Der kleine Bahnhof zum Glück - Maja Benedict - E-Book
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Der kleine Bahnhof zum Glück E-Book

Maja Benedict

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Beschreibung

Mit Volldampf in die Liebe

Die Bankerin Elli packt ihre Koffer und winkt noch mal zum Abschied. Sie fährt in ihr Heimatdorf und lässt Job und Freund in Frankfurt zurück. Zugegeben, den Job hat sie nicht ganz freiwillig zurückgelassen, aber das sind Details. Bei ihrem Großvater will sie sich ausruhen und über ihre Zukunft nachdenken. Doch der liebe alte Willi hat andere Pläne für seine Enkelin: Der verlassene Bahnhof im Dorf soll renoviert werden und braucht einen neuen Pächter - oder eine Pächterin. Dafür wäre Elli doch genau die Richtige. Das Dorf steht tatkräftig hinter dem Projekt, nicht zuletzt der attraktive, aber schweigsame Schreiner Phillipp. Aber Elli hat keine Ahnung von Handwerk oder Eisenbahnen. Und will sie wirklich auf dem Land leben? In einem Bahnhof arbeiten? Das klingt doch absurd, oder nicht?

Ein charmanter Liebesroman mit Nostalgie, Humor und einem unvergesslichen Schreinermeister.

Stimmen unserer Leser und Leserinnen:

»Ein gelungener Roman, der einen den verrückten Alltag völlig vergessen lässt und bei dem man sich so richtig schön entspannen kann.« (HONIGMOND, Lesejury)

»Wer gerne beim Lesen schmunzeln und einfach dem Alltag entfliehen möchte, sollte zu "Der kleine Bahnhof zum Glück" greifen.« (KADDELKATJA, Lesejury)

»"Der kleine Bahnhof zum Glück" von Maja Benedict ist ein richtiger Wohlfühlroman mit rosaroter Brille und guter Laune« (ASCORA, Lesejury)

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert!

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Seitenzahl: 324

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

Über dieses Buch

Die Bankerin Elli packt ihre Koffer und winkt noch mal zum Abschied. Sie fährt in ihr Heimatdorf und lässt Job und Freund in Frankfurt zurück. Zugegeben, den Job hat sie nicht ganz freiwillig zurückgelassen, aber das sind Details. Bei ihrem Großvater will sie sich ausruhen und über ihre Zukunft nachdenken. Doch der liebe alte Willi hat andere Pläne für seine Enkelin: Der verlassene Bahnhof im Dorf soll renoviert werden und braucht einen neuen Pächter – oder eine Pächterin. Dafür wäre Elli doch genau die Richtige. Das Dorf steht tatkräftig hinter dem Projekt, nicht zuletzt der attraktive, aber schweigsame Schreiner Phillipp. Aber Elli hat keine Ahnung von Handwerk oder Eisenbahnen. Und will sie wirklich auf dem Land leben? In einem Bahnhof arbeiten? Das klingt doch absurd, oder nicht?

Über die Autorin

Maja Benedict ist das Pseudonym von Farina Eden. 1977 in Berlin geboren, entdeckte sie bereits als Kind ihre Begeisterung für Bücher und begann früh mit dem Schreiben. Nach Schule und Abitur fand sie einen Weg, die Leidenschaft fürs Schreiben mit ihrem Beruf zu verbinden. Sie studierte Deutsch und Englisch und unterrichtet heute an einer Realschule in Baden-Württemberg, wo sie gemeinsam mit ihrer Familie lebt.

Maja Benedict

Der kleine Bahnhof zum Glück

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Clarissa Czöppan

Lektorat: Eileen Sprenger

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © AlinaMD/ iStock / Getty Images Plus; prill/ iStock / Getty Images Plus; Zastavkin/ iStock / Getty Images Plus; urfinguss/ iStock / Getty Images Plus; Markus Volk/ iStock / Getty Images Plus; Nastco/ iStock / Getty Images Plus; thomaslenne/ iStock

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-1554-6

www.be-heartbeat.de

www.lesejury.de

Für Kathrin

1. Kapitel

»Er ist ein Schnösel. Das war er schon immer.«

In Endlosschleife hallten die Worte in Ellis Kopf wider und wollten nicht verschwinden. Es war wie bei einem überaus hartnäckigen Ohrwurm. Herrschte Ruhe, kam er zurück.

Genauso verhielt es sich mit Svenjas Satz. Elli wusste, dass ihre beste Freundin recht hatte. Verletzt war sie trotzdem. »Was bin denn ich dann für dich?«, jammerte sie in ihr Handy. Sie hoffte darauf, dass Svenja etwas sagte, das sie in ihrer Entscheidung, Carl endgültig zu verlassen, bestärken und ihr ein wenig von ihrer Angst vor diesem Schritt nehmen würde.

»Lea-Marie, lass die Finger vom Bagger deines Bruders.«

Erschrocken hielt Elli den Hörer von ihrem Ohr weg. Sie vergaß immer wieder, wie durchschlagend Svenjas Stimme sein konnte, wenn sie ihre Kinder in die Schranken verwies.

»Entschuldige. Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja. Du bist nicht besser. Eine Schnöselin. Als emanzipierte Frau legst du sicher Wert auf die feminine Form. Nimm es mir nicht krumm, aber ich frage mich schon lange, was du in einer Bank und an der Seite von Carl verloren hast. Hast du in den vergangenen vier Jahren irgendwann mal etwas anderes getan, als zu arbeiten und anschließend dafür zu sorgen, dass dein nach der Arbeit stets zockender und kiffender Banker etwas zu essen hatte?«

»Soll das ein Witz sein?«, fauchte Elli. »Damit kommst du mir jetzt? Dafür hättest du vier Jahre Zeit gehabt!«

»Wie groß wären meine Chancen denn vorher gewesen? Jetzt bist du aufgewacht, hast deine Koffer gepackt, sitzt in weniger als einer Stunde im Auto und gibst deinem Leben damit endlich die richtige Richtung. O nein! Bleib dran.«

Elli seufzte und hörte, wie Svenja ihrem Jüngsten, den alle Welt nur Knopf nannte, mit einer Engelsgeduld erklärte, dass er die Haare an der Barbie seiner Schwester nicht abschneiden dürfe.

»Das hat er mit Absicht gemacht«, greinte Lea-Marie.

»Sei nicht albern, mein Hase. Er will sicher nur testen, ob sie wieder wachsen. Das habe ich früher auch schon so gemacht. Geh zu Papa, setz dein Kulleraugengesichtchen auf und frage ganz lieb. Er kauft dir sicher eine neue Barbie.«

»Papaaaa!«

Elli klemmte das Handy zwischen Wange und Schulter und zog ihre Seite des Bettes ab, während sie darauf wartete, dass Svenja zu ihrem Gespräch zurückkehrte.

»Wie hat Carl es eigentlich aufgenommen?«

Elli lachte müde auf und stopfte ihre Bettwäsche in eine riesige IKEA-Tüte. »Er weiß es noch nicht.« Svenjas Schweigen machte Elli nervös. »Bist du noch dran?«

»Äh. Ja. Ich musste nur eben mal mein Ohr freipusten. Es hat sich so angehört, als hättest du gesagt, dass der Kerl, mit dem du fast vier Jahre lang Tisch und Bett und Beruf geteilt hast, noch gar nicht wüsste, dass du gerade dabei bist, ihn zu verlassen.«

»War irgendwie nicht der richtige Zeitpunkt bisher.«

»Nee, ist klar.«

»Wir haben in der letzten Woche nur gestritten.«

»Wir?«

»Ja, okay, ich habe gestritten. Er hat zugehört. Glaube ich zumindest.«

»Lass mich raten, er hatte Kopfhörer auf, weil er mit irgendeiner Quest in irgendeinem Open-World-Game beschäftigt war«, sagte Svenja und ihre Stimme klang inzwischen völlig konsterniert.

»Ich hab sie ihm abgenommen, keine Sorge. Dann habe ich ihm deutlich gesagt, dass es so nicht weitergeht, weil wir auf der Stelle treten.«

»Und er wusste, was du meinst?«

»Nicht so richtig«, gab Elli zu. »Er findet es so, wie es ist, ganz großartig. Er liebt mich über alles. Er hat einen fantastischen Job und eine Frau, für die er sich nicht verbiegen muss.«

»Klar«, gab Svenja zurück. »Ist ja auch ziemlich bequem so.«

Dass es noch einen weitaus schwerwiegenderen Grund gab, aus dem sie Carl nun endgültig verließ, verschwieg Elli der Freundin ebenso wie die Tatsache, dass sie sich ein letztes Mal von ihm hatte einlullen lassen. Statt ihn zu zwingen, ihr zuzuhören, hatte sie mit ihm geschlafen und sich dabei eingeredet, dass sie diesen einen Moment brauche, um zu erkennen, ob er ihr noch etwas bedeute. Anschließend hatte er sich angezogen und wieder vor die Playstation gesetzt. Doch auch das war noch nicht das endgültige Ende gewesen. Erst die versehentlich geöffnete E-Mail hatte ihr die Augen geöffnet.

»Noch mal für doofe Muttis zum Verständnis: Du sagst also, du packst seit etwa anderthalb Wochen deine sieben Sachen, trägst immer wieder Pakete, Koffer oder Tüten aus eurem hübschen Appartement in der Frankfurter City und er fragt nicht einmal, was du da tust?«

»Er hat sich bedankt.«

»Bedankt?«

»Ja, dafür, dass ich mal wieder ausmiste. Wäre ja schon seit einer Weile dringend nötig gewesen, aber er hätte in der Bank so viel um die Ohren. Und weil ich doch jetzt arbeitslos bin ...«

»Das hat er nicht gesagt!«, rief Svenja empört.

»Doch. Du kennst ihn. Er denkt sich dabei nichts Böses.«

»Falsch«, hielt Svenja dagegen, »er denkt gar nicht. Ellischatz, ich muss jetzt auflegen. Knopf und Lea-Marie zerlegen mir sonst noch das Kinderzimmer. Sieh zu, dass du da wegkommst. Und so sehr ich deine Trennung begrüße: Ohne Abschied sollte auch Schnösel Carl nicht verlassen werden. So was gehört sich nicht. Niemals.«

»Ja, ja, schon gut. Bis bald.«

Elli stellte ihre letzten zwei Taschen in den Flur und ging in die Küche. Carl war noch nicht von der Arbeit zurück und sie hoffte, dass er nicht ausgerechnet heute Überstunden machen musste.

Während sie Teewasser aufsetzte, dachte sie daran, was ihr Beziehungs-Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Faulheit, fehlende Gespräche und sein Laster, das ihn im Privatleben oft antriebslos werden ließ, waren längst nicht alle Gründe, obwohl sie inzwischen der Meinung war, dass dies bei Weitem ausgereicht hätte. Doch wirklich zerbrochen war sie an der Gewissheit, dass sie ihm nicht mehr vertrauen konnte.

Als vor einem halben Jahr die ersten Gerüchte von Entlassungen in der Bank die Runde gemacht hatten, waren sie alle besorgt gewesen. Doch Carl hatte recht schnell erfahren, dass es ihn nicht treffen würde, wohl aber seine ›hübsche und gescheite Freundin‹, wie es sein Chef, mit dem Carl inzwischen gut befreundet war, in dieser unsäglichen E-Mail formuliert hatte. Der Chef hatte vorgeschlagen, Elli einen Tipp zu geben, um sich rechtzeitig anderswo zu bewerben. Doch statt Elli die Zeilen zu zeigen, hatte Carl geschwiegen und sie so die Chance verpasst, direkt im Anschluss eine neue Stelle in einer anderen Bank antreten zu können.

Elli nahm den Teebeutel aus der Tasse, warf ihn in den Müll und sah sich um. Diese Küche war der einzige Ort in der schicken Wohnung, an dem sie sich wirklich wohlgefühlt hatte. Traurigerweise lag das aber nur daran, dass es auch der einzige Raum war, den sie nicht gemeinsam eingerichtet hatten, da sie noch vom Vormieter gewesen war. Der Landhaus-Charme hatte sie an zu Hause erinnert. Außerdem hatten sie hier zu Beginn ihrer Beziehung nächtelang gesessen und über Gott und die Welt geredet.

Seufzend löffelte Elli Honig in ihren Tee und lief durch die Räume. Als sie das Appartement vor Jahren möbliert hatten, war ihr nicht klar gewesen, wie sehr sie sich Carls Wünschen untergeordnet hatte, das Ungleichgewicht zwischen ihnen hatte sie dabei in ihrer Verliebtheit nicht erkannt. Er hatte ausgesucht, sie hatte abgenickt und sich gefreut, dass er sich freute. Schon damals hatte er betont, wie sehr er sie dafür liebe, dass sie ihn nicht verändern wolle. Sie hatte viel zu lange gebraucht, um zu erkennen, dass sie sich und ihre eigenen Ziele und Wünsche dabei völlig aus den Augen verloren hatte.

Da stand sie nun. Dreißig Jahre alt. Weder Mann noch Kinder und ohne Job, denn natürlich hatten die Einsparungen in der Bank sie und nicht Carl getroffen. Sie hatten sich im Studium kennengelernt und waren bei der gleichen Großbank untergekommen, wenn auch in verschiedenen Filialen.

Sie zuckte zusammen, als sie das summende Rauschen der Fahrstuhltüren hörte. Kurz darauf klappte die Wohnungstür, es folgten ein kurzes Poltern und ein lautes »Was zum Geier! Elli!«.

Elli straffte die Schultern. Es war so weit. Sie lief in den Flur und sagte »Hallo«.

»Schatz!«, kam es ohne jeden Gruß zurück. »Bist du denn immer noch nicht fertig mit Müllentsorgen? Ich wäre fast darübergeflogen!«

Elli stand im Türrahmen zum Wohnzimmer, umklammerte ihre Teetasse und starrte Carl ungläubig an. Er lief auf sie zu und wollte ihr einen Kuss geben, doch sie wich zurück.

»Sehr charmant, Carl. Wie immer. Aber ich kann dich beruhigen. Der Müll ist in weniger als fünf Minuten aus deinem Blickfeld verschwunden.«

»Danke. Sollen wir Pizza bestellen?«

Elli zählte langsam bis zehn. Dann schüttelte sie den Kopf. »Tu, was du willst. Ich nehme jetzt meinen Müll und bin weg.«

Carl lachte fröhlich und warf den Kopf in den Nacken. »Das klingt ja dramatisch. Als wolltest du Kippen holen und nie mehr wiederkommen.«

»Nicht ganz.« Sie starrte ihn an, doch er begriff noch immer nicht. »Ich rauche nicht.«

Sie konnte dabei zusehen, wie es in ihm ratterte. Langsam zog er seine Augenbrauen hoch und verschränkte dann die Arme vor dem Körper. »Was soll das denn heißen?«

Sie lief in die Küche und stellte ihre Teetasse in die Spüle. Nicht, dass es noch wichtig gewesen wäre, aber so war sie eben.

»Elli, ich rede mit dir. Was ist hier los?«

»Du bist unglaublich, Carl. Ich packe seit über einer Woche meine Sachen, um dich zu verlassen, und du merkst es nicht einmal.«

»Du willst was?« Er starrte sie an, als hätte sie ihm soeben erklärt, dass sie in eine ferne Galaxie reisen würde.

»Gehen. Ich werde dich verlassen.«

»Das ist doch ein Scherz!«

»Wohl kaum. Ich versuche seit Tagen mit dir zu reden. Aber deine Quests sind offenbar wichtiger. Als ich dich das letzte Mal ansprechen wollte, musste ich dir die Kopfhörer runterreißen, damit du mir zuhörst.«

»So schlimm war das nun auch wieder nicht! Zwischen uns ist doch alles in Ordnung. Ich liebe dich. Du liebst mich. Das weiß ich. Du kannst nicht vier Jahre einfach so wegwerfen. Es gab nie wirklich Streit, keine Differenzen, nichts. Gut, das mit dem Job ist jetzt dumm gelaufen. Aber das bekommst du schon wieder hin. Du hast dein Studium mit Auszeichnung beendet, das zählt ...«

»Darum geht es nicht«, unterbrach sie. »Mein Job ist mir gerade völlig egal. Aber mir ist nicht egal, dass der Mann an meiner Seite mich nicht sieht und nicht zu mir hält, wenn es darauf ankommt.« Jetzt liefen ihr doch die Tränen herunter, allerdings änderte das nichts an ihrer Entscheidung.

»Was genau wirfst du mir eigentlich vor? Wann habe ich jemals nicht zu dir gehalten? Dieser Vorwurf ist wirklich unfair.«

Elli musste sich zusammenreißen, um nicht laut zu werden. Das war so typisch für Carl! Wann immer sie stritten, drehte er den Spieß einfach um. Er ignorierte, dass sie loswerden wollte, was sie verletzte, und stellte stattdessen sie als unfair hin. Diesmal würde ihm das allerdings nicht gelingen.

»Erinnerst du dich daran, wie du mich vor zwei Wochen darum gebeten hast, eine E-Mail für dich auszudrucken? Du konntest nicht, weil dein Spiel gerade extrem spannend war, also habe ich das für dich übernommen.«

Verständnislos starrte Carl sie an. »Was hat das mit deinen gepackten Koffern zu tun?«

Elli lehnte sich gegen den Küchentresen und atmete durch. »Kann ich dir sagen. Ich habe versehentlich die falsche Nachricht geöffnet.«

Sie sah Carl ruhig an und versuchte zu ergründen, ob er wusste, worum es ging, und ob sich zumindest der Anflug eines schlechten Gewissens in seiner Mimik zeigen würde. Doch da war nichts.

»Du wusstest lange vor meiner Entlassung, dass es mich treffen würde«, half sie ihm auf die Sprünge.

Carl wandte sich ab und schob das Urlaubsfoto an der Flurwand zurecht. Dann drehte er ihr sein Gesicht wieder zu und sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Du hast mir also nachspioniert.«

Elli schüttelte resigniert den Kopf. Natürlich. Statt sich zu entschuldigen oder ihr zumindest eine plausible Erklärung zu liefern, war er zum Gegenangriff übergegangen. Diese Strategie hatte ja auch jahrelang funktioniert. Um der Harmonie willen hatte sie meist nachgegeben. Doch diesmal war er zu weit gegangen.

»Ist das alles, was du dazu sagen willst?«, fragte sie.

Carl trat auf sie zu und legte ihr seine Arme auf die Schultern. »Du bist durcheinander, das verstehe ich. Aber du kannst nicht einfach gehen. Du musst mir schon auch die Chance geben, mich zu ändern.«

»Nein, Carl. Das muss ich nicht«, sagte sie leise. Sie nahm seine Hände und schob sie von ihren Schultern. Dann lief sie an ihm vorbei, griff nach ihren Taschen und sah sich ein letztes Mal um. »Mach's gut.«

Carl sagte kein Wort mehr. Stattdessen zog er die Flurschublade auf und griff nach seinem Kräuterbeutelchen, wie er es gern nannte. Natürlich. Auf den Schrecken musste er erst einmal einen durchziehen.

Elli straffte die Schultern und schlug die Tür hinter sich zu. Obwohl es schmerzte, wusste sie in dieser Sekunde, dass sie alles richtig gemacht hatte.

Mit der letzten Kiste unter dem Arm und ihrem Bettzeug in der überdimensionalen blauen Tasche trat sie auf die Straße. Während sie nach dem Autoschlüssel kramte, rutschte ihr die Tüte immer wieder von der Schulter. Fluchend stellte sie die Kiste auf den nassen Boden, denn natürlich hatte es auch noch zu regnen begonnen. »Doofes Klischee«, murmelte sie und stopfte die restlichen Habseligkeiten in den Kofferraum.

»Glaub nicht, dass ich das Vieh für dich durchfüttere«, tönte es plötzlich hinter ihr.

Elli drehte sich um und blickte direkt in Carls Augen. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, den Joint aus dem Mund zu nehmen. Während er sprach, tanzte der dünne Stängel zwischen seinen Lippen auf und ab.

»Er war deine Idee. Ich habe weder die Zeit noch die Nerven, deinen Hamster ständig irgendwo zu suchen.«

Carl knallte den Käfig auf den Boden und Puschel gab ein erschrockenes Quieken von sich. Elli sagte kein Wort. Sie war davon überzeugt gewesen, dass es zum Streit gekommen wäre, hätte sie ihn einfach mitgenommen, denn obwohl er jetzt etwas anderes behauptete, war das Tier sein Wunsch gewesen. Er hatte etwas gesucht, um das er sich kümmern wollte, hatte die Ausstattung besorgt und das Tier dann im Kleintierhandel gekauft. Es wurmte ihn vermutlich, dass sie, um ihn zu verlassen, sogar auf Puschel verzichtet hätte, obwohl sie diejenige gewesen war, die sich schlussendlich um ihn gekümmert hatte. Dass er ihr den Käfig jetzt fast vor die Füße warf, war sein letzter Versuch, eine Diskussion zu beginnen, an deren Ende es nur darum gehen würde, sie zum Bleiben zu bewegen.

Sie hatte nicht vor, sich darauf einzulassen, also lud sie Puschel in den Fußraum auf der Beifahrerseite und lief um ihren Wagen.

»Also gut, du hast recht, okay? Ich hätte dir sagen müssen, dass du zu denjenigen gehörst, die entlassen werden.«

»Genau das hättest du. Ich hätte mich längst nach einer neuen Stelle umgesehen und stünde jetzt nicht ohne Job da«, gab sie zurück.

»Ja doch. Mein Fehler, mea culpa. Aber du warst ziemlich durch den Wind, als du die Kündigung erhalten hast. Stell dir vor, du hättest schon drei Monate davor Bescheid gewusst. Du wärst die ganze Zeit über unausstehlich gewesen und hättest sicher mir die Schuld gegeben.«

Elli schlug mit der flachen Hand gegen das Autodach. Carl hatte es geschafft. Jetzt wurde sie doch noch wütend. »Wäre wirklich anstrengend gewesen, was? So ein Trauerkloß daheim, um den du dich zur Abwechslung mal hättest kümmern müssen. So lief doch alles weiter ganz entspannt und ruhig und zu deiner vollsten Zufriedenheit.«

»Du klingst gerade so, als wäre ich rund um die Uhr ein egoistischer Mistkerl.«

»Nicht rund um die Uhr«, gab Elli zu. »Aber einmal zu viel.«

Über das Autodach hinweg sah sie ihn an. Sie war nass bis auf die Haut und aus ihrem schulterlangen, lockigen Bob tropfte das Wasser. Mit einer schnellen Handbewegung schob sie sich die nassen Strähnen hinters Ohr. »Mach's gut, Carl«, sagte sie, stieg ein und trat aufs Gaspedal. 

2. Kapitel

Inzwischen war es kurz nach sieben und die Straßen waren vollgestopft. Im Schritttempo fuhr Elli von einer Ampel zur nächsten und brauchte fast eine Stunde, um Frankfurt hinter sich zu lassen. Eigentlich hatte sie ohne Pause bis Mornau fahren wollen, doch die Fahrt durch den strömenden Regen war anstrengender, als sie erwartet hatte.

Sie steuerte die nächste Tankstelle an, ließ sich den Schlüssel für die Toiletten geben und holte sich dann einen Kaffee und ein Hähnchenbrustsandwich.

Zurück im Auto öffnete sie die Verpackung und nahm das labbrige Weißbrot heraus. Schon der erste Bissen war eine Enttäuschung. Warum sie diesen Fehler immer wieder machte, konnte sie selbst nicht genau sagen. Sie wusste doch, dass abgepackte Sandwiches quasi nach nichts schmeckten, nicht satt machten, dafür aber sofort auf den Hüften landeten. Wie zum Beweis kleckerte ihr jetzt auch noch die Mayonnaise auf die Hose.

»Toll!« Sie legte das Sandwich wieder in die Verpackung und versuchte dann mit dem Zeigefinger den Klecks von ihrer Hose zu wischen. In ihrem Kopf hörte sie Carls Lachen und seinen Standardspruch in Momenten wie diesem: »Das machst du doch absichtlich. Weil du weißt, wie sexy ich tollpatschige Frauen finde.«

Elli schüttelte die Erinnerung an ihn ab. Wenn sie eines jetzt nicht gebrauchen konnte, dann waren es Gedanken an die glücklichen Tage, die sie irgendwann einmal gehabt hatten.

Angestrengt starrte sie auf die enge Landstraße. Sie hatte noch drei winzige Käffer vor sich, ehe sie Mornau erreichen würde. Was nach einem Katzensprung klang, zog sich am Ende einer jeden Fahrt in die Heimat, denn hier lagen Ortschaften weit auseinander, und die Landstraßen zwischen ihnen waren schmal, unübersichtlich und häufig auch schlecht instand gehalten.

Der letzte gelbliche Streifen am Horizont verschwand, kurz darauf war es stockdunkel. Ihre Scheinwerfer warfen grelle Lichtkegel in den dunklen Wald und Elli zog fröstelnd ihre Schultern hoch. Es war Anfang März, die hellen Monate würden nicht mehr lange auf sich warten lassen, und trotzdem hatte die Szenerie etwas von einem Horrorfilm.

Um auf andere Gedanken zu kommen, wechselte sie vom Autoradio auf ihre Handyplaylist und trällerte laut mit, als Harry Styles davon sang, dass er Watermelon Sugar high war. Nachdem sie den Song dreimal nacheinander gehört hatte, besserte sich ihre Laune langsam wieder.

Fast schon übermütig griff sie nach dem Kaffeebecher, der zwischen den Vordersitzen in der Halterung klemmte, und trank einen großen Schluck. Sie hätte daran denken sollen, dass sie sich ihren eigenen Coffee-to-go-Becher hatte füllen lassen. Anders als in den Pappbechern blieb der Kaffee darin sehr lange sehr heiß, was sie jetzt schmerzhaft zu spüren bekam.

Ohne groß darüber nachzudenken, spuckte sie den Kaffee wieder aus und begann zu hecheln wie ein Hund, damit die kühle Luft den Schmerz auf ihrer verbrannten Zunge linderte.

In diesem Augenblick war ihr gleichermaßen nach lachen und weinen zumute. Ohne den Blick von der Straße zu nehmen, versuchte sie ihren Becher wieder in die Halterung zu klemmen, doch da das nicht glücken wollte, blieb ihr nichts anders übrig, als hinzusehen.

Gerade als der Kaffee sicher verstaut war, knallte es ohrenbetäubend. Elli wurde erst in den Gurt und dann wieder in ihren Sitz zurückgeschleudert. Sie stemmte sich gegen das Lenkrad und trat gleichzeitig die Bremse durch. Sie wollte schreien, bekam aber kein Wort heraus. Entsetzt starrte sie auf Enden von Holzlatten, die wie in Zeitlupe auf sie zukamen. Kurz bevor sich die Holzstangen, die aus einem Transporter herausragten, durch ihre Frontscheibe bohren konnten, kam ihr Auto endlich zum Stehen.

Elli ließ ihren Kopf aufs Lenkrad fallen. Ihr Herz raste, und sie spürte erst in dieser Sekunde, dass ihr die Tränen liefen. Als sie aufblickte, sah sie einen Mann mit Baseballcap, der auf sie zugestürzt kam. Eine Hand hatte er vor den Mund gepresst und obwohl Elli sein Gesicht unter dem Cap nicht sehen konnte, wirkte er besorgt.

Sie wollte ebenfalls aussteigen, doch ihre Hände hörten nicht auf zu zittern. »Komm schon«, murmelte sie leise, doch es gelang ihr einfach nicht, sich abzuschnallen. Stattdessen betätigte sie den Fensterheber. Die kühle Luft tat ihr gut.

»Sind Sie verletzt?« Der Mann beugte sich in ihr Fenster und sah sie aufmerksam an.

»Nein«, gab Elli zurück.

»Ich stelle ein Warndreieck auf. Das wollte ich ohnehin gerade tun. Dann klären wir alles Weitere.«

Elli nickte und blieb regungslos sitzen. Sie ließ ihren Kopf nach hinten fallen und schloss die Augen.

»Das wäre geschafft. Wollen Sie nicht aussteigen?«

Der Fahrer des Transporters, den Elli auf Mitte dreißig schätzte, lehnte sich erneut zu ihr hinunter. Das Schild seiner Mütze warf einen dunklen Schatten über seine Augen, sodass sie nur seine Mund- und Nasenpartie sehen konnte. Er schien direkt von der Arbeit zu kommen, denn in seinen Bartstoppeln hingen Sägespäne. Seine Lippen waren voll und die kleinen Grübchen links und rechts legten die Vermutung nahe, dass er gern und viel lachte.

»Hallo?«

Sie zuckte zusammen. Statt zu antworten, hatte sie ihn wortlos angestarrt. Wenn sie nicht wollte, dass er sie für eine durchgeknallte Irre hielt, sollte sie endlich auf seine Ansprache reagieren.

»Entschuldigen Sie. Der dämliche Gurt will nicht so wie ich.« Der zweite Versuch glückte endlich. Sie stieg aus, lief neben das Auto und setzte sich an Ort und Stelle ins Gras auf den Seitenstreifen.

»Sie haben nicht zufällig eine Zigarette?« Sicher gab sie ein jämmerliches Bild ab. Sie war die wenigen Schritte bis ins Gras getaumelt, und vermutlich war jede Farbe aus ihren Wangen gewichen. Vom Regen strähnige Haare, eine mit Mayo verkleckerte Jeans und ein mit Kaffee bespuckter Pulli. Zählte man Trennung und Unfall hinzu, hatte sie für den heutigen Tag wirklich nichts ausgelassen.

Der Fahrer des Transporters setzte sich neben sie und hielt ihr eine Schachtel vor die Nase. »Meine Notration. Ich bin dabei aufzuhören.«

»Ich rauche eigentlich gar nicht. Aber jetzt brauche ich was zum Festhalten.«

Elli wollte nach der Schachtel greifen, doch noch immer hatte sie das Zittern ihrer Hände nicht unter Kontrolle. Sie schluckte und schob sie beschämt in die Kniekehlen. Der Mann neben ihr musste bemerkt haben, wie es ihr ging. Völlig selbstverständlich zog er eine Zigarette hervor und schob sie ihr zwischen die Lippen. Dann gab er ihr Feuer und wartete geduldig, bis der Stängel glühte.

»Danke.«

Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander und Elli starrte auf das Chaos vor ihnen. Unzählige breite Holzlatten hatten sich selbstständig gemacht und waren vom Transporter gerutscht. Einige davon lagen bereits auf der Straße und dürften den lauten Knall verursacht haben, der sie zum Glück zum Bremsen animiert hatte, bevor die Stangen ihre Scheibe und sie hätten durchbohren können. Mit den flachen Händen rieb sich Elli übers Gesicht, um die Bilder und die Gedanken daran, was alles hätte passieren können, zu verdrängen.

»Mein Reifen ist geplatzt. Die Ladung war zwar ganz nach Vorschrift gesichert, aber ich musste so stark in die Eisen gehen, dass sie sich am Ende doch selbstständig gemacht hat.«

Elli las den Schriftzug auf dem Fahrzeug. »Schreinerei Enders. Ihr Arbeitgeber?« Sie drückte die nur zur Hälfte gerauchte Zigarette neben sich aus. Sie hätte wissen müssen, dass Rauchen auch nach so einem Unfall nichts für sie war.

»Phillipp Enders.« Er streckte ihr die Hand hin und lächelte schief. »Eigentlich die Schreinerei meines Vaters, aber ich habe sie inzwischen übernommen.«

»Darum die Holzlatten.« Sie hörte selbst, wie dämlich diese Worte klangen, doch der Schreiner schien sich nicht daran zu stören.

»So ist es. Brauche ich für eine Terrasse, an der ich gerade arbeite. Und Sie sind?«

»Elli«, sagte sie zunächst, verbesserte sich aber sofort und nannte ihren vollständigen Namen. »Elisabeth Bonnet.«

»Oh«, sagte er und schob dann hinterher: »Sollen wir die Polizei rufen?«

Elli zuckte mit den Schultern. Natürlich wäre es richtig, den Unfall aufzunehmen. Doch dann würde ihre Versicherung in die Höhe schießen und das war ohne festen Job das Letzte, das sie gebrauchen konnte.

»Oder wir machen Bilder mit dem Handy, tauschen dann Nummern und Adressen aus und besehen uns den Schaden morgen bei Tageslicht noch mal. Im Prinzip ist die Schuldfrage ja auch geklärt«, schlug Phillipp vor.

Elli horchte auf. Sie spürte, dass sich ihr Puls wieder beschleunigte. »Ach ja?«, fragte sie kühl. Die seltsame Vertrautheit, die während der Zigarette zwischen ihnen geherrscht hatte, war wie weggeblasen und sie stand auf.

Phillipp tat es ihr gleich. Er klopfte sich die ohnehin schmutzige Arbeitshose ab und sagte dann unbekümmert: »Sie sind mir hinten drauf gerauscht. Da ist wohl nicht viel zu klären.«

»Sie standen hinter einer Kurve mitten auf der Straße«, gab sie zurück.

»Schon richtig, aber so ist das eben, wenn man sich einen Reifen platt fährt. Mein Warnlicht war eingeschaltet und ich war gerade dabei, das Warndreieck aufzustellen. Ich trage übrigens auch eine knallgelbe Weste. Keine Ahnung, wie Sie mich übersehen konnten.«

Elli schluckte. Sie konnte schlecht zugeben, dass sie mit sich, dem Kaffeebecher und ihrer eigenen Dusseligkeit beschäftigt gewesen war, statt auf die Straße zu schauen.

»Mir ist es gleich, ich warte auch auf die Polizei«, versuchte Phillipp die Wogen zu glätten. »Aber sollten Sie das lieber ohne Versicherung regeln wollen, bin ich dabei. Mein bester Freund hat eine Werkstatt in dem Ort, in dem ich lebe. Er repariert, was zu reparieren ist, ohne irgendjemanden über den Tisch zu ziehen. Versprochen.«

Elli überlegte nicht lange. Wollte sie nicht in der Versicherung steigen, würde sie auf Phillipps Vorschlag eingehen müssen. »Und wo ist dieser Ort?«

»Wir sind kurz davor. Er heißt Mornau.«

Elli seufzte genervt. »Also gut.« Doch dann besann sie sich darauf, dass es wohl besser wäre, ein paar nette Worte an ihn zu richten. Sie wusste, dass er im Recht war. Sie war aufgefahren, der Unfall damit ihre Schuld. Da er trotzdem bemüht war, ihr zu helfen, konnte etwas Freundlichkeit nicht schaden.

»Danke für deine Hilfe, Phillipp«, sagte sie und bemerkte erst in der Sekunde, in der der Satz ausgesprochen war, dass sie den Schreiner geduzt hatte. Da es ihm nichts auszumachen schien, fuhr sie fort. »Wenn du in Mornau lebst, sehen wir uns ab jetzt öfter. Ich bin auf dem Weg dorthin, weil ...«

»Also doch«, unterbrach er und Elli stutzte. »Dein Nachname«, erklärte er. »Ich war mir nicht sicher, aber dann gehörst du wohl zu Wilhelm Bonnet.«

»Er ist mein Großvater, ja.« Weitere Erklärungen behielt sie für sich. Es ging niemanden etwas an, dass sie schon im zarten Alter von vierzehn den Namen ihrer Eltern abgelegt und den ihres Großvaters angenommen hatte, denn im Gegensatz zu Opa Willi waren ihre Eltern selten und zumeist widerwillig für sie da gewesen, weil es da draußen, wie sie immer wieder gern betont hatten, eine weite Welt zu entdecken gebe, die für ein Kind noch zu gefährlich sei.

»Ich komme morgen Nachmittag vorbei. So gegen drei?«, entschied Phillipp kurzerhand. »Wenn alles klappt, bringe ich Basti gleich mit.«

»Basti?«

»Der mit der Werkstatt.« Er nahm seine Mütze ab, strich die verstrubbelten blonden Haare darunter glatt und setzte sie wieder auf. »Sicher, dass du fahren kannst? Wir könnten deinen Wagen auch morgen holen und ich bringe dich nach Mornau.«

Elli schüttelte den Kopf. »Nein, es geht schon. Danke.«

Phillipp wartete, bis sie in ihren Wagen gestiegen war, und wandte sich wieder seinem platten Reifen zu.

Kurz darauf passierte Elli das Ortsschild von Mornau. Um nach etwaigen Veränderungen im Ort Ausschau zu halten, fuhr sie in Schrittgeschwindigkeit die schmale Hauptstraße entlang, und obwohl es dunkel war, reichte das spärliche Licht der Straßenlaternen aus, um ein Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern. Sie war wieder zu Hause.

Noch vor zehn Jahren hatte sie die engen Gassen, die niedrigen Häuser und die wenigen Menschen, die sich alle zu kennen schienen, kaum ausgehalten. Als die Zusage für ihren Studienplatz ins Haus geflattert war, hatte sie unendliche Erleichterung verspürt. Doch das Gefühl von Freiheit, das sie in Frankfurt hatte ausleben wollen, hatte sich nicht eingestellt. Natürlich waren die ersten Monate aufregend gewesen, doch das anstrengende Studium und die Hektik der Großstadt hatten sie schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Wenn sie heute darüber nachdachte, kam ihr sogar der Gedanke, dass sie ohne Carl Frankfurt womöglich schon viel früher den Rücken gekehrt hätte.

Andererseits hatte sie ein Studium absolviert, mit dem sich in einem so winzigen Ort wie Mornau kaum etwas anfangen ließ. Wenn sie sich recht erinnerte, gab es hier, abgesehen von einer kleinen Bankfiliale mit zwei Mitarbeiterinnen, für jemanden mit ihrer Berufserfahrung nichts zu tun.

Ihr fielen Svenjas unverblümte Worte wieder ein: Was hatte sie überhaupt in einer Bank verloren? Mochte ja sein, dass Zahlen ihr Ding waren. Aber die vergangenen Jahre in der Kreditabteilung hatten ihr auch gezeigt, dass sie den langweiligsten Beruf der Welt gewählt hatte. Niemand, der sie wirklich gut kannte, hatte verstanden, warum sie sich nach Beendigung ihres Studiums ausgerechnet bei einer Bank beworben hatte. Vor allem Svenja war damals sehr deutlich geworden: »Eine Bank? Bist du irre? Spannende Start-ups, ja. Eine aufregende Stelle im Ausland. Okay. Aber doch nicht die Kreditabteilung einer Bank in einer der hässlichsten Städte überhaupt.«

Elli erinnerte sich noch gut daran, dass sie Svenja damals als Miesmacherin betitelt hatte. Heute wusste sie, dass die Freundin von Anfang an recht gehabt hatte. Und sie konnte inzwischen auch beantworten, warum es ausgerechnet eine Bank geworden war: Bequemlichkeit. Carl hatte den Weg gewählt, und sie hatte es ihm gleichgetan. Der Verdienst war überdurchschnittlich gewesen und das Leben, das sie sich davon hatten leisten können, luxuriös genug, um mindestens zweimal jährlich in den Urlaub zu fliegen und den stupiden Alltag zu vergessen.

Elli passierte das Mornauer Rathaus mit der uralten Eiche davor. Kurz vor dem Ortsausgangsschild bog sie nach links in den Pappelweg, der in eine Sackgasse mündete und an dessen Ende das Haus ihres Großvaters lag.

Sie parkte den Wagen, ließ die Scheinwerfer noch einen Moment lang an und starrte auf das Gebäude, in dem sie ihre ganze Jugend verbracht hatte. Wilhelm Bonnet lebte schon seit Jahrzehnten in einem geräumigen Anbau, der zum alten Bahnhof gehörte.

Elli seufzte. Es tat weh, die einst hübsche rote Klinkerfassade des Gebäudes mit Moos und Ranken überdeckt zu sehen. Vor dem runden Torbogeneingang des Bahnhofs hatte sie als Kind stundenlang Lakritze kauend gesessen, die Fahrgäste beobachtet und gezeichnet. Beim Abendessen hatte sie Opa Willi dann ihre Skizzen gezeigt und sie hatten sich gemeinsam Lebensgeschichten zu diesen Gesichtern ausgedacht.

Einen Moment lang ließ Elli sich von dieser Erinnerung einhüllen wie von einer warmen Decke. Dann schaltete sie endlich die Scheinwerfer aus, griff nach Puschels Käfig und lief zum Nebeneingang, der zur Wohnung ihres Opas führte.

Zwar hatte sie noch immer ihren eigenen Schlüssel, doch sie benutzte ihn nicht. Stattdessen klingelte sie wie früher kurz kurz lang kurz lang und wartete auf Willis schlurfende Schritte.

»Meine Elli!« Das tiefe Brummen seiner Stimme durchdrang selbst die geschlossene Haustür.

»Woher willst du das wissen?«, tönte es zurück.

Elli stutzte und stellte den Käfig auf den Boden. Sie kannte die zweite Stimme, die eindeutig weiblich war, nicht.

»Ich weiß es eben«, hörte Elli ihren Opa antworten, dann flog die Tür auf, er riss sie in seine Arme und wiegte sie hin und her, als wäre sie noch immer zehn.

»Wurde aber auch Zeit!«

Elli überhörte den sanften Vorwurf, hob beide Hände, als wollte sie sich selbst präsentieren, und lachte dann.

»Besser spät als nie.«

»Besser oft als kaum, aber das bereden wir schon noch.« Liebevoll wuschelte er ihr durch die Haare. »Dann komm man rein. Autoschlüssel?« Mit den Fingern wedelte er vor ihrer Nase herum, bis sie ihm die Schlüssel übergab. »Ich hole das restliche Gepäck, während du dich mit Sonja bekannt machst.«

Elli salutierte lachend und wandte sich dann zu der Frau um, deren Stimme sie schon durch die geschlossene Tür gehört hatte.

»Schön, dich wiederzusehen.«

Fragend zog sie ihre Augenbrauen zusammen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, die adrette Frau mit der grauen Kurzhaarfrisur und der roten Brille je zuvor gesehen zu haben.

»Sonja Weber. Du wirst mich nicht erkennen, aber früher war ich Bibliothekarin in der Mornauer Bücherei. Willi und ich kennen uns vom Bingo.«

»Sehr erfreut.«

Elli bemühte sich um ein unbefangenes Lächeln, doch es wollte nicht so recht gelingen. Sie musste zugeben, dass sie enttäuscht darüber war, ausgerechnet jetzt auf diese Frau zu treffen. Ihr Opa hatte immer allein gelebt, und wenn sie ihn je nach Bekanntschaften ausgefragt hatte, hatte er stets nur abgewunken und erklärt, dass keine Frau der Welt je an seine Dorothea heranreiche.

»Sei unbesorgt«, unterbrach Sonja, die ihre Gedanken zu ahnen schien. »Ich bin nur hier, weil er meine Hilfe am Computer gebraucht hat. Es hat mich gefreut, und nun bin ich auch schon wieder weg.«

Elli nahm die Hand, die Sonja ihr zum Abschied reichte, und griff dann nach dem Käfig und einer der Taschen, die ihr Großvater in dieser Sekunde hereinschleppte.

Sie stellten ihr Gepäck in Ellis altes Kinderzimmer und setzten sich dann an den bereits gedeckten Abendbrottisch.

»Du hast also eine Freundin?«, begann Elli und grinste schief.

»Kannste vergessen, mein Mäuschen. Jetzt geht es um dich«, brummte Wilhelm.

Elli sparte es sich, gegen die Bezeichnung ›Mäuschen‹ zu protestieren. Seit fast fünfzehn Jahren versuchte sie ihn davon zu überzeugen, dass sie das Mäuschenalter doch wohl hinter sich gelassen hatte. Es war zwecklos. Waren sie unter sich, nannte er sie genau so und würde das auch nicht abstellen.

»Also sagst du mir nicht, was dich mit Sonja verbindet?«, fragte sie und zog eine Schnute.

»Was du dir nur wieder vorstellst. Wir unterstützen uns eben, und als ehemalige Bibliothekarin kennt sie sich mit Computern aus, während ich mich auf diesem Gebiet wie ein Steinzeitmensch anstelle. Aber nun zu dir. Da hast du also endlich eingesehen, dass Carl -«

»Ja«, unterbrach Elli sofort. So sehr sie ihren Großvater auch liebte, seine Schimpftiraden über Carl kannte sie nur zu gut. »Jetzt ist es rum. Du brauchst mich also nicht mehr davon zu überzeugen, dass er nicht zu mir passt.«

»Gut«, sagte Opa Willi und nickte einmal kräftig. Dann sah er an ihr herunter und schüttelte den Kopf. »Wie siehst du eigentlich aus?«

Elli rollte die Augen zur Decke und erzählte dann, wie chaotisch die Herfahrt abgelaufen war. Und mit jedem Satz wurde Wilhelms glucksendes Lachen lauter.

»Manche Dinge ändern sich wohl nie«, kommentierte er den Moment ihres Kaffee-Malheurs. »Dabei wundert mich ja, dass du ausgerechnet deinen heiß geliebten Kaffee verschüttest, das beste Heißgetränk ...«

»... das die Welt zu bieten hat«, beendete Elli seinen Satz, denn eigentlich war es ihr Satz. Sie liebte Kaffee, seit sie ihn mit vierzehn zum ersten Mal probiert hatte – auch wenn sie ihn damals regelmäßig mit Kakaopulver und viel Milch aufgepeppt hatte.

»Ich erinnere mich an Zeiten«, fuhr Opa Willi fort, »in denen du davon geträumt hast, ein eigenes Café zu führen.«

Elli lachte auf. »Ich erinnere mich ebenfalls. Und glaub mir, um den verschütteten Tankstellenkaffee war es nicht sonderlich schade. Eher um meine Zunge, die ich mir verbrannt habe.«

Die Augen ihres Großvaters weiteten sich, als würde er plötzlich durch sie hindurchsehen. »Damals hattest du für das Café, in dem du einen Sommer lang ausgeholfen hast, sogar Logos entworfen. Du warst der Meinung, Logo auf Kaffeebechern und Geschirr würden zu einem guten Marketing gehören. Weißt du noch?«

Eli nickte, und obwohl diese Erinnerung wie aus einem anderen Leben zu sein schien, wusste sie noch genau, dass sie wochenlang nichts anderes getan hatte, als Entwürfe zu skizzieren, die nachher das Geschirr des Restaurants hätten zieren sollen. Ihre Enttäuschung darüber, dass ihr damaliger Chef ihren Enthusiasmus belächelt und als Spinnerei abgetan hatte, war groß gewesen.

»Jetzt, wo du zurück bist, wirst du sicher auch wieder Zeit für deine Zeichnerei finden. Abgesehen von deiner Tollpatschigkeit bist du hoffentlich gut durch den Verkehr gekommen?«

»Na ja, so halbwegs«, antwortete sie und erzählte von dem Unfall, den sie fabriziert hatte.

»Und das sagst du mir erst jetzt?«, polterte Willi und die Sorge in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Zieh dich an, wir gehen sofort zum Arzt.«

Elli griff über den Tisch und legte ihre Hand beruhigend auf seine. »Mir ist nichts passiert. Das Schlimmste war der Schreck. Ich habe die Latten auf der Straße nicht bemerkt, und als ich drüberfuhr, gab es einen fürchterlichen Schlag. Ich habe rechtzeitig genug gebremst. Phillipp kommt morgen vorbei und sieht nach meinem Wagen.«

»Phillipp?«

»Du kennst ihn. Er ist Schreiner hier im Ort.«

Wilhelm zog langsam seine Augenbrauen in die Höhe und wiegte grinsend seinen Kopf hin und her.

»Was ist das denn schon wieder für ein Gesicht?«

»Gar nichts«, sagte er und legte eine Unschuldsmiene auf. »Obwohl. Du bist alt genug, drum will ich ehrlich sein: Diese Entwicklung gefällt mir außerordentlich gut!«

Elli seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich bin gerade einmal fünf Stunden getrennt.«

Verständnislos sah Wilhelm sie an. »Und?« Dann lachte er plötzlich auf. »Mir geht es doch nicht ums Verkuppeln. Sei unbesorgt, in dein Liebesleben mische ich mich sicher nicht ein.«

»Worum geht es dir dann?«, fragte Elli und nippte an ihrem Tee.

Ihr Großvater antwortete nicht mehr, sondern machte sich geschäftig daran, die Spülmaschine einzuräumen. 

3. Kapitel