihn noch nie.
Vorsichtig wandte er sich nun wieder der Halswunde zu. Er ging noch näher ran. Wie war das passiert? Hatte jemand mit einem Messer auf ihn eingestochen? Eigentlich sah das nicht aus wie eine Schnittwunde … Moment.
Irgendetwas daran irritierte ihn.
Diese Wunde … Als hätte sich etwas in ihm verbissen, ihn geschüttelt und so … Jetzt wusste er es wieder. Die Erinnerung traf Felix mit solcher Wucht, dass er spontan aus der Hocke aufstand und einen Schritt zurück wankte.
Der Autounfall letztes Jahr. An einem eiskalten Dezembermorgen war der Anruf gekommen. Eine Leiche abseits der L49 zwischen Ragow und Ellerborn. Er hatte erst mal zehn Minuten kratzen müssen und war dann in der Morgendämmerung losgefahren. Im Schneckentempo, weil die Straßen spiegelglatt waren. Die L49 führte an dieser Stelle über weite Strecken durchs Naturschutzgebiet, dunkler Mischwald rechts und links. Felix hatte auf einem kleinen Wanderparkplatz gehalten, hinter dem sich freies Feld auftat. Auf dem frostigen Acker hatte ein Mann gelegen, der offensichtlich angefahren worden war. Und zwar mit so einem Karacho, dass er knapp zehn Meter weit geflogen sein musste. Bremsspuren auf der Straße gab es keine. Womöglich hatte ihn der Fahrer in der Dunkelheit zu spät gesehen und hatte dann die Flucht ergriffen. Die Frage, was der Mann mitten in der Nacht zu Fuß auf der Landstraße gemacht hatte, hatten sie nie klären können. Es handelte sich um einen Einundsechzigjährigen aus Lübbenau. Johann Graf, verheiratet. Er war Hufschmied und hatte an dem Tag mehrere Termine auf unterschiedlichen Höfen gehabt. Da seine Frau zu dieser Zeit bei ihrer Schwester in Hamburg gewesen war, hatte sie nicht mitbekommen, dass er nicht nach Hause gekommen war.
Der Zusammenprall mit dem Fahrzeug hatte ihm sämtliche Knochen zertrümmert. Die rechtsmedizinische Untersuchung hatte ergeben, dass er frontal von dem Auto erwischt worden war.
Den Todeszeitpunkt konnten die Ärzte aufgrund der eisigen Temperaturen nicht genau bestimmen. Und in der Dunkelheit hatten ihn weitere Autorfahrer übersehen. Er wurde erst in der Dämmerung von einem Lkw-Fahrer entdeckt. Ob er zu dem Zeitpunkt bereits mehrere Stunden oder erst zehn Minuten dort gelegen hatte, wussten sie nicht.
Dieser Todesfall war von vorne bis hinten außergewöhnlich. Was Felix jedoch am meisten irritiert hatte, war die tiefe Wunde am Hals des Mannes. Die Seite war aufgerissen gewesen, als hätte jemand oder etwas ein Stück herausgebissen.
Felix war wie heute neben dem Mann in die Hocke gegangen und hatte genau hingesehen. Der offenliegende Hals hatte ihn schwer schlucken lassen. Hautfetzen, Muskelfasern, verkrustetes Blut, Knorpel.
»Sieht nicht aus, als wäre das bei dem Unfall passiert«, hatte er zu seinem Chef gesagt. Kriminalhauptkommissar Tibor Hansen war schwerfällig neben ihm in die Knie gegangen und hatte die Wunde ebenfalls eingehend betrachtet.
»Du hast recht. Prellungen sehen anders aus. Wahrscheinlich ein Tier.«
Aber Felix’ Bauchgefühl hatte etwas anderes gesagt.
»Was für ein Tier soll das gewesen sein?«
»Keine Ahnung, ein Fuchs vielleicht. Oder ein Wolf.«
Wölfe waren hier in der Gegend keine Seltenheit. Auch wenn Felix noch keinen in freier Wildbahn gesehen hatte. Er wusste nicht mit Sicherheit, ob diese Tiere auch zu den Aasfressern gehörten. Was er aber sagen konnte, war, dass Menschen eigentlich nicht auf ihrem Speiseplan standen.
»Und der Wolf beißt ihm einmal in den Hals, und das war es dann?«
»Wenn’s nicht geschmeckt hat.«
Tibor hatte ihm einen prüfenden Blick zugeworfen.
»Was denkst du denn?«
»Ich glaube nicht, dass das ein Tier war.«
»Und was dann? Ein Mensch?«
Tibor hatte tonlos gelacht und war aufgestanden.
»Also du meinst, dieser Mann wurde erst brutal angefahren, dann ist der Fahrer ausgestiegen und über den Verletzten hergefallen wie ein Vampir oder ein Werwolf, hat ihm die Halsschlagader zerfetzt und so weiter?«
Felix wusste es auch nicht. So wie Tibor es in seiner typisch trockenen Art zusammenfasste, klang es natürlich absurd. Aber dennoch …
Tibor hatte die Möglichkeit jedenfalls sofort abgehakt.
»Junge, ich weiß, du langweilst dich bei uns auf dem Land, und ich hätte dir die Stelle beim LKA Berlin echt gegönnt, aber das hier, sorry, das sind ein schlimmer Unfall mit Fahrerflucht und ein hungriges Tier, das mal gekostet und sich dann doch anders entschieden hat.«