Der Keltendolch - Josef S. Schmid - E-Book

Der Keltendolch E-Book

Josef S. Schmid

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Beschreibung

Der Druide Gwydion entdeckt in einer Felsspalte eines Sakralplatzes einen uralten Bronzedolch und verwendet ihn bei einer rituellen Feier, bei der ihm ein peinliches Missgeschick passiert. Er arrangiert daraufhin eine Zwangsheirat der jungen Kendra mit dem verwitweten Clanführer Torin. Die unglückliche Ehe führt schließlich nach einigen Jahren zur Trennung. Kendra und ihre siebenjährige Tochter Bryanna wenden sich dem einfühlsamen Pferdezüchter Glen zu. Torin lässt sich in Zorn und Wut über diese Schmach zu einem fahrlässigen Unternehmen hinreißen, das Unheil über sein Dorf bringt und schließlich zu einem Mordkomplott gegen Glen führt. Der Druide Gwydion und Kendra versuchen die Wahrheit über diese Untat aufzudecken, benötigen aber dabei die Unterstützung der kleinen Bryanna. Doch weitere ungewöhnliche Ereignisse stören das Leben der Dorfbewohner empfindlich... Welche Rolle spielt dabei der geheimnisvolle alte Bronzedolch?

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Seitenzahl: 283

Veröffentlichungsjahr: 2024

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gewidmet

meiner

verstorbenen Schwester Gertraud F. Maier

Inhalt

Vorbemerkungen

Ein Keltendolch!

Bryanna

Gwydions Geheimnis

Torin

Beltane

Freude und Zwist

Glen

Ein Raubzug

Bryannas Kräuter

Das Mordkomplott

Flucht und Todesgefahr

Iven, der Druidenschüler

Der Rücktransport

Das Urteil

Arthur

Hilflos

Mord oder …?

Beerdigung und Lughnasadh

Der Pferdetrieb

Boiodurum

Überfall

Beichte und Reue

Ein Keltendolch?

Nachwort

Danksagung

Anhang

Vorbemerkungen

Zeit und Ort der Handlung

Südlich der Donau haben sich seit dem Überschreiten der Alpen durch den römischen Feldherrn Drusus nach Jahrzehnten die Römer festgesetzt und kämpfen immer wieder gegen aufständische keltische Stämme. Etwa 50 n. Chr. werden die ersten befestigten römischen Wehranlagen an der oberen Donau, der Nordgrenze zum dunklen, geheimnisvollen ‚Nordwald‘, errichtet. Die dort lebenden keltischen Boier sind noch weitgehend von den Römern unbeeinflusst. In den Augen der Römer sind die Kelten ein kämpferisches, ungezähmtes ‚Barbarenvolk‘. Sie gelten als trinkfreudig, lebenslustig und furchtlos.

Sie selbst schätzen die eigene Ehre als höchstes Gut!

Dort - wir nennen das Gebiet heute ‚Unterer Bayerischer Wald‘ - siedeln Kelten in einigen kleineren Dörfern meist in gegenseitigem Einverständnis. Vornehme Söhne werden zur Ausbildung getauscht, Töchter gegen Mitgift ins Nachbardorf verheiratet – manchmal auch nicht freiwillig. Sie handeln rege untereinander und auch mit den Römern mit allerlei Waren.

Weiter entferntere Dörfer aber werden auch aus Lust an Kampf und Beute hin und wieder gerne überfallen …

Hauptpersonen

Gwydion

56 Jahre alt. Druide, Seher und Bewahrer der Riten und Legenden. Einer der hoch angesehenen „Ehrwürdigen Weisen“ der umliegenden Dörfer. Findet einen mysteriösen Bronzedolch

Kendra

23 Jahre alt, schön, sympathisch, selbstbewusst, sehnt sich nach Liebe und Zuneigung. Kräutersammlerin und Heilkundige

Torin

37 Jahre alt, Clan- und Dorfhäuptling. Halbadeliger Abstammung. Verwitwet, Vater zweier Söhne (Arthur und Ulik)

Bryanna

7 Jahre alte Tochter Kendras. Aufgeweckt und intelligent. Interessiert sich für alle Pflanzen, Tiere und Natur

Glen

44 Jahre alt. Ledig, einfühlsam, zurückhaltend. Ist mit der Pferdezucht des Dorfes beauftragt

Cayden

33 Jahre alt, adelig mit Kampfausbildung. Glücklich verheiratet mit Lynn, hat drei Kinder. Bewirtschaftet einen größeren Bauernhof mit mehreren Helfern

Iven

28 Jahre alt, seit 15 Jahren Druidenschüler Gwydions

Arthur

12 Jahre alt, jüngster Sohn von Torin. Wird von der Ziehmutter Ceitidth betreut

Ulik

15 Jahre alt, ältester Sohn von Torin. Befindet sich bei einem befreundeten Adeligen im Nachbardorf zur Ausbildung

Liam

10 Jahre alt. Helfer von Glen bei der Pferdebetreuung

Gaius Cornelius

42 Jahre alt. Tribun einer Kohorte im Römerlager Boiodurum

Ein Keltendolch!

Auf einem der Bergrücken des dunklen Nordwaldes hinter dem Zusammentreffen der drei Gewässer Danuvius, Aenus und der schwarzen Eltisia liegt eine Felsformation, weithin sichtbar und in ihrer Einsamkeit geheimnisvoll, von den hier lebenden Menschen als Heiligtum verehrt.

Drei wuchtige Felstürme stehen da seit ewigen Zeiten, mit steinernen, schalenförmigen Vertiefungen, ausgewaschen von Hagel und Regen - oder von Händen gemacht – wer weiß das schon! Die Menschen, die hier in dieser Gegend siedeln, kennen jedoch den Sinn und Zweck dieser Schalen, auch wenn sie nur ungern - jedoch dann ehrfürchtig - darüber sprechen. Nur die Ehrwürdigen Weisen, die Druiden oder die eingeweihten Priester dürfen sie für spezielle Opfergaben benutzen, und dann auch nur zu bestimmten Zeiten und unter strenger Beachtung der altüberlieferten Riten. Zur Spitze dieser ‚Heiligen Drei Felstürme‘ hatten in früheren Jahrhunderten die Wissenden eine Steintreppe errichtet und diese dürfen nur Druiden und Priester besteigen. Von hier ist der Blick nach Süden fast grenzenlos: über den dunklen Wald, über die anschließend folgende freie Ebene - bei gutem Wetter bis zu den hohen Schneebergen.

Nicht weit hinter diesen Felstürmen, nur einige Steinwürfe in Richtung Norden, ruhen weitere mächtige Felsblöcke, unheimlich anzusehen, wie Menschenköpfe oder Götterfiguren, wie wild aussehende, unbekannte Tiere mit gefährlichen Zähnen oder Hörnern, die beim Vorbeischreiten ihre Konturen ändern und sich dann doch nur als graue, bemooste Felsblöcke erweisen, bewachsen mit vom Wind und Sturm zerzausten Krüppelfichten.

Noch ein paar hundert Schritte weiter kommt schließlich die dritte Formation dieser großen steinernen Blöcke, von uralten und gewaltigen Mächten errichtet und von Menschen verehrt. Eine hoch aufgetürmte Felskuppe schließt diesen Sakralplatz ab; von hier sieht man weit nach Norden in die endlosen Wälder der keltischen Boier.

Diese Felsen verbergen Nischen, Gänge und Höhlen, einige sind offen und leicht einsehbar, andere sind hinter großen Steinen oder Büschen kaum zu entdecken – aber hierher wagen sich die einfachen Menschen nur selten. Nur die Hochgestellten, wie die Priester und Druiden auch ehrfürchtig genannt werden, kennen alle verborgenen Stellen und benutzen sie für ihre heiligen Handlungen.

Einer dieser Hochgestellten war Gwydion, ein kluger, ja weiser Mann im hohen Alter. Er saß in einer der größeren Höhlen und betrachtete wieder einmal von allen Seiten einen fein gearbeiteten Dolch, einen Bronzedolch, schön geschwungen, mit eingekerbten Verzierungen am Griff.

Er hatte dieses Teil vor kurzem in einer der vielen Felsspalten gefunden, als er einer flügellahmen Amsel folgte, die er verarzten wollte. Er erkannte erst auf den zweiten Blick, dass dieser bemooste, schmutzige längliche Gegenstand eine Waffe war, patiniert, gezeichnet von Hitze, Kälte, Schnee und Regen. Er bürstete, putzte und polierte und zum Vorschein kam dieser Dolch. Er war alt, sehr alt, das konnte er fühlen; es war keine gewöhnliche Waffe, dazu war sie zu kunstvoll gearbeitet und er fühlte eine eigenartige, ja mysteriöse Kraft, die von diesem schönen Teil ausging.

Seit Tagen schon versuchte er hinter das Geheimnis des Dolches zu kommen – und ein Geheimnis musste er in sich bergen, da war er sich sicher – aber es erschloss sich ihm nicht. Die bisherigen Rauchopfer, Kräuterdüfte und Getränke benebelten seinen Geist, brachten aber keine klärenden Hinweise. Doch sein Wissen um die Macht der Träume und fliegenden Gedanken war noch nicht erschöpft!

Darum hatte er heute beschlossen, sich ein Pulver, das er nach altem Rezept aus Fliegenpilz, Beifuß und anderen Kräutern zubereitet hatte, weit hoch in die Nase zu ziehen. Er nahm ein etwa eine Elle langes, flaches Stück Holz, das er für diese Zwecke zugeschnitten hatte, streute eine fast fingerdicke Pulverspur darauf, hielt sich ein Nasenloch zu und zog mit einem beherzten Atemzug das Pulver hoch.

Sein Kopf wollte in tausend Teile zerspringen – so empfand er es jedenfalls. Trotzdem zwang er sich kurz darauf sich den Rest des Pulvers in das andere Nasenloch hochzuziehen.

Dann verlor er das Bewusstsein und fiel um.

Gleißendes Licht, loderndes Feuer und beißender Rauch umgaben Gwydion. Eine glühende Masse, ein im Kohlefeuer geschmolzenes Metall wurde in einer tönernen Form gegossen, alsbald von dieser Ummantelung befreit und das noch glühend heiße Teil mit festem Griff in einer Zange gehalten und im kalten Wasser gekühlt. Schlag für Schlag formte sich das Bronzeteil, wurde plattgedrückt, weiter ausgeformt und geschärft. Lange dauerte diese Prozedur. Und dann war es immer noch nicht zu Ende – Meißel und Hammer drückten ihm feine Linien ein und schließlich landete es in einem Sandbecken, wurde gereinigt, geschliffen und poliert.

Ein Dolch! Er wurde bewundert, musste sich zeigen, durfte nicht schneiden oder stechen, nur ausgewählten Menschen zu heiligen Riten dienen. Er wurde weitergereicht von Hand zu Hand, von Jahrhundert zu Jahrhundert. Bis er entrissen wurde, von gemeinen Geschöpfen - „seinem ihm bestimmten Zwecke verwehrt, entehrt und ungeschätzt“.

Der Dolch beschloss zu fliehen, fiel durch weißen Schnee in eine enge rot leuchtende Felsspalte, und versank schließlich im schwarzen Erdreich und wurde nicht mehr gefunden. Lange, lange Jahre …

Gwydion erwachte aus diesem Trancezustand nach kurzer Zeit. Die folgenden langen, heftigen Kopfschmerzen hielten ihn nicht davon ab, über diese seltsamen Traumbilder nachzudenken. Die Herkunft des Dolches und sein Zweck waren ihm einigermaßen klar. Ein uralter Ritusdolch, gestohlen und zweckentfremdet. Die drei Farben standen vielleicht für die vorgesehene oder zukünftige Verwendung des Dolches – weiß für Unschuld, rot für Blut und schwarz für dunkler Versenkung? Er rätselte; in keiner der ihm bekannten Mythen und Legenden fand er eine hinreichende Erklärung.

Er beschloss den Dolch vorläufig für seine druidischen Tätigkeiten, für das Schneiden und Zerkleinern von Kräutern, Pilzen, Mistelzweige und ähnlichem zu verwenden und steckte ihn in seinen Gürtel. Die Zeit würde vielleicht zeigen, wofür er noch zu verwenden war.

… entrissen und entehrt, seinem Zwecke zu dienen verwehrt. Den Willen erkennen und wissen!

Bryanna

Hinter der Haselnussbuschreihe auf dem Hügel oberhalb des Dorfes lag ein Relikt aus uralten Zeiten – der Sonnenstein. Die enormen Kräfte der Eiszeit und des Wechsels von Hitze und Kälte hatten von einem etwa mannshohen Felsen die Hälfte abgesprengt, ihn fast mittig geteilt. Dieser umgekippte Feldstein lag – und liegt wohl immer noch – wie ein Tisch vor dem noch stehendem Felsblock und wird bei schönem Wetter voll von der Sonne beschienen.

Hier saß die siebenjährige Bryanna und genoss die letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Sie war heute Nachmittag heimlich aus dem Dorf geschlichen, wieder mal auf ‚Schatzsuche‘. Diese war auch recht erfolgreich gewesen: sie hatte viele Gräser und Kräuter, kleine Stöckchen mit Knospen und sogar einige Hasenexkremente gefunden! Die kleinen schwarzen Kügelchen waren zwar noch etwas weich und feucht, aber sie hatte sie bisher nur selten gefunden und sie deshalb gerne eingesammelt. Ihre Mutter, Kendra, würde sich sicherlich freuen, diesen Dung in ihrem Kräutergarten zu verwenden! Bryanna war müde und saß mit geschlossenen Augen vor der von der Abendsonne beschienenen Felshälfte, ihrem Lieblingsplatz, und überlegte, wie sie aus den gesammelten Pflanzen eine wirksame Medizin machen könnte, um damit alle möglichen Beschwerden der Menschen im Dorf zu lindern …

Ein lautes Krächzen aus der Nähe schreckte sie auf. Einige Raben flatterten aufgeregt über den Haselbüschen und versuchten sich gegenseitig zu vertreiben. Bryanna sprang auf, lief ein paar Schritte auf die Vögel zu und verjagte sie mit fuchtelnden Armen. Dabei wäre sie fast über ein graubraunes Bündel am Boden zwischen den Gräsern gestolpert. Ein Häschen duckte sich unbeweglich an den Boden, die noch kurzen Ohren eng an den Rücken geschmiegt. Kurzentschlossen nahm Bryanna das kleine Ding mit beiden Händen auf und drückte es sanft an ihre Brust. Das kleine Tier regte sich kaum, aber der schnelle Herzschlag war ein deutliches Zeichen seiner Angst.

„Du armes Häslein, ich werde dir helfen, dich pflegen und füttern. Die bösen Raben werden dich nicht bekommen!“, flüsterte sie ihm zu und strich sanft mit einer Hand über seinen Rücken.

Mit ihrer linken Hand raffte sie ihr knielanges Kleid am vorderen Saum zusammen, hob es zu einer schönen Mulde hoch und ließ das Häschen reingleiten. Und da ist auch noch genügend Platz für das Kräutersäckchen mit meinen gesammelten Schätzen, dachte sie, so kann ich alles bequem nach Hause tragen.

„Hey du, du bist ja nackig! Ha, ha – nackig!“, klang es aus einem Haselnussstrauch heraus. Arthur, ihr Stiefbruder, hatte sie heimlich beobachtet und zeigte jetzt lachend mit dem Bogen in der Hand auf sie. Erschrocken ließ sie ihren Kleidersaum los und das Häschen fiel auf den Boden. Es hoppelte gleich einige Schritte weiter, blieb aber dann sitzen. Arthur griff schnell zu einem Pfeil, legte ihn auf die Bogensehne, zielt kurz und schoss. Der Pfeil mit der Eisenspitze durchschlug das kleine Tier und fuhr noch eine Handbreit in den Boden. Das Häschen war sofort tot!

Begeistert rief Arthur: „Das war ein Schuss! Da wird sich Papa bestimmt freuen!“ Er sprang vor und zog den Pfeil samt dem toten Tier zu sich und hob seine ‚Beute‘ triumphierend hoch.

Bryanna erstarrte kurz vor Schreck und konnte gar nicht glauben was sie gerade gesehen hatte.

„Du Mörder!“, schrie sie wütend und wollte mit erhobenen Fäusten auf Arthur einschlagen. Der aber lief fröhlich lachend mit dem toten Häschen davon, bergab, in Richtung des Dorfes, um seinem Vater von seiner Heldentat zu berichten.

Voller Trauer und Schmerz sank Bryanna auf die Knie und konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Wie konnte jemand nur so grausam sein und dieses kleine wehrlose Tier einfach töten – und sich darüber auch noch zu freuen! Aber Arthur war so; es war nicht das erste Mal, dass er ihr absichtlich Leid zufügte. Erst vor ein paar Wochen hatte er eine Maus, die Bryanna mühsam gefangen hatte, in einem Wassereimer ertränkt – und dabei höhnisch gelacht.

Schließlich rannte sie schluchzend ebenfalls ins Dorf, zu ihrem Elternhaus, um bei ihrer Mutter Trost zu finden.

Vor dem Hauseingang standen Arthur und Torin, ihr Vater. Das kleine Häschen hing mit den Hinterbeinen festgenagelt an der hölzernen Hauswand und Arthur begann gerade ihm unter Anleitung seines Vaters mit einem Messer das Fell abzuziehen.

„Hier an den Beinen musst du einen Ringschnitt machen und dann …“ Mehr hörte Bryanna nicht mehr, ihr wurde übel und schreiend rannte sie ums Haus zum Kräutergarten, wo ihre Mutter gerade Pflanzen goss.

„Mama, Mama – Arthur hat mein Häschen umgebracht! Und jetzt zerschneidet er es! Und Papa hilft auch noch!“ Bryanna, ganz außer sich und stolperte fast über einen Wassereimer als sie auf ihre Mutter Kendra zulief

„Ach mein armes Liebes“, rief Kendra, und öffnete beide Arme, um sie an die Brust zu drücken. Noch immer schluchzend erzählte Bryanna in abgehackten Sätzen von Arthurs Untat. Eine Weile noch saßen beide umschlungen auf der Gartenbank; schließlich hatte sich Bryanna etwas beruhigt.

„Komm, wir müssen gehen, es wird dunkel. Und das Abendessen ist auch vorzubereiten“, sagte Kendra, nahm Bryanna bei der Hand und ging mit ihr ins Haus. Weder Arthur noch Torin - oder auch das kleine Häschen - waren zu sehen.

„Ich habe keinen Hunger“, murmelte Bryanna und verzog sich in ihre Bettstatt im hinteren Teil des Hauses. Sie zog sich die Überdecke weit über ihren Kopf und hätte am liebsten von dieser bösen Welt nichts mehr wissen wollen, konnte aber vor Empörung nicht einschlafen.

Kendra war mit dem Feuer, der Herdstelle und dem Vorbereiten des Abendessens beschäftigt als Torin und Arthur in den großen Raum des Hauses kamen. Die beiden unterhielten sich laut, aßen und tranken und verließen bald darauf gemeinsam wieder das Gebäude. Vermutlich werden sie sie einen der vielen Freunde Torins besuchen, dachte Kendra, um auf Arthurs Erfolg anzustoßen.

Kendra hatte auch keinen Appetit; sie räumte noch schnell die Essensreste und das Geschirr weg und ging zu Bryanna. Dort legte sie sich neben ihr ins Bett, hielt liebevoll die Hände ihrer Tochter und begann zu erzählen.

„Hier bei uns in dieser Welt gibt es viel Gutes, aber manchmal auch Schlechtes und sogar Schreckliches. Das gehört zum Leben dazu. Es gibt aber auch noch eine andere Welt, in der wir auch leben können. Und nicht nur wir, sondern auch die Bäume, die Tiere, also auch dein kleines Häschen. So kann es in dieser anderen Welt weiterleben, spielen und fröhlich rumspringen und wenn ihre Zeit gekommen ist, dann kommt es wieder zu uns, in unsere Welt. Vielleicht triffts du es wieder bei einem deiner Streifzüge. Sei nicht traurig, das Gehen und Kommen der Menschen, Tiere und Pflanzen ist ganz normal und wiederholt sich immerzu … So haben es unsere Götter bestimmt und es ist nicht an uns, das zu tadeln. – Schlafe jetzt, vielleicht träumst du von dieser anderen Welt und von deinem Häschen!“

Bryanna hatte sich bei diesen Worten an Kendras Seite geschmiegt und die Augen geschlossen. Bald beruhigte sich ihr Atem und sie schlief ein.

Kendra hatte auch einen schweren, arbeitsreichen Tag gehabt und beschloss, neben ihr liegen zu bleiben – das Ehebett lockte sie sowieso nicht – aber sie konnte nicht einschlafen. Viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf, Erinnerungen an die Zeit vor gut acht Jahren, als sie Torin heiratete und nach neun Monaten Bryanna geboren wurde. Der Ehrwürdige Weise, Gwydion, hatte sie damals zur Hochzeit gedrängt, sie reich beschenkt und seither immer unterstützt. Damals war sie die schönste junge Frau in der Umgebung – schön war sie jetzt immer noch! – und verdiente es, mit dem Anführer des Dorfes, Torin, verheiratet zu werden, auch wenn sich das nicht als wirkliches Glück herausstellen sollte.

Über dem Nachsinnen an die damalige Zeit schlief sie schließlich ein.

Gwydions Geheimnis

Manche im Dorf behaupteten, Gwydion sei ein Druide, andere sagten, er kann in die Zukunft sehen oder mit den geheimnisvollen Wesen der Anderwelt kommunizieren. Vielleicht stimmte auch all dies. Sicherlich war er einer der angesehensten Alten, ein kluger, ja weiser Mann, der die Legenden, die Traditionen und Riten der Dörfer kannte und im Kreis der Urteilenden seinen Rat kundtat. Sei es bei den Vorbereitungen der Jahresfeste, der Deutung der Zeichen des Himmels und der Wünsche der Götter, die Festlegung des richtigen Saatzeitpunkts und des Erntebeginns oder bei der Festlegung der Strafe bei Verstößen gegen die Gemeinschaftsordnung – er war immer der wichtigste und entscheidendste Ratgeber.

Schon mit jungen Jahren war er seinem Mentor, einem druidisch gebildeten Edelmann, aufgefallen. Seine gute Beobachtungsgabe und den scharfsinnigen Schlussfolgerungen, die Neugier auf alles Neue und Unbekannte sowie sein menschenfreundlicher Charakter halfen ihm bei der schwierigen, langwierigen und strengen Ausbildung zu dem, was er jetzt war.

Er fühlte sich aber mittlerweile als einer der letzten Vertreter der ‚Ehrwürdigen Weisen‘. Die Bezeichnung ‚Druide‘ war hier in dieser Gegend kaum gebräuchlich, aber sie traf auf seine Stellung dennoch weitgehend zu. Er war die religiös, philosophisch und naturkundlich gebildete Autorität in dieser Gegend und hochgeachtet. Mit den menschlichen Stärken und Schwächen bestens vertraut, versuchte er seinen Mitmenschen einen verständigen Weg vorzuleben und deren manchmal aufbrausenden, unüberlegten und wilden Charakter in die richtigen Bahnen zu leiten. Trotzdem war auch er nicht von menschlichen Fehlern frei. Seine seherischen Fähigkeiten waren begrenzt und die Erkenntnisse daraus hielt er meist für sich – denn trotz der langen Erfahrungen und Kenntnisse der Mythen war es oft schwierig, daraus die richtigen Schlüsse zu treffen.

Seit die Römer das Südland eroberten und besetzt hielten, wurde die druidische Bildung in deren Hoheitsgebieten unterdrückt. Die Besatzer duldeten keine andere Autorität neben der römischen Machthierarchie. Die Besetzten, die „Celtoi“, wie die Römer oder Griechen sie nannten, konnten zwar weitgehend frei leben, aber sie mussten das römische Recht anerkennen, Hilfstruppen stellen und dem Kaiser Tribut zahlen. Bisher waren die feindlichen Römer nicht erobernd in den Nordwald vorgedrungen und so konnte Gwydion weitgehend ungehindert seinen Aufgaben nachkommen. Noch lange, wie er hoffte. Doch wenn er bei seinen Wanderungen bei den römischen Händlern an der Danuvius um Unterkunft und Nahrung nachfragte, musste er vorsichtig sein.

Mit seinen sechsundfünfzig Jahren hatte Gwydion ein reiches, wechselvolles Leben erfahren dürfen und war den Göttern dankbar dafür. Vor etlichen Jahren konnte er einen neuen Schüler gewinnen, der von ihm die für die Dorfgemeinschaft so wichtigen Kenntnisse und Fertigkeiten erlernen sollte. Iven, ein drahtiger und intelligenter junger Mann aus adeliger Herkunft unterstützte ihn bei vielen seiner Handlungen und war nicht nur im geistigen Bereich gelehrig, er konnte auch hervorragend mit dem Bogen umgehen und so bei ihren längeren gemeinsamen Abwesenheiten vom Dorf für Nahrung sorgen.

Gerne übernahm Gwydion auch dieses Jahr wieder die Pflichten zur Vorbereitung des anstehenden Sommerfestes Beltane, das in der Nacht zum ersten Mai ausgelassen gefeiert wird. Es müssen umfangreiche Riten zur Reinigung und Besinnung beachtet werden, um mit dem heiligen Feuer des Lichts und der strahlenden Sonne den Beginn des Sommers feiern zu können.

Wie jedes Jahr wird das Fest wieder erst beim Dorfplatz beginnen und schließlich auf dem Festplatz außerhalb des Dorfes, an der Biegung des kleinen Flusses im Talboden, stattfinden. Die Dorfbewohner haben schon seit Wochen Reisig, Zweige, Äste, kleinere Baumstämme gesammelt und dort zu einem großen Haufen geschlichtet.

Etwas abseits des Festplatzes steht auf dem Sakralplatz des Dorfes das ‚Ritushaus‘, ein aus Stein gemauertes kleines Gebäude, in dem die geheimen Riten vollzogen und mit heiligem Rauch oder Schwitzen Geist und Körper gereinigt werden. Es haben nur ausgewählte Personen Zutritt – Gwydion und die ‚Gleichgestellten‘ des Dorfes. Diese Gleichgestellten oder Ehrwürdige, wie sie auch genannt wurden, waren einige ausgewählte Dorfälteste, die den Druiden bei einfachen rituellen Handlungen unterstützen durften und mit denen er sich bei schwierigen Dorfangelegenheiten beraten konnte.

Bei seltenen Gelegenheiten können auch ‚normale‘ Dorfbewohner mitwirken, die aber bei den wirklich geheimen Vorgängen mit verschiedenen Düften, Rauch und Getränken so benebelt werden, dass sie kaum etwas davon wirklich mitbekommen …

Ein solch seltener Anlass stand wieder bevor, denn die Bewegungen der Gestirne kündigten ein Himmelsereignis an. Gwydion und die Ehrwürdigen des Dorfes, waren sich einig: zehn Tage vor dem Beltanefest wird sich der Vollmond verdunkeln und die Mondgöttin Litha verlangt eine entsprechende Würdigung ihrer Macht, ein Opfer und eine rituelle Handlung. Sie liebt Überfluss und Fruchtbarkeit. Wenn die Erde den Mond umarmt, freut sie sich über diejenigen, die es Erde und Mond gleichtun und sie wird es mit reicher Ernte und Wohlstand belohnen.

Zu Beltane wird Belenus, der strahlende Sonnengott, gehuldigt. Er verlangt Früchte aus den Gärten und Äckern und vielleicht auch ein Tier aus den Ställen oder Weiden als sein Opfer. Wehe, er ist unzufrieden, dann bringt er mit seinem magischen Speer Unglück über das ganze Dorf. Es gilt also bedacht zu wählen, welche Opfer und Riten den Göttern angeboten werden. Gwydion musste sich noch mit seinen Gleichgestellten beraten – Iven hat schon vor Tagen diese Ehrwürdigen in ihren Häusern aufgesucht und das Treffen für morgen hier im Ritushaus vereinbart.

„Wir bringen einen Karren mit Gemüse und einen Kasten mit Getreide.“ „Wir eine große Amphore mit Wein und eine mit Met.“ „Und wir spenden ein fettes Lamm, das wir hier schlachten werden.“ – Die Zusagen der Ehrwürdigen für die Belenus-Opfer erfolgten zügig und bereitwillig. Aber bei den Überlegungen zur Auswahl des richtigen Ritus für die Mondgöttin waren sie noch im Unklaren. Sie diskutierten schon seit einiger Zeit und konnten sich nicht einigen. Erst als Gwydion einen neuen Vorschlag einbrachte, begannen die anderen langsam zu nicken.

„Unsere schönste Jungfrau wird in der dunklen Nacht als Maikönigin der Mondgöttin dienen. Sie wird ihre makellose Schönheit und ihre Anmut zur Huldigung Lithas offenbaren.“

„Dieser Ritus ist uns neu – wie soll das ablaufen?“, fragte einer.

„Nun, er ist nicht neu, aber sehr selten praktiziert. Tatsächlich weiß ich in all meinen Jahren von keinem Beispiel, ich kenne es nur von Erzählungen meines damaligen Lehrers … ein alter, fast vergessener Ritus.“

Gwydion begann die Abfolge dieses Ritus zu erläutern und den anderen kamen ernste Bedenken. Gwydion beruhigte sie, er selbst würde dieses Opfer vollziehen – denn ein solches Opfer braucht Ernsthaftigkeit und Disziplin. Und beide Eigenschaften habe er, versicherte ihnen Gwydion.

Er habe sich vollkommen im Griff!

Früh tags darauf stand Gwydion vor dem kleinen Haus am Dorfrand und klopfte an die Tür. Kendras Mutter öffnete und erschrak erst leicht über diesen seltenen Besuch, bat aber dann den Gast freundlich ins Haus. Gwydion trat ein und brauchte ein paar Augenblicke, um sich zu orientieren. Er musste ein paar Stufen nach unten gehen, denn dieses Haus einer Weberin war etwa knietief in die Erde versenkt gebaut – so konnten die Webfäden in günstigem Klima aufbewahrt werden. Ein offenes Feuer am Herd, ein kleiner Tisch mit zwei Bänken und drei Bettgestelle im Hintergrund bildeten die bescheidene Einrichtung. Neben der Tür stand ein großer Gewichtswebstuhl mit halbfertigem Tuch – die Kettfäden wurden mit faustgroßen Kieselsteinen straff gehalten – und gleich daneben ein Brettchenwebstuhl für die Herstellung der begehrten Borten. Kendras Mutter als auch ihre Großmutter waren leidenschaftliche Weberinnen und produzierten schöne bunte Bänder und allerlei Kleiderstoffe.

Kendra war damals fünfzehn Jahre alt, von bezaubernder, anmutiger Schönheit. Sie säuberte gerade den Tisch. Ihre blonden, leicht gewellten Haare hingen ihr lose weit über den Rücken hinab, ein schmales Stirnband hielt das Gesicht frei. Sie war bereits etwas größer als ihre Mutter und die fraulichen Formen waren bei ihren anmutigen Bewegungen trotz der weiten Tunika schon zu erkennen. Mit freundlichem, offenem Blick sah sie den Besucher ins Gesicht, wartete aber höflich darauf, dass er das erste Wort ergriff. Voller Neugier auf das Kommende spannte sie ihren Körper und trat vom Tisch zurück.

„Verehrter Ehrwürdiger, setze dich hier an den Tisch. Darf ich dir einen Tee und Brot anbieten?“, fragte Kendras Mutter. „Der Kräutertee ist frisch gemacht.“

„Gerne“, entgegnete der Besucher und nahm auf der ächzenden Bank etwas umständlich Platz. Er brach ein kleines Stück des Brotfladens ab und begann zu kauen. Mit einem Schluck aus dem Becher war sein Mund wieder frei.

„Ich habe etwas Wichtiges mit euch zu besprechen!“, erklärte er schließlich mit einem Rundblick zu den Frauen. Nach einer kleinen Pause fuhr er fort:

„Wie ihr wisst, ist in etwa zwei Wochen Beltane – und diesmal kündigt sich das Fest mit einem seltenen Götterereignis an. Der Mond wird sich verfinstern und wir müssen uns darauf gut vorbereiten. Die Götter verlangen Opfer, würdevolle Huldigung und unsere vertraulichen Zwiegespräche. Meine Gleichgestellten und ich benötigen dazu Hilfe – die Hilfe von der schönsten und würdigsten Jungfrau der Umgebung, die uns als Maikönigin bereits jetzt dienen wird. Und das – da sind wir uns einig – ist … Kendra!“

Gwydion machte eine Pause und betrachtete die Anwesenden. Das Gesicht der Großmutter zeigte kaum Regung, als hätte sie das alles schon erwartet. Kendras Mutter war jedoch ganz erstaunt und schlug die Hände vor ihrer Brust zusammen.

„Welch eine Ehre, natürlich ... wie … wie soll das geschehen?“, stammelte sie.

Bevor Gwydion antwortete, sah er zu Kendra, die, wie er fast glaubte zu erkennen, mit einem etwas frechen, fragenden Blick dastand und leicht den Kopf neigte. Was kommt da noch - dachte sie wohl.

Tatsächlich ging ihr ein ganz anderer Gedanke durch den Kopf. Vor einigen Monaten hatte sie nämlich ein ‚Mädchengespräch‘ mit einigen ihrer gleichaltrigen Freundinnen. Diese hatte schon ihre ersten sexuellen Erfahrungen hinter sich und drängten Kendra, es ihnen gleich zu tun. „Worauf wartets du noch, willst du eine unberührte alte Schachtel werden?“, so oder so ähnlich wurde sie geneckt. Als ihr nach einigen Wochen bei einem der jahreszeitlichen Feste ein junger Bursche aus dem Nachbardorf auffiel und sie mit ihm ausgelassen tanzte, verzogen sie sich nach Einbruch der Dunkelheit heimlich hinter die Büsche. Doch da beide noch vollkommen unerfahren in diesen Dingen waren, fuhr der Finger des Burschen etwas zu forsch in ihre jugendliche Weiblichkeit. Erst ein scharfer Schmerz bei Kendra, unmittelbar darauf eine heftige Ohrfeige für den Jungen war die Folge. Sonst war nichts passiert, also etwas locker betrachtet war sie ihrer Ansicht nach immer noch Jungfrau und konnte auch Maikönigin werden.

„Deine Tochter wird am Vorabend der Mondfinsternis, die in vier Tagen erscheinen wird, uns zum Ritushaus begleiten und dort ihren Dienst tun. Wir werden ihr alles genau erklären. Kleidet sie in einem einfachen, langen weißen Gewand und schmückt sie mit diesem hier!“

Er zog eine schöne Bernsteinkette aus seinem Umhang und legte sie auf den Tisch. In den goldgelben Kugeln spiegelte sich das Herdfeuer und der fein gearbeitete silberne Verschluss glänzte mit den Steinen um die Wette. So etwas Schönes hatten die Frauen noch nie aus der Nähe gesehen und waren erst einmal sprachlos, bevor sie die Kette mit leiser Stimme bewunderten und vorsichtig berührten.

Gwydion ließ sie gewähren; schließlich nahm er die Halskette und ging auf Kendra zu. Wie selbstverständlich hob Kendra ihre langen blonden Haare vom Nacken, wandte sich um und wartete bis Gwydion ihr das Schmuckstück umlegte. Langsam drehte sie sich um und mit ihrem strahlenden Lächeln sah sie aus wie eine junge Göttin. Gwydion musste sich zusammenreißen damit er seine Bewunderung nicht durch eine unbedachte Miene oder Äußerung verriet. Sie war einfach umwerfend schön – das musste auch er, der ‚Ehrwürdiger Alte‘, zugeben.

Die Tage vergingen schnell und die drei Frauen waren eifrig damit beschäftigt, aus einem langen weißen Leinentuch das knöchellange Kleid zu schneidern. Zusätzlich fertigten sie noch aus dem gleichen Stoff ein langärmeliges Hemd an, das Kendra unter dem Kleid tragen sollte. Ein weißes Schultertuch, ein hellblaues fein gewebtes Gürtelband aus Wolle und ein paar lederne Schnürschuhe vervollständigten die einfache, aber schön anzuschauende Kleidung.

Die emsigen Tätigkeiten im Haus fielen bald den Nachbarn und Freundinnen auf und so wusste bald das ganze Dorf von der Wahl Kendras zur Maikönigin.

Endlich kam Gwydion in Begleitung der Ehrwürdigen am späten Nachmittag vor der Mondfinsternis, die in der folgenden Nacht stattfinden würde, um Kendra zu holen. Die drei Frauen waren aufgeregt. Kendra war wie gefordert gekleidet und geschmückt. Vor dem Haus hatten sich schon etliche Nachbarn versammelt, um die neue Maikönigin zu bewundern – und zunehmend wurden es immer mehr Neugierige. Als Kendra vors Haus trat ging ein bewunderndes Raunen durch die Menge.

Kendras Mutter führte sie an der Hand zu Gwydion und übergab ihre Tochter an den Ehrwürdigen, der sie mit feierlichen Schritten durchs Dorf führte. Die Menschenmenge folgte, doch am Dorfrand drehte er sich um und sprach mit lauter Stimme:

„Diese Nacht wird sich der Mond verdunkeln, die Götter fordern ihren Tribut. Wir haben alles wohl vorbereitet und wir werden ihnen unsere Opfer darbringen. Auch ihr seid aufgefordert, in euren Heimen den Göttern zu danken und zu opfern. Geht jetzt nach Hause, wie wir auch in unser Heim gehen! Wir sehen uns morgen früh wieder.“

Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte er sich um und die kleine Gruppe schritt langsam hangabwärts, zum Ziel des folgenden Geschehens.

Die Dorfbewohner wandten sich gehorsam still ihren Wohnungen zu. Etliche hatten ein mulmiges Gefühl wie die Nacht wohl verlaufen würde. Vermutlich war es am besten, den Anweisungen des Ehrwürdigen zu folgen und die Mondfinsternis mit Ehrfurcht und Stille zu verfolgen.

Die Gemeinschaft der Ehrwürdigen war in den letzten Tagen fleißig gewesen. Der Sakralplatz des Dorfes, ein etwa fünf Pferdelängen im Geviert großer, mit fast mannshohen Erdwällen umgebender ebener Platz, war gemäht und gesäubert worden.

Sie hatten das Ritushaus auf Vordermann gebracht. Sauber ausgekehrt, die Feuerstellen gesäubert und mit frischen Holzkohlen versehen, das Wasserbecken mit frischem Bachwasser aufgefüllt und die Rauchluke am First geöffnet. Sogar die Felle der schmalen Schlafstelle Gwydions, die sich in einem Eck des Gebäudes befand, waren gesäubert, aufgeschüttelt und ordentlich angeordnet worden. Nun gut, eigentlich hatte Iven die meiste Arbeit erledigt, denn die Ehrwürdigen waren für solche anstrengende Tätigkeiten nicht wirklich geeignet. Aber die Aufsicht und die Einhaltung der Regeln war zwingend die Aufgabe Gwydions und seiner Gemeinschaft. Nach getaner Arbeit schickte Gwydion seinen Schüler Iven zurück ins Dorf; er war bei weitem noch nicht vollständig ausgebildet und durfte diesen besonderen rituellen Feierlichkeiten zu Ehren der Mondgöttin Litha nicht beiwohnen.

Kendra stand anfangs eher schüchtern im Wege, doch schließlich musste sie die Kräuter und Pilze sortieren, sie waschen und zwischen weißen Tüchern trocknen, ohne sie dabei mit den blanken Händen zu berühren. Es brannten zwei Feuer in der steinernen Hütte. Über dem Holzfeuer hing ein kleiner kupferner Kessel mit kochendem Wasser. Im glühenden Holzkohlefeuer lagen etliche größere Kieselsteine. Gwydion zog ein großes, schön verziertes bronzenes Messer – es war der geheimnisvolle Dolch von den ‚Heiligen Drei Felstürmen‘ – aus der Scheide an seinem Gürtel, nahm mit einem kleinen Tuch die Kräuter und Pilze, hackte sie klein und ließ sie ins kochende Wasser fallen; auch er durfte die Kräuter nicht mit den bloßen Händen berühren - auch er verwendete dazu ein weißes Tuch.

Aus einer kleinen Tasche an seinem Gürtel zog er einen ledernen Beutel und schüttete ebenfalls mit leisem Gemurmel den Inhalt in den Kessel. Aus einem anderen Beutel streute er ein Pulver über die heißen Kieselsteine und sogleich stieg ein beißender, qualmender Rauch auf. Nach einiger Zeit nahm er den Kessel vom Feuer, rührte mit einem dünnen Silberstab den Sud mehrfach um und goss den Inhalt in einen Becher. Kendra musste das heiße Gebräu vorsichtig trinken, während die Anwesenden für sie unverständliche Worte immer wiederholten.

Es dauerte eine geraume Weile, bis sie den ganzen Inhalt getrunken hatte und langsam merkte sie, wie sie in eine eigenartige Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit abdriftete. Und trotzdem konnte sie die Stimmen klar und deutlich hören und verstehen. Sie war zwar weitgehend willenlos, aber sie konnte fest stehen und sich sicher bewegen.

Jetzt war es Zeit für die Reinigung. Gwydion befahl Kendra das Feuer zu schüren und aus einem Krug einige Handvoll Wasser auf die heißen Kieselsteine zu verteilen. Die Ehrwürdigen legten die Oberkleider ab und setzten sich ums Feuer auf den mit Teppichen ausgelegten Boden. Kendra musste mit einem großen Fächer die heiße Luft verwirbeln und der heiße Dampf brachte sie alle bald zum Schwitzen. Der Schweiß lief auch bald Kendra von der Stirn und über den Rücken – aber sie merkte nichts davon. Nach einiger Zeit befahl ihr Gwydion die Türe zu öffnen und die Ehrwürdigen traten in die kühle Nachtluft hinaus und schritten mit weit ausholenden Armbewegungen zügig um das Gebäude. Anschließend traten sie wieder ein, die Tür wurde wieder geschlossen und die Zeremonie begann von Neuem. Das Ganze wurde dreimal ausgeführt.

Nach dieser Reinigung war es Zeit die eigentliche Zeremonie, die Fruchtbarkeitshuldigung, durchzuführen. Kendra musste einen weiteren Tee zubereiten, diesmal mit schon vorbereiteten Kräutern aus einem anderen Gefäß. Wieder wurde ihr mit Beschwörungsformeln und Gesten das Getränk gereicht, das sie auch jetzt wieder vollständig austrinken musste. Die Wirkung des Tees trat bald ein: sie wurde müde, ihre Augen fielen zu, der Kopf neigte sich zur Seite und schließlich konnte sie sich nicht mehr auf den Beinen halten. Gwydion führte sie zu einer mit Teppichen ausgelegten Stelle abseits der Feuer und legte sie auf den Rücken.

Das Gemurmel der Männer wurde lauter und mündete schließlich in einem monotonen Gesang. Alle sahen jetzt auf Gwydion, der die heikle Zeremonie beginnen musste. Vorsichtig kniete er nieder, schob das Kleid Kendras hoch und betrachtete ihre Scham. Das verklärte Gesicht, das geschmückte Haupt und die intimen Stellen der Jungfrau zeugten vom Wohlwollen der Mondgöttin Litha, die jetzt ihr Opfer forderte.

Gwydion löste seinen Gürtel und legte sich auf die junge Frau um den Ritus der ‚Heiligen Hochzeit‘ zu vollziehen.

Ihr Geruch des Haares, der schlanke weiße Hals, der feste Busen und ihre warmen Schenkel verwirrten seinen sonst so klaren Geist. Der Gesang, der rauchige Qualm und die erotische Situation überwältigten ihn. Er hatte sich überschätzt, verkalkuliert. Sein erigiertes Glied drang durch die Barriere, ein angenehmer Schauer durchströmte seinen Körper und bevor er reagieren konnte, gab er seinen Samen ab. Erschrocken hielt er inne, dann zog er zurück, stand auf und wandte sich ab.