Der Kaiser - Georg Ebers - E-Book

Der Kaiser E-Book

Georg Ebers

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Beschreibung

Das alte Ägypten Der bekannte Historiker und Autor Georg Ebers beschreibt mit ausgeprägten Scharfsinn und Wissen und mit nicht weniger poetischer Freiheit ein prächtiges Bild des alten Ägypten zu Zeiten des römischen Kaisers Hadrian. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 846

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Georg Ebers

Der Kaiser

Georg Ebers

Der Kaiser

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 3. Auflage, ISBN 978-3-954188-38-3

null-papier.de/neu

Inhaltsverzeichnis

Wid­mung

Vor­wort

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Vierund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Fün­fund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Achtund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Neun­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Vierund­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­fund­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

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Ihr Jür­gen Schul­ze

Klas­si­ker bei Null Pa­pier

Ali­ce im Wun­der­land

Anna Ka­re­ni­na

Der Graf von Mon­te Chri­sto

Die Schat­zin­sel

Ivan­hoe

Oli­ver Twist oder Der Weg ei­nes Für­sor­ge­zög­lings

Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

Meis­ter­no­vel­len

Eine Weih­nachts­ge­schich­te

und wei­te­re …

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Widmung

Sei­nem teue­ren, in glück­li­chen und trü­ben, in erns­ten und hei­te­ren Stun­den gleich be­währ­ten Freun­de und Kol­le­gen Ot­to Stob­be, dem Ger­ma­nis­ten, wid­met die­ses Buch in un­wan­del­ba­rer Lie­be und Treue der Ver­fas­ser.

Vorwort

Vor vier­zehn Jah­ren plan­te ich nach ei­ner Rei­he von Vor­le­sun­gen, wel­che ich über die Rö­mer­zeit in Ägyp­ten ge­hal­ten hat­te, die Ge­schich­te, wel­che ich in die­sem Bu­che er­zäh­le. Aber wis­sen­schaft­li­che Ar­beit dräng­te die Lust am poe­ti­schen Schaf­fen zu­rück, und als die­se die Flü­gel wie­der­um kräf­ti­ger zu re­gen be­gann, fühl­te ich mich von an­de­ren Stof­fen le­ben­di­ger an­ge­regt. So kam es denn, daß ich die Zeit Ha­drians spä­ter zum Hin­ter­grun­de ei­ner Dich­tung wähl­te, als selbst die jün­ge­re Epo­che der ana­cho­re­ti­schen Be­we­gung.

Mit der Been­di­gung die­ses Ro­mans hat mein al­ter Wunsch, die wich­tigs­ten Ab­schnit­te der Ge­schich­te des ehr­wür­di­gen Vol­kes, dem ich seit bei­na­he ei­nem Vier­tel­jahr­hun­dert mein Le­ben wei­he, dich­te­risch zu­sam­men­zu­fas­sen, sei­ne Er­fül­lung ge­fun­den. Die Glanz­ta­ge der Pha­rao­nen­zeit habe ich in der »Uar­da«, den Heim­fall Ägyp­tens an die jun­ge Welt­macht der Per­ser in der »Kö­nigs­toch­ter«, die hel­le­ni­sche Epo­che un­ter den La­gi­den in den »Schwes­tern«, die Rö­mer­zeit und das Auf­kei­men des jun­gen Chris­ten­tums in dem »Kai­ser« und die ana­cho­re­ti­sche Be­we­gung in den Ägyp­ten be­nach­bar­ten Wüs­ten und Fel­sen­land­schaf­ten in »Ho­mo sum« zur Dar­stel­lung zu brin­gen ver­sucht. So wird denn »Der Kai­ser« der letz­te Ro­man sein, dem ich das alte Ägyp­ten zum Schau­platz an­wei­se.

Die­se Rei­he von Dich­tun­gen hat mei­ne Le­ser nicht nur mit der Kul­tur­ge­schich­te Ägyp­tens be­kannt ma­chen, son­dern ih­nen auch die Er­kennt­nis von ei­ni­gen be­son­ders mäch­ti­gen Ide­en, wel­che das Al­ter­tum be­wegt ha­ben, er­leich­tern sol­len.

Wie­weit es mir ge­lun­gen ist, die dar­ge­stell­ten Epo­chen zu far­bi­gen, der Wirk­lich­keit na­he­kom­men­den Ge­mäl­den zu­sam­men­zu­fas­sen, wage ich nicht zu be­ur­tei­len. Denn wenn sich schon ge­gen­wär­ti­ge Din­ge in ver­schie­de­nen Köp­fen ver­schie­den spie­geln, so muß dies doch weit be­stimm­ter bei längst ver­gan­ge­nen und halb ver­ges­se­nen der Fall sein.

Wie oft war ich ge­nö­tigt, wenn bei der Wie­der­be­le­bung ei­ner fer­nen Ver­gan­gen­heit die Mit­tel der Wis­sen­schaft ver­sag­ten, von der Ein­bil­dungs­kraft Rat und Hil­fe zu for­dern und mich des Wor­tes zu er­in­nern, daß der Dich­ter ein rück­wärts schau­en­der Pro­phet sein soll. Ru­hig durf­te ich der Phan­ta­sie ge­stat­ten, die Flü­gel zu ent­fal­ten, denn ich blieb Herr über sie und kann­te die Gren­zen, bis zu de­nen ich ihr er­lau­ben durf­te, sich auf­zu­sch­win­gen. Ich hielt es für mein Recht, viel frei Er­fun­de­nes zu zei­gen, aber nichts, das nicht in der dar­zu­stel­len­den Zeit mög­lich ge­we­sen wäre. Die Rück­sicht auf die­se Mög­lich­keit hat über­all der Phan­ta­sie Schran­ken ge­setzt; wo die vor­han­de­nen Quel­len ge­stat­te­ten, völ­lig treu und wahr zu sein, bin ich es stets ge­we­sen, und die vor­züg­lichs­ten un­ter mei­nen Fach­ge­nos­sen in Deutsch­land, Eng­land, Frank­reich und Hol­land ha­ben dies mehr als ein­mal be­zeugt. Aber ich brau­che wohl kaum her­vor­zu­he­ben, daß die dich­te­ri­sche Wahr­heit eine an­de­re ist als die his­to­ri­sche, denn die­se soll mög­lichst un­be­rührt blei­ben von der Sub­jek­ti­vi­tät ih­res Ver­kün­ders, jene kann nur durch das Me­di­um der Phan­ta­sie des Künst­lers zur Wir­kung ge­lan­gen.

Wie mei­ne bei­den letz­ten Ro­ma­ne, so las­se ich auch den »Kai­ser« ohne An­mer­kun­gen. Ich tue es in dem fro­hen Be­wußt­sein, durch ge­lehr­te und an­de­re Ar­bei­ten ei­ni­ges Recht auf das Ver­trau­en der Le­ser ge­won­nen zu ha­ben. Nichts hat mich mehr zu im­mer neu­em poe­ti­schem Schaf­fen er­mu­tigt als der Um­stand, daß durch die­se Dich­tun­gen mei­ner Wis­sen­schaft meh­re­re Jün­ger zu­ge­führt wor­den sind, de­ren Na­men jetzt un­ter den Ägyp­to­lo­gen mit Ach­tung ge­nannt wer­den.

Je­der mit der Zeit Ha­drians Ver­trau­te wird auch bei klei­ne­ren Zü­gen er­ken­nen, wel­chem Au­tor, wel­cher In­schrift, wel­chem Denk­mal sie ent­nom­men wor­den sind; dem grö­ße­ren Krei­se mei­ner Le­ser will ich den Ge­nuß an der Dich­tung nicht trü­ben. Es wür­de mich be­glücken, wenn die­ser Ro­man den Na­men ei­nes ech­ten Kunst­wer­kes ver­dien­te, und die Be­trach­tung ei­nes sol­chen soll vor al­len Din­gen er­freu­en und er­he­ben. Wer da­bei Be­rei­che­rung sei­nes Wis­sens emp­fängt, darf doch nicht mer­ken, daß er be­lehrt wird.

Ken­ner der Ge­schich­te Alex­an­dri­as un­ter den Rö­mern wer­den sich wun­dern, daß ich The­ra­peu­ten am ma­reo­ti­schen See un­be­rück­sich­tigt las­se. Ich hat­te ih­nen ur­sprüng­lich ein ei­ge­nes Ka­pi­tel zu­ge­dacht, Lu­cäs neues­te Un­ter­su­chun­gen be­stimm­ten mich aber, es un­ge­schrie­ben zu las­sen.

Jah­re des Stu­di­ums habe ich den An­fän­gen des Chris­ten­tums, na­ment­lich in Ägyp­ten, ge­wid­met, und es ge­reicht mir zum be­son­de­ren Ge­nuß, auch an­de­ren zu ver­ge­gen­wär­ti­gen, wie sich zur Zeit Ha­drians die rei­ne, von mensch­li­chen Zuta­ten noch we­nig ge­trüb­te Leh­re des Hei­lan­des der Her­zen be­mäch­tig­te und be­mäch­ti­gen muß­te. Ne­ben dem tri­um­phie­ren­den Glau­ben zei­ge ich die edle Blü­te des We­sens, die Kunst, wel­che in spä­te­ren Jahr­hun­der­ten vom Chris­ten­tum, um sich mit ih­ren schö­nen For­men zu schmücken, her­an­ge­zo­gen wur­de. Die aus der Zeit mei­ner Er­zäh­lung stam­men­den An­ti­nous­sta­tu­en und Büs­ten be­wei­sen, daß es der wel­ken­den Pflan­ze be­schie­den war, un­ter Ha­dri­an neue Blät­ter zu trei­ben.

Die ro­man­ti­schen Züge, die ich dem Cha­rak­ter mei­nes die Welt durch­wan­dern­den Hel­den bei­le­ge, der Ber­ge be­stieg, um sich am Glanz der auf­ge­hen­den Son­ne zu freu­en, sind ihm tat­säch­lich ei­gen ge­we­sen. Eine der schwie­rigs­ten Auf­ga­ben, wel­che ich mir je­mals ge­stellt habe, war die, aus den an in­ne­ren Wi­der­sprü­chen so rei­chen Nach­rich­ten über Ha­dri­an ein Men­schen­bild zu ge­stal­ten, an des­sen Wahr­heit ich selbst zu glau­ben ver­moch­te; aber wie gern bin ich an ihre Lö­sung ge­gan­gen! Es gab bei der An­la­ge die­ser Dich­tung viel zu be­den­ken, aber sie selbst ist ganz aus dem Her­zen ih­res Ver­fas­sers ge­gos­sen. Möge sie auch den Weg in die Her­zen der Le­ser fin­den.

Leip­zig, den 2. No­vem­ber 1880.

Ge­org Eber­s

Erstes Kapitel

Die Mor­gen­däm­me­rung war ge­schwun­den, die Son­ne des ers­ten De­zem­bers im Jah­re 129 nach der Ge­burt des Hei­lands auf­ge­gan­gen, aber sie wur­de von milch­wei­ßen Düns­ten ver­hüllt, die dem Mee­re ent­stie­gen. Es war kalt.

Der Ka­si­us, ein Berg von mitt­ler­er Höhe, steht auf ei­ner Land­zun­ge der Küs­te zwi­schen dem süd­li­chen Pa­läs­ti­na und Ägyp­ten und wird an sei­ner Nord­sei­te vom Mee­re be­spült, das heu­te nicht wie an an­de­ren Ta­gen in leuch­ten­dem Ul­tra­ma­rin schim­mert. In fins­te­rem Schwarz­blau be­we­gen sich lang­sam sei­ne fer­ne­ren Wo­gen, die nä­he­ren aber sind völ­lig an­ders ge­färbt und schlie­ßen sich in trü­bem, grün­li­chem Grau an ihre dem Ho­ri­zont be­nach­bar­ten Schwes­tern wie stau­bi­ger Ra­sen an dunkle La­va­flä­chen.

Der Nord­ost­wind, der sich nach dem Auf­gang der Son­ne er­ho­ben hat­te, be­gann leb­haf­ter zu we­hen, milch­wei­ßer Schaum zeig­te sich auf den Häup­tern der Wel­len, die­se aber schlu­gen heu­te nicht wild und kräf­tig den Fuß des Ber­ges, son­dern wälz­ten sich mit un­ab­seh­bar lan­gen ge­krümm­ten Rücken trä­ge zu ih­nen her­an, als be­stün­den sie aus schwe­rem ge­schmol­ze­nen Blei. Den­noch spritz­ten leich­te und hel­le Trop­fen auf, wenn sie eine Schwung­fe­der der Mö­wen be­rühr­te, die un­ru­hig und als trie­be die Angst sie hier­hin und dort­hin, scha­ren­weis mit schril­lem Ge­kreisch über dem Was­ser schweb­ten.

Drei Män­ner wan­der­ten lang­sam auf dem von der Spit­ze des Ber­ges in die Ebe­ne füh­ren­den Wege zu Tale, aber nur der äl­tes­te von ih­nen, der den bei­den an­de­ren vor­an­schritt, ach­te­te auf den Him­mel, das Meer, die Mö­wen und die wüs­te, un­ter ihm ru­hen­de Flä­che. Jetzt blieb er ste­hen, und so­bald er den Fuß hemm­te, ta­ten die bei­den an­de­ren das glei­che. Die Land­schaft un­ter ihm schi­en sei­ne Bli­cke zu fes­seln und recht­fer­tig­te die Be­frem­dung, mit der er das in ei­ner leich­ten Nei­gung ge­senk­te bär­ti­ge Haupt schüt­tel­te. Ein schma­ler Wüs­ten­strei­fen streck­te sich, zwei Was­ser von­ein­an­der schei­dend, so­weit das Auge reich­te, nach Abend hin vor ihm aus. Auf die­sem na­tür­li­chen Dam­me zog eine Ka­ra­wa­ne da­hin. Der wei­che Fuß der Ka­me­le fiel laut­los auf den Weg, den sie zo­gen. Ihre in wei­ße Män­tel gehüll­ten Rei­ter schie­nen zu schla­fen und ihre Trei­ber zu träu­men. Die grau­en Ad­ler am Sau­me der Stra­ße rühr­ten sich nicht bei ih­rem Na­hen.

Links von der Land­neh­rung, auf wel­cher der von Sy­ri­en nach Ägyp­ten füh­ren­de Weg sich hin­zog, lag das glanz­lo­se, mit grau­em Ge­wölk ver­schwim­men­de Meer, links, mit­ten in der Wüs­te, ein selt­sa­mes, land­schaft­li­ches Et­was, des­sen Ende nach Os­ten und Wes­ten hin das Auge nicht zu er­rei­chen ver­moch­te und das hier ei­nem Schnee­fel­de, dort ei­nem ste­hen­den Was­ser und an an­de­ren Stel­len ei­nem Bin­sen­dickicht gleichsah.

Der äl­tes­te Wan­de­rer schau­te stets nach dem Him­mel und in die Fer­ne, der zwei­te, ein Skla­ve, der De­cken und Män­tel auf der brei­ten Schul­ter trug, ver­wand­te kei­nen Blick von sei­nem Ge­bie­ter, und der drit­te, ein frei­er Jüng­ling, blick­te müde und träu­me­risch auf den Weg nie­der.

Eine brei­te, auf ein statt­li­ches Tem­pel­ge­bäu­de zu­füh­ren­de Stra­ße kreuz­te den von der Spit­ze des Ber­ges an die Küs­te füh­ren­den Pfad, und der bär­ti­ge Wan­de­rer be­trat sie. Aber er folg­te ihr nur we­ni­ge Schrit­te, dann blieb er ste­hen, warf un­wil­lig das Haupt zur Sei­te, mur­mel­te ei­ni­ge un­ver­ständ­li­che Wor­te in den Bart, wand­te sich um, kehr­te mit be­schleu­nig­tem Schrit­te zu dem schma­len Wege zu­rück und ging tal­ab­wärts.

Sein ju­gend­li­cher Beglei­ter folg­te ihm, ohne das Haupt zu er­he­ben und sei­ne Träu­me­rei zu un­ter­bre­chen, als sei er sein Schat­ten; der Skla­ve je­doch er­hob den kurz ge­scho­re­nen blon­den Kopf, und ein über­le­ge­nes Lä­cheln flog ihm um den Mund, als er am lin­ken Sau­me der Stra­ße die Lei­che ei­nes ge­fal­le­nen schwar­zen Böck­leins und ne­ben ihr ein al­tes Hir­ten­weib er­blick­te, das ihr fal­ti­ges Ant­litz beim Na­hen der Män­ner ängst­lich mit dem blauschwar­zen Schlei­er be­deckt hat­te. »Also dar­um«, mur­mel­te der Skla­ve vor sich hin und nick­te, die Luft mit dem spit­zen Mun­de küs­send, dem schwarz­köp­fi­gen Mäd­chen zu, das zu Fü­ßen der Grei­sin kau­er­te. Aber die also Ge­grüß­te be­merk­te nicht die­se stum­me Wer­bung; denn ihre Au­gen folg­ten wie ge­bannt den Wan­de­rern und be­son­ders dem jun­gen Man­ne. So­bald die drei sich weit ge­nug ent­fernt hat­ten, um ihre Stim­me nicht mehr zu hö­ren, frag­te das Mäd­chen zu­sam­men­schau­ernd, als sei ein Wüs­ten­geist ihr be­geg­net, mit ge­dämpf­ter Stim­me: »Groß­mut­ter, wer war das?«

Die Alte lüf­te­te den Schlei­er, leg­te der En­ke­lin die Hand auf die Lip­pen und flüs­ter­te ängst­lich: »Er ist es.«

»Der Kai­ser?«

Die Ant­wort der Al­ten be­stand in ei­nem be­deu­tungs­vol­len Ni­cken; das Mäd­chen aber dräng­te sich mit lei­den­schaft­li­cher Neu­gier an die Groß­mut­ter, streck­te den brau­nen Kopf weit vor, um bes­ser zu se­hen, und frag­te lei­se: »Der jun­ge?«

»När­rin! Der Voran­schrei­ten­de, der Grau­bart.«

»Der? Ich woll­te, der jun­ge wäre der Kai­ser.«

Roms Im­pe­ra­tor Ha­dri­an war es in der Tat, der dort schwei­gend sei­nen Beglei­tern vor­an­zog, und es war, als be­le­be sein Kom­men die Ein­öde; denn so­bald er sich dem Schilf nah­te, flo­gen mit pfei­fen­dem Schrei Ki­bit­ze in die Höhe und hin­ter ei­nem Dü­nen­hü­gel am Sau­me der brei­te­ren Stra­ße, die Ha­dri­an ge­mie­den, tra­ten zwei Män­ner in pries­ter­li­chen Klei­dern her­vor. Sie ge­hör­ten bei­de zum Tem­pel des klas­si­schen Baal, ei­nem klei­nen Bau­werk von fes­tem Ge­stein, das dem Mee­re zu­ge­kehrt war und das ges­tern der Kai­ser be­such­te.

»Ob er den Weg ver­fehl­te?«, frag­te der eine Pries­ter den an­de­ren in phö­ni­zi­scher Spra­che.

»Schwer­lich«, lau­te­te die Ant­wort. »Mas­tor er­zähl­te, er fin­de je­den Weg, den er ein­mal ge­gan­gen, auch im Dun­keln wie­der.«

»Und doch sieht er mehr in die Wol­ken als auf den Bo­den.«

»Aber er ver­sprach uns doch ges­tern …«

»Be­stimm­tes hat er nicht zu­ge­sagt«, un­ter­brach ihn der an­de­re.

»Doch; beim Ab­schied rief er, ich habe es deut­lich ge­hört: Vi­el­leicht kom­m’ ich wie­der und be­fra­ge euer Ora­kel.«

»Vi­el­leicht.«

»Ich glau­be, er hat ›wahr­schein­lich‹ ge­sagt.«

»Wer weiß, welch ein Zei­chen, das er da oben ge­se­hen, ihn fort­treibt. Er geht auf das La­ger am Mee­re zu.«

»Aber in un­se­rem Fest­saal steht doch die Mahl­zeit für ihn be­reit.«

»Für den deckt sich über­all die Ta­fel. Komm! Ein ab­scheu­li­cher Mor­gen; mich friert.«

»War­te noch et­was. – Sieh nur.«

»Was?«

»Er trägt nicht ein­mal einen Hut auf den grau­en Lo­cken.«

»Auf Rei­sen sah ihn noch kei­ner mit be­deck­tem Haup­te.«

»Und sein grau­er Man­tel sieht gar nicht kai­ser­lich aus.«

»Beim Gast­mahl trägt er im­mer den Pur­pur.«

»Weißt du, an wen mich sein Gang und sein Aus­se­hen er­in­nern?«

»Nun?«

»An un­se­ren ver­stor­be­nen Ober­pries­ter Abi­baal; der schritt auch so mäch­tig und sin­nend ein­her und trug den Bart wie der Kai­ser.«

»Ja, ja, und das grü­beln­de, sin­nen­de Auge.«

»Er sah auch oft in die Höhe. Selbst die brei­te Stirn ha­ben bei­de ge­mein – aber Abi­baals Nase war mehr ge­bo­gen und sein Haupt we­ni­ger kraus ge­lockt.«

»Un­se­res Meis­ters Mund war wür­de­voll ernst, wäh­rend die Lip­pen Ha­drians bei al­lem, was er sag­te und hör­te, sich spitz­ten und zuck­ten, als woll­te er spot­ten.«

»Sieh nur, jetzt wen­det er sich zu sei­nem Lieb­ling – An­to­ni­us mein’ ich, heißt der schmu­cke Ge­sel­le.«

»An­ti­nous, nicht An­to­ni­us. In Bi­thy­ni­en, sa­gen sie, habe er ihn auf­ge­le­sen.«

»Schön ist er.«

»Schön oh­ne­glei­chen. Wel­cher Wuchs, wel­ches Ant­litz! Aber ich woll­te doch nicht, daß er mein Sohn wäre.«

»Des Kai­sers Lieb­ling?«

»Eben dar­um. Er sieht jetzt schon aus, als hät­te er al­les ge­nos­sen und könn­te über nichts mehr Freu­de emp­fin­den.«

Auf ei­ner klei­nen Flä­che hart am Ufer des Mee­res, die von bröck­li­gen Klip­pen vor dem Ost­win­de ge­schützt war, stan­den meh­re­re Zel­te. Zwi­schen ih­nen brann­ten Feu­er, um die sich rö­mi­sche Sol­da­ten und kai­ser­li­che Die­ner ge­schart hat­ten. Halb­nack­te Kna­ben, Kin­der der in die­ser Wüs­te hau­sen­den Fi­scher und Ka­mel­trei­ber, lie­fen ge­schäf­tig hin und her, um die Flam­men mit dür­ren Schilfs­ten­geln und wel­kem Wüs­ten­ge­strüpp zu spei­sen; aber so hoch die Lohe auch auf­schlug, schweb­te der Rauch doch nicht him­mel­an, son­dern trieb sich, von kur­z­en Wind­stö­ßen hin und her ge­jagt, wie eine aus­ein­an­der­ge­spreng­te Schaf­her­de in klei­nen Wol­ken über den Bo­den hin. Es war, als fürch­te er sich, in die graue, un­freund­li­che und feuch­te Luft auf­zu­stei­gen.

Das größ­te un­ter den Zel­ten, vor dem vier rö­mi­sche Sol­da­ten zu zwei und zwei Wa­che hal­tend auf und nie­der schrit­ten, war nach dem Mee­re hin weit ge­öff­net. Die Skla­ven, die durch sein brei­tes Tor ins Freie tra­ten, muß­ten die Bret­ter, die sie auf den ge­scho­re­nen Köp­fen tru­gen und auf de­nen sil­ber­ne und gol­de­ne Schüs­seln, Tel­ler, Weinkrü­ge und Be­cher mit den Res­ten ei­ner Mahl­zeit stan­den, mit bei­den Hän­den fest­hal­ten, da­mit der Wind sie nicht zu Bo­den wehe. Das In­ne­re des Zel­tes war völ­lig schmuck­los.

Auf ei­nem Pols­ter an sei­ner rech­ten, vom Sturm be­weg­ten Wand lag der Kai­ser. Sei­ne blut­lo­sen Lip­pen wa­ren fest auf­ein­an­der ge­preßt, die Arme über der Brust ge­kreuzt und die Au­gen halb ge­schlos­sen. Aber er schlief nicht; denn manch­mal öff­ne­te sich sein Mund und zog sich hin und her, als hät­te er den Ge­schmack ei­ner Spei­se zu prü­fen. Bis­wei­len schlug er auch die lan­gen, mit klei­nen Fal­ten und bläu­li­chen Adern ganz über­zo­ge­nen Li­der der Au­gen auf, wand­te sie in die Höhe oder ließ den Blick zur Sei­te und nie­der­wärts nach der Mit­te des Zel­tes hin rol­len.

Dort lag auf dem mit blau­em Tu­che ver­bräm­ten Fel­le ei­nes ge­wal­ti­gen Bä­ren Ha­drians Lieb­ling An­ti­nous. Sein schö­nes Haupt ruh­te auf dem künst­lich er­hal­te­nen Kop­fe des von sei­nem Ge­bie­ter er­leg­ten Tie­res, sein rech­tes Bein spiel­te, ge­stützt von dem in die Höhe ge­zo­ge­nen lin­ken, frei in der Luft und sei­ne Hän­de be­schäf­tig­ten sich mit dem Mo­los­ser­hun­de des Kai­sers, der sei­nen klu­gen Kopf an die hoch­ge­wölb­te nack­te Brust des Jüng­lings ge­schmiegt hat­te und oft zu sei­nem wei­chen Mun­de hin­an­streb­te, um ihm sei­ne Zärt­lich­keit zu be­wei­sen. Aber An­ti­nous wehr­te ihn von sich ab, preß­te scher­zend die Schnau­ze des Tie­res mit den Hän­den zu­sam­men oder um­wi­ckel­te sein Haupt mit dem Ende des wei­ßen Pal­li­ums, das ihm von den Schul­tern ge­sun­ken war.

Dem Hun­de schi­en dies Spiel zu be­ha­gen; als der Jüng­ling aber ein­mal das Tuch fes­ter um sei­nen Kopf ge­schlun­gen hat­te und er sich ver­geb­lich be­müh­te, sich von der Hül­le zu be­frei­en, die ihm den Atem be­eng­te, heul­te er laut auf, und die­ser Kla­ge­ton ver­an­laß­te den Kai­ser, die Lage zu ver­än­dern und dem auf dem Bä­ren­fell Ru­hen­den einen miß­bil­li­gen­den Blick zu­zu­wer­fen, nur einen Blick, kein Wort des Ta­dels. Bald ver­än­der­te sich auch der Aus­druck in Ha­drians Auge, das sich mit so lie­be­vol­ler Auf­merk­sam­keit an die Ge­stalt des Jüng­lings hef­te­te, als sei sie ein ed­les, nie­mals ge­nug zu be­wun­dern­des Kunst­werk. Und wahr­lich, die Himm­li­schen hat­ten die­ses Men­schen­kin­des Leib zu ei­nem sol­chen ge­stal­tet! Wun­der­voll weich und doch kräf­tig war je­der Mus­kel an die­sem Hal­se, die­ser Brust, die­sen Ar­men und Bei­nen! Eben­mä­ßi­ger als das sei­ne konn­te kein Men­schen­ant­litz ge­schnit­ten sein.

An­ti­nous be­merk­te, daß der Ge­bie­ter sei­ne Auf­merk­sam­keit auf das Spiel mit dem Hun­de rich­te­te, ließ den Mo­los­ser los und wand­te das große, aber we­nig be­leb­te Auge dem Kai­ser zu.

»Was treibst du da?«, frag­te Ha­dri­an freund­lich.

»Nichts«, lau­te­te die Ant­wort.

»Nie­mand tut nichts. Wer es den­noch da­hin ge­bracht zu ha­ben meint, der denkt doch we­nigs­tens, daß er un­be­schäf­tigt sei, und den­ken ist viel.«

»Ich kann gar nicht den­ken.«

»Je­der­mann kann’s, und ta­test du es jetzt eben nicht, dann hast du ge­spielt.«

»Ja, mit dem Hun­de.«

Bei die­ser Ant­wort ließ An­ti­nous die Füße zu Bo­den sin­ken, wehr­te das Tier ab und leg­te bei­de Hän­de un­ter das lo­cki­ge Haupt.

»Du bist müde?«, frag­te der Kai­ser.

»Ja?«

»Wir ha­ben bei­de den glei­chen Teil der Nacht durch­wacht, und ich, der um so viel Äl­te­re, füh­le mich mun­ter.«

»Du sag­test erst ges­tern, die al­ten Sol­da­ten taug­ten am bes­ten zum Nacht­dienst.«

Der Kai­ser nick­te und ver­setz­te da­bei:

»In dei­nen Jah­ren lebt man, so­lan­ge man wacht, drei­mal so schnell wie in mei­nen, dar­um braucht man wohl auch dop­pelt so lan­gen Schlaf. Du hast das Recht, müde zu sein. Frei­lich erst drei Stun­den nach Mit­ter­nacht er­stie­gen wir den Berg, und wie häu­fig en­det ein Gast­mahl weit spä­ter.«

»Es war kalt und un­freund­lich da oben!«

»Erst nach dem Auf­gang der Son­ne.«

»Vor­her be­merk­test du’s nicht; denn du hat­test bis da­hin mit den Ster­nen zu tun.«

»Und du nur mit dir selbst, das ist rich­tig.«

»Ich dach­te auch an dei­ne Ge­sund­heit, als sich vor der Aus­fahrt des He­li­os die kal­te Luft er­hob.«

»Ich muß­te sein Er­schei­nen er­war­ten.«

»Er­kennst du auch an der Art und Wei­se des Son­nen­auf­gangs zu­künf­ti­ge Din­ge?«

Ha­dri­an schau­te den also Fra­gen­den be­frem­det an, schüt­tel­te ver­nei­nend das Haupt, blick­te zur De­cke des Zel­tes hin­auf und sag­te nach ei­ner län­ge­ren Pau­se in kur­z­en, von man­cher Ge­dan­ken­pau­se un­ter­bro­che­nen Sät­zen:

»Der Tag ist lau­ter Ge­gen­wart, und aus dem Dun­keln er­wächst Zu­künf­ti­ges; aus der Acker­schol­le er­steht das Korn, aus der fins­te­ren Wol­ke fließt der Re­gen, aus dem Mut­ter­scho­ße kom­men neue Ge­schlech­ter, im Schlaf er­neut sich die Fri­sche der Glie­der. Was aus dem dunklen Tode her­vor­geht, wer weiß es?«

Nach­dem der Kai­ser dann län­ge­re Zeit ge­schwie­gen hat­te, frag­te der Jüng­ling: »Aber wenn dich der Son­nen­auf­gang nichts Zu­künf­ti­ges lehrt, warum un­ter­brichst du dann so oft die nächt­li­che Ruhe und be­steigst die Ber­ge, um ihn zu se­hen?«

»Wa­rum? warum?«, gab Ha­dri­an lang­sam zu­rück, strich nach­denk­lich den er­grau­en­den Bart und fuhr wie im Selbst­ge­sprä­che fort:

»Dem Ver­stan­de fehlt auf die­se Fra­ge die Ant­wort, dem Mun­de das Wort, und stün­de es mir zur Ver­fü­gung, wer be­grif­fe mich wohl von dem Ge­sin­del? Mit Bil­dern kommt man bei sol­chen Fra­gen am wei­tes­ten. Wer am Le­ben teil­hat, ist ein Schau­spie­ler auf der Büh­ne der Welt. Wer groß sein will auf dem Thea­ter, der be­steigt den Ko­thurn, und ist ein Berg nicht die höchs­te Un­ter­la­ge, die der Mensch sei­ner Soh­le zu ge­ben ver­mag? Der Ka­si­us dort ist ein Hü­gel, aber ich habe auf ge­wal­ti­ge­ren Gip­feln ge­stan­den und un­ter mir wie Ju­pi­ter auf sei­nem Olymp die Wol­ken ge­schaut.«

»Du brauchst kei­ne Ber­ge zu er­stei­gen, um dich als Gott zu füh­len«, rief An­ti­nous. »Der Gött­li­che wirst du ge­nannt – du be­fiehlst, und die Welt muß ge­hor­chen. Mit dem Ber­ge un­ter sich ist man al­ler­dings dem Him­mel nä­her als in der Ebe­ne, aber …«

»Nun?«

»Ich ge­traue mich nicht her­aus­zu­sa­gen, was mir da ein­fiel.«

»Sprich nur.«

»Da war ein klei­nes Mäd­chen. Wenn ich das auf die Schul­ter nahm, so streck­te es gern den Arm hoch in die Höhe und sag­te: ›Ich bin so groß!‹ Es dach­te dann, es sei hö­her als ich, und war doch nur die klei­ne Pan­thea.«

»Aber in ih­rer Vor­stel­lung war sie die große, und das gibt den Aus­schlag; denn für je­den ist je­des Ding nur das, wo­für er es hält. – Ge­wiß, sie nen­nen mich gött­lich, aber ich füh­le doch täg­lich hun­dert­mal die Be­schränkt­heit der mensch­li­chen Kraft und Na­tur, über die ich nir­gends hin­aus kann. Auf der Spit­ze ei­nes Ber­ges emp­fin­d’ ich sie nicht. Da will es mir schei­nen, als wäre ich groß; denn nichts auf Er­den über­ragt mei­nen Schei­tel in der Nähe und Fer­ne. Und wenn dort vor mei­nen Bli­cken die Nacht ver­schwin­det, das Glanz­licht der jun­gen Son­ne die Welt neu für mich ge­biert, in­dem sie al­les noch jüngst vom Dun­kel Ver­schlun­ge­ne mei­ner Vor­stel­lung zu­rück­gibt, dann he­ben mir tiefe­re Atem­zü­ge die Brust, und die Lun­ge füllt sich gern mit der rei­ne­ren und leich­teren Luft der Höhe. Dort oben al­lein und in ein­sa­mer Stil­le be­rührt mich kei­ne Mah­nung an das Trei­ben da un­ten, füh­le ich mich eins mit der großen vor mir aus­ge­brei­te­ten Na­tur. Es kom­men und ge­hen die Wo­gen des Mee­res, es nei­gen und he­ben sich die Kro­nen der Bäu­me des Wal­des, Ne­bel und Düns­te und Wol­ken wal­len auf und ver­tei­len sich hier­hin und dort­hin, und ich füh­le mich da oben so ganz ver­schmol­zen mit dem Ge­schaf­fe­nen, das mich um­gibt, daß es mir oft­mals schei­nen will, als sei es mein Atem, der es be­wegt. Wie die Kra­ni­che und Schwal­ben, so zieht es auch mich in die Wei­te, und wo wäre es dem Auge wohl eher ge­stat­tet, das un­er­reich­ba­re Ziel we­nigs­tens ah­nend zu er­spä­hen, als auf dem Gip­fel ei­nes Ber­ges? Die un­be­grenz­te Fer­ne, die die See­le sucht, scheint hier eine mit dem Sin­nen er­faß­ba­re Form zu ge­win­nen, und der Blick be­rührt ihre Schran­ken. Er­wei­tert, nicht er­ho­ben nur fühlt sich da das gan­ze We­sen, und die Sehn­sucht, die ich, so­bald ich das Ge­wühl des Le­bens tei­le und die Sor­ge für den Staat mei­ne Kräf­te auf­ru­fen, füh­le, sie schwin­det … Aber das ver­stehst du nicht, Kna­be – das al­les sind Din­ge, die ich mit kei­nem an­de­ren Sterb­li­chen tei­le.«

»Nur mir ver­schmähst du nicht sie zu zei­gen«, rief An­ti­nous, der sich dem Kai­ser voll zu­ge­wandt und mit weit ge­öff­ne­ten Au­gen kei­nes sei­ner Wor­te ver­lo­ren hat­te.

»Dir?«, frag­te Ha­dri­an, und ein Lä­cheln, das nicht frei war von Spott, flog ihm um die Lip­pen. »Vor dir hab’ ich so we­nig ein Ge­heim­nis wie vor dem Amor des Pra­xi­te­les in mei­nem Ar­beits­zim­mer zu Rom.«

Aus des Jüng­lings Her­zen stieg das Blut in die Wan­gen und färb­te sie mit flam­men­dem Pur­pur.

Der Kai­ser be­merk­te es und füg­te be­gü­ti­gend hin­zu:

»Du bist mir mehr als das Kunst­werk. Der Mar­mor kann nicht er­rö­ten. In der Zeit des Athe­ners re­gier­te die Schön­heit das Le­ben, du aber be­weist mir, daß es den Göt­tern ge­fällt, sie auch in un­se­rer heu­ti­gen Welt zu ver­kör­pern. Dein An­blick ver­söhnt mich mit den Dis­har­mo­ni­en des Da­seins. Es tut mir wohl, aber wie soll­t’ ich von dir ver­lan­gen, daß du mich ver­stehst? Dei­ne Stir­ne ward nicht zum Grü­beln ge­schaf­fen. Oder hät­test du ei­nes von mei­nen Wor­ten ver­stan­den?«

An­ti­nous stütz­te den Ober­kör­per auf die Lin­ke, und die Rech­te er­he­bend rief er ein ent­schie­de­nes »Ja«.

»Wel­ches?«, frag­te der Kai­ser.

»Ich ken­ne die Sehn­sucht.«

»Wo­nach?«

»Nach vie­len Din­gen.«

»Nen­ne mir ei­nes.«

»Ge­nuß, dem kei­ne Er­nüch­te­rung folgt; ich ken­ne kei­nen.«

»Die­sen Wunsch teilst du mit der gan­zen rö­mi­schen Ju­gend; sie pflegt sich nur den Nach­satz zu spa­ren. Wei­ter!«

»Ich darf nicht.«

»Wer ver­bie­tet dir, of­fen mit mir zu re­den?«

»Du ta­test es selbst.«

»Ich?«

»Ja, du; denn du un­ter­sag­test mir, dir von mei­ner Hei­mat, mei­ner Mut­ter, den Mei­nen zu spre­chen.«

Des Kai­sers Stirn fal­te­te sich, und ge­bie­te­risch fiel er ihm ins Wort:

»Ich bin dein Va­ter, und mir soll dei­ne gan­ze See­le ge­hö­ren.«

»Sie ist dein ei­gen«, ent­geg­ne­te der Jüng­ling, ließ sich auf das Bä­ren­fell zu­rück­fal­len und zog das Pal­li­um fest um sei­ne Schul­tern; denn ein Wind­stoß blies kalt durch das sich öff­nen­de Tor des Zel­tes, durch das Phle­gon, der Ge­heim­schrei­ber des Kai­sers, dem Ge­bie­ter ent­ge­gen­trat. Ihm folg­te ein Skla­ve mit meh­re­ren ver­sie­gel­ten Rol­len un­ter dem Arme.

»Ist es dir ge­nehm, Cäsar, daß wir die ein­ge­lau­fe­nen Schrif­ten und Brie­fe er­le­di­gen?«, frag­te der Be­am­te, des­sen schön ge­ord­ne­te Haa­re der See­wind zer­zaust hat­te.

»Ja; dann aber wol­len wir auf­zeich­nen, was ich in die­ser Nacht am Him­mel be­ob­ach­ten konn­te. Hast du die Ta­feln zur Hand?«

»Ich ließ sie in dem zur Ar­beit auf­ge­schla­ge­nen Zel­te aus­brei­ten, Cäsar.«

»Der Sturm ist hef­tig ge­wor­den?«

»Er scheint zu­gleich von Os­ten und Nor­den zu we­hen. Die See geht sehr hoch. Die Kai­se­rin wird eine schlim­me Über­fahrt ha­ben.«

»Wann brach sie auf?«

»Ge­gen Mit­ter­nacht wur­den die An­ker ge­lich­tet. Das Schiff, mit dem sie aus Alex­an­dria ge­holt ward, ist ein schö­nes Fahr­zeug, aber es rollt in un­an­ge­neh­mer Wei­se von der einen Sei­te zur an­de­ren.«

Ha­dri­an lach­te bei die­sen Wor­ten mit schnei­di­ger Schär­fe auf und rief:

»Das wird ihr das Herz und den Ma­gen von oberst zu un­terst keh­ren. Ich wünsch­te, ich könn­te da­bei sein! Aber nein – bei al­len Göt­tern nein, ich woll­te es nicht! Heu­te ver­gißt sie si­cher sich zu schmin­ken. Und wer baut ihr die Haa­re auf, wenn auch ihre Frau­en das Schick­sal er­eilt? Wir blei­ben heu­te hier; denn tref­fe ich sie bald nach ih­rer An­kunft in Alex­an­dria, so ist sie lau­ter Gal­le und Es­sig.«

Ha­dri­an er­hob sich bei die­sen Wor­ten vom La­ger und trat, in­dem er An­ti­nous mit der Hand grüß­te, dem Ge­heim­schrei­ber vor­an ins Freie.

Dem Ge­sprä­che des Günst­lings mit dem Ge­bie­ter hat­te als Drit­ter vom Hin­ter­grun­de des Zel­tes aus der Ja­zy­gier Mas­tor bei­ge­wohnt. Er war Skla­ve und wur­de dar­um so we­nig be­ach­tet wie der mo­los­si­sche Hund, der Ha­dri­an ge­folgt war, oder das Pols­ter, auf dem der Kai­ser ge­le­gen.

Der hüb­sche, gut ge­wach­se­ne Mann dreh­te eine Zeit­lang die En­den sei­nes lan­gen röt­li­chen Schnurr­bar­tes, strich sich mit der Hand über den run­den, kurz ge­scho­re­nen Schä­del, zog den of­fe­nen Chi­ton über die in be­son­ders hel­lem Weiß schim­mern­de Brust zu­sam­men und ver­wand­te da­bei kei­nen Blick von An­ti­nous, der sich um­ge­kehrt hat­te und das Ant­litz samt den Hän­den, die es be­deck­ten, in das Fell am Hin­ter­haup­te des Bä­ren drück­te.

Mas­tor hat­te ihm et­was zu sa­gen, aber er wag­te es nicht, ihn an­zu­ru­fen, denn der Günst­ling war un­be­re­chen­bar in sei­nem Ver­hal­ten ge­gen ihn. Manch­mal hör­te er ihm ger­ne zu und sprach mit ihm wie mit ei­nem Freun­de, manch­mal wies er ihn här­ter zu­rück als ein stren­ger Em­por­kömm­ling den un­ters­ten Die­ner. End­lich faß­te der Skla­ve sich ein Herz und rief den Jüng­ling an; denn es schi­en ihm leich­ter, Schelt­wor­te hin­zu­neh­men, als einen schon in Wor­te um­ge­setz­ten, warm emp­fun­de­nen Ge­dan­ken, so klein er auch sein moch­te, in sich zu ver­schlie­ßen.

An­ti­nous hob das Haupt ein we­nig über die Hän­de em­por und frag­te:

»Was willst du?«

»Ich woll­te dir nur sa­gen«, ent­geg­ne­te der Ja­zy­gier, »daß ich weiß, wer das klei­ne Mäd­chen war, das du dir manch­mal auf die Schul­tern setz­test. Nicht wahr, es ist dein Schwes­ter­chen ge­we­sen, von dem du mir neu­lich er­zähl­test?«

Der also An­ge­re­de­te nick­te mit dem Kop­fe, ver­grub ihn wie­der­um in die Hän­de, und sei­ne Schul­tern flo­gen so leb­haft auf und nie­der, daß es aus­sah, als ob er wei­ne.

Da schwieg Mas­tor ei­ni­ge Mi­nu­ten. Dann trat er An­ti­nous nä­her und sag­te:

»Du weißt, ich habe einen Sohn und ein Töch­ter­chen zu Hau­se, und ich höre gern von klei­nen Mäd­chen er­zäh­len. Wir sind bei­de al­lein, und wenn dir’s die See­le er­leich­tert …«

»Laß nur, ich habe dir schon zehn­mal von mei­ner Mut­ter und der klei­nen Pan­thea er­zählt«, ent­geg­ne­te An­ti­nous, in­dem er sich ge­faßt zu er­schei­nen be­müh­te.

»So tue es heu­te ge­trost zum elf­ten Male«, bat der Skla­ve. »Ich kann im La­ger und in der Kü­che über die Mei­nen so viel spre­chen, wie ich nur will. Aber du? Wie hieß gleich das Hünd­chen, dem die klei­ne Pan­thea die rote Kap­pe näh­te?«

»Kal­lis­te nann­ten wir’s«, rief An­ti­nous und wisch­te die Au­gen mit dem Rücken der Hand. »Mein Va­ter woll­te es nicht dul­den, wir aber ge­wan­nen die Mut­ter. Ich war ihr Lieb­ling, und wenn ich sie um­faß­te und mit bei­den Au­gen bit­tend zu ihr auf­sah, so sag­te sie ›Ja‹ zu al­lem, um was ich sie bat.«

Ein fro­her Glanz leuch­te­te aus dem mü­den Auge des Jüng­lings, er hat­te an eine Rei­he von Freu­den ge­dacht, auf die kei­ne Er­nüch­te­rung ge­folgt war.

Zweites Kapitel

Ei­ner der von den pto­le­mäi­schen Fürs­ten in Alex­an­dria er­bau­ten Kö­nigs­pa­läs­te lag auf der Land­zun­ge Lo­chi­as, die sich wie ein nach Nor­den wei­sen­der Fin­ger in das blaue Meer hin­aus­streck­te. Sie bil­de­te die öst­li­che Gren­ze des großen Ha­fens. Es fehl­te ihm nie­mals an zahl­rei­chen Fahr­zeu­gen je­der Art, heu­te aber war er be­son­ders reich be­setzt und die mit ge­glät­te­ten Stein­plat­ten ge­pflas­ter­te Kai­stra­ße, die aus dem vom Meer be­spül­ten Palast­vier­tel der Stadt, dem so­ge­nann­ten Bru­chi­um, zu der Land­zun­ge führ­te, war so über­füllt von neu­gie­ri­gen Bür­gern zu Fuß und zu Wa­gen, daß die­se, be­vor sie den Pri­vat­ha­fen der kai­ser­li­chen Schif­fe er­reicht hat­ten, die Fahrt un­ter­bre­chen muß­ten.

Es gab aber auch Un­ge­wöhn­li­ches an dem Lan­dungs­plat­ze zu se­hen; denn da la­gen, von ho­hen Mo­len ge­schützt, die präch­ti­gen Drei­ru­de­rer, Ga­lee­ren, Lang- und Last­schif­fe, die die Gat­tin des Ha­dri­an und das Ge­fol­ge des Herr­scher­paa­res nach Alex­an­dria ge­bracht hat­ten. Ein mäch­ti­ges Fahr­zeug mit ei­nem sehr ho­hen Ka­jü­ten­hau­se auf dem Hin­ter­deck und dem Kopf ei­ner Wöl­fin am baum­ho­hen, kühn ge­schwun­ge­nen Schna­bel er­reg­te die größ­te Auf­merk­sam­keit. Es war ganz aus Ze­dern­holz ge­ar­bei­tet, reich mit Bron­ze und El­fen­bein­zie­rat ge­schmückt und hieß »Sa­bi­na«. Ein jun­ger Bür­ger wies mit dem Fin­ger auf die­sen am Stern des Schif­fes mit gol­de­nen Let­tern an­ge­brach­ten Na­men, stieß sei­ne Beglei­ter an und sag­te la­chend:

»Sa­bi­na hat den Kopf ei­ner Wöl­fin.«

»Ein Pfau­en­kopf wür­de bes­ser pas­sen. Sahst du sie ges­tern ins Cäsa­re­um fah­ren?«, ent­geg­ne­te der an­de­re.

»Lei­der«, rief der ers­te­re, schwieg aber so­gleich, als er dicht hin­ter sich einen rö­mi­schen Lik­tor be­merk­te, der ein schön zu­sam­men­ge­schnür­tes Bün­del von Ul­men­ru­ten, die Fas­zes, auf der lin­ken Schul­ter trug und mit dem Stöck­lein in der rech­ten Hand, un­ter­stützt von sei­nen Ge­nos­sen, die Men­ge zu zer­tei­len und Platz für den Wa­gen sei­nes Ge­bie­ters, des kai­ser­li­chen Prä­fek­ten Ti­tia­nus, zu schaf­fen such­te, der ihm in lang­sa­mem Schrit­te folg­te.

Der hohe Be­am­te hat­te die lo­sen Wor­te der Bür­ger ver­nom­men und sag­te, in­dem er sich an den ne­ben ihm ste­hen­den Mann wand­te und das Ende der Toga mit ei­nem ra­schen Wur­fe in neue Fal­ten brach­te:

»Wun­der­li­ches Volk! Ich kann ihm nicht gram sein, aber ich rit­te lie­ber auf ei­nem Mes­ser als auf ei­ner alex­an­dri­ni­schen Zun­ge von hier nach Ka­no­pus.«

»Hör­test du, was der Di­cke vor­hin über Ve­rus sag­te?«

»Der Lik­tor woll­te ihn fas­sen, aber mit Stren­ge kommt man bei ih­nen zu gar nichts. Müß­ten sie für je­des gif­ti­ge Wort nur einen Ses­terz zah­len, ich sage dir, Pon­ti­us, die Stadt wür­de ver­ar­men und un­ser Schatz bald vol­ler sein als der des al­ten Gy­ges von Sar­des.«

»Laß sie reich blei­ben«, rief der an­de­re, der Ober­bau­meis­ter der Stadt, ein Mann von ei­ni­gen drei­ßig Jah­ren mit hoch­ge­wölb­ten, tat­kräf­tig drein­schau­en­den Au­gen, und fuhr, in­dem er die Rol­le, die er in der Hand hielt, kräf­tig zu­sam­men­faß­te, mit tiefer Baß­stim­me fort: »Sie ver­ste­hen zu ar­bei­ten und Schweiß ist sal­zig. Beim Schaf­fen för­dern, in der Ruhe bei­ßen sie ein­an­der wie über­mü­ti­ge Ros­se an der glei­chen Stan­ge. Der Wolf ist ein statt­li­ches Tier, aber brich ihm die Zäh­ne aus, so wird er zum gars­ti­gen Hun­de.«

»Mir aus der See­le ge­spro­chen«, rief der Prä­fekt. »Aber da sind wir. Ewi­ge Göt­ter, so schlimm hab’ ich mir das Ding doch nicht ge­dacht. Von wei­tem sah es im­mer noch statt­lich ge­nug aus!«

Ti­tia­nus und der Bau­meis­ter stie­gen vom Wa­gen. Je­ner be­fahl ei­nem Lik­tor, den Vor­ste­her des Palas­tes zu ru­fen, und be­sich­tig­te dann mit dem Beglei­ter zu­erst die in den Palast füh­ren­de Pfor­te. Sie bot mit den dop­pel­ten Säu­len, die den ho­hen Gie­bel tru­gen, einen ma­je­stä­ti­schen An­blick, aber sie bot einen kei­nes­wegs freund­li­chen An­blick; denn der Stuck war an vie­len Stel­len von den Wän­den ge­fal­len, die Ka­pi­tä­le der mar­mor­nen Säu­len wa­ren kläg­lich ver­stüm­melt, und die ho­hen, mit Me­tall be­schla­ge­nen Türflü­gel hin­gen schief in den An­geln.

Pon­ti­us maß je­den Teil der Pfor­te scharf prü­fen­den Blickes und trat dann mit dem Prä­fek­ten in den ers­ten Hof des Palas­tes, in dem zur Zeit der pto­le­mäi­schen Fürs­ten die Zel­te der Ge­sand­ten, Schrei­ber und dienst­tu­en­den Be­am­ten der Kö­ni­ge ge­stan­den hat­ten.

Dort stell­te sich den bei­den ein un­ver­mu­te­tes Hin­der­nis ent­ge­gen, denn von dem Häu­schen aus, in dem der Tor­hü­ter wohn­te, wa­ren meh­re­re Stri­cke quer über den ge­pflas­ter­ten Raum ge­spannt, auf dem Gras grün­te und hohe Dis­teln blüh­ten.

An den Sei­len hing feuch­te Wä­sche von je­der Grö­ße und Form.

»Ein hüb­sches Quar­tier für den Kai­ser«, seufz­te Ti­tia­nus, die Ach­seln zu­ckend, und wehr­te dem Lik­tor, der die Fas­zes er­ho­ben hat­te, um die Stri­cke zu Bo­den zu schla­gen.

»Ist nicht so schlimm, wie es aus­sieht«, sag­te der Bau­meis­ter ent­schie­den. »Tor­hü­ter! He, Tor­hü­ter! Wo steckt nur der Nichts­tu­er?«

Wäh­rend er rief und der Lik­tor in das In­ne­re des Palas­tes eil­te, schritt Pon­ti­us auf das Häu­schen des Wäch­ters zu und blieb, nach­dem er sich in ge­bück­ter Stel­lung einen Weg durch die feuch­ten Tü­cher ge­bahnt hat­te, ste­hen. Un­ge­duld und Ver­druß hat­ten sich, seit­dem er die Schwel­le des To­res über­schrit­ten, auf sei­nen Zü­gen ge­spie­gelt, jetzt aber be­gann sein kräf­ti­ger Mund zu lä­cheln und mit halb­lau­ter Stim­me rief er dem Prä­fek­ten zu:

»Ti­tia­ne, gib dir die Mühe!«

Dem al­tern­den Wür­den­trä­ger, des­sen hohe Ge­stalt die des Bau­meis­ters um ei­nes vol­len Haup­tes Län­ge über­rag­te, wur­de es nicht eben leicht, mit ge­krümm­tem Rücken un­ter den Sei­len da­hin­zu­schrei­ten. Aber er tat es mit gu­ter Lau­ne, und in­dem er sorg­lich ver­mied, die Wä­sche her­un­ter­zu­rei­ßen, rief er Pon­ti­us zu: »Ich be­gin­ne die Kin­der­hem­den zu ach­ten. Un­ter ih­nen kommt man doch mit un­ge­bro­che­nem Rück­grat hin­durch. – Ach, ach! Das ist köst­lich!«

Die­ser Ruf galt dem An­blick, zu dem der Bau­meis­ter den Prä­fek­ten ge­la­den und der al­ler­dings ei­gen­tüm­lich ge­nug war.

Die Vor­der­sei­te des Tor­hü­ter­häus­chens war ganz mit Efeu um­wach­sen, der auch das Fens­ter und die Tür der Wäch­ter­woh­nung mit vol­len Ran­ken ein­rahm­te. Zwi­schen dem grü­nen Laub­wer­ke hin­gen zahl­rei­che Kä­fi­ge mit Sta­ren, Am­seln und klei­ne­ren Sing­vö­geln. Die brei­te Pfor­te des Häu­schens stand weit ge­öff­net und ge­stat­te­te, ein ziem­lich ge­räu­mi­ges, hei­ter be­mal­tes Zim­mer ganz zu über­bli­cken. Im Hin­ter­grün­de die­ses Ge­ma­ches sah man das Ton­mo­dell ei­nes Apol­lo von vor­treff­li­cher Ar­beit. Über und ne­ben ihm hin­gen an der Wand Lau­ten und Lei­ern von ver­schie­de­ner Grö­ße und Form.

In der Mit­te des Zim­mers und dicht ne­ben der ge­öff­ne­ten Tür war ein Tisch zu se­hen, auf dem ein großer Vo­gel­bau­er mit meh­re­ren Nes­tern voll jun­ger Stieg­lit­ze und mit grü­nem Kraut zwi­schen den rund­li­chen Stäb­chen, ein großer Wein­krug und ein mit fein ge­schnitz­tem Bild­werk ge­schmück­ter el­fen­bei­ner­ner Be­cher stand. Ne­ben dem Trink­ge­schir­re ruh­te auf der stei­ner­nen Plat­te der Ta­fel der Arm ei­ner ält­li­chen Frau, die in ih­rem Lehn­ses­sel ein­ge­schla­fen war. Trotz des klei­nen grau­en Schnurr­barts an der Ober­lip­pe und des kräf­ti­gen Rots auf der Stirn und den Wan­gen sah sie freund­lich und gut aus. Es muß­te ihr auch et­was sehr An­ge­neh­mes träu­men; denn die Stel­lung ih­res Mun­des und der Au­gen, von de­nen das eine halb of­fen, das an­de­re fest ver­schlos­sen war, ga­ben ihr das An­se­hen, als ob sie sich freu­te.

In ih­rem Scho­ße schlief eine graue Kat­ze und ne­ben ihr, als mei­de die Zwie­tracht dies hei­te­re Ge­mach, das kei­nes­wegs der Ge­ruch der Ar­mut, son­dern ein an­ge­neh­mer, ei­gen­tüm­li­cher Duft er­füll­te, ein klei­ner, zot­ti­ger Hund, der das schne­ei­ge Weiß sei­nes Fel­les si­cher­lich be­son­ders sorg­sa­mer Pfle­ge ver­dank­te. Zwei an­de­re, dem ers­te­ren ähn­li­che Hünd­lein la­gen lang aus­ge­streckt auf dem Estrich zu Fü­ßen der Al­ten und schie­nen nicht we­ni­ger fest als die­se zu schla­fen.

Der Bau­meis­ter wies, so­bald der Prä­fekt ihn er­reicht hat­te, mit dem Fin­ger in dies Stil­le­ben hin­ein und flüs­ter­te:

»Hät­ten wir hier einen Ma­ler, das gäbe ein präch­ti­ges Bild­chen.«

»Un­ver­gleich­lich!«, gab Ti­tia­nus zu­rück. »Nur scheint mir das tie­fe In­kar­nat auf dem Ant­litz der Al­ten mit Hin­blick auf die Grö­ße des ne­ben ihr ste­hen­den Wein­kru­ges ein we­nig be­denk­lich.«

»Aber sahst du je­mals ein fried­vol­ler, freund­li­cher ge­stimm­tes Bild­nis?«

»So hat Bau­cis ge­schla­fen, wenn Phi­le­mon sich ein­mal einen Aus­gang er­laub­te. Oder war die­ser an­häng­li­che Gat­te im­mer zu Hau­se?«

»Wahr­schein­lich. Aber nun ist’s vor­bei mit dem Frie­den.«

Die Nähe der Freun­de hat­te das eine Hünd­chen er­weckt. Es schlug an, und so­gleich er­ho­ben sich sei­ne Ge­fähr­ten und bell­ten mit ihm um die Wet­te. Auch der Lieb­ling der Al­ten sprang ihr vom Schö­ße. Sei­ne Her­rin und die Kat­ze lie­ßen sich in­des­sen von die­sem Lärm nicht stö­ren und schlie­fen wei­ter.

»Eine Wäch­te­rin wie sie sein soll«, lach­te der Archi­tekt.

»Und die­se Pha­lanx von Hun­den, wel­che den Palast ei­nes Kai­sers be­wacht«, füg­te Ti­tia­nus hin­zu, »läßt sich leicht mit ei­nem Schla­ge er­le­gen. Gib acht, jetzt er­wacht die wür­di­ge Ma­tro­ne.«

Die Alte war in der Tat von dem Ge­bell der Hun­de ge­stört wor­den, hat­te sich ein we­nig auf­ge­rich­tet, die Hän­de er­ho­ben und sich dann, in­dem sie einen kur­z­en Satz halb sang, halb sprach, wie­der in den Lehn­stuhl zu­rück­ge­wor­fen.

»Das ist köst­lich«, rief der Prä­fekt. »Nur im­mer mun­ter, hat sie aus dem Schla­fe ge­ru­fen. Wie sich dies selt­sa­me Men­schen­kind wohl aus­neh­men mag, wenn es wach ist?«

»Mir wär’ es leid, die Alte aus ih­rem Nes­te zu trei­ben«, sag­te der Bau­meis­ter, in­dem er die Rol­le ent­fal­te­te.

»Du rührst mir nicht an das Häu­schen«, rief der Prä­fekt mit le­ben­di­gem Ei­fer. »Ich ken­ne Ha­dri­an. Er liebt so ei­gen­tüm­li­che Din­ge und Men­schen, und ich wet­te, daß er mit der Al­ten in sei­ner Wei­se an­bin­den wird. Da kommt wohl end­lich der Ver­wal­ter die­ses Palas­tes.«

Der Prä­fekt irr­te sich nicht; denn die ra­schen Schrit­te, de­ren Na­hen er ver­nom­men hat­te, gin­gen von dem Er­war­te­ten aus.

Schon aus ei­ni­ger Ent­fer­nung hör­te man das Keu­chen des sich be­ei­len­den Man­nes, der auf dem wei­te­ren Gan­ge, be­vor Ti­tia­nus es hin­dern konn­te, die über den Hof ge­spann­ten Stri­cke mit­samt der an ih­nen hän­gen­den Wä­sche zu Bo­den riß.

Nach­dem der Vor­hang ge­fal­len war, der ihn von dem Ver­tre­ter des Kai­sers und sei­nem Beglei­ter trenn­te, ver­neig­te er sich so tief wie vor je­nem, wie dies die große Fül­le sei­nes Lei­bes ge­stat­te­te. Aber der schnel­le Lauf, die Ge­walt­tat, die er be­gan­gen, und sei­ne Über­ra­schung über das Er­schei­nen des mäch­tigs­ten Man­nes am Nil in dem sei­ner Ob­hut an­ver­trau­ten Ge­bäu­de be­raub­ten ihn so ganz des oh­ne­hin nicht aus­gie­bi­gen Atems, daß er selbst den her­kömm­li­chen Gruß nicht zu stam­meln ver­moch­te.

Ti­tia­nus ließ ihm auch we­nig Zeit; denn, nach­dem er dem Be­dau­ern über das schlim­me Schick­sal der am Bo­den lie­gen­den Wä­sche Aus­druck ge­ge­ben und dem Be­am­ten den Na­men und Be­ruf sei­nes Freun­des Pon­ti­us ge­nannt hat­te, er­öff­ne­te er ihm in knap­pen Wor­ten, daß der Kai­ser wün­sche, in dem von ihm ge­hü­te­ten Palas­te zu woh­nen, daß er, Ti­tia­nus, Kennt­nis von sei­ner schlech­ten Er­hal­tung be­sit­ze und ge­kom­men sei, um mit dem Archi­tek­ten und ihm zu be­ra­ten, was in we­ni­gen Ta­gen ge­sche­hen könn­te, um das ver­nach­läs­sig­te Schloß für Ha­dri­an be­wohn­bar zu ma­chen und we­nigs­tens die ins Auge fal­len­den Schä­den aus­zu­bes­sern. Er, der Ver­wal­ter, möge ihn nun von ei­nem Raum in den an­de­ren füh­ren.

»So­gleich – so­fort«, ent­geg­ne­te der in vie­len Jah­ren der Ruhe zu sei­nem schwe­ren Kör­per­ge­wicht ge­lang­te Grie­che. »Ich eile und hole die Schlüs­sel!«

Wäh­rend er sich keu­chend ent­fern­te, lo­cker­te er mit schnel­len Be­we­gun­gen der kur­z­en, run­den Fin­ger die rech­te Sei­te des im­mer noch vol­len Haa­res auf.

Pon­ti­us schau­te ihm nach und sag­te:

»Ruf ihn zu­rück, Ti­tia­nus. Er wur­de beim Bren­nen sei­ner Lo­cken ge­stört. Nur die eine Sei­te war fer­tig, als der Lik­tor ihn ab­rief. Ich bie­te mei­nen Kopf zum Pfan­de, daß er auch die an­de­re kräu­seln läßt, be­vor er zu­rück­kehrt. Ich ken­ne mei­ne Grie­chen!«

»Laß ihn!«, ent­geg­ne­te Ti­tia­nus. »Schät­zest du ihn rich­tig, so wird er doch erst ohne Ne­ben­ge­dan­ken auf un­se­re Fra­gen ein­ge­hen, wenn auch die an­de­re Hälf­te des Haa­res ge­lockt ist. Ich weiß gleich­falls mei­ne Hel­le­nen zu neh­men.«

»Bes­ser als ich, wie ich sehe«, ver­setz­te der Archi­tekt im Tone fes­ter Über­zeu­gung. »Ein Staats­mann ar­bei­tet eben mit Men­schen, wie wir mit leb­lo­sen Mas­sen. Sahst du, wie der Di­cke er­bleich­te, als du von den we­ni­gen Ta­gen sprachst, nach de­ren Ablauf der Kai­ser hier den Ein­zug zu hal­ten ge­denkt? Es muß schön in dem al­ten Din­ge dort aus­se­hen! Jede Stun­de ist kost­bar, und wir ha­ben hier schon zu lan­ge ge­säumt.«

Der Prä­fekt nick­te dem Bau­meis­ter bei­stim­mend zu und folg­te ihm in die in­ne­ren Räu­me des Schlos­ses.

Wie groß, wie har­mo­nisch war die An­la­ge die­ses un­ge­heu­ren Bau­es, durch den der nun­mehr rings von schö­nen Lo­cken ge­schmück­te Palast­vor­ste­her Kerau­nus die Rö­mer führ­te!

Der Palast stand auf ei­nem künst­li­chen Hü­gel in­mit­ten der Land­zun­ge Lo­chi­as, und von man­chem Fens­ter und man­chem Al­ta­ne aus lie­ßen sich die Stra­ßen und Plät­ze, die Häu­ser, Tem­pel und öf­fent­li­chen Bau­ten der Welt­stadt und ihr von Schif­fen wim­meln­der Ha­fen schön über­bli­cken. Reich, man­nig­fal­tig und viel­far­big war die Aus­sicht von der Lo­chi­as nach Wes­ten und Sü­den; wer aber von dem Al­tan des Pto­le­mä­er­pa­las­tes nach Mor­gen und Mit­ter­nacht schau­te, vor dem er­öff­ne­te sich der nie­mals er­mü­den­de Blick über die nur vom Him­mels­ge­wöl­be be­grenz­te un­end­li­che See.

Als Ha­dri­an vom Ka­si­schen Ber­ge aus sei­nem Prä­fek­ten Ti­tia­nus durch einen ei­len­den Bo­ten be­foh­len hat­te, ge­ra­de dies Bau­werk zu sei­nem Empfang ein­rich­ten zu las­sen, wuß­te er wohl, was sei­ne Lage ihm bie­ten konn­te; – das ver­nach­läs­sig­te In­ne­re des seit dem Stur­ze Kleo­pa­tras un­be­wohn­ten Schlos­ses ge­nü­gend her­zu­stel­len, war die Sa­che sei­ner Be­am­ten.

Acht, viel­leicht neun Tage ließ er ih­nen Zeit, we­nig mehr als eine Wo­che! Und wie fan­den Ti­tia­nus und Pon­ti­us, dem beim Se­hen und Zeich­nen, Un­ter­su­chen und Schrei­ben der hel­le Schweiß von der Stirn rann, die­se ver­kom­me­ne, aus­ge­plün­der­te Stät­te des höchs­ten Glan­zes!

Die Säu­len und Trep­pen in den In­nen­räu­men wa­ren er­träg­lich er­hal­ten, aber in die of­fe­nen De­cken der Fest- und Ver­samm­lungs­sä­le hat­te es hin­ein­ge­reg­net, die herr­li­chen Mo­sa­ik­fuß­bö­den wa­ren hier aus­ein­an­der­ge­wi­chen, dort sproß mit­ten in ei­nem Saal, ei­ner Hal­le oder ei­nem Säu­len­ho­fe eine klei­ne Wie­se; denn schon Ok­ta­via­nus Au­gus­tus, Ti­be­ri­us, Ve­spa­si­an, Ti­tus und eine gan­ze Rei­he von Prä­fek­ten hat­ten die schöns­ten mu­si­vi­schen Bil­der aus dem be­rühm­ten Pto­le­mä­er­pa­last auf der Lo­chi­as sorg­fäl­tig aus­bre­chen und nach Rom oder in die Pro­vinz brin­gen las­sen, um dort ihre Stadt­häu­ser oder Vil­len mit ih­nen zu zie­ren.

Eben­so war es ge­ra­de den schöns­ten Bild­säu­len er­gan­gen, mit de­nen vor ei­ni­gen hun­dert Jah­ren die kunst­sin­ni­gen La­gi­den die­sen Palast, ne­ben dem sie frei­lich noch an­de­re grö­ße­re im Bru­chi­um be­sa­ßen, ge­schmückt hat­ten.

Mit­ten in ei­ner wei­ten Mar­mor­hal­le stand ein mit dem vor­treff­li­chen Aquä­dukt der Stadt zu­sam­men­hän­gen­der, herr­lich ge­ar­bei­te­ter Spring­brun­nen. Der Zug­wind ström­te in die­sen Saal ein und peitsch­te das Was­ser in stür­mi­schen Ta­gen über sei­nen gan­zen, des mu­si­vi­schen Schmuckes be­raub­ten Bo­den, der nun, wo­hin auch der Fuß trat, mit ei­nem dün­nen, dun­kel­grü­nen, schlüpf­rig feuch­ten Über­zug von moo­si­gen Pflan­zen­ge­we­ben be­deckt war.

In die­ser Hal­le war es, wo der Palast­vor­ste­her Kerau­nus sich keu­chend an eine Wand lehn­te und, die Stirn trock­nend, mehr schnauf­te als sag­te: »An­ge­langt – am Ende!«

Die­se Wor­te hör­ten sich an, als mei­ne er sein ei­ge­nes Ende, nicht das des Palas­tes, und es klang wie ein ge­gen ihn ge­rich­te­ter Hohn, als der Bau­meis­ter Pon­ti­us un­ge­säumt mit der ihm ei­ge­nen Ent­schie­den­heit ent­geg­ne­te:

»Gut, so kön­nen wir die Un­ter­su­chung von hier aus so­gleich von neu­em be­gin­nen.«

Kerau­nus wi­der­sprach nicht, als er aber der vie­len wie­der­um zu er­stei­gen­den Trep­pen ge­dach­te, sah er aus, als habe man ihm das To­des­ur­teil ge­spro­chen.

»Ist es nö­tig, daß ich auch bei dei­ner wei­te­ren Ar­beit, die doch wohl das ein­zel­ne ins Auge faßt, bei dir blei­be?«, frag­te der Prä­fekt den Bau­meis­ter.

»Nein«, ent­geg­ne­te die­ser, »vor­aus­ge­setzt frei­lich, daß du dich be­quemst, gleich jetzt in mei­nen Plan zu schau­en, dich im gan­zen von dem, was ich vor­ha­be, zu un­ter­rich­ten und mir Voll­macht zu er­tei­len, in je­dem ein­zel­nen Fal­le über Men­schen und Mit­tel frei zu ver­fü­gen.«

»Zu­ge­stan­den«, ent­geg­ne­te Ti­tia­nus. – »Ich weiß, daß Pon­ti­us kei­nen Mann und kei­nen Ses­terz mehr oder we­ni­ger in An­spruch neh­men wird, als der Zweck es ge­bie­tet.«

Der Bau­meis­ter ver­neig­te sich schwei­gend, Ti­tia­nus aber fuhr fort:

»Vor al­len Din­gen: glaubst du in acht Ta­gen und neun Näch­ten mit dei­ner Auf­ga­be zu Ende zu kom­men?«

»Zur Not – viel­leicht. – Stün­den mir nur vier Tage mehr zur Ver­fü­gung, wahr­schein­lich.«

»Es wür­de also gel­ten, Ha­drians An­kunft um vier­mal vier­und­zwan­zig Stun­den zu ver­zö­gern.«

»Sen­de ihm an­re­gen­de Leu­te, etwa den Astro­no­men Pto­le­mä­us und den So­phis­ten Fa­vor­i­nus, der ihn hier er­war­tet, nach Pe­lu­si­um ent­ge­gen. Sie brin­gen es fer­tig, ihn dort auf­zu­hal­ten.«

»Kein üb­ler Ge­dan­ke! Wir wol­len se­hen. Aber wer kann mit den Stim­mun­gen der Kai­se­rin rech­nen? Den­ke in je­dem Fal­le, du hät­test nur über acht Tage zu ge­bie­ten.«

»Gut.«

»Wo hoffst du Ha­dri­an un­ter­brin­gen zu kön­nen?«

»Brauch­bar im ei­gent­li­chen Sin­ne sind nur klei­ne Tei­le des al­ten Ge­bäu­des.«

»Da­von muß­te ich mich lei­der selbst über­zeu­gen«, er­wi­der­te der Prä­fekt mit Nach­druck und fuhr, in­dem er sich an den Vor­ste­her wand­te, nicht streng ver­wei­send, doch im Ton des Be­dau­erns fort:

»Mir will es schei­nen, Kerau­nus, als wäre es dei­ne Pf­licht ge­we­sen, mich schon frü­her über den Ver­fall die­ses Bau­werks in Kennt­nis zu set­zen.«

»Ich klag­te be­reits«, ent­geg­ne­te der An­ge­re­de­te, »aber ich er­hielt auf mei­ne Ein­ga­be zur Ant­wort, es stün­den kei­ne Mit­tel zur Ver­fü­gung.«

»Ich weiß nichts von die­ser Sa­che«, rief Ti­tia­nus. »Wann sand­test du dein Ge­such auf die Prä­fek­tur?«

»Un­ter dei­nem Vor­gän­ger Ha­te­ri­us Nepos ge­sch­ah es.«

»So –« ent­geg­ne­te der Prä­fekt ge­dehnt. »Da­mals! Ich an dei­ner Stel­le hät­te mei­ne Ein­ga­be in je­dem Jah­re und un­be­dingt beim Amts­an­tritt des neu­en Prä­fek­ten wie­der­holt. Aber wir ha­ben jetzt kei­ne Zeit, über Ver­säum­tes zu kla­gen. Wäh­rend der An­we­sen­heit des Kai­sers sen­de ich viel­leicht einen mei­ner Be­am­ten zu dei­ner Un­ter­stüt­zung hier­her.«

Da­bei wand­te Ti­tia­nus dem Ver­wal­ter kurz den Rücken und frag­te den Bau­meis­ter:

»Nun, mein Pon­ti­us, wel­chen Teil des Palas­tes hast du ins Auge ge­faßt?«

»Die in­ne­ren Säle und Zim­mer sind noch am bes­ten er­hal­ten.«

»Aber an sie dür­fen wir am we­nigs­ten den­ken!«, rief Ti­tia­nus. »Der Kai­ser ist im La­ger mit al­lem zu­frie­den, doch wo es freie Luft gibt und einen Blick in die Fer­ne, da muß er sie ha­ben.«

»So wäh­len wir die west­li­che Zim­mer­rei­he. Hal­te den Plan, mein statt­li­cher Freund.«

Der Ver­wal­ter tat, wie ihm ge­hei­ßen. Der Bau­meis­ter er­griff den Stift, strich mit ihm kräf­tig durch die Luft über die lin­ke Sei­te des Ris­ses und sag­te:

»Dies ist die Abend­front des Palas­tes, die man vom Ha­fen aus über­blickt. Von Sü­den her kommt man zu­erst in das hohe Pe­ri­styl, das als War­te­raum be­nützt wer­den mag. Es wird von Zim­mern für die Skla­ven und Leib­wäch­ter um­ge­ben. Die fol­gen­den klei­ne­ren Säle ne­ben dem Haupt­gan­ge wei­sen wir den Be­am­ten und Schrei­bern an, in die­ser ge­räu­mi­gen hypä­thra­len1 Hal­le – die mit den Mu­sen – er­teilt Ha­dri­an Au­di­en­zen und es kön­nen sich in ihr die Gäs­te ver­sam­meln, de­nen er in die­sem brei­ten Pe­ri­styl an sei­ner Ta­fel zu spei­sen ge­stat­tet. Die klei­ne­ren, gut er­hal­te­nen Zim­mer zur Sei­te des lan­gen Gan­ges hier, der in die Woh­nung des Ver­wal­ters führt, sol­len den Pa­gen, Se­kre­tä­ren und an­de­ren per­sön­li­chen Die­nern des Cäsar ge­hö­ren. Der lan­ge, mit ed­lem Por­phyr und grü­nem Mar­mor ge­tä­fel­te und mit dem schö­nen Bron­ze­fries ge­schmück­te Raum wird Ha­dri­an, den­ke ich, als Ar­beits­ge­mach und Ru­he­zim­mer ge­fal­len.«

»Vor­treff­lich!«, rief Ti­tia­nus. »Ich möch­te dei­nen Plan der Kai­se­rin zei­gen.«

»Dann wür­de ich statt acht Tage eben­so­viel Wo­chen ge­brau­chen«, ent­geg­ne­te Pon­ti­us ge­las­sen.

»Du hast recht«, lach­te der Prä­fekt und frag­te dann: »Aber sage, Kerau­nus, warum feh­len ge­ra­de in den bes­ten Zim­mern die Tü­ren?«

»Sie be­stan­den aus kost­ba­rem Thyia­hol­ze und man be­gehr­te sie in Rom zu ha­ben.«

»Ich bin dort wohl ei­ner oder der an­de­ren be­geg­net«, mur­mel­te der Prä­fekt. »Dei­ne Schrei­ner müs­sen sich tum­meln, Pon­ti­us.«

»Sage lie­ber, die Tep­pich­händ­ler kön­nen sich freu­en. Wo es an­geht, ver­schlie­ßen wir mit schwe­ren Vor­hän­gen die Pfor­ten.«

»Was wird aus die­ser feuch­ten Woh­nung für Frösche, die, wenn ich nicht irre, an den Spei­se­saal sto­ßen muß?«

»Ein mit Blatt­pflan­zen an­ge­füll­ter Gar­ten.«

»Das läßt sich hö­ren. Aber die zer­bro­che­nen Bild­säu­len da drin?«

»Die schlimms­ten schaf­fen wir fort.«

»Steht Apoll mit den neun Mu­sen nicht in dem von dir zum Au­di­enz­saal be­stimm­ten Rau­me?«

»Ja.«

»Sie sind, denk’ ich, er­träg­lich er­hal­ten?«

»So so.«

»Die Ura­nia fehlt gänz­lich«, be­merk­te der Palast­vor­ste­her, in­dem er im­mer noch den Plan vor sich hin hielt.

»Wo kam sie hin?«, frag­te Ti­tia­nus nicht ohne Er­re­gung.

»Dei­nem Vor­gän­ger, dem Prä­fek­ten Ha­te­ri­us Nepos, ge­fiel sie be­son­ders, und er nahm sie mit sich nach Rom«, lau­te­te die Ant­wort.

»Wa­rum auch ge­ra­de Ura­nia?«, rief Ti­tia­nus ver­drieß­lich. »Sie darf im Au­di­enz­saal des him­mels­kun­di­gen Kai­sers nicht feh­len. Was ist da zu tun?«

»Es wird schwer sein, eine an­de­re fer­ti­ge Ura­nia in der Grö­ße ih­rer Schwes­tern zu fin­den, und zum Su­chen fehlt es an Zeit; so muß denn eine neue her­ge­stellt wer­den.«

»In acht Ta­gen?«

»Und eben­so vie­len Näch­ten!«

»Aber ich bit­te dich; be­vor der Mar­mor …«

»Wer denkt an den? Pa­pi­as macht uns eine aus Stroh und Tü­chern und Gips – ich ken­ne den Zau­ber – und da­mit die an­de­ren nicht zu sehr von der neu­ge­bo­re­nen Schwes­ter ab­ste­chen, wer­den sie sämt­lich weiß über­tüncht.«

»Vor­treff­lich; aber warum wählst du einen Pa­pi­as, da wir doch einen Har­mo­di­us ha­ben?«

»Har­mo­di­us nimmt es ernst mit der Kunst, und be­vor er fer­tig ist mit sei­nen Ent­wür­fen, kommt schon der Kai­ser. Pa­pi­as ar­bei­tet mit drei­ßig Ge­hil­fen, was man auch bei ihm be­stellt, wenn es nur Geld bringt. Sei­ne letz­ten Sa­chen frei­lich, be­son­ders die schö­ne Hy­gi­eia für den Ju­den Do­si­theos und die im Cäsa­re­um auf­ge­stell­te Büs­te Plut­archs mach­ten mich stut­zig; denn sie sind vol­ler An­mut und Kraft. Aber wer mag un­ter­schei­den, was ihm ge­hört, was sei­nen Schü­lern? Ge­nug, er weiß, wie man’s macht, und gibt es was Rech­tes zu ver­die­nen, so haut er dir in fünf Ta­gen eine gan­ze See­schlacht aus Mar­mor.«

»So gib Pa­pi­as den Auf­trag. Aber die ar­men, ver­stüm­mel­ten Fuß­bö­den; was tust du mit ih­nen?«

»Gips und Far­be müs­sen sie hei­len«, ent­geg­ne­te Pon­ti­us. »Wo das nicht glücken will, le­gen wir nach der Sit­te des Mor­gen­lan­des Tep­pi­che über den Estrich. Gnä­di­ge Nacht, wie dun­kel es wird! Gib den Plan, Kerau­nus, und sor­ge für Fa­ckeln und Lam­pen; denn der heu­ti­ge Tag und sei­ne Nach­fol­ger wer­den vier­und­zwan­zig voll ge­mes­se­ne Stun­den ha­ben. Ich bit­te dich um ein hal­b­es Dut­zend zu­ver­läs­si­ger Skla­ven, Ti­tia­ne. Sie müs­sen als Bo­ten be­nutz­bar sein. Was stehst du da, Mann? Licht hab’ ich ge­sagt! Ein hal­b­es Le­ben hat­test du Zeit, dich aus­zu­ru­hen, und dir blü­hen nach dem Ab­schied des Kai­sers eben­so­viel Jah­re zu dem glei­chen köst­li­chen Zwe­cke …«

Der Ver­wal­ter hat­te sich bei die­sen Wor­ten schwei­gend ent­fernt, der Bau­meis­ter schenk­te ihm aber nicht das Ende des Sat­zes und rief ihm nach:

»Wenn du bis da­hin nicht in dei­nem Fet­te er­stickt bist. – Ob wohl Nil­schlamm oder Blut in den Adern die­ses Un­ge­tüms rollt?«

»Kann mir gleich sein«, ent­geg­ne­te der Prä­fekt, »wenn in den dei­nen das im­mer präch­ti­ger glü­hen­de Feu­er nur bis zum Ende des Wer­kes aus­hält. Hüte dich vor über­großer Er­mü­dung am An­fang, und mute dei­ner Kraft nicht das Un­mög­li­che zu; denn Rom und die Welt er­war­ten noch Gro­ßes von dir. Völ­lig be­ru­higt schreib’ ich nun dem Kai­ser, daß auf der Lo­chi­as al­les für ihn be­reit sein wird, und zum Ab­schied rufe ich dir zu: Ver­za­gen ist Tor­heit – wenn Pon­ti­us nur da und Pon­ti­us mit sei­nem Bei­stand zur Hand ist.«

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Drittes Kapitel

Der Prä­fekt be­fahl den ne­ben sei­nem Wa­gen auf ihn war­ten­den Lik­to­ren, in sein Haus zu ei­len und meh­re­re zu­ver­läs­si­ge, in Alex­an­dria hei­mi­sche Skla­ven, die er ein­zeln nam­haft mach­te, dem Bau­meis­ter Pon­ti­us zu­zu­füh­ren und au­ßer­dem für den Archi­tek­ten ein gu­tes Ru­he­bett mit Pols­tern und De­cken, so­wie eine Mahl­zeit und ed­len Wein in den al­ten Palast auf der Lo­chi­as zu schi­cken. Dann be­stieg er den Wa­gen und fuhr durch das Bru­chi­um dem Mee­re ent­lang zu dem das Cäsa­re­um ge­nann­ten Pracht­bau.

Er kam nur lang­sam vor­wärts; denn je mehr er sich sei­nem Zie­le nä­her­te, je dich­ter wur­de die Men­ge der neu­gie­ri­gen Bür­ger, die Kopf an Kopf das weit­läu­fi­ge Ge­bäu­de um­stan­den.

Schon von fern leuch­te­te dem Prä­fek­ten hel­les Licht ent­ge­gen. Es stieg aus großen Pech­pfan­nen gen Him­mel, die man auf den Tür­men zu bei­den Sei­ten des ho­hen, dem Mee­re zu­ge­wand­ten To­res des Cäsa­reums auf­ge­stellt hat­te.

Zur Lin­ken und Rech­ten die­ser Pfor­te er­hob sich je ein statt­li­cher Obe­lisk. An bei­den ent­zün­de­te man noch die Lam­pen, die ges­tern an ih­ren vier Sei­ten und auf ih­rer Spit­ze be­fes­tigt wor­den wa­ren. Zu Ehren Sa­bi­nas, dach­te der Prä­fekt. Was die­ser Pon­ti­us aus­führt, hat Hand und Fuß, und es gibt kein über­flüs­si­ge­res Ge­schäft, als sei­ne An­ord­nun­gen zu über­wa­chen.

Ganz er­füllt von die­ser Er­wä­gung un­ter­ließ er es auch, sich dem er­leuch­te­ten Tore zu nä­hern, das in den von Ok­ta­vi­an ge­grün­de­ten Tem­pel Ju­li­us Cäsars führ­te; viel­mehr be­fahl er dem Ros­se­len­ker, an der den Gär­ten des Pto­le­mä­er­pa­las­tes im Bru­chi­um zu­ge­wand­ten und im ägyp­ti­schen Stil er­rich­te­ten Pfor­te zu hal­ten, die in das kai­ser­li­che Schloß führ­te. Dies hat­ten die Alex­an­dri­ner zu Ehren des Ti­be­ri­us er­baut. Un­ter den spä­te­ren Kai­sern war es man­cher­lei Er­wei­te­run­gen und Aus­schmückun­gen un­ter­wor­fen wor­den. Ein hei­li­ger Hain trenn­te es von dem Tem­pel des Cäsar, mit dem es durch einen be­deck­ten Säu­len­gang ver­bun­den war.

Vor dem Haupt­to­re hiel­ten meh­re­re be­spann­te Wa­gen und war­te­te eine gan­ze Schar von wei­ßen und schwar­zen Skla­ven ne­ben den Sänf­ten der Her­ren. Lik­to­ren dräng­ten hier die schau­lus­ti­ge Men­ge zu­rück, Of­fi­zie­re lehn­ten dort an den Säu­len, und die rö­mi­sche Schloß­wa­che sam­mel­te sich so­eben mit Waf­fen­ge­ras­sel und beim Klang ei­ner Trom­pe­te hin­ter dem Tore, um ihre Ab­lö­sung zu er­war­ten.

Ehr­furchts­voll wich al­les vor dem Wa­gen des Prä­fek­ten zu­rück, und als Ti­tia­nus durch die er­leuch­te­ten Säu­len­gän­ge des Cäsa­reums schritt und an den zahl­rei­chen hier auf­ge­stell­ten Meis­ter­wer­ken der Bild­hau­er­kunst, den Ge­mäl­de­rei­hen und den Sä­len vor­bei­kam, in de­nen sich die Bü­cher­samm­lung die­ses Palas­tes be­fand, dach­te er an die Mühe und Sorg­falt, die er, von Pon­ti­us un­ter­stützt, mo­na­te­lang auf­ge­wandt hat­te, um die­sen seit dem Auf­bruch des Ti­tus nach Ju­däa un­be­nutzt ge­blie­be­nen Palast zu ei­nem dem Ha­dri­an zu­sa­gen­den Quar­tie­re um­zu­ge­stal­ten.

Die Kai­se­rin be­wohn­te nun die für ih­ren Ge­mahl be­stimm­ten, mit den aus­er­le­sens­ten Kunst­wer­ken ge­schmück­ten Ge­mä­cher, und Ti­tia­nus sag­te sich mit Be­dau­ern, daß es, nach­dem Sa­bi­na ein­mal von ih­rem Vor­han­den­sein Kennt­nis ge­nom­men, un­mög­lich sein wür­de, sie in den Palast auf der Lo­chi­as über­zu­füh­ren.

Vor dem schö­nen Saa­le, den er dem Kai­ser zu­ge­dacht hat­te, da­mit er in ihm sei­ne Be­su­cher emp­fan­ge, traf er den Käm­me­rer Sa­bi­nas, der es über­nahm, ihn so­gleich bei der Her­rin ein­zu­füh­ren.

Die im Som­mer ge­öff­ne­te De­cke der Hal­le, in der der Prä­fekt die Kai­se­rin fin­den soll­te, war nun, um den Re­gen des alex­an­dri­ni­schen Win­ters ab­zu­weh­ren und weil Sa­bi­na ge­wöhn­lich selbst in der wär­me­ren Jah­res­zeit über Käl­te zu kla­gen pfleg­te, durch einen frei schwe­ben­den kup­fer­nen Schirm, ne­ben dem die Luft eine wei­te Öff­nung fand, in zweck­mä­ßi­ger Wei­se be­schützt.

Als Ti­tia­nus die­sen Raum be­trat, weh­ten ihm an­ge­neh­me Wär­me und sei­ne Düf­te ent­ge­gen. Die­se wur­de durch sehr ei­gen­tüm­li­che, in­mit­ten der Hal­le ste­hen­de große Ofen er­zeugt. Der eine stell­te die Schmie­de Vul­kans dar. Hell glü­hen­de Holz­koh­len la­gen vor dem Bla­se­bal­ge, den ein Au­to­mat in kur­z­en, re­gel­mä­ßi­gen Zwi­schen­räu­men be­weg­te. Der Gott und sei­ne Ge­nos­sen um­ga­ben, aus Erz ge­ar­bei­tet, mit Zan­gen und Häm­mern das wär­me­n­de Feu­er. Der an­de­re Ofen be­stand aus ei­nem großen sil­ber­nen Vo­gel­nes­te, in dem gleich­falls Holz­koh­len brann­ten. Aber ih­rer Glut schweb­te die aus Erz ge­gos­se­ne, ei­nem Ad­ler glei­chen­de ge­fie­der­te Ge­stalt des Phö­nixvo­gels him­mel­an. Au­ßer­dem er­hell­ten zahl­rei­che Lam­pen den reich mit edel ge­form­ten Sit­zen, Ru­he­bet­ten und Ti­schen, Blu­men­va­sen und Bild­säu­len aus­ge­stat­te­ten Raum, der frei­lich zu groß er­schi­en für die Zahl der in ihm ver­sam­mel­ten Men­schen.

Für klei­ne Zu­sam­men­künf­te hat­ten der Prä­fekt und Pon­ti­us frü­her ein ganz an­de­res Zim­mer ins Auge ge­faßt und sei­ner Be­stim­mung ge­mäß aus­ge­stat­tet, die Kai­se­rin aber die Hal­le dem we­ni­ger ge­räu­mi­gen Zim­mer vor­ge­zo­gen. Miß­be­ha­gen, ja eine ihn be­frem­den­de Be­fan­gen­heit er­füll­te den hoch­ge­bo­re­nen, er­grau­ten Staats­mann, als er die hier wei­len­den, zu klei­nen Grup­pen ver­ein­ten Men­schen mit den Bli­cken zu­sam­men­su­chen muß­te und hier ge­dämpf­te Wor­te, dort un­ver­ständ­li­ches Mur­meln oder ver­hal­te­nes Ki­chern, nir­gends aber eine frisch von den Lip­pen strö­men­de Rede ver­nahm.

Ei­nen Au­gen­blick woll­te es ihm vor­kom­men, als sei er in das Ge­mach der flüs­tern­den Ver­leum­dung ge­tre­ten, und doch war ihm be­kannt, warum hier nie­mand wag­te, frei her­aus­zu­re­den.

Lau­te Wor­te ta­ten der Kai­se­rin wehe, eine hel­le Stim­me war ihr ein Greu­el, und doch ver­füg­ten we­ni­ge Men­schen über so weit ver­nehm­ba­re und kräf­ti­ge Brust­tö­ne, wie ihr ei­ge­ner Ge­mahl, der sich kei­nem Men­schen, auch nicht sei­ner Gat­tin ge­gen­über, Zwang auf­er­leg­te.

Sa­bi­na saß auf ei­nem großen, mehr ei­nem Bet­te als ei­nem Stuh­le glei­chen­den Ru­he­sit­ze. Ihre Bei­ne wa­ren tief in dem zot­ti­gen Fel­le ei­nes Au­ers­tie­res ver­gra­ben, und die her­nie­der­hän­gen­den Füße rings mit sei­de­nen Fe­der­kis­sen um­ge­ben.

Ihr Kopf war steil in die Höhe ge­rich­tet. Man be­griff kaum, wie der dün­ne Hals ihn und die Per­len­schnü­re und Edel­stein­ket­ten, die durch das hohe Ge­bäu ih­rer blon­d­ro­ten, in lan­gen Zy­lin­dern dicht an­ein­an­der ge­reih­ten Lo­cken ge­floch­ten wa­ren, zu tra­gen ver­moch­te. Das ha­ge­re Ge­sicht der Kai­se­rin er­schi­en be­son­ders klein un­ter der Men­ge des na­tür­li­chen und künst­li­chen Schmuckes, der ihr Stirn und Schei­tel be­deck­te. Schön konn­te es selbst in der Ju­gend nicht ge­we­sen sein, aber es war re­gel­mä­ßig ge­schnit­ten, und der Prä­fekt sag­te sich, als er in Sa­bi­nas von win­zi­gen Fält­chen zer­ris­se­ne, weiß und rot ge­mal­te Züge schau­te, daß der Künst­ler, dem vor ei­ni­gen Jah­ren der Auf­trag zu­er­teilt wor­den war, sie als Ve­nus vic­trix1 zu bil­den, im­mer­hin in der Lage ge­we­sen war, der Göt­tin eine ge­wis­se Ähn­lich­keit mit sei­nem kai­ser­li­chen Mo­dell zu er­tei­len. Wä­ren nur die völ­lig wim­per­lo­sen Au­gen die­ser Ma­tro­ne trotz der dunklen Pin­sel­stri­che an ih­ren Rän­dern nicht gar so win­zig klein er­schie­nen, hät­ten die Seh­nen an ih­rem Hal­se sich nur nicht aus dem Flei­sche, das sie zu be­de­cken ver­schmäh­te, in so au­gen­fäl­li­ger Wei­se her­vor­ge­drängt.

Ti­tia­nus er­griff, sich tief ver­nei­gend, Sa­bi­nas mit Rin­gen über­la­de­ne Rech­te; sie aber ent­zog schnell und als ob sie fürch­te, daß es Scha­den lei­den könn­te, dies sorg­sam ge­pfleg­te, aber für kei­nen nütz­li­chen Zweck ver­wend­ba­re Spiel­zeug dem Freun­de und Ver­wand­ten ih­res Ge­mahls und ver­barg Hand und Arm un­ter dem Ober­ge­wan­de. Die herz­li­che Be­grü­ßung des Prä­fek­ten er­wi­der­te sie mit al­ler ihr zu Ge­bo­te ste­hen­den Wär­me.

Sie sah Ti­tia­nus, den sie zu Rom in frü­he­rer Zeit täg­lich in ih­rem Hau­se zu se­hen ge­wohnt ge­we­sen war, in Alex­an­dria zum ers­ten­mal; denn ges­tern war sie, er­schöpft von den Lei­den der See­fahrt, in ei­ner ver­schlos­se­nen Sänf­te in das Cäsa­re­um ge­tra­gen wor­den; heu­te mor­gen aber hat­te sie sei­nen Be­such ab­wei­sen müs­sen, weil sie von den Ärz­ten, Ba­de­frau­en und Haar­künst­lern völ­lig in An­spruch ge­nom­men wor­den war.

»Wie hältst du es aus in die­sem Lan­de?«, frag­te sie mit lei­ser, schmelz­lo­ser Stim­me, aus der man stets her­aus­zu­hö­ren mein­te, daß das Re­den ein schwe­res, läs­ti­ges, frucht­lo­ses Ge­schäft sei. »Am Mit­tag brennt die Son­ne, und des Abends wird es so kalt, so un­er­träg­lich kalt.«

Bei die­sen Wor­ten zog sie das Ober­ge­wand noch fes­ter zu­sam­men, Ti­tia­nus aber wies auf die Öfen in­mit­ten der Hal­le und sag­te:

»Ich dach­te, wir hät­ten dem oh­ne­hin mat­ten Bo­gen des ägyp­ti­schen Win­ters die Seh­ne zer­schnit­ten.«

»Im­mer noch jung, im­mer noch bil­der­reich, im­mer noch ein Dich­ter«, ent­geg­ne­te die Kai­se­rin matt. »Vor zwei Stun­den habe ich auch dei­ne Gat­tin be­grüßt. Ihr scheint Afri­ka we­ni­ger gut zu be­kom­men; ich er­schrak, die schö­ne Ma­tro­ne Ju­lia so wie­der­zu­fin­den. Sie sieht nicht gut aus.«

»Die Jah­re sind die Fein­de der Schön­heit.«

»Häu­fig; aber die ech­te Schön­heit wi­der­stand ih­rem An­griff doch häu­fig.«

»Du selbst bist der le­ben­de Be­weis für die­se Be­haup­tung.«

»Das heißt, daß ich alt wer­de.«

»Nein, daß du schön zu blei­ben ver­stehst.«

»Dich­ter!«, mur­mel­te die Kai­se­rin und ihre schma­le Un­ter­lip­pe ver­zog sich.

»Die Staats­ge­schäf­te sind der Muse nicht hold.«

»Aber wer die Din­ge schö­ner sieht, als sie sind, oder sie doch mit glän­zen­de­ren Na­men be­nennt, als sie es ver­die­nen, den nenn’ ich einen Poe­ten, einen Schwär­mer, einen Schmeich­ler – wie es so kommt.«

»Die Be­schei­den­heit weist auch wohl­ver­dien­te Be­wun­de­rung ab­wei­send zu­rück.«

»Wozu dies tö­rich­te Wort­ge­plän­kel«, seufz­te Sa­bi­na und warf sich tief in den Stuhl zu­rück. »Du bist bei den Sil­ben­ste­chern hier im Mu­se­um in die Schu­le ge­gan­gen, ich nicht. Da drü­ben sitzt der So­phist Fa­vor­i­nus. Er be­weist viel­leicht dem Astro­no­men Pto­le­mä­us, daß die Ster­ne nichts sind als Blut­fle­cken in un­se­rem Auge, die wir am Him­mel zu se­hen ver­mei­nen. Flo­rus der His­to­ri­ker zeich­net die­se wich­ti­ge Un­ter­re­dung auf, der Dich­ter Pan­kra­tes be­singt den großen Ge­dan­ken des Phi­lo­so­phen, und wel­che Auf­ga­be bei die­sem wich­ti­gen An­laß dem Gram­ma­ti­ker dort zu­fällt, das weißt du bes­ser als ich. Wie heißt der Mann?«

»Apol­lo­ni­us.«

»Ha­dri­an gab ihm den Bein­amen des Dun­keln. Je schwe­rer man die Re­den die­ser Her­ren ver­steht, de­sto hö­her wer­den sie ge­schätzt.«

»Nach dem, was in der Tie­fe ruht, muß man tau­chen; was auf der Ober­flä­che schwimmt, führt jede Wel­le fort, und die Kin­der spie­len da­mit. Apol­lo­ni­us ist ein großer Ge­lehr­ter.«

»So soll­te ihn mein Gat­te bei sei­nen Schü­lern und Bü­chern las­sen. Er ge­bot mir, die­se Leu­te zur Ta­fel zu la­den. Den Flo­rus und Pan­kra­tes ließ’ ich mir ge­fal­len – aber die an­de­ren.«

»Von Fa­vor­i­nus und Pto­le­mä­us könnt’ ich dich leicht be­frei­en. Schi­cke sie dem Kai­ser ent­ge­gen.«