4,99 €
Eine Weiche Richtung Liebe
Seit Charlotte denken kann, will sie unbedingt Köchin werden. Doch ihre Lehre hat sie kurz vor der Prüfung für die Liebe hingeschmissen. Als sie erkennt, dass sie ihre Zeit in den falschen Mann investiert hat, bricht sie all ihre Zelte ab, um im beschaulichen Mornau neu anzufangen. In der Hoffnung, ihre Leidenschaft fürs Kochen zumindest nach Ladenschluss ausleben zu können, nimmt sie eine Stelle als Kellnerin in "Ellis Bistro" an. Aber ihre kreativen Rezeptideen und ihr Talent bleiben nicht lange unbemerkt. Chefkoch Sam wittert in ihr eine ernsthafte Konkurrentin. Von Tag zu Tag macht er ihr das Leben in Mornau schwerer, und Charlotte zweifelt bald an ihrem vorschnellen Entschluss, ihr altes Leben hinter sich zu lassen. Als jedoch eines Abends nach Feierabend ein gutaussehender Fremder das Bistro betritt, ändert sich auf einen Schlag alles ...
Eine bezaubernde Liebesgeschichte mit Hindernissen, liebgewonnenen Bewohnern und einer Portion Nostalgie.
Stimmen unserer Leser und Leserinnen zu Band 1:
"Ein gelungener Roman, der einen den verrückten Alltag völlig vergessen lässt und bei dem man sich so richtig schön entspannen kann." (HONIGMOND, Lesejury)
"Wer gerne beim Lesen schmunzeln und einfach dem Alltag entfliehen möchte, sollte zu 'Der kleine Bahnhof zum Glück' greifen." (KADDELKATJA, Lesejury)
"'Der kleine Bahnhof zum Glück' von Maja Benedict ist ein richtiger Wohlfühlroman mit rosaroter Brille und guter Laune" (ASCORA, Lesejury)
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 311
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Widmung
1. Kapitel: Sonntag, 31. Januar 2021
2. Kapitel: Montag, 1. Februar 2021
3. Kapitel: Montag, 1. Februar 2021
4. Kapitel: Montag, 1. Februar 2021
5. Kapitel: Dienstag, 2. Februar 2021
6. Kapitel: Samstag, 20. Februar 2021
7. Kapitel: Montag 22. Februar 2021
8. Kapitel: Montag, 22. Februar 2021
9. Kapitel: Dienstag, 23. Februar 2021
10. Kapitel: Dienstag, 23. Februar 2021
11. Kapitel: Dienstag, 23. Februar 2021
12. Kapitel: Samstag, 27. Februar 2021
13. Kapitel: Sonntag, 28. Februar 2021
14. Kapitel: Mittwoch, 10. März 2021
15. Kapitel: Donnerstag, 11. März 2021
16. Kapitel: Sonntag, 14. März, 2021
17. Kapitel: Montag, 15. März 2021
18. Kapitel: Montag, 15. März 2021
19. Kapitel: Donnerstag, 18. März 2021
20. Kapitel: Sonntag, 28. März 2021
21. Kapitel: Freitag, 2. April 2021
22. Kapitel: Montag, 5. April 2021
23. Kapitel: Montag, 5. April 2021
24. Kapitel: Dienstag, 6. April 2021
25. Kapitel: Mittwoch, 7. April 2021
26. Kapitel: Montag, 26. April 2021
27. Kapitel: Donnerstag, 27. Mai 2021
28. Kapitel: Montag, 14. Juni 2021
29. Kapitel: Montag, 14. Juni 2021
30. Kapitel: Dienstag, 3. August 2021
31. Kapitel: Freitag, 6. August 2021
32. Kapitel: Samstag, 7. August 2021
Danksagung
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
Liebe Leserin, lieber Leser,
herzlichen Dank, dass du dich für ein Buch von beHEARTBEAT entschieden hast. Die Bücher in unserem Programm haben wir mit viel Liebe ausgewählt und mit Leidenschaft lektoriert. Denn wir möchten, dass du bei jedem beHEARTBEAT-Buch dieses unbeschreibliche Herzklopfen verspürst.
Wir freuen uns, wenn du Teil der beHEARTBEAT-Community werden möchtest und deine Liebe fürs Lesen mit uns und anderen Leserinnen und Lesern teilst. Du findest uns unter be-heartbeat.de oder auf Instagram und Facebook.
Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich für unseren kostenlosen Newsletter an:be-heartbeat.de/newsletter
Viel Freude beim Lesen und Verlieben!
Dein beHEARTBEAT-Team
Melde dich hier für unseren Newsletter an:
Seit Charlotte denken kann, will sie unbedingt Köchin werden. Doch ihre Lehre hat sie kurz vor der Prüfung für die Liebe hingeschmissen. Als sie erkennt, dass sie ihre Zeit in den falschen Mann investiert hat, bricht sie all ihre Zelte ab, um im beschaulichen Mornau neu anzufangen. In der Hoffnung, ihre Leidenschaft fürs Kochen zumindest nach Ladenschluss ausleben zu können, nimmt sie eine Stelle als Kellnerin in „Ellis Bistro“ an. Aber ihre kreativen Rezeptideen und ihr Talent bleiben nicht lange unbemerkt. Chefkoch Sam wittert in ihr eine ernsthafte Konkurrentin. Von Tag zu Tag macht er ihr das Leben in Mornau schwerer, und Charlotte zweifelt bald an ihrem vorschnellen Entschluss, ihr altes Leben hinter sich zu lassen. Als jedoch eines Abends nach Feierabend ein gutaussehender Fremder das Bistro betritt, ändert sich auf einen Schlag alles ...
Eine bezaubernde Liebesgeschichte mit Hindernissen, liebgewonnenen Bewohnern und einer Portion Nostalgie.
Maja Benedict
Roman
Für Laura Josephine
Charlotte öffnete die Augen. Die verbliebenen Fahrgäste um sie herum waren aufgestanden, griffen nach ihren Taschen und Koffern und zogen Gesichter, die nichts Gutes verhießen.
Sie hatte Musik gehört und vor sich hingedöst und so die Durchsage des Zugführers verpasst. Dass der Zug schon eine Weile stand, hatte sie natürlich zur Kenntnis genommen. Doch da dies keine Seltenheit war, hatte sie sich zunächst noch keine Sorgen gemacht. Nun aber herrschte rege Betriebsamkeit unter den Fahrgästen, die an diesem späten Abend alle das gemeinsame Ziel Frankfurt hatten.
Unschlüssig sah Charlotte sich um. Doch ehe sie überlegt hatte, wen sie fragen könnte, wiederholte der Zugführer die Durchsage:
»Bedauerlicherweise haben unbekannte Täter die Schienen in diesem Streckenabschnitt so erheblich beschädigt, dass eine Weiterfahrt des Zuges nach Frankfurt nicht möglich ist. Bitte begeben Sie sich mit Ihrem Gepäck zu den jeweiligen Abteilausgängen. Unser Zugpersonal wird Sie entlang der Strecke sicher in den nächstgelegenen Ort Mornau begleiten, wo Sie Übernachtungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen können. Wir bitten Sie, diese unvorhergesehene Unannehmlichkeit zu entschuldigen.«
»Das ist doch ein blöder Witz!« Charlotte hatte diese Worte laut gesagt, doch das machte nichts, denn es gab niemanden in diesem Zug, der in diesem Moment nicht völlig genervt und wütend war. Man wusste ja, dass Bahnfahren ein unkalkulierbares Abenteuer war, doch diesmal ging es nicht nur um Verspätungen und das Verpassen von Anschlusszügen. Es ging darum, dass sie im tiefsten Winter mit Gepäck zwischen Schienen entlangstolpern sollten, um in einen Ort zu gelangen, von dem Charlotte noch nie etwas gehört hatte.
Sie sah auf ihre Schuhe und fluchte leise vor sich hin. Ihre Sneakers waren zwar angemessen für eine Bahnfahrt und ihren anschließenden Weg durch die betonierte Großstadt, aber sicher nicht dafür gemacht, um bei Minusgraden und einsetzendem Schneefall zwischen Schienen herumzuwandern. Hinzu kam, dass ihr Koffer riesig, klobig und schwer war, denn sie hatte bei ihrer überstürzten Abreise hineingestopft, was eben ging.
»Verdammter Mist«, sagte sie noch einmal laut, während sie ihren Koffer durch den schmalen Gang zog.
Falsche Schuhe, falscher Koffer, falsches Leben.
Genau so fühlte sich Charlotte in diesem Moment. Während sie darauf wartete, dass die Fahrgäste vor ihr ausstiegen, fuhr sie in ihre Jackentasche und suchte ihre Handschuhe. Sie erfühlte Handy und Geldbeutel – sonst nichts.
»O bitte nicht auch das noch«, murmelte sie leise.
Die Dame vor ihr wandte sich zu ihr um und verzog genervt das Gesicht.
»Zum Heulen, oder?«, fragte sie.
»Mir wäre eher nach Schreien«, antwortete Charlotte. »Sie wissen nicht zufällig, wie weit dieses Mornau von hier aus ist?«
»Bei der ersten Durchsage hieß es, etwa fünfzehn Minuten.«
Charlotte seufzte. Dann stieg sie aus und lief dem Tross aus etwa zwanzig Menschen hinterher, der sich langsam entlang der Schienen in Bewegung setzte.
Innerhalb kürzester Zeit waren ihre Finger eiskalt und rot gefroren, ebenso ihre Nase und ihre Wangen. Gleichzeitig begann sie, in ihrer Winterjacke zu schwitzen, denn ihr Koffer wog sicher seine zwanzig Kilo, und da sie ihn nicht über Steine und nassen Boden rollen konnte, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn zu schleppen.
Mit jedem Schritt wurde Charlotte wütender. Warum war sie so überstürzt aufgebrochen? Es hätte völlig gereicht, Adrian am nächsten Morgen zu verlassen. Aber wie so oft, wenn sie gestritten hatten, hatte er sie mit seiner Selbstgefälligkeit provoziert.
»Wo willst du denn so schnell hin?«, hatte er gefragt und spöttisch seine linke Augenbraue in die Höhe gezogen. »Bis morgen hast du dich wieder beruhigt und das, was du heute so überdramatisierst, ist nur noch halb so wild.«
»Ich überdramatisiere?«, hatte Charlotte gefragt und nur fassungslos den Kopf geschüttelt. »Das ist alles, was du zu deinem Doppelleben zu sagen hast?«
Charlotte blieb stehen und pustete warme Atemluft in ihre eisig gefrorenen Hände. Sie zog ihren Schal über Mund und Nase, damit die kalte Luft nicht so sehr in den Lungen brannte, wechselte die Hand, mit der sie den schweren Koffer trug, und lief weiter.
Immer wieder gingen ihre Gedanken zurück zu ihrem letzten Gespräch mit Adrian. Fünf lange Jahre hatte er sie zum Narren gehalten. Wie hatte sie das nur zulassen können? Sie hatte doch immer gespürt, dass irgendetwas an ihm nicht stimmte!
Der schrille Ton ihres Handys ließ sie zusammenzucken. Ihre Finger waren inzwischen so kalt gefroren, dass sie Mühe hatte, es zu entsperren, um den Anruf entgegenzunehmen.
»Ja?«, fragte sie unfreundlich.
»Na du hast ja eine Laune.«
»Hallo, Mama. Warte bitte kurz, ich muss auf Kopfhörer umstellen, damit ich die Hände frei hab.« Charlotte schob ihre Earpods in die Ohren und das Handy anschließend zurück in die Jackentasche. »So, jetzt. Was gibt es?«
»Das frage ich dich. Du klingst so abgehetzt. Was ist denn los?«
»Frag nicht. Ich latsche durch die Pampa mit gefühlten tausend Kilo Gepäck, hab inzwischen nasse Füße, und meine Fingerkuppen sind taub vor Kälte. Ich wollte für ein paar Tage nach München zu Franziska. Muss meinen Kopf frei kriegen.«
»Ich verstehe kein Wort, Liebes.«
Wie auch, dachte Charlotte. Sie hatte ihrer Mutter noch gar nicht erzählt, was passiert war. Nachdem sie hinter Adrians Doppelleben gekommen war, hatte sie Hals über Kopf zu packen begonnen, währenddessen mit dem Handy ein Ticket für den Zug gekauft und war im wahrsten Sinne des Wortes geflüchtet.
»Bist du noch dran?«
»Ja. Mach dir keine Sorgen, Mama. Ich melde mich, sobald ich irgendwo im Hotel untergekommen bin. Auf die Schnelle: Ich war mit dem Zug unterwegs, und der kann wegen Schäden am Gleis nicht weiterfahren. Wir werden nun in den nächsten Ort gebracht, es ist arschkalt und mein Koffer scheißschwer. Ich melde mich, in Ordnung?«
Sie legte auf, ohne auf eine Antwort zu warten. Ihre Mutter Henriette hatte Adrian von Anfang an nicht leiden können. Die Beichte, dass sie richtig gelegen hatte mit ihrem Gespür, würde Charlotte wohl noch eine ganze Weile vor sich herschieben.
Nach über fünfzig Minuten erreichten sie endlich einen spärlich beleuchteten kleinen Bahnhof. Ein nostalgisches Schild verriet, dass es sich um Mornau handelte.
»Von wegen fünfzehn Minuten«, fauchte die Dame, die im Zug vor Charlotte gestanden hatte.
»Die wollten uns wohl nicht mit der Wahrheit quälen«, gab Charlotte schnaufend zurück. »Bleibt nur zu hoffen, dass dieses winzige Kaff genug Hotelbetten hat.«
Sie sah sich noch einmal um und zählte. Es waren wirklich nicht mehr als die anfangs geschätzten zwanzig Fahrgäste, die nun eine Übernachtungsmöglichkeit suchten. Das sollte selbst für einen kleinen Ort wie dieses Mornau verkraftbar sein.
»Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten, Herrschaften?«, hörte sie den Zugführer rufen, nachdem sich alle auf dem Bahnsteig versammelt hatten. »Es gibt hier ein gehobenes, sehr gutes Hotel, das wir informiert haben. Für Reisende mit kleinerem Geldbeutel empfehlen wir das Bahnhofshostel.«
»Warum sollte Geld eine Rolle spielen?«, rief ein älterer Herr. »Die Bahn übernimmt ja wohl die Übernachtungskosten?«
»Das kann ich Ihnen leider nicht zusichern«, gab der Zugführer zerknirscht zurück. »Da es sich um einen Akt von Vandalismus handelt, wird man wohl zunächst versuchen, die Täter zu fassen und diesen dann die Kosten aufzuerlegen. Bis das geklärt ist ...«
»Ist Sankt Nimmerlein, ich verstehe«, beendete der Herr polternd den Satz.
Während ein Großteil der Reisenden dem Zugführer Richtung Hotel folgte, entschied sich Charlotte für die Kleiner-Geldbeutel-Variante.
Erschöpft öffnete sie die Tür zum Hostel und betrat eine freundlich eingerichtete Lobby. Überall an den Wänden hingen selbst gezeichnete Bilder, die Menschen bei der Arbeit zeigten. Da wurden Fliesen gelegt, das Dach gedeckt oder Holzlatten für eine Terrasse zugeschnitten.
»Willkommen in Ellis Hostel.«
Charlotte drehte sich um und sah in das herzlich lachende Gesicht einer Frau, die nur wenig älter war als sie selbst.
»Ich bin Elli.«
»Charlotte Wegner. Ich brauche ...«
»Ich weiß schon«, unterbrach Elli. »Ich will mir gar nicht vorstellen, wie deine Anreise hierher gelaufen ist, deswegen frage ich nicht weiter, sondern bringe dich direkt auf dein Zimmer. Es ist nicht viel los im Moment, der Trubel der Feiertage ist ja vorüber. Ich habe dir das Zimmer mit Badewanne hergerichtet. Du bist sicher völlig durchgefroren. Es ist doch in Ordnung, wenn ich Du sage?«
»Aber klar.«
»Das sind alles Mornauer.«
»Was?«, fragte Charlotte.
»Die Bilder, die hier hängen und die du so interessiert angeschaut hast. Das sind alles Mornauer beim Umbau dieses Bahnhofs.«
Charlotte nickte lächelnd, doch sie war zu müde, um noch weiter auf das fröhliche Quasseln zu reagieren. Stattdessen sagte sie: »Danke. Badewanne und Bett klingen wunderbar. Ich bin völlig erledigt.«
Am nächsten Morgen erwachte Charlotte schon gegen sieben. Sie hatte die Jalousien nicht geschlossen, und so drang das Licht der Straßenlaterne vor ihrem Fenster durch die Lücke der Gardinen und tauchte den Raum in ein schummriges, warmes Gelb.
Das Zimmer war liebevoll eingerichtet. Das zurückhaltende Beige von Wänden und Möbeln wurde durch das kräftige Rot von Bettwäsche und Vorhängen aufgepeppt. Dazu gab es allerlei hübsche Deko und flauschige Kissen auf den zwei Sesseln, die neben einem runden Tisch am Fenster standen.
In dieser Sekunde beschloss Charlotte, erst einmal nicht nach Frankfurt weiterzufahren. Es wartete niemand auf sie, und sie hatte die Großstadt nur deshalb als Anlaufstelle ausgewählt, weil sie dort vor einer gefühlten Ewigkeit ihre Ausbildung zur Köchin begonnen und dann kurz vor der Prüfung hingeschmissen hatte. Vielleicht, so ihre Hoffnung, gab es ja die Möglichkeit, ihren früheren Chef davon zu überzeugen, dass sie eine zweite Chance nutzen und ihre Ausbildung beenden würde – falls er sie noch einmal einstellte. Wenn sie an ihre Entscheidung vor knapp vier Jahren zurückdachte, konnte sie nur mit dem Kopf schütteln. Wie hatte sie nur so dämlich sein können?
Noch im Bett griff Charlotte zu ihrem Handy, öffnete die Buchungs-App, über die sie das Hotel in Frankfurt reserviert hatte, und stornierte das Zimmer. Sie konnte sich auch hier nach einer neuen Stelle umsehen. Ihren Laptop hatte sie dabei, und es gab sicher auch in einem kleinen Ort wie Mornau kostenloses WLAN im Hostel. Etwas Ruhe an einem beschaulichen Ort wie diesem würden ihr guttun. Sie wusste ohnehin nicht, wo sie am Ende unterkommen würde, da konnte sie ebenso gut eine Weile bleiben.
Als sie das Bad betrat und die Badewanne sah, fiel ihr ein, was sie am gestrigen Abend nicht mehr geschafft hatte. Statt eines heißen Bades hatte sie sich aufs Bett fallen lassen. Nach dem Gewaltmarsch durch die Pampa war sie sofort eingeschlafen, und als sie zwei Stunden später noch einmal erwacht war, hatte sie sich nur noch aus ihren Klamotten geschält und weitergeschlafen.
»Dich teste ich später«, sagte sie mit Blick auf die Wanne. Charlotte wusch ihr Gesicht, band ihren kinnlangen Bob zu einem winzigen Zopf im Nacken zusammen und kämmte ihren kurzen Pony glatt. Dann putzte sie sich die Zähne und lief hinunter zum Frühstück.
»Guten Morgen«, grüßte Elli sie hinter der Rezeption. »Du bist aber früh auf den Beinen.«
»Guten Morgen. Ja, verstehe ich auch nicht so wirklich«, gab Charlotte lachend zurück. »Nachdem ich gestern meinen Koffer fast eine Stunde über den Acker entlang der Schienen schleifen musste, war ich davon überzeugt, dass ich die nächsten drei Tage durchschlafen würde.«
Elli schüttelte amüsiert ihren Kopf. »Ich würde ja sagen, dass mir deine Unannehmlichkeiten leidtun, aber das wäre ein bisschen gelogen. Immerhin hat mir die Panne bei der Bahn ein paar Gäste außer der Reihe beschert. Na komm, ich zeig dir den Frühstücksraum, und dann störe ich dich mal nicht weiter.«
»Du störst nicht«, gab Charlotte zurück. Dabei bemerkte sie, dass diese Worte tatsächlich der Wahrheit entsprachen. Ellis Herzlichkeit hatte dafür gesorgt, dass sie sich trotz der Lage, in der sie sich befand, gut aufgehoben fühlte, zumindest für den Moment.
Sie bediente sich am Büfett, deckte sich dann mit Kaffee und Orangensaft ein und suchte sich einen Platz am Fenster. Aufgrund der Jahreszeit waren Büsche und Bäume der Umgebung kahl. Trotzdem war zu erkennen, dass dieser Bahnhof ein kleines Schmuckstück war. Die Wegweiser aus Holz waren von Hand graviert worden, was ihnen eine gewisse Nostalgie verlieh.
Von ihrem Platz aus konnte Charlotte die Worte Rathaus, Lunabrunnen, Bibliothek, Hundegarten, Spielplatz, Parkplatz und Schwimmbad lesen. Da es noch immer nicht ganz hell war, wurden der Bahnhofsvorplatz und die Straße, die von ihm wegführte, von ebenso nostalgischen Laternen beleuchtet, die etwas von einem alten englischen Edgar-Wallace-Film hatten. Sie waren aus Eisen gefertigt und warfen warmes Licht in schmalen Kegeln auf den gepflasterten Boden.
Charlotte kippte Joghurt über die frisch geschnittenen Früchte und löffelte anschließend Nüsse hinein, die sie sich ebenfalls am Büfett geholt hatte. Danach genehmigte sie sich Rührei mit Speck und ein Croissant mit Heidelbeermarmelade. Obwohl sie am Ende pappsatt war, holte sie sich noch einen zweiten großen Cappuccino. Das Mittagessen würde sie nach diesem üppigen Frühstück einfach auslassen.
»Hat es geschmeckt?«
Charlotte hatte den Mann, der sich ihrem Tisch von hinten genähert hatte, gar nicht bemerkt.
»Ja, danke. Sehr gut. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal so ausgiebig gefrühstückt habe.«
»Ich bin Sam und verantwortlich für das Frühstück. Alles andere hätte ich auch nicht gelten lassen.«
Charlotte sah die verkniffene Miene des Küchenchefs und unterdrückte das Lachen, das ihr zunächst noch auf den Lippen gelegen hatte. Es sah ganz danach aus, als meinte Sam seine Worte ernst, und genau das wirkte im Nachhinein fast schon arrogant.
Charlotte erhob sich, sortierte ihr Geschirr auf das Tablett und sah sich nach der Geschirrrückgabe um.
»Das hier ist doch keine Kantine«, knurrte Sam. »Gib mir das Tablett.«
»Danke schön.« Charlotte bemühte sich um ein freundliches Lächeln. Doch Koch Sam schien das gar nicht zu bemerken.
»Ist eigentlich nicht mein Job. Aber seit einigen Wochen bin ich hier allein mit zwei Halbtagskräften. Ich hätte nie gedacht, dass es in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit so schwer sein könnte, verlässliches Personal zu finden.«
Charlotte zog ihre Augenbrauen hoch und sah dem grantigen Koch nach.
»Sam, warte«, rief sie plötzlich. »Eigentlich war ich ja auf dem Weg nach Frankfurt.«
»Und weiter? Ich habe wirklich zu tun.«
»Ich bin in erster Linie auf der Suche nach Arbeit und war außerdem lange in der Gastro tätig.«
Sie unterschlug, dass sie ihre Ausbildung ohne echte Gründe hingeschmissen hatte, wenn man von Adrians Ansicht, Frauen müssten doch nicht arbeiten – schon gar nicht in der Gastronomie – einmal absah.
Sam zog seine Augenbrauen erst überrascht in die Höhe, ließ anschließend die linke Braue oben und sah abschätzig an ihr herab und wieder herauf.
»Ich weiß nicht. Das kommt jetzt irgendwie ein bisschen plötzlich.«
Charlotte gab sich alle Mühe, nicht die Geduld zu verlieren. »Brauchst du nun Hilfe oder nicht?«, fragte sie. »Ich weiß, was ich kann, bin auch bereit, eine Weile zur Probe zu arbeiten.«
»Das bespreche ich erst mal mit der Chefin«, sagte Sam.
»Das wäre dann wohl ich!«
Elli war dazugekommen, ohne dass Charlotte oder Sam sie bemerkt hatten. Anders als der Koch lächelte sie übers ganze Gesicht.
»Sam sagte, dass ihr Personal sucht.«
»Und du suchst einen Job?«
»Ja«, sagte Charlotte schlicht.
»Warst du nicht auf dem Weg nach Frankfurt?«
»Stimmt schon«, bejahte Charlotte. »Aber da hätte ich mir ja auch Arbeit suchen müssen. Ich muss mich neu sortieren und wollte dazu in die Großstadt. Aber Frankfurt ist nicht allzu weit weg. Wenn mir nach Trubel ist, setze ich mich eben in den Zug. Ist vielleicht Schicksal, dass ihr genau das sucht, was ich zu bieten habe.«
»Du bist Kellnerin? Sollte die Unverlässlichkeit der Bahn uns wirklich so viel Glück bescheren?«
»Na ja, die Bahn konnte nichts dafür, das waren wohl eher irgendwelche Idioten, die randaliert haben. Aber ja. Ich habe lange gekellnert, und dieses schnuckelige Bistro könnte genau das richtige ...«
»Bevor ihr hier wilde Pläne schmiedet«, unterbrach Sam und sah Elli ernst an, »ein kleiner Einwand: Ich bestehe auf mindestens einer Woche Probearbeiten. In den vergangenen Wochen war hier ein heilloses Durcheinander. Ich muss mich davon überzeugen, dass die Neue auch wirklich verlässlich ist.«
Charlotte schluckte ihr bissiges »Die Neue steht hier und kann dich hören!« hinunter und atmete einige Male ruhig ein und aus. Koch Sam war eine harte Nuss, und sie fragte sich, ob er nur eine gesunde Skepsis mitbrachte, oder ob er ein durch und durch unfreundlicher Zeitgenosse war. Letzteres würde ihre Arbeit erheblich erschweren, denn auf einen nörgelnden Chefkoch konnte sie gut und gern verzichten.
»Einwände vernommen, danke, Sam«, sagte Elli knapp. Dann zwinkerte sie Charlotte aufmunternd zu. »Lass uns ins Büro gehen. Da können wir uns in Ruhe beschnuppern und nötige Einzelheiten besprechen.«
Charlotte nickte. Kurz darauf saß sie Elli gegenüber und ließ sich erzählen, wie die junge Frau, die tatsächlich nur vier Jahre älter war als sie selbst, an die Verantwortung für einen Bahnhof gekommen war.
»Wie die Jungfrau Maria zum Kinde«, sagte Elli und lachte. »Mein Großvater erzählt heute noch jedem, der es hören oder nicht hören will, dass seine Enkelin in seine Fußstapfen getreten ist.«
Charlotte hätte Elli gern nach ihren Eltern gefragt, tauchten die doch nirgends in ihren Erzählungen auf. Sie entschied sich allerdings dagegen, denn sie wollte mit ihrer Neugier nicht zu weit gehen.
»Und du? Was ist deine Geschichte?«, wollte Elli wissen.
Charlotte wusste erst nicht, was sie darauf sagen sollte. Gerade eben hatte sie beschlossen, selbst keine indiskreten Fragen zu stellen. Elli schien allerdings auf Diskretion zu pfeifen, wie ihre nächste Frage zeigte.
»Lass mich raten: Irgendeine vergeigte Beziehung hat dich dazu gebracht, ganz neu anzufangen, richtig?«
»Steht mir das auf der Stirn geschrieben?«
»Ach was«, erwiderte Elli grinsend. »Ich schließe einfach nur ganz frech von mir auf andere. Bei mir war es ein Kerl, der alles vermasselt und mich zurück unter die Fittiche meines Opas getrieben hat.«
Ohne Scheu plauderte Elli drauflos und erzählte von einem antriebslosen Exfreund, ihrem Großvater, der ihr den Bahnhof geradezu aufgeschwatzt hatte, und einer neuen Liebe, die sie dabei ganz nebenbei gefunden hatte.
Am Ende warf Charlotte ihre Bedenken ebenfalls über Bord und erzählte von Adrian – zumindest ein wenig.
»Du hast natürlich recht«, begann sie. »Mein Grund für einen Neuanfang heißt Adrian. Ein gut aussehender Blender mit einem Doppelleben, das seinesgleichen sucht. Aber vielleicht besprechen wir das ein andermal.«
»Du hast recht. Für Geschichten wie diese braucht es eine gute Flasche Rosé. Und Svenja.«
»Svenja?«
»Meine Freundin und – ohne jede Übertreibung – die beste Ratgeberin der Welt, zumindest wenn es um Probleme anderer geht.«
Charlotte lächelte wortlos. Wenn diese Svenja nur halb so herzlich war wie Elli, würde sie sich hier sicher schnell einleben.
»Also, zurück zum Business. Wir brauchen Unterstützung. Dringend. Und du sagst, dass du kellnern kannst?«
»Aber ja. Und ich bin wirklich freundlich.« Die letzte Bemerkung rutschte ihr heraus, ehe sie darüber nachgedacht hatte. Und Elli verstand sie sofort.
»Im Gegensatz zu Sam meinst du?« Sie presste ihre Lippen aufeinander und seufzte. »Ich weiß genau, was du meinst. Und glaub mir, ich wünschte sehr, Sam wäre etwas lockerer und würde zum Lachen nicht in den Keller gehen.« Elli lachte kurz auf, und Charlotte stimmte ein. »Aber er ist ein ganz passabler Koch und arbeitet selbstständig und verlässlich. Und da er in der Regel keinen großen Kontakt zu den Gästen hat, toleriere ich seine grummelige Art. Wenn wir also mit dir tatsächlich eine Vollzeitkraft im Service bekämen, würde das unsere Probleme lösen.«
»Na dann ... Wann kann ich anfangen?«, fragte Charlotte überschwänglich.
»Willst du nicht erst mal deinen Stundenlohn aushandeln?« Elli lachte.
»Du würdest mit dir handeln lassen?«, fragte Charlotte.
Elli verzog das Gesicht, als hätte sie plötzlich Zahnschmerzen bekommen. »Wohl eher nicht. Ich zahle vierzehn Euro Stundenlohn. Mehr ist im Moment leider nicht drin. Aber das Trinkgeld geht in deine eigene Tasche und mich oder Sam nichts an. Deine Schicht – dein Trinkgeld. So handhabe ich das.«
»Klingt sehr gut«, sagte Charlotte und strahlte ihre neue Chefin an. Der Stundenlohn lag im oberen Bereich für eine Servicekraft, und dass sie das Trinkgeld komplett behalten durfte und nicht abgeben oder mit anderen Servicekräften teilen musste, das war – im Vergleich zu anderen Bars und Restaurants, in denen sie schon gearbeitet hatte – ein großer Vorteil.
»Ich könnte dir noch in Sachen Wohnen helfen«, überlegte Elli laut. »Wenn du dein Zimmer selbst reinigst und unsere Reinigungskraft damit keine Arbeit hat, könnte ich dir mit dem Preis entgegenkommen. Und vor und nach den Öffnungszeiten kannst du die Bistroküche gern auch für dich mitnutzen. Natürlich nur, wenn du sie hinterher sauber machst. Du findest sicher irgendwann eine Wohnung, aber fürs Erste kannst du einfach hier im Hostel bleiben. Ich lasse dir ein größeres Zimmer im obersten Stock herrichten. Da hast du weniger Berührungspunkte mit den Gästen und auch mehr Privatsphäre. Was sagst du?«
Charlotte wäre Elli am liebsten um den Hals gefallen vor Freude. Die Trennung von Adrian und die Erkenntnis, dass er sie jahrelang hintergangen hatte, waren schmerzhaft, und die Vorstellung, allein in einer anonymen Großstadt, die nicht ihre Heimat Frankfurt war, neu zu beginnen, hätte ihr sicher noch einige schlaflose Nächte bereitet, selbst wenn sie zu Beginn ihrer Zeit in München bei Kindergartenfreundin Franziska Unterschlupf gefunden hätte.
Dank Elli hatte sie nun jedoch das Gefühl, dass der Neubeginn vielleicht nicht ganz so schlimm werden würde wie befürchtet. Sie wäre weder arbeitslos noch ganz allein. Sie konnte sich sortieren, in Ruhe nach einer Wohnung suchen und dann überlegen, wie und in welcher Form sie ihre begonnene Kochlehre beenden würde. Denn dass sie das tun musste, stand außer Frage. Sie liebte es, traditionelle Gerichte kreativ aufzupeppen oder ganz neue auszuprobieren. Irgendwann, das war ihre Hoffnung, würde sie womöglich selbst ein Restaurant eröffnen. Doch dazu musste sie zunächst einmal beenden, was sie dank Adrian und ihrer eigenen Dummheit so achtlos hingeworfen hatte.
»Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll«, antwortete Charlotte schließlich auf Ellis Frage. »Wenn du möchtest, fange ich sofort an.«
Elli schüttelte den Kopf. »Heute ist Montag. Da ist an einem winzigen Ort wie diesem Ruhetag – wie es sich gehört. Frühstück für die Hostelgäste natürlich ausgenommen, die können wir ja schlecht verhungern lassen.«
»Also dann ab morgen?«
»Sicher, dass du gleich anfangen willst? Du kannst dir auch noch eine Woche Zeit nehmen, um Mornau und seine Bewohner ein bisschen kennenzulernen.«
Charlotte dachte einen Moment über das Angebot nach und verneinte dann. »Nein, das kann ich an meinen freien Tagen Schritt für Schritt machen. Heute sehe ich mich ein bisschen um. Supermarkt und Bäcker suchen, nach einem neuen Hausarzt Ausschau halten – solche Dinge eben. Alles andere findet sich mit der Zeit. Ich habe keine ...« Ehe sie ihren Satz beenden konnte, klingelte ihr Handy. »Entschuldige bitte«, sagte Charlotte. Sie sah aufs Display, und ihr Herzschlag beschleunigte sich sofort.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Elli. Die Sorge in ihrer Stimme bewies, dass sie Charlottes erschrockenes Gesicht wohl richtig gedeutet hatte.
»Nein. Adrian, mein Ex. Ich brauche dringend eine andere Nummer und bei der Gelegenheit auch gleich noch ein neues Handy.«
»Oha«, gab Elli zurück. »Du kannst mein Auto nehmen. Hier in Mornau wirst du dieses Problem nicht lösen können. Die nächste Kreisstadt ist Nauenfeld, da wirst du fündig.«
»Ich kann auch den Zug nehmen.« Charlotte schluckte. Sie hatte plötzlich einen riesigen Kloß im Hals, denn Fürsorge und Freundlichkeit ihrer neuen Chefin rührten sie sehr.
»Quatsch!«, sie griff nach dem Autoschlüssel, der auf dem Tisch lag, und schob ihn zu ihr rüber. »Ich brauche es heute nicht. Während du regelst, was zu regeln ist, setze ich deinen Arbeitsvertrag auf. Dann können wir heute Abend alles unter Dach und Fach bringen und anschließend eine Flasche Wein öffnen – so zur Feier des Tages.«
Keine halbe Stunde später saß Charlotte in Ellis Auto. Ihr Handy, das sie in die Halterung an der Scheibe geklemmt hatte und als Navi benutzte, zeigte ihr, dass sie in weniger als fünfzehn Minuten in der nächsten Kreisstadt Nauenfeld sein würde. Elli hatte ihr erklärt, wo sie kostenlos parken konnte und wie sie von dort aus ins Einkaufszentrum gelangen würde.
Während sie über eine ruhige Landstraße fuhr, blinkte ihr Handy mehrfach auf, jedes Mal war es Adrian. Ein kurzer Blick auf das Display erlaubte es ihr, die erste Zeile der Nachricht zu lesen, ohne dass sie sie öffnen musste.
Du schaffst es eh nicht ..., las Charlotte. Oder: Du hattest es doch gut..., oder: Allein kommst du sowieso nicht über die Runden.
Mit jeder Nachricht, die im Minutentakt aufploppte, wurde Charlotte wütender. Adrian war davon überzeugt, dass sie in seine Arme zurücksinken und sich am Ende noch entschuldigen würde für ihren überstürzten Weggang – Flucht war wohl das bessere Wort –, aber da täuschte er sich gewaltig.
Seine Arroganz war unerträglich, und was sie am Anfang so angezogen hatte, stieß sie nun nur noch ab. Beim Kennenlernen hatte er selbstsicher und weltmännisch gewirkt, doch genau das war ein Trugschluss. Hinter seiner Fassade steckte ein Mann, der durch und durch in alten Rollenmustern gefangen war, der darauf pochte, dass Emanzipation ein Witz war, weil sie dazu führte, dass es immer weniger glückliche Familien gab. Sie konnte seine Stimme regelrecht hören:
»Schau dir die Familien doch an! Frauen gehen arbeiten, ziehen die Kinder groß, verdienen zum Teil sogar mehr als ihre Männer. Es ist, als würden Frauen plötzlich den Part der Männer übernehmen. Und umgekehrt werden die Männer immer weicher. Einfach widerlich, wenn du mich fragst. Männer und Frauen haben ihre Rollen, und das hat alles seinen Sinn. Wenn ich Frauen höre, die davon schwärmen, wie unabhängig sie doch sind, dann kann ich nur mitleidig lachen. Denen rennen die Kerle irgendwann weg, und dann werden sie allein und mit ihren fünf Katzen sterben. Welcher Mann will schon so eine Emanze?«
Dieses Gespräch mit Adrian war inzwischen dreieinhalb Jahre her. Damals hatten sie bereits zwei Flaschen Rotwein geleert gehabt und waren ziemlich angetrunken gewesen. Genau damit hatte er sich auch am nächsten Morgen herausgeredet:
»Nimm bloß nicht ernst, was ich mit anderthalb Flaschen Wein im Kopf von mir gebe. Natürlich ist es gut, dass sich Frauen inzwischen selbst verwirklichen können.«
Charlotte wusste trotzdem, dass er insgeheim genau das dachte, was er am Vorabend gesagt hatte. Aber sie war damals stumm geblieben wie ein braves Lämmchen. Monatelang hatte er ihr immer wieder erklärt, dass sie die Schufterei in irgendeinem heruntergekommenen Restaurant nicht nötig habe, sie sei ja schließlich die Freundin eines Piloten. Sie hatte das Arbeiten allerdings nicht aufgeben wollen, weswegen er ihr irgendwann vorgeschlagen hatte, doch gelegentlich als Messehostess zu arbeiten. Hübsch genug sei sie ja, so seine selbstgefällige Einschätzung, und so hätte sie gelegentlich eine Aufgabe und etwas mehr Taschengeld. Irgendwann hatte sie sich schließlich überzeugen lassen und ihre Ausbildung abgebrochen.
Vermutlich bedauerte Adrian das heute, denn die viele Zeit, die sie anschließend daheim gewesen war, hatte am Ende dazu geführt, dass sie ihm und dem Doppelleben, das er von Anfang an geführt hatte, auf die Schliche gekommen war.
»Hake es ab!«, sagte Charlotte laut zu sich selbst. Sie parkte den Wagen, nahm das Handy aus der Halterung und schob Adrians Nachrichten ins Archiv, ohne sie zu öffnen.
Sie hätte ihn auch gleich blockieren können, doch Trauer, Ehrgeiz, verletzter Stolz und Wehmut hielten sie noch davon ab. Da er auf ihre Storys reagierte, wusste sie, dass er ihren Status regelmäßig ansah, obwohl er niemanden sehen ließ, wann er online ging. In den nächsten Tagen würde sie ihn so wissen lassen, dass es ihr bestens ging. Spätestens Ende der Woche wollte sie dann mit ihrer neuen Telefonnummer dafür sorgen, dass auch diese letzte Verbindung gekappt war und er sie nicht mehr erreichen konnte.
»Jetzt erst einmal Schritt eins: neues Handy und neuer Vertrag.«
Nauenfeld war zwar eine Kreisstadt, aber trotzdem klein genug, um sich schnell zurechtzufinden. Das Shoppingcenter war nicht zu übersehen. In weniger als einer halben Stunde hatte sie ein neues Gerät, das sie in Raten abzahlen konnte, nebst neuer Telefonnummer. Sie setzte sich in ein kleines Café im untersten Stock und bestellte sich eine Tasse Tee. Während sie wartete, griff sie ganz automatisch nach ihrem Handy. Adrian hatte ihr vier weitere Nachrichten geschickt, und obwohl sie wusste, dass sie es nicht tun sollte, las sie, was er ihr zu sagen hatte.
Ich habe dir versprochen, dass ich sie verlassen werde. Endgültig. Habe ich meine Versprechen je gebrochen? Jetzt hör auf mit dem Theater und komm zurück nach Hause!
Charlottes Herz raste, und die Wut, die in diesem Moment in ihr hochkochte, kam mit einer solchen Wucht, dass ihr nur noch eins zu tun blieb. Mit flinken Fingern tippte sie die letzten paar Worte, die sie ihm noch zu sagen hatte:
Halt dich von mir fern!
Versprochen, sie zu verlassen? Ohne ihr detektivisches Schnüffeln würde sie gar nichts von einer Ehefrau wissen. Sein Versprechen, sie zu verlassen, hatte er ihr aus der Not heraus gegeben und ihr dann erzählt, wie schlecht sie ihn angeblich behandele.
Charlotte löschte kurzerhand den ganzen Chatverlauf und blockierte ihn, noch ehe er ihr weitere selbstgefällige Überheblichkeiten schicken konnte. Im Hostel würde sie den Menschen, die sie weiterhin um sich haben wollte, ihre neue Nummer schicken und dann das neue Handy einrichten.
»Neues Handy, neues Zuhause, neues Leben«, sagte sie zu sich selbst.
Als ihr Tee kam, atmete sie auf. Natürlich würden Kummer und Verletzung nicht einfach über Nacht verschwinden. Aber in diesem Moment spürte sie zum ersten Mal so etwas wie Erleichterung.
Sie dachte an ihren Lieblingsfilm Herr der Ringe und daran, wie Éowyn der Schlangenzunge Gríma »Eure Worte sind wie Gift!« entgegenfauchte und wie kurz darauf Théoden aus seinem kranken Schlaf erwachte und wieder er selbst wurde.
Genau so fühlte sie sich in diesem Augenblick. Sie war aus einem Albtraum erwacht. Es war nicht so, dass Adrian sie in irgendeiner Form körperlich schlecht behandelt hätte. Aber alles, was er tat und sagte, zielte immer nur darauf ab, sie klein und von ihm abhängig zu halten. Doch damit war nun Schluss! Ganz gleich, wie schwer es werden sollte. Sie würde sich von nun an nur noch um die Verwirklichung ihrer eigenen Träume kümmern.
Entschlossen packte sie ihr Handy weg und sah sich um. In einiger Entfernung bemerkte sie ein hübsches Geschäft mit Dekoartikeln. Sie zahlte ihren Tee und kaufte anschließend einige Duftkerzen, ein neues Badeöl und ein klischeehaftes Blechschild, auf dem zu lesen war, dass sie eine Prinzessin sei, die nur ihre Krone richten und weitermachen müsse. Es waren Kleinigkeiten, die sie sich gönnte, doch sie würden ihr guttun.
Zurück in Mornau nutzte sie den Rest des Tages, um sich in der Stadt umzusehen. Ihr fiel auf, dass die Mornauer sie entweder freundlich grüßten oder aber kritisch beäugten. Es würde eine Weile dauern, ehe sie sich an die neugierigen Blicke gewöhnen würde.
Charlotte kam an einer Konditorei vorbei und beschloss kurzerhand, für den Abend mit Elli Gebäck zu besorgen. Zwar passte das in Aussicht gestellte Glas Wein eher zu salzigen Knabbereien, aber die Torten und Törtchen in der Auslage sahen so appetitlich aus, dass sie einfach nicht vorbeigehen konnte.
»Guten Tag«, grüßte sie höflich.
»Guten Tag, Frau ...?« Es war nicht zu überhören, dass die neugierig dreinblickende Dame hinter dem Verkaufstresen erwartete, dass sie sich genauer vorstellte. Da Charlotte plante, eine Weile in diesem Ort zu verweilen, beschloss sie, dass ein guter Draht zur örtlichen Bäckerin sicher nicht schaden konnte.
»Ich konnte einfach nicht an ihrer köstlichen Auslage vorüberlaufen. Mein Name ist Charlotte Wegner.«
»Freut mich sehr, Charlotte Wegner. Mein Name ist Edda Klingenstein, und ich bin die beste Konditorin, die Mornau je hervorgebracht hat.«
»Das glaube ich sofort. Was können Sie denn empfehlen? Da ich heute Abend meinen neuen Arbeitsvertrag unterschreibe und meine Chefin bei dieser Gelegenheit auf einem Glas Wein besteht, wollte ich nicht mit leeren Händen kommen.«
»So, so.« Die Konditorin sah Charlotte prüfend an. »Ich kenne so gut wie jeden Bewohner Mornaus. Wenn du mir sagst, wie deine Chefin heißt, finde ich sicher auch das richtige Törtchen.«
Charlotte fragte sich, ob es wirklich sein konnte, dass die Bäckerin eines Ortes die Geschmäcker ihrer Kunden so genau kannte. Aber vielleicht wollte Edda Klingenstein auch einfach nur ihre Neugier stillen und in Erfahrung bringen, wo Charlotte wohl arbeiten würde. Wie dem auch sei, ihr war beides recht, also gab sie bereitwillig Auskunft.
»Mich hat der Zufall nach Mornau gespült. Ich bin in Ellis Hostel untergekommen und habe beim Frühstück festgestellt, dass es dort an Servicepersonal fehlt.«
»Also warst du schon mal hier?«
»Nein.« Charlotte schmunzelte. »Ich fasse es selbst kaum, aber ich bin erst seit gestern hier. Die Entscheidung, für Elli zu arbeiten, fiel heute Morgen.«
»Verstehe.« Edda Klingenstein grinste breit und nickte, als wäre sie überaus zufrieden mit dem, was sie gehört hatte. »Also sitzt du heute Abend bei unserer Elli. Dann stelle ich dir mal ein paar Leckereien zusammen. Und da ich fest damit rechne, in dir, ich darf doch Du sagen, Charly?, eine neue Stammkundin zu haben, geht das heute auf mich. Sag Elli bitte liebe Grüße.«
Charlotte war so verdutzt, dass ihr tatsächlich der Mund offen stehen blieb. Hatte die Konditorin sie gerade wirklich Charly genannt? Das letzte Mal, als sie so gerufen worden war, war sie elf oder zwölf gewesen. Damals hatte sie die Schule gewechselt, und an ihrer neuen Schule war niemand auf die Idee gekommen, ihren Namen so abzukürzen. Und als wäre diese freundliche, wenn auch distanzlose Begrüßung nicht schon genug, war die Konditorin auch noch bereit, ihr die Leckereien umsonst zu überlassen.
»Ähm«, stotterte sie, »aber das kann ich nicht annehmen. Ich zahle natürlich, was Sie mir zusammenstellen.«
»So ein Quatsch«, sagte Edda Klingenstein und lachte, als hätte Charlotte das Unsinnigste gesagt, was sie je gehört hatte. Die Bäckerin übergab ihr ein viel zu großes Paket mit Törtchen, Schnecken und Petits Fours.
»Wer soll denn das alles schaffen?«, fragte Charlotte lachend.
»Das wird schon. Wie ich Elli kenne, wird sie auch Svenja für euren Mädelsabend eingeladen haben. Dann braucht ihr ohnehin ein wenig mehr. Ich würde ja dazukommen und fleißig mitessen, aber seit meinem Magenband ...«
»Sie haben ein Magenband?«, die indiskrete Frage rutschte Charlotte heraus, doch das schien die Frau nicht zu stören.
»Ja. Ich habe unglaublich viel abgenommen. Aber für jedes Törtchen, das ich nicht mehr essen kann, vergieße ich eine Träne. Ich kann dir sagen, Charly, ich habe inzwischen Tränen für einen ganzen Pazifik geweint.« Während sie sprach, gluckste sie so fröhlich, dass Charlotte sicher war, dass die Konditorin alles andere als ernsthaft traurig war. Vielleicht bedauerte sie, nicht mehr die Mengen essen zu können, die sie wollte. Aber sich vorzustellen, dass diese fröhliche Frau deswegen tränenüberströmt im Hinterzimmer ihrer Backstube saß, gelang Charlotte nicht.
»Ich danke Ihnen ganz herzlich, Frau Klingenstein. Und ich verspreche, dass ich von nun an zu Ihren Stammkunden gehöre.«