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Ein gedächtnisloser Ork-Kämpfer flieht mit einem Menschen aus der Kampf-Arena und gerät dabei in eine magische Verschwörung gegen die Reiche der Menschen. Er, von allen nur genannt "Der Krieger", war der unbesiegbare Kämpfer in der Arena... bis der Tag kam, an dem sein Kampf-Glück endete. Ohne Erinnerung an sein früheres Leben flieht der namenlose Ork gemeinsam mit einem fremden Menschen aus dem blutgetränkten Sand der Kampfstätte. Doch etwas ebenso Namenloses hat unwissentlich von ihm Besitz ergriffen: ein roter Nebel, der einerseits Macht verspricht - und gleichzeitig Verderben bringt. Auf ihrer Flucht geraten die ungleichen Gefährten in einen Strudel aus uralten Verschwörungen, mächtigen Königreichen und magischen Kräften, die alles bedrohen. Während der Krieger verzweifelt nach seiner Vergangenheit sucht, zieht ihn der Nebel tiefer in ein Schicksal hinein, das größer ist als sein eigener Wille. Wird er die Wahrheit über sich selbst erkennen, bevor es zu spät ist? Oder wird die Dunkelheit, die ihn begleitet, alles verschlingen? Der fesselnder Auftakt einer epischen Fantasy-Reise für alle, die düstere Magie, verlorene Erinnerungen und epische Welten lieben.
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Seitenzahl: 417
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Prolog
Der Kerker
Die Arena
Die Zwergentunnel
Die Zwergenstadt
Der Metallgolem
Vertrauen
Das Barb-Meer
Die Wellenreiterin
Rhod
Der Barbar
Der Verräter
Die Sirene
Die Menschenreiche
Bestechung
Der Hinterhalt
Begegnung
Der Fürst von Posodon
Anhang
Die Sonne scheint durch die Baumwipfel, ein leichter Nebel liegt in der Luft, die Vögel zwitschern und eine Brise weht durch die Baumwipfel. Nicht wissend, wo ich bin oder wie ich dorthin gekommen bin, gehe ich durch den Wald. Auch weiß ich nicht, wer ich bin. Ich bin einfach da und bewege mich wie in einem Traum. Welche Kleidung ich anhabe oder wie meine Hände aussehen, all das kann ich nicht wahrnehmen, ebenso kann ich meine Augen nicht bewegen. Es ist, als würde ein anderer meinen Körper lenken und sich nur auf den Weg vor uns konzentrieren.
So habe ich nur meine Gedanken und versuche, so viel wie möglich von der Umgebung wahrzunehmen, oder besser so viel der Andere zulässt.
Bei genauerer Betrachtung sieht der Wald nicht so aus, wie ein Wald aussehen sollte. Nicht das ich wüsste, wie ein ›richtiger‹ Wald aussehen soll, aber ich habe das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Die Bäume wachsen in regelmäßigen Abständen und es sind fast nur Nadelbäume. In kalten Gebieten ist es durchaus üblich, dass fast nur Nadelbäume wachsen. Aber es bleibt trotzdem das Gefühl, etwas stimmt nicht.
Vor allem aber befinden sich einige Baumstümpfe in meinem Blickfeld, deren Schnittkante sehr glatt ist, fast als wären sie abgeschnitten worden. Auch fehlen alte und umgestürzte Bäume. Warum aber sollte sich jemand die Mühe machen, einen Wald zu pflegen und ihn nicht einfach abholzen?
Dies alles und auch ein unbeschreibliches Gefühl sagen mir, dass etwas nicht stimmt.
Vor allem aber, warum bin ich nur Herr meiner Gedanken und meines Körpers? Immer dieselben Fragen. Wer bin ich? Wer oder was lenkt mich? Und, am wichtigsten: Wo bin ich? Mein Körper geht weiter einen relativ flachen Hang hinauf zu einer Kuppe. Von dort oben hoffe ich, eine gute Aussicht zu haben und wenigstens eine Antwort auf eine der vielen Fragen in meinen Kopf zu bekommen. Die Kuppe kommt immer näher und mein Körper hält weiter darauf zu. Und auch der Blick ist auf den Hügelkamm fixiert.
Es sind nur noch hundert Meter und mein Herz schlägt schneller.
Plötzlich ertönt hinter der Kuppe ein lautes, plärrendes Geräusch, nichts Menschliches, aber auch nichts Tierisches. Auch kein Monster oder irgendetwas anderes kommt mir in den Sinn, das sich so anhört. Ich versuche, meinen Körper zu übernehmen und zur Umkehr zu zwingen, aber vergebens. Der Andere beschleunigt meinen Körper noch, aber ich habe nicht das Gefühl von Angst, sondern eher von Freude, als hätte er das Geräusch erkannt und mit einer freudigen Erinnerung verbunden.
Mit einem Mal haben wir die Kuppe erreicht und ich kann den Hang hinabsehen. In einiger Entfernung steht ein Mensch – oder zumindest etwas Menschenähnliches mit dem Rücken zu mir. Er trägt irgendetwas Grünes und einen orangefarbenen Helm. Aber in Farbtönen, die kein mir bekanntes Material oder sonst etwas hat. Und vor allem scheint es, als komme das unbeschreibliche Geräusch von etwas, das er vor seinem Körper in den Händen hält.
Mein Körper und ich eilen den Hang hinunter, und obwohl ich Angst vor dem Unbekannten und vor allem vor dem Geräusch der Lärmquelle habe, so ist die Neugier größer. Auch habe ich sowieso nicht die Kontrolle über meinen Körper.
Plötzlich spüre ich einen Schmerz in meinem linken Oberarm, als hätte mich jemand geschlagen. Der Schmerz wird immer drängender und auch mein Blick wird immer trüber, bis es schwarz vor meinen Augen wird und ich nur noch den Schmerz in meinem linken Oberarm wahrnehme.
»Art’rack, art’rack« hallt es durch meinen Kopf und dem Schmerz kann ich nun auch etwas Spitzes zuordnen, das wiederholt gegen meinen Oberarm gestoßen wird. Sofort kehren meine Erinnerungen wieder zurück und es wird mir klar, dass ich gerade wirklich geträumt habe. Oder zumindest geschlafen habe. Ob es ein Traum war oder nicht, weiß ich nicht, da ich diesen Traum oder auch Erinnerung öfters habe. Und meistens endet er damit, dass ich auf den Menschen mit der grünen Bekleidung und dem orangefarbenen Helm zulaufe, diesen aber nie erreiche. So kann ich ihn auch nie erkennen.
»Art’rack, art’rack« oder in meiner Sprache »Steh auf, steh auf« hallt es weiter durch meinen Kopf. Und obwohl ich die Augen noch immer geschlossen habe, weiß ich genau, wie es um mich herum aussieht. Und wer diese Worte mit seiner dunklen, fast schon knurrigen Stimme ausstößt.
Wie er heißt oder wer er genau ist, ist mir unbekannt, aber dass es ein Ork ist, das ist mir klar. Eine dieser hässlichen und stinkenden Kreaturen, deren Hässlichkeit nur durch ihre Boshaftigkeit übertroffen wird. Viele machen den Fehler zu denken, ihre Hässlichkeit wird durch ihre Dummheit übertroffen. Aber es ist wie bei den meisten Spezies, es gibt sowohl sehr dumme, aber auch sehr schlaue Vertreter der Rasse. Und viele sind daran gestorben, dass sie ihr Gegenüber als dumm eingeschätzt haben. Bei einem kann man sich bei den Orks aber immer sicher sein. Egal, wie dumm oder schlau er ist, verschlagen ist er auf jeden Fall. Und er versucht, seine Interessen mit allen Mitteln, bevorzugt mit aller Gewalt durchzusetzen. Denn für sie ist die Gewalt nicht ein notwendiges Übel, sondern ein willkommener Bonus, den man bei jeder Handlung mitnehmen sollte.
Dieser Vertreter der Rasse, der versucht, mich zu wecken, gehört augenscheinlich zu den Dümmeren der Rasse. Denn auch er versucht die ihm gestellte Aufgabe – mich zu wecken – zu erweitern um den Bonus, mich zu quälen. Auf jeden Fall ist es ein neuer Wärter, der noch nicht lange hier arbeitet, denn sonst würde er auf diesen Bonus gern verzichten.
Auf den ersten Blick ist es sogar nachvollziehbar, warum er diesen Bonus abgreifen will. Denn mein ›Heim‹ lädt hierzu ein. Ich nenne es ›Heim‹, weil es das Einzige ist, das ich kenne, solange ich mich erinnern kann.
Denn ich kann mich nur an die letzten Jahre erinnern, nicht aber, woher ich komme oder wo ich aufgewachsen bin. Meine erste Erinnerung ist das Geräusch aus dem Traum und dann ein helles Licht. Ob dieser Teil wirklich passiert ist, oder eben jener Traum ist, das weiß ich nicht.
Aber als das Licht verblasste, fand ich mich in einem Wald auf einer Lichtung wieder. Es war Nacht und die Lichtung war von Fackeln erleuchtet. Hinter denen befanden sich verhüllte Gestalten, die ich damals aufgrund des Feuerscheins nicht erkannte. Sie standen im Kreis um mich herum und ich spürte, dass sie mich anstarrten. Auch wenn ich nichts erkannte, so hörte ich, wie sie aufgeregt miteinander sprachen. Ihre Worte konnte ich nicht verstehen, aber der Tonfall und ihr Verhalten sagten mir, dass sie genauso überrascht waren mich zu sehen wie ich sie. Ihre Sprache konnte ich nicht verstehen und bis heute habe ich niemanden mehr mit dieser Sprache gehört. Plötzlich spürte ich einen Windhauch in meinen Nacken und einen dumpfen Schlag am Hinterkopf, bevor ich wieder ohnmächtig wurde.
»Art’rack, art’rack« wiederholt der Ork weiterhin und lässt auch nicht ab, mir weiter Schmerzen zuzufügen, sodass ich mit meinen Gedanken wieder in die Gegenwart zurückkehre.
Also konzentrierte ich mich auf meine Zelle, denn mein ›Heim‹ war nichts anderes als eine Gitterzelle unter einer Ork-Arena.
Die Zelle zeichnet sich dadurch aus, dass sie war, wie jeder eine richtig ungemütliche Zelle bauen würde. Der Boden ist aus gehauenem Stein, einigermaßen eben, aber von der Qualität, wie es jedes Gewerk einer Rasse erreicht, deren einziges Ziel Krieg und Töten ist.
Dasselbe gilt für drei Wände und die Decke. Die andere Wand ist ein Metallgitter mit einer versperrten Gittertür, deren Qualität trotz der eingeschränkten handwerklichen Fähigkeiten der Orks ausreicht, um ausbruchssicher zu sein. Alles in allem ist das genau die Zelle, die man bekommt, wenn man eine Höhle in den Felsen schlägt und eine Seite mit Gittern versperrt.
Und in dieser Zelle liege ich, ein Mensch, wie von den Orks in ihren abfälligen Gesprächen über mich behauptet wird. Einen anderen Menschen habe ich in meiner ganzen Zeit hier noch nicht gesehen, und an davor kann ich mich nicht erinnern. Ich bin etwas größer als die meisten Orks und mein Kreuz ist in etwa so breit wie das eines Orks. Mein Körper ist durch die Kämpfe mit einigen Narben verziert, aber bis heute konnte ich Narben im Gesicht vermeiden. Zum Schlafen habe ich ein Holzbrett, von der Länge und Breite für meine Körpermaße ausreichend. Dieses ist mit zwei Ketten an der Wand befestigt, sodass man das »Bett« an die Wand klappen kann und man etwas mehr Platz hat.
»Art’rack, art’rack« und immer wieder »Art’rack, art’rack«. Langsam wird es nervig und auch das ständige Anstoßen mit dem Stab muss aufhören. Aufgrund des Zellengrundrisses kann der Ork nur an einer Stelle stehen. Leicht links unterhalb von mir, da ich mit dem Rücken auf dem Brett liege – Bett wäre dann doch zu schmeichelhaft – mit der Wand zu meiner Rechten. Mein Kopf immer in Richtung Rückwand, sodass der Ork etwas links von mir stehen muss, um meinen Oberarm zu treffen.
Ein letztes Mal lasse ich den Ork noch »Art’rack, art’rack« rufen, dann, ohne die Augen zu öffnen, greife ich den Stab und ziehe ihn zu mir her. Das veranlasst den Ork instinktiv dazu, ihn fester zu greifen, und er versucht, ihn dabei von mir weg auf sich zuzuziehen. Ich öffne blitzschnell die Augen – und wie ich es in den letzten Jahren gelernt habe, erfasse ich sofort die Situation.
Vor meiner Zelle steht ein junger Ork mit leicht erschrockenem Gesicht, das vor ein paar Sekunden sicher noch mit einem boshaften Lächeln verziert war.
Er ist hässlich wie alle Orks, aber im Gegensatz zu meiner ursprünglichen Annahme ist er nicht nur dumm, sondern einer der dümmsten Vertreter seiner Rasse. Denn er hatte mich nicht wie vermutet mit einem Stab, sondern mit seinem umgedrehten Speer angestoßen. Er war zwar doch noch so clever gewesen, sich etwas seitlich zu stellen und den Speer so zu fassen, dass die Spitze neben seinen Körper ragte. Diese Situation hatte sich durch mein Anziehen am Speer aber so weit verändert, dass sich die Speerspitze zwar noch immer etwas seitlich, aber eindeutig vor seinem Körper befindet. Nach jahrelangem Training ist es nur noch ein Reflex und ich bugsiere den Speer etwas nach rechts. Der befindet sich nun direkt vor seinem Körper und ich helfe dem Ork bei dem Versuch, den Speer wieder zurückzuziehen, und stoße zu.
Der Ork hat augenscheinlich nicht die gleichen jahrelang geübten Reflexe wie ich, denn anstatt sich seitlich wegzubewegen, ist er noch in seinem ursprünglichen Reflex des Zurückziehens gefangen. Der erfordert, einen festen Stand beizubehalten und die ganze Kraft und das wenige Hirn auf das Zurückziehen des Speers zu konzentrieren. Für diese geistige und körperliche Meisterleistung bekommt er als Belohnung seinen Speer mit der Spitze voran in seinen Bauch.
Sofort beginnt der, laut zu schreien. Denn auch wenn der Stoß tödlich ist, so wird es noch einige Zeit dauern, bis er daran stirbt. Somit ist es mit der Nachtruhe – oder vielleicht auch Tagesruhe, da es hier kein Sonnenlicht gibt – vorbei und ich denke wieder an meine ersten Erinnerungen zurück.
Nachdem ich nun wieder die Augen öffnete, befand ich mich gefesselt auf einem Wagen; mir gegenüber saß ein bewaffneter Ork. Vorne auf dem Kutschbock ein weiterer; der trieb die Markans an: große, vierbeinige Tiere mit langem Fell und scharfen Zähnen, Aasfresser. Es war ein einfacher Karren mit einer Ladefläche, vier eher ovalen als runden Rädern und einem Ledergespann für die zwei Markans. Die beiden Orks unterhielten sich in einer mir damals unbekannten Sprache, sodass ich Zeit hatte, mir die Umgebung einzuprägen. Wir bewegten uns durch einen Wald, diesmal aber ein richtiger. Mit Laubbäumen, Unterholz und mit abgestorbenen und halb verfaulten Bäumen, so ein Wald eben, der entsteht, wenn die Natur freien Lauf hat.
Als die Orks merkten, dass ich die Augen geöffnet hatte, fragte der mir gegenüber Sitzende etwas in der mir damals unbekannten Sprache. Mittlerweile weiß ich, dass es sich um Orkisch handelt. Da ich ihn nicht verstand, fragte ich in meiner Sprache, wo ich sei, aber das verstand er wiederum nicht. Das beruhigte ihn aber augenscheinlich, denn er unterhielt sich dann weiterhin mit dem Ork auf dem Kutschbock.
So hatte ich wieder Zeit, die Umgebung zu betrachten. Wir fuhren auf einem kleinen Weg, der, auch wenn er breit genug für einen Wagen war, aufgrund des schlechten Zustands die Bezeichnung Straße nicht zuließ. Ab und zu waren aber auch Reste einer alten, befestigten Straße zu erkennen, wenn mehrere stark abgenutzte Steinplatten zwischen der festgefahrenen Erde des Weges aufleuchteten. Auch war der Weg sehr gerade, und die Bäume am Wegrand wuchsen etwas niedriger als ihre weiter entfernten Kollegen, als würde etwas im Boden ihr Wachstum behindern.
Das Geschrei des tödlich verletzten Orks vor meiner Zelle, den ich einfach aus gegebenem Anlass ›den Toten‹ nenne, wird mittlerweile unterbrochen von anderen Orkrufen aus dem Tunnel, der zu meiner Zelle führt. Diese beinhalten so sinnvolle Fragen wie »Was ist hier los?« und »Hajatk, melde dich!« Natürlich sind die Fragen auf Orkisch, da keiner der Orks hier meine Sprache oder irgendeine andere Sprache als die eigene spricht. Unwillkürlich musste ich ein wenig schmunzeln, da diese Fragen so sinnlos sind. Denn die Schreie meines Toten – auch wenn ich jetzt weiß, dass er wahrscheinlich Hajatk heißt – lassen genügend Rückschlüsse darauf zu, was passiert ist. Und vor allem, dass der Tote andere Gedanken hat als eine sinnvolle Antwort zu geben. Zudem ist er nicht der Erste, der ein kleines Missgeschick mit mir beim Wecken hatte.
Als nun zwei weitere mir unbekannte Orks durch den Tunnel auf ihren gefallenen Kollegen zustürmen, frage ich mich, ob mich zwei weitere Selbstmordkandidaten besuchen. Vielleicht wird dieser Tag sogar etwas spaßig, was hier unten eher selten vorkommt. Denn auch wenn der Speer noch immer im Bauch des Toten steckt, da er, wie die meisten Ork-Waffen, mit Widerhaken versehen ist, um möglichst viel Schaden anzurichten, so ragt der Schaft noch immer in meine Zelle und somit in meine Reichweite.
Gerade als ich mich bereit mache, den Speer zu ergreifen, um den beiden Neuankömmlingen die Probleme ihres Kollegen deutlich zu machen, ertönt aus dem Tunnel ein Ruf mit einer mir bekannten Stimme. »Ato’k, arkatte mihalt’j«, was vornehm übersetzt so viel bedeutet wie ›Zurück, ihr geistig minder bemittelter Abschaum‹ gefolgt von weiteren Beschreibungen der körperlichen und geistigen Attribute der zwei Selbstmordkandidaten.
Bevor ich diesen Kenner der Anatomie meiner leider entgangenen Opfer sehe, weiß ich genau, um wen es sich handelt. Ein großer, etwas älterer Ork, meist noch übel gelaunter als der Durchschnitts-Ork, mit einer Narbe quer über die Nase. Die hat seine Nase auch zu einem großen Teil zerstört, womit er noch hässlicher als die meisten Orks aussieht. Er heißt Urtr’ak, aber ich nenne ihn in Gedanken ›Narbengesicht‹, wie ihn auch viele der anderen Orks nennen. Das machen sie natürlich nur hinter seinen Rücken. Direkt ins Gesicht, das hat noch keiner überlebt. Ich würde es ihm auch ins Gesicht, oder was noch davon übrig ist, sagen, da es ein interessanter Kampf wäre. Aber da ich nicht mit den Orks rede, kommt der einstweilen nicht zustande.
Und die Orks reden auch nicht mit mir, da sie glauben, ich kann ihre Sprache nicht und das soll auch so bleiben. Auf einige einfache Anweisungen und Befehle reagiere ich so, als verstünde ich deren Bedeutung. Ansonsten aber weise ich durch einen unverständlichen Blick oder fehlender Reaktion auf meine angeblich fehlenden Sprachkenntnisse hin. Denn eines habe ich hier gelernt: Wissen ist am wertvollsten, wenn nur du es hast und kein anderer. Auch reden die Wachen ohne Rücksicht auf meine aufgesperrten Ohren offener und auch über geheime Dinge, solange sie glauben, dass ich sie nicht verstehe.
Narbengesicht tritt in den Vorraum zu meiner Zelle, eine immer wieder beeindruckende Gestalt, die, obwohl die meisten Orks eher kleiner sind als ich, mich um einen halben Kopf überragt. Auch ist er muskulöser und breiter als seine Artgenossen. Sein Gesicht tut sein Übriges, um das Gesamtbild abzurunden. Man erkennt sofort, dass er selbst jahrelang ein Arenakämpfer war, was nun meine Aufgabe in diesem Loch ist. Mich kann er schon lange nicht mehr einschüchtern, die beiden Neulinge aber beginnen zu zittern. Auch wenn sie sich nicht der Gefahr durch mich bewusst waren, als sie ihren gefallenen Kameraden helfen wollten – oder auch ausrauben, da es bei Orks eigentlich keine Nächstenliebe gibt – so wissen sie, dass Narbengesicht schon mal andere Orks tötet, wenn ihm danach ist.
Der aber ist heute fröhlicher Stimmung, was mich ein wenig beunruhigt, da es nie Gutes bedeutet. Dies mag vor allem an dem dummen Ork liegen, der noch immer auf dem Boden vor meiner Zelle mit dem Speer im Bauch liegt. Dieses Ergebnis hat Narbengesicht voraussehen können, wenn er mir einen Frischling zum Wecken schickt.
Und da Narbengesicht zu den Intelligenteren seiner Spezies zählt, was leider bedeutet, er ist wirklich schlau, hat er das beabsichtigt. Vielleicht weil er den Frischling nicht mochte, der ihn einmal falsch angesehen hatte, oder einfach aus Spaß oder Langeweile.
Dies ist das Erste, was man bei den Orks lernt: Sei immer schlauer als der andere oder hab zumindest weniger Skrupel.
Da nun Narbengesicht die Leitung über die Vorstellung vor meiner Zelle übernommen hat und die Zeiten vorbei sind, als ich noch aus Trotz versuchte, meine Wärter zu ärgern, gehe ich freiwillig und ohne Aufforderung an die Rückwand meiner Zelle außerhalb der Griffweite des Speers. Dass ich den Wärter beim Wecken getötet habe, geschah eher aus Prinzip, denn aus Spaß. Auch wenn ich die Orks hasse, so sehe ich sie nur noch als Feinde an, die man töten muss, wenn man die Gelegenheit hat. Falls man nur aus Spaß tötet, egal ob der andere gut oder böse ist, so ist man wie ein Ork. Und ich will ein Mensch sein und nichts mit einem Ork gemein haben. Denn auch wenn ich nicht weiß, wie die Menschen sind, so glaube und hoffe ich, dass sie zu den Guten gehören, vor allem da sie Feinde der Orks sind.
Währenddessen wird mein Toter von seinen zwei Kameraden mit dem Speer im Bauch auf Befehl von Narbengesicht von den Gittern weggezogen, sodass auch der Speer endgültig aus meiner Reichweite verschwindet. Auf den Toten, der noch lebt, aber jetzt nur noch Stöhngeräusche von sich gibt, wird wie unter Orks üblich keine Rücksicht genommen. Narbengesicht nutzt diese Gelegenheit, die zwei anderen Frischlinge darauf hinzuweisen, was passiert, wenn man ihm nicht genügend Respekt zollt. Jetzt weiß ich auch, warum ich von dem Toten geweckt wurde, und wahrscheinlich hat Narbengesicht ihn sogar noch angeleitet, den Speer als Weckhilfe zu benutzten. Aber mir ist es egal, denn es ist ein Tag wie viele andere in den letzten Jahren.
Nachdem ich in den letzten Tagen geschont worden war und mir viel Zeit zum Trainieren gegeben wurde, werde ich heute wieder in der Arena kämpfen und, wenn alles wie immer läuft, gewinnen.
Aber was mich weiterhin beunruhigt, ist die übermäßig gute Laune von Narbengesicht, die nicht nur vom baldigen Verscheiden des Toten rühren kann. Er tritt nahe an die Zellentür heran, um mir etwas mitzuteilen, dass ich seiner Meinung nach nicht verstehe.
»Menschlein, auch wenn du in den letzten Jahren einer der besten Arenakämpfer warst und auch viele Orks übertroffen hast. Und auch wenn du mir mit diesen kleinen Einlagen ab und zu Spaß gemacht hast, so bist du trotzdem nur ein kleiner Mensch. Und deshalb darfst du nicht mehr gewinnen, da du sonst meinen Rekord brichst. Also wirst du heute sterben! Es ist schade, dass du es erst erfahren wirst, wenn es so weit ist, aber wir wollen heute noch einen schönen Kampf sehen. Und da heute besondere Gäste anwesend sind, wirst du heute mal nicht der einzige Mensch in der Arena sein, der stirbt. Wirklich schade, dass du dies nicht verstehst, aber meine zwei Freunde hier verstehen mich und freuen sich mit mir!«
Während er noch auf seine hämische Art und Weise lacht, vielleicht in der Hoffnung, mir doch ein bisschen Angst einzujagen, rasen mir zwei Gedanken durch den Kopf.
Erstens ›Ein anderer Mensch‹. Ich habe seitdem ich mich erinnere keinen anderen Menschen getroffen. Wie sieht er aus? Was macht er hier?
Und zweitens. Nun ist es Zeit, den Ausbruch zu versuchen.
Was den anderen Menschen angeht, da kann ich mich nur überraschen lassen. Wenn er mein Feind ist, lasse ich ihn hier, wenn nicht, kann er versuchen mit mir zu fliehen.
Was die Flucht angeht, habe ich schon seit Längerem einen Plan. Die oberen unterirdischen Bereiche der Arena, in denen Gefangene und Kämpfer übernachten, wurden durch die primitive Hand der Orks in den Felsen geschlagen. Die unteren Bereiche sind komplett anders. Sie werden normalerweise nicht genutzt, aber da ich als Mensch nicht in der Arena ohne aufwendige Überwachung trainieren durfte, wurde mein Training unter die Erde verlegt. Die von den Orks gehauenen Bereiche waren aufgrund der Enge ungeeignet, aber die unteren Bereiche stammen von einem anderen Volk, den Zwergen. Das entnahm ich einst einer Unterhaltung von zwei Wärtern. Dieser Bereich ist geprägt von geraden Gängen mit glatten Böden und verzierten Wände. Und auch wenn man sich in manchen Gängen bücken muss, so sind deren Hallen so groß, dass man mit einer Fackel mitten in der Halle stehen kann und keine einzige Wand sieht.
In diesem Sektor fand und findet ein Großteil meines Trainings statt. Denn auch wenn einige Hallen zugänglich sind, so gibt es weiter anschließende Hallen und Gänge, die man nicht betreten kann. Augenscheinlich haben die Zwerge beim Verlassen oder bei der Flucht eine magische Sperre eingebaut, die niemand überwinden kann. Dies wurde mir an meinen ersten Tag dort unten von einem armen Tropf gezeigt, der den Unmut von einem meiner Trainer auf sich gezogen hatte. Er wurde von seinen Trainingskameraden gefesselt und mit langen Stöcken gegen die Sperre gedrückt. Zuerst schien es so, als habe er Schmerzen, so wie eine Warnung. Aber als sie ihn immer weiter in die Sperre hineinschoben, wurde sein Schreien immer lauter, bis es plötzlich verstummte und er einfach tot war.
Somit mussten die Wachen nur den Eingang in eine dieser Hallen bewachen, während ich dort trainierte. Als ich aber später allein trainieren durfte und die Wachen eher mit Kartenspielen als mit Aufpassen beschäftigt waren, wollte ich die Sperre genauer ansehen.
Von der Ferne sah man nur ein leicht bläuliches Schimmern, je näher ich kam, desto blauer wurde es. Aber ich spürte keinen Schmerz, obwohl ich sicher schon an der Stelle war, an der der Ork geschrien hatte wie am Spieß. Es sah also so aus, dass mir diese Sperre nichts anhaben kann, vielleicht weil ich ein Mensch bin oder aus anderen Gründen.
Also habe ich in den letzten Monaten meine Flucht vorbereitet, denn auch wenn ich wusste, wie ich entkommen kann, so gab es noch andere Probleme. Zum Beispiel: Wohin führen die Gänge und Hallen? Führen Sie ins Freie oder immer tiefer in die Erde? Wie lange brauche ich, um einen Ausgang zu erreichen?
Da ich keine Antworten kenne, sammelte ich in den letzten Monaten möglichst viel Essen an, das ich in der Trainingshalle versteckte, und zwar immer hinter der Sperre, wo die Orks es nicht sehen. Dort versteckte ich auch Kleidung. Der Versuch, ein Schwert zu verstecken war nicht möglich, da ich die Waffen nach dem Training immer abgeben muss, aber vielleicht bekomme ich ja heute in der Arena noch eines ›geschenkt‹.
Jedenfalls ist jetzt klar, heute werde ich fliehen. Allein oder mit Begleitung.
Endlich ist es Nachmittag. Bald werde ich in die Arena gehen und kämpfen. Zum ersten Mal seit Langem bin ich wieder nervös vor einem Kampf. Nicht wegen des Kampfes, sondern weil sich heute mein Leben ändern wird, egal ob durch Flucht oder durch den Tod. Was mich aber am meisten wundert: dass ich mich darauf freue. Denn heute gibt es eine Entscheidung.
Der Tag verläuft wie immer in den letzten Jahren. Nachdem sich die Aufregung vor meiner Zelle gelegt hat, bekomme ich diesmal von einem vorsichtigeren Ork zum Frühstück die übliche Pampe aus Undefinierbarem und Fleisch von einem unbekannten Tier. Dies ist zwar nahrhaft, aber in meiner Anfangszeit hier brauchte ich große Überwindung, es zu essen. Zum Trinken gibt es Wasser, da die Orks nur zwei Getränke zur Auswahl haben. Wasser eben, was eher selten getrunken wird, und Are‘, eine Art Starkbier mit einem üblen Geschmack. Dieses Bier ist sehr stark, nach nur einem vollen Krug merkt man schon Auswirkungen beim Verhalten der Orks. Dennoch ist es das Hauptgetränk der Orks, manche trinken es auch vor Wettkämpfen. Dies sind aber meist die Verlierer und vielleicht trinken sie es auch, um die Angst vor dem Gegner zu überwinden.
Ich halte mich da lieber an Wasser. Was hilft es, die Angst zu überwinden, um dann durch die langsameren Reaktionen zu sterben.
Den restlichen Tag verbringe ich mit lockerem Training in der großen Zwergenhalle, in der hinter der magischen Barriere, außerhalb der Reichweite der Fackeln, meine Fluchtvorbereitungen versteckt sind.
Leider sind die Wächter heute sehr aufmerksam, wohl bedingt durch das Ableben ihres Kameraden heute Morgen. Somit kann ich keine weiteren Vorräte zur Seite schaffen, vor allem keine zweite Garnitur für den möglichen Fluchtbegleiter. Auch die Nahrungsvorräte müssen nun möglicherweise für zwei reichen.
Mittags stopfe ich mich trotz der bevorstehenden Flucht nicht mit Essen voll. Zum einen macht der Geschmack der Essenspampe das fast unmöglich. Zum anderen aber will ich beim Kampf nicht durch einen zu vollen Magen eingeschränkt sein.
Den ganzen Tag aber mache ich mir fast keine Gedanken über den anderen Menschen heute in der Arena, sondern über meine Gegner. Auch jetzt noch, kurz vor dem Kampf.
Narbengesicht ist zwar bösartig und verlogen, aber er ist davon überzeugt, dass ich heute sterbe.
Nur wer soll der Gegner sein? Die Orks legen Wert auf Kämpfe einer gegen einen, da der Sieger auf ehrenhafte Weise in der Arena gewinnen soll. Aber als sie keine Gegner mehr für mich fanden, ließen sie in letzter Zeit immer zwei Orks auf einmal gegen mich antreten. Nur kann ich mir nicht vorstellen, dass ich durch eine Übermacht von Orks besiegt werden soll. Denn schon als ich nur gegen zwei Orks kämpfte, gab es bei den Zuschauern Aufschreie der Empörung.
Der andere Weg der Orks war, fremde Rassen gegen mich antreten zu lassen. So kämpfte ich auch gegen einen Oger, Kreaturen, die doppelt so groß wie Orks sind, aber auch sehr langsam. Oder gegen eine Sumpfechse, einen Wolfsreiter und noch andere.
Ein Gegner wurde mir hierbei besonders gefährlich: ein Troll. Der war zwar nicht größer als ein Ork und auch nicht gepanzert. Aber seine Haut aus Stein war für mein Schwert undurchdringlich. Nur an den Gelenken war ein feiner Riss, an dem ich mit dem Schwert hineinstechen und ihn dann töten konnte.
Durchs Ausrufen meines Namens in der Arena werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Die Orks haben mir anfangs den Namen ›Der Menschenkrieger‹ gegeben. Mittlerweile aber bin ich ›Der Krieger‹. Dies ist auf meine vielen Siege zurückzuführen, denn der Krieger wird immer der aktuelle Champion in der Arena genannt. Der Ursprungsname ›Menschenkrieger‹ wurde mir, wie ich aus einem der vielen belauschten Gespräche entnehmen konnte, gegeben, um mich und die menschliche Rasse zu verspotten. Denn wenn der menschliche Champion gegen einen einfachen Ork verliert, zeigt das die Schwäche der gesamten menschlichen Rasse. Aber ich habe nicht verloren und wurde ›Der Krieger‹.
Das Licht schimmert durch die Ritzen des Tores vor mir, das in die Arena führt. Die Wände um mich herum strahlen die Kühle der Erde ab, denn ich befinde mich noch in dem Zugangstunnel der Gladiatoren zur Arena. Hinter mir ein verschlossenes Gittertor, das in sicheren Abstand von zwei Orks bewacht wird. Die sind mit langen Speeren bewaffnet und sorgen dafür, dass die Gladiatoren nach dem Öffnen des Tores auch in die Arena gehen. Ob sie es bei mir versuchen würden, wage ich zu bezweifeln, aber gerade heute will ich in die Arena.
Das Tor öffnet sich, gezogen durch Ketten, die sich schräg in der Decke befinden, und ich werde durch das grelle Licht von außen geblendet. Langsam gehe ich in die Arena, um meine Augen wieder an das Tageslicht zu gewöhnen und um die Situation einschätzen zu können.
Die Arena ist eine große, runde Felsebene, die mit feinem Sand bedeckt ist. Der Durchmesser dürfte etwa hundertfünfzig Meter betragen; die Kampffläche wird von einer hohen Steinmauer umschlossen. Die ist etwa fünfzehn Meter hoch und außerordentlich glatt an der Oberfläche. Auf der Mauerkrone befinden sich Holzaufbauten mit Tribünen für einfache Orks, auf der gegenüberliegenden Seite zum Gladiatorentor eine Tribüne, die teilweise aus Stein ist, für die Anführer der Orks. Die Mauerkrone und die Steintribüne wurden augenscheinlich auch von den Zwergen, die auch die unterirdischen Hallen angelegt haben, erbaut; die Qualität der Arbeit und die teilweise durch Wind glatt polierten Oberflächen weisen darauf hin. Die Holzaufbauten und die Tore aber sind wieder der primitiven Handwerkskunst der Orks entsprungen.
Insgesamt gibt es vier Tore, in jeder Himmelsrichtung eins. Meines ist das Osttor, sodass ich beim Betreten der Arena immer zuerst geblendet werde. Aus dem gegenüberliegenden Tor, dem Westtor treten meine Gegner heraus. Das Südtor ist zum Abtransport der Leichen gedacht, da auch wenn ich das noch nicht miterlebt habe, die Schleifspuren im Sand eindeutig darauf hindeuten. Die Funktion des Nordtors ist mir nicht bekannt.
Mittlerweile haben sich meine Augen an das Sonnenlicht gewöhnt und ich kann die Umgebung genauer erkennen. Noch bin ich allein in der Arena, zu meiner Rechten steht ein Waffenbord mit zwei einfachen Schwertern, ein Zweihandschwert und eine große Kampfaxt, keine Speere oder andere Wurfwaffen. Augenscheinlich ist heute Nahkampf gewünscht. Auch habe ich in der Vergangenheit bereitgestellte Wurfwaffen nach dem Kampf in die Zuschauermenge geworfen. Und zwar nicht als Andenken für die Zuschauer, sondern um noch ein paar mehr Orks zu erwischen. So gesehen war es dann doch ein besonderes Andenken für die Zuschauer.
Die Spuren im Sand und auch die angeheizte Menge weisen darauf hin, dass es bereits Kämpfe gegeben hat und ich nun der Hauptkampf bin. Die Ränge sind überfüllt mit Zuschauern und man sieht, wie sich die Orks gegenseitig schubsen und auch schlagen. Das Gejohle ist ohrenbetäubend und die Stimmung kocht.
Die Ehrentribüne ist sehr gut besucht. Aufgrund der Entfernung kann ich die Personen dort nicht genauer erkennen, aber vorne in der Mitte sitzt ein kleiner schmächtiger Ork. Aus Gesprächen meiner Wächter weiß ich, dass es Tr’uik sein muss, der Anführer der meisten Orks. Nicht nur ungewöhnlich an ihm ist, dass er trotz seiner unterlegenen körperlichen Konstitution ein Stammeshäuptling wurde. Sondern, dass er es geschafft hat, in den letzten Jahren die meisten Stämme der Orks zu vereinigen. Nur noch einige Stämme in den Bergen sollen ihm Widerstand leisten. Auch wird gemunkelt, er habe einen mächtigen Verbündeten, denn sonst wäre er nicht einmal Anführer eines Stammes geworden. Oder hätte seine Kindheit überlebt. Genaueres habe ich aber leider nicht erfahren, da dieses Gesprächsthema bei den Orks gemieden wird, denn es kann zu plötzlichem Ableben führen.
Zu seiner Linken ist auch ein kleiner, aber sehr bulliger Ork zu erkennen, der Leiter der Arena. Azru’g, wie er genannt wird. Er ist ein Vorbild für alle Orks: gemein, durchtrieben, intelligent, ehrgeizig und äußerst brutal. Zum Glück hatte ich mit ihm selten direkten Kontakt und die paar Male in den letzten Jahren, bei denen wir aufeinandertrafen, waren äußerst unangenehm.
Zu seiner Rechten sitzt ein großer, aber auch sehr schlanker Ork, den ich weder kenne noch zuordnen kann. Umgeben sind sie von einer Art Leibgarde, erkennbar an der kompletten Rüstung und der gepflegten Bewaffnung. Einige Orks sind verhüllt in schwarze Mäntel. Das müssen wohl die Ork-Zauberer sein, von denen nicht viel bekannt ist, bei deren Erwähnung die meisten Orks aber zu zittern beginnen.
Nun erkenne ich, dass im Schatten unter der Steintribüne jemand steht. Er war bisher nicht zu erkennen gewesen, da ich durch die Nachmittagssonne aus dem Westen noch immer leicht geblendet bin. Der besondere Gegner kann es nicht sein, denn dafür ist er zu klein. Wobei die Größe nicht immer ausschlaggebend ist für die Gefährlichkeit eines Gegners. Dennoch wird mein Gegner immer erst nach mir in die Arena gelassen, da der erst noch angekündigt wird. Denn er soll eine Überraschung sein und wird somit möglichst lange aufgehoben. Der bereits Anwesende trägt eine einfache Rüstung, einen Helm mit Visier und ein Schwert. Das hält er aber nicht in Angriffsposition, sondern eher darauf wartend, was als Nächstes geschieht.
Er macht keine Anstalten näher zu kommen, sondern bleibt etwas im Schatten. Normalerweise würde ich auch in meiner Position bleiben und die nächsten Minuten bis zum Eintreffen des Gegners dort warten. Aber wenn dies dort der Mensch ist, so hat er sich die falsche Position zum Warten ausgesucht. Denn er steht genau vor dem Tor, aus dem meine Gegner immer kommen. Und die Zeit, die sie brauchen, um die Arena zu durchqueren und mich anzugreifen, ist notwendig, um mich auf sie einzustellen. Denn auch wenn die Rasse und bei Orks der Name angekündigt wird, so kenne ich oft viele Rassen und vor allem deren Statur nicht. So habe ich noch Zeit, eine passende Waffe aus dem Waffenboard zu wählen.
Nun greife ich den Zweihänder aus dem Waffenboard und bewege mich Richtung Steintribüne. Die Waffe nehme ich mit, denn es könnte auch eine besonders hinterhältige Falle der Orks sein. Dennoch versuche ich, möglichst nicht bedrohlich zu wirken und auch das Schwert auf eine defensive Weise zu halten. Ob dies wirklich so rüberkommt weiß ich nicht, denn ein freundliches Verhalten war hier in der Arena bisher noch nie gefragt. Auch bin ich einen Kopf größer und mein Gegenüber ist schmächtiger als ich. Jetzt, da ich die Hälfte der Arena überquert habe, merke ich, dass er sich in Abwehrstellung begibt und sein Schwert fester greift. Oben auf den Tribünen wird das Johlen lauter und auch der Ansager erhöht seine Lautstärke. Der lässt seine übliche Aufzählung meiner Siege vom Stapel laufen, die ich schon auswendig kenne. Auch begrüßt er nochmals die Ehrengäste des heutigen Abends. Alles Dinge, die mich gerade nicht interessieren.
Vorsichtig, aber immer noch um einen freundlichen Eindruck bemüht nähere ich mich der Person. Dabei habe ich nicht nur sie im Auge, sondern auch das Tor hinter ihr – und die gesamte Umgebung.
Als ich in Hörweite bin und das Spektakel auf den Tribünen übertönen kann, versuche ich mit meiner Muttersprache zu der Person zu sprechen.
»Solange du mich nicht angreifst, bin ich nicht dein Feind. Und wenn ich du wäre, würde ich mir eine andere Stelle zum Warten aussuchen, denn aus dem Tor hinter dir kommen die Gegner.«
Leider scheint er mich nicht zu verstehen oder reagiert zumindest nicht. Mittlerweile aber ist mir klar, dass er ein Mensch ist und kein Ork. Denn an den Händen und den Armen erkennt man, dass er keine grüne, sondern menschliche Haut wie ich hat. Seine Arme sind sehr feingliedrig und die Hände sehr klein, auch untypisch für einen Ork.
Nun versuche ich es nochmals, aber auf Orkisch, sonst beherrsche ich keine Sprache.
»Solange du mich nicht angreifst, bin ich nicht dein Feind. Denn wie ein Ork siehst du nicht aus. Und wenn ich du wäre, würde ich mir eine andere Stelle zum Warten aussuchen, denn aus dem Tor hinter dir kommen die Gegner.«
Mein Gegenüber erscheint überrascht und spricht in schlechtem Orkisch mit einer hohen Stimme.
»Du scheinst auch kein Ork zu sein. Auch ich will nicht mit dir kämpfen, aber habe auch keine Angst davor.«
Nun wird mir klar, dass mein Gegenüber eine Frau ist und kein Mann. Die ganze Statur, die Stimme und die Form der Rüstung im Bereich des Oberkörpers weisen darauf hin. Denn auch wenn ich, solange ich mich erinnern kann, kein weibliches Wesen gesehen habe – auch keine Orkfrau, die halten sich abseits der Männer versteckt in Höhlen auf –, so weiß ich es wegen meiner Erfahrung, die mir aus der Zeit vor dem Gedächtnisverlust geblieben ist.
Die Orks auf den Tribünen können uns wegen der Entfernung und des Lärms nicht verstehen, sonst wären sie über meine Beherrschung ihrer Sprache und den Gesprächsinhalt sehr überrascht gewesen. Aus mir unerklärlichen Gründen ist das Gefühl, gemeinsam mit der mir unbekannten Frau zu fliehen stärker geworden. Deshalb gehe ich auch ein großes Risiko ein und vertraue ihr einstweilen. Wenn dies eine Falle ist, werden die Orks wohl sehr lange über den naiven Dummkopf lachen können.
»Ich bin ›Der Krieger‹ und ein Gefangener der Orks. Ich werde heut fliehen, wenn du mitkommen willst, musst du mir vertrauen!«
»Und warum sollte ich das?«
»Du kannst auch gerne hierbleiben und sterben. Ich werde mich nun jedenfalls möglichst weit von diesem Tor entfernen. Denn bald wird dadurch der Gegner die Arena betreten. Gerne kannst du aber hier auf ihn warten. Denn im Gegensatz zu mir wird er versuchen, dich zu töten.«
Ohne auf Antwort zu warten drehe ich mich um und gehe durch die Arena zum Osttor zurück. Dass ich ihr den Rücken zukehre, soll Vertrauen meinerseits zeigen, einem Ork würde ich nie den Rücken zukehren. Dennoch halte ich meine Sinne angespannt und lausche, soweit bei diesem Tumult möglich, auf verdächtige Geräusche hinter mir. Auch halte ich den Kopf leicht seitlich und spähe aus den Augenwinkeln auf die Frau.
Sie geht vorsichtig hinter mir her mit dem Blick auf meinen Rücken, aber ich merke auch, dass sie ab und zu das Westtor fixiert. Augenscheinlich ist sie nicht sicher, ob sie mir glauben kann, was ich auch verstehe. Warum ich ihr so großes Vertrauen – für meine Verhältnisse ist es schon sehr viel Vertrauen – entgegenbringe, weiß ich nicht. Vielleicht, weil ich die Hoffnung habe, endlich mal jemanden zu kennen, der mich nicht umbringen will. Auch will ich mittlerweile nicht mehr allein fliehen.
Als ich das Waffenboard neben dem Osttor erreiche, drehe ich mich langsam um und versuche, wieder zu lächeln. Ihren Gesichtsausdruck kann ich wegen des Visiers nicht erkennen, aber das kurze Abbremsen der Schritte deutet darauf hin, dass mir das Lächeln nicht ganz geglückt ist.
»Ich freue mich, dass du mir so weit traust, und hierher gefolgt bist. Wenn es aber zum Kampf kommt und dann zur Flucht, musst du mir schneller folgen.«
»Das werde ich dann entscheiden, wenn es so weit ist. Auch will ich erst einen anderen Kämpfer in der Arena sehen als dich, denn vielleicht ist das nur ein Spiel und du bist ein Abtrünniger.«
»Ich weiß, nicht was ein Abtrünniger ist, aber vielleicht kannst du mir deinen Namen nennen, so wie ich dir meinen Namen genannt habe.«
Mit spöttischem Unterton sagt sie: »Genau, der Krieger. Und mein Name ist dann die Kriegerin.«
»Mein Name ist wirklich der Krieger, meinen richtigen Namen kenne ich nicht. Aber ich denke, du kennst deinen schon.«
Nach längerem Zögern und mit leicht schief geneigtem Kopf, so als würde sie überlegen, ob ich es ernst meine oder nicht, sagt sie: »Meinen Namen nenne ich dir gerne nach einer erfolgreichen Flucht. Einstweilen kannst du mich Sakran nennen, nach der Stadt, in der ich lebe. Auch siehst du nicht aus wie ein Abtrünniger. Nun aber sage mir, wie es weitergeht.«
»Gleich wird mein oder besser unser Gegner angesagt. Der wird dann durch das Westtor in die Arena gelassen und wir werden mit ihm kämpfen.«
»Und der Fluchtplan?«
»Wenn ich rufe ›Folge mir!‹, dann folge mir«, sage ich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen: »Denn der Plan hängt von dem Gegner ab und wann ein Tor offensteht.«
»Nun gut, Krieger, ich werde dir so weit vertrauen. Aber wie …«
»Pscht«, sage ich und hebe die Hand, um dem Stadionsprecher zuhören zu können. »Jetzt wird der Gegner verkündet.«
Und wirklich, das Publikum ist kurz davor durchzudrehen, und der Stadionsprecher aktiviert seine letzten Reserven, um den Gegner herauszurufen: »Felsentroll!«
Ein Troll also, kein tödlicher Gegner, ich habe bereits einen besiegt. Aber beim letzten Mal wurde, soweit ich mich erinnern konnte, ein Troll angekündigt und nicht ausdrücklich ein Felsentroll. Aber alle Trolle sind doch aus Felsen? Oder ist dieser etwas Besonderes? Auf jeden Fall ist das schwere Zweihänderschwert das Richtige für diese Art von Gegner. Die schwere Axt ist aufgrund der fehlenden Spitze ungeeignet, in die Spalten an den Gelenken eines Trolles einzudringen, die beiden Einhandschwerter zu schwach. Auch das Schwert von Sakran ist am besten für diese Aufgabe geeignet.
Weitere Gedanken mache ich mir nicht, denn das Westtor wird bereits geöffnet. Auch Sakran ist voll auf dieses Tor konzentriert und hat jede Beobachtung und Überwachung meiner Person eingestellt.
Im Dunkeln des Ganges hinter dem Tor ist nichts zu erkennen, aber ein lautes Gebrüll hallt durch den Gang in die Arena. Die Art des Gebrülls passt zu einem Troll, aber die Lautstärke und die Kraft übertrifft die des von mir damals getöteten Trolls bei Weitem. Sind Felsentrolle also größer als normale Trolle? Und wie groß können sie sein, da schon normale Trolle mit der Größe eines Orks in Zweikämpfen als fast unbesiegbar gelten?
Das Tor ist etwa dreimal so hoch wie ein Ork, aber sollte der Troll wirklich so groß sein? Und würden ihn dann die Orks in die Arena führen, wo er durchaus die Umrandung überwinden und die Tribünen erklimmen kann? Ich sehe zu Sakran, aber wegen des Gebrülls ist es unmöglich, eine Frage zu stellen.
Man spürt die Erschütterungen, die von der Bewegung des Felsentrolls aus dem Tunnel kommen, und wäre die Arena nicht von den Zwergen, sondern von den Orks erbaut worden, würde wahrscheinlich der Tunnel einstürzen. Ohne den Felsentroll zu sehen, nimmt man die Präsenz seiner Kraft und seiner Wut wahr, ebenso wird das Gebrüll immer lauter.
Langsam schält sich ein Schatten aus dem Tor heraus; er füllt das ganze Tor aus. Als er aus dem Tor heraustritt, richtet sich das Wesen noch auf, sodass er die vierfache Größe eines Orks hat.
Einfach unglaublich wie groß dieser Felsentroll ist! Wegen der tief anliegenden untergehenden Sonne sind bisher nur seine Umrisse erkennbar, aber es ist klar, dass auch dieser Felsentroll aus Stein ist und nur an seinen Gelenken zu töten ist. Kein Wunder, dass meine Wärter von meinem Tod heute in der Arena ausgehen.
Soweit ich aber weiß, lassen sich Trolle nur schwer kontrollieren. Und dieser Felsentroll wirkt absolut unkontrollierbar. Was also soll diesen Troll davon abhalten, aus der Arena auf die Tribünen zu stürmen? Die Größe, um die Balustrade zu überwinden, hat er locker. Auch die am Tribünenrand aufgestellten Ork-Wachen haben keine Chance gegen ihn. Im Kerker habe ich viele Geschichten belauscht, wo ein normaler Troll wild wurde und sich gegen die Orks wandte. Dabei wurden immer mindestens ein Dutzend Orks getötet, bevor er aufgehalten werden konnte.
Und zu meiner Freude scheint der Felsentroll auch meiner Meinung sein, dass es nichts gibt, was ihn von einem Besuch der Tribünen und seiner Häscher abhält. Er dreht sich, um auf die Steintribüne hinter sich zu klettern. Dazu greift er mit seiner linken Hand nach der Kante der Umrandung, die er mühelos im Stehen erreicht. Was für ein Gigant!
Plötzlich, gerade als er die Umrandung an der Oberkante berührt, zucken gelbe Blitze über seine Hand und sein Gebrüll verändert sich von zornig zu schmerzvoll. Blitzschnell, mit einer für seine Statur unglaublichen Geschwindigkeit, zieht er seine Hand zurück.
Deshalb also die vielen Schwarzkittel, wie ich die Zauberer der Orks nenne. Sie schützen die Arena mit einem Schutzwall, damit der Felsentroll nicht entkommen kann.
Der Felsentroll dreht sich wieder zu uns her und sucht augenscheinlich nach einem neuen Ziel für seine Wut und seinen Schmerz. Wieder eine Änderung in seinem Gebrüll weist darauf hin, dass er uns gesehen hat! Auch das Gejohle auf den Tribünen nimmt zu und die Orks drängen nach vorn an den Rand der Arenaumfassung.
Nicht selten ist es bei Kämpfen geschehen, dass ein Zuschauer in der Arena gelandet ist. Einen solchen Vorfall begrüßten immer die anderen Zuschauer, und der Unglückswurm wurde – wenn er den Sturz überlebt hatte – gleich Bestandteil des Kampfes. Wenn der Arenaleiter an so einem Tag gut gelaunt war, hat er dem neuen Kämpfer sogar ein Schwert zugeworfen. Wobei er auch manchmal einfach den neuen Kämpfer traf – was zu einer noch größeren Belustigung bei den Zuschauern geführt hat.
Der Felsentroll geht langsam aus dem Schatten der Umfassung raus, sodass wir ihn genauer betrachten können. Sein Kopf ist wie der eines normalen Trolls grau und aus Felsen. Trolle besitzen keine Ohren und können auch nicht hören. Sie nehmen aber Vibrationen des Untergrunds sehr gut wahr. Auch sind ihre kleinen Augen sehr scharf und sie können in der Dämmerung noch sehr gut sehen. Nachts sehen sie eher schlecht und unter der Erde gar nichts, was sie aber aufgrund ihres Spürsinns für Vibrationen sehr gut ausgleichen. Es ist fast unmöglich, sich an einen Troll von hinten ranzuschleichen, auch wenn es vollkommen finster ist.
Sein Kopf ist kahl, auf manchen Trollen wachsen angeblich Flechten. Der sieht aber wie frisch poliert aus. Wie das die Orks geschafft haben oder wie viele dabei gestorben sind, wäre interessant zu wissen.
Eine Nase besitzen Trolle nicht, sie brauchen auch keine Luft zu atmen. Somit kann sich ein Troll beliebig lange unter Wasser aufhalten. Was die Trolle stattdessen brauchen, ist nicht bekannt. Auch was sie essen, weiß keiner außer sie selbst.
Je weiter sich der Troll aus dem Schatten bewegt, desto mehr Details werden erkennbar. Und die sind nicht gerade erfreulich, auch zeigen sie wieder die Boshaftigkeit der Orks.
Denn die Orks haben ihn nicht nur optisch verschönert, sie haben ihm auch noch eine Art Rüstung angezogen. Keinen Brustpanzer oder Beinschutz, sondern überlappende Metallstreifen im Bereich der Gelenke – den einzig verwundbaren Stellen.
So also wollen die Orks meinen Tod sicherstellen. Und auch den Tod von Sakran. Wieso aber der Aufwand für meinen sicheren Tod? Diese Rüstung zu schmieden ist ein großer Aufwand. Es wäre ohne diese Rüstung äußerst unwahrscheinlich, dass ich den Felsentroll besiege. Kann es wegen Sakran sein? Aber wenn man sie unbedingt tot sehen will, warum schickt man sie dann in die Arena und tötet sie nicht einfach? Diese Fragen werde ich später klären, denn es wird Zeit für den Kampf.
Der Felsentroll kommt direkt auf uns zu und trotz seiner Größe hat er hierbei eine beachtliche Geschwindigkeit aufgebaut. Seine Fäuste sind geballt; er will uns wohl einfach erschlagen. Eine Waffe hat er dafür nicht nötig. Welche Waffe will man so einen Riesen überhaupt geben?
Sofort laufe ich nach rechts und versuche, Sakran durch Handzeichen klarzumachen, nach links abzuhauen. Ob sie mich verstanden hat, weiß ich nicht, aber sie folgt meiner Anweisung. Vielleicht auch nur, da der Felsentroll uns schon fast erreicht hat.
Hinter mir spüre ich die Erschütterung des Bodens und höre das Aufschreien des Felsentrolls, als er mit seinen riesigen Fäusten auf die Stelle schlägt, wo ich noch vor ein paar Sekunden war. Schnell riskiere ich einen Blick nach hinten und erkenne, dass der Felsentroll zu wenden versucht und Sakran verfolgen will. Die hat aber schon einen kleinen Vorsprung zum Felsentroll aufgebaut, der aufgrund seiner Masse etwas Zeit für seine Kehrtwendung aus der Bewegung benötigt.
Während ich zum Nordtor laufe, überlege ich fieberhaft, wie man den Felsentroll besiegen soll, aber mir fällt keine Antwort ein. Der Felsentroll hat inzwischen die Wendung geschafft und verfolgt Sakran zum Südtor.
Instinktiv laufe ich auch zum Südtor und versuche, den Felsentroll von hinten anzugreifen. Mit beiden Händen ergreife ich das Schwert und ramme es mit der Spitze voran von hinten in die Kniekehle des Felsentrolls. Das Schwert trifft auf die Gelenkrüstung, starke Erschütterungen gehen durch meine Arme und beinahe schlägt der Aufprall mir das Schwert aus der Hand. Die Rüstung wird nur leicht beschädigt, eine Verletzung des Trolls ist nicht zu erkennen. Ich hole ein zweites Mal aus, um erneut in die Kniekehle zu schlagen. Aber der Felsentroll dreht sich bereits zu mir und versucht, mich mit seiner Pranke von der Seite her zu erwischen. Sofort springe ich nach hinten und der Windhauch der vorbeifliegenden Hand weht an meinem Gesicht vorbei.
Zwei weitere Rollen rückwärts helfen mir, um etwas Distanz zum Gegner zu bekommen. Sein linker Fuß rast nach vorne auf mich zu, also rolle ich mich nach rechts ab, sodass ich in seiner Seite stehe. Ein weiterer Stoß meinerseits in die linke Kniekehle, aber leider wieder das gleiche Ergebnis wie vorhin. Nur mit Mühe kann ich mein Schwert halten, und wieder muss ich einen Sprung nach hinten machen, um der herannahenden Hand zu entkommen.
Hinter dem Felsentroll hat sich in einiger Entfernung Sakran aufgebaut und vollführt Bewegungen mit ihren Händen. Zwischen den Händen befindet sich augenscheinlich ein Feuerball. Sie ist folglich eine Magierin. Es gibt also noch Hoffnung.
Wieder kommt der linke Fuß des Felsentrolls auf mich zu. Wieder weiche ich seitlich aus und wieder stoße ich erfolglos in die linke Kniekehle. Mein Schwert kann ich gerade noch halten, aber wie viele Schläge auf seine Rüstung ich noch aushalte, ist ungewiss. Die Rüstung meines Gegners ist kaum beschädigt. Diese Rüstung kann nicht eindrücken, sodass ein Durchstoßen fast unmöglich ist. Aber ein Hieb ist noch sinnloser.
Der Feuerball von Sakran erreicht eine beachtliche Größe, etwa den Durchmesser eines Ork-Kopfes. Sie lässt ihn los und sofort bringe ich mich durch mehrere seitliche Sprünge weg von meinen Gegner und aus der Flugbahn des Feuerballs. Der bemerkt den Feuerball und dreht sich sehr schnell um. Der Feuerball kommt immer näher auf den Felsentroll zu und der reißt schützend seine Arme vors Gesicht.
Nichts passiert! Plötzlich ist der Feuerball verschwunden und an seiner Stelle sind noch einige gelbe Blitze zu erkennen. Die Schwarzkittel sind also nicht nur hier, um den Felsentroll am Ausbrechen zu hindern, sondern auch um jede Magie zu unterbinden. Sofort bin ich wieder gefasst und nähere mich vorsichtig meinen Gegner. Der ist aber auch schon wieder bei sich. Er springt nach vorne auf Sakran zu und will sie angreifen. Die steht noch immer wie gelähmt da; augenscheinlich kann sie nicht glauben, dass der Zauber verpufft ist.
»Beweg dich«, rufe ich in dem Wissen, dass sie mich nicht hört.