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Ein skrupelloser Boss, der von seinen Jungs - den Schülern seiner Kickboxschule - verlangt, sich vor Publikum in einem Käfig zu Tode zu prügeln. Wird es Feuerengel gelingen, Tigerherz davon zu überzeugen, dass es trotz allen Erwartungen und Regeln eine Wahl gibt?
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Seitenzahl: 76
Veröffentlichungsjahr: 2022
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XI
XII
Die Menge tobte. Eingeschüchtert sah er sich um. Die Leute vor dem Gitter schrien und johlten. Immer wieder war ihre Parole zu hören:
„Dreh im den Hals um, dreh ihm den Hals um!“
Es waren fiese, schadenfrohe bis mordlustige Blicke, die ihm die Leute zuwarfen. Nein, er war es nicht, den sie aufforderten, sondern ihn. Den Anderen. Er kannte ihn kaum. Er hatte ihn vielleicht ein oder zwei Male gesehen. Er war älter. Und er hatte einen Namen.
Natürlich im Käfig hatte er ihn schon kämpfen gesehen. Manchmal durften sie
zusehen. Zusehen wie die Älteren kämpften. Welche Tricks sie brauchten, damit sie, die Jüngeren, daraus lernten. Denn nun musste er ihn besiegen. Das hatte der Boss gesagt – Sieg oder Tod.
„Entweder du oder er, einer von euch beiden wird wohl heute Abend sterben!“, so hatte es der Boss gesagt und dabei gegrinst. Er hatte nichts geantwortet. Aber er hatte gezittert. Er zitterte noch immer. Und die Leute schrien:
„Dreh ihm den Hals um, dreh ihm den Hals um!“
Sie schlugen mit ihren Händen gegen die Gitter. Von allen Seiten. Manche
schlugen auch mit Bierdosen. Es schwappte über, spritze, benässte die Bretter. Es stank, fand er. Es ekelte ihn. Und hinter seiner Furcht begann etwas anderes sich zu regen. Es war dunkel, es war finster – heiss und kalt zugleich. Was tat der Andere auch so lange? Der Andere sonnte sich im Applaus, obwohl er schon lange zu ihm durch das schmale Türchen in den Käfig geschlüpft war und sich nun in eine entfernte Ecke zurückgezogen hatte.
Wieder ergriff ihn die Furcht. Der Andere war grösser. Er war älter, stärker und hatte Erfahrung. Der hatte schon getötet.
Würde er also heute sterben? Hier? Auf diesen Brettern? Wo es stank nach billigen Zigaretten, Urin und Bier? Das Geschrei hämmerte in seinem Kopf. Kein klarer Gedanke war zu fassen. Fast wie in Trance torkelte er ein wenig. Seine Stirn zog sich zusammen. Seine Adern pochten. Pochten im Gleichschlag der Hände und Füsse. Pochte im Singsang der Menge.
„Dreh ihm den Hals um, dreh ihm den Hals um!“
Er sah ihn. Wie er im Käfig stand. Er lachte, drehte sich im Kreis. Winkte den johlenden und sich gebärdenden Leuten vor dem Gitter. Glaubte er, so
leichtes Spiel zu haben?
Er konnte kaum noch sehen oder hören. Er oder der Andere. Der Andere oder er. Es ging ihm immer wieder durch den Kopf. Tod oder Sieg. Konnte er jemanden töten? Aber – er wollte leben! Einfach leben. Überleben. Er musste sich konzentrieren. Er durfte keine Angst haben. Die Knie waren weich, doch er musste sich konzentrieren. Alles flimmerte. Der Käfig verschwamm. Es blieb das pochende Geschrei der Menge:
„Dreh ihm den Hals um, dreh ihm den Hals um!“
„Ich muss mich zusammenreissen, ich muss
meine Angst bezwingen!“, redete er sich verzweifelt zu. Doch es gelang nicht. Schon wieder taumelte er. Und wieder kam dieses andere, dunkle, heiss- kalte, finstere Feuer. Er wollte doch einfach leben! Es brachte ihm noch mehr zum Fürchten. Was war es denn, fragte er sich und erschauderte. Er würde doch heute sterben! Du bist schon tot, sprach das Feuer in ihm. Du bist soeben gestorben.
Sonderbar, fand er. Es war plötzlich alles still geworden. Aber es war nicht still, die Menge johlte noch immer. Der Andere stand noch immer da, nahm noch
immer keine Notiz von ihm. Er sah seine Muskeln. Der durchtrainierte Oberkörper. Die stämmigen Arme. Die grossen Hände – ach, wie gross sie wurden, wenn er sie ballte. Er sah – einen Hals!
„Dreh ihm den Hals um, dreh ihm den Hals um!“
Er merkte nicht, dass er sich bewegte. Fünf Schritte Anlauf – zwei davon auf dem Gitter. Es waren eingeübte Bewegungen. Der roh geschweisste und scharfkantige Stahl zerschnitt ihm die nackten Fusssohlen, doch er sollte es erst spüren, wenn er wieder landete. Er flog. Er flog über den anderen hinweg
– dieser sah ihn nicht kommen. Ein Ruck. Ein kaum hörbares Knacken, welches trotzdem von allen gehört wurde, und er landete auf seinen Füssen. Hinter ihm krachte der Andere wie ein Sack Mehl polternd auf die Bretter. Dann wars plötzlich wirklich mucksmäuschenstill. Niemand johlte mehr. Alle hielten den Atem an.
Starrten gespannt. Er machte sich bereit. Gleich würde der Andere aufspringen und ihn übel verdreschen. Er musste alles mobilisieren, was er beim Boss gelernt hatte! Warum wurde das Gittertörchen geöffnet? Warum stürzten die beiden Wächter herein? Sie betatschten den Anderen.
Betrachteten ihn komisch – die Augen schienen sie zu interessieren und einer hielt ihm den Arm. Was hatte dies zu bedeuten? Warum gingen sie nicht einfach weg? Er würde sich doch gleich auf ihn stürzen, dann waren sie doch im Weg?
Der Lautstärkepegel war wieder angeschwollen. Warum sahen ihn die Leute vor dem Gitter so an? Was war das in ihren Blicken? Etwas wie Verwunderung, vielleicht sogar Bewunderung. Und Angst, tiefe, abgründige Furcht.
Doch es galt, nicht den Fokus zu verlieren. Einem der Wächter schien es heiss zu sein. Er wedelte mit
einer Hand gegen seinen Hals, doch er hielt sie eigenartig flach. Da wurde er an der Hand gepackt. Erschrocken wirbelte er herum. Beinahe hätte er aus Reflex zugeschlagen, doch zum Glück konnte er sich noch gerade beherrschen. Es war der Boss.
„Glückwunsch Junge, das war eine schnelle Nummer! Du hast gewonnen.“
„Gewonnen? Aber wir haben doch noch gar nicht angefangen?“
Er deutete linkisch mit seiner Hand zum Anderen. Der Boss lachte.
„Du hast ganze Arbeit geleistet. Der steht nicht
mehr wieder auf. Nie mehr!“
Da erst begriff er. Das Blut schoss aus seinem Kopf. Er wankte. Doch der Boss hielt ihn gut fest.
„Du bist nun ein Krieger, Junge. Nun bist du würdig, einer meiner Jungs zu sein“, flüsterte der Boss ihm ins Ohr. Dann richtete er sich auf, hob die Hand des frischgebackenen Kriegers hoch und sprach magisch verstärkt durch unzählige Lautsprecher:
„Meine sehr verehrten Damen und Herren, geschätztes Publikum dieser bescheidenen Halle, ich präsentiere euch“ – dabei zog er das Wort genüsslich in
die Länge, während es wiederum totenstill wurde - „meinen neusten Krieger: Feuerengel!“
Tumult brach aus. Johlen, Applaus und freudige Pfiffe. Dazu tausende von Füssen, die auf den Boden trommelten, sodass die Gitter des Käfigs erzitterten. Es brach wie eine Sintflut über ihn herein. Diesmal galt der Applaus ihm! Er konnte es kaum fassen. Er hatte es geschafft. Er hatte gesiegt. Er lebte! Und er hatte einen Namen. Feuerengel!
„Diesen Abend wirst du nie mehr vergessen“, meinte der Boss zu ihm leise und seine Augen funkelten vielsagend.
Er verstand. Ja, der Boss sollte recht behalten. Wie oft träumte er in der Folge von diesem Moment. Von diesem Abend, als der Jubel ihm galt. Von seiner Freude, seinem Stolz, seinem Glück, nicht länger eine Nummer in der Schule des Bosses zu sein. Denn von nun an hatte er einen Namen.
Doch dann gab es noch die anderen Träume. Die auch von diesem Abend ausgingen. In diesen stand der Andere aber wieder auf. Nur seine Augen waren dann komisch eingefallen. Ein furchtbarer Blick! Und er konnte seinen Kopf drehen – ganze 360 Grad. Es war unheimlich, doch niemanden
der Anwesenden schien es zu stören. Die Wächter lachten dann nur. Und auch der Boss lachte. Und der Andere drehte seinen Kopf immer wilder im Kreis – er konnte seinen Blick gar nicht mehr abwenden. Dann fiel der Kopf manchmal einfach ab, wenn er zu wild drehte. Der Andere würde ihn aufheben – seinen Kopf – und mit ihm jonglieren, als wäre nichts. Doch sein Blick war starr auf Feuerengel gerichtet.
Aber das mit dem Jonglieren machte er nur in manchen Träumen – in den besonders schlimmen! Denn irgendwann begannen alle ihre Köpfe zu drehen. Der Boss. Die Wächter. Die Leute vor dem
Gitter. Und alle hatten plötzlich diesen Blick. Diese eingefallenen, toten Augen. Und sie sangen:
„Dreh ihm den Hals um, dreh ihm den Hals um!“
Da traf ihn einen Schlag. Leise aufstöhnend wachte er auf. Es war Fuchsbiss Ellbogen, der ihn unsanft in der Magengrube getroffen hatte. Fuchsbiss schlug mal wieder im Schlaf um sich.
„Blöder Kerl“, machte Feuerengel extra so laut, dass Fuchsbiss davon wach werden musste, und schob dessen Ellbogen grob zurück. Es war allerding ein Vorwand, etwas näher an ihn heran zu rücken. Feuerengel
schauderte es. Er fror, die Bilder aus dem Traum bedrängten ihn noch immer.
„Lah mich i Ruh“, brummte Fuchsbiss verschlafen und warf seinen Arm auf seinen aufdringlichen Bettnachbarn, wo er auch liegen blieb. Feuerengel gab sich damit zufrieden. Der Arm lag aber so auf seiner Brust, dass Feuerengel auf einmal Fuchsbiss’ Herzschlag spürte. Oder war es sein eigener? Egal, die bösen Bilder des Traumes verschwanden im Nu. Nichts war so beruhigend wie ein Herzschlag. Diesem und den regelmässigen Atemzügen seiner Mitstreiter im Schlafsaal lauschend,
starrte er eine Weile regungslos an die Decke. Es war schon unglaublich, was ein Herz vermochte, sagte er sich. Es war wichtig, das spürte er hier deutlich. Er durfte sein Herz nie verlieren! Sachte drehte er sich zu Fuchsbiss und murmelte – nur für diesen hörbar: